Читать книгу Butler Parker Paket 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 25

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„Ich wäre Ihnen ungemein verbunden, Sir, wenn Sie Ihren Schuh aus meinem Gesicht nehmen würden“, sagte Josuah Parker in seiner höflichen Art und mit einer Stimme, die weder Panik noch Angst verriet. „Darf ich mich bei dieser passenden Gelegenheit nach Ihrem Befinden erkundigen?“

„Wenn nicht bald etwas geschieht, werde ich ertrinken“, gab Mike Rander präzise Auskunft über seine Lage, „wissen Sie eigentlich, was passiert ist?“

„Mir scheint, daß die Jacht auf ein Riff geschleudert wurde.“ Parker wartete geduldig darauf, daß der hinderliche Schuh seines jungen Herrn endlich ein wenig zur Seite geschoben wurde. Dann versuchte er sich aufzurichten und etwas zur Befreiung aus dieser mißlichen Lage zu tun.

Das Wrack schlingerte und dümpelte in der noch sehr starken Dünung. Die Wellen schlugen hart gegen den teilweise zerfetzten Schiffsrumpf und ließen es in unregelmäßigen Abständen erzittern. Mike Rander hatte nicht übertrieben. Das Wasser im Rumpf stieg stetig und füllte die zertrümmerte Kabine von Sekunde zu Sekunde immer höher aus.

„Jetzt können Sie zur Abwechslung mal Ihren Ellbogen aus meinem Kreuz nehmen“, bat Mike Rander. Er spuckte heftig und hatte Mühe, den Kopf über Wasser zu halten.

„Sofort, Sir“, erwiderte Parker gemessen, „sobald Sie mir die Chance einräumen, Ihrem Knie zu entgehen.“

„Beeilen Sie sich!“ Rander spuckte erneut, „ich mache bereits eine Trinkwasserkur mit!“

Mike Rander und Josuah Parker befanden sich in einer äußerst prekären Situation. Sie ahnten oder wußten, daß das Wrack in der nächsten Minute vom Riff abrutschen konnte. Und das hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Dennoch behielten sie die Nerven. Oder sie taten wenigstens so, als sei gleich alles überstanden.

Parker wuchtete sich noch einmal hoch, drückte den hinderlichen Schuh aus dem Gesicht, griff mit den Händen nach einer durchhängenden Planke und zog sich hoch. Anschließend kümmerte er sich um seinen jungen Herrn, zerrte ihn in die Höhe und schob ihn durch das rissige Loch in der Kabinendecke hinauf auf Deck.

Mike Rander blieb keuchend liegen und kämpfte gegen eine Übelkeit an. Er hatte bereits zuviel Salzwasser geschluckt, was seinem Magen nicht so recht bekam.

„Wo … wo wollen Sie denn hin?“ fragte er, als Parker sich anschickte, noch einmal zurück in die fast überflutete Kabine zu steigen.

„Ich vermisse meinen Regenschirm, Sir!“

„Auf den würde ich pfeifen, Parker. Hier brauchen Sie keinen Schirm mehr!“

Parker überging diese Prophezeiung, verschwand im rissigen, ausgezackten Loch, das wie ein Haifischmaul aussah, und kümmerte sich um seinen Universal-Regenschirm. Mike Rander richtete sich auf und begutachtete die allgemeine Lage …

Das Wrack der „Seejungfrau“ lag tatsächlich auf einem Riff, gegen das die starke Brandung donnerte. In der Lagune war das Wasser wesentlich ruhiger. Hier trieben Wrackteile herum, ein angeschlagenes Schlauchboot und Liegestühle, alles Gegenstände, die eigentlich auf die „Seejungfrau“ gehörten. Hinter der Lagune war ein weißer Sandstrand, auf dem jetzt armdicke Seetangstränge häßlich herumlagen. Die Palmen jenseits dieses Strandes bogen sich im starken Wind, der allerdings seine Orkanstärke schon längst hinter sich hatte. Von Schiffbrüchigen war nichts zu sehen.

„Wo bleiben Sie denn?“ Rander sah seinen Butler vorwurfsvoll an, „es wird Zeit, daß wir uns absetzen. Das Wrack spielt nicht mehr lange mit!“

Der Anwalt hatte seinen Satz gerade beendet, als die „Seejungfrau“ fast so etwas wie einen höflichen Knicks machte. Unter häßlichem Brechen und Bersten kippte sie weiter über und konnte nun von der schweren Brandung noch besser bearbeitet werden.

„Ich war so frei, Sir, gleich meinen Spezialkoffer mit heraufzubringen“, sagte Parker und stellte Koffer und Schirm neben sich. „Haben Sie noch besondere Wünsche, was Ihre Privathabe angeht?“

„Ich habe nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich drüben an den Strand zu kommen.“

„Mit einem Schlauch- oder Rettungsboot kann ich zur Zeit leider nicht dienen, Sir.“

„Die paar Meter werden wir auch schwimmen können“, sagte Rander. „Ich möchte nur wissen, was aus Paul Broken und seinen Gästen geworden ist.“

„Ich möchte doch sehr hoffen und wünschen, daß sie sich haben retten können, Sir, zumal ich einige Fragen zu stellen hätte!“

„Fragen?“

„Unter anderem würde mich ungemein interessieren, zu erfahren, Sir, wer die Kabinentür verriegelt hat!“

„Wovon reden Sie eigentlich?“ Rander fragte nur beiläufig. Er kam nicht von den Brechern los, die das Wrack jetzt wild durchschüttelten. Es konnte nur noch eine Frage von Minuten sein, bis die „Seejungfrau“ sich endgültig in ihre Einzelbestandteile auflöste.

„Ich möchte Ihnen keineswegs verhehlen, Sir, daß die Kabinentür von außen, ich betone, von außen, verriegelt war, wie ich eben unter Wasser feststellen konnte. Mit anderen Worten, Sir, irgendwelche Personen an Bord der „Seejungfrau“ hegten ein gewisses Interesse daran, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit diesen Orkan samt Strandung nicht überlebten!“

Mike Rander vergaß prompt die Brandung. Er starrte seinen Butler sehr entgeistert an.

*

Sie schwammen noch in der Lagune, als die „Seejungfrau“ ihren Geist aufgab.

Schwere Brecher hoben sie hoch, ließen sie auf das Korallenriff hart zurückfallen, wirbelten die Trümmer durcheinander und spülten sie dann in die Lagune hinein. Der Stahlrumpf des ehemaligen Minensuchers sackte unter Wasser und hinterließ nur einige wenig schöne Ölflecke.

Rander schaute sich nach seinem Butler um.

Josuah Parker schwamm ruhig, kraftvoll und dennoch mit einer Würde, die fast ein wenig komisch wirkte. Auf seinem Kopf saß unverrückbar fest die schwarze Melone. Am Universal-Regenschirm hing der schwarze Spezialkoffer, den der Butler wie ein Beiboot hinter sich herzog. Selbst in dieser außergewöhnlichen Situation Saß Parkers schwarze Krawatte korrekt am richtigen Platz.

Rander und Parker landeten auf einer kleinen Landzunge, die mit blühenden Sträuchern und Büschen dicht bewachsen war. Rander ließ sich in den weichen, weißen Sand fallen und nickte seinem Butler zu.

„Das wäre erst mal geschafft“, sagte er dann aufatmend, „haben Sie eine Ahnung, wo wir sind?“

„Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, Sir, irgendwo westlich von Honolulu …

„Dafür aber wahrscheinlich abseits jeder Schiffahrtslinie.“

„Möglicherweise, Sir. Darf ich fragen, ob ich Ihnen einen Kaffee servieren soll?“

„Kaffee?“

„In der Tat, Sir. Vor Antritt der kleinen Seereise habe ich mir erlaubt, mein Spezialgepäck neu zusammenzustellen.“

„Kaffee später“, sagte Rander und erhob sich, „sehen wir lieber mal nach, wer außer uns diesen Orkan noch überstanden hat. Moment mal, wie war das mit der Kabinentür? Sagten Sie, daß sie von außen verriegelt worden war?“

„Dafür verbürge ich mich, Sir.“

„Wir wären ohne fremde Hilfe also nicht aus der Kabine ’rausgekommen?“

„Dies, Sir, wollte ich damit andeuten.“

„Aber wer könnte das denn getan haben? Und warum?“

„Darauf kann ich zur Zeit leider noch keine Antwort geben“, gab Josuah Parker zurück, „die Verriegelung muß während des Orkans vorgenommen worden sein. Wahrscheinlich erst, als die ‚Seejungfrau‘ bereits angeschlagen war.“

„Wollte irgend jemand an Bord uns absaufen lassen?“ Rander fand die richtigen, harten Worte für einen Mordversuch.

„Möglicherweise war dies geplant, Sir.“

„Das sind ja schöne Aussichten für den Fall, daß wir auf Überlebende stoßen. Dann könnte jeder von ihnen ein verhinderter Mörder sein.“

„So sollte man die Tatsachen sehen, Sir!“

„Und ich dachte an ein paar nette Urlaubstage“, seufzte Mike Rander, „ausgerechnet ich wollte mal völlig vergessen, daß es auf dieser Welt Gangster und Mörder gibt!“

„Ich bedaure außerordentlich, Sir, daß ich Ihnen diese nicht gerade fröhlichen Tatsachen unterbreiten mußte. Haben Sie bestimmte Wünsche, was die Durchsuchung dieser Insel anbetrifft?“

„Wir werden zusammenbleiben“, meinte Rander, „ich möchte nicht plötzlich meinem Mörder gegenüberstehen. Gehen wir!“

Der junge Anwalt und Josuah Parker machten sich auf den Weg. Sie schoben sich durch das dichte Strauchwerk der Landzunge und hielten auf die Palmen zu, die nach wie vor vom starken Wind gebeugt wurden.

„Ich kann mir nicht helfen, Parker“, meinte Anwalt Rander, als sie den eigentlichen Hauptstrand erreicht hatten, „ich habe das Gefühl, daß wir beobachtet werden!“

„Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich dieses Gefühl mit Ihnen teilen“, erwiderte Parker gerissen, „zumal ich mit einiger Sicherheit glaube, drüben hinter dem querliegenden Stamm eine junge Dame gesehen zu haben, deren Kleidung ich als derangiert bezeichnen möchte!“

*

Sie kam schnell näher und winkte aufgeregt.

„Haben Sie die junge Dame schon mal gesehen?“ fragte Rander seinen Butler leise …

„Mir scheint, Sir, es handelt sich um Pamela Clayton.“

„Ausgeschlossen, Parker, die sah doch ganz anders aus.“

„Gewiß, Sir, Sie sollten jedoch das Make-up abziehen, das Miß Clayton für gewöhnlich trug.“

„Miß Clayton?“ fragte Rander laut die junge Dame, die inzwischen herangekommen war.

„Genau“, sagte sie in einer Mischung aus Lachen und Schluchzen, „mein Gott, bin ich froh, Sie zu sehen. Ich dachte schon, ich war’ allein auf der Insel!“

Mike Rander war jetzt sicher, daß Pamela Clayton vor ihm stand. Er kannte sie nur flüchtig. Sie war ihm auf der „Seejungfrau“ vorgestellt worden. Zusammen mit anderen, attraktiven jungen Damen, die das Deck bevölkert hatten.

Aus der affektierten jungen Dame war ein nettes, natürliches Mädchen geworden. Der Sturm und die Brandung hatten das viel zu dick aufgetragene Make-up abgewaschen. Jetzt konnte Pamela Clayton sich ehrlich sehen lassen, zumal ihre Kleidung das war, was Parker als derangiert bezeichnet hatte. Die lange Jachthose mit dem weiten Matrosenschlag war an den richtigen Stellen zerschlissen und strich ihre schlanke Figur erfreulich heraus. Die teils eingerissene Bluse hatte Pamela geschickt unter der Brust verknotet. Das aschblonde Haar hatte sich gelöst und hing lang auf ihre schmalen Schultern herunter.

„Ich weiß, ich sehe nicht besonders aus“, sagte Pamela Clayton und musterte verlegen ihr Äußeres.

„Prächtig sehen Sie aus“, korrigierte Mike Rander ehrlich, „auf jeden Fall besser als …

„Haben Sie sich, falls ich unterbrechen darf, schon über die Größe dieses Eilandes vergewissert?“ fragte Parker dazwischen.

„Ich habe mich nicht getraut“, erwiderte Pamela und wurde ängstlich, „vielleicht treiben sich hier wilde Tiere herum …

„Damit ist wohl kaum zu rechnen“, gab Rander zurück und vergaß, daß man ihn und seinen Butler geschickt hatte umbringen wollen, „was halten Sie davon, Pamela, wenn wir uns gemeinsam umsehen?“

„Mich werden Sie jetzt nicht mehr los. Allein sterbe ich vor Angst. Meinen Sie, daß sich noch mehr Passagiere gerettet haben könnten?“

„Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich diesbezügliche Erkundigungen einziehen. Sie könnten ja vielleicht mit Miß Clayton hier am Strand Zurückbleiben.“

„Wäre tatsächlich besser.“ Rander war sofort einverstanden, „ich werde inzwischen so etwas wie eine Hütte bauen. Schließlich war ich ja mal bei den Pfadfindern. Viel Glück, Parker! Und passen Sie auf sich auf!“

Josuah Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und machte sich auf den Weg. Als er einige Meter im dicht verfilzten Unterholz war, blieb er stehen, öffnete seinen schwarzen Spezial-Lederkoffer, der übrigens wasserdicht war, und rüstete sich mit einigen Gegenständen aus, die er seiner bescheidenen Ansicht nach vielleicht brauchte. Erst danach schritt er aus und untersuchte die Insel.

Er brauchte nicht weit zu gehen.

Nach etwa einer Viertelstunde roch er den Rauch eines Feuers. Vorsichtig pirschte Parker sich an die Feuerstelle heran. Bevor er sich zeigte, wollte er erst einmal genau die Verhältnisse studieren.

Er nahm erleichtert zur Kenntnis, daß das improvisierte Feuer dicht umlagert wurde. Er sah Paul Broken, den Schiffseigner und Geschäftsmann, der sie zu dieser Ausfahrt eingeladen hatte, er sah dessen Partner Keswick und den Kapitän der „Seejungfrau“, Hank Curson.

Parker machte das Ehepaar Forest aus, einen Playboy namens Jeff Deering und dann die drei selbst jetzt noch reizend-aufreizend anzusehenden Playgirls, deren Namen er sich nicht gemerkt hatte. Damit schienen sich bis auf zwei Personen alle Passagiere gerettet zu haben.

Parker richtete sich auf und wollte hinüber zum Lagerfeuer gehen, um seinen jungen Herrn, Miß Clayton und sich selbst anzumelden. Er kam jedoch nicht weit, denn er stolpert fast über einen Körper, der schlaff und regungslos in einem Gebüsch lag. Nach einer Schnelluntersuchung fand Parker eindeutig heraus, daß das Genick dieser Person gebrochen war …

*

„Es ist ja nicht zu glauben“, lärmte Paul Broken, als Josuah Parker mit einiger Verspätung am Lagerfeuer erschien. Der Schiffseigner der „Seejungfrau“ sprang auf und lief dem Butler entgegen. Er fuchtelte aufgeregt mit den Armen in der Luft herum. „Sind Sie allein durchgekommen, Parker?“

„Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, Sir, daß Mister Rander und Miß Clayton sich ebenfalls haben retten können.“

„Und wo stecken sie?“ Während Broken sprach, wurde der Butler von den Überlebenden umringt. Keswick, Brokens Geschäftspartner, schien ungemein erleichtert zu sein. Er wollte wissen, wie Parker und Mike Rander es geschafft hatten.

„Ein durchaus als gnädig zu nennender Zufall zerschlug das Deck, Sir“, berichtete Parker, „Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit konnten die Kabine daraufhin verlassen, da die Tür der Kabine sich leider verklemmt hatte.“

„Dann sind wir ja bis auf zwei Personen vollzählig“, sagte Hank Curson, der Kapitän der „Seejungfrau“. Der massige, untersetzte Mann mit dem breiten Gesicht und den wasserhellen Augen schien sich mit dem Unglück noch nicht ganz abgefunden zu haben. Er machte einen niedergeschmetterten Eindruck.

„Darf man höflichst fragen, welche Personen fehlen?“ erkundigte sich Parker, der den gefundenen Toten bisher nicht erwähnt hatte.

„Es fehlen Norman Edwards und Miß Lombard“, zählte Kapitän Curson auf, „hoffentlich treiben sie sich irgendwo auf der Insel herum.“

„Ihr Lagerfeuer wird gewiß gesehen werden“, beruhigte Parker den Kapitän, „darf ich unterstellen, daß alle Anwesenden sich bester Gesundheit erfreuen?“

„Selbst wenn’s so ist, wird’s nicht lange Vorhalten“, meinte Playboy Jeff Deering, ein bereits leicht gealterter Mann von höchstens vierzig Jahren. Sein aufreibendes Leben als Salonlöwe hatte ihn bereits deutlich gezeichnet. Deering machte einen nervösen, fast ängstlichen Eindruck.

„Nun machen Sie mal halblang“, lärmte Broken optimistisch dazwischen, „lange kann’s nicht dauern, bis man uns hier findet. Was meinen Sie, Curson?“

„Das geht schon klar“, erwiderte der Kapitän der „Seejungfrau“ ohne jede Überzeugungskraft.

„Man muß Geduld und Vertrauen haben“, schaltete sich Mrs. Ethel Forest ein, eine schlanke, fast magere Dame von schätzungsweise fünfzig Jahren, die ein wenig salbungsvoll wirkte, „wir alle stehen in der Hand des Herrn!“

„Sehr richtig“, pflichtete John ihr bei. Ehemann Forest, ein wenig zur Korpulenz neigend, etwa fünfundvierzig Jahre alt, jünger als seine hagere Frau, schien ein sehr passiver Typ zu sein, wie Parker insgeheim feststellte. Er hatte inzwischen alle früheren Einschätzungen zur Person über Bord geworfen und orientierte sich neu. Nach der Strandung zeigten sich die Gäste der „Seejungfrau“ nackt und ohne Maske. Es gab jetzt keine Verstellung und keine Selbsttäuschung mehr.

Parker fiel auf, daß die drei Partygirls sich an dem Gespräch nicht beteiligten. Sie drängten sich trotz der Sonne frierend um das Lagerfeuer. Wie Pamela Clayton sahen sie ohne jede farbliche Aufmachung frisch und durchaus appetitlich aus. Sie hatten ihr geziertes Benehmen auf der zerschlagenen „Seejungfrau“ zurückgelassen.

„Wenn Sie erlauben, werde ich Mister Rander und Miß Clayton verständigen“, entschuldigte Parker sich und lüftete seine Melone, „könnten Sie inzwischen Ausschau nach den immer noch nicht gefundenen Mister Edwards und Miß Lombard halten?“

„Hatten wir ohnehin vor“, lärmte Broken selbstbewußt, „irgendwie habe ich jetzt ein gutes Gefühl, auch sie müssen sich vom Wrack gerettet haben!“

Parker verließ das Lagerfeuer und begab sich zurück ins dichte Unterholz. Er hörte, daß ihm einer der Gäste folgte, drehte sich aber nicht um.

„Hallo, Parker!“

Der Butler, bereits im Unterholz und vom Lagerfeuer aus nicht mehr zu sehen, blieb stehen und drehte sich nach Jeff Deering um. Der alternde Playboy sah sich mißtrauisch um und kam dann mit kleinen schnellen Schritten auf den Butler zu.

„Was kann ich für Sie tun, Sir?“ erkundigte Parker sich höflich.

„Wir … wir haben einen Mörder unter uns“, sagte Jeff Deering schnell und nervös, „ich weiß es genau. Ich habe nämlich Norman Edwards gesehen! Tot! Man hat ihm das Genick gebrochen, wenn Sie mich fragen!“

„Das ist eine Anschuldigung, Sir, für die Sie einen gewissen Beweis antreten sollten!“

„Beweisen kann ich überhaupt nichts.“ Jeff Deering schluckte nervös und wandte sich wieder in Richtung Lagerfeuer um, als fürchte er beobachtet zu werden, „ich habe nur so ein Gefühl, verstehen Sie?“

„Und wer sollte dieser Mörder sein?“ erkundigte Josuah Parker sich. „Haben Sie möglicherweise eine bestimmte Vorstellung?“

„Lassen Sie Keswick nicht aus den Augen“, gab Deering leise und fast beschwörend zurück, „ich weiß, daß er aus diesem Fach kommt!“

Bevor Parker weitere Fragen stellen konnte, war Playboy Deering schon im Unterholz verschwunden.

Dafür erschien besagter Mister Keswick auf der Bildfläche. Er gab sich ahnungslos, falls er Deering überhaupt gesehen hatte. Keswick, kompakt, untersetzt, irgendwie an eine Bulldogge erinnernd, bestimmt schon seine fünfundvierzig bis fünfzig Jahre alt, sah sich interessiert um.

„War Deering nicht gerade hier?“ fragte er dann unvermittelt.

„Sie suchen Mister Deering?“ Parker reagierte würdig, gemessen und sehr höflich.

„Nee, dem gehe ich lieber aus dem Weg“, erwiderte Keswick, der Geschäftspartner von Paul Broken, „dieser Bursche ist so gefährlich wie eine gereizte Klapperschlange.“

„Sie versetzen mich in einiges Erstaunen, Sir.“

„Kann ich mir vorstellen. Aber wer vermutet hinter Deering schon so etwas wie einen Gangster, oder?“

„Sind Sie sicher, Sir, daß Sie sich nicht täuschen?“

„Vollkommen sicher, Parker. Deering war mal eine gewisse Größe in Milwaukee, fragen Sie ihn doch selbst. Aber ich wette, darüber wird er Ihnen kaum etwas erzählen. Aber ich will nichts gesagt haben, klar?“ Keswick nickte dem Butler zu und huschte zurück ins dichte Gebüsch.

Josuah Parker ging kopfschüttelnd weiter. Sein vager Verdacht, der zuerst von einer verriegelten Kabinentür herrührte, verdichtete sich zur Gewißheit, daß sein junger Herr und er früher oder später mit einem raffinierten Mörder konfrontiert werden würden …

*

Parker, er war etwa zehn Minuten unterwegs, hörte plötzlich schräg vor sich das Knacken eines kleinen Astes.

Da mit Tieren auf dieser Insel nicht zu rechnen war, konnte dieses Geräusch nur ein Mensch verursacht haben. Der Butler, der sich beobachtet fühlte, ließ sich selbstverständlich nichts anmerken und schritt gemessen weiter.

Er wußte selbst nicht so recht, ob er mit einem Überfall oder mit einem Mordanschlag rechnen mußte. Er wußte nur, daß verschiedene Dinge ganz sicher nicht stimmten.

Um sein Gegenüber zu täuschen, bog der Butler scharf nach links ab und blieb dann hinter dem Stamm einer Palme stehen. Lange brauchte er nicht zu warten.

Ein dichter Strauch wurde von nackten und schlanken Armen geteilt. Dann schob sich der Oberkörper einer jungen Dame durch das Blattwerk.

Er kannte diese Frau. Sie gehörte zur „Seejungfrau“ und war sicher identisch mit der vermißten Kathy Lombard. Warum beobachtete sie ihn? Warum hatte sie sich nicht längst bemerkbar gemacht? Eine junge Frau dieses Alters mußte sich doch förmlich nach menschlicher Gesellschaft sehnen. Schon aus Gründen der Angst! Diese Miß Lombard hingegen schien sich im Busch recht gut auszukennen. Von Angst konnte bei ihr im Moment wenigstens keine Rede sein.

Nun war sie in voller und schlanker Größe zu sehen. Sie trug Shorts, einen ärmellosen Frotteepullover und weiße Segelschuhe. Sie trug aber auch einen handlichen Knüppel in der Hand, der als Schlaginstrument sehr geeignet war.

Sie folgte Parkers Spuren, hatte aber keine Ahnung, daß der Butler hinter der bewußten Palme stand. Sie bewegte sich sehr vorsichtig und selbstsicher zugleich. Das Anpirschen schien Miß Kathy Lombard bestens zu kennen.

„Darf ich Ihnen helfen, Madam?“ Parker stand jetzt hinter ihr und lüftete grüßend seine Melone.

Er erlebte genau das, womit er sicherheitshalber gerechnet hatte. Kathy Lombard wirbelte blitzschnell um ihre Längsachse und gab deutlich zu verstehen, daß sie den handlichen Knüppel auf die Stirn des Butlers legen wollte.

