Читать книгу Butler Parker Box 12 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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Das schwere Motorrad mit den Scheinwerferbatterien am Lenker und auf dem Rahmen lag umgestürzt auf dem Feldweg und schien eine längere Rutschpartie auf dem harten, ausgetrockneten Boden hinter sich zu haben.

Parker, am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, bremste sanft und brachte den Wagen zum Stehen. Gemessen stieg er aus und näherte sich dem Motorrad. Sein Interesse galt allerdings weniger der Maschine als vielmehr dem jungen Mädchen, das am Rand des Feldweges lag und offensichtlich bewußtlos war.

Dieses junge Mädchen, höchstens achtzehn oder zwanzig Jahre alt, trug hautenge Jeans und eine knapp sitzende Lederweste, die sich beim Sturz verschoben haben mußte. Im Näherkommen stellte der Butler fest, daß diese Weste das einzige Bekleidungsstück war, das den Oberkörper verhüllte, beziehungsweise jetzt enthüllte.

Parker beugte sich über das junge Mädchen und zog aus einer der Taschen seiner gestreiften Butlerweste einen kleinen Taschenspiegel. Er brachte ihn in die Nähe der vollen, rot lackierten Lippen der Verunglückten und benutzte anschließend seinen Universal-Regenschirm als Golfschläger. Der bleigefütterte Bambusgriff beschrieb einen Halbkreis und legte sich präzise auf die Stirn des jungen Mannes, der plötzlich hinter dem Butler stand und mit Sicherheit den schweren Schraubenschlüssel benutzen wollte, um Parker hart und brutal niederzuschlagen. Ein Blick in den kleinen Taschenspiegel hatte Parker genügt, um dies zu erkennen.

Wie vom Blitz getroffen sackte der junge, untersetzte und stämmige Mann in sich zusammen.

Dafür sprang das junge Mädchen elastisch hoch und warf sich mit einem wütenden Schrei auf den Butler, der diese Reaktion bereits vorausberechnet hatte. Da Parker gegenüber Frauen aller Altersklassen von ausgesuchter Höflichkeit war, dachte er nicht im Traum an Gegenwehr. Höflich, wie es seiner Art entsprach, trat er im letzten Moment ein wenig zur Seite und ließ das junge Mädchen an sich vorbeipreschen.

Es stolperte über den am Boden liegenden jungen Mann und begab sich auf eine Himmelfahrt. Diese Luftreise endete nach anderthalb Metern auf dem Feldweg in der Art einer Bauchlandung.

»Ich fürchte, Sie echauffieren sich völlig unnötig«, sagte Parker gemessen, als sie sich aufrichtete. »Sollte Ihnen möglicherweise entgangen sein, daß Ihr Begleiter die Absicht hatte, meine bescheidene Wenigkeit niederzuschlagen?«

Sie kniete, öffnete den rotlackierten Mund und starrte den Butler wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an. Dann lachte sie plötzlich unvermittelt und schüttelte den Kopf.

»Sie sind vielleicht ’ne Type!« meinte sie dann mit rauchiger, dunkler Stimme. »Mann, haben Sie nicht kapiert? Wir testen die Reaktion und Hilfsbereitschaft von Verkehrsteilnehmern. Da hinten steht die versteckte Kamera!«

Sie deutete an ihm vorbei in Richtung einer Baumgruppe und wirkte jetzt völlig normal.

»Da! Sehen Sie doch!« wiederholte sie noch einmal, da Parker ihr keineswegs den Gefallen tat, in die angegebene Richtung zu schauen.

»Interessant«, bemerkte Parker nur höflich.

»Sie werden gefilmt«, steigerte sie.

»Wie schmeichelhaft«, stellte der Butler fest, aber er dachte nicht daran, in die angegebene Richtung zu sehen.

»Mit einer versteckten Kamera«, sagte das junge Mädchen nun schon fast ärgerlich, »mein Gott, sind Sie stur!«

»Ich bedaure es außerordentlich, falls ich mich nicht so verhalten sollte, wie Sie es vorausberechnet hatten«, entschuldigte sich Parker und lüftete seine schwarze Melone.

Sie kam lächelnd näher und wollte ihre Handkante einsetzen. Sie schlug auch zu, doch sie stieß einen Schmerzensschrei aus, als besagte Handkante von dem hochgehaltenen Universal-Regenschirm des Butlers jäh gestoppt wurde.

Sie rieb sich verdutzt die Hand und musterte den Butler dann mißtrauisch.

»Wer – wer sind Sie!« fragte sie und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück.

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »und mit wem habe ich das, offen gesagt, etwas zweifelhafte Vergnügen?«

»Judy …« Sie sprach nicht weiter und preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie warf den Kopf in den Nacken und sagte dann wütend: »Scheren Sie sich zum Teufel! Los, worauf warten Sie noch?«

Sie wandte sich halb ab und weinte plötzlich. Ihre schmalen Schultern bebten.

»Darf ich mir erlauben, Ihnen meine bescheidene Hilfe anzubieten?« fragte Parker.

»Hauen Sie ab! Sie widern mich an!«

»Und Sie gingen?« fragte Mike Rander eine knappe Stunde später, nachdem Josuah Parker berichtet hatte. Parker befand sich im Studio seines jungen Herrn und nickte jetzt auf die Frage.

»Das war doch eine ausgemachte Wegelagerei«, stellte der junge Anwalt fest, »warum haben Sie nicht die Polizei verständigt? Warum haben Sie das saubere Pärchen nicht gleich aufs nächste Revier gebracht?«

»Ich wollte gewissen Entwicklungen und Dingen nicht vorgreifen, Sir. Darüber hinaus war ich mir bewußt, daß ich erst Ihren juristischen Rat einzuholen hatte.«

»Sie schwindeln, daß die Balken sich biegen«, meinte Rander spöttisch, »geben Sie doch zu, daß Sie einen neuen Fall wittern!«

»Der sich in der Tat anzubieten scheint, Sir …«

»Wenn schon, Parker, aber wir werden nichts unternehmen. Das nur am Rande und nebenbei.«

»Wie Sie befehlen, Sir!«

»Oder haben Sie schon etwas unternommen?«

»In etwa, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Und zwar?« Rander verzog sein Gesicht und ahnte, was wieder einmal auf ihn zukam.

»Es ergab sich, Sir, daß ich mir die Seriennummer des Motorrades merken konnte.«

»Na, und?«

»Da es sich um ein ausländisches Fabrikat handelt, Sir, das in Deutschland hergestellt wird, müßte es möglich sein, den Eigentümer festzustellen. Das amtliche Kennzeichen dürfte gefälscht sein!«

»Nicht auf Raten, Parker. Sie haben also schon herausbekommen, wem die Maschine gehört?«

»Ich muß dies frei ein- und zugestehen, Sir.«

»Und wem?«

»Einem gewissen Marty Galbert, Sir.«

»Über den Sie inzwischen bereits alles wissen, was wissenswert ist, wie?«

»Ich hoffe, Sir, Sie verzeihen meine Aktivität.«

»Wer ist dieser Marty Galbert?« Rander seufzte. Er wußte längst, daß er tief in einem neuen Fall saß.

»Der Sohn ungewöhnlich begüteter Eltern, Sir. Mister Arthur Galbert ist Verkaufsmanager einer Autoherstellerfirma. Er wohnt in einem Außenbezirk der Stadt.«

»Sind Sie sicher, daß da keine Verwechslung vorliegt? Die Maschine könnte natürlich auch gestohlen worden sein.«

»Da ich mir erlaubte, Sir, bereits an solch eine Möglichkeit zu denken, würde ich der Familie Galbert gern einen Besuch abstatten. Darf ich davon ausgehen, daß Sie mich im Moment nicht benötigen?«

»Fahren Sie schon los, Parker!« Rander lächelte. »Hoffentlich wurde die Maschine gestohlen. Dann haben wir wenigstens unsere Ruhe!«

Ein breit hingelagertes Haus in einem weiträumigen Park, umgeben von einer halbhohen Steinmauer plus Hecke, das war das Anwesen, das vor Parkers Augen zu sehen war.

Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch das geöffnete Tor, über den asphaltierten Weg bis vor das Haus. Hier stieg er aus, ging zur Tür und legte seinen Zeigefinger nachdrücklich auf den Klingelknopf.

Nach dreimaligem Klingeln kam er zu der Erkenntnis, daß das Haus leer sein mußte. Hinter der Tür rührte sich nichts. Da er nun aber schon auf dem Grundstück war, ging er um das Haus, um sich die Rückseite anzusehen.

Hier gab es die obligate Terrasse, das Schwimmbecken und ein kleines Holzhaus.

Hinter dem Schwimmbecken verlief sich der Garten in dichtes Strauchwerk, das das ansteigende Gelände kaschierte. Auch hier war weit und breit, kein Mensch zu sehen.

Parker schritt am Schwimmbecken entlang und näherte sich dem kleinen Holzhaus, das seiner Schätzung nach als Umkleidekabine diente.

Als er die Tür aufzog, wußte er sofort, daß er diese Fahrt nicht umsonst gemacht hatte.

Gegen eine Holzwand gelehnt stand das schwere Krad mit den Scheinwerferbatterien am Lenker und auf dem Rahmen. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. Dies war die Maschine, die er auf dem Feldweg gesehen hatte!

Parker wollte die kleine Holzhütte gerade wieder verlassen, als er Schritte hörte.

Durch das kleine, viereckige Fenster sah er hinaus. Aus dem Strauchwerk kam ein junges, schlankes Mädchen, das ihm bekannt vorkam.

Es mußte sich um das Mädchen in Jeans handeln, das er ebenfalls auf dem Feldweg gesehen hatte. Sicher war Parker noch nicht, da dieses Mädchen jetzt ein kurzes Kleid trug, das gerade den oberen Teil der Oberschenkel noch bedeckte.

Ein paar Sekunden später sah der Butler, daß er sich keineswegs geirrt hatte.

Das Mädchen, jetzt erstaunlich weiblich wirkend, kam an der Holzhütte vorbei und hielt auf das Haus zu. Es summte eine Melodie, die gerade in den Rundfunkstationen zu einem Hit hochgequält wurde. Dieses Mädchen kannte sich auf dem Grundstück genau aus. Es blieb auf der Rückseite und verschwand auf einer Treppe, die neben der Terrasse nach unten ins Kellergeschoß führte.

Parker verließ das Badehaus Und folgte diskret.

Als er die Kellertreppe erreicht hatte, war das Mädchen schon nicht mehr zu sehen. Die Außentür zum Kellergeschoß war nur angelehnt.

Parker, keineswegs überneugierig, begab sich hinunter und stieß mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes die Tür weiter auf.

Geräuschlos öffnete sie sich und gab den Blick frei in einen weiß getünchten Kellerraum, der als Aufbewahrungsort für Gartenmöbel und Gartengeräte diente. Es gab eine zweite Tür, die tiefer in den Keller hineinführte.

Auch diese Tür ließ sich geräuschlos aufdrücken. Bruchteile von Sekunden später blieb Parker indigniert stehen. Er hatte nicht erwartet, einer nackten jungen Dame gegenüberzustehen.

Als Parker dennoch höflich seine schwarze Melone lüften wollte, bemerkte er den kleinen Irrtum.

Es gab zwar durchaus eine nackte junge Dame, doch sie befand sich auf einem lebensgroßen Pop-Plakat und lächelte ihn vom Papier herunter aufreizend und frech an. Die Lichtverhältnisse im Keller hatten diesen Irrtum begünstigt.

Parker hörte Stimmen.

Er blieb stehen, orientierte sich und wählte die rechte Seite des Kellerganges. Dieser Gang endete vor einer Brettertür, die weiß lackiert war, um ihren primitiven Charakter etwas zu tarnen. Hinter dieser Tür klangen die Stimmen weiter auf, die er eben gehört hatte.

»… reg dich bloß wieder ab, Judy«, sagte eine lässige aber irgendwie zu schrill klingende Stimme. »Wie soll der Kerl uns denn finden? Ausgeschlossen!«

»Trotzdem«, sagte eine Mädchenstimme, rauchig-dunkel, »schaff das Motorrad weg, Marty! Schaff es bitte weg! Wir können es uns nicht leisten, daß wir hochgehen.«

»Wie denn?« Die Stimme von Marty wurde womöglich noch etwas schriller, »ich denke nicht daran, den Feuerstuhl auf den Müll zu werfen. Wenn du Angst hast, kannst du ja aussteigen. Aber viel Spaß wird dir das nicht machen, wetten?«

»Spiel dich bloß nicht auf«, gab Judy zurück, und in ihrer Stimme war nicht die Spur von Angst, »du hast doch überhaupt nichts zu bestimmen, oder?«

»Das werden wir ja sehen.«

»Angeber!« sagte Judy, doch sie hatte das Wort noch nicht ganz ausgesprochen, als das Klatschen einer harten Ohrfeige zu hören war.

Parkers linke Augenbraue stellte etwas nach oben. Er rechnete mit Komplikationen hinter der Tür.

Sie ließen nicht lange auf sich warten.

Nach der Ohrfeige war ein schriller Schmerzensschrei zu hören. Leichte Möbel oder Stühle wurden geschoben und gerückt. Hinter der Tür schien eine Art Verfolgungsrennen stattzufinden.

»Verdammtes Biest!« hörte Parker Marty schreien, »dafür mache ich dich fertig!«

Das Hindernis- und Verfolgungsrennen hinter der Tür wurde schneller. Dann ein Kickser, ein Aufschrei und heftiges Atmen. Dieses Atmen ging in einem Schrei unter.

Parker fühlte sich veranlaßt, die Tür zu öffnen. Was er natürlich sanft und unauffällig tat.

Er blieb in der halb geöffneten Tür stehen und nahm die Szene in sich auf.

Ein untersetzter, stämmiger junger Mann, durchaus identisch mit dem Motorradfahrer, der ihm den Schraubenschlüssel hatte zueignen wollen, hatte das junge Mädchen in die Ecke des Kellers gedrängt und verabreichte mit der Außen- und Innenseite der flachen Hand eine Ohrfeige nach der anderen.

Judy trat wütend um sich, mußte aber einige harte Schläge einstecken.

»Ihr Benehmen läßt ungemein zu wünschen übrig«, sagte Parker mißbilligend, »ich hoffe, Sie kehren recht bald zu gesitteten Manieren zurück.«

Marty Galbert drehte sich langsam um und sah den Butler ungläubig an.

Judy, das junge Mädchen mit dem Supermini, schnappte hörbar nach Luft.

»Wie – wie kommen Sie denn hierher?« erkundigte sich Marty Galbert.

»Zu diesem Thema werde ich später Stellung nehmen«, erwiderte der Butler gemessen, »ich hoffe, Sie sind in der Lage, mir einige Hinweise auf den Vorfall auf dem Feldweg zu geben!«

Marty Galbert war bestimmt in der Lage, das zu tun, doch er wollte nicht. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, den Butler noch einmal anzugreifen. Und er setzte seinen Entschluß sofort in die Tat um.

Er nahm Anlauf. Dabei schwang er seine Fäuste wie ein drittklassiger Boxer.

Parker reagierte auf seine Weise.

Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms zog er blitzschnell einen Stuhl in die Startbahn des jungen Mannes, der mit diesem Hindernis nicht gerechnet hatte. Marty Galbert kollidierte mit dem Stuhl, kam aus der Richtung und segelte durch die Luft. Er landete vor der Kellerwand und rutschte an ihr tropfenförmig und langsam hinunter. Anschließend tat er einen fast erleichterten Seufzer und rollte sich zu einem kleinen Schläfchen zusammen.

Judy starrte den Butler an und schien angestrengt nachzudenken.

»In der Wahl Ihrer Freunde scheinen Sie keine besonders glückliche Hand zu haben«, sagte Parker.

»Sie widerlicher Schnüffler«, erwiderte sie haßerfüllt.

»Wären Ihnen weitere Ohrfeigen lieber gewesen, Miß Judy?«

»Das ist doch wohl meine Sache«, schrie sie und sah kurz zu Marty Galbert hinüber, der noch schlief.

»Dann möchte ich Ihrer Freizeitbeschäftigung nicht mehr weiter im Wege stehen«, sagte Parker, lüftete seine schwarze Melone und verließ den Keller. Fast behutsam zog er die Tür hinter sich zu.

Ohne sich weiter um die beiden jungen Leute zu kümmern, ging er hinüber in den ersten Keller und von dort aus zurück in den Garten.

Als er um die Hausecke herumkam, sah er hinter seinem hochbeinigen Monstrum einen schon recht klapprig aussehenden Ford, den der Rost intensiv angenagt hatte. Aus diesem Wagen rutschten drei junge Männer, die in Parkers Augen ein wenig abenteuerlich aussahen. Sie trugen über ihren Jeans weite und grellgelbe Ponchos, die einen ausgefransten Eindruck machten. Ihre Haare waren lang, aber reichten keineswegs bis zu den Schultern hinunter. Die jungen Männer mochten etwa zwanzig Jahre alt sein.

Parker, ein durch und durch toleranter Mensch, der jeden nach seiner persönlichen Fasson selig werden ließ, nickte grüßend. Er mokierte sich keineswegs über das Aussehen der jungen Männer. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die äußere Erscheinung letztlich nichts über den wahren Kern eines Menschen aussagte.

Die drei Männer schienen nicht weniger tolerant zu sein. In ihren Augen sah Parker mit Sicherheit abenteuerlich aus. Schließlich trug er zu seinen schwarzen Hosen einen schwarzen Zweireiher, unter dem ein Stück der gestreiften gelb-schwarzen Butlerweste zu sehen war. Parkers Hals wurde umgeben von einem altertümlich aussehenden Eckkragen und einem schwarzen Binder. Melone und altväterlich gebundener Regenschirm rundeten seine Erscheinung ab.

Die drei jungen Männer grinsten also, winkten Parker lässig zu und verschwanden hinter der Hausecke. Mit Sicherheit wollten sie in den Keller, um Marty Galbert einen Besuch abzustatten. Nach Parkers Berechnung mußten sie sehr bald zurückkommen.

Worin er sich nicht getäuscht haben sollte.

Nach genau anderthalb Minuten erschienen sie wieder auf der Bildfläche.

Sie vermißten das hochbeinige Monstrum und machten sich sofort an die Verfolgung. Sie hüpften äußerst munter in ihren Ford und preschten los.

Bis sie merkten, daß die beiden Vorderreifen luftleer waren. Woran ein gewisser Josuah Parker mit Sicherheit nicht ganz unschuldig war.

»Und wo haben Sie zu der Zeit gesteckt?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd. Parker hatte von seinen Erlebnissen berichtet und sah seinen jungen Herrn nun abwartend an.

»Ich war so frei, Sir, meinen Wagen und meine Wenigkeit um das Haus herumzufahren.«

»Sie befanden sich nach wie vor auf dem Gelände?« Rander grinste unverhohlen.

»In der Tat, Sir, da es meine Absicht war, dem zu erwartenden Rundumgespräch beizuwohnen.«

»Und was hatten die jungen Leute zu besprechen?«

»Sie kamen überein, Sir, an meiner bescheidener Wenigkeit das zu nehmen, was man gemeinhin Rache nennt.«

»Ach nee …« Rander lächelte nicht mehr. Er stand auf und baute sich am Fenster seines Studios auf, »demnach sind die jungen Leute nicht harmlos?«

»Keineswegs, Sir. Sie kamen überein, um es zu präzisieren, mich umzubringen. Sie wollen damit einen Schnüffler ausschalten, wie sie sich weiter ausdrückten.«

»Und sie wissen bereits, wo Sie zu finden sind?«

»Sehr wohl, Sir. Miß Judy hatte sich auf dem Feldweg das Kennzeichen meines Privatwagens gemerkt und festgestellt, wo ich zu finden bin.

»Das müssen ja nette Herzchen sein, Parker. Haben Sie eine Ahnung, warum die jungen Leute so reagieren? Was haben sie zu verbergen?«

»Dies, Sir, mag ich noch nicht einmal vage zu umreißen. Das Gespräch behandelte ausschließlich Rachepläne.«

»Scheint sich um eine Jugendbande zu handeln, Parker.«

»Sehr wohl, Sir. Aber um eine Bande, die etwas zu verbergen hat.«

»Haben die Zeitungen in letzter Zeit etwas über Jugendbanden gebracht?«

»Nur Einzelfälle, Sir.«

»Wir sollten die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen, Parker.«

»Keineswegs, Sir.«

»Wir sollten Lieutenant Madford anrufen und ihm einige Stichworte geben.«

»Gewiß, Sir, aber, wenn ich raten darf, zu einem späteren Zeitpunkt.«

»Zu einem Zeitpunkt, an dem Sie von diesen Burschen erwischt worden sind, wie?« Rander schüttelte den Kopf, »wir werden nicht warten, bis diese Jugendlichen verrückt gespielt haben.«

»Darf ich darauf aufmerksam machen, Sir, daß selbst Lieutenant Madford keine konkreten Vorwürfe erheben kann.«

»Na ja, stimmt schon. Aber er könnte diesen Marty Galbert mal diskret unter die Lupe nehmen.«

»Lieutenant Madfords direkte Art, Sir, würde die Jugendlichen nur unnötig verprellen. Nach Lage der Dinge rechnen sie jetzt mit einem Polizeibesuch. Bleibt dieser Besuch jedoch aus, müssen sie richtigerweise annehmen, daß ich mich keineswegs mit der Polizei in Verbindung gesetzt habe. Sie werden also versuchen, ihre Pläne durchzuführen.«

»Eben, Parker, eben. Vielleicht werden diese Burschen gerade durch das Einschalten der Polizei daran gehindert, Dummheiten zu begehen, die sie jetzt noch nicht übersehen können.«

»Ihre Erlaubnis voraussetzend, Sir, möchte ich widersprechen. Junge Männer, die unter sich offen und intensiv von einem geplanten Mord sprechen, diese jungen Männer, Sir, dürften harmlose Dummheiten bereits schon vor längerer Zeit begangen haben.«

»Was wollen Sie erreichen?« fragte Mike Rander etwa anderthalb Stunden später, als er neben seinem Butler in Parkers hochbeinigem Wagen saß. Es war dunkel geworden, und Parker bewegte seinen Privatwagen über eine der westlichen Ausfallstraßen.

