Читать книгу Das Recht für Harry Laine: Harte Western Edition - Glenn Stirling - Страница 6
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ОглавлениеDas Sprechzimmer des Gefängnisses von Santa Fé macht einen ebenso trostlosen Eindruck wie das ganze Gebäude. Die Wände sind einförmig grau gestrichen. Es riecht nach abgestandenem Rauch und irgendeinem Desinfektionsmittel. In der Mitte des Zimmers steht eine vergitterte Barriere. Zwei Stühle auf der einen Seite und eine einfache, grobe Holzbank auf der anderen bilden das einzige Mobiliar. Auf dem Fußboden liegen zerquetschte Zigarettenstummel und benutzte Kaugummis herum. Das winzige Fenster ist vergittert, und diese Tatsache macht den ganzen Raum einfach unerträglich.
Zwei Männer sitzen auf den beiden Stühlen der für Besucher abgeteilten Seite. Der eine Mann ist groß und blond; seine kantigen Gesichtszüge und die scharfen blaugrauen Augen lassen an einen Nordländer denken. Er starrt gelangweilt auf eine Spinne, die in der Zimmerecke an der Fertigstellung ihres Netzes arbeitet. Dieser blonde Mann trägt eine Kleidung, wie sie nur von Reitern getragen wird. Unter der Jacke sind eigenartige Ausbuchtungen; ein Kenner wüsste sofort, dass dort Revolver in Schulterhalftern stecken. Überhaupt wirkt dieser Mann mit seinem braungebrannten Gesicht hart, aber trotzdem beherrscht.
Der zweite Besucher ist noch etwas jünger. Er hat das bleiche Gesicht der Städter. Sein schwarzes Haar ist leicht gewellt, und die Augen blicken durch eine Hornbrille mit jenem bestimmten Ausdruck, der ehrgeizigen und strebenden Menschen eigen ist. Die Kleidung dieses sehr intelligent aussehenden Mannes ist städtisch. Auch die schmalen Hände unterscheiden sich von den sonnenverbrannten und schwieligen Arbeitsfäusten seines Begleiters. Man sieht sofort, dass er kein Mann der freien Natur ist wie der Blonde.
Die Tür zum abgestellten Gefangenenraum öffnet sich. Ein uniformierter Wächter tritt ein. Hinter ihm folgt in grauer Sträflingskleidung ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Sein Gesicht ist zwar bräunlich, wirkt aber abgezehrt und blass. Der eigentümliche Gang des Gefangenen verrät den ehemaligen Cowboy; das steifbeinige Gehen der Weidereiter haftet diesen Männern ewig an. Unter Hunderten kann man sie daran erkennen.
Hinter dem Gefangenen geht ein zweiter Wächter. Seine Linke ist mit der Rechten des Gefangenen durch eine Handschelle verbunden. Während der erste Wächter eine Schnellfeuerwaffe trägt, ist der zweite unbewaffnet.
Als der Gefangene den einen Besucher erkennt, lächelt er gequält und sagt: „Sie geben sich viel Mühe, Dr. Ferrer! Aber es lohnt sich nicht mehr! Noch zwei Tage!“ Er sagt es wie ein Mann, der bereits abgeschlossen hat und nichts mehr vom Leben erwartet.
Der Mann mit der Brille erhebt sich und erwidert: „Mr. Laine, ich bin Ihr Rechtsanwalt und will alles versuchen, was ich nur tun kann, habe für Sie noch fünf Tage Vollstreckungsaufschub durchgesetzt! Ich tu alles, um Ihnen zu helfen! In sieben Tagen werden Sie also hingerichtet werden, wenn wir Ihre Unschuld nicht beweisen können! Dazu habe ich Ihnen einen Mann mitgebracht, der einer der wenigen sein kann, die überhaupt in der Lage sind, Ihnen zu helfen. Wenn es ihm misslingt, dann können wir die Hoffnung aufgeben!“
In den Augen des Gefangenen glimmt jetzt ein eigentümliches Leuchten. Der Anwalt scheint ihm etwas Hoffnung gemacht zu haben, und jetzt klammert er sich daran.
Dr. Ferrer spricht weiter. In seinen Worten liegt das Feuer des Idealisten und eines Mannes, der vorwärtskommen will. „Dieser Gent, den ich von einer Hochzeitsfeier weggeholt habe; der alles im Stich ließ, um mir zu helfen; der sogar einen seiner besten Freunde in Zorn versetzte, weil er von der Hochzeit wegging: dieser Mann ist Billy Rollins, Captain der Special Police!“ Er zeigt auf seinen blonden Begleiter, der still vor sich hin lächelt.
