Читать книгу Butler Parker Box 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
Оглавление»Ihre Ausdrucksweise mißfällt mir außerordentlich«, stellte Butler Josuah Parker fest. Ein verweisender Unterton in seiner beherrschten Stimme war unverkennbar. Steif und korrekt stand er vor der Anmeldung des kleinen, schäbigen Hotels. »Ob Mr. Harrison mich zu empfangen wünscht oder nicht, möchte ich, selbstverständlich mit Ihrer freundlichen Genehmigung, selbst von ihm hören.«
Der Mann hinter der Theke stieß ein gefährliches Knurren aus. Mißtrauisch zog er die Augen bis auf einen schmalen Spalt zusammen. In seinen Kreisen redete man nicht derart höflich oder kompliziert. Er fühlte sich leicht auf den Arm genommen, was seine an sich schon schlechte Laune nicht unerheblich steigerte. Der Nachtportier war gut und gern einen Kopf größer als der Butler.
Und dazu noch viel breiter und muskulöser. Die hochgerollten Ärmel des bunt bedruckten Hawaiihemdes gaben dicke Muskelschlangen frei.
Dieser Mann war gefährlich.
Das sah und spürte Butler Parker.
Doch er dachte nicht im Traum daran, die enge und schlecht beleuchtete Halle des kleinen Hotels zu verlassen.
Abwartend sah Josuah Parker sein Gegenüber an. Der Muskelprotz überlegte noch, was er tun sollte. Und er rätselte gleichzeitig darüber nach, wer der Mann vor der Theke wohl sein könnte.
Nun, Josuah Parker paßte nicht in diese Umgebung. Hier wurde die Nachlässigkeit groß geschrieben. Josuah Parker hingegen zeigte sich korrekt gekleidet wie immer. Trotz der drückenden Schwüle an diesem späten Nachmittag war er ganz in Schwarz gekleidet. Melone und Regenschirm vervollständigten seinen Anzug.
Josuah Parker wirkte in dieser seltsamen Aufmachung wie ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Er sah sehr harmlos aus und schien zu den Menschen zu gehören, die grundsätzlich kein Wässerchen trüben können.
Der Muskelprotz war inzwischen zu einem Resultat gekommen. Langsam umschritt er die Theke, breit grinste er den Butler an. Doch in seinen noch engen Augen glitzerte die Tücke.
»Putz’ endlich die Platte …!« redete er den Butler noch einmal an. Überraschend sanft klang die Stimme. »Harrison ist für dich nicht zu sprechen Das reicht doch, oder …?«
»Ich protestiere in aller Form«, antwortete Josuah Parker ohne ein Zittern in der baritonal gefärbten Stimme. »Ich werde mich bei der Hotelleitung beschweren müssen …!«
»Na, dann eben nicht …!«
Der Muskelprotz stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er hatte schon befürchtet, der Besucher könnte gehen, ihn damit um seinen Spaß bringen.
Er visierte die schwarze, steife Melone auf Parkers Kopf an. Ihm schwebte vor, sie mit einem harten Fausthieb über Parkers Ohren zu treiben. Eine durchaus verständliche Regung, da die Melone sich dazu ja förmlich anbot.
Seine breiten Pranken zuckten hoch. Die Lippen verzogen sich bereits zu einem ironischen Grinsen. Bevor die Hände jedoch die Melone erreichten, reagierte der Butler.
Der mit Blei präparierte Griff des schwarzen Regenschirms bewegte sich blitzschnell nach oben und traf genau die Kinnspitze des Nachtportiers.
Die Wirkung war überraschend. Ein auskeilendes Pferd hätte nicht härter schlagen können. Der Muskelprotz ächzte, verdrehte die Augen und ließ beide Arme fallen.
Im gleichen Moment senkte sich der Universal-Regenschirm des Butlers.
Die Schirmspitze traf die Zehen des linken Fußes. Da diese Spitze ungewöhnlich scharf war, wurden die Zehen nicht gerade sanft behandelt.
Automatisch knickte der Fleischberg zusammen, riß den mißhandelten Fuß hoch. Eine reine Instinkthandlung, die er nicht kontrollierte.
Darauf schien Josuah Parker nur gewartet zu haben.
Das Genick des Mannes bot sich ihm an. Er konnte einfach nicht widerstehen. Mit einem schnellen Handkantenschlag beendete Parker die unerfreuliche Diskussion.
Krachend fiel der Muskelprotz gegen die Holztheke, rutschte langsam an ihr herunter und blieb regungslos auf dem schmutzigen Steinboden liegen.
Mit sparsamen Bewegungen stieg Josuah Parker über den Mann. Er hing den Universal-Regenschirm an den gewohnten Platz am Unterarm und schritt gemessen der Treppe zu. Daß er gerade erst einen äußerst gefährlichen und kraftstrotzenden Gegner ausgeschaltet hatte, war ihm überhaupt nicht anzusehen. Selbst sein Atem ging um keine Nuance schneller.
Im Korridor der ersten Etage bog er nach links ab. Vor dem Zimmer mit der Nummer 12 blieb er stehen, klopfte kurz und diskret an. Abwartend trat er einen Schritt zurück.
Sein Klopfen blieb ohne Antwort.
Butler Parker wartete einige Sekunden, obwohl er bereits ahnte, daß Mr. Harrison ausgeflogen war. Dann griff er in die rechte Tasche seines schwarzen kurzen Covercoats und holte einen schmalen, blitzenden Gegenstand hervor. Er führte ihn in das Schlüsselloch hinein und … sperrte die Tür auf. Das geschah mit einer Schnelligkeit und Selbstverständlichkeit, die selbst einem versierten Einbrecher atemloses Staunen abgenötigt hätte.
Parker trat ein.
Mit einem schnellen, umfassenden Blick orientierte er sich. Alles deutete darauf hin, daß Mr. Joel Harrison ausgeflogen war. Der eintürige Schrank war weit geöffnet, zwei Schubladen der Kommode hingen heraus. Im Zimmer roch es nach warmem Zigarettenrauch. Aber auch nach einem aufdringlichen, süßlichen Parfüm der billigen Kaufhaussorte. Josuah Parker ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.
Um nur wenige Minuten war er zu spät gekommen.
Der Butler schloß die Tür, stieg nach unten in die schmale, muffige Hotelhalle.
Als er sie betrat, rappelte der Muskelprotz sich gerade hoch. Noch waren seine Augen leicht glasig. Er starrte den Butler wie eine überirdische Erscheinung an, schien krampfhaft nachzudenken, wann und unter welchen Begleitumständen er diesen ganz schwarz gekleideten Mann wohl gesehen hatte.