»Mir schwebt vor, Sir, die Stärke der Gegner zu identifizieren«, erwiderte Parker gemessen. Er saß stocksteif am Steuer seines Wagens und schien seine Gegner nicht zu fürchten.

»Die Gegner werden Ihnen was husten«, meinte Rander lächelnd, »ich glaube, Parker, Sie haben diese Jugendlichen doch falsch eingeschätzt.«

»Man wird sehen, Sir!« Parker schaute in den Rückspiegel seines Wagens. Der Verkehr hinter dem hochbeinigen Monstrum verlief reibungslos.

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich eine Rotte von Motorradfahrern melden«, sagte Parker plötzlich.

Rander wandte sich um.

Er erkannte einen Pulk Lichter, die wie gebündelt zusammenhingen, sich dann leicht teilten und wieder zueinander aufschlossen. Ungewöhnliches vermochte Rander nicht daran zu bemerken.

»Ihre Phantasie läuft auf Hochtouren«, spöttelte Rander und sah seinen Butler kopfschüttelnd an, »ein paar junge Leute haben den Mund vollgenommen, und Sie wittern natürlich sofort wieder einen hochbrisanten Kriminalfall.«

Wenige Minuten später, als Parker den hochbeinigen Wagen absichtlich in eine stille Landstraße gesteuert hatte, mußte der junge Anwalt seine Ansicht revidieren.

Die Einzellichter holten erstaunlich schnell auf, schoben sich immer näher an Parkers Wagen heran und befanden sich bald darauf dicht hinter ihm.

»Irgendwie unheimlich«, sagte Rander und drückte seine Zigarette aus. Er wandte sich erneut um und konnte jetzt in vagen Umrissen die schwarz gekleideten Gestalten auf den Motorrädern erkennen. Im Widerschein der voll aufgedrehten Scheinwerfer sahen die Fahrer aus wie dunkel-drohende Erscheinungen aus einer anderen Welt.

»Können wir nicht schneller?« fragte Rander, obwohl er sehr gut wußte, wie schnell Parkers Wagen sein konnte, »die Burschen scheinen sowas wie einen Nervenkrieg zu wollen.«

Rander hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als die Motorradfahrer diesen Krieg erst richtig begannen. Scheinwerfer wurden eingeschaltet und voll aufgedreht. Lichtfluten brandeten ungehemmt in das Wageninnere. Rander kam sich vor wie auf einem besonders gut polierten Präsentierteller.

»Falls ich richtig gezählt habe, Sir, handelt es sich um sechs Fahrer«, sagte Parker, »und falls das Licht Sie stören sollte, Sir, bin ich durchaus in der Lage, eine gewisse Veränderung herbeizuführen.«

»Führen Sie, Parker, führen Sie!« Mehr hatte der junge Anwalt zu diesem Angebot nicht zu sagen.

Josuah Parkers rechte, schwarz behandschuhte Hand schob sich nach vorn auf das reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett. Die Finger dieser Hand legten einen kleinen unscheinbar aussehenden Kipphebel um. Sekunden später senkte sich über der Rückscheibe des Wagens eine lichtundurchlässige Jalousette.

»Gott sei Dank«, stöhnte Rander erleichtert auf. »Sagen Sie, Parker, was wollen diese Kerle?«

»Ich möchte höflichst daran erinnern, Sir, daß man beabsichtigt, meine bescheidene Wenigkeit umzubringen!«

»Dann rauschen Sie doch endlich los!« Rander hatte zwar keine Angst, war aber auf der anderen Seite nicht sonderlich scharf darauf, unter, Beschuß genommen zu werden.

Nun, geschossen wurde zwar noch nicht, doch auf der Überholseite des Wagens tauchten jetzt zwei Kräder auf, die sich dicht an das hochbeinige Monstrum heranschoben. Die Fahrer sahen konsequent nach vorn und nahmen ihre Köpfe noch nicht einmal für Zentimeter zur Seite. Sie schienen sich um die Insassen des Wagens überhaupt nicht zu kümmern.

Sie versuchten zu überholen, doch sie schafften es nicht. Parker steigerte die Geschwindigkeit seines Wagens derart, daß die Motorradfahrer den Kürzeren zogen.

Die, ersten Blicke zur Seite, die ersten Blicke herein in den Wagen. Die Fahrer waren sicher mehr als verblüfft, daß sie mit ihren schweren Maschinen diesen altertümlich aussehenden Wagen einfach nicht zu packen vermochten.

Fasziniert erlebte Mike Rander, was sich weiter tat.

Die Fahrer, die eben noch in der typisch steif-arroganten Art senkrecht in ihren Sesseln gesessen hatten, bogen sich jetzt vor, um den Luftwiderstand zu verringern. Sie wollten das Überholmanöver erzwingen.

Parker steigerte die Geschwindigkeit des Wagens noch mehr.

Die Motorradfahrer lagen bereits waagerecht über ihren Lenkern, sie gaben mit Sicherheit Vollgas, aber sie kamen an Parkers Wagen nicht vorbei. Da die Straße leer war, konnten sie sich dieses Seite-an-Seite-Fahren erlauben.

»Sie nehmen die Leute ganz schön hoch«, sagte Rander, dessen Stimme jetzt etwas erregt und gespannt klang.

»Mir schwebt vor, Sir, die jungen Herren ein wenig zu verunsichern«, erwiderte der Butler, der nach wie vor stocksteif am Steuer saß. »Mir scheint allerdings, daß bald schon die ersten Schüsse fallen werden.«

Parkers Vermutung sollte sich bald bestätigen.

Die Kradfahrer hatten endlich eingesehen, daß sie das hochbeinige Monstrum auf der ganzen Linie unterschätzt hatten. Um dennoch ihre Trümpfe auszuspielen, um ihre Absicht in die Tat umzusetzen, feuerten sie plötzlich aus zwei schweren Revolvern auf Parker, der für sie ja nur hinter einer normalen Wagenscheibe saß.

Sie verrechneten sich gründlich.

Das schwere Panzerglas ließ die Geschosse abprallen. Um das Spezialglas nicht unnötig zu strapazieren, drückte der Butler das Gaspedal noch ein wenig weiter hinunter, worauf das hochbeinige Monstrum sich in eine Art Mittelstreckenrakete verwandelte und davonraste.

Die Jalousette auf der Rückscheibe rollte sich automatisch wieder nach oben, nachdem Parker den zuständigen Elektroimpuls ausgelöst hatte.

»Sie fallen zurück«, meldete Rander erleichtert. Er hatte sich umgedreht und beobachtete die Verfolger. »Jetzt, Parker, sie drehen ab. Sie scheinen die Nase voll zu haben.«

»Allerdings nur kurzfristig, Sir, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf«, antwortete der Butler gemessen, »darf ich davon ausgehen, daß Sie inzwischen bemerkt haben, mit welchen jungen Herren wir es zu tun haben?«

»Das sind potentielle Mörder«, sagte Rander empört, »ich bleibe dabei, daß wir Lieutenant Madford informieren.«

»Vielleicht sollte man vorher zurück in die Stadt fahren, Sir, um einen gewissen Marty Galbert zu schützen.«

»Den jungen Bengel, der Sie auf dem Feldweg niederschlagen wollte?«

»In der Tat, Sir. Nachdem die jugendliche Bande gesehen hat, daß sie mit normalen Mitteln nichts erreichen konnte, wird sie sich an Marty Galbert schadlos halten wollen.«

Parker hatte auf dem scheinbaren Umweg über die Landstraße eine zweite Ausfallstraße erreicht, die er jetzt dazu benutzte, so schnell wie möglich zurück in die Innenstadt zu gelangen. Sein Wagen entwickelte dabei ein Tempo, daß Rander schwarz vor Augen wurde.

Rander konnte sich nur mühsam auf dem Sitz halten, als Butler Parker den Wagen vor einer Tankstelle stoppte.

»Ihre Erlaubnis, Sir, voraussetzend, möchte ich Marty Galbert eine Warnung zukommen lassen«, sagte er, »in wenigen Minuten werde ich zurück sein.«

Rander nickte und zündete sich eine Zigarette an. Er sah seinem Butler nach, der steif und würdevoll hinüber zu einem großen Wohnwagen-Trailer ging, in dem ein Schnellimbiß untergebracht war. Seinem Butler schien die Hetzjagd nichts ausgemacht zu haben.

»Ich muß leider vermelden«, sagte Parker nach seiner schnellen Rückkehr, »daß Marty Galbert nicht zu erreichen war. Seine Mutter, mit der zu sprechen ich die Ehre hatte, konnte nicht sagen, wo ihr Sohn sich zur Zeit aufhält.«

»Vielleicht war er auch hinter uns her. Denken Sie an sein Motorrad!«

»Dann, Sir, dürfte das Leben des jungen Mannes nicht mehr das wert sein, was man im Volksmund Pfifferling nennt!«

»Das Wohnhaus der Eltern«, sagte Parker und ließ seinen Wagen ausrollen. Er deutete durch das geöffnete Tor hinüber auf das Landhaus, in dem im Erdgeschoß einige Lichter brannten.

»Wollen wir hier auf Galbert warten?« fragte Rander.

»Darf ich mir den Rat erlauben, Sir, daß vielleicht Sie diesen Teil der Arbeit übernehmen? Ich würde den Wagen ein wenig weiter vom Tor weg abstellen.«

»Und Sie? Ah, ich verstehe.« Rander nickte. »Sie wollten sich um das Mädchen kümmern, ja?«

»Dies, Sir, ist in der Tat meine Absicht«, gab Parker zurück, »nach Lage der Dinge muß sie in einem benachbarten Haus wohnen. Sie kam, als ich mich in der Badehütte befand, aus dem Strauchwerk am Ende des Grundstücks.«

»Keine Experimente, Parker!«

»Sie können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen, Sir!« Parker lüftete verabschiedend seine schwarze Melone, legte sich den Bambusgriff seines Regenschirmes über den linken Unterarm und lustwandelte davon.

Rander verriegelte von innen die Wagentüren und wartete. Er sah gerade noch, daß Parker äußerst ungeniert durch das Tor des Galbert-Grundstückes ging und richtete sich auf eine längere Wartezeit ein.

Wieder einmal verwünschte er Parkers Leidenschaft, sich mit der Unterwelt und dem Verbrechen zu messen. Wie ein Magnet Eisenfeilspäne anzieht, so zog Parker Verbrechen an. Er stolperte förmlich über Ungesetzlichkeiten und ließ sich keine Möglichkeit entgehen, echte Gangster vor den Richter zu bringen.

Mike Rander war von dieser Haltung irgendwie angesteckt worden. Einmal hing das mit seinem Beruf als Anwalt zusammen, zum anderen ging auch Rander einem Abenteuer niemals freiwillig aus dem Weg.

Gewiß, er schimpfte zwar von Fall zu Fall wie ein Rohrspatz und schwor, sich diesmal nicht zu beteiligen. Doch im Endeffekt stand er immer an der Seite seines Butlers.

Finanziell völlig unabhängig, wurde sein Anwaltsbüro in der City von Chikago von erstklassigen Mitarbeitern geleitet. Rander konnte sich die Fälle aussuchen, die ihn interessierten. Und er konnte für Wochen mit seinem Butler verreisen, wenn es die Lage erforderte. Seine juristisch voll ausgebildeten Mitarbeiter nahmen dann die Routinefälle wahr, die unaufschiebbar waren.

Rander, ins Sinnieren gekommen, richtete sich plötzlich steil auf. Er sah das Rotlicht eines Polizeiwagens und dann den Wagen selbst, der schnell näherkam, dann aber zielsicher auf das Galbert-Grundstück einbog.

Der junge Anwalt wußte damit, daß ein gewisser Marty Galbert zumindest schwer verunglückt war, falls er überhaupt noch lebte.

Das scharf konzentrierte Lichtbündel der Kugelschreiber-Taschenlampe entdeckte im Gesträuch eine Art Trampelpfad, der den Hügel hinaufführte.

Dies mußte der Weg sein, den Judy genommen hatte. Parker schaltete das Licht wieder aus und blieb solange stehen, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann tastete er sich mit der Spitze seines Universal-Regenschirms weiter vor, bis er den Strauchgürtel durchschritten hatte. Der Trampelpfad endete vor einer übermannshohen Ziegelmauer, in die aber eine schmale Mauerpforte eingelassen war.

Diese Pforte war verschlossen.

Josuah Parker ließ sich dadurch aber keineswegs aus dem Konzept bringen. Er bemühte sein kleines Spezialbesteck, führte einen schmalen Spezialhaken in das Schloß und brauchte etwa anderthalb Sekunden, bis das Schloß freiwillig jeden weiteren Widerstand aufgab und sich öffnen ließ.

Parker durchschritt die schmale Pforte, zog sie hinter sich zu und blieb einen kurzen Moment abwartend stehen. Dieses fremde Terrain wollte er erst nach eingehender Erkundung betreten. Er wußte ja nicht, welche Überraschungen ihn erwarteten.

Er befand sich, wie er schnell herausfand, in einem zweiten, parkähnlich großen Garten, in dem im Hintergrund ein moderner Bungalow zu erkennen war, in dem hinter einigen Fenstern Licht brannte. Parker ging gemessen auf diesen Bungalow zu, hinter dessen Mauern und Glasfronten er immerhin ein junges Mädchen Judy vorzufinden hoffte.

Parker sollte sich tatsächlich nicht getäuscht haben.

Gewiß, es war ihm ungemein peinlich, so ohne weiteres und ohne Erlaubnis in diesem fremden Garten zu lustwandeln, aber auf der anderen Seite glaubte er mit Sicherheit, einiges für diese Judy noch tun zu können.

Der Bungalow war L-förmig angelegt. Im kurzen Teil brannte hinter den herabgelassenen Jalousetten Licht. Parker blieb vor diesem Fenster stehen und hatte das Glück, daß die Jalousette nicht ganz geschlossen war.

Judy, die einen weißen Bademantel trug, lag auf einer breiten, sehr niedrigen Couch und blätterte lustlos und offensichtlich in einem Magazin. Sie schaute in fast gleichmäßig kurzen Abständen auf ihre Armbanduhr und schien Besuch oder bestimmte Nachrichten zu erwarten.

Parker klopfte leicht gegen die Scheibe.

Judy schoß förmlich hoch, horchte, stand vollends auf und lief schnell zum Fenster. Sie zog die Jalousette hoch und öffnete eine fensterhohe Tür.

Sie prallte zurück, als Parker aus der Dunkelheit in den Lichtkreis trat und höflich seine schwarze Melone lüftete.

Judy wollte sofort wieder die Tür schließen, doch der Universal-Regenschirm des Butlers, der sich zwischen Tür und Rahmen schob, hinderte sie daran.

»Ich werde nur kurz stören«, sagte Parker höflich und würdevoll, »mir scheint, daß es für Sie wichtig ist, wenn Sie mich empfangen.«

Sie starrte ihn wütend an. Ihre Überraschung und Angst hatten sich bereits wieder gelegt. Dann schnaufte sie gereizt, trat zurück und hatte nichts dagegen, daß Parker nähertrat.

»Machen Sie es kurz«, sagte sie.

»Wenn Sie gestatten, Miß Judy, möchte ich vorher die Jalousette schließen.« Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, dichtete der Butler das Fenster nach außen ab. Er achtete darauf, daß man nicht mehr in das Zimmer hineinsehen konnte.

»Ich möchte Ihnen kommentarlos mitteilen, Miß Judy, daß gewisse Motorradfahrer vor etwa fünfundvierzig Minuten versucht haben, meinen Herrn und meine bescheidene Wenigkeit umzubringen!«

Sie starrte den Butler an und sagte nichts.

»Wie Sie weiter sehen, mißlang dieser Anschlag«, redete Parker weiter, »daraus läßt sich mit einiger Sicherheit schließen, daß man versuchen wird, Ihren Freund mundtot zu machen.«

»Marty?«

»Marty Galbert, in der Tat. Für gewisse Jugendliche dürfte er nach diesem mißglückten Anschlag zu einer echten Gefahr geworden sein, da man weiß, daß es mir gelungen ist, seine Identität zu klären!«

»Das werden sie nicht riskie…« Sie brach ab und sah den Butler jetzt ängstlich an. Von außen war gegen die Fensterscheibe geklopft worden.

»Die Motorradfahrer?« fragte der Butler leise.

Judy hob ratlos die Schultern und wich zur Wand zurück.

»Sie sollten sich noch besser in Deckung bringen«, schlug der Butler leise vor. »Sie wissen doch, Miß Judy, daß auch Sie jetzt eine Gefahr darstellen.«

Bevor Judy antworten konnte, war auf der Glasscheibe der Tür ein feines, aber intensives Kratzen und Knirschen zu hören, das Parker sofort richtig deutete.

Irgendwer draußen vor der Tür benutzte einen Diamanten, um die Glasscheibe zu zerschneiden.

Parker deutete auf eine Ecke, die von einem Schrank und der Längswand des Zimmers gebildet wurde. Judy verstand sofort, nickte hastig und trippelte auf Zehenspitzen, in die schützende Ecke. Parker blieb in der Nähe der Stehlampe stehen, die wie eine überdimensional große Glühlampe aussah. Dann wartete er auf den oder die Besucher. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie eindrangen.

Als es dann wirklich soweit war, klopfte der Butler mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Schirms gegen diese Glühlampe, die sofort ihren Geist aushauchte und erlosch.

»Vorsicht – Schnüffler…!« Judy schrie es im gleichen Moment aus ihrer schützenden Ecke heraus.

Parker war ehrlich überrascht. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Judy hatte ihn nach allen Regeln der Kunst hereingelegt und es geschafft, daß der oder die Besucher sich sofort absetzten.

Parker hörte Schritte, Stimmen, dann hastiges Laufen, das bald verklang.

Parker war allerdings nicht untätig geblieben.

Nachdem Judy ihren Warnruf ausgestoßen hatte, mußte er damit rechnen, daß auch sie sich absetzen wollte. Diesem Vorhaben, falls es geplant war, kam er zuvor.

Judy kickste erschreckt auf, als sie in Parkers Armen landete. Er stand genau da, wo sie die Tür vermutet hatte! Sie wehrte sich nur wenig und begann plötzlich zu schluchzen. Willig und ohne weitere Gegenwehr ließ Judy sich zurück ins Zimmer führen. Parker drückte sie auf den Rand der tiefen Couch.

»Ihre Angst ist äußerst bemerkenswert«, sagte er mit ruhiger Stimme zu Judy, »ohne sie hätten Sie wohl kaum Ihren Warnschrei ausgestoßen.«

»Sie bringen mich um!« schluchzte sie.

»Dagegen läßt sich mit größter Sicherheit einiges tun«, erwiderte der Butler, »ich vermag Ihnen allerdings nur dann zu helfen, wenn Sie offen zu mir sind.«

»Sie bringen mich um!« schluchzte sie erneut, als habe sie überhaupt nichts gehört.

»Wer, wenn ich höflichst fragen darf?«

»Die Lämmer«, lautete ihre etwas verworren klingende Antwort.

»Wer, bitte …?«

»Die sanften Lämmer«, weitete sie ihre Auskunft aus, »sie werden mich umbringen!«

»Die sanften Lämmer?«

»Ja, doch! – Sie ahnen ja nicht, wer sie sind!«

»Ich gebe mich der Hoffnung hin, Miß Judy, daß Sie mit weiteren Einzelheiten dienen werden.«

»Nein, nein. Ich habe Angst. Ich sage kein Wort!« Sie sprang blitzschnell auf und wollte weglaufen. Ihr Ziel war die Tür, die noch zwangsweise geöffnet war.

Judy hatte aber nicht mit Parkers Regenschirm gerechnet.

Der Bambusgriff schnellte vor und erfaßte den linken Knöchel der schnellen jungen Dame.

Judy verlor das Gleichgewicht und landete auf dem erfreulicherweise dicken Teppichboden. Sie blieb regungslos liegen.

»Ihre Befürchtungen sind eingetroffen«, sagte Mike Rander etwa eine halbe Stunde später, nachdem Parker und Judy im Wagen saßen.

»Ist Marty was passiert?« fragte Judy hastig. Sie war etwas unfreiwillig mitgekommen, nachdem Parker sie nachdenklich zu dem kleinen Spaziergang eingeladen hatte. Für den Rückweg hatte Parker auf die Mauerpforte verzichten müssen. Lichtfluten im Galbert-Landhaus hatten ihn vorgewarnt und ihm gezeigt, daß er das Grundstück meiden mußte.

Parker und Judy hatten eine reguläre, kleine Stichstraße benutzt und waren dann zu Rander gestoßen, der sie erleichtert aufgenommen hatte.

»Ist Marty etwas passiert?« fragte Judy erneut, da Rander nicht sofort geantwortet hatte.

»Marty Galbert ist tödlich verunglückt«, sagte Rander knapp, »ich habe es vom Fahrer des Streifenwagens. Eine Highwaystreife fand ihn neben seinem Motorrad!«

»Daran sind Sie allein schuld!« schrie Judy mit versagender Stimme und warf sich auf den Butler.

»Daran ist Ihr junger Freund schuld«, erwiderte Parker ruhig und abweisend. »Ich darf an die Szene auf dem Feldweg erinnern, Miß Judy. Schließlich waren es Marty Galbert und Sie, die einen harmlosen Verkehrsteilnehmer überfallen und ausrauben wollten!«

»Mußten Sie denn hinter Marty herschnüffeln?«

»Wenn Sie etwas ruhiger geworden sind, werden Sie sich diese Frage selbst beantworten können«, sagte Parker, der am Steuer saß.

Judy ließ den Kopf hängen und sagte vorerst kein Wort. Rander, der hinter ihr auf dem Rücksitz saß, zündete sich eine Zigarette an und reichte sie ihr. Sie griff dankbar zu und inhalierte tief den Rauch.

»Sie haben recht«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ruhiger geworden. »Ich glaube, ich weiß jetzt genau, was ich tun muß.«

»Wir können Sie zur nächsten Polizeistation bringen«, schlug Mike Rander vor, »immerhin geht es jetzt um Mord, Miß Judy.«

»Sie … Sie werden sich fragen, warum Marty und ich Sie überfallen wollten?« Sie wandte sich an Parker, als habe sie die Worte des jungen Anwalts überhaupt nicht gehört.