Josuah Parker war verständlicherweise an Begrüßungen dieser Art nicht interessiert. Er verbeugte sich und ließ den Knüppel dicht über der Melone hinwegzischen … Miß Lombard hatte solch einen Schwung, daß sie den festen Halt auf dem Boden verlor und mitgerissen wurde. Sie landete aufschreiend in einem Busch, der reichlich mit Dornen versehen war.

„Darf ich Ihnen meine Hilfe erneut anbieten, Madam?“ fragte der Butler und reichte ihr die Hand.

Sie ergriff sie, ließ sich aus dem Dornbusch ziehen, musterte recht ungeniert einige Einstichstellen und … warf sich dann erneut auf den Butler, der diesmal fast überrascht worden wäre.

Sie war wie eine Wildkatze.

Und sie war sehr geübt in Sachen Judo und Selbstverteidigung. Sie legte es darauf an, den Butler mit einigen gezielten Handkantenschlägen außer Gefecht zu setzen.

„Ich fürchte, Madam, Sie unterliegen irgendeinem mir unerfindlichen Irrtum“, sagte Parker, der die Schläge und Hiebe höflich blockierte, „ich darf Ihnen versichern, daß ich mich mit allem gebotenen Respekt nähern wollte!“

Sie hörte überhaupt nicht hin und verdoppelte ihre Anstrengungen. Sie fintierte, wollte den Butler in Schläge hineinziehen und war sicher sehr enttäuscht, daß der Butler ihr diesen Gefallen nicht erwies. Um dieser Form der Unterhaltung ein Ende zu setzen, verschwand der Butler hinter einigen dicht beieinanderstehenden Palmstämmen und … gebrauchte dann seinen Universal-Regenschirm als Fußbremse.

Kathy Lombard kickste erschreckt auf, als der bleigefütterte Bambusgriff sich um ihr rechtes Fußgelenk legte. Da sie wieder einmal viel zu sehr in Schwung war, segelte sie einen guten Meter durch die Luft und landete bäuchlings auf einer Art Rasenbank. Hier blieb sie keuchend und leicht mitgenommen liegen.

„Darf ich höflich fragen, aus welchen Gründen ich mir Ihren Unmut zugezogen habe?“ wollte Parker wissen, der in respektvoller Entfernung neben ihr stehenblieb.

„Bringen Sie mich schon um! keuchte sie resigniert, „worauf warten Sie denn noch?“

„Hoffentlich enttäusche ich Sie nicht zu sehr, Madam, wenn ich Ihnen versichere, daß ich nicht die geringste Neigung oder Absicht habe, Sie umzubringen“, erwiderte Parker indigniert, „darf ich fragen, wieso Sie zu dieser an sich doch recht beklagenswerten Unterstellung kommen?“

„Ich weiß, was ich weiß“, sagte sie und erhob sich zögernd, „Ihr komisches Aussehen kann mich nicht täuschen, Mister Parker. Aber ich lasse mich nicht so ohne weiteres abschlachten wie Norman Edwards, damit Sie’s nur genau wissen!“

Worauf sie den Butler erneut wütend angriff …

*

„Parker wird schon kommen“, meinte Mike Rander und streckte sich im weichen, warmen Sand hin, „erzählen Sie mir lieber, Pamela, was mit der ‚Seejungfrau‘ eigentlich los ist.“

„Das wissen Sie nicht? Sie sind doch mit Paul Broken befreundet.“ Pamela sah ihn erstaunt an.

„Von einer Freundschaft zwischen Broken und mir kann überhaupt keine Rede sein“, gab Rander zurück, „er ist einer meiner Klienten. Und das erst seit einigen Tagen.“

„Wie lernten Sie ihn kennen?“ Pamela lehnte mit dem Rücken gegen einen Palmstamm und sah den jungen Anwalt ruhig, aber dennoch irgendwie prüfend an.

„Ich hatte geschäftlich in Honolulu zu tun“, meinte Rander lächelnd, „vielleicht wissen Sie, daß ich Anwalt bin. Also, Broken rief mich im Hotel an und bat um einen Besuch. Er kam und erzählte mir von seinen Sorgen. Anschließend kam es zur Einladung auf die ‚Seejungfrau‘. Was dann passierte, haben Sie ja miterlebt.“

„Kapitän Curson ist genau in den Orkan hineingefahren“, meinte Pamela Clayton und runzelte die Stirn, „finden Sie nicht auch?“

„Das kann ich nicht beurteilen, Pamela. Aber jetzt sind Sie an der Reihe. Was haben Sie denn mit Broken und mit der ‚Seejungfrau‘ zu tun?“

„Gar nichts!“

„Na, diese Auskunft ist aber mehr als dünn.“

„Sie entspricht aber der Wahrheit. Ich las eine Anzeige im ‚Honolulu-Star‘. Broken suchte für eine Ferienfahrt so eine Art weibliche Besatzung. Seglererfahrung war die Voraussetzung. Ich ging hin, ließ mich von ihm interviewen und wurde engagiert. Gegen ein sehr gutes Honorar übrigens!“

„Als was ließen Sie sich engagieren?“

„Broken wollte mich als eine Art Hostess mit Borderfahrung. Als Partygirl, wenn Sie so wollen, aber durchaus ehrbar. Ich sagte zu, weil ich ja nicht allein an Bord sein sollte.“

„Broken engagierte also noch die übrigen Damen?“

„Richtig. Kathy Lombard und dann May Owen, Judy Harless und Hazel Belmont. Sie kennen sie ja von der ‚Seejungfrau‘ her.“

„Kannten Sie sich untereinander?“

„Das geschah hier an Bord, hier lernten wir uns erst kennen. Die Hostessen hatten alle die Anzeige gelesen und sich bei Broken beworben.“

„War es nicht eigenartig, daß männliche Besatzungsmitglieder fehlten, Pamela?“

„Wir sollten ja die Besatzung sein, Mister Rander. Das war ja die Idee von Broken. Er wollte seine ‚Seejungfrau‘ mit Seejungfrauen bevölkern, wie er sich ausdrückte. Die Marotte eines Millionärs, wenn Sie mich fragen!“

„Sind Sie von Kapitän Curson getestet worden?“

„Ein wenig … Viel verlangte er nicht. Vergessen Sie doch nicht, Mister Rander, daß es sich um eine Ferienfahrt handeln sollte. Ein wenig herumschippern zwischen den Inseln. Mit dem Orkan hatte doch kein Mensch gerechnet.“

„Eine Frage, die Sie nicht zu beantworten brauchen, Pamela. Haben Sie sich schon häufiger als Hostess oder als, sagen wir, Playgirl anheuern lassen?“

„Na, und?“ Sie sah ihn erstaunt an, „ich will doch nicht hoffen, daß Sie mir irgendwelche unmoralischen Absichten unterschieben.“

„Unsinn, ich bin kein Moralapostel.“ „Selbst wenn, Mister Rander! Was ich nicht will, will ich eben nicht! Und sollte man mir auch Dollarnoten in jeder Menge anbieten. Ich habe diesen Job als Hostess schon oft übernommen und bisher nie Schwierigkeiten gehabt. Das ist doch so. Reiche Leutchen wollen sich für eine gewisse Fahrt mit netten Mädchen umgeben und damit angeben. Solch ein Mädchen bin ich. Fragen Sie mich nur nicht, ob ich dabei glücklich bin! Vielleicht suche ich den Mann fürs Leben. Vielleicht bin ich aber auch nur eine verworfene Abenteuerin.“

„Eben“, sagte Rander trocken und lächelte, „jeder nach seiner Facon, Pamela. War Ihnen der Name Broken bekannt?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nur sehr indirekt. Ich weiß, daß er Millionär ist, aber was besagt das schon. Er ist Schiffsreeder und soll eine Menge Trampfrachter und Tanker laufen haben. Und sein Geschäftspartner ist Keswick. Mehr weiß ich nicht. Doch, noch etwas weiß ich, aber das sollte unter uns bleiben.“

„Großes Ehrenwort!“

„Keswick ist ein unangenehmer Patron! Er scheint fünf Hände zu haben, so ist er hinter einem her. Aber damit muß ich privat fertig werden.“

„Sollten Sie in dieser Hinsicht Ärger bekommen, brauchen Sie sich nur an mich zu wenden, Pamela.“

„Ich werde mich daran erinnern. Was ist denn, Mister Rander?“

Rander war plötzlich aufgesprungen und sah in den Palmenwald hinein.

„Parker kommt“, sagte er, „und er scheint uns etwas mitgebracht zu haben.“

*

„Lassen Sie mich los! Sofort loslassen!“

Kathy Lombard lag auf Parkers rechter Schulter und strampelte mit ihren wohlgeformten Beinen wie ein trotziges Kind. Sie trommelte mit ihren Fäusten gegen Parkers Rücken und schrie leicht auf, als der Butler sie höflich, aber nachdrücklich in den weichen Sand kippte. Sie sprang sofort wieder auf und sah Pamela Clayton völlig überrascht an.

„Pamela?“ fragte sie dann ungläubig.

„Was ist denn, Kathy?“ Pamela schüttelte fragend und erstaunt den Kopf.

„Dieser Grobian hat mich fast umgebracht“, sagte Kathy Lombard wütend und rieb sich die Kehrseite.

„Aber, Parker!“ Mike Rander grinste und sah seinen Butler fragend-verweisend an, „was haben Sie denn mit der jungen Dame gemacht? Sollte ihre gute Erziehung durch den Schiffbruch gelitten haben?“

„Keineswegs, Sir, wie ich versichern darf.“

„Umgebracht hätten Sie mich fast!“ beschwerte Kathy Lombard sich erneut.

„Gewisse Umstände, Sir, auf die ich nicht näher eingehen möchte, zwangen mich, Miß Lombard von meiner Harmlosigkeit zu überzeugen.“

„Mußten Sie mir deswegen den Po versohlen?“ Kathy Lombard rieb sich erneut die Kehrseite, während Pamela und Rander jetzt unverhohlen lächelten.

„Nur so konnte ich beweisen, Madam, daß ich keineswegs das bin, was Sie einen Killer nannten!“

„Wie, bitte?“ Pamela sah Kathy überrascht an, „wie bist du denn auf diese Behauptung gekommen?“

„Das geht dich nichts an“, reagierte Kathy Lombard überraschend scharf und wütend, „laß dich nur nicht einwickeln, mehr will ich nicht sagen.“

Sie trat dem Butler sehr undamenhaft gegen das linke Schienbein und rannte zurück in den Busch.

„Ein Verhalten, das ich keineswegs als ladylike bezeichnen möchte“, sagte Parker indigniert und rieb sich verstohlen die schmerzende Stelle.

„Sie haben noch Glück gehabt.“ Rander grinste wie ein großer Lausejunge, „stellen Sie sich mal vor, sie hätte richtige Schuhe angehabt.“

„So was albernes!“ Pamela schien sehr ärgerlich zu sein. Sie lief Kathy nach und verschwand ebenfalls im dichten Unterholz. Rander und Parker beobachteten diesen Vorgang und schüttelten fast im Takt den Kopf.

„Wir werden noch viel Freude erleben“, meinte Rander dann, „wie kommt die Frau dazu, Sie einen Killer zu nennen, Parker?“

„Man scheint, dies möchte ich mit aller gebotenen Vorsicht behaupten, Sir, man scheint Stimmung gegen Sie und meine bescheidene Wenigkeit zu machen. Vielleicht mit dem erklärten Ziel, einen weiteren Mord einzuleiten!“

„Einen weiteren Mord? Soll das heißen …?“ Rander sah den Butler sehr wach an. Er lächelte längst nicht mehr.

„Einen weiteren Mord“, wiederholte Parker, „er dürfte der Auftakt zu einer Serie sein, mit der mit Sicherheit noch zu rechnen ist.“

Parker hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als vom Busch her ein häßliches „Plopp“ zu hören war. Neben Parker spritzte eine kleine Sandfontäne hoch, die an sich sehr harmlos aussah.

„Deckung!“ rief Rander und rollte sich blitzschnell zur Seite. Nur dadurch vermied er nach einem zweiten „Plopp“, daß die Fontäne diesmal aus seinem Körper hochstieg.

Er sprang auf und huschte hinter einen umgestürzten Palmenstamm in Deckung.

Parker entwickelte ebenfalls eine Schnelligkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte. Eine dritte Sandfontäne nach einem dritten „Plopp“ schien seine sonstige Gemessenheit leicht angekratzt zu haben.

*

Parker wechselte in den dichten Busch hinüber und suchte nach dem Schützen, dessen Handfeuerwaffe offensichtlich mit einem Schalldämpfer versehen war. Parker wartete auf einen vierten Schuß, doch leider blieb er aus.

Wartete der Schütze – oder war es eine Schützin? – auf eine bessere Gelegenheit? Oder hatte die Person sich bereits abgesetzt, um nur ja nichts zu riskieren?

Parker ermittelte ungefähr, wo diese Person gestanden haben mußte. Vorsichtig pirschte sich der Butler an diese vermeintliche Stelle heran. Er rechnete jeden Moment mit einem vierten Schuß. Ihm war längst klar, daß er es mit einem Profi zu tun haben mußte, mit einem Profi allerdings, der nicht sonderlich gut schoß, oder aber nervös war.

An sich hätten die Schüsse treffen müssen. Waren sie nur als Warnungen zu verstehen? Sollten sie Unruhe oder Panik erzeugen? Wartete der Schütze mit dem richtigen Zielen auf einen Zeitpunkt, der ihm geeigneter erschien? Fragen über Fragen, auf die der Butler im Augenblick keine passende Antwort fand.

Er entdeckte wenig später den Standort des Schützen. Hier war das Gras niedergetreten worden, einige kleine Zweige geknickt. Der Butler suchte nach Patronenhülsen, fand aber nichts. Er versuchte, den Weg des Schützen zu verfolgen, mußte dieses Vorhaben aber schnell wieder aufgeben. Die wenigen undeutlichen Spuren verliefen sich im schütteren Gras und endeten vor einer großen Wasserlache, die sich in einer Vertiefung zwischen den Palmen gebildet hatte. Parker war klar, daß der Schütze von hier aus auf die nackten Stein- und Felstrümmer der Insel gestiegen war. Dort waren mit Sicherheit keine Spuren mehr zu finden. Er ging also zurück.

„Ich muß Sie leider enttäuschen, Sir“, meldete er Mike Rander, „ich möchte annehmen, daß wir es mit einer Person zu tun haben, die sich in gewissen Spielregeln auskennt.“

„Dafür habe ich das hier gefunden“, Rander reichte dem Butler fast unversehrte und nur leicht deformierte Geschosse, „ich würde sagen, daß sie aus einer 38er stammen.“

„In der Tat“, pflichtete Parker seinem jungen Herrn bei, „unverkennbar. Man sollte diese Geschosse aufheben.“

„Richtig. Könnte später sehr nützlich sein. Was sagen Sie zu diesem Feuerüberfall, Parker?“

„Ich bin, offen gesagt, ungemein betroffen, Sir.“

„Und ich erst, Parker! Wer will uns umbringen? Und warum?“

„Es scheint sich herumgesprochen zu haben, Sir, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit hin und wieder Kriminalfälle lösen.“

„Demnach stören wir also die Kreise einer Person, die hier tätig werden will?“

„So würde ich es ansehen, Sir.“

„Wieso ist bereits ein Mord schon geschehen? Oder habe ich Sie falsch verstanden?“

Parker gab eine kurze Darstellung vom Fund des Toten, der sich das Genick gebrochen zu haben schien. Er berichtete von dem Playboy Deering, der Keswick beschuldigt hatte, und von Keswick, der seinerseits Deering als Gangster bezeichnet hatte.

„Das wird ja immer heiterer“, meinte Rander und seufzte laut: „Dieser Broken scheint sich ja ein nettes Völkchen an Bord geladen zu haben.“

„Unter anderem die jungen Damen, die sicher nicht nur reizvoll anzusehen sind, Sir!“

Mike Rander erklärte seinem Butler kurz, was es mit den jungen Damen auf sich hatte. Parker nickte.

„Ich bin bereits orientiert, Sir“, sagte er, „während der Fahrt hatte ich den Vorzug und das unbestreitbare Vergnügen, mich mit einigen der jungen Damen unterhalten zu können. Die Darstellung Miß Pamela Claytons scheint den Tatsachen zu entsprechen. Alle jungen Damen wurden aufgrund einer Zeitungsannonce eingestellt und dürften sich vorher noch nie gesehen haben.“

„Sie formulierten mal wieder sehr vorsichtig, Parker.“

„Gewiß, Sir, um später keine bösen Enttäuschungen erleben zu müssen. Was Miß Kathy Lombard anbetrifft, die ich mit ein wenig Gewalt hierherbrachte, so möchte ich als sicher unterstellen, daß sie mehr ist als nur eine nette Hostess.“

„Sie sollten ihr den Tritt gegen das Schienbein nicht so nachtragen“, frotzelte Mike Rander.

„Ich dachte eigentlich mehr an ihre Kenntnisse in Judo“, korrigierte der Butler, „sie möchte ich als gut bezeichnen. Welche Hostess verfügt schon über diese Spezialausbildung!“

„Okay, lassen wir die reizenden Girls also nicht aus den Augen“, sagte Rander nachdrücklich, „bleiben wir bei der Kernfrage! Wer soll hier umgebracht werden und warum? Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir es mit einem wahnsinnigen Täter zu tun haben, der alle Gäste der ‚Seejungfrau‘ ausrotten will!“

„Prognosen wären verfrüht“, gab Parker zurück und nickte andeutungsweise und zugleich zustimmend, „wenn Sie erlauben, werde ich mich ein wenig umhören.“

„Kümmern wir uns vorher um Miß Pamela und Kathy“, sagte Rander, „ob sie wohl die Schüsse gehört haben? Müßte doch eigentlich sein, was meinen Sie?“

„Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mich auf meine Prognose beziehen, die zu stellen jetzt noch verfrüht wäre. Darf ich Sie nur ebenso dringend wie höflich bitten, allen Damen gegenüber ungemein vorsichtig zu sein?“

„Sie dürfen“, schloß Rander und schmunzelte, „aber das soll nicht bedeuten, daß ich diesen Seejungfrauen aus dem Weg gehen werde Sie wissen doch, Parker, einer Gefahr soll man stets aus nächster Nähe ins Auge sehen!“

*

„Sind Sie sicher, daß Edwards ermordet worden ist?“

Der Eigner der „Seejungfrau“ sah den Anwalt völlig entgeistert an. Dann blickte er auf Edwards hinunter.

„Mit letzter Sicherheit läßt sich das natürlich nicht sagen“, gab Mike Rander zurück, „aber man bricht sich nicht so ganz einfach und nebenbei das Genick, finden Sie nicht auch?“

„Aber warum sollte Edwards ermordet worden sein?“

„Wer war Edwards? Sie hatten ihn doch auf die ‚Seejungfrau‘ eingeladen.“

„Norman Edwards ist … äh, ich meine, war Buchhalter in Keswicks Firma.“

„Nichts gegen Buchhalter, Mister Broken, aber die lädt man normalerweise nicht zu einem Ferientrip ein.“

„Er war natürlich mehr als nur Buchhalter. So eine Art Vertrauter von Keswick.“

„Der Ihr Geschäftspartner ist, ja?“

„Stimmt, was meine Firma angeht, aber Keswick hat darüber hinaus noch eigene Betriebe.“

„Können Sie mit Einzelheiten dienen?“

„Keswick hat ein paar riesige Ananasplantagen und Konservenfabriken, dann eine Menge Beteiligungen an kleineren Firmen und Betrieben. Aber fragen Sie ihn doch selbst.“

„Klar, werde ich tun, Broken. Bleibt die Frage, wer Edwards eingeladen hat?“

„Ich, aber auf Wunsch von Keswick. Er wollte seinem Chefbuchhalter mal was gönnen.“

„Das ist ja eingetroffen, aber anders, als Edwards sich das wohl vorgestellt hat.“ Rander sprach trocken und knapp. „Wie sieht Ihr Geschäftsverhältnis zu Keswick eigentlich aus?“

„Er ist mit der Sperrminorität in meiner Reederei. Und ich glaube, er würde sich liebend gern noch fester einnisten. Keswick hat schon immer einen verdammt gesunden Sinn fürs Geld gehabt.“

„Sie nicht?“ spöttelte Mike Rander.

„Ich natürlich auch, Rander. Aber ich bin vielleicht nicht so gierig wie der gute Keswick … Glauben Sie nicht, ich wollte über ihn herziehen. Das, was ich Ihnen sage, habe ich ihm schon tausendmal gesagt.“

„Wie fair, Broken …“ Rander grinste, „wenden wir uns also diesem alternden Playboy Deering zu … Wem verdankt denn er die Einladung?“

„Mir …!“

„Können Sie nicht mehr zu diesem Thema sagen? Bestehen zwischen Deering und Ihnen irgendwelche Beziehungen?“

„Ich … Ich leiste ihn mir eben …!“

„Sie leisten ihn sich? Das müssen Sie mir näher erklären.“

„Muß ich …?“ Broken wurde gereizt.

„Müssen überhaupt nicht … Sie brauchen kein Wort mehr zu sagen, aber Sie dürfen sich nicht wundern, daß ich mir dann vielleicht falsche Gedanken mache.“

„Na, schön … Deering ist ein Playboy, aber brauchbar für viele Dinge. Für mich ist er so ’ne Art Haushund!“

„Würde Deering diese Bezeichnung akzeptieren? Oder würde der Haushund zuschnappen?“

„Ich habe ihn als Leibwache engagiert“, rückte Broken nun endlich mit der Sprache heraus, „damit sind wir bereits beim Thema, über das ich mit Ihnen an Bord sprechen wollte.“

„Aha, dachte ich mir doch gleich, daß Sie nicht über Vertragsbedingungen mit mir reden wollten. Was ist also los?“

„Man will mich umbringen“, sagte Broken leise, „ein paar Tage vor Ihrer Ankunft in Honolulu kam der erste anonyme Anruf … Insgesamt erhielt ich drei Anrufe. Alle mit dem fast gleichen Text. Sie werden sterben, hieß es, Sie werden bald sterben, Broken.“

„Ohne Angabe von Gründen?

„Ohne jede Begründung, Rander! Mein Wort darauf! Ich habe nicht die geringste Ahnung, warum man mich umbringen will.“

„Haben Sie denn wenigstens eine Ahnung, wer Ihnen an den Kragen will?“

„Na ja!“ Broken wurde ein wenig verlegen. „Wenn einer, dann höchstens Kapitän Curson!“

„Wie, bitte …,!?“ Rander war völlig verblüfft.

„Ja, Curson“, wiederholte Broken, „vor ’nem halben Jahr hab’ ich ihm das Kommando über einen Tanker weggenommen … Wegen dauernder Trunkenheit!“

„Um ihm anschließend Ihre Privatjacht anzuvertrauen?!“

„Da hatte ich ihn doch unter Aufsicht“, sagte Broken ohne jede Überzeugungskraft.

*

Josuah Parker stand um diese Zeit auf einer kleinen Felskanzel und sah interessiert hinunter auf die Lichtung. Noch interessierter verfolgte er das, was Keswick tat.

Der Geschäftspartner von Broken pirschte sich gerade an May Owen heran, die es sich neben einem Palmenstamm bequem gemacht hatte und wohl eingeschlafen war. Auch sie trug Segelhosen und einen knapp sitzenden Pulli. Sie hatte keine Ahnung, wer sich ihr da näherte.

Josuah Parker hatte selbstverständlich bereits seine Vorbereitungen getroffen und wartete auf seinen Einsatz. Schon die Art und Weise, wie Keswick sich der langbeinigen Hostess näherte, ließ Schlimmstes befürchten.

Keswick blieb neben der im Gras liegenden May Owen stehen und betrachtete sie gründlich. Als er sich vorsichtig auf die Knie niederließ und die Hostess an die Schulter tippte, fuhr sie erschreckt hoch und wollte unwillkürlich schreien.

Die breite Hand Keswicks, die sich auf ihren Mund legte, hinderte sie jedoch daran. Sie wehrte sich wütend, doch gegen die Kräfte von Keswick kam sie nicht an.

Parker, der einen runden Kiesel in die Lederschlaufe seiner Gabelschleuder gelegt hatte, strammte die beiden Gummistränge, visierte kurz nach, unten und ließ anschließend den Kieselstein auf die Reise gehen.

Keswick zuckte Bruchteile von Sekunden später zusammen und richtete sich steil auf. Er faßte ungläubig nach der schmerzenden Stelle zwischen seinen Schulterblättern und sah sich mißtrauisch um. Er konnte verständlicherweise nicht verstehen, wer ihn da mit Steinen beworfen hatte.

May Owen nutzte ihre Chance.

Sie wischte hoch und lief davon.

Keswick nahm die Verfolgung sofort auf. Er holte auf und stellte May ein Bein. Sie überschlug sich und blieb dann regungslos im Gras liegen.