Er schaffte es nicht.
Parker verbeugte sich andeutungsweise, als er an dem Nachtportier vorbeischritt.
»Ich bedanke mich nachträglich für Ihre Freundlichkeit«, sagte Josuah Parker. »Für mich ist es immer wieder eine reine Freude, mit höflichen Menschen zusammenarbeiten zu können.«
Zusätzlich lüftete er seine schwarze, steife Melone.
In diesem Moment erinnerte sich der Fleischberg. Plötzlich wußte er, was passiert war.
Keuchend lehnte er sich gegen die Theke. Und starrte fassungslos dem Butler nach, der würdevoll wie ein Bischof die Halle verließ und die Straße betreten wollte.
Es kostete den Nachtportier sehr viel Anstrengung, ans Telefon zu kommen. Seine Hände zitterten noch, als er eine ganz bestimmte Nummer wählte.
»Endlich …!« seufzte er auf, als die Verbindung hergestellt war, »hier spricht Mac. Bestellt dem Boß, daß Harrison entdeckt worden ist. Ja doch, von so ’nem komischen Kerl. Wenn ich den erwische, mache ich Hackfleisch aus ihm.«
Er warf den Hörer in die Gabel und drehte sich langsam um. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als dicht vor ihm dieser ganz in schwarz gekleidete Mann stand.
Josuah Parker, der zurückgekommen war, verzog keine Miene.
»Ich stehe zu Ihrer Verfügung«, sagte er kühl »Wenn ich recht hörte, wollen Sie doch Hackfleisch aus mir machen. Übrigens eine Ausdrucksweise, die ich sehr verabscheue.«
Der Muskelprotz erstickte fast.
Er schloß für Bruchteile von Sekunden die Augen. Die Angst würgte ihn. Er hatte nicht die geringste Lust, noch einmal mit diesem unheimlichen Besucher anzubandeln.
Als er die Augen öffnete, war die schwarze Erscheinung verschwunden.
Da war der Nachtportier Mac Worland fest davon überzeugt, nur geträumt zu haben. Er brauchte aber einige doppelte Whisky, bis er wieder normal atmen konnte …!
Mike Rander, bekannter Anwalt und Strafverteidiger, bewohnte ein Penthouse in der Lincoln Park Avenue. Vom Dachgarten aus ging der Blick weit über den Michigan-See. Das Brausen des Verkehrs war hier oben in der Dachgartenwohnung des riesigen Apartment-Hauses kaum zu vernehmen. Mike Rander wohnte im Herzen der Riesenstadt Chikago und dennoch auf einer kleinen grünen Insel, die er sich auf dem Dachgarten hatte anlegen lassen. Das Penthouse glich einem kalifornischen Bungalow und bot allen Komfort. Darüber hinaus aber war es eine raffiniert gesicherte Festung, für die die Erfindungsgabe des Butlers verantwortlich zeichnete. Zu oft schon hatten rachsüchtige Gangs und Einzelverbrecher versucht, Mike Rander oder Josuah Parker zu überraschen und zu töten.
Die Gründe für solche Versuche waren mehr als zahlreich. Neben seiner Arbeit als Strafverteidiger war Mike Rander ein erstklassiger Kriminalist, der sogar von Bundesbehörden häufig um Rat angegangen wurde.
Anwalt Mike Rander konnte sich dieses Hobby durchaus leisten. Einmal, weil er finanziell ausgezeichnet abgesichert war, zum anderen, weil in seinem Anwaltsbüro erstklassige Mitarbeiter die Routinefälle erledigten.
Motor dieses Hobbys aber war der Butler Josuah Parker.
Vor Jahren hatte der knapp 38 Jahre alte Mike Rander drüben in England den Butler engagiert. Als Junggeselle brauchte Rander schließlich einen Menschen, der sich um sein leibliches Wohl kümmerte.
Nur nach langem Zögern hatte Josuah Parker zugestimmt. Als eingefleischter Engländer hielt er nicht besonders viel von Amerika. Und selbst jetzt nach Jahren war er ein eingefleischter Engländer geblieben. Und ein steifleinener, überaus korrekter Butler dazu. Daß er die Staaten inzwischen schätzte und liebte, ließ er sich grundsätzlich nicht anmerken.
Wenn Anwalt Mike Rander die Kriminalistik als Hobby betrachtete, so war sie für den Butler zu einer Leidenschaft geworden. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er seine Anlagen, baute sie aus, brachte sie zu einer atemberaubenden Perfektion.
Butler Josuah Parker war listenreich wie ein Fuchs, kannte alle Tricks und erfand immer wieder neue dazu. Er verblüffte seine Gegner mit Banalitäten, technischen Überraschungen und immensen Kenntnissen.
Gangster, die bereits Kontakt mit ihm gehabt hatten, fürchteten ihn wie die Pest. In einschlägigen Kreisen waren seine schwarze Melone und sein Regenschirm fast zu einem Mythos geworden. Selbst Anwalt Rander wurde aus seinem Butler nie ganz klug. Angebote, in Randers Firma als Teilhaber einzutreten, lehnte der Butler stets ab. Er war und blieb der treue Butler seines Herrn, der immer dann zur Stelle war, wenn man ihn brauchte. Und Josuah Parker war immer schnell zur Stelle. Auch wenn er sich einer barocken und reichlich umständlichen Ausdrucksweise bediente, die er selbst in den vertracktesten und gefährlichsten Situationen niemals aufgab.
Mike Rander wollte sich gerade an den Arbeitstisch setzen, als das Telefon klingelte. Da dieser Anschluß nur über eine Geheimnummer zu erreichen war, mußte es Parker sein. Rander hob den Hörer aus der Gabel und meldete sich. »Sir, ich bedaure es ungemein, Sie stören zu müssen«, begann Josuah Parker. »In Erledigung Ihres Auftrags begab ich mich in das bewußte Hotel, um Mr. Harrison einen Besuch abzustatten.«
»Trafen Sie ihn an?«
»Es ist mir peinlich eingestehen zu müssen, Sir, daß ich Mr. Harrison um nur wenige Minuten verpaßte. Durch eine glückliche Fügung des Zufalls wurde ich dann allerdings Zeuge eines Gesprächs, das der Nachtportier mit einem Mann führte, den er in vulgärer Art als ›Boß‹ bezeichnete.«
»Ist ja toll, Parker …! Hinter Harrisons Verschwinden steckt also doch eine Gang, oder?«
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich Ihnen beipflichten. Ich war in der erfreulichen Lage, mir die vom Nachtportier gewählte Telefonnummer merken zu können.«
»Parker, machen Sie’s bloß nicht so spannend. Wer versteckt sich hinter dieser Telefonnummer?«
»Ich nahm mir die Freiheit, das zu ergründen, Sir. Dieser Anschluß ist identisch mit einer Großhandlung für Südfrüchte aller Art. Die betreffende Firma gehört einem gewissen Mr. Walt Hostans. Sie befindet sich im Gebiet der Industriehäfen.«
»Kennen wir diesen Hostans?« erkundigte Mike Rander sich. Auf Parkers Gedächtnis konnte er sich verlassen.