»Sollte es sich möglicherweise um eine Art Mutprobe gehandelt haben?«

»Woher … Woher wissen Sie das?« fragte sie verblüfft.

»Marty Galbert war und Sie sind finanziell nicht eingeengt«, erklärte der Butler, »es konnte Ihnen also keineswegs um meine Brieftasche gehen …!«

»Es sollte eine Mutprobe sein«, entgegnete Judy, deren Stimme immer fester wurde, »die sanften Lämmer wollten uns erst dann aufnehmen, wenn wir zeigten, daß wir ein Ding drehen können!«

»Die sanften Lämmer …?« Randers Stimme dehnte sich erstaunt.

»Die sanften Lämmer«, wiederholte Judy und nickte, »so nennen sie sich. Eine Gruppe von jungen Leuten. Sie haben irgendwas mit Hippies zu tun.«

»Und wo befindet sich das Hauptquartier dieser Lämmer?« wollte der Butler wissen.

»Irgendwo draußen vor der Stadt«, erwiderte Judy. »Sie müssen mir abnehmen, daß ich den genauen Platz nicht kenne. Marty und ich sollten ja erst aufgenommen werden.«

»Mit einer ungefähren Lagebeschreibung wäre mir bereits erheblich gedient.«

»Irgendwo am See«, präzisierte Judy etwas näher, »sie sprachen immer von einer Strandvilla. Ich selbst war noch niemals draußen, nur Marty …«

»Um wie viele Mitglieder handelt es sich?« Rander nutzte ebenfalls die Chance, daß Judy jetzt redete.

»Etwa um ein gutes Dutzend«, antwortete Judy, »die Hälfte davon sind Mädchen … So wenigstens hatte Marty mir es geschildert.«

»Darf ich unterstellen, daß es einen speziellen Anführer gibt?« fragte Parker. Er lenkte sein hochbeiniges Monstrum durch die nächtlichen Straßen, paßte aber sehr gut nach hinten auf. Er wollte nicht noch einmal von Motorradfahrern belästigt werden.

»Der Leithammel heißt Johnny«, lautete Judys Antwort. »Ja, wundern Sie sich nicht, er nennt sich Leithammel. Klingt jetzt sehr albern, aber vor ein paar Stunden war’s für mich noch faszinierend.«

»Sind Ihnen möglicherweise weitere Mitglieder namentlich bekannt?«

Judy schüttelte den Kopf.

»Gibt es hier in der Stadt irgendeine Lokalität, in der sich die sanften Lämmer zu treffen pflegen?«

»In Lew’s Bierkeller«, erwiderte Judy plötzlich eifrig, »davon hat Marty mal gesprochen. Aber fragen Sie mich nicht, wo dieser sich befindet.«

»Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Madford, jetzt bin ich auf Parkers Seite«, sagte Mike Rander energisch zu dem Lieutenant der Mordkommission, der ins Studio gekommen war, »Sobald Sie und Ihre Leute ermitteln, Madford, ziehen die sanften Lämmer sich in ihre Schlupfwinkel zurück.«

»Hier geht es um Mord! Um Mord, begangen an Marty Galbert!« Madford, der schmale, drahtige Polizeioffizier mit dem cholerischen Temperament drückte seine Zigarette wütend im Ascher aus. »Okay, diesen Mord können wir im Moment nicht beweisen, aber das schaffen wir noch.«

»Um ihn beweisen zu können, Sir, sollte man Beweismaterial herbeischaffen«, schaltete Parker sich in die Unterhaltung ein, »und dieses Material müßten die sogenannten sanften Lämmer liefern.«

»Wenn wir diese Bande unter Druck setzen, werden wir schon Geständnisse bekommen.« Madford blitzte seinen Sergeant McLean an, der wieder einmal drauf und dran war, ein kleines Nickerchen zu halten. Groß wie ein Grislybär, scheinbar phlegmatisch und kein Lieferant von Geistesblitzen, aß McLean mit Vorliebe, trank noch, lieber scharfe Sachen und hielt sehr viel von kleinen Ruhepausen. Wenn es darauf ankam, konnte McLean allerdings blitzschnell zuschlagen. Wie ein gereizter Bär, der nach dem Zulangen wieder seine Ruhe haben will.

»Und wo wollen Sie die sanften Lämmer finden?« erkundigte sich Mike Rander ironisch.

»In Lew’s Bierkeller«, sagte Madford, »Sie haben mir ja eben diesen Tip geliefert.«

»In diesem Bierkeller, Sir, wird man sehr schnell herausfinden und merken, daß eine Überwachung stattfindet.«

»Die sanften Lämmer werden sich dann hüten, sich dort noch einmal blicken zu lassen«, fügte Rander hinzu. »Unsere Chance, Madford, liegt einzig und allein darin, daß vorerst überhaupt nichts unternommen wird. Diese Lämmer müssen den Eindruck gewinnen, daß wir die Polizei eben nicht informiert haben.«

»Es wäre in der Tat gut, Sir, wenn diese sanften Lämmer den Eindruck gewinnen würden, Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit hätten die Absicht, auf eigene Faust zu ermitteln.«

»Und Sie rechnen nicht damit, daß sie schnell herausbekommen, wer Sie und Mister Rander sind?« Madford winkte gereizt ab.

»Mit dieser Möglichkeit muß selbstverständlich gerechnet werden, Sir!« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich setze aber auf die Eitelkeit dieser jugendlichen Verbrecher. Für sie wird es ein Spaß sein, Mister Rander und meine Wenigkeit mundtot zu machen.«

»Klar, Chef«, sagte McLean, der sich entschlossen hatte, später im Dienstwagen zu schlafen, »wenn Sie ’n Wirbel veranstalten, vergraulen Sie die komischen Vierbeiner. Geben Sie denen doch ’ne Chance, auf die Tube zu drücken.«

»Ich brauche Ihre Kommentare nicht, McLean«, raunzte Madford sofort los. Aber er wurde nachdenklich.

»Jawohl, Sir!« sagte McLean in dienstlichem Tonfall.

»Mit anderen Worten, Parker, Sie wollen wieder einmal einen Alleingang unternehmen, wie?« Madford runzelte die Stirn und blitzte den Butler an.

»Im Dienste der Gerechtigkeit und des Rechts«, sagte Parker würdevoll.

»Also gut!« Madford war zu einem Entschluß gekommen. »Ich gebe Ihnen und Ihnen, Mister Rander, drei Tage Zeit! Wenn Sie bis dahin diese Lämmer nicht aufgespürt haben, lasse ich meine Leute von der Kette los.«

»Das schafft Parker in zwei Tagen«, sagte McLean unvorsichtigerweise.

»Ihre Kommentare sind nicht erwünscht«, bellte Madford sofort dazwischen.

»Jawohl, Sir!« erwiderte der Sergeant, stand auf und nahm so etwas wie Haltung an. Worüber sich Madford zusätzlich ärgerte.

»Es gibt noch eine zweite Möglichkeit«, sagte Madford dann. Ihm war eine Idee gekommen. »Wie wäre es, wenn wir diese Judy Calmer freisetzen? Sie könnte uns als Lockvogel dienen.«

»Ein bestechender Gedanke, Sir«, widersprach Parker in seiner höflichen Art und Weise, »wahrscheinlich weiß Miß Calmer wesentlich mehr als sie zu sagen bereit war. Es ist nur zu befürchten, daß die sanften Lämmer sie umbringen werden. Und dieses Risiko sollte man unnötig nicht eingehen.«

»War ja auch nur so ’n Gedanke von mir.«

McLean grinste unverhohlen, obwohl er wußte, daß er später im Wagen seine private Abreibung erhalten würde.

»Und was geschieht jetzt mit der jungen Dame?« fragte Mike Rander, nachdem dieser Punkt geklärt war. »Es dürfte wohl zu gefährlich sein, sie zurück nach Hause zu schicken.«

»Was ist eigentlich mit ihrer Familie los?« fragte Lieutenant Madford. Er sah betont den Butler an, weil er sich vorstellen konnte, daß Parker selbstverständlich alle wichtigen Details aus Judy Calmer herausgeholt hatte.

»Die Eltern der jungen Dame besitzen eine Kunstgalerie, die erstaunlich gut floriert«, berichtete Parker, »Mrs. und Mister Calmer sind im Kunstbetrieb dieser Stadt tätig, wenn ich mich so ausdrücken darf.«

»Und haben wohl kaum Zeit für ihre Tochter, wie? Ist Judy das einzige Kind?«

»In der Tat, Sir. Miß Judy führt das, was man ein mehr als freies Leben nennt. Sie volontiert in einer Boutique im Loop, aber nach ihren eigenen Auskünften pflegt sie dort nur mehr sporadisch zu erscheinen.«

»Verwöhntes Herzchen, wie?« Madford verzog sein Gesicht.

»Sie kann in der Tat über ihre Zeit frei verfügen und die Mittel ausgeben, die ihre Eltern reichlich zur Verfügung stellen.«

»Und wie geriet sie an die sanften Lämmer?«

»Auf dem Umweg über Marty Galbert. Er nahm sie eines Tages mit in den bereits erwähnten Bierkeller.«

»Okay, bleibt das Problem, wo wir das Mädchen lassen.« Madford sah zu McLean hinüber, der mit dem Schlaf kämpfte.

»Man könnte sie möglicherweise veranlassen, zu einer Freundin zu ziehen, die den ›Lämmern‹ unbekannt ist.«

»Wäre die richtige Lösung«, pflichtete Madford überraschenderweise bei, »ich denke, das sollten Sie in die Hand nehmen, Parker. Aber noch lieber wäre mir, wir könnten dieses Herzchen für ein paar Tage hinter Schloß und Riegel bringen. Handhaben sind vorhanden. Immerhin hat sie zusammen mit Galbert versucht, Sie zu überfallen!«

»Wegen dieser Geschichte können Sie sich später immer noch mit Judy Calmer unterhalten«, warf Rander ein, »jetzt geht es erst mal darum, daß wir diese ›Lämmer‹ aufspüren, Madford.«

Parker brachte Madford und McLean über den Dachgarten hinüber zur geschickt getarnten Panzertür, hinter der sich die steile und absichtlich schmale Treppe hinunter zum Lichthof und Fahrstuhl befand.

Als Parker zurück ins Penthouse kam, stand sein junger Herr am Telefon. Er winkte Parker zu sich heran und deutete auf den zweiten Hörer.

»… ist doch Ihre Sache, ob Sie mir glauben oder nicht«, sagte eine gespielt gelassene, noch jugendliche Stimme, »ich weiß nur, daß meine Informationen bestimmt nicht billig sind. Wenn Sie was über die ›Lämmer‹ erfahren wollen, müssen Sie tief in die Tasche greifen!«

»Wo kann ich mich mit Ihnen unterhalten?« fragte Rander.

»Nur hier in der Stadt«, kam prompt die Antwort, »und noch etwas, Mister Rander, bloß keine Mätzchen! Sonst hau’ ich nämlich sofort wieder ab.«

»Sagen wir, in einer halben Stunde im Loop?«

»Okay, einverstanden. Aber kommen Sie allein! Ohne Ihren komischen Butler. Und bringen Sie gleich mal als Anzahlung fünfhundert Piepen mit.«

»Wo im Loop wollen wir uns treffen?«

»Kennen Sie Andys Flipper-Keller?«

»Ich werde ihn finden. Bis dann.«

»Hören Sie, keine Mätzchen, sonst bekommen Sie aus mir keinen Ton ’raus!«

»Wie erkenne ich Sie?«

»Werden Sie schon merken. Ich werd’ Sie von der Seite anquasseln. Hauptsache, Sie kommen – Ende!«

Rander legte auf und sah seinen Butler abwartend an.

»Es dürfte sich meiner bescheidenen Ansicht nach um eine Falle der sanften Lämmer handeln«, meinte der Butler gemessen, »dennoch sollte man die Chance nutzen, Kontakt zu diesen Lämmern aufzunehmen.«

»Finde ich auch, Parker.«

»Wahrscheinlich ist diesen sanften Lämmern inzwischen bekannt, wo Judy Calmer sich aufhält, Sir. Man braucht also ein Druckmittel, damit Sie und meine bescheidene Wenigkeit sie ausliefern.«

»Genau, Parker. Aber verlieren Sie keine Zeit! Rüsten Sie mich mit ein paar freundlichen Überraschungen aus! Ich möchte nicht gerade wie ein Superlamm auf der Schlachtbank erscheinen.«

»Sie werden mit meinen Ausrüstungsvorschlägen zufrieden sein«, erwiderte Parker, »ich werde mir erlauben, Ihnen eine handliche Auswahl vorzulegen!«

Es ging auf Mitternacht zu, als Mike Rander seinen Sportwagen verließ und sich Andys Flipper-Keller näherte. Es handelte sich um ein Lokal, in dem eine Riesenauswahl von Spielautomaten aller Ausführungen stand. Der große Keller, weiß getüncht, war in grelles, bläuliches Neonlicht getaucht. Der Besuch um diese späte Stunde war nicht besonders groß. Rander schätzte beim Eintreten etwa zwanzig Gäste, in der Hauptsache junge Leute zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren.

Der Anwalt, der einen leichten Raglanmantel trug, schlenderte an den Spielautomaten vorbei und blieb vor einem Kleinschießstand stehen. Mittels einer fest montierten Pistole, die kardanisch aufgehängt war, mußte man mit Lichtimpulsen nach wandernden Zielen schießen. Ein nettes Geschicklichkeitsspiel, falls man sich die Zeit vertreiben wollte.

Rander hatte gerade seinen Obulus in den Geldschlitz gesteckt, als hinter ihm ein leises Lachen zu hören war. Langsam wandte Rander sich um.

»Pünktlich wie die Feuerwehr«, sagte einer der beiden jungen Männer. Er war mittelgroß, sehr kompakt und trug über seinem Rollkragenpullover eine Sportjacke.

»Habe ich mit einem von Ihnen eben per Telefon gesprochen?«

»Haben Sie, Mann.« Der Kompakte grinste.

»Neugierig, was?« fragte der zweite Mann. Er war schmal, sah sportlich aus und hatte eine Narbe über der linken Augenbraue.

»Natürlich«, erwiderte Rander lächelnd. »Sie haben mir ja ein paar tolle Informationen angeboten.«

»Haben Sie die Piepen dabei?« wollte der junge Mann mit der lädierten Augenbraue wissen.«

»Wie verabredet.«

»Kommen Sie!« der Kompakte kümmerte sich nicht weiter um Mike Rander, drehte sich um und ging hinüber zur Eingangstreppe. Der junge Mann mit der lädierten Augenbraue blieb hinter Mike Rander.

Der Anwalt hatte keine Angst. Natürlich nicht, denn er war von seinem Butler speziell ausgestattet worden.

Nach menschlichem Ermessen konnte so schnell nichts passieren.

»Drüben, auf dem Parkplatz«, sagte der Kompakte, als sie das Freie erreicht hatten, »Sie sind hoffentlich allein, wie?«

»Ich habe mich an die Abmachung gehalten«, sagte der Anwalt.

»Tun wir auch. Nur keine Sorge!« Die beiden jungen Männer grinsten sich verstehend an und nahmen den Anwalt in ihre Mitte. Sie überschritten die Straße und gingen zu dem Parkplatz, der sich auf dem unbebauten Grundstück befand, das von zwei massigen Häusern begrenzt wurde.

Sie hatten den Parkplatz erreicht und deuteten auf einen ungewaschenen, alten Buick, der in der zweiten Reihe stand. Hier angekommen, bauten sie sich vor Rander auf, lächelten und schauten sich etwas mißtrauisch um.

Dann, ohne jede Vorwarnung, schlug der Kompakte aus der Hüfte heraus zu. Seine Faust knallte mit aller Kraft gegen Randers Magenpartie.

Der Stämmige zuckte mit einem erstickten Aufschrei zurück und sah verblüfft auf seine rechte Hand, deren Finger sich überraschenderweise nicht mehr bewegen ließen.

Der junge Mann mit der lädierten Augenbraue vermochte seinen Schlag nicht mehr zu stoppen, selbst wenn er es vorgehabt hätte. Seine Faust hatte sich als Ziel die Nierenpartie Mike Randers ausgewählt.

Seine Faust traf die Zielgegend, aber auch er stieß einen erstickten Schrei aus, mußte seine linke Hand zu Hilfe nehmen, um die rechte Faust überhaupt in die Waagerechte zu bekommen. Auch seine Finger ließen sich nicht mehr bewegen.

Rander schien überhaupt nicht getroffen zu sein. Er lächelte die beiden jungen Männer an, die jede Aggressivität verloren hatten und stöhnten.

»Sie scheinen sich doch nicht an die Abmachungen halten zu wollen«, sagte Rander dann. »Ich denke, daß das Gespräch damit bereits beendet ist.«

Die beiden jungen Helden merkten erst mit erheblicher Spätzündung, daß sie ihre Fäuste gegen einen stahlharten Gegenstand gedroschen hatten. Und sie wurden sich langsam klar darüber, daß zumindest ein paar Finger pro Hand gebrochen sein mußten.

Sie stöhnten also, sahen den Anwalt fast anklagend an und wußten nicht, was sie tun sollten. Sie waren ausgemachte Schläger, aber so etwas war ihnen bisher noch nie passiert.

Rander blieb auf der Hut.

Waren sie allein? Oder hatten sie sich Hilfstruppen mitgebracht? Mußte er mit einem weiteren Angriff rechnen?

Dieser Angriff ließ nicht lange auf sich warten.

Zwei junge Männer erschienen auf der Bildfläche. Sie hatten vorher den Parkplatz gegen eventuelle Störungen abgesichert und wunderten sich, daß ihre beiden Partner noch nicht zu Rande gekommen waren.

Mit schnellen Blicken sahen sie, was passiert war. Da stand das Opfer, mit dem Rücken zum Buick, lächelte und sah völlig unversehrt aus.

Und da waren ihre beiden Partner, die auf einem Bein herumtanzten und dabei gequälte Töne ausstießen. Irgend etwas mußte also schiefgegangen sein.

Sie gingen sofort zum Angriff über. Und sie wollten sich dabei zweier Kabelenden bedienen, die sie vorsorglich mitgebracht hatten.

Doch Mike Rander war von seinem Butler erstklassig ausgestattet worden. Der junge Anwalt, der längst und sicherheitshalber einen unscheinbar aussehenden Kugelschreiber in der Hand hielt, richtete die Spitze des Kugelschreibers auf die beiden anstürmenden Gegner.

Ein schneller Druck auf den Haltclip des Kugelschreibers, und schon schoß mit feinem Zischen eine nebelartige Flüssigkeit aus der Spitze des Schreibgerätes.

Aufbrüllend warfen die beiden neuen Gegner sich zurück und befaßten sich ab sofort nur noch mit ihren Augen, die plötzlich brannten, als seien sie intensiv mit Pfeffer behandelt worden. Die Sicht war ihnen genommen, die Augen brannten und tränten hemmungslos, die Kerle mußten niesen und husten und glichen innerhalb weniger Sekunden harmlosen, verängstigten kleinen Würstchen, die sich am liebsten in das nächste Mause- oder Rattenloch verkrochen hätten.

»Ihrem ungemein frischen Aussehen darf ich entnehmen, Sir, daß der Kontakt mit den Informanten zu Ihrer Zufriedenheit verlief.«

Parker ging um sein hochbeiniges Monstrum herum, öffnete die Wagentür und ließ seinen jungen Herrn einsteigen. Dann schritt er zurück und setzte sich ans Steuer seines Vehikels, das aber nur äußerlich noch einem Taxi aus London glich. Umfangreiche Umbauten hatten dieses ehemalige Taxi in eine Art Trickauto verwandelt.

»Dank der Stahlblechweste habe ich die Hiebe tatsächlich lächelnd einstecken können«, meinte Rander und lachte leise, »ich empfinde noch nicht einmal Mitleid mit diesen Schlägern.«

»Verständlicherweise, Sir.«

»Ich habe zwei Minisender unterbringen können«, sagte Rander weiter, »die beiden sichtschwachen Rowdies haben überhaupt nicht mitbekommen, daß ich ihnen die Sender unter die Rockkragen geschoben habe.«

»Demnach müßte man die Herren bald in ihren Schlupfwinkeln aufsuchen können, Sir.«

»Denk ich auch, Parker. Wissen Sie, diese Schläger können aber unmöglich die sanften Lämmer sein, die wir suchen. Es handelt sich um Rocker…«

»Zu dieser Lagebeurteilung, Sir, bin auch ich gekommen, Sir.«

»Die Kerle könnten vielleicht von den wirklichen Lämmern vorgeschoben worden sein.«

»Sehr wohl, Sir. Vielleicht handelt es sich um eine Art Leibgarde, die sich die sanften Lämmer zugelegt haben.«

»Paßt das zusammen? Auf der einen Seite diese Lämmer – Hippies, wie Judy Calmer behauptet, auf der anderen Seite harte Schläger. Wieso schaffen die Lämmer es, diese Rocker an der Leine zu halten?«

»Möglicherweise verfügen die Lämmer über gewisse Attraktionen, Sir, um sich gegen die Rocker immer wieder durchzusetzen.«

»An welche Attraktionen haben Sie da gedacht, Parker?«

»Dies, Sir, entzieht sich meiner momentanen Beurteilung. Ich möchte hoffen, daß die Kleinstsender da zu einer Klärung beitragen werden.«

Josuah Parker hatte sein Wagenradio längst eingeschaltet und auf eine bestimmte Frequenz eingestellt, die mit der der Minisender korrespondierte. Falls ein hohes Piepsignal zu vernehmen war, mußten sie sich in der Reichweite der beiden Sender befinden.

Selbstverständlich brauchten Parker und Rander nicht ziel- oder planlos durch die riesige Stadt zu fahren, um solch ein Signal zu empfangen. Das hätte Stunden gebraucht und schloß das Risiko ein, überhaupt nichts zu hören.