Keswick sah sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Dann stelzte er auf May Owen zu und fuhr erneut zusammen.

Ein zweiter Kieselstein traf ihn in der Gegend seiner Nieren. Keswick hatte plötzlich zu Parkers Überraschung einen Revolver in der Hand. Der Geschäftspartner von Broken warf sich neben May Owen ins Gras und sicherte.

Natürlich konnte er den Butler nicht sehen. Die lautlos heranschwirrenden Steinchen sagten nichts über den Standort des Schützen aus, einer der Vorteile solch einer handlichen Gabelschleuder.

Um Keswick Beine zu machen, schickte Josuah Parker einen, dritten Stein auf die Luftreise. Dieser Kiesel klatschte dicht vor Keswicks Nase ins Gras.

Der Mann sprang hoch, kümmerte sich nicht weiter um May und lief davon. In weniger als einer Minute war er nicht mehr zu sehen. Der Palmenwald verschluckte ihn.

Josuah Parker hütete sich, jetzt von der Felskanzel zu steigen. Er war sicher, daß Keswick vom Palmenwald aus May Owen beobachtete. Parker kletterte also auf der sicheren Seite hinunter auf festen Boden und lustwandelte anschließend in einem großen Bogen auf die Lichtung zu. Er sorgte dafür, daß er dabei auf Keswick stoßen mußte.

Nun, Parker fand Keswick, doch der Geschäftspartner von Broken war bewußtlos und blutete aus einer Wunde am Hinterkopf. Parker suchte nach dem Revolver, konnte ihn aber nicht entdecken. Es war klar, daß Keswick überfallen und seiner Waffe beraubt worden war.

Parker eilte zur nahen Lichtung, um sich nun auch noch um May Owen zu kümmern.

Er wunderte sich kaum noch, daß sie nicht mehr zu sehen war. Sie hatte es wohl vorgezogen, zurück zum Lager zu gehen. Parker wandte sich ab, hörte dann aus der Richtung der Lavafelsen das Kollern eines Sternchens und zögerte nicht, sich sofort ins Gras zu werfen.

Selbst bei dieser jähen Bewegung verlor er nichts oder nur wenig von seiner stets gerühmten Würde.

Dafür verlor er aber nicht sein Leben, obwohl es nach einem „Plopp“ dort, wo er sich eben noch befunden hatte, eine kleine Dreckfontäne gab, die unbedingt zu einem Einschuß gehören mußte.

Diesmal war genau gezielt worden. Diesmal hatte der unsichtbare Schütze ihn unbedingt treffen wollen.

Parker lag wie auf einem Präsentierteller. Er wußte das und wartete auf den nächsten Schuß, der jede Sekunde fallen mußte. Vielleicht befand er sich schon jetzt im Visier des Mörders …

*

Parker hatte nach der glücklichen Rettung aus der zugesperrten Kabine nicht umsonst in seinem schwarzen Spezialkoffer herumgekramt.

Er wußte sich zu helfen, zumal er mit sicherer Hand genau das mitgenommen hatte, was er brauchte. Er griff also nach einem der vielen Kugelschreiber, die in den oberen Taschen seiner gestreiften Weste staken, zerbrach ihn und warf ihn einen Meter vor sich ins Gras.

Es war erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit sich eine dichte Nebelwand ausbreitete. Dort, wo Parker eben noch gewesen war, stiegen dunkelgraue Wolken hoch, die jede Sicht nahmen. Im Schutz dieser Nebelwand setzte Josuah Parker sich diskret ab. An weiteren schallgedämpften Schüssen bestand bei ihm kein Interesse.

Wie richtig er gehandelt hatte, zeigte sich.

Der Schütze im Hinterhalt feuerte wütend noch einige Schüsse in diese dichte Nebelwand und hoffte wohl auf einen Glückstreffer. Parker nahm hinter einem Palmenstamm Deckung und wartete einige Minuten, bevor er zurück zum Lager ging.

In der Nähe dieses Lagers beobachtete er eine eigenartige Szene. Das Ehepaar Forest stand neben einem blühenden Strauch und betätigte sich als Erdarbeiter.

John Forest hatte ein dünnes, zersplittertes Brett in der Hand und hob eine flache Grube aus. Seine Frau Ethel schaute ihm dabei zu, schaute aber immer wieder um sich, als fürchte sie überrascht zu werden.

Parker hielt sich im Hintergrund und beobachtete die Forests, die jetzt wohl mit der Tiefe der Grube zufrieden waren. Mrs. Forest hob ihren knielangen Rock und … hatte plötzlich eine Schußwaffe in der Hand. Es handelte sich offensichtlich um einen Revolver. Nach einem weiteren Rundblick warf sie die Waffe in die Grube, die von Ehemann John dann schleunigst wieder zugeschaufelt wurde. Anschließend trampelte er die Erde fest und tarnte das frische Erdreich mit Gräsern und kleinen Ästen.

Einträchtig, als befänden sie sich auf einem Spaziergang, lustwandelte das Ehepaar anschließend von der Szene.

Parker dachte nach. Verständlicherweise. Er fragte sich, woher die Forests wohl die Handfeuerwaffe haben mochten? Warum verbargen sie die Waffe? Warum befürchteten sie beobachtet zu werden? Fragen dieser Art mußten früher oder später gestellt werden.

Parker wollte sich gerade an die zugestampfte kleine Grube heranpirschen, als er erneut gestört wurde.

Diesmal erschien Kapitän Curson auf der Bildfläche. Er mußte das Ehepaar ebenfalls heimlich beobachtet haben. Er suchte und fand das weggeworfene, zerschlissene Brett, kniete nieder und schaufelte die Grube wieder auf. Er arbeitete schnell und geschickt, doch er achtete nicht auf seine nähere Umgebung.

Parker, nach wie vor in guter Deckung, registrierte einen weiteren Besuch. Fast amüsiert nahm er zur Kenntnis, daß jetzt die Hostess Judy Harless aktiv wurde.

Auf nackten Füßen, bekleidet mit Shorts und einem viel zu langen Pullover, huschte sie hinter den ahnungslosen Curson und legte ihm einen dicken Ast quer über den Kopf.

Curson rutschte sofort in sich zusammen und war ohnmächtig. Judy Harless grapschte nach dem Revolver, ließ ihn unter ihrem Pullover verschwinden und verdrückte sich hinter dem blühenden Busch.

Parker, um einige Erkenntnisse reicher, verließ diesen turbulenten Ort und begab sich zum Strand hinunter. Er hatte seinem jungen Herrn einiges mitzuteilen …

*

„Verwirrender geht’s nimmer“, meinte Anwalt Rander, nachdem Josuah Parker ihm Bericht erstattet hatte, „schauen Sie da überhaupt noch durch?“

„Wenn ich mir einen kleinen Scherz erlauben dürfte Sir, so sollte man sich eine Strichliste anlegen, auf der verzeichnet ist, wer zu welcher Zeit im Besitz besagter Schußwaffe ist.“

„Wobei wir noch nicht einmal wissen, ob es die bewußte Waffe ist, mit der man auf Sie und auf mich geschossen hat.“

„Ich pflichte Ihnen bei, Sir …“

„Wer will wen umbringen, das ist hier die Frage. Und warum …!? Die Geschichte, die Broken mir erzählt hat, kommt mir ziemlich windig vor!“

„Ich pflichte Ihnen nochmals bei, Sir.“

„Wie schön von Ihnen, Parker! Wie vermeiden wir es, daß wir in der kommenden Nacht umgebracht werden?“

„Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mir etwas einfallen lassen.“

„Darauf bestehe ich sogar … Ich möchte hier auf der Insel nicht begraben werden wie Edwards!“

Der Hinweis auf dieses Begräbnis stimmte übrigens. Edwards, der Haupt- oder Chefbuchhalter Keswicks, war zu Grabe getragen worden. Und es war allgemein bekannt, daß er sich wohl nicht zufällig und unglücklicherweise das Genick gebrochen hatte. Die Stimmung unter den Schiffbrüchigen war dementsprechend. Man sah sich gegenseitig mißtrauisch und schief an und fürchtete wechselseitig um sein Leben.

Es wurde sehr schnell dunkel.

Kapitän Curson, der das Lager organisierte und kein Wort von seinem geheimnisvollen Niederschlag hatte, verlauten lassen, verfügte über einen größeren Vorrat an Brennholz und richtete für die Damen leichte Lager her.

Die Hostessen Pamela und Kathy sowie May Owen, Judy Harless und Hazel Belmont hatten sich etwas abgesondert und lagen unter einem Strauch, der fast wie ein Dach wirkte.

Das Ehepaar Forest hatte es sich unter einer sehr windschiefen Palme bequem gemacht.

Broken und sein „Haushund“ Deering befanden sich im Windschutz einer leichten Sanddüne, Keswick und Curson hielten sich in der Nähe des Feuers auf.

Parker bereitete seinem jungen Herrn das Lager vor. Es befand sich ebenfalls vor und halb unter einem dichten Strauch. Während Mike Rander für Sichtdeckung sorgte und dazu seinen Rücken einsetzte, schnitt Parker mit der rasiermesserscharfen Degenklinge seines Universal-Regenschirms eine Art Tunnel in das dichte Strauchwerk.

„Ich würde vorschlagen, Sir, sich jetzt zur Ruhe zu begeben“, meinte Parker nach getaner Arbeit. „Sobald es vollkommen dunkel ist, könnte man diese Lagerstatt hier verlassen und einen sicheren Ort auf suchen.“

„Vorschlag angenommen“, sagte Rander, „ich wette, wir werden eine ziemlich unruhige Nacht erleben … Wundert mich, daß niemand bisher von einer Art Feuer- oder Lagerwache gesprochen hat. Es ist doch bekannt, was mit Edwards passiert ist.“

„Man dürfte selbst einer Wache nicht trauen, Sir.“

„Richtig … Gerade irgendeine Wache könnte identisch mit dem Mörder sein!“ Rander streckte sich in der relativ tiefen Sandmulde unter dem Strauch aus. Josuah Parker blieb aufrecht sitzen, bis sein junger Herr durch den geschnittenen Tunnel nach hinten verschwunden war. Als Parker sich dann niederlegte, befand sich neben ihm eine imaginäre Gestalt. Sie bestand aus einer dünnen Gummihaut, die die Konturen eines menschlichen Körpers aufwies. Die Bemalung darauf vervollständigte restlos die Illusion, denn sie entsprach grob irgendeiner Kleidung.

Parker blies die zweite Gummihaut auf und empfahl sich dann ebenfalls. Er wurde hinter dem Strauch von seinem jungen Herrn erwartet.

„Sie sollten sich Ihren Koffer patentieren lassen“, sagte Rander leise und anerkennend, „vor allen Dingen im Hinblick auf den Inhalt. In Verlegenheit sind Sie wohl nie zu bringen, wie?“

„Sie schmeicheln einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann, Sir“, gab Parker würdevoll zurück, „ich hoffe, daß der Inhalt tatsächlich ausreichen wird. Darf ich vorschlagen, daß ich die erste Wache übernehme?“

„Okay, aber Sie wecken mich in zwei Stunden, Parker!“

„Sie können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.“

„Und keine Extratouren, Parker!“

„Ich werde mich bemühen, Sir.“

„Dann will ich mich mal verziehen.“ Mike Rander nickte seinem Butler zu und schob sich unter einen zweiten Strauch. Josuah Parker wartete, bis sein junger Herr nicht mehr zu sehen war, dann machte er sich daran, einige zusätzliche Sicherungen zu installieren. Er wollte vor Überraschungen aller Art sicher sein.

Anschließend bestieg er einen schräg geneigten Palmenstamm und bezog im ersten unteren Drittel Stellung. Um nicht abzurutschen, band er sich mit einem mitgebrachten Seilende fest. Seine Lage war zwar alles andere als bequem, dafür hatte er aber den Vorteil, hinunter auf die beiden Gummipuppen sehen zu können …

*

Die zwei Stunden waren fast vorüber – Parkers Zwiebeluhr zeigte fast 23.00 Uhr an –, als sich unten am Lagerfeuer einiges tat.

Kapitän Curson erhob sich vorsichtig, rutschte aus dem Lichtkreis des bereits heruntergebrannten Lagerfeuers und verschwand in der Dunkelheit.

Parker wartete ab. Müde war er überhaupt nicht. Er brauchte nur sehr wenig Schlaf. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die beiden Gummipuppen und wurde nicht enttäuscht. Plötzlich erschien eine Gestalt vor dem Strauchwerk und verharrte.

Sie beobachtete wohl die vermeintlichen Parker und Rander, holte dann mit einem Holzprügel zu einem gewaltigen Schlag aus und nahm Maß.

Parker hatte etwas dagegen, daß die Gummipuppen beschädigt wurden. Er gedachte schließlich, sie noch häufiger zu verwenden. Um eine Zerstörung zu verhindern, mußte schnell etwas geschehen.

Parker, der eine handliche Kokusnuß bereit hielt, warf sie in geschicktem Bogenwurf nach unten.

Sie krachte gegen den Rücken der Gestalt, die sofort weich in den Knien wurde und in den Sand sackte. Dann erhob sie sich, schüttelte leicht verwirrt den Kopf und … zuckte erschreckt zusammen, als eine zweite Ölfrucht in den Sand spritzte.

Das war für die Gestalt zuviel. Sie wandte sich um, ergriff die Flucht und verschwand Hals-über-Kopf in der Dunkelheit. Wenig später erschien Curson wieder am Lagerfeuer und warf sich neben Keswick in den Sand.

Parker nickte zufrieden.

Damit war der erste Anschlag abgewehrt War mit weiteren Besuchen zu rechnen? Es war wohl sicherer, wenn er von vornherein damit rechnete.

Um die Kontinuität der Überwachung nicht zu gefährden, blieb er auf dem Palmenstamm und verzichtete darauf, seinen jungen Herrn zu wecken. Er steckte vier hohle Stäbe aus Kunststoff zusammen, bis sie ein Blasrohr von der Länge eines Meters bildeten. Dann öffnete er eine flache Blechschachtel und schob den ersten Blasrohrpfeil in das Mundstück.

Dieses System hatte der Butler während einer Reise in Südamerika entdeckt und für seine persönlichen Zwecke umgewandelt. Häufige Übung und noch häufigere Anwendung hatten ihn zu einem Meister mit dieser lautlosen Waffe werden lassen.

Wie gewisse Indianerstämme am Amazonas hatte Parker seine Blasrohrpfeile ebenfalls präpariert. Selbstverständlich nicht mit tödlichem Gift, wie man sich vorstellen kann. Parker verfügte dennoch über eine breite Skala von Möglichkeiten. Er brauchte nur zu wählen, um bestimmte Effekte erzielen zu können.

Da erschien auch schon der nächste Besucher …

Parker war sicher, daß es sich diesmal um eine Frau handelte. Die Bewegungen waren geschmeidiger. Ein schneller Blick hinüber zum Gemeinschaftslager der Hostessen. Wer fehlte dort? Es war leider nicht auszumachen, die Lichtverhältnisse hatten sich durch Wolkenbänke vor dem Mond verschlechtert.

Die Frau hatte das vermeintliche Lager von Rander und Parker erreicht. Sie richtete sich halb auf, streckte ihren Arm aus und … stöhnte Bruchteile von Sekunden später unterdrückt auf.

Was zu verstehen war, denn Parker hatte sich keineswegs geziert, seinen Blasrohrpfeil auf die Reise zu schicken.

Die nachtwandelnde Dame griff entsetzt nach ihrer Kehrseite, stöhnte unterdrückt, suchte und fand den Pfeil. Fast angewidert hob sie ihn hoch, konnte in der Dunkelheit aber nicht genug erkennen lind warf ihn irgendwohin ins Strauchwerk. Dann trabte sie im Schweinsgalopp zurück zum Strand, dabei immer wieder nach ihrer Kehrseite greifend.

Was Parker durchaus verstand und nachempfinden konnte. Schließlich wußte er ja nur zu genau, mit welchem Präparat der Blasrohrpfeil versehen worden war …

*

Parker wollte gerade den Palmenstamm verlassen und seinen jungen Herrn informieren, als er eine aufschlußreiche Entdeckung machte. Deering, der „Haushund“ des Reeders, stand vorsichtig auf, schaute sich um und verließ dann das Gemeinschaftslager. Er eilte den Strand entlang und wollte ganz offensichtlich hinüber zur Lagune.

„Ja, was ist?“ fragte Rander, als Parker ihn kurz angetippt und geweckt hatte, „Ist es schon soweit?“

„Ich möchte mich höflicherweise für eine gewisse Zeit verabschieden und Ihnen die Lagerwache übertragen“, sagte Parker, „Mister Deering ist unterwegs. Ich möchte ihn beobachten.“

„Glauben Sie, daß dabei etwas herausspringt?“ fragte Rander leise.

„Dies, Sir, sollte man der nahen Zukunft überlassen. Würden Sie nun freundlicherweise auf meine bescheidene Wenigkeit verzichten?“ Um Rander erst gar nicht zur Antwort kommen zu lassen, berichtete der Butler kurz von seinen bisherigen Erlebnissen. Dann lüftete er seine schwarze Melone und machte sich auf den Weg hinüber zur Lagune, wo er Jeff Deering anzutreffen hoffte.

Zuerst war von Deering weit und breit nichts zu sehen. Parker dachte sogar schon daran, daß er diesmal den falschen Kurs eingeschlagen hatte. Doch dann hörte er ein Plätschern, das der Lautstärke nach nicht in die Lagune paßte. Parker sah hinüber zu jener Stelle, an der das Wrack der „Seejungfrau“ abgerutscht war, und entdeckte nun eine Gestalt, die gerade aus dem Wasser kam und sich auf das Heck der „Seejungfrau“ schwang, das noch aus dem Wasser herausragte.

War das Deering?

Parker ließ sich an einer geschützten Stelle am Strand nieder und wartete geduldig. Wer sich dort draußen auf dem Wrack auch herumtrieb und wer da auch tauchen mochte, früher oder später mußte diese Person mit dem gesuchten und vielleicht gefundenen Bergungsgut hier am Strand erscheinen. Dann war immer noch Zeit genug, Fragen zu stellen.

Daß es eine turbulente Nacht werden würde, hatte der Butler erwartet. Doch diesen Betrieb hatte er wirklich nicht vorausberechnen können.

Ganz in seiner Nähe erschienen zwei der jungen Damen. Wer sie waren, war wegen der Dunkelheit nicht auszumachen. Aber sie sahen angestrengt auf die Lagune hinaus und hatten wohl ihrerseits schon den heimlichen Bergungstaucher ausgemacht.

Wie würden sie sich verhalten?

Parker sah diskret zur Seite, als die beiden Damen sich ihrer an sich schon spärlichen Kleidung entledigten, um kurz danach ins Wasser zu steigen.

Sie stiegen keineswegs aufrecht in die Fluten, sondern duckten sich und glitten dann bäuchlings ins Wasser. Sie wollten vom Wrack aus ganz offensichtlich nicht gesehen werden.

Parker bewunderte, wie lautlos sie schwammen, welch lange Strecken sie tauchend bewältigten. Diese beiden Damen benahmen sich durchaus wie trainierte Profis und schienen von Angst nichts zu halten.

Josuah Parker dachte an die abgelegten Kleidungsstücke. Als ordentlicher Mensch, der er nun einmal war, barg er die wenigen Kleidungsstücke und legte sie unter einem Strauch ab. Er wollte nicht, daß sie durch einen dummen Zufall verlorengingen. Vielleicht wollte er aber damit noch mehr erreichen.

Sein Blick ging erneut hinüber zum Wrack.

Von dort her war ein Prusten zu hören. Die Person kam zurück ans Mondlicht und schnappte gierig nach Luft. Das Tauchen mußte sehr anstrengend sein. Wonach mochte diese Person suchen? Barg das Wrack irgendwelche Kostbarkeiten oder vielleicht sogar Geheimnisse? Wichtig mußte das Wrack auf jeden Fall sein, denn sonst hätten die beiden Damen sich sicher nicht dorthin begeben. Nach wie vor still und lautlos übrigens. Als freundliche Mitbewerberinnen wollten sie dort, bestimmt nicht auftreten.

Lag ein weiterer Mord in der Luft?

Sicherheitshalber bemühte der Butler einen seiner Patent-Kugelschreiber, verdrehte die beiden Hälften gegeneinander und visierte mit dem Unterteil das Wrack an.

Bruchteile von Sekunden zischte eine kleine Rakete über die Lagune und platzte in der Nähe der „Seejungfrau“ auseinander. Gleißendes Licht, strahlend hell, fast wie eine kleine Sonne, breitete sich aus.

Das reichte!

Die tauchende Person am Wrack konnte von Parker als Deering identifiziert werden. Und die beiden jungen Damen waren seiner Ansicht nach Hazel Belmont und Judy Harless. Sie hatten Deering fast erreicht und tauchten nun erschreckt weg.

Deering hechtete ins Wasser und kraulte wie ein Meistersprinter zurück ans Ufer. Dicht hinter ihm folgten Judy Harless und Hazel Belmont. Sie schienen Deering zu jagen, besaßen aber nicht dessen Kraft.

Deering hatte den Strand erreicht und rannte schnurstracks ins Dickicht. Am Brechen und Knicken der Zweige war deutlich zu hören, daß er dort seine Flucht fortsetzte und sich nicht irgendwo auf die Lauer legte.

Nun erreichten die beiden Damen Judy und Hazel den Strand.

Parker sah erneut diskret zur Seite, da die Restbekleidung mehr als sparsam war und eigentlich nur aus einem winzigen Höschen bestand. Judy und Hazel gingen hinüber zu der Stelle, wo sie ihre Kleidung deponiert hatten, wo sie aber nicht mehr lag …

Parker konnte sich lebhaft vorstellen, wie verblüfft sie sich jetzt ansahen …

*

„Darf ich Ihnen meine sicher mehr als bescheidene Hilfe anbieten?“ fragte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er hatte sich ein, zwei Meter hinter den beiden Hostessen aufgebaut und wunderte sich, wie blitzschnell sie herumwirbelten. Ihre Reaktionsschnelligkeit ließ auf ein gewisses Spezialtraining schließen.

Sie genierten sich übrigens überhaupt nicht. Sie trugen ihre Nacktheit mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit.

„Was tun Sie denn hier …?“ fragte Hazel Belmont, die etwas kleiner und zierlicher war als Judy Harless.

„Ich vertrete mir die müden, alten Beine“, antwortete Parker, „was ich in Ihrem Fall wohl nicht annehmen muß.“

„Uns war zu … heiß“, sagte Hazel schnell, „wir wollten ein Bad in der Lagune nehmen.“

„Und können jetzt unsere Kleidung nicht finden.“ Judy Harless trat ein wenig zur Seite, als suche sie weiter nach ihr. Parker war jedoch auf der Hut und ließ sie nicht aus den Augen. Er wußte ja inzwischen, wie entschlossen und gut Judy Harless sein konnte, wenn sie nur wollte.

„War nicht Miß Owen noch draußen bei Ihnen?“ erkundigte Parker sich höflich, „ich denke, ich habe noch eine dritte Person in der Nähe der ‚Seejungfrau‘ gesehen.“

„May Owen …!?“ Hazel nickte zögernd, „sie ist … sie ist schon vorausgeschwommen. Haben Sie sie nicht gesehen? Stehen Sie hier schon lange, Mister Parker?“

Sie wollte ihn absichtlich ablenken, damit Judy Harless eine Chance hatte. Parker ging auf dieses Spiel ein und war sich übrigens seiner Sache sicher, daß diese beiden Hostessen von ihm nicht mit Blasrohrpfeilen beschossen worden waren. Sie hätten sich sonst ganz sicherlich nicht so gelassen bewegt.

Er hörte hinter sich das feine Knirschen von zusammengepreßtem Sand und wußte, daß Judy ihn jetzt angriff.

„Hier …!“ sagte Parker, deutete in den Sand und bückte sich blitzschnell.

Judy Harless hatte mit dieser Verbeugung nicht gerechnet. Sie schlug mit ihrer Handkante ins Leere, verlor das Gleichgewicht, fiel über Parker und landete kopfüber im weichen Sand.

Hazel Belmont hechtete gekonnt über Judy und sprang nun ihrerseits den Butler an.

Doch dort, wo er sich gerade noch befunden hatte, war der Butler nicht mehr. Bäuchlings und nach Luft schnappend, blieb sie neben Judy liegen.