»Ich kann leider nicht dienen, Sir.«
»Von wo aus rufen Sie jetzt an?«
»Um rationell zu arbeiten, Sir, fuhr ich sofort hinaus zu den Kais. Zur Zeit befinde ich mich in einer äußerst schmutzigen, öffentlichen Telefonzelle, genau gegenüber der Firma Hostans, die rein äußerlich einen recht ansprechenden Eindruck macht, wenn ich mir diese private Anmerkung vielleicht gestatten darf.«
»Natürlich, Sie dürfen«, antwortete Rander und grinste. »Wie ich Sie kenne, wollen Sie sich die Firma mal aus der Nähe ansehen, oder?«
»Sir, ich danke Ihnen für Ihr Verständnis«, gab Parker zurück.
»Ich sollte zu Ihnen rauskommen, Parker«, schlug Rander vor.
»Oh, ich möchte Ihre Zeit auf keinen Fall unnötig in Anspruch nehmen«, wehrte Parker das Hilfsangebot seines Herrn ab. »Mir ging es einzig und allem dämm, meine weiteren Schritte mit Ihnen, Sir, gründlich abzustimmen.«
»Also gut, sehen Sie sich mal um. Wenn Sie sich per Telefon nicht innerhalb der nächsten Stunde melden, werde ich eine Hilfsexpedition ausrichten, Parker. Inzwischen will ich mal mit meinen Freunden von der Polizei reden und mich nach diesem Walt Hostans erkundigen. Könnte ja sein, daß er dort registriert ist.«
Mike Rander legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Im Grunde paßte es ihm nicht, daß Parker wieder einmal allein und auf eigene Faust handelte. Die Gefahr war schließlich zu groß. Gangster, die sich beobachtet fühlen, reagieren immer hart und schnell. Gewiß, Butler Parker war alles andere als ein Anfänger, aber auch der Geschickteste kann schließlich stolpern und Pech haben.
Mike Rander sah auf seine Armbanduhr.
Es war 19.43 Uhr.
In genau einer Stunde lief die Frist ab, die er seinem Butler gestellt hatte. Hoffentlich meldete Parker sich schon viel früher. Rander hing schließlich an Josuah Parker, der für ihn weit mehr als nur ein Butler war.
Um die Zeit wenigstens in etwa auszufüllen, rief er das Hauptquartier der Stadtpolizei von Chikago an. Er ließ sich Leutnant Current von der Zentralen Mordkommission geben.
Nach wenigen Sekunden meldete sich eine harte Stimme. Sie erwärmte sich um eine Nuance, als Mike Rander seinen Namen nannte.
»Ich wette, ich muß wieder mal Kindermädchen spielen«, sagte Current. Sein Lachen klang wie das Bellen eines heiseren Hundes. »Sitzen Sie in Schwierigkeiten, Rander? Sind Sie mal wieder über eine Leiche gestolpert? Was muß ich ausbügeln?«
»Kennen Sie einen Walt Hostans?«
»Keine Ahnung, Rander. Was soll er ausgefressen haben?«
»Noch weiß ich das nicht. Parker interessiert sich für diesen Namen.«
»Parker …?« Verblüffung herrschte auf der Gegenseite. Wenn Parkers Name erwähnt wurde, stutzte selbst der eisenharte Leutnant Current. Dann witterte auch er sofort einen Fall, der früher oder später durch die Tageszeitungen ging. »Hören Sie, Rander, was liegt da bei euch an, he? Ich habe keine Lust, wieder mal vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Diesmal nicht …!«
»Nichts ist los, Current«, antwortete Mike Rander harmlos. »Wir stolperten rein zufällig über diesen Namen. Hätte ich Sie sonst angerufen?«
»Na ja …! Ich werde im Archiv nachfragen, Rander. In spätestens zehn Minuten rufe ich wieder an.«
Der Anwalt bedankte sich und legte auf. Er war nicht besonders verwundert, als Current später anrief und ihm mitteilte, ein Walt Hostans sei der Polizei unbekannt.
Was besagte das denn schon …? Hauptsache war, Josuah Parker hatte die Spur dieses Mannes aufgenommen. Und wenn Parker sich für einen Menschen interessierte, dann bestimmt nicht ohne Grund …!
Josuah Parker verließ die Telefonzelle und überschritt die breite Fahrbahn.
Auf ihr herrschte gerade um diese Zeit ein toller Verkehr. Parker schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Steif und würdevoll wie ein nach Fröschen suchender Storch betrat er die Straße. Das Kreischen der Bremsen um ihn herum ignorierte er souverän. Er ging keinen Schritt schneller. Um ihn herum öffnete sich eine Gasse. Andeutungsweise nickend, sich damit bedankend, stelzte der Butler auf die andere Gehseite zu.
Hartgesottene Lastwagenfahrer, nervöse Menschen aus Fabriken und Büros starrten ihm nach. Auch sie glaubten eine Erscheinung aus einem vergangenen Jahrhundert vor sich zu haben. Wer trug denn schon hier in Chikago solch einen altertümlichen, schwarzen Covercoat, eine schwarze Melone und dazu noch einen altväterlich gewickelten Regenschirm? Und das bei dieser drückenden Schwüle …?
Butler Parker bog nach rechts ab, mischte sich unter die Passanten und blieb vor dem Tor zur Firma Walt Hostans stehen.
Das Pförtnerhaus war leer. Aber an der niedergelassenen Barriere stand ein untersetzter, etwa 50jähriger Mann, der eine Art Uniform trug.
Er kniff die Augen zusammen, als Parker plötzlich vor ihm stand.
»Ja …?« fragte er nur und rieb sich die Augen.