Parker brauchte sich nur auf ein ganz bestimmtes Stadtviertel zu konzentrieren. Es handelte sich um den Osten und Südosten, wo die riesigen Schlachthöfe und Verschiebebahnhöfe ihren Standort hatten. Erfahrungsgemäß nisteten dort Rocker- und Schlägerbanden. Hinzu kam dann noch als Pluspunkt der sichere Instinkt des Butlers. Er hatte es einfach in den Fingerspitzen.

Nach etwa dreißig Minuten war ein schwaches Piepsen im Lautsprecher des Bordradios zu hören. Parker brauchte nur zwei kleine Richtungsänderungen auszuführen, um das Piepsen lauter und eindringlicher werden zu lassen. Nach weiteren zehn Minuten war das Sendesignal fast quälend laut. Die sehbehinderten Schläger mußten sich demnach in unmittelbarer Nähe befinden, vielleicht dort irgendwo in dem Häuserblock, der aus häßlichen, alten Wohnmaschinen bestand.

Parker stoppte sein hochbeiniges Monstrum am Straßenrand und wandte sich an seinen jungen Herrn.

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich die Quelle der Sendesignale näher lokalisieren.«

»Und wenn Sie erlauben, Parker, werde ich mitkommen«, erwiderte er ironisch. »Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß ich hier im Wagen bleibe?«

Josuah Parker hielt einen harmlos aussehenden Kugelschreiber in der Hand, mit dessen Spitze er scheinbar sinnlos in die Dunkelheit hineinstach.

Doch dieser so harmlos aussehende Kugelschreiber war nichts anderes als ein hochempfindliches Empfangsgerät in Kleinstbauweise. Ein dünnes Kabel verband den Kugelschreiber mit einem Clip, den der Butler sich ins linke Ohr gesteckt hatte. Er hörte so direkt und unverzerrt die Sendesignale und konnte an der Intensität bestimmen, woher sie kamen.

Parker hatte sich übrigens nicht getäuscht.

Die Sendesignale kamen mit Sicherheit aus der häßlichen Wohnmaschine, genauer gesagt, aus dem Kellergeschoß. Es fand sich eine Treppe, die hinunter in das Souterrain führte.

Rander und Parker stiegen vorsichtig über die Treppe nach unten und blieben vor einer Tür stehen, deren frühere Glasfüllung mit dicken Brettern zugenagelt war.

Links und rechts von dieser Tür gab es einige schmale, rechteckige Fenster, die an Schießscharten erinnerten. Auch sie waren mit Brettern vernagelt worden.

Parker tauschte das Empfangsgerät gegen einen anderen Kugelschreiber aus, der selbstverständlich ebenfalls gewisse technische Geheimnisse enthielt. Es handelte sich um ein höchstempfindliches Horchgerät, dessen Spitze in eine Art breiten Gummisauger überging. Diesen Gummisauger legte Parker gegen die Bretter der Tür und wartete ab.

Es war erstaunlich viel zu hören. Da gab es das Rauschen und Plätschern einer Wasserleitung, Stimmen, die sich über eine verdammte Panne und einen verdammten Mist unterhielten, Scharren von Stühlen, leise Radiomusik und dann das Klicken einer Telefonwählscheibe, die in Bewegung gesetzt worden war.

»Bert…«, sagte eine Stimme. »Hallo, Bert – Ja, hier ist Dave – Nee – Pleite auf der ganzen Linie. Wir sind ’reingelegt worden. – Ja, wirklich, ich mache keinen Quatsch. – Jim und Haie haben sich die Finger gebrochen. – Ja, die Finger. Und Ben und ich können kaum noch aus den Pupillen sehen. – Wieso? Weil man uns was ’reingespritzt hat. – Ja, du hörst richtig. – Richtig, wir waren mit vier Mann auf dem Parkplatz. Genau, und ein einziger Bursche hat uns aufs Kreuz gelegt. – Nein, nicht der Butler. Sein Boß, dieser Anwalt.

Dave, der die Unterhaltung mit diesem gewissen Bert führte, der wahrscheinlich ihr Bandenchef war, hörte jetzt einige Minuten schweigend zu. Dann war er wieder an der Reihe.

»Nee, im Moment können wir überhaupt nichts machen. Kennst du einen Arzt, der sich die Knochen von Jim und Haie ansehen kann? Okay, dann machen wir das. Ich kenne da so einen alten Trottel, Doc Arnolds, ganz hier in der Nähe. Schön, wir warten dann ab, bis du dich blicken läßt. Ende!«

Mike Rander hörte aufmerksam zu, als sein Butler ihm mit überraschend wenig Worten berichtete, was er auf dem Umweg über sein Mini-Horchgerät gehört hatte.

»Sollen wir die Rocker hochnehmen?« fragte Rander, »im Moment dürften sie kaum Schwierigkeiten machen.«

»Vielleicht sollte man noch ein wenig warten«, schlug der Butler leise vor, dieser Bert könnte wichtig für die weiteren Nachforschungen sein, Sir. Er als Bandenchef dieser Rockergruppe dürfte mit Sicherheit wissen, wo wir die sanften Lämmer finden.«

Sie mußten ihre leise geführte Unterhaltung abbrechen, da über ihnen auf der Straße schnelle Schritte zu hören waren, die sich offensichtlich der Kellertreppe näherten.

Rander und Parker verschwanden diskret hinter einigen überquellenden, viereckigen Müllkästen und vertrieben dabei eine äußerst empörte Katze, die bisher auf das Erscheinen einer fetten Ratte gewartet hatte. Die Katze sprang auf einen der Müllkästen, dann elegant hinauf auf die Straße und verschwand fauchend. Dafür erschienen auf der Treppe zwei schlanke Gestalten in Jeans, von denen man nicht sagen konnte, ob es junge Männer oder junge Mädchen waren.

Sie fühlten sich völlig sicher, klopften einem bestimmten Rhythmus gegen die Bretter und verschwanden wieselartig im Keller, nachdem ihnen geöffnet worden war.

»Noch mehr Rocker?« fragte Rander leise.

»Mir scheint, daß es sich um Personen weiblichen Geschlechts gehandelt hat, Sir«, erwiderte der Butler. Rander konnte nicht mehr fragen, wieso Parker zu dieser Erkenntnis gekommen war. Die Kellertür öffnete sich wieder, und sechs Personen traten heraus ins Freie.

Es handelte sich um die beiden Rocker Jim und Haie, deren Fingerknöchel in Schwierigkeiten gekommen waren, um die beiden Rocker Dave und Ben, deren Augen noch immer tränten. Und schließlich um die beiden Neuankömmlinge, die tatsächlich junge Mädchen waren, wie Rander jetzt im schwachen Gegenlicht an den gut ausgepolsterten Lederjacken feststellen konnte.

Die Prozession der Rocker verschwand oben auf der Straße, um sich wohl zu Doc Arnolds zu begeben. Für Rander und Parker war damit der Weg frei, dem Quartier der Rocker einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.

Ein großer, niedriger Keller mit Wänden, deren Verputz fladenweise von den Ziegeln angebrochen war. Ein Labyrinth von zerbrochenen Kisten, altem Mobiliar und Unrat. Ein schmaler Laufpfad durch dieses Labyrinth, der an einen Wildwechsel erinnerte. Und hinter diesem ersten Keller dann wohl das Wohnheim der Rocker, ein wesentlich kleinerer Kellerraum, der einigermaßen wohnlich eingerichtet war. Es gab hier ein paar Couches, die aus einteiligen Matratzen bestanden, die man hochgebockt hatte. Es gab einige kleine und runde Tische, die wohl aus einem italienischen Eiscafé stammten und einige Stahlspinde, die ihre besseren Tage in einer gut geführten Firma gesehen haben mochten. Am Eingang zum zweiten Keller war an der Wand ein Telefon installiert worden.

Es roch nach kaltem Tabakrauch, nach schalem Bier, nach Schnaps und nach süßlichem Weihrauch.

»Marihuana?« fragte Rander und wandte sich an seinen Butler.

»Möglicherweise, Sir«, erwiderte Parker, »darf ich mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf die Stahlspinde zu lenken?«

»Sie dürfen.« Rander lächelte. Er folgte seinem Butler hinüber zu den Stahlspinden. Sie waren durch schwere Vorhangschlösser gesichert.

»Würden Sie ein Öffnen der Spinde als einen eklatanten Verstoß gegen die herrschenden Gesetze betrachten?« vergewisserte sich Parker, bemühte aber schon sein Spezialbesteck, das sich in einer Art Zigarettenetui befand.

»Der Verstoß wäre nicht gerade gravierend«, meinte Rander, »immerhin wollten diese Burschen mich nach allen Regeln der Kunst zusammenschlagen. Ich werde nicht hinsehen.«

Rander studierte die vielen Pop-Plakate und Bilder an den nackten und rohen Wänden. Es gab nur zwei Subjekte. Das waren Bilder, die harte Kampfszenen darstellten und offensichtlich aus einschlägigen Filmen stammten, und es gab Pin-up-Fotos, die mehr als eindeutig waren. Das allgemeine Interesse der Rocker schien nicht gerade weitgesteckt zu sein.

Parker trat neben seinen jungen Herrn und zog höflich die schwarze Melone.

»Die Spinde, Sir. Wenn Sie die Güte haben wollen, einen Blick auf die Fundsachen zu werfen.«

Parker präsentierte ihm eine Auswahl an Schuß- und Hiebwaffen, die sich sehen lassen konnte. Es gab vom Damenrevolver bis zur Maschinenpistole alles, was das Herz eines Waffenfanatikers höher schlagen ließ. Es gab aber auch ein paar offensichtlich noch intakte Handgranaten und eine Haftmine, von der Rander nicht sagen konnte und wollte, ob sie noch funktionsfähig war.

»Und jetzt?« fragte Rander und wandte sich an seinen Butler.

»Eine Ausrüstung, die zu echter Sorge Anlaß gibt, Sir.«

»Eben. Sollte Madford hier nicht besser ausmisten lassen?«

»Dies, Sir, vermag auch meine bescheidene Wenigkeit zu tun.«

»Und wie, wenn man fragen darf?«

»Ich würde vorschlagen, Sir, das Herzstück der jeweiligen Waffe empfindlich zu stören.«

»Die Schlagbolzen?«

»In der Tat, Sir … Dies würde vollauf genügen …«

»Dann an die Arbeit«, meinte Rander lachend, »vielleicht fallen uns während der Arbeit noch weitere Freundlichkeiten ein …« Sie betätigten sich im Sinne des Friedens auf Erden und machten eine Waffe nach der anderen unbrauchbar. Sie hatten ihre selbstgewählte Arbeit fast beendet, als plötzlich ein schallgedämpfter Schuß haarscharf neben Randers Kopf in den Verputz fuhr und tödlich für das nackte Mädchen gewesen wäre, das sich auf dem Bild davor befand …

Rander ging sofort in volle Deckung, und Parker sorgte dafür, daß die beiden eingeschalteten Glühbirnen unter der niedrigen Decke plötzlich nicht mehr brannten. Ein Schlagmit dem bleigefütterten Bambusgriff Seines Universal-Regenschirms hatte dies blitzschnell erledigt.

»Jetzt brauchten wir einen zweiten Ausgang«, sagte Rander leise zu Parker. Doch nicht leise genug. Es ploppte erneut. Und auch dieser Schuß lag nicht schlecht. Er fetzte diesmal an Parkers Schulter vorbei und knabberte ebenfalls die Wand an.

»Ich könnte sicherheitshalber eine der Handgranaten ausprobieren«, schlug der Butler freundlich vor.

»Auf keinen Fall!« Rander schüttelte den Kopf, obwohl Parker dies nicht sehen konnte. »Lassen Sie sich was Netteres einfallen, Parker!«

»Wie Sie wünschen, Sir!«

Parker brauchte nicht lange zu überlegen.

»Achtung, bitte!« rief er höflich in die Dunkelheit des ersten Kellers, »ich werde eine Handgranate werfen!«

»Nein …!« Rander wurde ärgerlich.

»Eine, Sir, die ich bereits entschärfte«, flüsterte Parker, um dann den harmlosen Gegenstand, der er jetzt war, in den Keller hinüber zu werfen.

Sein Bluff wirkte augenblicklich.

Hastige Schritte, ein Anstoßen gegen leere Kisten, insgesamt ein hastiger Rückzug, der mit dem Zuschmettern der Eingangstür endete.

»Wenn Sie mich fragen, Parker, bin auch ich jetzt für ein Absetzmanöver«, sagte Rander.

»Vielleicht sollte man vorher noch die Waffen behandeln, die intakt sind …«

»Damit die Rocker uns mit Sicherheit einkesseln?«

»Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, muß es einen sogenannten Notausgang geben. Die jungen Leute werden mit Sicherheit dafür gesorgt haben.«

Rander suchte nach diesem Notausgang, während Parker routiniert und schnell den Rest der Waffen unbrauchbar machte. Anschließend half er seinem jungen Herrn, der sich im ersten Keller nach dem Notausstieg umschaute.

»Nichts!« meinte Rander enttäuscht.

»Vielleicht sollte man davon ausgehen, Sir, daß die Rocker, falls bedrängt durch gegnerische Banden, sich erst einmal hierher in ihren Aufenthaltsraum zurückziehen.«

»Okay. Demnach müßten wir also drüben bei den Spinden suchen, wie?«

»Man sollte es auf einen Versuch ankommen lassen, Sir.«

Rander hatte gegen solch einen Versuch nichts einzuwenden und ging mit Parker zurück in das »Apartment« der Rocker. Eine Untersuchung der Spinde ergab, daß sie auf keinen Fall einen Notausstieg tarnten.

Rander deutete auf die drei Couches an den Wänden. Parker nickte, packte zu und hatte schon beim zweiten Versuch Erfolg. Die zweite Behelfscouch stand über einem Einmannloch, das senkrecht nach unten führte.

»Sieht ziemlich unheimlich aus«, stellte Rander fest, »was meinen Sie, Parker, werden wir in der Kanalisation landen?«

»Ein wenig erfreulicher Gedanke, Sir.«

Parker bemühte seine Kugelschreiberlampe, deren scharf gebündelter Strahl sich nach unten bohrte. Erstaunlicherweise gab es schon in zwei Metern Tiefe einen Ziegelboden zu sehen. Der Gang zweigte wohl waagrecht zur Seite ab.

»Werden die Burschen nicht damit rechnen, daß wir den Gang finden und benutzen, Parker?« gab Rander zu überlegen.

»In der Tat, Sir… Mit dieser Möglichkeit sollte man sich vertraut machen. Vielleicht wäre es besser, erst einmal abzuwarten …«

Bevor Mike Rander darauf antworten konnte, war von der Tür her eine halblaute, aber deutliche Stimme zu hören.

»He, Ihr beiden Schnüffler… Kommt ’raus, oder wir machen euch Beine!«

Rander und Parker antworteten nicht. Sie verzichteten auch darauf, den gefundenen Notausstieg zu benutzen, ahnten, daß man sie vielleicht am Ausstieg dringend erwartete.

Rander und Parker taten genau das, womit die Rocker wohl nicht gerechnet hatten.

Sie pirschten sich im Schutz der Dunkelheit und äußerst vorsichtig an die Außentür des Kellers heran und gingen den Rockern somit eigentlich entgegen. Sie durften sicher sein, daß die Schläger mit dieser Taktik bestimmt nicht rechneten.

Die Stimme von der Tür her ließ sich nicht mehr vernehmen. Ein kalter Luftzug aber verriet, daß die Kellertür geöffnet war und die Rocker wohl bereits einsickerten.

Rander und Parker gingen hinter einer großen Kiste in Deckung und warteten ab.

Jetzt waren leise Schritte zu hören, Geflüster, dann feines Scharren, ein unterdrückter Fluch. Die Rockers hatten Schwierigkeiten mit der Dunkelheit im Keller.

»Sie sind durch!« hörte Rander und Parker nach zwei, drei Minuten aus dem Wohnteil des Kellers.

»Ich war so frei, den Notausgang geöffnet zu lassen«, hauchte der Butler Seinem jungen Herrn zu, »die Herren sollen durchaus glauben, daß Sie und meine Wenigkeit die Flucht ergriffen haben …«

Parker hätte gar nicht flüstern zu brauchen. Nach dem Ruf aus dem Wohnteil des Kellers mußten etwa vier bis fünf Personen im Eiltempo in den zweiten Keller laufen. So wenigstens hörte sich das Fußgetrappel an.

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich die Lage an der Tür erkunden«, sagte Parker, wartete diese Erlaubnis aber erst gar nicht ab, sondern löste sich von der deckenden Kiste.

Parker entdeckte zwei Gestalten, die etwas leichtsinnigerweise Zigaretten rauchten. Sie glaubten sich aus der Gefahrenzone und langweilten sich.

Erst recht, als Parker sie mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms leicht behandelt hatte. Sie rutschten kommentarlos zu Boden, rollten sich zu einem Nickerchen zusammen und machten keine Schwierigkeiten, als Rander und Parker über sie hinwegstiegen.

Am Straßenrand stand jetzt ein Wagen, der vorher noch nicht gestanden hatte. Es handelte sich um einen alten, total vergammelten Rolls-Royce, auf dessen vorderen Kotflügeln Ständer aufgesteckt waren, die Totenköpfe zeigten.

Der konservative Kühler war fast restlos bedeckt mit Scheinwerferbatterien. Die Karosserie des Wagens zeigte abgeblätterte, bunte Popsymbole.

»Dieser Wagen, Sir, dürfte meiner Ansicht nach dem Anführer der Bande gehören.«

»Bert?«

»In der Tat, Sir. Dies würde zu solch einem jungen Mann passen.«

»Dennoch müßte ein Kennzeichen vertreten sein.«

Parker kümmerte sich um das Nummernschild, während Rander sicherte. Im Moment war weit und breit nichts von den Rockern zu sehen oder zu hören. Wahrscheinlich befanden sie sich alle bereits im Notausstieg.

»Ich habe mir die Freiheit genommen, Sir, das Kennzeichen zu merken«, sagte Parker wenig später, »falls Sie einverstanden sind, könnte man diesen etwas ungastlichen Ort verlassen.«

Als sie ihren Wagen erreicht hatten und darin Platz nahmen, quollen die Rocker über die Außentreppe herauf zur Straße und sahen sich erwartungsvoll um.

Parker, dem es darauf ankam, daß sie sehr genau wußten, wer sie besucht hatte, ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen und fuhr an den jungen Herren vorüber.

Sein Wagen wirkte elektrisierend.

Ein großer, blonder Bursche in schwarzer Lederkleidung, den sie für Bert hielten, hechtete sich förmlich ans Steuer seines Rolls und fuhr hart an. Er scherte sich einen Dreck um seine Bandenmitglieder, die in steigender Fahrt aufsprangen und sich in den Wagen drückten.

Der äußerlich so verkommene Rolls war technisch gesehen intakt. Er schob sich immer näher an Parkers hochbeiniges Monstrum heran, allerdings mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Butlers, der nicht allzu schnell fuhr.

»Was schwebt Ihnen jetzt vor?« wollte Rander wissen.

»Ihre Erlaubnis voraussetzend, Sir, möchte ich einen kleinen Ausflug an die Westseite des Sees unternehmen.«

»Okay, Parker, machen Sie schon!« Rander hob resignierend die rechte Hand. »Sie geben ja doch keine Ruhe, bis Sie auch diesen Fall geklärt haben.«

Der Rolls folgte verbissen und blindwütig.

Der Fahrer des Wagens schien überhaupt nicht zu merken, daß er praktisch hinaus ins offene Land gelockt wurde. Ihm kam es nur darauf an, die beiden verhaßten Rander und Parker endlich zu stellen und zu behandeln.

Parker machte diesen nächtlichen Ausflug an den See zu einem spannenden Verfolgungsrennen. Er ließ den Rolls freundlicherweise aufholen, hängte ihn wieder ab, schien Schwierigkeiten in Kurven zu haben und schlidderte anfängerhaft über taufeuchte Straßen.

Der Verkehr auf der Ausfallstraße, dann später auf den normalen Landstraßen war um diese Zeit unerheblich. Die Verfolgungsjagd konnte also keinen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer in Gefahr bringen.

»Ich hoffe, Sie wollen nicht in einer Tour durch bis zur Pazifikküste«, sagte Rander nach fünfundvierzig Minuten.

»Durchaus nicht, Sir … Ich möchte nur in die Nähe der »sanften Lämmer« geraten …«

»Wie bitte!?« Rander war ehrlich verblüfft.

»Laut Judy Calmer, Sir, soll sich das Nest dieser »Lämmer« in einer Strandvilla oder in einem Bootshaus am See befinden.«

»Der See ist verdammt groß«, meinte Rander spöttisch. Er hatte nicht unrecht, denn der Michigan-See war ein richtiges Binnenmeer.

»Ich suche, wenn es erlaubt ist, Sir, nach einem Ufergebiet, das man nicht mehr als feudal bezeichnen kann. In solch einer Umgebung dürften sich die Hippies, von denen Miß Calmer sprach, mit Sicherheit nicht befinden.«

»Wahr gesprochen, Parker … Machen Sie weiter!«

Rander glaubte nicht so recht an Parkers Taktik. Am Ufer des Michigan gab es einfach zuviele Ferienorte, Siedlungen und Häusergruppen.

Parker hingegen schien angefüllt mit Optimismus.

Er brachte seinen Wagen gerade scheinbar ungeschickt, in einen breiten Feldweg, der wie eine Stichstraße hinunter zum Seeufer führte. Links und rechts von diesem Feldweg befanden sich kleine Waldstücke, Strauchwerk und dünenartiges Kuschelgelände.

Parker, der sein hochbeiniges Monstrum langsamer werden ließ, legte einen der vielen Kippschalter auf dem Armaturenbrett herunter.

Was die jungen Leute im Rolls nicht sähen, waren sogenannte Krähenfüße, die aus einem unter dem Wagen angebrachten Spezialbehälter auf die Straße purzelten und sich dort unregelmäßig verteilten.

Diese Krähenfüße bestanden aus Stahlhaken, die miteinander verschweißt waren und zwar so, daß zumindest immer eine Stahlspitze frei nach oben zeigte.