„Ob dies die richtige Zeit für Spezialgymnastik ist, möchte ich doch sehr bezweifeln“, sagte Parker gemessen. „Aber ich möchte Ihnen da auf keinen Fall dreinreden … Toleranz ist das, was der Mensch in sich besonders gut ausbilden sollte … Ich wünsche den Damen noch eine nette Freizeitbeschäftigung!“

Er lüftete seine schwarze Melone, legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und schritt würdevoll von dannen. Er ließ zwei sehr verdutzte, kriegerische Damen zurück, die die Welt nicht mehr verstanden.

Sehr geräuschvoll verschwand Josuah Parker im Dickicht. Dann ging er allerdings auf leisen Sohlen wieder zurück zum Strand, wo Judy Harless und Hazel Belmont weiter nach ihrer Kleidung suchten. Es war ihnen wohl peinlich, so knapp bekleidet zurück ins Lager zu gehen.

„… was ich dir gesagt habe“, meinte Judy gerade wütend, „dieser komische Kerl hat es faustdick hinter den Ohren!“

„I wo, Judy, das war reiner Zufall!“ Hazel Belmont lachte, leise auf, „dieser Parker ist doch vollkommen vertrottelt. Hör’ ihn dir doch genau an! Diese umständliche Sprache!“

„Das ist doch nur Mache.“ Judy Harless schien es besser zu wissen.

„Glaube ich einfach nicht!“

„Und wer hat unsere Kleidung weggenommen? Das kann nur dieser Parker gewesen sein.“ Judy blieb verärgert und wütend.

„Das ist Deering gewesen. Er hat sich einfach an uns gerächt. Aber dafür soll dieser Playboy noch büßen, das verspreche ich dir!“

„Denk’ doch an die Leuchtrakete!“ Judy blieb bei ihrer Warnung. „Das paßt genau zu diesem listigen, raffinierten Burschen. Ich möchte nur wissen, was er eigentlich noch plant. Du, Hazel, wenn du mich fragst, so sollten wir ihn so schnell wie möglich außer Gefecht setzen!“

„Auf welcher Seite mag er stehen?

„Broken hat ihn und diesen Anwalt engagiert, weißt du doch. Er kann also nur auf Brokens Seite sein.“

„Dann wissen wir ja Bescheid. Gut, setzen wir ihn außer Gefecht. Aber wie!? Ich habe keine Lust, nackt ins Lager zurückzugehen. Die Kleider, müssen irgendwo sein!“

„Und wenn Deering sie doch mitgenommen hat? Willst du hier draußen an der Lagune bleiben?“

„Vielleicht sieht May nach uns. Wir sollten lieber noch etwas warten.“

Die beiden Hostessen Judy Harless und Hazel Belmont ließen sich resigniert im Sand nieder und warteten auf Hilfe. Parker hingegen entfernte sich endgültig. Er war froh über die Entwicklung der Lage. Zwei der streit- und kampflustigen jungen Damen saßen am Lagunenstrand fest und konnten zur Zeit nicht stören. Grund genug, zurück ins Lager zu eilen und dort weitere Informationen zu sammeln.

Parker schritt schnell aus, zumal der Palmenwald lichter Wurde. Er besaß von Natur aus einen sehr gut ausgebildeten Orientierungssinn und wußte genau, welche Richtung er einzuschlagen hatte.

Dennoch war der Butler etwas irritiert, als er sich plötzlich einem Beinpaar gegenübersah, das in Augenhöhe vor seinem Gesicht von einer umgeknickten Palme herunterbaumelte.

„Hallo?“ fragte Parker höflich und blickte an dem Beinpaar hoch. Er durfte ja als durchaus richtig und normal unterstellen, daß zu diesem Beinpaar auch ein Körper gehörte.

Die Antwort blieb aus.

Tote haben nun einmal die Angewohnheit, auf noch so interessante Fragen nicht mehr einzugehen …

*

„Aufgehängt!?“ Mike Rander schluckte und sah seinen Butler entgeistert an. „Deering ist ermordet worden?“

„Dies, Sir, möchte ich in Anbetracht der Lage als vollkommen sicher unterstellen.“

„Gehen wir …!“

Josuah Parker hatte seinen jungen Herrn verständigt. Mit Genugtuung hatte er zur Kenntnis genommen, daß sich im Hauptlager inzwischen nichts getan hatte. Bis auf die Kleinigkeit vielleicht, daß die Schiffbrüchigen – von rätselhafter Unruhe erfaßt – ihre Lagerstätten aufgegeben und gewechselt hatten. Eine Gesamtübersicht war nicht mehr möglich, man hatte sich zu sehr verstreut.

Rander und Parker bargen vor ihrem Ausflug die beiden Gummipuppen, ließen die Luft entweichen und rollten sie zusammen. Dann machten sie sich auf den Weg.

Zuerst kümmerten sie sich um die beiden Hostessen Judy Harless und Hazel Belmont.

Sie waren nicht mehr allein.

May Owen hatte sich ihnen zugesellt und erklärte gerade mit nicht zu leiser Stimme, sie würde sofort, ein paar Kleidungsstücke auftreiben. Aus der knappen Unterhaltung dieser drei jungen Damen ging eindeutig hervor, daß sie von der Ermordung Deerings noch nichts wußten. Dies war für eine spätere gedankliche Einkreisung des Täters sehr wichtig.

Dann standen Rander und Parker vor dem erhängten Deering.

„Wenn Sie erlauben, werde ich Mister Deering jetzt vom Baum lösen“, sagte Parker und ließ den Stockdegen aus dem Universal-Regenschirm hervorschnellen.

„War da wirklich nichts mehr zu machen?“ Rander fühlte sich unbehaglich, „hätte eine Beatmung vielleicht doch noch helfen können?“

„Daran hatte ich selbstverständlich gedacht, Sir, ich möchte jedoch ergänzen, daß Mister Deering nicht nur erhängt wurde.“

„Sondern …?“

„In Mister Deerings Rücken stak zusätzlich und leider noch eine Harpune. Sehr tief übrigens …!“

„Scheußlich!“

Rander sicherte, während Josuah Parker den Toten barg. Dann umstanden sie Deering, der wohl aus einem sehr triftigen Grund – vom Mörder aus gesehen –ums Leben gebracht worden war. Parker durchsuchte die Taschen des Toten, konnte jedoch nichts finden.

„Wonach mag er auf der ‚Seejungfrau‘ gesucht haben, Parker? Haben Sie nicht irgendeine Vorstellung, die uns weiterbringen könnte?“

„Ich muß ungemein bedauern, Sir.“

„Dann kann man nichts machen. Wohin bringen wir ihn? Zurück ins Lager?“

„Man sollte ihn an Ort und Stelle belassen, Sir … Vielleicht könnte man Mister Deering ein wenig dort unter den Busch legen.“

Als Rander und Parker dies taten, löste sich der Schuh aus Segeltuch.

Parker beförderte ihn mit der Spitze seines Schirms hinüber zum Busch. Rander bückte sich plötzlich, hob etwas auf und rief seinen Butler leise zu sich.

„Das hier ist aus dem Schuh gefallen“, sagte er leise, „sehen Sie sich die Geschichte mal an, Parker!“

Parker drehte und wendete den flachen Tresorschlüssel in der Hand.

„Gehört zu einem Tresor, nicht wahr?“ Rander nahm den Schlüssel wieder in seine Hand und wog ihn nachdenklich.

„Ob man unterstellen sollte, Sir, daß dieser Schlüssel aus der ‚Seejungfrau‘ geholt wurde …?“

„Mag schon sein, warum hat der Mörder ihn dann nicht gefunden?“

„Suchte der Mörder diesen Schlüssel, Sir?“

„Stimmt! Sinnlos, in reiner Theorie zu machen … Wir müßten den Schlüssel als Köder anbieten, dann wissen wir’s genau!“

„Ich kann nicht umhin, Sir, diesen Vorschlag als ausgezeichnet zu bezeichnen. Man sollte …

Er legte seinen Zeigefinger vor die Lippen und deutete dann in das dunkle Buschwerk hinein.

Rander verstand sofort.

Er und Parker huschten wie zwei Eichhörnchen von der Fundstelle weg und warteten auf Besuch …

*

„Was soll denn dieses Herumstolpern?“ John Forests Stimme war ärgerlich und kritisch zugleich, „hier kann man sich ja glatt den Hals brechen, Ethel!“

„Ich werde schon aufpassen …“ erwiderte Ethel Forest, „ich weiß genau, daß der Schrei aus dieser Richtung gekommen ist …“

„Na, und …?“

„Wenn sich ein Mensch in Not befindet, John? Müssen wir dann nicht helfen?“

„Müssen …? Ich habe keine Lust, umgebracht zu werden.“

„Ich bin ja bei dir“, sagte Ethel salbungsvoll, aber unnachgiebig, „komm, wir müssen bald da sein!“

Es war ein seltsames Bild, das man allerdings fast erraten mußte, zumal die Dunkelheit immer noch im Palmenwald nistete. Die große, magere Ethel Forest ging voraus, der wesentlich kleinere, etwas dickliche Ehemann folgte.

Wie zwei Schemen kamen sie dicht an Rander und Parker vorbei, um dann wieder im Unterholz zu verschwinden. Rander wartete, bis von ihnen nichts mehr zu hören war. Dann wandte er sich an seinen Butler.

„Was sagen Sie dazu? So Was gibt’s doch nicht, Parker … Wieso treiben die Forests sich hier im Wald herum?“

„Weil Mrs. Forest glaubte, einen Schrei gehört zu haben.“

„Das nehme ich ihr nicht ab …! Sie etwa!?“

„Ich möchte mich verständlicherweise nicht festlegen, Sir. Mrs. Forest scheint eine sehr energische und auch hilfsbereite Dame zu sein.“

„Energisch schon, ob aber hilfsbereit …?“ Rander deutete auf den Strauch unter dem Deering lag. „Wieso marschieren die Forests gerade hier vorbei? Sieht doch so aus, als hätten sie Deerings Leiche gesucht …“

„Dieser Gesamteindruck könnte durchaus entstehen, Sir …“

„Denken Sie doch an den Revolver, den sie vergraben haben!“

„Daraus, Sir, möchte ich im Augenblick, Ihre gütige Erlaubnis vorausgesetzt, noch keine Schlüsse ziehen. Man sollte diesem Ehepaar aber vielleicht folgen. Oder sich trennen …“

„Okay, bleiben Sie bei Deering zurück, ich hänge mich an die Forests, Parker!“

Parker war mit dieser Lösung zwar nicht sonderlich einverstanden, fügte sich aber der Unternehmungslust seines jungen Herrn. Er baute sich hinter dichtem Strauchwerk auf und wartete auf weitere Besucher.

Die stellten sich allerdings nicht ein.

Als Ersatz dafür war aber ein spitzer, greller Schrei zu hören, der in panischer Todesangst ausgestoßen worden sein mußte!

*

Dieser Schrei kam vom nahen Strand her …

Parker machte sich sofort auf die Beine. Da es dunkel war, erlaubte er sich die Freiheit, einmal gründlich auf seine Würde zu verzichten. Mit der Schnelligkeit eines Sprinters, dennoch fast lautlos und unheimlich sicher, spurtete er zum Strand.

Hier stieß er fast mit einer jungen Dame zusammen, die in wilder Flucht das Unterholz aufsuchen wollte.

„Sollten Sie möglicherweise Ärger haben, Madam?“ Parker vertrat ihr den Weg und lüftete grüßend seine schwarze Melone. Sekunden später schlang Pamela Clayton ihre langen, schlanken Arme um seinen Hals und stammelte Worte, die der Butler nicht verstehen konnte. Eines schien sicher zu sein, sie war völlig außer sich und mußte etwas Schreckliches gesehen oder erlebt haben.

„Weinen erleichtert die Belastungen der Seele“, lehrte Parker, „ein Vorzug der Damen, auf den wir Männer eigentlich grundlos verzichten. Darf ich höflich fragen, was Ihnen zugestoßen ist, Miß Clayton?“

„Man … Man wollte … mich ermorden!“ schluchzte Pamela Clayton, „schnell, Mister Parker, gehen wir!“

„Wer, wenn ich weiter fragen darf, wollte Sie ermorden, Miß Clayton?“

„Drüben am Strand … Ein Ungeheuer …!“

„Ein was, bitte?“

„Ein Ungeheuer“, wiederholte sie, „so etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Das ist ein sehr interessanter Aspekt“, meinte Parker gemessen, „sind Sie inzwischen in der Lage, mir dieses Ungeheuer näher beschreiben zu können?“

„Sie … Sie halten mich wohl für hysterisch, ja?“ Pamela Clayton beruhigte sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr. Parkers Gelassenheit, seine sprachliche Umständlichkeit, dies alles war dazu angetan, das angstvolle Mädchen wieder zu sich kommen zu lassen.

„Ich halte Sie für eine aufmerksame Beobachterin, Miß Clayton. Darf ich Sie aber noch einmal an die Beschreibung dieses Ungeheuers erinnern?“

Sie holte tief Luft, löste sich von Parker und strich sich dann fahrig durch das Haar.

„Also gut“, sagte sie und holte erneut tief Luft, „es sah wie ein Ungeheuer aus … Fürchterlich zottelig … groß … unförmig … Und es hielt einen Speer in der Hand … Oder was es war!“

„Und wo haben Sie dieses interessante Ungeheuer gesehen?“

„Dort unten … Neben den umgestürzten Palmen!“

„Falls Sie sich meinem Schutz anvertrauen, würden Sie dann mit mir zum Ort des Treffens zurückgehen?“

„Ich … Ich weiß nicht, Mister Parker! Doch …! Ich komme mit! Jetzt will auch ich wissen, was es war! Ungeheuer! So etwas gibt’s doch gar nicht. Aber ich war so fürchterlich überrascht worden!“

„Wurde besagter Speer auf Sie geschleudert?“

„Er zischte dicht an mir vorbei, das habe ich genau gehört.“

„Man wird sehen.“ Parker schritt voraus, Pamela folgte ihm dichtauf. Er hörte ihren schnellen Atem und wußte, daß die geringste Kleinigkeit sie wieder in ein Schluchzen ausbrechen ließ. Diese junge Frau mußte sehr böse erschreckt worden sein, daran war überhaupt nicht zu zweifeln.

„Hier … Nein, dort war es!“ Sie blieb stehen und deutete auf das Gewirr einiger umgestürzter Palmenstämme. „Von dort aus wuchs es plötzlich hoch. Ich weiß nur noch, daß ich mich auf dem Absatz umdrehte und weglief!“

„Man müßte Spuren finden, so hoffe ich wenigstens.“

„Sie glauben mir immer noch nicht, wie?“

Parker verzichtete auf eine Antwort und suchte nach Spuren, was wegen der Dunkelheit nicht leicht war. Dennoch fand er schon bald aufgewühlten Sand, als habe hier ein Wildschwein den Boden aufgebrochen.

„Ihrer Beschreibung nach müßte dann dort irgendwo der geschleuderte Speer sein“, meinte Parker, nachdem er sich aufgerichtet hatte, „hoffentlich finden wir ihn!“

Leider war dieser Speer nicht zu finden.

„Seien Sie ehrlich zu mir, Mister Parker“, bat Pamela Clayton, „glauben Sie mir oder nicht?“

„Ich glaube Ihnen vollkommen“, sagte Parker, „Mörder haben es leider nun einmal an sich, ihre Opfer mehr oder weniger zu erschrecken!“

„Aber wer ist dieser Mörder!?“

„Dies, Miß Clayton, wird sich in angemessener Frist zwangsläufig herausstellen. Bis dahin muß ich Sie allerdings bitten, etwas Geduld aufzubringen.“

„Aber dieser Mörder wird doch immer wieder versuchen, mich umzubringen.“

„Hätte er dafür einen Grund?

„Natürlich nicht …!“ Sie sagte es hastig und abweisend, „ich habe nicht die geringste Ahnung …

*

Ein strahlender Morgen mit einer Sonne, die fast unwirklich war …

Weiche Wärme breitete sich aus. Ein leichter Wind spielte mit den Blättern der Palmen und auch mit jenen, die die Blöße zweier junger Damen bedeckten.

Judy Harless und Hazel Belmont hatten anstelle ihrer immer noch vermißten Kleidung Palmenblätter zusammengereiht und sich daraus recht ansehnliche Röckchen gefertigt. Blumengirlanden schützten den Oberkörper.

„Wann wollen Sie den beiden Damen die Kleidung zurückgeben?“ fragte Rander seinen Butler, „so kenne ich Sie ja überhaupt nicht, Parker? Haben Sie Ihr Herz für die Südsee und für neckische Hula-Hula-Girls entdeckt?“

„Eine Maßnahme, die der allgemeinen Sicherheit dienen soll“, gab der Butler würdevoll zurück, „ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich mit dieser Taktik keine Dinge verfolge, die man vielleicht als zweideutig bezeichnen könnte.“

„Was ich auch hoffen will“, frotzelte Rander und lächelte.

„Die Baströckchen und Blumengirlanden schränken den Aktionsradius der beiden Damen zwangsläufig ein“, führte der Butler weiter aus, „das natürliche Schamgefühl wird die beiden Damen daran hindern, besonders aktiv zu werden.“

„Sie trauen den Hostessen wohl nicht über den Weg, wie?“

„Die Damen Owen, Harless und Belmont dürften meiner bescheidenen Ansicht nach mehr als nur Hostessen sein, Sir. Sie sind durchaus fit und trainiert und verfügen zusätzlich über Nahkampfkenntnisse, die man normalerweise nicht braucht.“

„Und was halten Sie von Pamela Clayton und Kathy Lombard?“

„Miß Pamela erwies sich in der vergangenen Nacht als ein etwas zu ängstliches Mädchen, Sir!“

„Wie ich Sie kenne, ist das bereits ein Urteil über sie.“

„In der Tat, Sir!“

„Könnte man sie nicht wirklich in der Maske eines Ungeheuers erschreckt haben?“

„Sehr wohl, Sir, aber eine Miß Pamela Clayton ist in meinen Augen keineswegs eine junge Dame, die sich dann schluchzend an die Brust eines Mannes wirft. Ich möchte natürlich einräumen, daß ich mich ungemein irren kann!“

„Okay, und Kathy Lombard?“

„Verhält sich etwas zu unauffällig! Die Erfahrung hat gelehrt, daß sie sehr aktiv sein kann. Man sollte sie niemals völlig aus den Augen verlieren.“

„Da haben wir nun fünf reizende Seejungfrauen“, meinte Rander aufseufzend, „und mit keiner sollte man einen einsamen Spaziergang am einsamen Strand machen. Das wollen Sie damit doch sagen, oder?“

„Gewiß, Sir! Solch ein Spaziergang könnte meiner bescheidenen Ansicht nach tödlich sein.“

„Hoffentlich vergesse ich Ihre Warnung nicht, Parker.“ Rander schmunzelte. „Je länger wir hier auf der Insel sind, desto mehr wird man ein nettes Gespräch suchen.“

„Kapitän Curson rechnet mit einer baldigen Errettung, Sir.“

„Curson ist ein Versager! Er weiß noch nicht einmal, wo wir sind.“

„Er vergeudet seine Zeit damit, sich mit Mister Keswick herumzustreiten!“

Was richtig beobachtet war!

Keswick und Curson brüllten sich wieder einmal an. Zum drittenmal, seitdem die Sonne aufgegangen war. Paul Broken verhielt sich apathisch. Er lag im Sand und starrte zum blauen Himmel empor.

Die „Seejungfrauen“ haften sich etwas abgesondert und redeten leise miteinander.

Das Ehepaar Forest nahm ein Fußbad am Strand und schien nichts zu hören.

„Wie soll’s denn jetzt weitergehen? sagte Rander und deutete mit dem Kinn auf die Szenerie, „einer von ihnen muß Edwards und Deering umgebracht haben. Aber wer?“

„Ich möchte nicht unbedingt widersprechen, Sir“, antwortete Parker höflich und gemessen, „aber haben Sie schon einmal an die Möglichkeit gedacht, daß wir es vielleicht mit zwei Mördern zu tun haben?“

*

Nahrungssorgen gab es nicht.

Nach seinem Streit mit Keswick machte Kapitän Curson sich daran, einige Kokosnüsse von einer Palme zu schütteln. Mit Steinen wurden sie aufgebrochen und verzehrt. Während dieser improvisierten Mahlzeit saßen sie fast einträchtig zusammen.

Es war natürlich bekannt geworden, Parker hatte dafür gesorgt, daß Deering ermordet worden war. Doch dieses Thema wurde erstaunlicherweise nicht sonderlich diskutiert. Eine gewisse Spannung, die mit nackter Angst vermischt war, dämpfte die Unterhaltung. Nur Parker war bester Laune und plauderte.

„Ich darf bei dieser passenden Gelegenheit an den wohl einmaligen Roman von Mrs. Agatha Christie erinnern“, sagte er, „in diesem Kriminalroman befindet sich eine Handvoll Menschen ebenfalls auf einem Eiland und wird Person um Person dezimiert. Ich muß gestehen, daß ich fast so etwas wie gewisse Parallelen entdecke.“

„Soll das heißen, daß Sie mit weiteren Morden rechnen?“ fragte Paul Broken.

„Damit sollte man rechnen, Mister Broken!“

„Herrliche Aussichten. Aber zum Henker, warum werden diese Morde begangen? Warum rechnen Sie mit weiteren Morden? Haben wir es mit einem Irren zu tun, der nur Leichen um sich sehen will? Was hat der Mörder von seinen Toten?“

„Dies, Mister Broken, ist die Frage der Fragen!“ Parker nickte anerkennend, „der Mörder – bleiben wir aus Gründen der Übersicht bei einem Mörder – verfolgt selbstverständlich ein ganz bestimmtes Ziel.“

„Aber welches?“ Keswick sah den Butler fast empört an.

„Dies ist vorläufig das Geheimnis des Mörders. Vielleicht wird er von einem der Anwesenden erpreßt und begeht die Morde, um dadurch eine Ablenkung zu erzielen.“

„Das hieße doch, daß der eigentliche Mord noch gar nicht begangen wurde“, warf Pamela Clayton ein.

„In der Tat, dies könnte durchaus sein!“

„Hab’ ich nicht was von herrlichen Aussichten gesagt?“ meinte Broken. „Wie können wir uns also vor diesem Mörder schützen? Machen wir uns nichts vor. Einer von uns ist dieser Mörder!“

„Sehr scharf beobachtet!“ Parker nickte zustimmend, „und dieser Mörder verfügt nach meinen Informationen über ein ansehnliches Waffenarsenal.“

„Wieso?“ Kapitän Curson schüttelte verständnislos den Kopf. „Sie tun ja so, als wüßten Sie bereits eine ganze Menge über dieses Schwein!“

„Ich weiß inzwischen, daß eine Handfeuerwaffe existiert, die mit einem Schalldämpfer versehen ist. Ich weiß von einem 38er Revolver und von einem Unterwasser-Harpunengerät. Von diversen Messern wohl ganz zu schweigen!“

„Wer hat diese Waffen?“ Broken war aufgesprungen und sah sich wütend im Kreis um. „Ich schlage vor, daß wir uns alle durchsuchen lassen. Wenn Sie, Parker, uns nicht schon die Namen nennen können, die Namen der Personen, die diese Dinge mit sich ’rumschleppen!“

„Mit Namen kann ich leider nicht dienen“, erwiderte Parker abweisend, „ich möchte es auch nicht. Aber die betreffenden Personen dürfen versichert sein, daß ich orientiert bin.“

„Sie sagen mir sofort, wer Waffen mit sich herumschleppt oder wer ganz nach Bedarf an sie ’rankann!“ Broken blähte sich autoritiv auf, was aber nicht sonderlich zur Kenntnis genommen wurde.

„Haben Sie etwa Waffen?“ fragte Kathy Lombard spitz und wandte sich an den Butler. Mike Rander war gespannt, wie sein Butler jetzt reagieren würde.