»Es ist mein dringender Wunsch, Mr. Hostans zu sprechen.«
»Wie war das …?« Der Pförtner schnappte nach Luft. »Sie wollen den Boß sprechen?«
»Man kann es auch so ausdrücken, wenngleich mir meine Version bedeutend besser gefällt.«
»Der Boß ist jetzt nicht zu sprechen.«
»Setzen Sie ihn bitte von meinem Wunsch in Kenntnis.«
Mehr sagte Parker nicht. Er sah den Pförtner ruhig an. Das reichte. Der untersetzte, massige Mann huschte wie ein flüchtendes Wiesel in das Pförtnerhäuschen und telefonierte. Nach wenigen Sekunden kam er zurück zur Barriere.
»Sie sollen raufkommen.«
Parker lüftete seine schwarze Melone und überquerte den Lagerhof, in dem einige Trucks und Thermoswagen standen. Arbeiter sah er nicht. Das vierstöckige Büro- und Lagerhaus am Ende des Grundstücks war bis auf einige Fenster unbeleuchtet.
Als Parker die Halle betrat, kam ihm ein hochgewachsener, schlanker, elegant aussehender Mann entgegen. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein, trug einen kleinen Schnurrbart und kleidete sich sehr teuer und sorgfältig.
»Wollen Sie mich sprechen?« fragte er den Butler. »Ich bin Walt Hostans.«
Seine grauen Augen ruhten prüfend auf Parker. Erstaunen ließ Hostans sich nicht anmerken.
»Mein Name ist Parker, genauer ausgedrückt, Josuah Parker, Sir. Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sie einige Minuten zu belästigen?«
Amüsiert verzogen sich die schmalen Lippen von Walt Hostans. Solch eine Anrede hatte er ganz sicher nicht erwartet.
»Natürlich, schießen Sie los …!«
»Darf ich mich erkunden, ob Ihnen ein Mr. Joel Harrison bekannt ist?«
»Joel Harrison?« fragte Hostans zurück, »wer soll das sein?«
»Dazu möchte ich mich, mit Ihrer Erlaubnis, erst später äußern«, antwortete Josuah Parker. »Erhielten Sie in der vergangenen Stunde einen Anruf, der aus dem ›Pewell-Hotel‹ kam?«
»Hören Sie mal, Mr. Parker, was sollen Ihre Fragen? Wer sind Sie eigentlich? Nein, ich meine natürlich nicht Ihren Namen. Mit welchem Recht stellen Sie mir diese Fragen?«
»Sie kennen das ›Pewell-Hotel‹ und seinen Nachtportier nicht?«
»Nein, zum Donnerwetter. Aber jetzt will ich endlich wissen …«
»Sir, ich bedanke mich für Ihre freundliche Auskunft«, unterbrach Parker ihn mit sanfter Stimme. Er verbeugte sich, zog seine Melone und schwenkte sie grüßend durch die Luft. Dann wendete er sich um und ließ Walt Hostans einfach stehen
Der Inhaber der Früchtefirma brauchte einige Sekunden, bis er sich von seiner Verblüffung erholt hatte. Dann reagierte er allerdings sehr sauer. Mit schnellen Schritten eilte er dem Butler nach, faßte ihn an der Schulter und wirbelte ihn herum. Das heißt, er wollte Josuah Parker, den er für einen alten Mann hielt, herumwirbeln.
Seine Muskeln schafften es allerdings nicht. Parker schien sich plötzlich in eine Marmorstatue verwandelt zu haben. Erst als Hostans Hand von seiner Schulter abrutschte, drehte Parker sich um.
Milde und Freundlichkeit lagen auf seinem Gesicht.
»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie etwas von mir wollen«, sagte er.
»Ich will wissen … Zum Teufel, so können Sie mir nicht kommen …! Wer sind Sie eigentlich?«
»Da Sie meinen Namen bereits kennen, ihn also nicht noch einmal hören wollen, werde ich mich näher erklären müssen, Sir.« Parker nickte zustimmend. »Ich bin Kriminalist aus Leidenschaft. Zur Zeit beschäftige ich mich mit dem Verschwinden eines Mannes, der aus unverständlichen Gründen nicht in den Schoß seiner recht angesehenen Familie zurückkehren will. Ich hoffe, Ihnen damit ausreichend gedient zu haben, Sir.«
Erneut das höfliche Lüften der schwarzen Melone. Während Hostans noch an Parkers Worten herumkaute, hatte Parker sich wieder umgedreht und schritt würdevoll wie ein Premierminister zum Tor.
Diesmal verzichtete Hostans darauf, Parker noch einmal zu folgen. Er hob aber seinen rechten Arm und winkte dem Pförtner am Tor verstohlen zu. Parker, der ihm den Rücken zuwandte, konnte das natürlich nicht sehen. Handelte der Butler nicht etwas leichtsinnig?
Der Pförtner gab durch nichts zu erkennen, daß er die Handbewegung seines Chefs gesehen hatte. Er verschwand jedoch im Torhaus und beugte sich über ein Schaltbrett mit Klingelknöpfen und Drehschaltern.
Josuah Parker hatte das Tor noch nicht ganz erreicht, als der Pförtner wieder an der Barriere erschien. Er grinste den Butler an und hinderte ihn nicht daran, das Grundstück zu verlassen …!
*
Parker wußte natürlich längst Bescheid.
Zwar besaß er keine Augen im Rücken, doch ein kleiner Handspiegel hatte ihm das Zeichen Mr. Hostans genau verraten. Er konnte sich also an fünf Fingern ausrechnen, daß er ab sofort beschattet und verfolgt werden sollte.
Als höflicher Mensch tat Josuah Parker alles, dieses Vorhaben zu erleichtern. Er schritt langsam die belebte Straße hinunter. Vom See kam ein leichter, salziger Wind auf. Er war jedoch mit Feuchtigkeit geladen und brachte kaum Erleichterung.
Ein medizinisches Wunder, daß Josuah Parker in seiner schwarzen Kleidung nicht schwitzte. Wie er das machte, war und blieb ein Geheimnis.
Vor der Auslage einer Bücherei blieb Parker stehen.
Falls nun ein Beobachter auftauchte, hatte er es mit einer gut eingespielten und straff geführten Organisation zu tun. Er war sehr gespannt, wie der Fall sich weiter entwickelte.
Und richtig, schon nach wenigen Sekunden sah er neben sich einen jüngeren Mann auftauchen, der gelassen auf seinem Chewing-gum herumkaute und nur einen abfälligen Blick auf die Bücher warf. Warum blieb dieser junge Mann am Schaufenster stehen, wenn er von der Auslage nichts hielt?
Parker schritt weiter.
Steif und aufrecht, als habe er einen Ladestock verschluckt, bog er in eine enge Seitenstraße ein, die hinunter zu den Kaianlagen führte.