Der Rechtsanwalt spricht weiter. „Mr. Laine, wie Sie eben hörten, hat es diesem Mann große Umstände gemacht, mit mir heute hierher zu kommen und sich Ihrer Sache anzunehmen. Aber es gibt nur diesen einen Mann, der vielleicht das Urteil des Gerichtes, das Sie zum Tode verurteilte, berichtigen kann. Erzählen Sie also, was Sie von Ihrem Fall wissen! Verschweigen Sie dem Captain nichts; denn er ist gekommen, Ihnen zu helfen!“
Harry Laine druckst erst etwas herum, weil er nicht weiß, wie er seine Erlebnisse in die richtigen Worte fassen soll.
„Beginnen Sie ganz am Anfang!“, ermutigt ihn der Anwalt.
Billy Rollins schätzt den jungen Menschen ab, ohne ein Wort zu sagen. Er betrachtet die schwieligen Hände dieses ehemaligen Cowboys. Das Gesicht ist von Wind und Wetter gegerbt, aber es ist ein sympathisches Gesicht, wie Billy Rollins feststellen muss. Die Augen machen einen gutmütigen Eindruck; der Mund ist nicht hart, sondern eher der eines Menschen, der gern lacht. Und dennoch ist Billy vorsichtig. Er hat sich auch schon täuschen lassen.
„Ich bin Vormann des Ranchers Ben Martin gewesen. Martin hatte die XP-Ranch in La Posta“, berichtet der Gefangene.
Der Anwalt macht eifrig Notizen. Billy Rollins blickt nur in die Augen Harry Laines. Er braucht sich nichts aufzuschreiben. „Sprich weiter!“, sagt er leise.
Dass Billy Rollins ihn geduzt hat, scheint Harry Laine zu ermutigen. Er spürt, dass er mit einem Mann spricht, der seine Sorgen, die Sorgen eines Cowboys nämlich, genau kennt.
Harry Laine sagt: „Martin wurde erschossen! Es geschah in der Nacht zum fünften März. Ich war mit Alice, das ist Martins Frau, in der Küche und unterhielt mich mit ihr. Man hat mir vorgeworfen, dass ich etwas mit Alice hätte. Aber das ist eine Lüge! Ich habe sie sehr gern, aber es hat noch nie etwas zwischen uns gegeben. Ben Martin war stets ein Freund mir gegenüber, und nie hätte ich es gewagt, ihn mit seiner Frau zu betrügen. Obgleich ich weiß, dass auch Alice mich gern hat – Ben war zwanzig Jahre älter als sie – hat nichts zwischen uns stattgefunden, wie später vor Gericht behauptet wurde!“
„Wie alt ist Alice?“, fragt Billy.
„Einundzwanzig!“, erwidert Harry.
„Weiter, was geschah nach dem Mord, und wie geschah es überhaupt?“, will Billy wissen.
„Alice und ich standen in der Küche und unterhielten uns. Ich musste noch verschiedene Eintragungen in die Bücher der Ranch machen, da krachte plötzlich im Wohnzimmer ein Schuss. Ich bin sofort losgerannt und habe nachgesehen! Der Rancher lag am Boden. Jemand hat ihn vom offenen Fenster aus erschossen. Obgleich es eine kalte Nacht war, machte Ben Martin immer die Fenster auf, weil der Kamin so schrecklich qualmte. Der Mörder muss am Fenster gestanden haben. Das Zimmer kann er nicht betreten haben, denn Alices Blumenständer unter dem Fenster stand noch am alten Fleck. Ihn hätte der Mörder bestimmt umgerissen, wenn er im Zimmer gewesen und durchs Fenster geflüchtet wäre. Ich stehe also vor Ben Martin, und hinter mir steht Alice, als eine Menge Cowboys hereinkommen und uns anblicken, als seien wir Schwerverbrecher. Dave Hunts meinte sogar, wir seien die Mörder. Damals habe ich diesen Vorwurf überhaupt nicht ernst genommen. Erst als mich der Sheriff verhaftete, ging mir ein Licht auf. Als aber erst in der Verhandlung ein Meineid nach dem anderen geschworen wurde, wusste ich, dass man mich mit Hilfe der Justiz aus dem Wege räumen wollte. Nur ein Zeuge hat die Wahrheit gesprochen: Alice! Doch man warf ihr vor, ein Verhältnis mit mir zu haben, und man erklärte sie als befangen und beachtete ihre Aussage nicht.“