„Meine bescheidene Person verfügt allerdings über einige Waffen“, sagte Parker höflich, „ich darf aber versichern, daß ich sie nur zum Schutz und zur Verteidigung verwenden werde.“

„Was soll das heißen?“ Keswick regte sich auf. „Wer sagt uns denn, ob Sie nicht der Mörder sind?“

„Sie erlauben, daß ich diese Frage nicht näher beantworte“, sagte Parker abweisend, „doch die Erfahrung wird Sie lehren, daß meine Wenigkeit sich mit Mord niemals befaßt hat und befassen wird.“

„Was soll denn diese ganze Geheimnistuerei?“ Broken schaltete sich wieder ein, „sagen Sie schon, wer die Waffen besitzt. Wollen Sie etwa den nächsten Mord provozieren?“

„Es wäre sinnlos, gewisse Personen dieses Kreises mit den genannten Waffen in Verbindung bringen zu wollen.“

„Wieso? Auf einmal?“

„Die betreffenden Personen haben die Waffen selbstverständlich versteckt, um sie später hervorzuholen. Anschuldigungen jeder Art könnte ich nicht beweisen, sie bewegen sich also in einem Raum, den man im übertragenen Sinn als leer bezeichnen könnte.“

„Wenn das so ist, werde ich mich absetzen und mich irgendwo einigeln“, sagte Keswick, „ich habe keine Lust, von irgendeinem Wahnsinnigen gekillt zu werden.“

„Sehr gut, Keswick“, sagte Broken, „genau das mache ich auch! Groß genug dürfte die Insel ja sein.“

„Aber nur dann, wenn wir alle zusammenbleiben, ist eine gewisse Kontrolle möglich.“ Ethel Forest sprach überraschend leidenschaftlich. „Wenn wir uns trennen, werden wir zum Freiwild für den Mörder.“

„Sehr richtig“, pflichtete John ihr bei, „wir müssen an einer Stelle, an einem Ort zusammenbleiben. Sonst bricht das Chaos aus.“

„Was meinen Sie dazu, meine Damen?“ Mike Rander wandte sich an die Hostessen May, Judy und Hazel.

„Wir ziehen uns auch lieber zurück“, erklärte Judy Harless für sich und ihre Freundinnen.

„Das gilt auch für mich.“ Kathy Lombard nickte nachdrücklich. „Ich möchte Honolulu Wiedersehen. Und zwar bei bester Gesundheit.“

„Ich ebenfalls“, sagte Pamela Clayton, „eine gewisse Vorsicht kann wirklich nicht schaden.“

Auch Kapitän Curson fand es gesünder und lebenserhaltender, sich auf eigene Füße zu stellen. Er sagte dies laut und deutlich. Und er fügte hinzu, bärbeißig und drohend: „Und wer mich umbringen will, der muß sich schon was einfallen lassen. Ab sofort ist die ganze Insel Kriegsgebiet für mich!“

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, machte er sich sofort auf den Weg, das improvisierte Hauptlager zu verlassen.

„Einen Augenblick, bitte!“ Parker hob mahnend den Arm, „darf ich abschließend fragen, wie wir uns Suchschiffen und Flugzeugen bemerkbar machen wollen? Der Verlust der „Seejungfrau“ müßte sich inzwischen herumgesprochen haben.“

„Wir müßten so was wie ein großes Signalfeuer unterhalten“, antwortete Curson, „nasses Holz qualmt erstklassig. Aber ich möchte jetzt nur wissen, wer das Risiko eingeht, solch ein Feuer zu unterhalten?“

„Das werden wir übernehmen“, schaltete Mike Rander sich ein, „falls man wirklich nach uns sucht, wird man uns auch finden.“

Alles weitere dauerte nur wenige Minuten.

Das Hauptlager löste sich sehr schnell auf, und die einzelnen Schiffbrüchigen oder Gruppen davon verschwanden im Unterholz, im nahen Palmenwald oder in Richtung der Lavafelsen.

Zurück blieben Rander und Parker, der einen sehr zufriedenen Eindruck machte.

„Ich denke, Sie sollten mir einiges erklären“, sagte Rander, der sich im Gegensatz zu Parker unbehaglich fühlte, „warum haben Sie es darauf angelegt, uns in alle Winde zu zerstreuen? Was versprechen Sie sich davon?“

„Größtmöglichste Sicherheit, Sir“, gab Parker zurück. „Jeder wird jetzt ungemein mißtrauisch sein und entsprechend aufpassen. Mit einem Überrumpelungsversuch wird der Mörder nun nicht mehr agieren können. Er weiß, wie sehr man sich gegenseitig belauert.“

„Okay, das ist einleuchtend“, meinte Mike Rander, „Mißtrauen und Vorsicht können wirklich nicht schaden, hier im Hauptlager wäre man wohl zu vertrauensselig und zu leichtsinnig gewesen. Sind Sie sich aber darüber klar, Parker, daß Sie und ich jetzt das erklärte Ziel des Mörders sein werden?“

„In der Tat, Sir, ich möchte jedoch einräumen, daß ich dies durchaus beabsichtigte.“

„Das kann man wohl sagen! Sie haben ja verdammt deutlich gesagt, daß Sie die Personen kennen, die Waffen horten. Und Sie haben ferner deutlich gesagt, daß Sie und ich über Waffen verfügen. Man wird uns umschwirren wie Bienen den Blütenkelch!“

„Dieses Umschwirren, Sir, werde ich gern auf meine bescheidenen und müden Schultern nehmen. Ich möchte es so ausdrücken, der oder die Mörder sind nun eindeutig herausgefordert worden. Sie werden etwas unternehmen müssen. Ich bin fest davon überzeugt, daß der oder die Mörder vorerst alle Pläne beiseiteschieben. Wichtig dürfte jetzt nur sein, Sie und meine bescheidene Wenigkeit umzubringen!“

„Wissen Sie, Parker“, sagte Rander seufzend und verdrehte die Augen, „manchmal habe ich das Gefühl, daß Sie das Gemüt eines Fleischerhundes haben!“

*

„Wie ausgestorben“, sagte Anwalt Rander eine gute Stunde später, als sie das Wrack der „Seejungfrau“ erreicht hatten. Parker hatte ein kleines Floß aus Bootstrümmern improvisiert und sich und seinen jungen Herrn übergesetzt.

Rander sah hinüber zum Strand hinter der blauen Lagune und suchte nach Schiffbrüchigen. Weit und breit war nichts zu entdecken. Die Besatzung und die Gäste der „Seejungfrau“ hatten sich wohl in ihre mehr oder weniger sicheren Verstecke zurückgezogen.

„Also, starten wir unsere Show“, meinte er dann, „suchen und finden wir einen Tresorschlüssel. Vielleicht haben wir sogar Glück, den Tresor zu Deerings Schlüssel zu finden.“ Rander deutete auf das bis zu zwei Dritteln abgesackte Wrack. Er hatte sich bis auf seine Unterkleidung ausgezogen und verschwand wenig später im Wasser.

Josuah Parker hielt Wache.

Er durfte sich im Moment sicher fühlen. Mit Pistolen- oder Revolverschüssen war hier draußen in der Lagune, hart in der Nähe des Riffs, nicht zu rechnen, dafür waren die Entfernungen zu groß. Und auch Unterwasserschwimmerinnen plus Harpune konnten sich nicht ungesehen nähern.

Parker war bewußt, daß sein junger Herr und er sehr scharf beobachtet wurden. Daher ja auch die Show, die er mit seinem jungen Herrn verabredet hatte.

Rander tauchte wieder auf, schnappte nach Luft und schüttelte den Kopf.

„Ich will’s noch einmal versuchen“, sagte er, „aber ob ich bis zu Brokens Kabine durchkomme, ist sehr fraglich. Die Luft reicht einfach nicht.“

„Wenn Sie erlauben, Sir, würde ich gern einmal das versuchen, was man gemeinhin das Glück nennt.“

„Bis gleich!“ Rander antwortete nicht weiter. Er hatte sich die Lungen mit Luft vollgepumpt und versuchte noch einmal, in Brokens Privatkabine zu gelangen.

Diesmal blieb er länger unter Wasser. Dann schoß er wie ein abgefeuerter Pfeil nach oben und keuchte. Er brauchte einige Sekunden, bis er sich erholt hatte.

„Ich war in Brokens Kabine“, sagte er endlich und kroch auf das Heck der „Seejungfrau“ zurück, „und ich habe auch einen Wandtresor entdeckt. Aber ich komme mit der Luft nicht hin, ihn auch noch zu öffnen.“

„Dann möchte ich es versuchen. Sir.“

„In der Kleidung?“ Rander grinste.

„Gewiß, Sir, sie wird mich kaum hindern.“

„Na, schön!“ Rander trat etwas zurück und reichte Parker den Schlüssel, „des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Aber ich sage Ihnen schon jetzt, daß Sie es diesmal auch nicht schaffen werden.“

„Vielleicht doch, Sir!“

Parker wandte sich ab und stieg dann ins Wasser, ohne sich seiner pechschwarzen Butler-Berufskleidung zu entledigen. Er verzichtete diesmal nur auf seine Melone, doch auf seinen Universal-Regenschirm nicht.

Dort, wo der Butler verschwand, stiegen ein paar kleine Luftblasen an die Oberfläche.

Rander lehnte sich gegen die eingedrückte Bordwand und wartete. Bis ihm plötzlich jäh bewußt wurde, daß er eigentlich schon viel zu lange wartete.

Wo blieb Parker? Seine Luftmenge mußte sich doch inzwischen längst erschöpft haben? Ihm war doch nichts zugestoßen?

*

Bevor Rander sich weitere Sorgen machen konnte, tauchte Josuah Parker auf, stieg auf das sehr schräge Heck des Wracks und stellte einen schwarzen, schmalen Aktenkoffer ab.

„Nun sagen Sie bloß, daß Sie es geschafft haben?“ Rander staunte und schüttelte ungläubig den Kopf, „woher hatten Sie denn die Luft?“

„Ich nahm mir einen kleinen Vorrat mit hinunter“, erwiderte Parker mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit und zeigte seinem jungen Herrn eine kleine Plastiktüte.

„Was ist denn das?“

„Ein sogenannter Frischhaltebeutel, Sir. Aus biegsamem Plastik- oder Kunststoffmaterial.“

„Und …? Darin haben Sie sich Luft mitgenommen?“

„In der Tat, Sir! Ich entleere diesen Luftvorrat in meine Lungen, wobei ich zugeben muß, daß dieses Verfahren geübt sein muß, wenn man nicht unnötig Wasser schlucken will.“

„Muß ich bei Gelegenheit mal in der Badewanne ausprobieren“, sagte Rander und grinste wie ein großer Lausejunge, „man lernt nie aus. Und was ist mit dem Aktenkoffer? Stammt der aus dem Tresor?“

„In der Tat, Sir!“

„Demnach hat Deerings Schlüssel also gepaßt. Wenn wir den Inhalt des Köfferchens kennen, müßten wir eigentlich wissen, wer der Mörder ist.“

„Ich hoffe sehr, Sir, daß wir zu diesem Ergebnis kommen werden. Wenn Sie gestatten, werde ich den Koffer jetzt öffnen.“

„Scheint ein ziemlich kompliziertes Schloß zu sein.“

„Ich werde mit dem Schloß reden, Sir!“ Parker holte aus einer der Westentaschen seines pitschnassen Anzugs eine Art Pfeifenreiniger und manipulierte damit am und im Schloß herum. Rander wartete in gespannter Nervosität.

„Bitte, Sir!“ Parker klappte den Kofferdeckel auf und präsentierte den nassen Inhalt, der aus Papieren, einzelnen Schriftstücken und aus einigen Negativfotos bestand.

„Dann wollen wir mal in die Einzelheiten steigen.“ Rander setzte sich, warf vorher aber noch fast automatisch einen Blick in die Runde.

„Wir bekommen Besuch“, sagte er und stand schnell wieder auf.

„Ein Besuch, den man normalerweise als liebenswürdig bezeichnen würde“, fügte der Butler hinzu. Er übertrieb keineswegs. Drei reizende Seejungfrauen schwammen mit spielerischer Lässigkeit auf das Wrack zu und hatten sich ihm bereits tüchtig genähert. Es handelte sich um May Owen, Judy Harless und Hazel Belmont. Sie winkten Rander und Parker zu und schienen bester Laune zu sein. Nach einem Überfall sah diese Freizeitgestaltung keineswegs aus.

„Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich die Schlösser wieder schließen“, sagte Parker, wartete die Erlaubnis, wie immer, überhaupt nicht ab und schloß den Deckel des kleinen Aktenkoffers.

„Dürfen wir an Deck kommen?“ rief Judy Harless, „oder haben die Herren Angst, von uns umgebracht zu werden?“

„Wir freuen uns auf Ihren Besuch“, rief Rander zurück, „hoffentlich macht’s Ihnen nichts aus, daß es ein bißchen eng wird.“

Es machte ihnen nichts aus.

Zuerst kam Hazel Belmont an Deck, dann folgten May Owen und Judy Harless, die nach wie vor ihre Baströckchen und Blumengirlanden trugen, die unter der Einwirkung des Wassers allerdings mehr als nur leicht gelitten hatten.

„Mir fällt bei dieser passenden Gelegenheit ein, wo ich Ihre Kleider gefunden habe“, sagte Parker und schaute wieder einmal diskret zur Seite.

„Wie schön“, entgegnete Owen.

„Endlich können wir uns wieder richtig anziehen“, meinte Judy Harless und zupfte an ihrem Baströckchen herum. Dann hielt sie plötzlich einen Revolver in der Hand und deutete mit der freien Hand auf den Koffer. „Geben Sie her“, sagte sie, „und vielen Dank für die Vorarbeit! Los, drehen Sie sich um!“

Mike Rander und Josuah Parker gehorchten. Gegen einen Revolver konnten sie im Augenblick nichts ausrichten.

*

Hinter ihnen wurde es verdächtig still. Es war eine Stille, die der Butler überhaupt nicht schätzte. Sie konnte dazu dienen, daß die Damen sich zunickten, daß Judy Harless den Zeigefinger krümmte und schoß.

Dagegen mußte, so fand er insgeheim, etwas getan werden. Und zwar augenblicklich!

Parker produzierte also einen Herzanfall, dermaßen gekonnt, daß selbst Mike Rander getäuscht wurde. Parker stöhnte verhalten, rutschte ein wenig nur in sich zusammen und straffte sich sofort wieder, als kämpfe er tapfer gegen seinen Anfall an.

Gleichzeitig aber, oder Bruchteile von Sekunden später, schwang sein Universal-Regenschirm wie eine Sense nach hinten und säbelte die jungen Damen von den Beinen.

Rander hechtete sofort auf die Waffe, die Judy Harless verloren hatte.

Sie war sehr geschickt und erfahren. Sie wollte ihn mit einem Fußtritt stoppen, der aus einem Lehrbuch für Karate stammte. Doch sie unterschätzte Mike Rander, der seinerseits natürlich auch dieses Lehrbuch kannte.

Rander wurde zwar an der Schulter getroffen und einen guten halben Meter zurückgeworfen, doch seine Beine bildeten sofort eine Schere, die sich um die Hüften von Judy Harless legten. Ein kurzer Ruck, und die Seejungfrau stürzte kopfüber ins auf spritzende Wasser.

May Owen war da ganz anders eingestellt.

Sie hatte den kleinen, schmalen Aktenkoffer in der Hand und warf sich rücklings in die Lagune. Sie tauchte sofort unter und beeilte sich, vom Wrack wegzukommen.

Hazel Belmont wollte das Wrack wohl verlassen, doch sie war dazu nicht mehr recht in der Lage.

„Ich fürchte, ich habe Sie etwas zu gezielt getroffen“, sagte der Butler und eine deutliche Spur von Mitgefühl schwang in seiner Stimme mit, „wenn Sie erlauben, werde ich mir das geprellte Bein gern einmal ansehen.“

Sie kochte vor Wut, aber sie hütete sich, irgend etwas gegen den Butler zu unternehmen. Dazu kam der Schmerz oberhalb ihres rechten Knies. Dort war sie vom Universal-Regenschirm empfindlich getroffen worden.

Parker ließ sich weder von der Glätte der Haut noch von der tiefbraunen Hautfarbe irritieren. Neutral und fachgerecht untersuchte er die Prellung.

„Sie werden einen kleinen, an sich geringfügigen und harmlosen Bluterguß davontragen“, meinte er, als er sich aufgerichtet hatte, „ich rate Ihnen, diese Sache nicht sonderlich tragisch zu nehmen.“

„Ich … Ich könnte Sie umbringen“, fauchte sie, um dann stöhnend die schmerzende Stelle vorsichtig zu massieren.

„Hatten Sie dies nicht vor?“ erkundigte Parker sich höflich.

„Unsinn …! Sie haben ja alles mißverstanden. Wir wollten … uns nur einen kleinen Spaß machen!“

„Mit dem Revolver in Miß Harless’ Hand?“

„Sie hat gesagt, sie hätte ihn gefunden und er wäre nicht geladen!“

„Und ob er geladen ist“, sagte Rander und wog die Waffe in der Hand, „geladen und entsichert …!“

„Dann … Dann muß Judy uns belogen haben“, redete Hazel Belmont sich schnell heraus, „aber sie hätte bestimmt nicht geschossen!“

Bevor Mike Rander oder Josuah Parker antworten konnten, war vom Strand her ein Schuß zu hören, laut und peitschend …

Rander, Parker und Hazel Belmont wirbelten herum und sahen May Owen, die in der Nähe der bewachsenen Landzunge den Strand erreicht hatte.

Sie stolperte, taumelte einige Schritte weiter, direkt auf das Unterholz zu, stolperte erneut und fiel dann haltlos in die blühende Wildnis. Dabei verlor sie den kleinen schmalen Aktenkoffer, der knapp neben ihr im Sand liegen blieb.

„Sie ist erschossen worden!“ In Hazel Belmonts Stimme kam Hysterie auf. Das Organ klang schrill und entsetzt. „Haben Sie gesehen … Sie ist erschossen worden!“

Parker und Rander antworteten nicht.

Sie sahen, wie aus dem dichten Unterholz, wie aus den blühenden Sträuchern und Büschen jetzt ein langer Ast hervorzüngelte, dessen Spitze nach dem Koffer griff.

Nach zwei Versuchen gelang es.

Der Ast verhakte sich an einem Ring und zog den Aktenkoffer langsam, fast vorsichtig ins Gebüsch.

Zurück blieb May Owen, die sich nicht mehr rührte …

*

„Hören Sie doch mit der Fragerei auf“, sagte Hazel Belmont verzweifelt, „kümmern Sie sich lieber um May …! Vielleicht kann man ihr noch helfen?“

„Mein junger Herr ist gerade damit beschäftigt, wie ich bemerken möchte“, sagte Josuah Parker und deutete auf das Wasser hinaus. Er war sehr besorgt. Trotz aller Warnungen war Rander zur Landzunge hinübergeschwommen und stieg dort gerade aus dem Wasser.

Er hatte die von Judy Harless erbeutete Waffe mitgenommen und bewegte sich sehr vorsichtig. Er bot sich wie auf einem Präsentierteller an. Ein im Unterholz versteckter Schütze durfte kaum Schwierigkeiten haben, ihn mit einem schnellen Schuß zu erledigen.

Doch es tat sich nichts …

Mike Rander kam ungeschoren an May Owen heran, die nach wie vor regungslos im Sand lag. Nach kurzer Untersuchung richtete Mike Rander sich auf. Seine Handbewegung deutete an, daß diesem jungen Mädchen nicht mehr zu helfen war.

Hazel Belmont hatte das Endgültige dieser Hand- und Armbewegung richtig gedeutet. Sie schluchzte auf und war vorerst nicht anzusprechen. Josuah Parker wartete, bis sein junger Herr wieder auf der „Seejungfrau“ war.

„Sie muß sofort tot gewesen sein“, berichtete Rander, „ein Wunder, daß sie diese paar Schritte noch schaffte!“

„Dieser Koffer scheint sogar einen dritten Mord zu rechtfertigen“, erwiderte der Butler, „hoffentlich ist er nun in der richtigen Hand. In der Hand des Mörders!“

„Warten wir’s ab, Parker … Was hat’s hier gegeben?“

„Ich wollte Miß Hazel Belmont gerade einige Fragen stellen, aber sie scheint es vorzuziehen, sie zu überhören. Man könnte fast unterstellen, Sir, daß sie sich nach ihrem Tod sehnt!“

„Wie … Wie meinen Sie denn das?“ Hazel Belmont wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah den Butler überrascht an.

„Haben Sie denn immer noch nicht begriffen, Miß Belmont, daß Sie nur der verlängerte Arm des Mörders sind?“

„Keswick ist kein Mörder“, sagte sie spontan und wahrscheinlich auch ehrlich.

„Darf ich Ihren Worten entnehmen, daß Mister Keswick Sie und Ihre beiden Freundinnen hierher auf die ‚Seejungfrau‘ geschickt hat?“

„Das ist richtig …“

„Wie lautete Ihr Auftrag?“

„Wir … Wir sollten Ihnen die Aktentasche wegnehmen. Und ich sage es Ihnen noch einmal, Mister Parker, wir wollten Sie nicht ermorden! Wenigstens ich nicht! Davon ist nie gesprochen worden!“

„Klammern wir dieses Thema aus“, schlug der Butler vor, während Mike Rander angestrengt den Sandstrand, die Tote und das schweigende Unterholz beobachtete, in dem sich nichts rührte, „klammem wir dieses Thema also aus. Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit wurden also vom Strand aus beobachtet? Von Mister Keswick und von Ihnen?“

„Wir sahen deutlich, daß Sie die Tasche aus dem Wrack holten. Keswick hatte so was erwartet … Er schickte uns danach sofort los. Was dann geschah, wissen Sie ja.“

„Warum ist diese Tasche so wichtig für ihn? Sagte er Ihnen, was sie enthält?“

„Es waren eigentlich mehr Andeutungen“, gab Hazel Belmont zurück. „Es soll sich um wichtige Geschäftspapiere handeln.“

„Um Geschäftspapiere von Mister Keswick?“

„Natürlich!“ Sie sah ihn etwas unsicher an.

„Er sagte Ihnen nicht, daß diese Tasche sich in einem Tresor befand und befindet, die in Mister Brokens Kabine installiert ist!?“

„Nein …! Stimmt denn das …!?“ Sie wunderte sich nur noch. Ob gespielt oder wirklich, war schwer zu sagen.

„Es stimmt“, sagte Josuah Parker, „Mister Keswick ließ einen Aktenkoffer stehlen, der sich in Mister Brokens Tresor befand, Würden Sie mir zustimmen, Miß Belmont, daß dies recht ungewöhnlich und belastend ist?“

„Natürlich“, räumte sie leise ein, „jetzt möchte ich endlich wissen, was hier gespielt wird! Ist Keswick etwa der Mörder?“

„Auf eine Bejahung dieser Frage möchte ich im Moment noch verzichten“, schloß Parker, „man müßte Mister Keswick fragen. Wissen Sie zufällig, wo er sich auf der Insel aufhält?“

„Wir wollten uns unterhalb einer kleinen Quelle treffen“, sagte sie sofort, „sie kommt aus dem Felssockel, ich weiß nicht, ob Sie Bescheid wissen.“

„Diese Stelle ist mir inzwischen wohlbekannt“, erwiderte Parker, „ich schlage vor, Miß Belmont, wir statten Mister Keswick einen Besuch ab …“

*

„Ausgeschlossen, zu Keswick gehe ich nicht“, sagte Hazel Belmont und schüttelte energisch den Kopf, „ich möchte unten am Sandstrand nicht auch noch erschossen werden.“

„Wir würden selbstverständlich nicht sofort gehen“, erwiderte Josuah Parker, „ich scheine mich mißverständlich ausgedrückt zu haben. Auch meine bescheidene Wenigkeit hängt am Leben. Erst bei Anbruch der Dunkelheit dürfte ein Überqueren der Lagune angebracht sein.“

Hazel Belmont wirkte ungemein erleichtert. Sie ließ sich auf Deck nieder und wandte dem Sandstrand und der Landzunge den Rücken zu. Sie wollte May Owen auf keinen Fall sehen.

„Sie haben sie sehr gemocht?“ begann Mike Rander die Unterhaltung, die einigen Aufschluß bringen sollte.

„Sie war sehr nett“, erwiderte Hazel Belmont.

„Waren Sie enger mit ihr befreundet? Kannten Sie sich von früher her?“

„Natürlich kannte ich sie“, entgegnete Hazel Belmont, „ich glaube, ich sollte Ihnen jetzt alles erzählen, was ich weiß.“

„Eine gute Idee! Zeit genug haben wir ja!“

„Erwarten Sie nur keine Sensationen“, begann Hazel Belmont, „wir kannten uns vom Omahu-Hotel her.“

„May Owen, Judy Harless und Sie?“

„Wir haben dort als Hostessen gearbeitet. Das Omahu ist ein Hotel an der Küste mit sehr viel Fremdenverkehr. Keswick gehört der Laden, und wir sagten nicht nein, als er uns bat, uns von Broken engagieren zu lassen.“

„Welchen Zweck verfolgte er damit? Er wird Ihnen doch irgend etwas erzählt haben, oder?“

„Besonders neugierig waren wir nicht, wir freuten uns einfach auf die Abwechslung.“

„Wollten Sie uns nicht die ganze Geschichte erzählen, Hazel?“ Rander grinste die Hostess an. Er hatte sofort herausgehört, daß sie ausweichen wollte.