Hier war es bereits recht dunkel. Die hohen Mauern der Lagerschuppen schirmten sogar den Widerschein der Leuchtreklamen ab. Parker hörte hinter sich leise, schnelle Schritte.
Versuchte sein Beobachter aufzuholen? Wollte er vielleicht sogar zum Angriff übergehen?
Jeder andere Mensch wäre stehengeblieben, hätte Verteidigungsstellung bezogen.
Aber nicht Butler Parker.
Angst war ein Fremdwort für ihn. Ohne auch nur eine Spur schneller zu gehen, hielt er auf die beiden Lokale zu, die am Ende der engen Gasse zu sehen waren.
Da passierte es …!
Er blieb sofort stehen, als ein harter Gegenstand seinen Rücken berührte.
»Mach’ bloß kein Theater …!« redete ihn eine hastige, schrille Stimme an, »los, komm mit rüber in die Toreinfahrt. Ich hab’ ’ne Kanone in der Hand, Alterchen, die geht prompt los, wenn du Ärger machst …!«
»Ich muß mir in aller Form Ihre Vertraulichkeiten verbitten«, erwiderte Parker.
Der Druck gegen seinen Rücken verstärkte sich.
Da gab Parker seinen Widerstand auf, ließ sich von dem wechselnden Druck des Revolvers in den dunklen Torweg dirigieren. Selbstverständlich dachte Parker nicht im Traum daran, schneller zu gehen. Es sah ganz so aus, als beherrsche er die Situation, nicht der junge Mann.
Sie standen kaum am Torweg, als sich ein Wagen näherte. Dieser Überfall war bis in alle Einzelheiten vorbereitet worden. Parker rührte sich nicht. Er war innerlich gespannt, wie es weitergehen würde. Sollte sein kurzes Gespräch mit Mr. Hostans bereits gewirkt haben?
Ganz wie Parker es erwartete, hielt der Wagen unmittelbar vor dem Torweg.
»Los, raus, Alter …!«
Parker schloß geblendet die Augen. Eine grelle Taschenlampe nahm ihm jede Sicht. Ihr Schein lag genau auf seinem Gesicht. Finger, die wie Stahlklammern wirkten, nahmen den Butler in Empfang. Ohne jede Rücksicht wurde Josuah Parker in den Wagen gestoßen. Routinierte Hände durchsuchten ihn nach Waffen. Und fanden nichts. Parker wunderte das überhaupt nicht. Wenn er schon eine Waffe mitnahm und sie versteckte, dann wählte er auch ein passendes und sicheres Versteck.
Der Wagen ruckte schnell an. Mit hoher Geschwindigkeit fuhr er hinunter zur angrenzenden Verbindungsstraße, bog nach rechts ab und nahm wieder Fahrt auf.
Josuah Parker saß ungerührt und steif auf dem linken Rücksitz. Er stellte keine Fragen, ignorierte die Anwesenheit seiner Entführer. Er machte allerdings auch nicht den geringsten Versuch, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden.
Nach knapp zehn Minuten schon endete die schnelle Fahrt. Der Wagen hüpfte über eine hohe Bodenschwelle, sackte tief in die Federn und blieb stehen.
»Aussteigen …!« kommandierte eine fremde, rauhe Stimme.
»Wenn Sie gestatten, werde ich mich erheben«, meinte Josuah Parker gemessen. Er stieg aus dem Wagen und sah sich verstohlen um. Noch immer – das hatte die Fahrt bewiesen –befand er sich in der Nähe der Kais. Jetzt stand er in einem von hohen Mauern umgebenen Fabrikhof.
Außer dem jungen Mann, der ihn verfolgt hatte, entdeckte Parker nun mit Sicherheit noch zwei weitere Männer, die ihm mit dem Wagen nachgefahren waren.
Irgendwie hatten sie so etwas wie Mitleid mit ihm. Sie verzichteten darauf, ihn zusammenzuschlagen oder mit roher Gewalt in den langen Steinanbau zu schleifen. Parker durfte frei gehen.
Die drei Männer führten ihn an einen Lastenaufzug. Minuten später senkte sich die Bühne nach unten in den Keller. Die Schritte hallten in den niedrigen Gewölben wider. Parkers Nase unterschied fremdartige Gerüche, die ihn an Gewürze und Obst erinnerten.
In einem fensterlosen Büroraum endete der Fußmarsch.
»Nun paß mal gut auf«, sagte der Mann mit der rauhen Stimme, ein breitschultriger Mann, der wie ein Filmgangster aussah. »Ich wette, besonders viel kannst du nicht schlucken, Alterchen. Wir wollen dir nicht den Nerv töten, wenn du schnell das Maul aufmachst und uns die Wahrheit sagst.«
»Sie wünschen, wenn ich nicht irre, einige Informationen von mir?« erkundigte sich Parker. »Ihre Erlaubnis vorausschickend, werde ich mich setzen. Ich muß gestehen, daß dieser Abend recht anstrengend für mich ist.«
»Dann also raus mit der Sprache.« Der Gangster mit dem narbigen, unangenehm bös aussehenden Gesicht, baute sich dicht vor dem Butler auf. »Wer schickt dich, hinter wem bist du her?«
»Je schneller du redest, desto weniger Schmerzen wirst du haben. Wir können nämlich ganz prächtig aufdrehen, wenn man uns mit Zicken kommen will.« Der dritte Mann hatte sich eingemischt.
Er sah recht harmlos aus, war aber sicher der gefährlichste der drei Männer.
Sein Gesicht verriet einige Intelligenz. Er spielte mit einem Stück Gummischlauch, das er aus der Innentasche seiner Jacke hervorgezogen hatte.
»Darf ich eine Frage stellen?« bat Parker ihn ansehend.
»Machen Sie schon …«
»Warum erkundigte Mr. Hostans sich nicht danach?«
»Wer …?« fragte der Gangster zurück. Er wollte harmlos tun, war jedoch ein schlechter Schauspieler. Ein kurzes, schnelles Flackern in seinen Augen verriet ihn. Vielleicht merkte er selbst, wie wenig überzeugend er war. Er brauste sofort auf, schlug den improvisierten Gummiknüppel hart und schnell durch die Luft. Es zischte unangenehm.
»Raus jetzt mit der Antwort«, meinte er dann und grinste Parker dünn an.