Kam nun ein Reifen mit solch einem Stahldorn in innige Berührung, leerte sich dieser Reifen mit größter Sicherheit. Was auch im Falle des Rolls-Royce geschah, wie sich wenig später zeigte.

Diese verdammten Schweine!« schimpfte der große Blonde, nachdem er die drei platten Reifen seines Rolls inspiziert hatte, »seht euch das hier an!«

Er hob fast anklagend einen Krähenfuß hoch, während seine Begleiter sich um ihn scharten.

»Wir haben nur einen Reservereifen«, sagte einer der fünf Burschen.

»Schnauze«, kodderte der Blonde zurück, der tatsächlich Bert hieß und der Anführer der Rockerbande war. »Los, verteilt euch!«

»Wieso denn?« wollte einer seiner Leute wissen.

»Weil der Schnüffler uns absichtlich hier gestoppt hat.«

»Wieso denn?« Der Rocker verfügte nicht gerade über einen besonders entwickelten Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten.

»Weil der Schnüffler uns überall diese Krähenfüße vor die Reifen gestreut haben könnte. Mensch, geht euch nicht ein Licht auf? Der hat uns absichtlich hierher in den Feldweg gelockt. Ich wette, der taucht bald hier auf.«

Bert zeigte, daß er nicht umsonst der Anführer der Rockerbande war. Er hatte begriffen und schaltete richtig. Er verteilte seine fünf Leute und schärfte ihnen ein, nicht zu früh loszuschlagen.

»Kann dauern, bis der Schnüffler anrobbt«, sagte Bert gelassen, »wollen doch mal sehen, wer cleverer ist. Wir oder der Schnüffler.«

»Na, Parker, wie werden die Herren denn Ihrer Meinung nach reagieren?« fragte Rander.

Er stand mit Parker neben dem hochbeinigen Monstrum und hatte sich eine Zigarette angezündet.

»Falls ich diesen Mister Bert nicht unterschätze, Sir, wird er mit einem Besuch rechnen.«

»Sehr gut möglich.«

»Falls dieser Besuch aber zu seiner Überraschung ausbleibt, Sir, wird Mister Bert das sein, was man gemeinhin verunsichert nennt.«

»Und wird was tun?«

»Möglicherweise seine Freunde, die Lämmer, aufsuchen.«

»Die Sie nach wie vor hier in der Gegend vermuten?«

»Ob die Rocker uns nun erwarten oder nicht, Parker, wie müssen näher an den Rolls heran, sonst sehen wir nichts.«

»Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich eine Verbindung herstellen.«

»Natürlich gestatte ich, aber passen Sie auf! Ihrer Ansicht nach werden Sie ja erwartet.«

»Sie können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen, Sir.« Parker ging um sein hochbeiniges Vehikel herum, öffnete den Kofferraum seines Wagens und hantierte darin für die Dauer von einigen Minuten.

»Na, was haben Sie sich einfallen lassen?« fragte Rander, nachdem Parker den Kofferraum geschlossen hatte.

»Mir schwebt vor, Sir, einen Kleinstsender zu verschießen«, antwortete der Butler, »er wird falls es mir gelingt, ihn richtig zu plazieren, aufschlußreiche Gespräche der Rocker übertragen.«

Weder Bert noch seine fünf Freunde merkten, daß sie von Parker durchschaut und überlistet wurden. Parkers Schirmstock, der nichts anderes war als ein Blasrohr, das mittels Preßluft Gegenstände aller Art beförderte, zeigte auch hier seine Wirksamkeit.

Der Butler hatte sich ungemein vorsichtig zurück zu der Stelle gepirscht, an der er den Wagen vermutete. Parker unterschätzte die jungen Männer keineswegs und hütete sich, ihnen in die Arme zu laufen.

Als er nach einem weiten Halbkreis sich von schräg hinten dem Rolls näherte, blieb er hinter einem Baum stehen und lauschte in die Nacht hinein. Er hörte nichts, sah nichts, aber er roch den Zigarettenrauch, der ihm entgegenwehte. Die jungen Leute hatten sich gut getarnt, aber sie hatten ihre Gier auf und nach Zigaretten nicht bremsen können. Und damit verrieten sie sich, den Standort des Rolls und schließlich auch das Ziel, das Parker treffen wollte.

Parker hatte in das Rohr seines Schirmstockes bereits einen mittellangen Pfeil gesteckt, an dessen Ende sich der Kleinstsender befand.

Er bestand aus einer flachen Metallkapsel, die nur wenige Gramm schwer war. Der Kleinstsender erhielt seine Sendeenergie von einer Minibatterie, wie sie in elektrischen Armbanduhren verwendet wird.

Parker richtete seinen Universal-Regenschirm schräg hoch in die Luft und drückte dann auf den Auslöseknöpf, der die Preßluft für die Luftreise freigab.

Ein feines Zischen, und der Pfeil schoß unten aus dem Schirmstock hervor, verschwand in der Dunkelheit und flog sein Zielgebiet an.

Parker war gespannt, ob er richtig geschätzt hatte. Er holte aus der Außentasche seines schwarzen Zweireihers eine Art Streichholzschachtel, deren Oberfläche mit einem feinen Drahtgitter verziert war. Dieses Drahtgitter, das den Lautsprecher des Empfängers schützte, brachte er in die Nähe seines linken Ohres. Wenn alles gestimmt hatte, mußten bald Stimmen zu hören sein.

»Hör zu, Bert«, sagte einer der fünf Rocker ungeduldig, »jetzt sind fünfzehn Minuten herum, aber von dem Schnüffler ist nichts zu sehen.«

»Der ist längst ab durch die Mitte«, sagte eine andere Stimme.

»Hier stehen wir uns nur die Beine in den Bauch«, war der nächste Kommentar.

»Und ich hätte geschworen, daß Besuch kommt«, meinte Bert enttäuscht.

»Die sind über alle Berge.«

»Gehen wir jetzt zu Fuß weiter.«

»Okay«, sagte Bert gereizt, »wir holen den Schlitten später ab.«

»Und wie kommen wir zurück in die Stadt?« wollte einer der Begleiter wissen, »mit Anhalter und so ist nichts. Hier auf keinen Fall!«

»Wir könnten uns an der nächsten Tankstelle einen Wagen ausleihen.«

»Oder eine Taxe kommen lassen.«

»Wir gehen hinüber zu Johnny«, entschied Bert, »der muß hier in der Nähe wohnen. Und da bleiben wir auch, bis es hell geworden ist.«

Bert schloß die Türen seines Rolls ab. Wenig später befanden sich sechs mehr oder weniger schlecht gelaunte Rocker auf dem Fußmarsch durch die Nacht.

Diese schlechte Laune jedoch registrierte der Kleinstsender schon nicht mehr. Er hatte sich nur darauf beschränkt, die Unterhaltung zwischen den Rockern peinlich genau zu übertragen.

»Sie hatten tatsächlich auf uns gewartet«, meinte Rander respektvoll, nachdem der Butler berichtet hatte, »glauben Sie, Parker, daß sie sich jetzt sicher fühlen?«

»Man sollte in der Tat nach wie vor mit einer Falle rechnen«, erwiderte der Butler. Er stand mit seinem jungen Herrn am hochbeinigen Wagen.

»Wenn Sie gestatten, Sir, sollte man jetzt diesen Standort verlassen.« Parker öffnete die Tür, ließ seinen jungen Herrn einsteigen und setzte sich anschließend ans Steuer. Dann fuhr er an, ohne aber die Lichter des Wagens einzuschalten. Wenig später war das hochbeinige Monstrum, wie Parkers Wagen genannt wurde, in der Dunkelheit verschwunden.

Der Feldweg endete auf einem freien Platz, der von ein- und zweistöckigen Holzhäusern umgeben war. Die Häuser waren um diese Zeit unbeleuchtet. Nur hinter den Fenstern einer Fremdenpension brannte im Erdgeschoß Licht.

Vom nahen Michigan-See her wehte eine inzwischen steife Brise, die den Geruch von Wasser und faulem Holz transportierte. Der kleine Ferienort Bageside schien unter dieser Brise zu frösteln.

Bert und seine fünf Begleiter hatten Bageside erreicht und waren mehr als sauer. Den Gebrauch ihrer Beine hatten sie fast verlernt. Sie zogen es vor, auf Motorrädern oder im Rolls durch die Lande zu fahren.

Bert hielt zielsicher auf die Fremdenpension zu, winkte seine Freunde zurück in die Dunkelheit und klopfte gegen die Scheibe der Eingangstür. Überraschend schnell schlurfte ein alter Mann heran und sah Bert durch die Scheibe fragend an.

Bert war sich klar, daß er in seiner schwarzen Lederkleidung nicht gerade vertrauenerweckend aussah. Er kannte die Abneigung und Angst der Bürger, die die Lederkleidung nicht schätzten. Um unnötige Fragen auszuschalten, preßte er einen Geldschein gegen die Scheibe und machte dem alten Mann durch eine Geste klar, daß er telefonieren wollte.

»Schieben Sie den Schein unten durch die Tür«, rief ihm der Mann hinter der Scheibe zu.

Bert verkniff sich eine wütende Antwort, bückte sich und drückte den Geldschein unten durch den Türspalt.

»Welche Nummer soll ich anrufen?« rief der alte Mann, der nicht im Traum daran dachte, die Tür zu öffnen.

Bert schoß das Blut ins Gesicht. Am liebsten hätte er die Tür eingetreten und es dem alten Burschen nach seiner Art gezeigt. Aber er bezwang sich. Aus bestimmten Gründen wollte er nicht auffallen.

Er nannte die Nummer.

»Sagen Sie Johnny, daß er mich hier abholen soll«, fügte Bert hinzu, »machen Sie schon, ich habe eine Autopanne.«

Der alte Mann schlurfte von der Tür weg, um nach knapp zwei Minuten zu dem ungeduldig wartenden Bert zurückzukommen.

»Ihr Freund kommt«, rief er durch die Scheibe, »gegenüber gibt es eine Wartehalle für den Bus.«

Bert preßte die Lippen aufeinander und riß sich zusammen. Im Moment konnte er es diesem Burschen nicht heimzahlen. Aber er nahm ihn auf seine Liste. Für ihn war es klar, daß er bei Gelegenheit hier erschien und aufräumen würde. War nur eine Frage der Zeit.

Er ging hinüber zur Wartehalle, in der sich bereits seine fünf Bandenmitglieder versammelt hatten.

»Wir warten hier«, sagte er.

»In der Kälte?« fragte einer seiner Leute aufgebracht. »Warum gehen wir nicht ’rüber in die Pension?«

»Weil wir nicht auffallen dürfen«, sagte Bert, »wenn wir Ärger machen und die Bullen kommen, können wir nicht abrauschen, klar? Wir bleiben friedlich wie die Lämmer.«

Bei dem. Wort Lämmer grinsten sie sich plötzlich an. Sie wußten, was sie erwartete. Und sie wußten, daß sie für ihr Warten entschädigt wurden. Sie zündeten sich Zigaretten an und unterhielten sich leise miteinander.

Weder. Bert noch seine fünf Begleiter kamen auch nur auf den Gedanken, daß sie bereits wie Marionetten an langen Drähten geführt wurden.

Sie konnten ja nicht wissen, daß hinter der Fremdenpension ein Wagen stand, der sich durch Hochbeinigkeit und Häßlichkeit auszeichnete und der einem gewissen Josuah Parker gehörte.

»Achtung, Parker – der Wagen!«

Rander winkte seinen Butler ans Fenster des Zimmers, das sie in der Fremdenpension gemietet hatten. Rander schob den Vorhang etwas weiter zur Seite, damit Parker besser sehen konnte.

Vor der Wartehalle der Busstation erschien ein klapprig aussehender Ford mit offener Ladefläche. Aus dem Wagen stieg ein Mann, der etwa achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt war. Er trug eine bestickte Weste, Jeans und Tennisschuhe. Diese Einzelheiten waren deutlich zu erkennen, als er vorn durch das Licht der hoch eingeschalteten Scheinwerfer ging.

Das Haar des Mannes fiel, lang auf die Schultern. Irgendwie erinnerte der Mann an einen Darsteller aus dem Musical »Hair«. Er ging auf Bert zu, der im Scheinwerferlicht auftauchte, nickte ihm zu und deutete auf die Ladefläche.

Die fünf Freunde Berts stiegen steifbeinig auf die Ladefläche. Bert und der Langhaarige setzten sich vorn ins Fahrerhaus. Sekunden später ging die Fahrt los. Der Ford verschwand in der Dunkelheit, dabei eine Atmosphäre von Heimlichkeit und Bedrohung zurücklassend.

»Haben Sie das Kennzeichen?« fragte Rander seinen Butler. Er fragte, obwohl er wußte, daß Parker sich diese Kleinigkeit mit Sicherheit gemerkt hatte.

»Auch der Eigentümer dieses Wagens, Sir, wird identifiziert werden können.«

»Damit dürfte sich unser nächtlicher Ausflug erschöpft haben, oder?«

»In der Tat, Sir. In dieser Nacht sollte man den Lämmern auf keinen Fall einen Besuch abstatten. Sie könnten sonst verwirrt werden.«

»Hoffentlich wechseln sie nicht das Quartier?«

»Damit, Sir, dürfte wohl kaum zu rechnen sein. Bedingt durch die Tatsache, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit nicht mehr erschienen, werden sowohl die Rocker als auch die Lämmer sich sicher fühlen.«

»Lassen wir uns überraschen!« Rander nickte und war froh, daß sie endlich etwas Luft holen konnten. Wenn Parker sich in einen Kriminalfall einschaltete, war das Tempo in der Regel atemberaubend.

»Zum Teufel, wo haben Sie gesteckt?« fragte Lieutenant Madford, nachdem er Mike Randers Studio betreten hatte. Er sah den Anwalt empört, den Butler anklagend an. Sergeant McLean, sein mächtiger Schatten, ließ sich schon wieder erschöpft in einem Sessel nieder und massierte sich seine Waden.

»Parker hatte mich zu einem nächtlichen Ausflug eingeladen«, antwortete Rander ausweichend, »was ist los, Madford? Irgendeine Panne passiert?«

»Das kann man wohl sagen.«

»Judy Calmer ist abgehauen«, warf McLean ein, seinem Vorgesetzten die Pointe wegnehmend.

»Judy Calmer?« Rander sah den Polizeioffizier verblüfft an.

»Und sie hat es verstanden, meine beiden Leute abzuschütteln«, redete Madford gereizt-anklagend weiter, »ich hatte diese Calmer natürlich unter Beobachtung gestellt. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Und sie stand unter Beobachtung, seitdem Parker sie bei Judys Freundin untergebracht hatte.«

»Wie konnte dies passieren, Sir?« Parker fragte ruhig und würdevoll, als mache ihm diese neue Entwicklung nichts aus.

»Sie hat es verdammt clever angestellt«, berichtete Madford und nickte dankend, als Parker Drinks servierte. McLean brummte freudig, als er sein Glas bekam. Seinem scharfen Auge war nicht entgangen, daß Parker ihn mit einer doppelten Whiskydosis versorgt hatte.

»Einzelheiten«, sagte Rander und grinste. Er war nicht schadenfroh, aber es tat ihm doch gut, daß Madford eine Schlappe hatte einstecken müssen. Madford war stolz auf seine Perfektion und Unfehlbarkeit.

»Das kleine Biest hat meine Leute nach allen Regeln der Kunst aufs Kreuz gelegt«, sagte Madford gereizt, »Judy kam aus der Wohnung ihrer Freundin, und meine Leute klemmten sich hinter sie, bis sie in einem Friseursalon verschwand.«

»Und weiter? Irgendwie muß doch die Pointe kommen, Madford.«

»Die Pointe ist verdammt schnell hingeblättert«, sagte Madford und verzog sein Gesicht, »erst im Friseursalon merkten meine Leute, daß sie Judys Freundin verfolgt hatten. Sie hatte sich Judys Kleid übergestreift und tat natürlich unschuldig, als man ihr auf den Zahn fühlte.«

»Natürlich, es ist ja nicht verboten, die Kleidung einer Freundin zu tragen.« Rander schmunzelte, »und inzwischen hatte sich die richtige Judy längst abgesetzt, wie?«

»Leider!

»Ich glaube versichern zu dürfen, Sir, daß man sie finden wird.«

»Klar, fragt sich nur, wie!? Wir hätten sie doch besser hochnehmen und einsperren sollen.

»Besteht Ihrer Ansicht nach Gefahr für Judy?« Rander hatte sich an seinen Butler gewandt.

»Ich fürchte, Sir, das hängt einzig und allein davon ab, wohin Miß Judy sich begeben wird.

»Machen Sie es nicht so spannend, Parker, Sie ahnen doch längst, daß sie zu diesen Lämmern abschwirren wird!« Lieutenant Madford entwickelte inneren Dampf.

»Mit dieser Möglichkeit muß man durchaus rechnen, Sir.

»Und wo stecken die Lämmer? Sie wollen mir doch nicht einreden, daß Sie noch nichts herausgefunden haben!«

»Parker will Ihnen überhaupt nichts einreden«, schaltete Rander sich ein, »wir wissen tatsächlich nicht, wo die Lämmer ihr Quartier bezogen haben.«

»Wenn diesem Mädchen was passiert, sind Sie dran«, entschied Madford grimmig, »ich möchte schwören, daß Sie verdammt genau wissen, wo die Hippies und Rocker sich herumtreiben!«

»Seit wann ist Judy Calmer denn verschwunden?« erkundigte sich Rander, schnell das Thema wechselnd.

»Vor anderthalb Stunden«, brummte McLean dazwischen. »Nach Hause ist sie nicht gegangen. Dort haben wir inzwischen schon nachgefragt.«

»Hat Sie irgend jemand gebeten, Volksreden zu halten?« raunzte Madford seinen engsten Mitarbeiter an. Zwischen ihm und McLean bestand fast so etwas wie Haßliebe. Sie gingen sich gegenseitig mit Erfolg auf die Nerven, aber einer brauchte den anderen. Freiwillig hätten sie sich als Team niemals getrennt. Sie brauchten die Ruppigkeit, um überhaupt arbeiten zu können.

Rander und Parker hatten einen schnellen Blick getauscht.

»Hören Sie«, sagte Rander, »was ich jetzt vorschlage, geschieht nur wegen Judy, die vielleicht die Dummheit begeht, zur Lämmerbande zu gehen. Parker und ich haben zwei Autokennzeichen. Lassen Sie feststellen, Madford, wer die Wagenbesitzer sind und wo sie wohnen! Vielleicht können wir das Superschaf Judy vor Selbstmord retten.«

Irgendwie war es ein technisches Wunder, daß die hölzerne Strandvilla überhaupt noch da stand. An ihr war alles windschief. Es gab wohl kaum eine lotrechte Linie an diesem Holzbau, dessen Fenster im Erdgeschoß und in der Dachetage mit Brettern zugenagelt waren.

Der Garten, der sich bis hinunter an den Strand erstreckte, war total verwildert und mit Abfall- und Schutthaufen durchsetzt. Für Wanderratten eine ideale Zwischenstation.

Die Tür zur Strandvilla, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, war weit geöffnet. Der vorbeitreibende Seewind riß aus der ehemaligen Wohnhalle Schwaden seltsamer Gerüche ins Freie. Es handelte sich um eine Mischung, deren Hauptbestandteile aus dem süßlichen Rauch von Haschisch, aus verdorbenen Speisen, aufdringlichem Parfüm und warmem Mief bestanden.

Vor dem Haus tauchte Judy Calmer auf, etwas ängstlich mit Triumph darüber, daß sie der Überwachung in der Stadt entwischt war.

Sie zuckte zusammen, als plötzlich aus dem Holzbau das Gewimmer einer falsch gespielten Okarina zu hören war. Der dünne und feine, irgendwie gebrochen klingende Ton hörte sich unwirklich und quälend an.

Judy, die bereits einen Fuß auf die nur noch angedeutet zu erkennende Schwelle gesetzt hatte, blieb stehen. Die Angst wurde plötzlich größer als die Neugier. Und vom Triumphgefühl spürte sie überhaupt nichts mehr.

Sie sah in das Dämmerlicht des Hauses, wandte sich um, registrierte die Morgensonne und dachte unwillkürlich an ihre Eltern.

Doch wie unter einem fremden Zwang folgte sie der Melodie der wirklich schlecht gespielten Okarina. Oder handelte es sich um gar keine Melodie? Phantasierte hier einer auf dem Instrument, ohne es überhaupt spielen zu können.

»Judy?«

Sie blieb sofort stehen, als sie angesprochen wurde.

»Ich habe dich schon seit ein paar Minuten gesehen«, sagte die seltsam hohe Stimme aus dem Dämmerlicht heraus, »komm doch herein. Es wird dir gefallen.«

Ihre Augen hatten sich an das Dämmerlicht gewohnt. Judy erkannte einen jungen Mann, dessen Oberkörper nackt und ausgemergelt war. Sein Haar fiel bis hinunter auf die Schultern. Er rauchte aus einer Maiskolbenpfeife und sah eigentlich überhaupt nicht gefährlich aus.

»Woher kennen Sie mich?« fragte Judy und lächelte mechanisch vor Aufregung.

»Marty hat mal ein paar Bilder von dir gezeigt«, sagte der junge Mann. Er erhob sich von einer Kiste und kam ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Bist du allein?«

»Natürlich«, sagte Judy. »Marty ist doch…«

»Ich weiß, Marty ist verunglückt.« Der junge Mann sprach mit einem seltsamen Singsang in der Stimme, als sei er berauscht. »Für uns alle schlägt irgendwann einmal die Stunde. Ich bringe dich zu Johnny.«

»Wird er sich nicht wundern, daß ich hier bin?«

»Kaum, Judy. Marty wird dir wahrscheinlich doch erzählt haben, wo wir wohnen, leben und glücklich sind.«

»War das schlimm?«

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Judy. Komm!«

Sie hätte vielleicht jetzt noch weglaufen können, doch Judy blieb, und im Grunde gegen ihren eigenen Willen. Sie folgte dem jungen Mann, der sich einer baufällig wirkenden Treppe näherte, die hinauf ins Dachgeschoß führte.