„Also gut … Hazel Belmont seufzte leise, „wir sollten Keswick diesen Aktenkoffer besorgen.“

„Auf welche Art und Weise?“

„Nun, wie schon?“ Sie sah Rander leicht gereizt an, „wir sollten mit ihm flirten, ihn ablenken und ihm den Tresorschlüssel ab luchsen.“

„Verstehe!“

„Gar nichts verstehen Sie!“ Sie war wütend geworden. „Sie halten uns wohl für Flittchen, wie?“

„Wieso interessiert Sie meine Meinung? Sie werden Ihre Gründe gehabt haben, für Keswick zu arbeiten.“

„Und ob wir Gründe gehabt haben!“ Sie sah den jungen Anwalt kurz an und blickte dann hinaus zum Riff. „Keswick ist ein gemeiner Kerl, aber das sieht man ihm wohl kaum an. Wir mußten mitmachen, ob wir nun wollten oder nicht. Er hatte und hat uns in der Hand! Schulden, ein paar Unkorrektheiten, die eben schon mal passieren! Ersparen Sie mir Einzelheiten! Wir mußten mitmachen! Und Broken engagierte uns ahnungslos vom Fleck weg!“

„Hatten Sie Pamela Clayton oder Kathy Lombard früher schon einmal gesehen?“

Sie schüttelte nur den Kopf.

„Haben Sie noch Fragen, Parker?“

„In der Tat, Sir, wenn Sie erlauben, möchte ich mich bei Miß Belmont erkundigen, woher die Damen über so ausgezeichnete Nahkampferfahrungen verfügen?“

„Die eignet man sich notgedrungen an, wenn man allein ist und im Vergnügungsgewerbe arbeitet“, meinte sie bitter, „Sie haben wohl keine Ahnung, wie man sich seiner Haut wehren muß, wenn man nur einigermaßen aussieht.“

„Weitere Fragen?“ Rander lächelte.

„Ja, wenn’s genehm ist, Sir. Miß Belmont, Mister Edwards war der Chefbuchhalter von Mister Keswick?“

„Ein Widerling!“

„Darf ich nach den Gründen für diese Beurteilung fragen?“

„Edwards katzbuckelte, wenn Keswick in der Nähe war, aber er drückte auf die Tube, wenn er allein war und bestimmen konnte. Ein widerlicher Schnüffler war er. Tut mir leid, daß ich nichts Besseres über ihn sagen kann. Ihm haben wir es zu verdanken, daß wir bei Keswick in die Kreide gerieten. Und wenn man es genau nimmt, hat er dafür gesorgt, daß es soweit kam!“

„Haben Sie eine vage Vorstellung oder Ahnung, wer Edwards umgebracht haben könnte?“

„Keine Ahnung“, antwortete sie und zuckte die Achseln, „ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich von dem ganzen Wirbel halten soll. Ich weiß nur, daß es Keswick um die Aktentasche ging. Warum? Fragen Sie nicht mich! Es muß sich aber um eine dicke Sache gehandelt haben und immer noch handeln, sonst hätte man May deswegen ja nicht umgebracht!“

*

Parker befand sich auf dem Kriegspfad.

Es war längst dunkel, als er zurück auf die Insel ging. Er hatte einen weiten, mühsamen Bogen geschlagen und darauf verzichtet, die Landzunge oder den Hauptstrand anzulaufen. Er wollte ungesehen bleiben und hoffte, daß ihm das auch gelungen war.

Bis auf den aufkommenden Wind, der mit den Blättern der Palmen spielte, war auf der Insel nichts zu hören. Die Schiffbrüchigen hatten sich in ihre Verstecke zurückgezogen und verzichteten darauf, sich bemerkbar zu machen.

Parker hütete sich hingegen, unangenehm aufzufallen. Auf völlig leisen Sohlen durchschritt er den Palmenwald. Er nahm sich sehr viel Zeit, schließlich stand ihm ja noch die ganze Nacht zur Verfügung.

Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und suchte das Gelände mit seinem Spezialfernglas ab. Ein Laie hätte dies bei der herrschenden Dunkelheit für Nonsens gehalten. Parker konnte sich auf diese Konstruktion aber verlassen. Sie arbeitete mit Infrarotlicht und erhellte für seine Augen das Blickfeld. Eingebaute Stromquellen – es handelte sich um Energiezellen höchster Leistung – sorgten für den notwendigen Betriebsstrom. Dank seiner Beziehungen hatte der Butler sich dieses relativ handliche Gerät aus einem wissenschaftlichen Labor besorgt. Es war bisher in seinem Spezialkoffer gewesen, und er hatte wirklich nicht daran gedacht, es für diese Zwecke einmal verwenden zu müssen.

Sein Ziel waren die Lavafelsen. Dort vermutete er nach wie vor Keswick. Und auch Judy Harless, die sich mit Sicherheit zu ihrem Chef durchgeschlagen haben mußte.

Parker hatte eine kleine Lichtung im dichten Palmenwald erreicht und legte eine Pause sein. Mit dem Infra-Glas suchte er die Lichtung ab und wollte schon weitergehen, als er plötzlich eine Bewegung ausmachte.

Ein Strauch schwankte viel zu heftig, als daß dies vom Wind geschehen konnte. Wenig später erkannte er Pamela Clayton. Erstaunlicherweise führte sie eine Unterwasserharpune mit sich, die sie sehr fachgerecht trug.

Pamela Clayton, angeblich von einem monströsen Ungeheuer mit einer Harpune beschossen, trug nun selbst dieses Unterwassergerät und pirschte sich ganz offensichtlich an den kleinen Bachlauf heran, der von der Felsenquelle gespeist wurde.

An wen wollte sie sich heranmachen? Wollte sie sich mit Keswick anlegen?

Parker, der durch sein Glas ausgezeichnet sehen konnte, horchte in sich hinein. Reagierte seine innere Alarmklingel? Sie meldete sich für gewöhnlich mehr als prompt, wenn akute Gefahr in der Luft lag. Diesmal verhielt diese innere Alarmanlage sich vollkommen still.

Pamela Clayton warf sich plötzlich ins Gras und ging in volle Deckung.

Josuah Parker griff mit der freien Hand nach seinem vorsintflutlich alten Colt und spannte den Hahn. Wollte Pamela Clayton irgendein ahnungsloses Opfer beschießen?

In das Blickfeld des Infra-Glases kamen zwei andere Personen. Es handelte sich um Paul Broken, den Gastgeber dieses mörderischen Ausflugs, und um Kapitän Hank Curson.

Paul Broken hielt offensichtlich eine Waffe in der rechten Hand. Sie schienen von Pamela Claytons Anwesenheit nichts zu ahnen, gingen an ihrem Versteck vorbei und hielten auf den Bachlauf zu.

Leider vermochte der Butler nicht mehr zu sehen.

Ein Geschoß zischte dicht an seiner linken Schulter vorbei und landete krachend und Holzsplitter herausreißend, in einem sehr nahen Palmenstamm. Erst dann glaubte der Butler das nervenzerfetzende Plopp zu hören, das auf einen Schalldämpfer hinwies.

Mit einer ungewollten, dennoch formvollendeten Verbeugung ging der Butler in die Knie und nahm volle Deckung.

*

„Nehmens Sie’s nicht weiter tragisch“, sagte Mike Rander eine halbe Stunde später zu seinem Butler, „warum sollen nicht auch Sie mal eine Pleite erleben!“

„Dieser Schuß, Sir, war sehr aufschlußreich, wenn ich es so ausdrücken darf.“

„Ach nee!“ Rander grinste seinen Butler spöttisch an.

„In der Tat, Sir. Dieser schallgedämpfte Schuß fiel in einem Augenblick, als ich den Vorzug hatte, Miß Pamela Clayton, Mister Broken und Mister Curson beobachten zu können. Diese drei Personen scheiden demnach einwandfrei als Schützen aus!“

„Natürlich, Parker! Daß ich daran nicht gedacht habe! Kommen als Schützen also nur noch Keswick, Judy Harless und Kathy Lombard in Betracht!“

„Und das Ehepaar Forest, Sir, das man auf keinen Fall vergessen sollte.“

„Der Vollständigkeit halber können wir aber Hazel Belmont aus dem Verdacht entlassen“, meinte Anwalt Rander. Er deutete hinüber auf Hazel, die sich zusammengerollt hatte und schlief. Oder vielleicht auch zuhörte, was im Augenblick aber nicht von Belang war.

„Ein wahrer Glücksschuß, wenn ich es so bezeichnen darf, Sir.“

„Was wollen wir jetzt tun, Parker?“

„Ich möchte eindringlich vorschlagen. Sir, daß diese schallgedämpfte Waffe so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen wird. Sie ist das, was ich als ausgesprochen unangenehm bezeichnen möchte.“

„Und wie stellen Sie sich das vor?“

„Man sollte diejenigen Personen, die dafür als Waffenträger in Betracht kommen, umgehend und nachdrücklich nach der schallgedämpften Waffe befragen.“

„Umgehend? Während der Nacht?“

„Aus Gründen der Sicherheit, Sir, sollte man dieses Vorhaben auf den Tag verlegen.“

„Fassen wir noch mal zusammen“, sagte Rander, „das Ehepaar Forest also, Keswick, Judy Harless und Kathy Lombard. Das werden wir schnell hinter uns bringen, denke ich. Ich denke, dieses Ehepaar ist für uns wohl kaum interessant.“

„Es hat den Anschein, Sir, wie ich es ausdrücken möchte. Letzte Sicherheit gibt erst eine gründliche Durchsuchung!“

„Aber die beiden Forests kommen als Mörder oder Schützen doch niemals in Betracht, Parker.“

„Möglicherweise, Sir.“

„Sie haben mir doch selbst erzählt, daß sie den Revolver vergruben, den Curson dann wieder ausbuddelte und schließlich an Judy Harless verlor. Den hier!“ Rander hielt den Revolver hoch, den Judy Harless auf dem Wrack zurückgelassen hatte. „Wenn wir es mit Mördern zu tun hätten, wäre die Waffe noch in ihrem Besitz.“

„Dies, Sir, ist ein Argument, dem ich im Moment nichts entgegenzusetzen habe! Bleiben demnach noch Mister Keswick, Judy Harless und Kathy Lombard!“

„Ich werde Ihnen jetzt mal was sagen, Parker. Ich habe mir alles gründlich durch den Kopf gehen lassen. Wir sollten unser Hauptaugenmerk auf diese Kathy Lombard richten!“

„Ich bin davon überzeugt, Sir, daß Sie entsprechende Gründe anführen werden.“

„Diese Lombard ist mir einfach zu clever. Denken Sie daran, wie sie sich gegen Sie gewehrt hat! Denken Sie an Ihr Schienbein! Ich wette, sie mischt hier auf der Insel kräftig mit!“

„Wie Miß Pamela Clayton, in deren Besitz sich erstaunlicherweise eine Unterwasserharpune befindet, Sir!“

„Ich muß schon sagen, daß wir es mit wirklich reizenden Mädchen zu tun haben, Parker!“

„Dem kann und muß ich unbedingt beipflichten, Sir“, sagte Parker trocken, „um es vorsichtig auszudrücken, möchte ich andeuten, daß es auch in den kommenden Stunden wohl kaum Langeweile geben wird.“

*

Als die Sonne aus dem Meer stieg, war der Butler bereits wieder auf der Insel. Sein junger Herr blieb mit Hazel Belmont auf dem Wrack zurück, im Augenblick wohl der sicherste Ort.

Parker untersuchte zuerst einmal die Landzunge. Und vor allen Dingen jenen Platz, an dem May Owen lag. Er sah die Schleifspuren im Sand, die die Aktentasche hinterlassen hatte. Und er entdeckte auch den Standort des Mörders samt Ast. Das war aber auch schon alles. Der Mörder hatte ansonsten keine Spuren hinterlassen.

Parker blieb in der Nähe und wartete geduldig ab. Er hatte sich ausgerechnet, daß man May Owen früher oder später entdeckte. Es war sicher, daß man sich dann um sie kümmern würde.

Lange brauchte er nicht zu warten, denn seine Rechnung ging wieder einmal voll auf.

Er hörte das Knacken von Ästchen, leise Stimmen und sah dann Keswick und Judy Harless vor sich, die sich an die Tote heranpirschten.

„Tatsächlich!“ stellte Keswick fast neutral fest, als er die Tote sah, „May ist vom Mörder erledigt worden!“

„Und hat den Aktenkoffer verloren!“ Judy Harless nickte. „Ich konnte nichts dagegen tun, Mister Keswick. Es ging alles zu schnell. Und als auf May geschossen wurde, habe ich mich abgesetzt.“

„Ihnen macht ja niemand Vorwürfe“, meinte Keswick. „Ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt, Judy!“

„Wer mag den Aktenkoffer haben?“ fügte Keswick hinzu. May Owens Schicksal interessierte ihn nicht, das war deutlich durchzuhören. Ihm ging es einzig und allein um den schmalen Aktenkoffer.“

„Broken natürlich“, erwiderte Judy Harless, „für ihn stellt der Inhalt doch ein Vermögen dar!“

„Weiß Gott!“ Keswick nickte. „Deering hat ja schon für ihn danach tauchen müssen.“

„Mister Keswick, offen … Haben Sie Deering umgebracht?“ Judy war hartgesotten und sprach über dieses Thema wie über die allgemeine Wetterlage.

„Nein!“ Keswick schüttelte den Kopf, „ich hätte mich gehütet, mich mit Deering anzulegen. Er tat nach außen hin, als sei er ein Playboy, in Wirklichkeit war er ein sehr routinierter Killer.“

„Dann begreife ich einfach nicht, auf wessen Konto Deering geht. Interessieren, sich außer Broken und Ihnen denn noch andere Personen für die Tasche?“

„Keine Ahnung.“ Keswick hob die Schultern. „Aber wenn wir aufpassen, werden wir es bald wissen.“

Sie entfernten sich, ohne sich weiter um May Owen zu kümmern. Parker blieb bewußt zurück. Bevor er etwas unternahm, mußte May Owen begraben werden.

Nach etwa zwanzig Minuten hatte May ihre letzte Ruhe gefunden. Parker verharrte eine knappe Minute vor dem Grab. Dann setzte er wieder die schwarze Melone auf und schritt ausgesprochen steif und würdevoll hinüber zur eigentlichen Insel.

Die Unterhaltung zwischen Keswick und Judy Harless war sehr aufschlußreich gewesen, sie bewies im Grunde jedoch gar nichts. Keswick mußte Judy gegenüber ja nicht unbedingt die Wahrheit gesagt haben, was Deering anbetraf. Parker spürte es selbst nachträglich noch in den Fingerspitzen, daß der Geschäftspartner von Broken gelogen hatte.

Hier ging es also um einen schmalen Aktenkoffer, hinter dem Keswick her war. Und Broken seinerseits wollte um jeden Preis vermeiden, daß Keswick in den Besitz dieses Koffers kam. Der Inhalt war also das Entscheidende.

Wer auch immer im Moment den Koffer besaß, er mußte schnell herausfinden, daß wesentliche Dinge fehlten. Dafür hatte der Butler schon gesorgt, nachdem er den Koffer geöffnet und den Inhalt überprüft hatte.

Die Negativaufnahmen, dies wußte selbst Mike Rander nicht, befanden sich in Parkers Besitz. Das heißt, er hatte sich dieser Fotos inzwischen entledigt und sie versteckt. Sie konnten möglicherweise noch einmal so etwas wie eine sehr gute Lebensversicherung darstellen.

Er blieb sofort stehen, als er streitende und laute Stimmen hörte. Parker unterschied die Organe von Broken und Keswick. Sie waren sich offensichtlich in die Haare geraten und genierten sich nicht, sich gegenseitig Beleidigungen aller Art an den Kopf zu werfen.

Broken und Keswick befanden sich in der Nähe des unteren Bachlaufes und standen sich wie zwei Kampfhähne gegenüber.

Sie waren nicht allein.

In Brokens Nähe stand Kapitän Curson, sehr wach und sprungbereit. Hinter Keswick hatte Judy Harless Stellung bezogen.

Parker ließ sich natürlich nicht sehen. Er genoß die Szene und registrierte die wilden Anschuldigungen, mit denen Broken und Keswick sich gegenseitig bedachten.

Er registrierte aber auch die Anwesenheit des Ehepaars Forest, das hinter einem dichten Strauch stand und schweigend zuhörte, ohne von den beiden Kampfhähnen selbst gesehen zu werden.

Es fehlten Kathy Lombard und Pamela Clayton. Möglicherweise aber befanden auch sie sich in der Nähe.

*

„Geben Sie doch endlich zu, daß Sie mich erledigen wollen“, brüllte Keswick gereizt, „Edwards, dieses Schwein, hat Ihnen doch alles zugespielt, was mich fertigmachen kann!“

„Und Sie, Keswick, wollten mich nicht ausbooten, he?“ Broken brüllte lautstark zurück, „wer hat denn versucht, leitende Angestellte meiner Firma zu bestechen, wie?“

„Wegen dieser Dinge habe aber ich keinen Mord begangen!“

„Was soll das heißen?“ Broken richtete sich steif auf.

„Wer hat denn May Owen erschossen, als sie mit dem Köfferchen an Land schwamm?“

„Ich auf keinen Fall!“ Broken schüttelte den Kopf. „Aber mal eine Gegenfrage, Keswick, wer hat denn meinen Leibwächter Deering umgebracht?“

„Deering geht nicht auf mein Konto“, schrie Keswick gereizt, „lenken Sie doch nicht ab!“

„Ich erlaube mir, einen besonders schönen und guten Morgen zu wünschen!“ Parker trat aus seinem Versteck hervor und lüftete grüßend die schwarze Melone, „die Herren, dies war und ist nicht zu überhören, betreiben das, was man ein Streitgespräch nennt?“

„Sie haben mir gerade noch gefehlt“, reagierte Broken giftig.

„Scheren Sie sich zum Teufel“, schimpfte Keswick nicht weniger. „Ihr Typ ist hier nicht verlangt, Parker!“

„Hauen Sie ab“, sagte Curson und schob sich an den Butler heran. „Rauschen Sie ab durch die Mitte! Schnüffler können wir hier nicht gebrauchen!“

„Sind Sie ebenfalls dieser Ansicht, Mister Broken?“ Parker wandte sich an den Reeder.

„Und ob!“

„Dann begreife ich Ihren Sinneswandel nicht, Mister Broken. Sie baten meinen jungen Herrn und meine bescheidene Wenigkeit an Bord der ‚Seejungfrau‘, freiwillig und sehr dringend sogar. Wenn ich mich recht erinnere, sollte Mister Rander einen Vertrag juristisch aufsetzen und absichern, in dem Keswick Ihnen seine Geschäftsanteile überläßt. Als Schenkung, wie ich bemerken möchte.“

„Also doch!“ Keswick blähte sich auf und wollte auf Broken los, „Sie wollten mich also erpressen … Sie Schwein … Sie!“

„Darf ich Vorschlägen, Injurien dieser Art doch zu unterlassen“, bat der Butler gemessen und fast sanft, „sie führen erfahrungsgemäß zu nichts und sind nur geeignet, ein unverträgliches Verhandlungs- und Gesprächsklima zu schaffen.“

„Von Erpressen kann überhaupt keine Rede sein, Keswick“, sagte Broken schnell, „ich wollte Sie nur überreden. Ich hätte Ihnen die Anteile ja abgekauft. Was dieser komische Parker sagt, ist doch erstunken und erlogen!“

„Ich bin sicher, daß Mister Keswick dies nüchterner sieht“, warf der Butler ein, „es wäre interessant zu erfahren, welche Mittel Sie zur Verfügung haben und hatten, Mister Keswick zu überreden, wie Sie es ausdrücken, Mister Broken.“

„Das geht niemand was an!“

„Mich geht das eine Menge an!“ Keswick schob sich noch näher an Broken heran, „Sie haben meinen Chefbuchhalter Edwards bestochen. Und Edwards ist es gewesen, der Ihnen Belastungsmaterial zugespielt hat. Geben Sie’s doch schon zu!“

„Und wenn es so gewesen ist?“ Broken grinste, „dann wissen Sie ja auch, womit ich Sie unter Druck setzen kann. Ich sage nur Bilanzfrisur, wenn Ihnen das reicht! Sind Sie jetzt endlich zufrieden?“

Keswick rutschte förmlich in sich zusammen. Mit diesem Stichwort hatte er so deutlich wohl nicht gerechnet.

„Jetzt lassen Sie endlich Dampf ab, Keswick“, meinte Broken, dessen Stimme nun leise, aber siegessicher wurde, Jawohl, ich habe Sie in der Hand! Ich kann Sie hochgehen lassen, wann immer ich es will!“

„Falls Sie den bewußten Koffer besitzen“, warf Parker sanft ein, „und wenn Sie ihn besitzen, sind Sie der Mörder von Miß May Owen, dies dürfte Ihnen ja wohl klar sein!“

Broken wandte sich jäh um und stampfte davon. Curson folgte ihm wie ein gehorsamer Hund.

„Ich bring’ ihn um!“ murmelte Keswick leise. Er schien vergessen zu haben, daß es Zuhörer gab. „Ich werd’ ihn umbringen, so wahr ich Keswick heiße! Ich zerdrücke ihn wie eine Laus!“

*

Oberhalb der Brandungszone bildeten ausgewaschene Lavafelsen eine natürliche, riesige Badewanne.

In dieser Badewanne saß Kathy Lombard und kühlte äußerst intensiv ihre entblößte Kehrseite, ein Bild, das einer gewissen Komik nicht entbehrte. Irgendwie erinnerte sie Parker an ein großes, wohlgeformtes Baby.

Sie schrie überrascht auf, als Parker höflich seine schwarze Melone lüftete, nachdem er sich allerdings kurz vorher äußerst diskret geräuspert hatte.

Kathy Lombard rutschte sofort in die Wanne hinein und verschränkte die Arme sicherheitshalber und zusätzlich vor der Brust.

„Was wollen Sie?“ fragte sie dann scharf. „Seit wann beobachten Sie mich?“

„Ich glaube, daß hier ein Mißverständnis vorliegt“, stellte der Butler richtig, „ich hatte und habe keineswegs die Absicht, Sie zu belauschen.“

„Dann gehen Sie! Aber schnell!“ Ihre Stimme blieb scharf, aber sie war sich durchaus des Nachteils bewußt, daß sie immerhin nackt in dieser Naturwanne saß und sich kaum rühren konnte.

„Wie Sie wünschen, Miß Lombard. Ich darf aber meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, daß Sie sich offensichtlich keine Sorgen wegen eines Mörders machten.“

„Wieso nicht?“

„Immerhin treiben Sie hier in einer Art und Weise Körperpflege, die mit keinerlei böser Überraschung rechnet.“

„Glauben Sie!?“ Sie warf sich blitzschnell nach vorn und wollte nach dem Revolver greifen, der am Rand der Naturwanne lag. Es war ihr Pech, daß Parker diese Waffe längst erspäht hatte und sie mit der Spitze seines Universal-Regenschirms wegschob.

Strampelnd blieb Kathy Lombard auf dem Wannenrand liegen, sah den Butler wütend an und ließ sich zurück ins Wasser gleiten.

„Ich möchte keineswegs indiskret sein“, redete Parker in seiner höflichen Art und Weise weiter, „aber haben Sie Windpocken?“

„Wieso!?“ Sie sah ihn unsicher an.

„Ich konnte nicht umhin festzustellen, daß sich gewisse Körperpartien entsprechend eingefärbt haben und die bewußten Pusteln zeigen.“

„Gehen Sie!“ schrie sie gereizt.

„Nur ein wenig Geduld noch, Miß Lombard“, entschuldigte Parker sich, „in Dingen der Humanmedizin verfüge ich über einige Kenntnisse, die über die eines normalen Laien hinausgehen. Ich biete Ihnen höflichst meine Hilfe an.“

„Jetzt weiß ich, wem ich das zu verdanken habe!“ Sie sah ihn aus verengten Augen an und erinnerte den Butler jetzt an ein gereiztes Raubtier, „Sie haben mir den Pfeil in den … also, Sie haben den Pfeil auf mich abgeschossen!“

„Ohne zu wissen, mit wem ich es zu tun hatte, dessen dürfen Sie versichert sein. Miß Lombard.“

„Wann geht der Juckreiz wieder zurück?“ fragte sie und sah nun plötzlich sehr hilflos und kindlich aus, „das ist kaum zum Aushalten! Es ist wie Nesselfieber!“

„Sie dürfen versichert sein, daß der Juckreiz sich ab morgen wieder legen wird.“

„Warum haben Sie mich mit dem Pfeil beschossen? Das war gemein, wenn Sie es genau wissen wollen.“

„Warum, um mit einer Gegenfrage zu antworten, pirschten Sie sich an Mister Rander und an meine Wenigkeit heran? Sie kamen, das darf ich wohl unterstellen, bestimmt nicht aus dem Grund, Mister Rander eine gute Nacht zu wünschen.“

„Denken Sie doch, was Sie wollen! Aber was den Pfeil angeht, Parker, so werden Sie dafür noch bezahlen, das schwöre ich Ihnen!“

„Und was den Revolver angeht, so möchte ich gern wissen, von wem er stammt. Sollten Sie ihn Mister Keswick abgenommen haben, als er Miß Owen auf der Waldlichtung belästigte?“

„Ja, wenn Sie’s genau wissen wollen.