»Ich werde eine Erklärung abgeben«, antwortete Josuah Parker würdevoll wie ein Berufspolitiker. »Ich fragte Mr. Hostans einzig und allein nach einem gewissen Mr. Joel Harrison. Mr. Hostans gab vor, diesen Mann nicht zu kennen. Damit erlischt mein Interesse an Ihrem Arbeitgeber, meine Herren.«
»Wie war der andere Name?« fragte der Mann mit dem narbigen Gesicht. Der Name Joel Harrison schien ihn hellhörig gemacht zu haben.
»Joel Harrison«, wiederholte Parker noch einmal, »darf ich unterstellen, mein Herr, daß Sie diesen Namen kennen?«
Der Gangster mit dem sanften Gesicht und den intelligenten Augen verlor die Geduld. Oder wollte verhindern, daß Parker weiterredete. Er holte mit dem Arm aus, um Parker den Gummischlauch durchs Gesicht zu ziehen.
Nun war Butler Parker mit diesem Vorhaben nicht besonders einverstanden. Er schätzte es überhaupt nicht, geschlagen zu werden. Das widersprach seinem ganz persönlichen Ehrbegriff.
Bevor der Gummischlauch niederzischte, schwebte plötzlich der altväterlich gebundene Regenschirm in der Luft. Er traf genau das Handgelenk des Gangsters.
Der Mann stieß einen Schrei aus, ließ den Gummischlauch fallen. Verdutzt starrte er auf seine Hand, die wie leblos hinuntersank. Bevor die beiden anderen Gangster aktiv werden konnten, baute Josuah Parker seinen Vorsprung weiter aus.
Er machte das sehr geschickt. Und noch konsequenter.
Da der bewußte Regenschirm nun schon einmal in der Luft war, ließ Josuah Parker ihn weiter wandern.
Der junge Lockvogel, der Parker in den Torweg geschickt hatte, wollte noch blitzschnell ausweichen, sich abducken.
Doch der verflixte Regenschirm machte diese Bewegung mit und traf haargenau die Nase des Gangsters.
Wasser schoß ihm in die Augen.
Er brüllte zuerst, um dann in ein leicht fassungsloses Greinen überzugehen. Er hielt sich die Nase und dachte nicht im Traum daran, sich weiter mit Parker zu befassen.
Der dritte Gangster stürzte sich auf den Butler.
Und übersah dabei den Regenschirm, der sich auf dem Rückweg befand.
So konnte es geschehen, daß Parkers Universal-Kampfwaffe im Genick des narbigen Gangsters landete.
Die Wirkung war frappierend.
Auch dieser Gangster interessierte sich plötzlich für den an sich recht schmutzigen Steinboden und beeilte sich, ihn aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. Mit anderen Worten, er legte sich neben seinen Partner, der dort bereits gewisse Studien trieb. Josuah Parker erhob sich langsam.
Mißbilligend schaute er auf die beiden Gangster am Boden, dann wanderte sein Blick hinüber zu dem jungen Mann, der mit der Untersuchung seiner mißhandelten und jetzt leicht blutenden Nase noch nicht fertig war.
»Ich bedaure diesen Zwischenfall ungemein«, sagte Parker dann mit einem verweisenden Unterton in der Stimme. »Ich möchte ausdrücklich versichern, daß ich Gewalttätigkeiten durchaus nicht schätze. Mein
Interesse gilt nach wie vor Mr. Joel Harrison, dem ich eine Botschaft zu überbringen habe. Ganz gleich, wo er sich zur Zeit auch aufhalten mag. Richten Sie das bitte allen einschlägigen Stellen aus, die dafür in Betracht kommen. Und jetzt muß ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich fürchte, ich habe Sie sogar belästigt und inkommodiert.«
Er lüftete seine schwarze Melone und schritt aus dem Kellerbüro. Parker besaß Nerven wie Drahtseile. Er drehte sich überhaupt nicht um, obwohl er doch unterstellen mußte, daß die drei Gangster bewaffnet waren.
Kaum hatte er die Tür jedoch hinter sich geschlossen, da erwachten die drei Gangster zu neuem Leben.
Wie von diversen Taranteln gebissen, sprangen sie hoch, hatten plötzlich ihre Waffen in den Händen.
»Den kauf ich mir …!« hustete der Gangster mit den sanften Augen. Er hielt die Waffe in der linken Hand, da die rechte noch nicht recht mitspielen wollte.
Der pockennarbige Gangster massierte sich sein Genick und entsicherte gleichzeitig seinen Trommelrevolver.
Der junge Gangster mit der blutenden Nase war allerdings noch nicht recht in Form. Vielleicht lag es daran, daß er erst als letzter das Kellerbüro verließ.
Sie alle kannten sich in dem fast dunklen Keiler aus. Sie waren sicher, Parker noch zu erwischen. Für diesen Fall hatten sie sich etwas vorgenommen. Sehr viel sogar. Sie wollten Parker durch die Mangel drehen, wie es in ihrer Fachsprache hieß.
Was konnte der flüchtende Mann schon mit seinem komischen Regenschirm gegen drei Schußwaffen ausrichten? Er hatte keine Chance …!
Sie rannten also in den Keiler, wollten wie Sprinter losstarten, doch genau in diesem Moment explodierten die ersten Knallerbsen, die Josuah Parker vorsorglich ausgestreut hatte. Es handelte sich um eine Eigenentwicklung, die äußerst lautstark und schlecht riechend war.
Die Gangster mißverstanden diesen Krach, glaubten an Schüsse. Sie gingen sicherheitshalber in Deckung und ließen ihre Waffen sprechen.
Der Lärm im Keller wurde dadurch verstärkt. Querschläger sirrten durch die Luft, der beißende Qualm der Knallerbsen intensivierte sich.
Hustend, spuckend und fluchend mußten die drei Gangster sich schließlich zurückziehen und die Verfolgung auf geben.
Josuah Parker hatte inzwischen den Fabrikhof erreicht und stieg in den Wagen der Gangster.
Die freundliche Erlaubnis seiner Gegner vorausschickend, ließ er den Motor anspringen und fuhr los.
Nein, natürlich nicht nach Hause.
Wenn Butler Parker in Stimmung gebracht worden war, konnte er einfach kein Ende finden …!
*
Willenlos hatte Joel Harrison alles über sich ergehen lassen, die hastige Flucht aus dem Zimmer des »Pewell-Hotels«, die Fahrt im Wagen und schließlich das Hineinschaffen in dieses billige Holzhaus in der Nähe der riesigen Schlachthäuser.
Jetzt lag er auf einem einfachen Bett, nur noch ein körperliches Wrack, ausgemergelt, unrasiert und hohlwangig. Die braunen Augen glänzten fiebrig. Das verschmutzte Hemd über der behaarten Brust war weit geöffnet.