Der junge Mann kümmerte sich nicht weiter um sie. Er schien es für selbstverständlich zu halten, daß Judy nachkam. Und während er mit müden, schlurfenden Schritten die Stufen nahm, blies er auf der Okarina, selbstvergessen und falsch.

»Dieser Rocker-Bert heißt mit Nachnamen Single und fährt tatsächlich einen Rolls«, berichtete Sergeant McLean, der mit ungewöhnlicher Energie herum telefoniert hatte. »Er wohnt bei seiner Mutter im Osten der Stadt, Maryland Street 2347.«

»Weiter, weiter«, drängte Madford gereizt, »und wem gehört der Ford …?«

»Einem gewissen Johnny Coolway«, redete McLean ungerührt weiter. Madford schaffte es einfach nicht, ihn aus der Ruhe zu bringen.

»Das ist der Leithammel, nach dem wir suchen«, schaltete Mike Rander sich ein und sah McLean erwartungsvoll an.

»Ich glaub’ nicht, daß seine Adresse uns weiterbringen wird«, meinte McLean, »seine Adresse ist Wilmette … Curzon Street 876 … Aber in Wilmette sind Sie ja nicht in der vergangenen Nacht gewesen, oder?«

»Bageside«, erklärte Rander noch einmal, »in diesem kleinen Nest pickte Johnny die Rocker auf…«

»Und dort müßte er meiner bescheidenen Ansicht nach auch zu finden sein«, sagte Josuah Parker, »leider vermochte der Nachtportier der kleinen Fremdenpension sich nicht an Mister Johnny zu erinnern …«

»Dann schalte ich halt die Fahndung ein«, erklärte Madford entschlossen, »es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir keine vergammelte Strandvilla finden könnten, in der sich Hippies eingenistet haben.«

»Natürlich werden Sie die sanften Lämmer früher oder später finden«, sagte Rander, »aber was wollen Sie diesen Leuten nachweisen? Selbst wenn sie Judy umbringen oder umgebracht haben wie Marty Galbert?«

»Und wie sieht Ihr Gegenvorschlag aus…?«

»Na, Parker, haben Sie was auf Lager?« fragte Rander und wandte sich an seinen Butler.

»Man sollte sich vielleicht noch einmal zurück nach Bageside bemühen«, schlug Parker prompt vor, »jener Ort, Sir, der Sie und eine bescheidene Wenigkeit nur in der Nacht sah, könnte vielleicht bei Tageslicht Spuren offenbaren, die zu dem gesuchten Leithammel führen.«

Judy blieb wie erstarrt stehen.

Sie sah in einen sehr großen, fast saalartigen Dachraum, dessen frühere Trennwände man herausgerissen hatte. Weit hinten an der Stirnseite saß Johnny mit unter dem Körper verschränkten Beinen. Er glich einem sehr mageren Buddha, der meditiert und überhaupt nicht mitbekommt, was um ihn herum geschieht.

Dabei hätte sein Interesse sich mit Sicherheit gelohnt.

Um ihn herum lagen oder saßen einige nicht übel aussehende, Mädchen, alle achtzehn bis fünfundzwanzig Jahre jung. Sie trugen bunte Stirnbänder, kittelartige Kleider, die ungewöhnlich kurz waren, und sie sahen wie fasziniert auf Johnny, der plötzlich den Kopf hochnahm und in Richtung Judy blickte.

Der Spieler auf der Okarina schlurfte zu Johnny hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Daraufhin winkte Johnny in Richtung Judy und lächelte dünn.

Die Lichtverhältnisse auf dem Dachboden waren trotz der Morgensonne nicht sonderlich gut. Doch Judy, die langsam auf Johnny zuschritt, konnte genug sehen. Brennende Kerzenbündel neben Johnny schufen so etwas wie eine Spezialbeleuchtung mit Sondereffekt.

»Judy Calmer…!?« Johnnys Stimme klang hell und brüchig.

»Ich bin Judy«, erwiderte das junge Mädchen, »ich hätte vielleicht nicht kommen sollen, oder?«

»Ich frage, du wirst antworten!« Johnny erhob sich mühelos von seinem Schneidersitz. Die bestickte Pelzweste fiel über der nackten Brust auseinander. Judy starrte auf das handtellergroße Medaillon, das auf Johnnys Brust baumelte. Dieses Medaillon schien von innen heraus in tiefem Rot zu glühen.

»Entschuldige, Johnny«, antwortete Judy verwirrt. »Ich hatte …«

»Sagt ihr, daß sie den Mund halten soll…!«

Judy war irritiert, als zwei Mädchen aufsprangen. Und sie stöhnte auf, als die beiden an sich nett aussehenden Mädchen ihr ein paar mehr als derbe Ohrfeigen verabreichten. Dann, bevor sie sich überhaupt wehren konnte, verdrehten die Mädchen ihre Arme auf den Rücken und zwangen Judy, den Oberkörper tief nach unten zu senken.

Judy stöhnte vor Schmerz.

»Meine Lämmer gehorchen«, sagte Johnny ungerührt und umfaßte mit beiden Händen sein Medaillon. »Sie fragen nicht, sie gehorchen. Und wer mein Lamm werden will, muß sich in Demut üben… Bringt ihr Demut bei!«

Die übrigen Lämmer erhoben sich vom Boden, von ihren Matratzen und von ihren Decken. Sie stürzten sich, keineswegs wie sanfte Lämmer, auf Judy, umringten sie und schleppten sie zurück zur Treppe. Judy, die plötzlich sehr genau wußte, daß sie nicht hätte kommen sollen, wehrte sich wütend und schrie. Doch ein paar Ohrfeigen und ein schmuddeliger Lappen, den man ihr in den Mund steckte, ließen jeden weiteren Laut ersterben.

Im Morgenlicht sah Bageside immerhin etwas einladender aus. Während Rander im hochbeinigen Wagen des Butlers zurückblieb, ging Parker würdevoll auf einen Kramladen zu, über dem großsprecherisch Drugstore stand.

Rander zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, ob Parker jetzt wohl Glück mit seinen Nachforschungen hatte. Bisher hatte sich niemand in Bageside an Hippies erinnern können, die in der Nähe in einer Strandvilla wohnten.

Rander dachte an Lieutenant Madford und Sergeant McLean. Sie waren zwar mit vor die Stadt gekommen, hatten ihr Quartier aber verabredungsgemäß in Wilmette bezogen. Hier wollten sie nach einem gewissen Johnny Coolway fahnden und praktisch von seiner Meldeadresse her die Spur aufnehmen.

Inzwischen stand bereits fest, daß die Rocker unter Bert Single im Rolls in die Stadt zurückgefahren waren. Dies hatte Madford mit Leichtigkeit feststellen lassen. In Chikago wurden die Rocker bereits diskret, aber scharf überwacht. Madford wollte, was die Rocker und die Lämmer anbetraf, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Parker erschien in der Ladentür des Kramladens, setzte seine schwarze Melone auf und kam gemessen zurück zum Wagen.

»Nun …?« erkundigte sich Rander. »Wieder nichts, was …?«

»Ich darf und muß Sie erfreulicherweise enttäuschen, Sir«? erwiderte der Butler, während er sich ans Steuer setzte. »Der Ladenbesitzer, dem ich gerade einen Besuch abstattete, dürfte der Lebensmittellieferant der gesuchten Lämmer sein.«

»Ob das auch stimmt? Wieso weiß er als einziger hier in Bageside von den Hippies?«

»Weil die Lämmer, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, Sir, ihre Versorgungsgüter nur nachts abholen. Sie scheinen es darauf abgestellt zu haben, so wenig wie möglich bekannt zu werden …«

»Und Sie haben die Adresse?«

»Nicht gerade mit letzter Präzision, Sir, aber die Angaben dürften ausreichen, Johnny Coolway einen Besuch abzustatten…!«

Judy hatte Angst. Nur noch nackte Angst.

Sie befand sich in einem Keller, dessen Boden vor Schmutz starrte. Leere Colaflaschen lagen herum, aufgerissene Lebensmittelpackungen, Kartons, Kisten und ein paar Matratzen, die nach Fäulnis und Schweiß rochen.

Judy lag auf solch einer Matratze und spürte, daß das Gift in ihren Adern bereits wirkte. Sie registrierte auch, daß die Angst sich etwas legte. Interessiert, zugleich widerwillig und neugierig, betrachtete sie den Einstich in ihrer linken Armbeuge.

Nachdem die Lämmer sie hinunter in den Keller geschafft hatten, war Johnny nachgekommen.

»Wenn du bleiben willst«, sagte er, »mußt du ein Lamm werden, ein sehr sanftes Lamm.«

»Ich … Ich will weg …!« stieß Judy wütend hervor, »ihr seid ja alle verrückt …«

»Nur in diesem Zustand läßt sich die Welt noch ertragen.« Johnny lächelte sanft und hatte dann plötzlich eine sehr normale Rekordspitze in der Hand.

»Was … Was ist das?« fragte Judy und wehrte sich bereits im voraus.

»Heroin, Süße!« Johnny lächelte mild wie ein Heiliger und betrachtete verzückt die Spritze. Wahrscheinlich hätte er sie sich am liebsten in sein eigenes Fleisch gerammt.

An das alles dachte Judy, die jetzt allein auf der Matratze lag. Eigenartigerweise ärgerte sie sich schon nicht mehr. Das Heroin in ihrem Blut wirkte von Sekunde zu Sekunde immer stärker. Judy schloß die Augen und verlor sich ins Träumen. Ein Lächeln, das aber irgendwie aufgesetzt und gequält wirkte, umspielte ihre Lippen.

»Der Ford, Sir, den Sie und meine bescheidene Wenigkeit in der vergangenen Nacht sahen.«

Parker hielt sein hochbeiniges Monstrum an und deutete diskret auf den windschiefen Holzbau, vor dessen Eingang tatsächlich der Ford mit der kleinen Ladepritsche stand.

»Der Bau macht einen verdammt leeren Eindruck«, stellte Rander fest. Er stieg aus Parkers Wagen und spürte ganz deutlich, daß irgend etwas nicht stimmte. Was er auch seinem Butler sagte.

»Sie rechnen mit einer Falle, Sir?«

»Sie etwa nicht, Parker?«

»Man sollte vielleicht erwägen, Sir, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen.«

»Was Ihrer Ansicht nach bedeutet, daß Sie ins Haus gehen, nicht wahr?«

»Ich werde in wenigen Minuten wieder zurück sein, Sir.«

»Ich komme selbstverständlich mit. Nein, nein, Parker, strengen Sie sich nicht an.«

Parker schloß sein hochbeiniges Monstrum ab und folgte Mike Rander, der bereits auf die windschiefe Strandvilla zuging. Rander entsicherte dabei seinen kurzläufigen 38er Spezial. Nach Lage der Dinge waren die Lämmer, die hier wohnten, für den Mord an Marty Galbert zuständig.

»Eine Okarina, Sir …!« meldete Parker, als Rander plötzlich stehenblieb und zum Eingang hinüberhorchte.

»Und verdammt schlecht gespielt«, kritisierte Rander, »hört sich im Moment noch alles sehr idyllisch an …«

Sie betraten das Haus, folgten der dünnen, brüchigen und falschen Melodie, stiegen über die Treppe hinauf ins Ober- und Dachgeschoß und blieben interessiert stehen.

Johnny Coolway hatte sich wieder in einen Buddha zurückverwandelt und saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Lederpolster.

Um ihn herum brennende Räucherkerzen, die einen penetrant süßlichen Geruch verbreiteten. Und vor Johnny, dem Leithammel der Lämmer, saßen im Halbkreis männliche und weibliche Hippies, die jetzt nasal zu singen begannen und dabei ihre Oberkörper wie im Totalrausch wiegten.

»Miß Judy Calmer kann ich leider nicht entdecken, Sir«, meldete Parker seinem jungen Herrn, »hoffentlich hat man Miß Judy nicht auf die Reise geschickt, um Marty Galbert einzuholen.«

»Zu besichtigen sind wir nur gegen Zahlung von zehn Dollar«, sagte Johnny Coolway wenig später. Er trat zu Rander und Parker und lächelte amüsiert.

»Überschätzen Sie sich nicht möglicherweise?« fragte Rander. Er beobachtete aufmerksam die Hippies, die aufgestanden waren und sich hinter ihrem Leithammel aufbauten. Es handelte sich um fünf Mädchen und um drei junge Männer. Sie alle waren abenteuerlich gekleidet, was Rander selbstverständlich nichts ausmachte. Seiner Meinung nach sollte und konnte jeder nach seiner persönlichen und eigenen Fasson selig werden, Hauptsache, er zwang seine Meinung nicht anderen Mitmenschen auf.

»Zehn Dollar sind unser Satz«, meinte Johnny, »an guten Tagen nehmen wir bis zu hundert Dollar ein. Dann kommen die Spießbürger aus den Strandhäusern und gruseln sich.«

»Sanfte Lämmer scheinen gefragt zu sein«, erwiderte Rander, »wir sind hier doch richtig bei Johnny Coolway, nicht wahr?«

»Sie haben sich aber gut informiert. Und wer sind Sie?«

»Ich habe die Ehre, Mister Rander vorstellen zu dürfen. Mein Name ist Parker, Josuah Parker …«

»Sie sind so was wie ’n Domestik, ja?« Johnny grinste.

»Ich bin der Butler Mister Randers.«

»’n Domestik, sagte ich doch bereits«, gab Johnny zurück, »schämen Sie sich nicht, sich an einen Geldgeber zu verkaufen? Warum leben Sie nicht Ihr eigenes Leben?«

»Über diese Dinge Mister Coolway, diskutiere ich gern an anderer Stelle und zu einer anderen Zeit. Betonen möchte ich aber, daß ich mich durchaus freiwillig verkaufte, um ihren Ausdruck zu gebrauchen. Ich darf doch hoffen, daß Ihre Lämmer sich ebenfalls freiwillig Ihnen angeschlossen haben, ja?«

»Sie sind schlau, wie?« Johnny grinste.

»Ich erlaube mir stets, die Dinge beim Namen zu nennen, wenn Sie das meinen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich nach dem Befinden von Miß Judy Calmer erkundigen!«

»Judy Calmer«, wiederholte der Butler gemessen, »die Freundin eines gewissen Marty Galbert, der so plötzlich zu Tode kam.«

»Zu uns kommen haufenweise junge Leute«, gab Johnny prompt zurück, »wir fragen sie niemals nach Namen und Adressen. Die Leute kommen und gehen. Mag sein, daß ein Galbert hier war, mag sein, daß auch eine Judy hier mal aufgekreuzt ist. Aber beschwören kann ich’s nicht.«

»Sie befindet sich hier«, gab Parker würdevoll zurück.

»Sind Sie sicher? Haben Sie sie gesehen? Wo steckte sie denn?«

»Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Kugelschreiber richten, Mister Coolway?« Während Parker redete, zog er einen der vielen Kugelschreiber aus seiner Westentasche. »Dieser Kugelschreiber ist ein Mini-Empfangsgerät, das in der erfreulichen Lage ist, Sendeimpulse aufzunehmen.«

»Na, und …?«

»Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß Miß Judy, wenn auch ungewollt, einen Kleinsender trägt. Ich war so frei, sie damit zu versehen. Diese Sendeimpulse kamen und kommen hier aus dem Haus!«

Johnny antwortete nicht sofort. Er nagte einen kurzen Moment an seiner Unterlippe und streckte dann die Hand nach dem Kugelschreiber aus. Dabei schaute er sich halb zu seinen Lämmern um, die irgendwie in imaginären Startlöchern zu stehen schienen. Sie warteten wohl auf ein Zeichen ihres Leithammels.

»Ich hoffe, Miß Judy erfreut sich bester Gesundheit«, sagte Parker und reichte Johnny den Kugelschreiber.

Als Johnny nach dem Kugelschreiber griff und ihn an sich nahm, ertönte vor dem Hause der nasale Singsang einer Flöte, die eine Tonfolge produzierte.

»Los …!« kommandierte Johnny in diesem Moment und nickte seinen Lämmern zu.

Diese Lämmer verwandelten sich ohne jeden Übergang in reißende Wölfe, die sich auf Rander und Parker stürzten, als handelte es sich um besondere Leckerbissen.

Die beiden besonderen Leckerbissen hatten aber nicht die geringste Lust, sich verarbeiten zu lassen.

Mike Rander, mittelgroß, schlank und weiß Gott kein Riese, hatte im Lauf der Zeit sehr viel von seinem Butler gelernt. Er wich zurück und … prallte gegen zwei Lämmer männlichen Geschlechts, die plötzlich hinter ihm standen.

Mike Rander wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung und erwies sich als trainierter Judokämpfer. Er hatte die Rechnung allerdings ohne die Lämmer gemacht, die wohl unter Rauschgift standen und sich einfach nicht abschütteln ließen. Sie fielen ihn immer wieder an und warfen sich schließlich gegen seine Kniekehlen.

Rander knickte ein, verlor seinen Stand und wurde augenblicklich von Leibern begraben, die bald jeden weiteren Widerstand erstickten.

Josuah Parker befand sich in einer wesentlich besseren Position.

Und diese bessere Position rührte von seinem Universal-Regenschirm her, den er wie eine Kampfkeule kreisen ließ. Der bleigefütterte Bambusgriff verschaffte ihm augenblicklich Luft, einigen Lämmern hingegen Kopfschmerzen im wahrsten Sinn des Wortes. Einige Hippies rollten sich bereits auf dem Boden zusammen und waren nicht mehr bereit, sich für ihren Leithammel einzusetzen.

»Flossen hoch, aber schnell…!« Johnny hatte sich sehr nachdrücklich eingemischt. Er hielt einen mächtigen Armeecolt in der Hand, dessen Mündung auf den Butler gerichtet war.

Die »Lämmer« wichen sofort zurück. Mike Rander lag angeschlagen auf dem Boden, erhob sich jetzt aber und fühlte sicherheitshalber nach seiner Nase, die etwas abbekommen hatte.

Parker verzichtete souverän darauf, seine Hände hochzunehmen. Von sportlichen Übungen dieser Art hielt er überhaupt nichts.

»Darf man erfahren, Mister Coolway, was Sie jetzt planen?« fragte Parker gemessen.

»Warten Sie’s doch ab, Alterchen!« Coolway grinste und hob die Mündung des Colts, »ich werde schießen, sobald Sie ’ne Dummheit machen, mein Wort darauf!«

»Davon bin ich überzeugt«, gab Parker zurück, »ich brauche mich nur an Marty Galbert zu erinnern, der wohl auf Ihren ausdrücklichen Wunsch hin ermordet wurde …«

»Beweisen Sie das mal!«

»Dazu wird es früher oder später mit Sicherheit kommen«, gab der Butler zurück. »Und dann wird sich garantiert erweisen, ob Sie es gewesen sind, oder vielleicht gewisse Rocker, unter einem gewissen Bert Single, der für Sie und Ihre Rechnung diesen Mord beging!«

Johnny Coolway sah den Butler schweigend und intensiv an. Rander, dessen Nase schmerzte, schüttelte unbewußt den Kopf. Warum packte Parker derart gründlich aus, fragte sich Rander, er scheint versessen darauf zu sein, abserviert zu werden …

»Bring sie runter«, befahl Johnny. Er wandte sich ab und schien an Rander und Parker schon nicht mehr interessiert zu sein.

Die »Lämmer« – einer von ihnen hatte den Armeecolt übernommen – erschienen hinter Rander und Parker und wollten ihnen Kälberstricke anlegen.

Johnny spielte mit dem Kugelschreiber, der einen Mini-Empfänger enthalten sollte, wie Parker behauptet hatte. Johnny interessierte sich für dieses Gerät, hantierte daran herum und schraubte schließlich die beiden Hülsen auseinander.

Das heißt, er wollte dies tun, doch bevor er es schaffte, ereigneten sich einige verblüffende Dinge.

Eine Art Lichtbombe explodierte in seiner Hand, deren Intensität ihn sofort kurzfristig blendete. Gleichzeitig damit breitete sich eine Nebelwand aus, als seien wenigstens zwei Nebelkerzen geworfen worden.

Die Partikelchen hatten es zusätzlich in sich. Sie verursachten einen Reizhusten, der die Körper erbeben ließ und durchschüttelte.

Johnny, der Leithammel der sanften »Lämmer« krümmte sich, bekam seinen hochgenommenen Unterarm nicht von den Augen und hustete wie ein Kettenraucher nach dem Aufstehen.

Seine »Lämmer« husteten ihm ebenfalls etwas und vergaßen darüber, sich weiter mit Rander und Parker zu beschäftigen.

Es hustete auch Mike Rander, als Parker ihn behutsam zur Treppe führte.

Nur Parker enthielt sich der allgemeinen Geräusche. Er atmete durch einen harmlos aussehenden Kugelschreiber, in dem eine Art Gasmaskenpatrone steckte, selbstverständlich in Kleinstausführung.

Während Parker seinen jungen Herrn nach unten führte, entleerte er eine Schachtel, in der sich Streichhölzer, möglicherweise aber auch Reißzwecken befanden …

»Die Reizung der Schleimhäute und Atemwege, Sir, wird in wenigen Minuten vorüber sein«, sagte Parker, als er mit Rander den hochbeinigen Wagen erreicht hatte.

Rander wollte antworten, doch in diesem Moment waren aus der windschiefen Strandvilla gellende Schreie zu hören.

»Was … Was ist denn das?« fragte Rander und wandte sich hustend und verblüfft an seinen Butler.

»Die Wirkung von Reißzwecken, Sir, die auszustreuen ich mir die Freiheit nahm!«

»Reißzwecken!?«

»In Anbetracht der Tatsache, Sir, daß wir es mit Hippies zu tun haben, die mit Vorliebe auf normales Schuhwerk verzichten, erstand ich im Drugstore Reißzwecken, um einen eventuellen schnellen Rückzug organisieren und decken zu können.«

Rander hustete und grinste.

»Darf ich anregen, Sir«, redete Parker weiter, »daß Sie jetzt mit dem Wagen diese ungastliche Stätte verlassen?«

»Sie wollen mich wegschicken? Ausgeschlossen, Parker!« Rander hustete zwar noch und mußte sich die Augen wischen, doch er hatte keineswegs die Absicht, seinen Butler allein vor dem windschiefen Holzbau zurück zu lassen.