„Welche Rolle haben Sie in diesem Trauerspiel übernommen, Miß Lombard? Ich weiß, daß Sie keineswegs auf der Seite von Mister Keswick stehen, oder sollte ich mich da irren?“

„Und wer sind Sie? Auf welcher Seite stehen Sie? Ich will ehrlich einräumen, daß ich gerade aus Ihnen nicht klug werde, Mister Parker.“

Kathy Lombard sprach nun völlig sachlich und konzentriert. Ihr anfänglicher Zorn hatte sich gelegt. Oder wollte sie dem Butler nur etwas Vorspielen?

„Ich bin der Butler Mister Randers“, erläuterte Parker, „und ich befasse mich in meiner reichlich bemessenen Freizeit mit der Aufklärung von Verbrechen. Sollten Sie meinen Angaben keinen Glauben schenken, so können Sie später Erkundigungen über meine bescheidene Person einziehen … Für welche Detektei sind Sie tätig?“

„Für die Midways“, sagte sie automatisch und lief im gleichen Moment dunkelrot an. Sie hatte sich verplappert und wahrscheinlich wirklich nicht gelogen.

„Dann freue ich mich ehrlich, eine Kollegin getroffen zu haben, wenn ich es so ausdrücken und umschreiben darf, Miß Lombard … Ermitteln Sie gegen Mister Broken oder gegen Mister Keswick?“

„Kein Kommentar“, sagte sie abweisend, „und wenn Sie jetzt nicht gehen, stehe ich einfach auf …“

„Damit zwingen Sie mich tatsächlich, den Rückweg anzutreten, Miß Lombard. Ein Appell an meine Korrektheit wird von meiner bescheidenen Wenigkeit sofort honoriert!“

Er lüftete seine schwarze Melone und wandte sich ab. Bevor er ging, warf er ihr den gesicherten Revolver wieder zu. Er landete neben ihr auf dem Wannenrand.

Parker hatte kaum drei, vier Schritte getan, als hinter ihm ein Schuß krachte!

*

Mike Rander war schläfrig geworden.

Er hatte es sich auf dem Heck der „Seejungfrau“ so bequem gemacht, wie es sich eben einrichten ließ. Während er Hazel Belmont zuhörte, die fast etwas zu gleichförmig aus ihrem wild bewegten Leben erzählte, fielen ihm ein paarmal die Augen zu. Er riß sich zwar immer wieder zusammen, doch er wußte, daß er früher oder später fest einschlafen würde.

Er stand auf und nickte Hazel Belmont zu, die ihn nun erstaunt ansah.

„Ich steige mal für ein paar Minuten ins Wasser“, sagte Rander, „die Sonne macht schläfrig!“

Der junge Anwalt hechtete ins Wasser und brachte sich wieder in Form. Er schwamm ein paar Runden um das Wrack und dann zurück zum Heck. Er legte seine Hände um die schief liegende Bordkante und zog sich hoch.

In diesem Moment sah er über sich ein großes Stück Brett, das von Hazel Belmont gehalten wurde. Er wollte sich zurückdrücken und dem Schlag entgehen, doch dazu reichte es nicht mehr. In seinem Kopf explodierte eine Bombe, deren Licht grellweiß war. Dann rutschte er ab und sank unter Wasser.

Hazel Belmont beugte sich über das Wasser und sah zu, wie er tief nach unten wegsackte. Besinnungslos, nicht fähig, sich gegen das Wasser in seinen Lungen zu wehren …

*

Sie hing schlaff über dem Rand der natürlichen Wanne und rührte sich nicht.

Parker registrierte dies alles mit einem schnellen Blick und ging in Deckung. Den vorsintflutlich alten Colt hielt er schußbereit in der Hand. Irgendwo ganz in der Nähe, wahrscheinlich dort drüben in Höhe der ersten Palmen, mußte der Schütze stehen.

Ein Strauch bewegte sich.

Parker ließ sich nicht täuschen. Ein Schütze, der aus dem Hinterhalt schoß, würde solch einen Fehler niemals begehen, dazu mußte er einfach zu gerissen sein. Diese Bewegung sollte den Butler täuschen und seinen Blick in die falsche Richtung lenken.

Josuah Parker entschloß sich spontan zu einem Glücksschuß.

Dröhnend röhrte der Colt auf. Das Abschußgeräusch erinnerte an das eines mittelschweren Minenwerfers.

Fast synchron damit war ein unterdrückter Aufschrei zu hören. Dieser Schrei war echt, das hörte der Butler mit geübtem Ohr sofort heraus.

Parker feuerte einen zweiten Schuß ab, der absichtlich nur in das leere Unterholz fuhr und dort einen Strauch verwüstete. Da er wußte, daß der Schütze durch diesen Schuß abgelenkt worden war und es nicht riskierte, seinen Kopf aus der Deckung zu nehmen, schritt Parker fast würdevoll hinüber zum nahen Palmenwald und nahm die Spur des Schützen auf.

Er brauchte nicht lange nach ihm zu suchen.

Judy Harless lag flach auf dem Boden und begutachtete gerade ihre leichte Wunde. Es handelte sich um einen Streifschuß am rechten Oberschenkel, der zwar einen Blutverlust bedeutete, der aber sonst nicht gefährlich war.

Sie griff nach ihrer Waffe, als Parker plötzlich neben ihr stand. Sie hatte ihn überhaupt nicht gehört.

Parker ließ seinen Universal-Regenschirm senkrecht nach unten fallen.

Die Spitze bohrte sich zwischen ihren Fingern in den Sand. Judy Harless’ Hand zuckte fast entsetzt zurück, als besitze sie ein Eigenleben.

„Ich gehe wohl richtig in der Annahme, daß dies der Revolver ist, mit dem auf Miß Kathy Lombard geschossen wurde, ja?“

„Sie widerlicher Schnüffler“, fauchte sie, „ich hätte zuerst auf Sie schießen sollen.“

„Und warum taten Sie es nicht?

„Weil … Weil … Ach, das geht Sie nichts an!“

„Sie wollten sich wohl streng an die Anweisungen von Mister Keswick halten, nicht wahr?“

„Fragen Sie, was Sie wollen, ich werde nicht antworten!“

„Entschuldigen Sie mich, Miß Harless, ich muß mich jetzt um Miß Lombard kümmern. Hoffentlich hatte Sie genau soviel Glück wie Sie!“

Er nahm die Schußwaffe an sich, lüftete höflich seine schwarze Melone und ließ sie einfach zurück. Er wußte, daß sie ohne fremde Hilfe nicht weit kam.

Kathy Lombard stöhnte leise, als Parker sie erreicht hatte. Er hob sie fast zärtlich aus der Wanne, wie ein Vater sein Kind, trug sie hinüber zum nahen Wald und legte sie dort vorsichtig ab. Dann untersuchte er die Verletzung.

Kathy Lombard konnte von Glück reden. Der Schuß hatte sie über dem linken Schlüsselbein getroffen. Es handelte sich auch hier nur um eine an sich völlig harmlose Wunde, um einen Streifschuß, der schnell vergessen war.

Parker ging zurück zu Judy Harless.

Überraschenderweise war es ihr doch gelungen, das Weite zu suchen. Ob mit oder ohne fremde Hilfe, konnte Parker nicht beurteilen. Er verzichtete auf die Verfolgung. Jetzt war erst einmal Kathy Lombard an der Reihe.

*

Mike Rander kam ohne Übergang wieder zu sich, richtete sich auf, faßte nach seinem schmerzenden Kopf und wußte im ersten Moment nicht, was passiert war.

Dann stellte sich langsam die Erinnerung ein. Da war Hazel Belmont gewesen, die ihm das Brett über den Kopf gezogen hatte. Aber, so fragte er sich nicht zu unrecht, wieso lag er jetzt wieder auf dem Wrack der „Seejungfrau“? Wieso war er nicht ertrunken.

Er schaute sich nach Hazel Belmont um.

Sie war nicht mehr zu sehen. Sie hatte die günstige Gelegenheit ergriffen und war hinüber zur Insel gegangen. Es war fast selbstverständlich, daß sie Randers Beutewaffe mitgenommen hatte.

Der junge Anwalt kühlte seinen schmerzenden Kopf mit dem tiefblauen Wasser der Lagune. Und er ärgerte sich, daß er Hazel vertraut hatte. Ihm wurde klar, daß sie ihn systematisch eingelullt hatte und Parker einen tollen Bären aufgebunden haben mußte. Diese Seejungfrauen waren mehr als nur Hostessen! Ähnliches hatten Rander und Parker früher schon einmal vermutet.

Rander setzte sich hoch. Was sollte er jetzt tun? Versuchen, zu Parker zu stoßen? Oder war es richtiger, noch hier an Bord zu bleiben? Er stand auf, doch seine Beine machten da nicht so recht mit. Sie trugen ihn noch nicht, gaben nach und waren schwammig, weich. Rander seufzte und ließ sich nieder. Selbst wenn er es gewollt hätte, er hätte es nicht geschafft. Wütend gestand er sich ein, daß er vorerst auf der „Seejungfrau“ bleiben mußte.

Es war also fast so wie schon oft in der Vergangenheit. Sein Butler schien einfach unverwundbar zu sein, und Parker hielt wieder einmal alle Fäden in der Hand.

Mike Randers Kopf wurde plötzlich fast magnetisch von einer Bewegung am Strand angezogen.

Mühsam richtete er sich noch einmal auf und sah genauer hinüber. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dort unter den Palmen stand Mrs. Ethel Forest und winkte aufgeregt, als sei etwas Schreckliches passiert …

*

„Danke“, sagte Kathy Lombard, die inzwischen wieder zu sich gekommen war. Sie sah an sich herunter und lächelte. Parker hatte sie angezogen, schnell und geschickt.

„Ich hoffe, es geht Ihnen den Umständen entsprechend gut“, sagte Parker, „wegen der Verletzung sollten Sie sich keine Sorgen machen. Miß Lombard … In spätestens zwei Wochen wird man nur noch eine schwache Narbe sehen.“

„Wer hat geschossen?“

„Judy Harless!“

„Sie ist gefährlich“, sagte Kathy Lombard, „hüten Sie sich vor ihr, Mister Parker!“

„Ist sie gefährlicher als Sie, Miß Lombard?“

„Sie wollen jetzt alles wissen, nicht wahr?“ Sie setzte sich etwas auf und war erstaunt, wie gut dies gelang. Wahrscheinlich war sie sogar überrascht, daß die Verletzung tatsächlich nicht so schlimm war, wie sie vermutet hatte.

„Einige Informationen könnten in der Tat nicht schaden“, meinte Josuah Parker, „aber ich möchte betonen, daß ich Sie niemals zwingen würde, irgendwelche Aussagen zu machen.“

„Ich bin wirklich Angestellte der Midways“, sagte sie, „das ist eine Detektiv-Agentur in Honolulu …“

„Wer engagierte Sie, wenn ich so direkt fragen darf?“

„Mister Broken … Er sagte uns, er sollte umgebracht werden. Er war ein paarmal anonym angerufen worden.“

„Hatte er einen bestimmten Verdacht?“

„Keswick!“

„Ließ er sich darüber etwas näher aus?“

„Er sagte uns, Keswick wollte Alleininhaber der Firma werden. Mister Broken zeigte uns Geschäftsunterlagen, aus denen hervorgeht, daß Keswick heimlich Aktienpakete der gemeinsamen Firma auf kauft.“

„Dies ist durchaus üblich“, erwiderte Parker, „Partner ist man nur solange, wie es gemeinsame geschäftliche Interessen gibt … Wieso fühlte er sich aber von Keswick bedroht?“

„Wenn Broken stirbt, hat Keswick das Vorkaufsrecht, das ist vertraglich ausgemacht.“

„Ist dies umgekehrt auch der Fall?“

„Richtig“, gab sie zurück, „falls Keswick etwas zustößt, hätte Broken alle Möglichkeiten, sich Keswicks Anteile zu besorgen.“

„So etwas könnte man überspitzt Einladung zum Mord bezeichnen“, sagte Parker und deutete ein feines Kopfschütteln an. „Ich frage mich jetzt, warum Mister Broken zu dieser gemeinsamen Ferienfahrt einlud?“

„Das weiß ich nicht. Ich nehme aber an, er wollte Keswick zwingen, endlich einmal Farbe zu bekennen! Vielleicht wollte er sich mit ihm auch nur versöhnen.“

„Wir werden Mister Broken über dieses Thema befragen“, entschied der Butler, „wenden wir uns den drei Damen Owen, Harless und Belmont zu. Miß Lombard. Sind Ihnen diese Damen bekannt?“

Zu seiner Überraschung nickte sie.

„Tatsächlich, Miß Lombard? Als was kennen Sie diese drei Damen?“

„Es sind Angestellte von Keswick“, entgegnete sie, und ihre Stimme wurde immer sicherer, „sie arbeiten in einem Nachtbetrieb!“

„Der Omahu heißt?“

„Stellen Sie sich keine übliche Bar oder ein übliches Hotel vor, Mister Parker. Das Omahu ist eine Spielhölle, die sich gewaschen hat. Und die drei Mädchen leiten den Laden. Es sind Frauen, die hart sind und alle Tricks kennen.“

„Sollte ich unterstellen, daß sie bereits mit den Gesetzen in Konflikt geraten sind?“

„Das stimmt sogar“, redete Kathy Lombard weiter, „sie waren etwas zu drastisch in ihren Methoden, als sie sich mit angetrunkenen oder ausgeplünderten Gästen auseinandersetzten …“

„Eine nette Mannschaft, die Mister Broken sich da an Bord der ‚Seejungfrau‘ holte!“

„Freiwillig tat er es nicht, obwohl er keine Ahnung hatte, wer sie sind … Keswick bestand darauf, daß sie mitkamen. Broken roch sofort Lunte. Er glaubte zu wissen, daß sie ihm wichtige Papiere ab jagen sollten, für die Keswick sich interessierte.“

„Und worin, wenn ich immer weiterfragen darf, bestand Ihre Aufgabe?“

„Ich sollte vorsichtig herausfinden, was sie eigentlich wirklich wollten. Keswick hatte ja nur einen vagen Verdacht.“

„Fanden Sie Mister Brokens Argwohn bestätigt?“

„Wegen des Orkans ist es dazu gar nicht mehr gekommen, Mister Parker!“ „Bliebe noch Miß Pamely Clayton … Ist sie Ihnen ebenfalls bekannt?“

„Nein … Aber ich sage Ihnen ehrlich, daß ich es ihr einfach nicht abnehme, daß sie so harmlos ist wie sie tut!“

„Die Situation ist nach wie vor äußerst verwickelt“, meinte der Butler, „bliebe noch das Ehepaar Forest … Wieso ist es von Mister Broken eingeladen worden? Sie werden ihm entsprechende Fragen ja wohl gestellt haben.“

„Die Forests …!“ Kathy Lombard hob die Schultern, „aus diesem Ehepaar werde ich einfach nicht klug … Als ich Mister Broken danach fragte, wich er aus. Ich habe nur so viel mitbekommen, daß sie um ein paar Ecken mit ihm verwandt sein müssen. Aber wenn Sie mich fragen, Mister Parker, so halte ich das für eine Ausrede, die mich nicht überzeugen kann!“

„Falls man Verwandte dieser Provenienz einlädt, müssen schon mehr als triftige Gründe vorliegen“, sagte Parker und nickte andeutungsweise. „Haben Sie besondere Wünsche, wohin Sie gebracht werden möchten?“

„Bringen Sie mich dahin, wo ich vor dem Mörder sicher bin“, sagte Kathy Lombard …

*

„Ich habe ja solch eine schreckliche Angst“, sagte Ethel Forest, als Mike Rander durch das seichte Wasser hinauf zum Sandstrand stieg. Rander fühlte sich zwar immer noch schwach auf den Beinen, doch die Aussicht, etwas tun zu können, belebte ihn immer mehr.

„Was ist denn passiert, Mrs. Forest?“ fragte Rander.

„Ich … Ich glaube, John und ich haben einen Toten gesehen.“

„Wie, bitte!?“

„Einen Toten“, sagte sie und duckte sich ängstlich dabei. „Ich glaube, Mister Keswick ist ermordet worden!“

„Wo ist er!?“

„John hält Wache. Und ich glaube, er fürchtet sich sehr … Würden Sie mitkommen? Allein hätte ich zuviel Angst dazu!“

Mike Rander folgte Mrs. Ethel Forest in das dichte Unterholz. Und er dachte nicht einen Moment lang an die Möglichkeit, daß sie vielleicht ein doppeltes Spiel trieb …

*

„Was sie gesagt hat, stimmt“, erklärte Paul Broken.

Er und sein Kapitän Curson hatten sich auf den Lavafelsen zurückgezogen und fühlten sich hier einigermaßen sicher. Kathy Lombards Wunde war oberflächlich verbunden worden. Sie blutete nicht mehr und hatte sich beruhigt.

„Ich darf also noch einmal wiederholen“, schickte der Butler voraus, „Sie glauben, daß Keswick Sie umbringen will?“

„Das ist für mich vollkommen klar …

„Und seine Gründe, wenn ich so knapp fragen darf?“

„Ich will ihn aus der Firma haben“, antwortete Broken rundheraus, „und ich gebe auch zu, daß ich Material gegen ihn habe. Er muß einfach aufstecken, ob er will oder nicht!“

„Warum wollen Sie Mister Keswick ausbooten?“

„Seine Geschäftspraktiken gefallen mir nicht. Und seine Nachtbars nicht und auch nicht seine verdammten Spielhöllen. Ich habe eine seriöse Firma. Ich kann es mir einfach nicht leisten, daß die Polizei immer wieder mit Keswick aneinandergerät … Sie glauben ja nicht, wie die Konkurrenz das ausschlachtet. Man verweist immer auf Keswick, wenn ich mal irgendwo groß und neu einsteigen will!“

„Ließ Mister Keswick sich denn nicht auszahlen?“

Broken lachte leise auf und schüttelte den Kopf.

„Im Gegenteil. Er will mich schlucken!“

„Durch die heimlichen Aktienkäufe?“

„Das auch, Parker … Aber noch einfacher ist es für ihn, wenn mir etwas passiert, verstehen Sie? Er hat dann das Vorkaufsrecht, was meinen Geschäftsanteil angeht!“

„Sie sind davon überzeugt, daß Mister Keswick Sie anonym mit dem Tode bedroht hat?“

„Sehr fest sogar, Parker … Das lasse ich mir einfach nicht ausreden.“

„Warum sollte er Sie vorwarnen, wenn er Sie umbringen will?“

„Reiner Nervenkrieg, Parker! Er will mich damit unsicher und nervös machen. Und er hat es fast geschafft.“

„Was haben Sie für Ihre Sicherheit getan, wenn ich diese Zusatzfrage stellen darf?“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie haben sich doch nicht nur an die Agentur Midway gewandt und sich damit begnügt, Miß Kathy Lombard zu engagieren, nicht wahr?“

„Ach so … Sie denken an eine Art Leibwache, nicht wahr?“

„Das wäre das richtige Stichwort, Mister Broken.“

„Ich hatte mir Deering zugelegt, aber der hat wohl nicht genug auf sich selbst aufgepaßt.“

„War Mister Deering Ihr einziger Schutz?“

„Deering war mir als erstklassig empfohlen worden.“

„Würden Sie mir weitere Fragen beantworten?“ Parkers Fragen kamen überraschend knapp und konzentriert Mike Rander hätte sich darüber wahrscheinlich gewundert.

„Fragen Sie nur, Parker! Ich will, daß die Fronten endlich einmal geklärt werden.“

„Aus welchen Gründen luden Sie das Ehepaar Forest ein?“

„Wieso wundern Sie sich darüber, Parker?“

„Das Ehepaar Forest paßt meiner bescheidenen Ansicht nach nicht in den Rahmen des geplanten Ferientrips …“

„Das stimmt!“ Broken lachte fast ungezwungen auf, „die Forests wirken etwas sauertöpfisch, das wollen Sie damit doch sagen, oder?“

„Die Antwort auf meine Frage, Sir, wenn ich höflich erinnern darf.“

„Sie sind verdammt hartnäckig, Parker. Also schön! Die Forests führen mir normalerweise den Haushalt. Sehr einfach, wie?“

„Seit wann, Mister Broken?“

„Seit … seit ein paar Wochen. Ich habe sie für mein Haus in Honolulu engagiert … Sie wissen doch, daß ich Junggeselle bin.“

„Demnach wollten Sie diesem Ehepaar nur eine Freude bereiten. Habe ich dies richtig interpretiert?“

„Genauso, Parker! Man muß ja ein Herz für seine Angestellten haben.“

„Sie sind demnach das, was man einen sozial empfindenden Arbeitgeber nennen müßte.“

„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Parker?“ Broken sah den Butler mißmutig an.

„Den mir selbst gesteckten Rahmen würde ich niemals sprengen, Sir“, gab Parker steif zurück. „Da es sich um Ihre Hausangestellten handelt, wundere ich mich allerdings sehr, daß die Eheleute Forest ihre eigenen Wege gehen.“

„Die haben vielleicht noch mehr Angst als ich!“ Broken lachte etwas schrill. „Wer kann hier schon wem trauen? Man zweifelt ja schon an sich selbst!“

*

Parker hatte Broken, Curson und Kathy Lombard verlassen.

Als er zurück zur Lagune ging, hörte er plötzlich seinen Namen. Er blieb sofort stehen.

Ethel Forest winkte aufgeregt und kam keuchend näher.

„Mister Keswick …“, sagte sie kurzatmig, „Mister Keswick … Ich glaube, er ist ermordet worden!“

„Würden Sie bitte vorausgehen“, sagte Parker nur knapp. Er wartete, bis Ethel Forest sich umgedreht hatte. Dann folgte er ihr. Weit brauchten sie nicht zu gehen.

Vor einem Gewirr von Palmenstämmen, die vom Orkan wie Streichhölzer durcheinandergewirbelt worden waren, blieb Ethel stehen und deutete in das Chaos.

„Dort … Dort liegt er!“ sagte sie dann, „mein Mann hält die Wache!“ „Würden Sie Ihren Gatten freundlicherweise rufen, Madam?“

„John!“ rief sie, „John … Ich habe Mister Parker gefunden … John, so melde dich doch! Mister Rander!?“

„Mister Rander!?“ Parker sah Ethel erstaunt an, was sich daran zeigte, daß sich seine linke Augenbraue leicht anhob, „sagten Sie gerade Mister Rander?“

„Ja, er muß auch dort drüben sein. Ich alarmierte ihn vom Strand aus.“

„Weder Ihr Gatte noch Mister Rander scheinen anwesend zu sein“, stellte der Butler fest, „sind Sie sicher, die richtige Stelle gezeigt zu haben?“

„Natürlich“, sagte sie und erregte sich leicht, „natürlich, ich weiß es genau! Es wird doch nicht schon wieder etwas passiert sein?

„Sicherheitshalber werde ich nachsehen. Gedulden Sie sich bitte einen Moment, Madam!“

Josuah Parker setzte sich sehr geschickt von Mrs. Forest ab, stieg in das Gewirr der Palmenstämme und suchte nach Keswick. Viel Zeit brauchte er nicht dazu.

Keswick lebte!

Er blutete aus einer Rückenwunde und war sehr schwach.

„Gott sei Dank“, murmelte er, „ich dachte schon, jetzt sollte ich endgültig umgebracht werden …“

„Wer hat Sie angegriffen?“

„Ich weiß nur, daß es eines der Mädchen war“, sagte Keswick, „es ging alles so schnell … Bevor ich überhaupt reagieren konnte, rammte mich schon die Harpune!“

Er deutete auf eine Unterwasserharpune, die er gegen einen Palmenstamm gelehnt hatte.

„Ist Ihnen bekannt, wohin Mister Forest und Mister Rander gegangen sind?“

„Ihr Chef sagte etwas von Pamela.“ Keswick rutschte ein wenig in sich zusammen und stöhnte. „Er meinte, Sie, Parker, hätten sie mit einem Harpunengerät gesehen …“

„In der Tat“, bestätigte Parker, „dies entspricht den Tatsachen … Sobald ich Ihre Wunde versorgt habe, werde ich Mister Rander folgen …“

„Es geht ja schon“, sagte Keswick, als Parker sich um ihn kümmern wollte. Doch der Butler blieb hartnäckig. Er kontrollierte den Einschuß und stellte fest, daß die Wunde bereits verharscht war.