Joel Harrison, knapp fünfzig Jahre alt, mittelgroß und schlank, starrte hinauf zur Zimmerdecke. Nichts an, ihm erinnerte an den Joel Harrison, der noch vor knapp einem halben Jahr der unumschränkte Herrscher und Gebieter einer sehr reichen Familie war. Dem Alkohol restlos verfallen, gierte er nur noch nach einem Schluck Whisky, um seine elende körperliche Verfassung einigermaßen und höchstens für eine Stunde zu überspielen.
Er befand sich in einer Art Dämmerschlaf, dennoch lauschte er auf die Geräusche in diesem einfachen Haus, das am Rand einer neu erbauten Siedlung stand.
Seit dem letzten Schluck im »Pewell-Hotel« war für ihn bereits eine halbe Ewigkeit verstrichen. Nun wartete er auf die Rückkehr seines Freundes Chris Downers. Richtiger ausgedrückt, er wartete auf die Whiskyflasche, die Downers ihm holen wollte.
Harrison fühlte sich scheußlich.
Trocken war sein Mund. Die rissigen Lippen schmerzten. In seinem Schädel aber tobte die Hölle. Irrsinnige Kopfschmerzen quälten ihn. Er wußte, daß schon ein Wasserglas voll Whisky ausreichte, um diese Schmerzen verschwinden zu lassen.
Als irgendwo unten im Haus eine Tür ging, richtete er sich sofort auf. Er hielt sich den schmerzenden Kopf, schwenkte die Beine über die Bettkante und wartete. Qualvoll lange dauerte es, bis sich endlich die Tür öffnete.
Chris Downers trat ein.
Er war klein und schmal, glich gerade wegen seiner dunklen, unsteten Augen einem Wiesel. Downers trug einen dunkelgrauen, korrekten Anzug. Unter dem Arm hielt er eine Whiskyflasche.
»Mann, endlich …!« stöhnte Harrison.
Er ließ die Augen nicht von der Flasche. Er übersah das Grinsen seines Freundes, wartete, bis das Wasserglas gefüllt war. Ihm fiel auch nicht auf, daß die Flasche bereits vorher geöffnet worden war.
Mit zitternden Händen griff er nach dem Glas. Er brauchte auch beide Hände, um das Glas zum Mund führen zu können. Den scharfen, billigen Whisky trank er in sich hinein wie gewöhnliches Leitungswasser.
Er schüttelte sich wie im Fieber, als das Glas geleert war. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Zittern in seinen Händen verschwand. Seine Augen verloren jede Nervosität. Tief holte er Luft und stand auf.
»Helen wird gleich kommen«, sagte Downers.
»Sehr gut …! Ich langweile mich scheußlich, Chris. Werden wir nun endlich mal bleiben?«
»Jetzt brauchen wir nicht mehr abzuhauen. Hier findet dich kein Mensch.«
»Ich hab’s nämlich satt, immer wieder verschwinden zu müssen.«
»Wir haben alle Schnüffler abgeschüttelt«, meinte Downers. »Jetzt sind wir sicher.«
»Laß die Flasche da auf dem Nachttisch stehen«, bat Harrison mit heiserer Stimme.
»Bevor du wieder trinkst, solltest du dich etwas herrichten«, schlug Downers vor. »Helen ist zwar nicht sehr empfindlich, aber ’ne Frau sollte man trotzdem einigermaßen fit begrüßen.«
»Über solche Kleinigkeiten ist Helen längst weg«, antwortete Harrison. Er griff nach der Flasche und füllte sich noch mal das Wasserglas. Erstaunt sah er hoch, als Downers ihm die Flasche blitzschnell wegzog.
»Joel«, meinte er hastig, »du mußt dich etwas einschränken. Der Zaster wird knapp. Ich brauche mal wieder ’ne kräftige Geldspritze.«
»Schon wieder Geld?« wunderte sich Harrison, ohne sich aber zu entrüsten, »vor ein paar Tagen hab’ ich dir doch erst ’nen Scheck über 1000 Dollar gegeben.«
»Na und? Was ist das schon …! Das Leben ist teuer. Denk’ doch mal daran, was es kostet, gewisse Leutchen zu schmieren. Aber von mir aus …! Behalt’ das Geld und laß dich lieber einsperren. Ich hab’s ohnehin satt, mich herumhetzen zu lassen. Ein Fischzug nach dem anderen geht mir an der Nase vorbei. Was hätte ich inzwischen alles verdienen können …!«
»Schon gut, Chris, schon gut …!« beschwichtigte Harrison seinen Begleiter. »Ich werde dir einen neuen Scheck ausstellen. Ich fühl’ mich nur hundeelend. Ich brauche noch einen ordentlichen Schluck.«
Als er sich das Glas füllte, klingelte es an der Tür.
Harrison unterbrach die Füllung des Glases. Schnell hob er den Kopf, sah Downers an.
»Keine Sorge, das muß Helen sein«, meinte Downers, »ich geh’ mal nach unten. Warte einen Moment.«
Harrison beruhigte sich sehr schnell. Er trank das Glas in großen Schlucken leer. Downers verließ das Zimmer und ging nach unten.
Als er die Tür öffnete, schlüpfte eine Frau schnell und geschmeidig ins Haus.
Sie war mittelgroß, vollschlank und hatte blondes Haar. Sie mochte höchstens 30 Jahre alt sein, was ihre recht gute Figur anbetraf. Ihr Gesicht jedoch wirkte älter. Selbst das sorgfältige Make-up schaffte es nicht, die bereits tief eingegrabenen Fältchen zu verdecken.
Helen Napers sah trotz allem aufreizend aus. Sie besaß eine gefährliche Ausstrahlung von Sex, Verkommenheit und Berechnung. Sie trug unter dem geöffneten Sommermantel ein tief ausgeschnittenes Kleid. Ihr Parfüm roch billig.
»Alles in Ordnung?« fragte Downers sie.