»Sir, es geht darum, einen gewissen Eindruck zu machen«, erwiderte Parker, »falls Sie sich entschließen könnten, mit dem Wagen wegzufahren, wird bei den sanften Lämmern der Eindruck entstehen, daß auch meine bescheidene Wenigkeit sich entfernt hat.«

Statt zu antworten, hörte Mike Rander auf das Heulen und Schreien der sanften Lämmer, die wahrscheinlich auf den Reißzwecken eine Art Steptanz absolvierten.

Er nickte seinem Butler also zu, setzte sich ans Steuer, wischte sich noch einmal die Augen und fuhr davon. Parker, der sich im nahen Strauchwerk verborgen hatte, sorgte selbstverständlich für die notwendige Tarnung.

Dazu benutzte er sinnigerweise einen dritten Kugelschreiber, den er, nach Verdrehung der beiden Hülsen gegeneinander, auf den Platz vor dem windschiefen Holzhaus geworfen hatte.

Der Erfolg war frappierend.

Dort, wo sich gerade noch der freie Platz befunden hatte, wuchs eine zweite Nebelwand hoch, die an Intensität nichts zu wünschen übrig ließ. Diese Nebelwand verschluckte das Wegfahren des Wagens, machte es unmöglich zu erkennen, wer sich nun im Auto befand und wer nicht.

Parker, der – vom Haus aus gesehen – hinter der Nebelwand stand, musterte seinen jungen Herrn mit Wohlgefallen. Dann ging er tiefer in den total verwilderten Garten hinein und lauschte den Klängen, die aus dem Haus kamen.

Die sanften Lämmer waren völlig enerviert.

Die jungen Damen und Herren tanzten auf den Stufen und im Erdgeschoß vor der Tür herum, als wären sie vom Veitstanz befallen. Was durchaus verständlich war, denn in ihren nackten Füßen staken immerhin reihenweise Reißzwecken, deren Spitzen die Haut ihrer Füße zum Prickeln brachten.

Ein sanftes Lämmchen weiblichen Geschlechts hüpfte auf dem linken Bein herum und mühte sich ab, zwei Reißzwecken aus der Ferse zu ziehen. Dabei verlor dieses Lämmchen das Gleichgewicht, griff haltsuchend in die Luft, schrie zusätzlich auf und fiel dann zurück auf die Kehrseite.

Dieses Lämmchen hatte ausgesprochenes Pech. Die Kehrseite landete ausgerechnet dort auf dem Boden, wo eine freundlich wartende Heftzwecke bereitlag.

Das Lämmchen stieß einen spitzen, grellen Schrei aus, faßte nach der mißhandelten Seite des Gesäßes und hüpfte erstaunlich munter aus dem Haus. Das Lämmchen trabte an Parker vorbei und ward nicht mehr gesehen.

Der Butler wartete in aller Ruhe ab, bis die allgemeine Aufregung sich gelegt hatte. Nachdem die sanften Lämmer sich endlich beruhigt hatten, wurde es leiser im windschiefen Holzbau. Die Hippies verzogen sich wieder hinauf auf den Dachboden, um dort wohl mit sich zu Rate zu gehen.

Parker, der an frischen und guten Informationen immer interessiert war, wußte, sich auch jetzt zu helfen. Er bemühte seinen Universal-Regenschirm, dessen Schirmstock hohl war. Nach Verdrehen des bleigefütterten Bambusgriffes konnte dieses Blasrohr mit diverser Munition geladen werden. Preßluft, nach Bedarf aus einer Stahlpatrone bezogen, sorgte dann dafür, daß die Munition ins Ziel getragen wurde.

Josuah Parker hatte Zeit und Muse, seinen Wünschen nachzugehen.

Aus einer Westentasche holte er einen Minisender, der nicht größer war als eine gut entwickelte Erbse. Diesen Kleinstsender befestigte er an einem Blasrohrpfeil. Nachdem Parker seinen Schirmstock derart aufgeladen hatte, richtete er den Schirm auf die obere Etage des Hauses. Sekunden später, ein feines Zischen war zu hören – trieb die Preßluft den Pfeil samt Minisender hinüber zum Haus.

Deutlich war zu sehen, daß der Pfeil sich in das Holz neben einem Fenster hineinbohrte. Parker nickte zufrieden, holte seinen Empfänger aus der Tasche und ließ sich überraschen.

»Natürlich werden die Schnüffler zurückkommen«, sagte Johnny gerade. Der Leithammel der sanften Lämmer sprach nicht mehr im Tonfall der Milde und Güte. Seine immer noch etwas zu hohe Stimme war schrill und ärgerlich geworden. »Wir müssen uns absetzen.«

»Und wohin?«

»Darauf kommt es doch im Moment überhaupt nicht an«, sagte Johnny. »Hauptsache, wir kommen erst mal aus der Schußlinie.«

»Und was wird aus der Calmer?«

»Nichts, die bleibt, wo sie ist.«

»Aber allein kommt die Kleine doch niemals aus dem Keller.« Ein Mädchen schien endlich so etwas wie Mitleid und Menschlichkeit zu verspüren.

»Dann kann sie wenigstens nicht quasseln. Wir haben jetzt andere Sorgen. Los, packt eure Sachen! Wir rauschen in einer Viertelstunde ab!«

Josuah Parker schaltete das Empfangsgerät ab und wartete auf das Erscheinen der »Lämmer«. Er mußte zu irgendeinem Entschluß kommen. Sollte er sich den »Lämmern« entgegenstellen und versuchen herauszubekommen, Wo Judy Calmer festgehalten wurde? Oder sollte er nach der Wegfahrt der Hippies auf eigene Faust im Haus nach ihr suchen?

Die »Lämmer« erschienen auf der Bildfläche. Johnny, der sehr betriebsam wirkte, hatte die Führung übernommen. Er kommandierte seine »Lämmer« herum, trieb sie zur Eile an und startete bereits, als noch einige Lämmchen am Wagen herumhüpften. Wenig später verschwand der Ford in einer Staubwolke in Richtung Hauptstraße.

Josuah Parker war nun allein auf weiter Flur. Er verließ sein Versteck und ging gemessen und würdevoll auf das Haus zu. Er betrat das Erdgeschoß und interessierte sich sofort für den Keller, von dem Johnny gesprochen hatte.

Die Treppe – sie bestand aus Holz – war mehr als baufällig. Aber sie zeigte gerade deshalb Spuren, die darauf schließen ließen, daß man erst vor ganz kurzer Zeit irgendeinen Gegenstand über sie nach unten geschleift haben mußte.

Judy Calmer?

Parker sah sich in dem korridorartigen Viereck um. Es gab einige Türen, die aber zerbrochen in ihren Angeln hingen. Es roch penetrant nach muffigem und faulem Abfall, nach Feuchtigkeit und nach Ratten.

»Miß Calmer!?« Parker, der sich von seinem Rufen nicht viel versprach, versuchte es erst einmal auf diese Art. Als Judy sich nicht meldete, suchte Parker nach weiteren Spuren. Im Dreck, der den Boden bedeckte, fand er bald wieder Schleifspuren, die in den mittleren Keller hineinführten.

Leere Kartons, Verpackungsmaterial, Unrat aller Art und leere Flaschen waren hier das Stilleben. Aber die Schleifspuren blieben sichtbar. Sie führten zu einer Wand, vor der sich einige Kisten türmten.

Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms brachte der Butler diese Mauer aus Kisten zum Einsturz. Nachdem sich der aufgewirbelte Staub gelegt hatte, untersuchte Parker die frei gewordene Mauer.

Sie bestand aus nackten Ziegeln, die feucht waren, als hätte man sie gerade aus dem Wasser gezogen. Parker prüfte und untersuchte diese Ziegel, aber zu seiner Überraschung konnte er nicht den Geheimgang freilegen, mit dem er eigentlich gerechnet hatte.

Er wollte sich bereits abwenden und sich für die anderen Keller interessieren, als er eine erfreuliche Entdeckung machte.

Unterhalb der Wand links von ihm, dort, wo einige eingedroschene Regale an der Wand standen, sickerte eine Flüssigkeit durch. Dies mußte laut Parkers Ansicht einen ganz bestimmten Grund haben …

Judy Calmer war zu sich gekommen und fühlte sich hundeelend. Die Heroindosis, die Johnny ihr gespritzt hatte, verursachte ihr nur Übelkeit. Nachdem sie sich erbrochen hatte, fühlte Judy sich zwar schwach und benommen, aber sie war wieder in der Lage, sich mit ihrer Umgebung zu befassen.

Sie kroch in der Dunkelheit umher, zerschnitt sich Knie und Hände an Glasscherben, stieß mit dem Kopf gegen die Ziegelwände, aber sie hatte das Gefühl, nicht mehr wehrlos zu sein.

Als sie an einer Wand entlangkroch, stieß sie gegen eine Flasche, aus der eine übel riechende Flüssigkeit lief. Sie hielt sich die Nase zu und wich unwillkürlich zurück. Dann drückte sie sich von der Wand ab und erreichte nach einigem Herumirren die Matratze, auf der sie gelegen hatte.

Sie zwang sich zur Ruhe und kämpfte eine Panik nieder, die sich in ihr breitmachte. Sie war sich im klaren, daß Johnny sie umbringen lassen würde. Es war ihr wie Schuppen von den Augen gefallen. Diese sanften »Lämmer«, von denen Marty so oft und begeistert erzählt hatte, waren Asoziale, die hinter Schloß und Riegel gebracht werden mußten. Vielleicht waren all diese Hippie-Mätzchen nur die Tarnung dafür, um ungestört »arbeiten« zu können.

Judy zuckte zusammen, als sie plötzlich ein feines Piepsen, dann ein Scharren und schließlich ein raschelndes Krabbeln hörte.

Ratten.

Entsetzt sprang Judy auf, schrie, griff nach ihren Beinen und hatte bereits das Gefühl, von einem Nagetier angefallen zu werden. Sie schrie sich die Angst aus dem Körper, bis sie erschöpft zusammenbrach.

Irgend etwas lief über ihre rechte Wade, was sie steif vor Angst werden ließ. Sie hörte wieder das Piepsen, ein Scharren und hielt den Atem an.

Dann hörte sie ihren Namen, aber sie reagierte nicht. Sie hörte deutlich, daß Judy Calmer gerufen wurde, aber sie glaubte an eine Sinnestäuschung.

»Würden Sie sich freundlicherweise melden, Miß Calmer?« Eine sonore, warme Baritonstimme, die Vertrauen einflößte. Dann ein scharf gebündelter Lichtstrahl, der sie blendete. Sie schloß die Augen, hob abwehrend die Arme und schrie gellend, als eine Hand sich um ihren Oberkörper legte.

»Ich darf Ihnen versichern, Miß Judy, daß Sie keine Angst mehr zu haben brauchen«, sagte Parker, »falls Sie einverstanden sind, werde ich Sie gern zurück ans Tageslicht bringen.«

Judy Calmer schluchzte noch, als sie neben Parker draußen vor der windschiefen Strandvilla stand.

»Ich denke, Sie sollten jetzt all das sagen, Miß Calmer, was Sie Von den sanften ›Lämmern‹ wissen«, sagte Parker gemessen, »inzwischen wird Ihnen ja klar sein, daß Sie es auf keinen Fall mit Hippies zu tun hatten.«

»Ich komme mir schrecklich albern vor«, sagte Judy. Sie saß mit Parker und Rander in einem Strandcafé und fühlte sich wie von einem Alptraum befreit.

»Sie haben die Möglichkeit, uns jetzt zu helfen«, schaltete Mike Rander sich ein, »Sie wissen, wir suchen den oder die Mörder von Marty Galbert.«

»Wenn einer der Mörder ist, dann Johnny«, erklärte Judy mit Nachdruck. »Er wollte auch mich umbringen, ich weiß es genau …«

»Ich kann und muß Ihren Eindruck bestätigen«, sagte Parker, »man dachte nicht im Traum daran, Sie aus dem Keller zu holen, Miß Judy.«

»Wie haben Sie eigentlich diesen Keller entdeckt?« Judy sah den würdevollen Butler begeistert an.

»Sie müssen eine Flasche umgestoßen haben, deren Inhalt sich auf den Boden ergoß. Diese Flüssigkeit sickerte durch den unteren Spalt einer Geheimtür.«

»Hätten Sie diese Tür auch so gefunden?« Judy wirkte schon wieder ängstlich und unsicher.

»Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt. Sie war außerordentlich gut getarnt …«

»Marty erzählte von diesem Geheimkeller«, berichtete Judy, »Johnny ließ darin die ›Lämmer‹ einsperren, die nicht mehr mitmachen wollten. Oft tagelang, ohne einen Tropfen Wasser!« Judy schauderte.

»Demnach war Marty also bereits Mitglied der sanften ›Lämmer‹?« wollte Mike Rander wissen.

Judy nickte, ihre Hände verkrampften sich. Sie brauchte etwas Zeit, um in aller Ruhe erzählen zu können.

»Marty war schon seit einigen Wochen Mitglied der Bande«, begann sie zögernd, »durch ihn erfuhr ich überhaupt erst von den sanften ›Lämmern‹.«

»Und was bezweckten diese komischen ›Lämmer‹?« Rander lächelte absichtlich-amüsiert, um Judy das Erzählen zu erleichtern.

»Rauschgift… Heroin und Kokain«, gab Judy prompt zurück, »die ›Lämmer‹ überfielen Autopärchen, die irgendwo standen und allein sein wollte. Sie raubten sie aus, Sie arbeiteten mit dem Trick, Mister Parker, den Sie ja bereits kennen. Sie verschafften sich auf alle möglichen Arten Geld, um sich das Rauschgift kaufen zu können. Und sie verkauften es auch!«

»Okay, alles klar!« Rander nickte. So etwas hatten er und Parker sich vorgestellt. »Aber was faszinierte Marty Galbert an diesen ›Lämmern‹… warum wollten Sie unbedingt Mitglied dieser Bande werden?«

»Bei Marty waren es die Mädchen.« Judy konnte sogar wieder rot werden. Sie war endlich nur wieder ein nettes Mädchen, das sich jetzt nachträglich schämte. »Jawohl, es waren die Mädchen. Johnny schaffte immer wieder neue ›Lämmer‹ heran, wie sie sich ausdrückten. Er pickte sie irgendwo in der Stadt auf, schenkte ihnen Rauschgift und nahm sie mit in die Strandvilla.«

»Sollten es auch diese Mädchen gewesen sein, die die Rocker zahm werden ließen?« erkundigte sich der Butler.

»Sie … Sie durften sich bedienen.« Judy errötete und senkte den Kopf, »diese Rocker kamen, wie sie Lust hatten. Und ich glaube, Johnny hatte Angst vor ihnen. Marty sprach mal davon.«

»Johnny und seine ›Lämmer‹ sind nun weggefahren«, meinte der junge Anwalt, »haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnten, Judy? Bitte, diesmal keine Tricks. Wir müssen diesen Gangster finden, etwas anderes ist er nicht in meinen Augen.«

»Ich werde Sie nicht mehr belügen«, erklärte Judy mit Nachdruck, »ich muß vollkommen verrückt gewesen sein. Noch einmal wird mir so etwas nicht passieren.«

»Schwamm drüber, Judy! Wo könnten Johnny und seine Lämmer sich verstecken? Sagen Sie alles, und wenn Sie es auch für noch so unwichtig halten!«

»Ich glaube, Sir, Miß Judy braucht ihr Gedächtnis nicht zu strapazieren«, entgegnete Parker in diesem Moment, Er hatte aus dem Fenster gesehen und stand auf. »Ich fürchte, die sanften Lämmer sind bereits zum Gegenangriff übergegangen.«

Rander und Judy standen ebenfalls auf und sahen hinaus auf den Parkplatz.

Was sie entdeckten, war nicht gerade erfreulich. Eine Horde von Rockern quoll aus einem alten Rolls …

Sie hatten sich Fahrradketten, Stahlruten und Holzknüppel mitgebracht. Sie näherten sich äußerst ziel sicher dem Strandcafé, in dessen Wintergarten Rander, Judy und Parker saßen. Im vorderen Teil des Lokals hielten sich weitere Gäste auf, die noch nicht ahnten, was da im wahrsten Sinn des Wortes auf sie zukam.

»Ich schaffe Judy weg! Sorgen Sie für Deckung!« Rander und Parker verstanden sich wieder einmal ausgezeichnet. Parker nahm sich selbstverständlich die Zeit, eines der breiten, niedrigen Fenster hochzuschieben. Dann half er Judy würdevoll hinaus ins Freie. Rander kletterte schnell nach, faßte nach ihrer Hand und zog sie hinunter zum nahen Strand.

Parker, jetzt allein im Wintergarten, war bereit, die Stellung zu halten. Daß es nicht einfach sein würde, konnte er sich allerdings leicht ausrechnen. Und sehr viel Zeit verblieb ihm nicht, gewisse Vorbereitungen zu treffen.

Parker schloß das Fenster, vergewisserte sich, daß seine Spezialüberraschungen griffbereit waren und erwartete dann den Besuch der Rocker.

Sie kamen lässig und siegessicher herein. Bert Single, groß und blond, von schwarzem Leder umgeben, sah aus wie ein Racheengel. Er zündete sich eine Zigarette an, als er Parker sah und grinste.

»Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt«, Parker lüftete höflich seine schwarze Melone.

»Nerven hast du, Alterchen«, meinte Bert fast anerkennend.

»Sie beschämen einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann«, gab Parker zurück, »darf ich mir die Freiheit nehmen, mich nach Ihren Wünschen zu erkundigen?«

»Was wollen wir schon!?«

»In der Tat … Ihr Leithammel Johnny scheint Sie alarmiert zu haben!«

»Wenn schon …«

»Verwunderlich für einen alten Mann, daß Sie Direktiven benötigen, um aktiv werden zu können.«

»Wie war das?« Bert hatte Parkers Rede nicht ganz verstanden. Er grinste noch immer und stoppte seine Leute, die vordrängten, mit einer lässigen Handbewegung.

»Ohne den Leithammel Johnny, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, scheinen Sie nicht leben zu können.«

»Wollen Sie witzig werden, Parker?«

»Sie kennen meine bescheidene Wenigkeit …«

»Von wegen Wenigkeit… Wir haben in der Stadt mal nachgefragt, wer Sie sind. Ganz schön clever, Parker! Aber mit Ihren Tricks legen Sie uns diesmal nicht aufs Kreuz. Jetzt geht’s zur Kasse!«

Bert wollte die Führung übernehmen, aber er blieb restlos überrascht stehen, als der Butler plötzlich einen vorsintflutlich aussehenden Colt in der Hand hielt, den man zur Zeit der Indianeraufstände bereits als leicht veraltert abgelehnt hätte.

»Ich muß betonen, daß ich mich im Gebrauch von Schußwaffen nicht sonderlich gut auskenne«, sagte Parker, für dessen schwarz behandschuhte Hand die Waffe offensichtlich zu schwer war. Sie zitterte wie ein Lämmerschwanz in seiner Hand und beschrieb leichte Kreise und Zick-Zack-Bewegungen.

»Schmeißen Sie das Drecksding weg«, forderte Bert scharf. »Schön, Parker, Sie bekommen Ihre Abreibung, aber wir nehmen Sie auseinander, wenn Sie schießen!«

Bert hatte wirklich keine Angst. Und wenn er sie hatte, so zeigte er sie nicht. Er nickte seinen Freunden noch einmal zu und marschierte dann ungerührt auf den Butler los.

Parker konnte mit solch einer Waffe scheinbar wirklich nicht gut umgehen.

Er feuerte einige Schüsse ab, doch er schien die Waffe mit Platzpatronen geladen zu haben. Sie lösten sich unmittelbar hinter dem Lauf bereits auf und spritzten auseinander.

Was Bert und den übrigen Rockern aber gar nicht gut bekam …

In der Luft des Wintergartens hing plötzlich ein feiner Nebel, der aus einer Spraydose zu stammen schien. Dieser dünne Nebel legte sich klebrig auf die Haut der heranmarschierenden Rocker. Etwas überrascht darüber, daß Parker zwar geschossen hatte, daß aber kein Treffer zu zählen war, bekamen sie innerhalb von Sekunden so etwas wie Nesselfieber.

Sie vergaßen den Butler, der sich tiefer in den Wintergarten zurückgezogen hatte und bereits ein Fenster hochschob, um sich zu empfehlen.

Die Rocker juckten und kratzten sich, sie entdeckten feine Nesselbläschen auf ihren Armen, Händen und Gesichtern, sie schüttelten sich wie Hunde, die ihre Flöhe loswerden wollen, und sie begannen plötzlich grundlos zu kichern. Sie glichen albernen Schulmädchen, die stets etwas zu lachen haben.

Doch dieses alberne Lachen verging ihnen ungemein schnell. Der Juckreiz wurde unerträglich, er war geradezu überwältigend. Die Rocker rieben sich ihre Rücken gegen die Wände des Wintergartens, rissen sich die Kleidung vom Leib, bis sie fast hüllenlos waren und wälzten sich schließlich auf der Erde herum.

Bert Single, den Anführer, hatte es besonders erwischt. Schließlich war er ja auch vorausgegangen. Er lag bereits auf dem Boden, stemmte sich mit angewinkelten Beinen ab und rutschte mit dem Rücken über das Parkett. Was sehr komisch aussah und eigentlich auf die Bühne eines Kabaretts gehört hätte. Seine Mitarbeiter schrubbten sich inzwischen ihre Nesselbläschen und vergossen darüber fast Tränen der Wonne.

Parker war bereits durch das Fenster hinausgestiegen, ging um das Strandcafé herum und sah sich den Rolls der Rocker noch einmal genau aus der Nähe an.

Daß er dabei einen seiner Kleinstsender verlor, verstand sich am Rande.

»Die Herren, Sir, müssen sich meiner bescheidenen Schätzung nach in unmittelbarer Nähe befinden«, erklärte Josuah Parker nach gut einer halben Stunde. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum angehalten und deutete durch die Windschutzscheibe nach vorn.