„Ich werde Ihnen Mrs. Forest schicken“, sagte Parker und lüftete die Melone, „ich hoffe, daß auf diesem Eiland bald Ruhe und Frieden einziehen werden!“

Mister Forest war viel zu eifrig, wie Rander verärgert feststellte. Sie hatten sich tatsächlich ein gutes Stück an Pamela Clayton heranarbeiten können. Sie saß auf der Nordseite der kleinen Insel auf einem vorspringenden Felsen und sah auf das Meer hinaus. Irgendwie hatte Rander den Eindruck, daß sie mit ihren Gedanken weit, weit weg war.

Und es war unverkennbar, daß sie das Harpunenabschußgerät in der Hand hielt.

John Forest vergaß für einen Moment seinen kleinen Bauch und fühlte sich wohl als Einzelkämpfer. Er sprang aus der Deckung hervor und rannte dann auf Pamely Clayton zu.

Sie merkte kaum etwas, zumal Forests Schritte von der dröhnenden Brandung übertönt wurden. Dann aber schien sie gespürt zu haben, daß Gefahr drohte. Sie nahm den Kopf herum, sah Forest und griff blitzschnell nach dem Unterteil der Harpune.

„Sie haben Keswick umgebracht!“ schrie Forest aufgebracht, „dafür werden Sie hängen!“

Pamela Clayton zog sich weiter auf den Felsen zurück. Sie richtete die Spitze der gespannten Harpune auf Forest, der jetzt sicherheitshalber stehengeblieben war.

„Geben Sie auf! Freiwillig!“ schrie Forest und übertönte die Brandung, „werfen Sie die Harpune weg!“

Pamela lachte. Dann zog sie sich noch weiter auf den steilen Felsen zurück. Forest wurde wieder mutig und folgte ihr.

„Warten Sie, Forest!“ rief Rander, „bleiben Sie stehen! So warten Sie doch! Machen Sie doch keinen Blödsinn!“

Forest war wie von Sinnen.

Er hob ein paar Felsbrocken auf und schleuderte sie auf Pamela Clayton. Er warf erstaunlich zielsicher. Schon der zweite Stein traf Pamela an der Schulter.

„Forest! Zurück!“ Rander sah, daß Pamela sich nicht weiter zurückdrängen lassen wollte. Forest schien überhaupt nichts gehört zu haben. Er drang immer weiter auf sie ein. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich von Sekunde zu Sekunde.

Als Forest wieder Steine nach Pamela warf, dann loslief, um sie im Nahkampf zu überwältigen, verlor Miß Clayton die Nerven. Sie zielte und schoß!

Die Harpune zischte dicht an Forest vorbei, der sich im letzten Augenblick überraschend geschickt und geistesgegenwärtig zur Seite geworfen hatte. Die Harpune krachte gegen einen Felsen, und ihr Schaft zersplitterte.

Forest stand hastig wieder auf und griff weiter an.

Pamely Clayton wandte sich um und flüchtete bis an die äußerste Spitze des Felsens. Dann drückte sie sich ab, vollführte einen sehr gekonnten Kopfsprung und verschwand in der Brandung.

„Das überlebt sie nicht …“, sagte Rander. Er hatte endlich eingeholt und blieb schwer atmend neben ihm stehen.

„Dort … Dort ist sie!“ Forest deutete nach unten. Pamela Clayton hatte die Brandung unterschwommen und befand sich nun parallel zur Steilküste. Innerhalb weniger Minuten verschwand sie hinter einer vorspringenden Felsnase.

„Wer hätte das gedacht“, meinte Forest und schüttelte nachdenklich den Kopf, „dabei hielt ich Miß Clayton für ein besonders nettes Mädchen. Hätten Sie geglaubt, daß sie eine Mörderin ist!?“

*

„Eine erstaunliche Geschichte“, sagte Josuah Parker, nachdem sein junger Herr die Erzählung beendet hatte. „Miß Pamela Clayton als Mörderin! Ich muß ehrlich einräumen, Sir, daß ich beeindruckt bin.“

„Und ich erst, Parker!“ Rander massierte sich das unrasierte Kinn. „Jetzt brauchen wir sie nur noch zu finden, dann dürfte auch dieser Fall erledigt sein.“

„Ich bin davon überzeugt, Sir, daß man der Mörderin eine Falle stellen kann …“

„Und wie soll die aussehen?“

Rander und Parker hatten sich von den übrigen Schiffbrüchigen zurückgezogen und befanden sich wieder auf dem Heck der „Seejungfrau“.

„Man müßte Mister Broken diskret überwachen, Sir!“

„Broken? Glauben Sie denn, auch er würde noch angegriffen werden?“

„Ich rechne fest damit, Sir!“

„Moment mal, jetzt komme ich nicht mehr so recht mit, Parker. Wieso auch Broken? Ist Pamela Clayton denn eine Amokläuferin? Was hat sie von den Morden?“

„Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich Ihnen meine Theorie unterbreiten, die allerdings keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit erheben kann.“

„Da bin ich aber gespannt, Parker … Ich lasse mich überraschen. Was haben Sie ausgebrütet?“

„Mir gefallen verschiedene Dinge nicht, Sir … So zum Beispiel die Wunde in Mister Keswicks Rücken.“

„Wieso denn das? Er kann noch von Glück sagen, daß die Harpune ihm nicht das Lebenslicht ausgeblasen hat.“

„Diese Wunde, Sir, ist nur oberflächlicher Natur!“

„Sie meinen, sie sei nur vorgetäuscht worden?“

„In der Tat, Sir … Diese Wunde wurde Keswick nur zum Schein beigebracht.“

„Und von wem?“

„Von dem Ehepaar Forest, Sir!“

„Aber das sind doch reine Vermutungen, Parker!“ Rander sah seinen Butler entrüstet an. „Wie kommen Sie zu dieser Behauptung? Sie muß sich doch auf irgendwelche Tatsachen gründen.“

„Gewiß, Sir. Ihrem Bericht über Miß Pamela Clayton entnehme ich, daß Mister Forest sich als ein sehr beherzter und angriffslustiger Mensch entpuppte.“ „Weil er keine Ahnung hatte, wie gefährlich eine Harpune ist.“

„Ich bedaure unendlich, Sir, widersprechen zu müssen. Weil Mister Forest durchaus wußte, wie gefährlich solch eine Harpune ist. Ich bin fest davon überzeugt, daß er Miß Pamela Clayton nur deswegen so bedrängte, um sie zu diesem Schuß zu verleiten.“

„Sie meinen, er hätte mir etwas vorgespielt?“

„Ich fürchte, Sir, daß es so gewesen ist.“

„Nun weiter … Das allein überzeugt mich nicht.“ Rander wirkte etwas verstimmt.

„Ich erinnere an das Verhalten von Mrs. Ethel Forest, Sir. Sie erwies sich in den vergangenen Stunden als eine überaus beherzte Frau …!“

„Gibt es solche Frauen etwa nicht?“

„Gewiß, Sir … Aber in Anbetracht der unsicheren Zustände auf dieser Insel hätte sich eine Haushälterin wie Mrs. Ethel Forest wesentlich zurückhaltender und ängstlicher zeigen müssen. Das Gegenteil war der Fall … Sie genierte sich nicht, mitten in der Nacht durch den Palmenwald und durch das Unterholz zu gehen … Diese Selbstsicherheit und Furchtlosigkeit kann meines Erachtens nur einen einzigen Grund haben.“

„Schön, lassen Sie die Bombe platzen, Parker! Sie wissen wieder einmal alles besser.“

„Durchaus nicht, Sir … Aber ein alter Mann beobachtet vielleicht etwas schärfer … Mrs. Forest bewegte sich deswegen so furchtlos, weil sie den Mörder und geheimnisvollen Schützen kennt, der die schallgedämpfte Waffe verwendet.“

„Sie selbst also!?“

„Oder Mrs. Forests Gatte, Sir!“

„Angenommen, Sie liegen richtig mit Ihrer Theorie, Parker, für wen sind die Forest dann aber tätig?“

„Für Mister Keswick, Sir …!“

„Aber Sie haben mir doch gesagt, daß sie von Broken angestellt worden sind.“

„Sie müssen für Mister Keswick tätig sein, Sir, sonst hätte Mister Keswick den angeblichen Schuß mit der Harpune nicht überlebt … Ihr Ziel ist es, Mister Broken zu töten. Und dafür hat Mister Keswick ausreichende Motive!“

„Okay, Parker … Klingt gut, was Sie da sagen. Überwachen wir also Broken. Ich bin gespannt, ob Ihre Theorie sich auch mit der harten Praxis verträgt!“

*

Es war dunkel geworden.

An Deck der „Seejungfrau“ befanden sich Mike Rander und Josuah Parker, oder besser gesagt, ihre Doppelgänger in Form der aufgeblasenen Gummipuppen.

Das leichte Schwanken des Wracks vervollständigte die Illusion. Die beiden Gummipuppen bewegten sich ein wenig. Vom Strand aus mußte man unbedingt den Eindruck haben, daß Rander und Parker sich auf dem Heck befanden.

In Wirklichkeit hatten Rander und sein Butler sich aber längst abgesetzt und Position bezogen. Unhörbar hatten sie sich an Broken, Curson und Kathy Lombard herangepirscht, die es sich auf dem Lavafelsen den Umständen entsprechend bequemgemacht hatten.

Sie unterhielten sich leise miteinander, doch es war nicht zu verstehen, worüber sie sprachen. Sie beobachteten die Niederung unterhalb des Felsens, den Bachlauf, das kleine Sumpfgelände und den Anfang des Palmenwaldes. Nur von dort her erwarteten sie Gefahr und Überraschungen.

Mike Rander und Josuah Parker hatten den Lavafelsen von der Seeseite her bestiegen. Sehr vorsichtig, langsam und geräuschlos.

Unterhalb des stumpfen Gipfels – er war vom Niveau der Insel aus gesehen höchstens 60 bis 70 Meter hoch – hatten Parker und sein junger Herr sich auf die Lauer gelegt. Sie warteten nun auf das Erscheinen von Mrs. und Mister Forest.

Rander hatte Zeit und Gelegenheit, sich Parkers Worte noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Je mehr er über sie nachdachte, desto mehr neigte er dazu, seinem Butler recht zu geben. Die Gedankenkette war zwingend logisch, wenn die Beweise vorerst auch noch fehlten.

Parker richtete sich plötzlich auf und tippte seinen jungen Herrn an. Dann deutete er nach unten.

Rander hörte jetzt ein schwaches Geräusch. Kamen die Forests, um ihren Plan im Auftrag von Keswick auszuführen?

Parker hatte Blasrohr, Gabelschleuder und seinen Colt zurechtgelegt. Er wartete darauf, diese Waffen sinnvoll einzusetzen. Ihm ging es darum, den oder die Mörder so einzufangen, daß sie auch noch in der Lage waren, ihre Aussagen zu machen.

Rander zuckte zusammen, als dicht unter ihm wieder solch ein feines Scharren zu hören war. Demnach kamen die Forest ungemein schnell nach oben.

Er spannte seine Muskeln, versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen und sah dann tatsächlich die Umrisse einer Gestalt, die schnell und geschickt hinauf zum abgestumpften Gipfel stieg.

Rander nickte seinem Butler zu und drückte sich dann ab. Er hatte genau gezielt.

Mit einem gekonnten Schlag setzte er den nächtlichen Kletterer außer Gefecht. Und schleifte ihn dann hinauf auf das kleine Plateau des Gipfels.

„Ich … Ich fürchte, wir haben nicht den Richtigen erwischt“, sagte er dann und konnte ein glucksendes Lächeln nicht unterdrücken, „ich glaube, Parker, diesmal haben Sie aufs falsche Pferd gesetzt. Leuchten Sie mal das Gesicht an!“

Eine Kugelschreiber-Taschenlampe, über die der Butler selbstverständlich verfügte, wurde eingeschaltet. Dann leuchtete der Butler das Gesicht des Gefangenen an. Ein leichtes Hüsteln Parkers zeigte an, daß er selbst überrascht war.

„Pamela Clayton!“ Rander grinste unverhohlen. „Damit haben Sie bestimmt nicht gerechnet, Parker, wie!?“

„Der Wahrheit die Ehre, Sir, nein!“

„Und jetzt?“

„Ich bin betroffen, Sir, was mich nicht davon abhalten wird, mit Miß Clayton ein Gespräch zu führen, sobald sie wieder zu sich gekommen ist!“

„An die Forests denken Sie wohl überhaupt nicht mehr, wie?“ Randers Stimme ließ Triumph erkennen, obwohl er nach wie vor sehr leise redete, damit er von Broken, Curson und Kathy Lombard auf der anderen Seite des Lavafelsens nicht gehört werden konnte.

„Wenn Sie einverstanden sind, Sir, werde ich Miß Pamela Clayton zum Wrack bringen!“

„In Ordnung! Aber stolpern Sie unterwegs nicht über Ihre Theorie, Parker!“

*

„Bleiben Sie ganz ruhig stehen, Parker!“ sagte Ethel Forest und trat hinter Parker, „heben Sie die Arme! Falls Sie mich überraschen wollen, werde ich sofort schießen!“

Parker blieb stehen und hob die Arme. Er und Pamela Clayton waren auf der Landzunge, nicht weit vom Wrack der „Seejungfrau“ von den Forests überrascht worden.

„So, und jetzt hinlegen, Parker!“

Sie führte offensichtlich das Kommando. John Forest führte nur das aus, was sie ihm auftrug. So zum Beispiel das Binden von Parkers Händen, nachdem er dies schon bei Pamela getan hatte.

Danach mußten Parker und Pamela Clayton bis an das äußerste Ende der Landzunge weitergehen. Hier durften und mußten sie sich in den Sand setzen.

„Mein Kompliment, Mrs. Forest“, sagte Parker, „Sie haben selbst meine kühnsten Erwartungen weit übertroffen.“

„Soll das heißen, daß Sie uns durchschaut hatten?“ Mrs. Ethel Forest lachte trocken auf.

„Er schwafelt doch nur herum“, schaltete John Forest sich ein. Er trug das Harpunengerät in der Hand, das er Pamela Clayton abgenommen hatte. Mrs. Forest hielt einen schallgedämpften Revolver in der Hand. Sie operierte mit ihm sehr fachmännisch, wie Parker im Licht des Mondes sah.

„Laß’ ihn erzählen“, meinte Ethel Forest, „ich möchte wissen, was wir später von Rander zu halten haben.“

Josuah Parker zierte sich nicht und entwickelte noch einmal seine Theorie. Er tat dies in seiner gewohnt umständlichen Art und brauchte daher viel Zeit. Doch dagegen schienen Mister und Mrs. Forest überhaupt nichts zu haben.

„Seit wann hatten Sie uns in Verdacht“, wollte Ethel Forest wissen.

„Nach den ersten schallgedämpften Schüssen schon“, erwiderte Parker. „Sie benahmen sich einfach zu furchtlos und unbeteiligt!“

„Das werden John und ich uns merken müssen, Parker!“ Ethel blieb sachlich, ihr Mann lachte leise. „Im übrigen stimmt es, was Sie gesagt haben.“

„Mister Keswick hat Sie also seinem Partner Broken untergeschoben, wenn ich es so ausdrücken darf?“

„Zuerst machte er ihn durch die anonymen Anrufe nervös, dann wurde Broken empfohlen, sich Leibwächter zu nehmen … Es war eine Kleinigkeit, an ihn heranzukommen!“

„Ich möchte nicht unhöflich sein“, schickte Parker voraus, „aber Sie sind doch das, was man gemeinhin in Kreisen der Unterwelt Killer nennt, nicht wahr?“

„Richtig!“ sagte Ethel Forest. „Sie sind überhaupt nicht unhöflich, ich glaube, daß John und ich sehr erfolgreich waren. Sie müssen doch zugeben, daß unsere Tarnung einfach nicht zu überbieten ist!“

„Wie wahr!“ meinte Parker. „Sie hatten also im Grunde nur den einen Auftrag, Mister Broken zu ermorden, damit Keswick wieder frei handeln konnte.“

„Richtig, Mister Parker! Die kleinen Morde am Rande dienten nur dazu, Verwirrung zu stiften und Keswick und uns abzuschirmen!“

„Deswegen mußte Mister Edwards also sterben?“

„Richtig!“ sagte sie wieder sehr trocken und sachlich, als bestätige sie eine Durchsage. „Edwards hatte wieder Unterlagen an Broken verkauft. Sein Tod war eine wichtige und beschlossene Sache.“

„Und der Mord an Jeff Deering?“ „Deering war von Broken als Leibwächter engagiert worden. Er war einfach zu neugierig geworden, nicht wahr, John?“

„Er durchschaute uns. Profis erkennen einander sehr schnell“, erklärte John Forest und lachte dann leise. „Dafür hatte er aber einen schnellen Tod.“

„Und den Schlüssel zu Mister Brokens Kabinensafe!“ Parker nickte nachdrücklich.

„Zu diesem Thema werden wir gleich noch kommen“, sagte Ethel Forest und richtete sich auf, „warum wir May Owen erledigen mußten, war ja wohl klar. Der Aktenkoffer war wichtiger als Sie!“

„Alle weiteren Überraschungen dienten also nur der Ablenkung“, nahm Parker diesen Teil der Erklärung wieder auf, „das Harpunieren, das plötzliche Schießen auf Mister Rander und auf meine Wenigkeit. Das Ungeheuer am Strand und schließlich die Jagd auf Pamela Clayton.“

„Sie müssen zugeben, Parker, daß uns dies sehr gut gelungen ist, nicht wahr?“ „Ich muß Ihnen meine Anerkennung zollen. Sie waren sehr aktiv und sehr schnell! Ich möchte nur wissen, warum sie eine Schußwaffe vergruben? Ich beobachtete Sie dabei!?“

„Weil wir wußten, daß Sie uns zusahen!“ John Forest kicherte jetzt fast animiert, „das war Ethels Idee. Das hat Sie wohl sehr irritiert, oder?“

„Zugegeben! Darf ich mich nach dem Riegel an der Kabinentür erkundigen?“

„Richtig!“ Ethel Forest nickte, „es wäre für Sie schmerzloser gewesen, wenn Sie mit ihrem Mister Rander untergegangen wären. Aber das Schicksal hat es wohl anders gewollt.“

„Darf man erfahren, ob Sie Mister Keswick gegenüber fair bleiben werden?“

„Damit sind wir beim Thema!“ sagte Ethel und beugte sich zu Parker hinunter, „wo sind die Negativfotos, Parker? Antworten Sie schnell, sonst werden Sie sehr langsam sterben!“

„Sie haben die Fotos also schon vermißt?“

„Um sie allein geht es. Und wir wissen, daß Sie sie haben.“

„Durchaus richtig, aber sie befinden sich an einem sicheren Ort.“

„Den Sie uns schnell verraten sollten, Parker …!“

„Sie wollen mich doch so oder so umbringen, Mrs. Forest, oder irre ich mich da?“

„Sie werden sterben, aber das können Sie relativ schmerzlos haben.“

„Wie stellen Sie sich meinen Tod vor? Ich möchte gern wissen, wie Sie die Details geplant haben.“

„Miß Pamela, unsere allseits so gesuchte Mörderin, wird Sie mit der Harpune erledigen, aber Sie schaffen es noch vor Ihrem Tod, sie niederzuschießen. Später wird man bei Miß Pamela den schallgedämpften Revolver finden!“ „Muß Broken nicht noch vorher dran glauben?“

„Selbstverständlich! Das ist ja unser eigentlicher Auftrag, für den wir von Mister Keswick sehr gut bezahlt werden.“

„Und auf wessen Konto geht dieser Mord?“

„Lassen Sie das unsere Sorge sein, Parker“, Ethel Forest wurde nun doch etwas ungeduldig, „vielleicht schieben wir diesen Mord Kapitän Curson in die Schuhe. Ein Motiv hat er ja, schließlich wurde er von Broken sehr schlecht behandelt … Bleiben wir bei den Negativen. Wo sind sie?“

„Sofort, Mrs. Forest. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch wissen, ob Mister Keswick diese Negative je erhalten wird?“

„Ethel und ich werden daraus ein Privatgeschäft machen und Keswick zur Ader lassen. Aber das wird Sie dann längst nicht mehr kratzen, Parker!“

„Wo sind die Negative?“ Ethel hatte plötzlich die Harpune in der Hand und senkte die Spitze auf Parkers Brust, „Schon gut, Mrs. Forest …“ Parker sprach überraschend gehetzt und schnell, „in meiner Geheimtasche! Ein Brustbeutel, … sie müssen mir das Hemd aufknöpfen!“

Sie vergaß jetzt jede Vorsicht. Sie warf sich förmlich auf den Butler und grapschte nach dem Brustbeutel. Sie riß ihn Parker vom Hals, befingerte ihn und nickte. Sie hatte deutlich gefühlt, daß sich in dem Brustbeutel irgendwelche steifen Papiere befanden, die sie für die Negative hielt.

Als sie den Brustbeutel öffnete, erlebte sie eine böse Überraschung!

Parkers Hände schossen nämlich plötzlich vor und drückten die Frau zur Seite. Sie schrie auf und wollte mit dem Revolver auf ihn zielen, verhakte den langen Schalldämpfer jedoch in einem Zweig. Sekunden später war sie überwältigt. John rannte davon.

Parker, offensichtlich zu bequem, um die Verfolgung aufzunehmen, nahm seinen Universal-Regenschirm in die Hand, wog ihn aus und warf ihn in der Art eines Speerwerfers hinter dem Fliehenden her.

John ging in die Knie, stürzte und schrie erst dann auf, als er merkte, daß die Degenklinge, die Parker aus dem Schirm hatte hervorspringen lassen, in seinem Oberschenkel stak.

Er ließ sich leicht einfangen und stierte fassungslos auf seine Frau, die einen kleinen Blasrohrpfeil in der Hand hielt, den sie sich gerade aus dem Oberarm gezogen hatte. Parker hatte ihn ihr sicherheitshalber appliziert.

Sie schlief ohne Übergang ein und schnarchte bald darauf.

Parker nickte Pamely Clayton zu, die er inzwischen natürlich befreit hatte, griff nach einem der vielen Kugelschreiber und schoß eine Signalrakete in die Dunkelheit.

Sie platzte hoch über der Insel auseinander und fiel in vielen kleinen Sternchen hinunter auf die Palmen.

„Für Mister Rander, Miß Pamela“, erklärte der Butler, „er dürfte jetzt wissen, daß dieser Fall beendet ist. Ein vereinbartes Signal, das meine bescheidene Wenigkeit hoffentlich noch oft abschießen kann!“

„Sie sind sagenhaft“, meinte Pamela Clayton, „aber ich möchte jetzt wissen, was mit den Negativen ist. Was enthalten sie eigentlich?“

„Originalzahlen einer echten Bilanz, die Keswick dann fälschte, um Steuern einzusparen!“

„Er wird wohl nicht nur dafür büßen müssen, nicht wahr?“

„Bei Anstiftung zum Mord sind die Staatsanwälte und Geschworenen immer sehr empfindlich“, meinte Parker, „Keswick wird wie die Forests wohl bis an sein Lebensende hinter Zuchthausmauern verbringen müssen. Im Falle dieses seltsamen Ehepaares fürchte ich allerdings, daß das Urteil noch härter ausfallen wird!“

„Falls man uns je findet“, sagte Pamela und seufzte, „ist es nicht eigenartig, daß sich bisher noch nicht einmal ein Suchflugzeug hat sehen lassen!?“

„Absolut nicht“, erwiderte Parker, „ich hatte darum sogar sehr gebeten!“

„Wie bitte?“ Sie sah ihn entgeistert an.

„Seit gestern stehen Mister Rander und meine Wenigkeit im Funkkontakt mit den zuständigen Stellen“, sagte Parker fast beiläufig, „mein Spezialkoffer beinhaltet ein kleines Kurzwellengerät, das ungemein leistungsstark ist. Nachdem die Mörder hier tätig wurden, wurden Mister Rander und meine bescheidene Person gebeten, diesen Fall zu klären. Mit dem fahrplanmäßigen Eintreffen des Entsatzschiffes ist wohl morgen bei Sonnenaufgang zu rechnen! Früher ist es einfach nicht zu schaffen.“

„Also, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll!“ Sie hatte sich von ihrer Überraschung noch immer nicht erholt. „Sie sind staunenswert!“

„Sie beschämen einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann“, antwortete Parker …

- E N D E -

Butler Parker Paket 2 – Kriminalroman

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