»Klar, alles in bester Ordnung. Wie sieht’s denn oben aus? Was ist mit diesem Saufaus los?«
»Er läßt sich gerade vollaufen.«
»Wunderbar. Dann werde ich wenig Arbeit mit ihm haben.«
»Er ist schon in der richtigen Stimmung, Helen«, erklärte Downers und lächelte. »Ich glaube, du brauchst nicht lange um den heißen Brei herumzuschleichen. Komm’ sofort zur Sache. Für mich wird er auch ’nen Scheck ausstellen.«
»Also schön, werde ich diesem widerlichen Kerl mal wieder um den Bart gehen. Sag’, Chris, wird das lange gutgehen?«
»Wie kommst du darauf? Hast du Angst?«
»Na ja, immerhin spürten sie uns auf.«
»Aber sie erwischten uns nicht. Inzwischen bereinigt der Boß die Lage, Helen. Alle Spuren sind verwischt. Du weißt doch, wer uns an den Wagen fahren will, der ist bisher immer noch drauf gegangen.«
Helen nickte.
»Dann werde ich mal rauf zu ihm gehen, Chris«, meinte sie und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. »Hoffentlich hab’ ich es schnell hinter mir. Der Kerl ekelt mich an …!«
*
»Damit, Sir, dürfte es meiner bescheidenen Ansicht nach auf der Hand liegen, daß Mr. Walt Hostans diese drei schlechterzogenen Männer auf mich ansetzte.«
Parker hatte seinen Bericht beendet. Er stand vor Mike Randers Arbeitstisch, trug seinen dunklen kleinen Maßanzug und sah nicht danach aus, daß er erst vor wenigen Stunden drei Gangster ausgeschaltet hatte.
»Hostans ist der Polizei unbekannt«, meinte Rander und stand auf. »Das besagt natürlich nichts. Nur verdammt leichtsinnig von diesem Burschen, gleich nach Ihrem Besuch derart kompakt zu reagieren.«
»Das macht auch mich allerdings etwas stutzig«, warf Parker bescheiden ein.
»Wie reagierten die drei Kerle im Keller, als Sie den Namen Joel Harrison erwähnten?«
»Ich möchte sagen, sie wurden stutzig. Zumindest zwei der drei Gangster.«
»Es hilft alles nichts, über diesen Hostans werden wir mehr erfahren müssen«, schlug Mike Rander vor. »Wollen Sie das übernehmen, Parker?«
»Ich werde mich bemühen, zu Ihrer Zufriedenheit zu arbeiten, Sir.«
»Ich weiß, ich weiß, Parker. Leutnant Current ist natürlich mißtrauisch geworden. Zu dumm, , daß die Harrisons die Polizei aus dem Spiel halten wollen. Zusammen mit ihr ließe sich viel mehr erreichen. Ich werde noch mal mit Mrs. Harrison sprechen. Vielleicht ändert sie dann ihren Entschluß ab, Parker. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Spur Harrisons aufnehmen zu können?«
»Ich werde mich an Mr. Hostans halten. An ihn und seine drei Leute.«
»Schön, Sie haben selbstverständlich völlige Handlungsfreiheit, Parker. Drücken Sie nur nicht zu sehr auf die Tube. Sie haben ja gesehen, daß wir es mit einer Gang zu tun haben. Mit solchen Leuten ist niemals zu spaßen.«
»Ich werde mich noch einmal an meinen Gewährsmann wenden, der mir die Adresse des ›Pewell-Hotels‹ vermittelte«, schlug Josuah Parker weiter vor.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten, Parker«, verabschiedete Rander seinen Mitarbeiter, Freund und Butler. »Ich fahre gleich raus zu den Harrisons und schlage noch mal vor, die Polizei einzuschalten.«
Es klingelte.
Parker entschuldigte sich und verließ das Arbeitszimmer. Er öffnete die Tür zum eigentlichen Dachgarten, schritt an den künstlichen Wänden aus Blattpflanzen und Blumen vorbei und erreichte die starke und solide Tür aus Stahl, die den Zugang vom Lift zum Penthouse versperrte.
Bevor er jedoch öffnete, hielt er Ausschau nach dem Besucher. Dazu benutzte er ein raffiniert eingebautes Spiegelsystem. Durch den Druck auf einen verdeckt angebrachten Knopf wurde neben der Tür ein Kästchen in der Größe einer Schallplatte frei.
Parker erkannte Leutnant Current.
Er ließ das Kontrollkästchen wieder zuspringen und sperrte die Stahltür auf.
Current nickte Parker zu. Besonders gutgelaunt schien der Polizeioffizier nicht zu sein. Sein an sich schon hartes Gesicht sah grimmig aus.
»Ihr Chef zu Hause?« fragte er Parker.
»Ich freue mich, Sie begrüßen zu können«, erwiderte der Butler. »Ich werde Sie sofort zu Mr. Rander führen.«
Er schloß die Tür zum Dachaufbau, in dem der Lift endete. Current trat unruhig von einem Bein auf das andere. Er war nervös, schon die Art, wie er die Zigarette hielt, mit ihr spielte, verriet das deutlich.
»Sagen Sie mal, Parker«, fragte er dann abrupt, »wo waren Sie in der vergangenen Nacht, he?«
»Wie darf ich Ihre Frage verstehen, Sir?« erkundigte Parker sich höflich.
»So, wie ich Sie stellte, zum Henker. Lassen Sie Ihre Mätzchen. Sie wollen nur Zeit gewinnen.«
»Sir, ich bin mir keiner Schuld bewußt«, protestierte Butler Parker. »Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollen …!«
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Oh, ich vergaß ihren Sinn, Sir, ich bitte, sie noch mal zu wiederholen.«
»Wo waren Sie in der vergangenen Nacht?«
»Um darüber genaue Auskunft geben zu können, müßte ich erst mal meinen Terminkalender befragen, Sir.«
»Parker«, schnaubte Current los. Er glich einem gereizten Büffel. »Parker, wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, dann reagiere ich sauer.«
»Sir, ich würde mir niemals gestatten. Sie auf den Arm zu nehmen, wie Sie sich ausdrücken. Mein Respekt Ihnen gegenüber würde mir das grundsätzlich verbieten. Ganz zu schweigen von meinen nur bescheidenen körperlichen Kräften, die das nicht zuließen. Übrigens, ist denn etwas passiert?«
»Kommen Sie, ich erzähle gleich, was los ist, Parker. Hoffentlich ist Ihr Alibi hieb- und stichfest!«
*
»Die Schießerei in diesem Fabrikkeller deutet doch einwandfrei auf Parker hin«, erklärte Current wenige Minuten später in Mike Randers Arbeitszimmer. »Ich fand auf dem Steinboden Reste von Knallerbsen und Knallbonbons. Ihr Butler, Rander, spielt doch besonders gern mit diesen Feuerwerkskörpern, oder?«
»Die Pyrotechnik interessiert ihn tatsächlich«, meinte Rander lächelnd, »aber ich verstehe immer noch nicht …!«
Current unterbrach den Anwalt.