„Warum haben die Zeugen falsch geschworen?“, fragt Billy. „Waren sie alle gegen dich, oder vermutest du ein Komplott?“
Dr. Ferrer mischt sich ein: „Darf ich Ihnen die Frage beantworten, Captain? Ich habe nämlich schon Nachforschungen angestellt, die manches bestätigen, was mir Mr. Laine bereits vorher sagte. Immerhin, ich war misstrauisch, denn man kann nicht jedem Mandanten trauen. Harry Laine behauptete nämlich, dass es eine Art Verschwörung in La Posta gäbe. Er meinte, dass eine Menge Männer einer Organisation angehören, die ein verbrecherisches Werk betreibt. Es soll so eine Art Geheimbund sein! Viele der Cowboys gehören ihm an. Rancher und Unternehmer werden von diesem Bund zu Geldleistungen gepresst und bestraft, wenn sie sie nicht erfüllen. Meine Nachprüfungen bestätigen in Vielem diesen Verdacht. Und seitdem habe ich es mir zum Ziele gemacht, Harry Laine von dem ungerechten Urteil zu entbinden! Captain Rollins, ich weiß, dass Sie ein Fest verließen, auf das Sie sich schon lange vorher gefreut hatten.“
Billy erwidert: „Die Hochzeit meines Freundes Scott mit Rose. Aber ich bin Ihnen zuliebe mitgekommen, Dr. Ferrer. Wenn ich es mir überlege, bereue ich es nicht, denn wenn wir diesen Fall nicht aufklären, ist Harry Laine in sieben Tagen ein toter Mann.“
„Es wird ein Justizmord sein!“, ruft der Anwalt fanatisch aus. „Wir müssen es verhindern!“
Billy sagt: „Sieben Tage sind eine kurze Zeit, aber ich will mein Bestes versuchen! Nun noch einige Fragen, Harry Laine! Warum wollte man dir den Strick drehen und dich ausschalten?“
Harry Laine antwortet nicht gleich. Dann erwidert er zögernd; „Ich habe lange darüber nachgedacht. Eigentliche Feinde habe ich nie gehabt, Captain. Aber ich stellte mich gegen den Bund. Ich hielt zu den Ranchern, weil ich kein Bandit sein wollte. Bestimmt ist das der Grund. Es gibt aber noch einen anderen Grund. Ich kann es nur nicht recht beweisen: Dave Hunts, der jetzt die Ranch als Vormann für Alice leitet, scheint manchmal schon auf diesen Posten spekuliert zu haben. Er hat früher auch für Alice geschwärmt; sie wollte ihn aber nicht heiraten!“
„Was tut der Bund?“, fragt Billy weiter.
„Sie stehlen Vieh von den großen Ranches. Sie zwingen die Rancher und Farmer, Beiträge von unverschämter Höhe zu entrichten!“
„Wer ist der Anführer?“, fragt Billy.
„Ich weiß es nicht!“, erwidert Harry. „Früher glaubte ich, Ben Martin wäre es, aber das war ein Irrtum! Sie hätten ihn sonst nicht erschossen! Sie stehlen auch das Vieh in der Nachbarschaft. Selbst wenn es den State Troopers oder dem Sheriff gelingt, einen der Banditen dabei zu erwischen, ist es bis heute noch nicht gelungen, einen solchen Gefangenen lebend in ein Verhör zu bringen. Seine eigenen Komplicen töten ihn, wenn es nicht gelingt, ihn zu befreien. Wenn aber Cowboys den einen oder anderen Banditen erkannt haben, dann zeugen vor Gericht soundsoviele Männer dafür, dass der Betreffende ganz wo anders gewesen ist. So haben sie mich auch ‘reingelegt!“
Der Anwalt ruft: „Hören Sie, Captain Rollins! Ich flehe Sie an: Retten Sie diesen Mann vor dem Strick! Sieben Tage haben Sie Zeit, dann wird er gehenkt!“
Billy Rollins erhebt sich. „Dann will ich keine Zeit mehr verlieren!“, sagt er kurz.
Harry Laine will sich bei dem Captain bedanken, aber der nickt nur und geht. Der Anwalt schüttelt sich die Hände und hält die Daumen. Mit einem freundlichen Gruß verabschiedet er sich von dem Todeskandidaten.
Die Wärter führen Harry Laine wieder in seine Zelle.