»Wo, zum Henker …!« Rander war nervös geworden, »weit und breit nichts als Gegend … Aber kein einziges Haus.«

Judy, die sich im Fond des Wagens befand, beugte sich nach vorn, um besser sehen zu können. Die Trennscheibe zwischen Fahrersitz und Fahrgastraum war versenkt worden.

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich noch ein wenig Vorfahren …«

Parker brachte sein hochbeiniges Monstrum in Bewegung. Nach dem Zwischenfall im Wintergarten des Strandcafés hatten die Rocker sich mehr als hastig abgesetzt. Sie hatten keine Lust, Ärger mit der Polizei zu bekommen. Durch die Juckerei fühlten sie sich nicht mehr in der Lage, eine große Schau abzuziehen, wie sie es gewohnt waren.

Parker hatte den Rockern höflich folgen können. Die Sendeimpulse seines Minisenders im Rolls hatten ihm den richtigen Weg gewiesen. Parker war davon ausgegangen, daß die Rocker sich auf dem schnellsten Weg zurück zu Johnny begeben würden. Leider schien dem aber nicht so zu sein, wie jetzt zu sehen war.

Plötzlich trat Parker hart auf das Bremspedal.

Sein hochbeiniges Monstrum kam dem Befehl nach und hielt an. Parker deutete nach unten.

Sie hielten knapp vor einem brüchigen Zaun, der aus Holzpfosten bestand, die ihrerseits durch Stacheldraht miteinander verbunden waren. Eine mehr als fragwürdige Sicherung für die riesige Kiesgrube, die sich steil nach unten senkte.

In der Mitte der weiten Grube, in die man über eine schräge Rampe gelangte, befand sich ein Baggersee, in dem ein Schwimmbagger ankerte, der allerdings wohl schon seit Jahren nicht mehr gearbeitet hatte. Er war über und über mit Rost bedeckt.

Vom Ufer des Baggersees aus führte eine Art Behelfssteg hinüber zum Schwimmbagger. Aus einem rostzerfressenen Schornstein kam ein dünner Rauchfaden, ein sicheres Zeichen dafür, daß sich auf dem Kran Menschen befanden.

Ein noch besserer Beweis dafür war der alte Rolls von Bert Single. Er stand knapp vor dem Behelfssteg und war leer. Die Rocker mußten sich an Bord begeben haben. Trafen sie sich unter Deck mit den ›Lämmern‹?

Parker stieß sein hochbeiniges Monstrum vorsichtig zurück, stieg aus und öffnete die Wagentüren für Rander und Judy, die jetzt nur noch ein braves Mädchen war.

»Haben Sie von diesem Schwimmbagger schon einmal gehört?« fragte Rander und wandte sich an Judy.

»Noch nie«, sagte sie, und es klang ehrlich. »Wirklich nicht, Mister Rander!«

»Wo mag der Ford dieses Leithammels stecken?« Rander war wieder nach vorn an den Steilrand der riesigen Kiesgrube gegangen und sah vorsichtig nach unten.

»Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf jene Reifenspuren lenken, Sir, die hinter dem Behelfssteg zu erkennen sind?«

»Ja… ich sehe sie!«

»Sie führen in das Wasser hinein!«

»Sie meinen …«

»Ich bin überzeugt, Sir, daß Mister Johnny es aus Gründen der Tarnung vorgezogen hat, den Ford zu versenken. Ihm ist selbstverständlich klar, daß man nach diesem auffälligen Wagen fahnden wird.«

»Da könnten Sie recht haben, Parker. Aber damit versperrt er sich auf der anderen Seite doch jeden Rückzug.«

»Sie vergessen möglicherweise den Rolls, Sir.«

»Sie glauben doch nicht, daß der Leithammel sich diesen Wagen unter den Nagel reißen wird?«

»Selbst mit dieser Möglichkeit sollte man rechnen, Sir. Um offen zu sein, ich traue Mister Johnny jede handelsübliche Gemeinheit zu.«

»Malen Sie nur nicht den Teufel an die Wand, Parker! Das würde ja bedeuten, daß Johnny die Rocker umbringen will.«

»In diese Richtung, Sir, bewegen sich durchaus meine Gedanken.«

»Die Rocker gegen die sanften ›Lämmer‹!? Der Ausgang dürfte klar auf der Hand liegen.«

»Falls es sich um rohe Kraft handelt, Sir. Ich traue Mister Johnny allerdings zu, daß er sich etwas einfallen läßt.«

»Schön, dann nichts wie zurück, Parker, und die Polizei informieren. Madford wird toben, weil wir uns schon seit Stunden nicht mehr bei ihm gemeldet haben.«

»Bis die Polizei eintrifft, Sir, könnte es unter Umständen schon zu spät sein. Wenn Sie erlauben, werde ich die Lage ein wenig erkunden.«

»Diesmal würden Sie sich mit Sicherheit übernehmen, Parker… Machen Sie keinen Unsinn! Ohne fremde Hilfe werden wir es nicht schaffen.«

»Was kann denn ich dafür?« Johnny Coolway hob abwehrend die Hände und lächelte unwillkürlich, da Bert sich schrecklich unter dem Vorhemd kratzte, »dieser Parker ist noch gerissener, als ich dachte.«

»Und dafür werden wir ihm eines Tages die Zähne ziehen.« Johnny war schrecklich gereizt, »wie sieht’s jetzt aus mit der Ware?«

»Viel habe ich nicht bei mir«, redete Bert sich heraus, »ich muß erst den Nachschub abwarten, Johnny …«

»Glaub’ bloß nicht, daß du mich aufs Kreuz legen kannst. Ohne den Koks hauen wir nicht ab!«

»Braucht ihr ja auch nicht! Wartet, bis Jill mit der Ware kommt. Ich hab’ sie in die Stadt geschickt. Sie muß in einer Stunde hier sein.«

»Was hast du mit eurem Schlitten gemacht?« Johnny beruhigte sich etwas. Er befand sich in einer total verrotteten Kabine unter Deck des Schwimmbaggers. Er war mit Bert allein. Die ›Lämmer‹ hielten sich in einer anderen Kabine auf, die Rocker standen im Kabinengang und kratzten sich gegenseitig nach allen Regeln der Kunst.

»Den hab ich absaufen lassen. Die Kiste ist mir zu heiß geworden.«

»Gute Idee! Und wie kommst du von hier weg?«

»Wir werden uns in der Nacht einen Schlitten besorgen. Drüben an der Hauptstraße, ist ’ne Kleinigkeit…«

»Also, alles in bester Ordnung … wenigstens soweit… Mir schmeckt nur der Butler nicht. Der wird wie ’ne Klette an uns kleben bleiben. Ihr habt ja nichts zu befürchten«, sagte Johnny lächelnd, »wer will euch was beweisen?«

»Du meinst, wegen Marty?«

»Genau … Den hab ich abserviert!«

»Gott sei Dank, daß ich damit nichts am Hut habe«, reagierte Bert.

»Eben … Marty geht auf meine Kappe … und Judy übernehm’ ich auch noch!«

»Wie denn? Ihr wollt doch abhauen. Irgendwo nach Süden?«

»Das erledige ich, bevor ich starte«, sagte Johnny, der Leithammel der sanften ›Lämmer‹, »die Kleine wird in den nächsten Stunden wieder zu Hause sein. Da pick’ ich sie auf und laß sie verschwinden!«

Es zeigte sich, daß der Rocker Bert Single im Gegensatz zu Johnny Coolway ein harmloser Bursche war. Leithammel Johnny war es, dem es auf einen Mord mehr oder weniger nicht ankam.

»Können wir’s uns nicht gemütlich machen?« Bert grinste, »meine Jungens brauchen mal wieder was für’s Herz.«

»Wogegen meine Lämmchen kaum was haben dürften.« Johnny lächelte dreckig, »laß sie sich amüsieren! Dauert ja noch was, bis der Stoff kommt.«

Während Johnny noch redete, öffnete er die Tür, die in die Nebenkabine führte.

Auf dem rostigen Boden saßen ungerührt die Lämmchen und stierten in Trance vor sich hin. Sie lächelten automatisch, als ihr Leithammel auf der Bildfläche erschien. Die Mädchen, einstmals gewiß nett und adrett aussehend, warteten auf irgendeinen Gunstbeweis.

»Schnappt euch die Jungens und geht ’runter in den Maschinenraum«, befahl Johnny, »zeigt, was ihr auf dem Kasten habt. Los, los, meine Schäfchen!«

Die sanften ›Lämmer‹, selbstverständlich verkokst, beeilten sich, Johnnys Wunsch nachzukommen. Sie gingen hinaus in den Kabinengang, kreischten fröhlich, als sie auserwählt wurden und marschierten mit ihren Freunden über eine Steigleiter hinunter in den Maschinenraum, der nicht freundlicher wirkte als die Kabine.

Die sanften ›Lämmer‹ männlichen Geschlechts warteten, bis auch Bert Single sich etwas Passendes ausgesucht hatte und nach unten verschwand. Dann scharten sie sich um ihren Leithammel.

»Wir machen reinen Tisch«, erklärte Johnny leise und eindringlich, »irgendwann lassen die Rocker uns mal hochgehen … Und was die Mädchen angeht, so finden wir jederzeit, was wir brauchen …«

»Und wie putzen wir den Tisch?« fragte ein stämmiges Lamm von ungefähr 22 Jahren.

»Wir schließen die Niedergänge zum Maschinenraum«, sagte Johnny lächelnd, »wir schließen sie so, daß sie nicht mehr hoch können. Und sie werden sich verdammt hüten, die Bullaugen zu öffnen. Die liegen unter der Wasserlinie. Wenn sie später einer noch rechtzeitig findet, haben sie Glück gehabt. Wenn nicht!?«

Er machte eine wegwerfende Handbewegung und griff nach dem großen Medaillon auf seiner nackten Brust. Johnny wollte wirklich Schluß machen und seine Zelte abbrechen. Irgendwo im Süden, vielleicht in Kalifornien, konnte man sich was Neues aufbauen. Es konnte ja nicht schwer sein, sich eine neue Lämmerherde zuzulegen, die für einen arbeitete und Kopf und Kragen riskierte …

Während seine Leute sich mit den schweren Eisentüren abmühten, um sie hermetisch zu schließen, sah Harry durch das Bullauge seiner Kabine hinüber zum Ufer des Baggersees. Er betrachtete den Rolls Roys und nahm sich vor, auch auf ihn zu verzichten. Dieser Wagen, durch Parker längst bei der Polizei bekannt, war zu heiß. Es war wohl richtiger, sich zu Fuß zu empfehlen. Und dabei brauchte er die Jungens nicht, die freundlicherweise dafür sorgten, daß man den Maschinenraum nicht verlassen konnte.

Drei ›Lämmer‹, die man noch unschädlich machen mußte! Johnny dachte darüber nach, wie sich das bewerkstelligen ließ. Und dann, stets im Koksrausch, handelte er aus der Situation heraus.

Einer der drei jungen Männer kam in die Kabine, um Vollzugsmeldung zu machen. Johnny schlug mit der Handkante zu, kurz und hart. Er sah kalt auf seinen ehemaligen Freund, der zu Boden sackte und regungslos liegenblieb.

Johnny stieg über das gefällte Lamm hinweg, öffnete die Kabinentür und hielt Ausschau nach den beiden anderen Freunden, die für ihn inzwischen längst schon zu Feinden geworden waren.

Im Kabinengang waren sie nicht. Vielleicht oben auf Deck? Johnny stieg über die Treppe hinauf, sah sich um und entdeckte einen der beiden jungen Männer an der Reling des Schwimmbaggers.

Der junge Mann, ahnungslos wie ein Lamm, sah hinunter ins Wasser des Baggersees und verfolgte seine Spucke, die er ins Wasser tropfen ließ.

Plötzlich spürte der junge Mann einen harten Schlag im Nacken. Irgend etwas schien in seinem Kopf zu explodieren. Er sprang seiner Spucke nach, glaubte sie zu überholen und landete klatschend im Wasser.

Johnny warf einen kurzen Blick auf das Wasser, das sich sehr schnell beruhigte. Er wartete, bis das sanfte, dumme Lamm wieder an die Oberfläche kam, um dann endgültig nach unten wegzusacken.

Er hörte Schritte hinter sich. Johnny fuhr überrascht herum. Das dritte Lamm grinste ahnungslos und freute sich noch seines Lebens. Johnny durchzuckte eine Idee.

Er deutete stumm hinunter auf das Wasser.

Das dumme Schaf wurde neugierig, baute sich sehr handlich an der Reling auf und sah tatsächlich hinunter auf das Wasser. Johnny grinste süffisant, als er mit der Handkante zuschlug.

Als er den jungen Mann anhob, um ihn über die Reling zu werfen, blickte Johnny absichtslos hinüber ans Ufer, und er sah seinen verhaßten Feind Parker, der gerade um den Rolls herumkam.

Johnny verschwand blitzschnell hinter einem Aufbau des Schwimmbaggers und machte sich unsichtbar.

Parker – und das wußte Johnny Coolway natürlich nicht – hatte absichtlich darauf verzichtet, in Deckung zu bleiben. Rander und Judy waren oben im Wagen. Parker hatte einen kleinen Spaziergang hinunter in die Kiesgrube unternommen und es sogar darauf angelegt, möglichst bald gesehen und erkannt zu werden.

Parker spielte wieder einmal den Speck in der Falle. Er bot sich interessierten Gegnern als Köder an und wollte sie so veranlassen, etwas von ihrer Vorsicht aufzugeben.

Parker hatte sich den Rolls angesehen und schritt jetzt würdevoll und gemessen zu dem Behelfssteg, der das Ufer mit dem Schwimmbagger verband. Er wirkte keineswegs wie ein Mann, der auf gefährlicher Pirsch ist. Parker glich einem seriösen Herrn, der über eine Promenade lustwandelte.

Selbstverständlich war ihm bewußt, wie scharf er beobachtet wurde. Er wußte allerdings nicht, mit welchen Gegnern – rein zahlenmäßig gesehen – er es zu tun hatte.

Parker betrat den Behelfssteg. Und er war froh, daß er vor Antritt seines Spaziergangs die schußsichere Weste aus dem Kofferraum seines Wagens geholt hatte. Gegen einen gezielten Schuß hätte er auch mit seiner Selbstverständlichkeit und Furchtlosigkeit nichts ausrichten können.

Der schmale Steg schwankte unter seinen Füßen. Parker näherte sich dem Schwimmkran und hörte plötzlich ein lautes Hämmern, wie wenn Metall geschlagen wird, intensiv, sehr laut, sehr wütend.

Hatte es an Bord irgendeine Veränderung gegeben?

Wollte man ihn erst auf den Schwimmkran lassen, um dann richtig los- und zuzuschlagen? Was plante man? Welchen mörderischen Trick hatte man sich einfallen lassen?

Parker blieb überrascht stehen, als dicht neben dem Behelfssteg eine Gestalt im Wasser schwamm, die sich offensichtlich nicht rührte. War das bereits ein Trick?

Parker fühlte sich veranlaßt, etwas für diese bewegungslose, treibende Gestalt zu tun. Er bemühte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms und zog die Gestalt ganz nahe an den Steg heran.

Anschließend beförderte er die Gestalt zurück ans Ufer und zog sie auf den grobkörnigen Sand. Eine schnelle, aber immerhin doch fachmännische Untersuchung zeigte, daß der junge Mann nicht mehr lebte.

Parkers Verdacht wurde zur Gewißheit. An Bord des Schwimmbaggers mußte sich eine Tragödie ereignet haben. Hinzu kam das laute Hämmern, das von innen gegen die Bordwand schlug. Was hatte dieses Hämmern zu bedeuten? Befanden sich Menschen in Lebensgefahr?

Parker hob seinen Universal-Regenschirm und stieß ihn hoch in die Luft, ein sicheres Zeichen für Mike Rander, mit dem Wagen schleunigst hinunter zum Baggersee zu kommen.

Mike Rander – Parker sah es genau – reagierte augenblicklich. Das hochbeinige Monstrum erschien auf der großen, schrägen Kiesrampe, die hinunter in die eigentliche Kiesgrube führte. Mike Rander hatte schnelle Fahrt aufgenommen, um seinem Butler möglichst bald zur Seite stehen zu können.

Parker befand sich inzwischen wieder an Deck des Schwimmbaggers und stolperte förmlich über das zweite Lamm, das regungslos war. Dieses Lamm lag hart neben der Reling.

Parker atmete auf.

Der junge Mann lebte noch, doch sein Atem ging schnell und flach. Der Verletzte brauchte wohl schnell ärztliche Hilfe.

Das laute Hämmern unter Deck wurde etwas schwächer, um dann aber sofort wieder anzuschwellen. Unter Deck mußte, sich etwas ereignen, was dringende Hilfe erforderte.

Parker hatte selbstverständlich keine Angst, unter Deck zu gehen. Doch ihm war bewußt, daß er sowohl mit ausgebufften Rockern als auch mit Hippies zu tun hatte, die man nur noch als jugendliche Gangster bezeichnen konnte. Die Übermacht war zu groß.

Parker wartete also, bis Mike Rander mit dem Wagen vor dem Behelfssteg erschien. Rander stieg aus, sagte etwas zu Judy, die auf dem Rücksitz saß und kam dann schnell an Bord. Er drückte dem Butler erst einmal eine zusätzliche Schußwaffe in die Hand.

»Was bedeutet das?« Rander zeigte auf Deck, das unter den Schlägen zu erbeben schien.

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich sofort nachsehen. Sie könnten mir möglicherweise den Rücken decken.«

Rander, der sich mit einer handlichen Maschinenpistole ausgerüstet hatte, war sofort einverstanden. Er folgte seinem Butler über die Treppe unter Deck.

Das Hämmern und Dröhnen wurde laut und fast unerträglich.

Sie gingen durch den Kabinengang und erreichten ein Schott, hinter dem sich ein Niedergang zum Maschinenraum befinden mußte. Gegen dieses Schott wurde mit wütender Vehemenz gehämmert.

Parker nutzte eine Geräuschpause aus, um zurückzuhämmern. Mike Rander sicherte inzwischen den Kabinengang und die Treppe hinauf zum Deck. Nach Parkers Antwort, die mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms erfolgte, wurde es auf der anderen Seite der Eisentür sofort ruhig.

»Darf ich Ihnen meine Hilfe anbieten?« fragte Parker mit lauter, höflicher Stimme.

Auf der Gegenseite wurde es noch stiller. Man schien die Stimme des Butlers erkannt zu haben. War man noch an Hilfe interessiert? Es hätte sich jetzt zeigen müssen. Bei wirklicher Lebensgefahr hätte man sich überschlagen, selbst von einem Josuah Parker Hilfe und Rettung anzunehmen.

Diese Bitte aber blieb aus. Hinter der Eisentür rührte sich überhaupt nichts mehr.

»Ich denke, das hinter der Tür klammern wir erst mal aus«, sagte Rander und lächelte, »unser Leithammel scheint schon dafür gesorgt zu haben, daß wir uns nicht unnötig herumschlagen müssen.«

»Wobei sich die dringende Frage erhebt, Sir, wo Mister Johnny sich befindet?«

Nun, sie fanden einen dritten ›Hammel‹ in der Kabine. Und leider war diesem jungen Mann nicht mehr zu helfen. Johnny Coolway hatte auch hier ganze Arbeit geleistet.

»Hier scheint einer seine Zelte abgebrochen zu haben«, sagte Rander, während er auf die Eisentür deutete, »da weit und breit keine Rocker zu sehen sind, müssen sie sich im Maschinenraum befinden …«

»In der Begleitung diverser Lämmer, Sir…«

»Genau, Parker … Kümmern wir uns um Johnny … Dieser Bursche ist so gefährlich wie eine gereizte Kobra!«

Rander und Parker gingen notgedrungen zurück an Deck, um zwischen den Aufbauten nach Johnny zu suchen. Sie hatten die Treppen noch nicht ganz hinter sich gebracht, als Mike Rander plötzlich zusätzlich die Beine in die Hand nahm und den Rest der Stufen im Eiltempo erklomm.

»Judy!« rief er erklärend dazu …

Judys Muskeln verkrampften sich, als Johnny plötzlich neben dem Wagen erschien und sie wölfisch anbleckte. Johnny war klatschnaß. Er hatte den Schwimmbagger auf dem Wasserweg verlassen, als Rander und Parker an Bord gekommen waren. Johnny interessierte sich für Parkers hochbeiniges Monstrum, aber er interessierte sich vielleicht noch mehr für Judy. Eine Geisel in dieser Situation, dazu noch ein Wagen… was konnte da überhaupt noch passieren?

Judy drückte sich ängstlich in die Wagenecke, als Johnny versuchte, die rechte hintere Tür zu öffnen.

Er hatte Pech, Judy hingegen Glück. Diese Tür ließ sich nicht aufziehen. Sie schien festgeschweißt zu sein.

Hechelnd vor Eifer rannte Johnny um den Wagen herum und versuchte die linke Tür zu öffnen. Aber auch hier erreichte er nichts. Auch diese Tür blieb verschlossen.

Judy schöpfte neue Hoffnung. Johnny konnte nicht so, wie er wollte. Und nachträglich war Judy froh darüber, daß die Trennscheibe zwischen Wagenfond und Fahrraum geschlossen war. Judy befand sich, wenn man so wollte, in einem uneinnehmbaren Tresor.

Johnny dachte nicht daran, etwa aufzustecken.

Da war ja noch der Wagen insgesamt, den er brauchte und den er sich unter den Nagel reißen wollte. Er grinste erleichtert, als die Fahrertür sich öffnen ließ. Er schlüpfte ans Steuer, entdeckte aber in diesem Moment Rander und Parker, die bereits auf dem Behelfssteg waren.

Johnny, eine Schußwaffe in der Hand, stieg fast gelangweilt aus. Jetzt hatte er alle Trümpfe in der Hand. Er verhielt neben dem Wagen, hob seine Waffe und brüllte: »Bleibt stehen, oder die Kleine macht ’ne Dauerluftreise!«

»Dieser junge Mann dürfte seine Lage verkennen«, meinte Parker gemessen zu seinem jungen Herrn, »er weiß sicher noch nicht, daß seine Chancen nicht besonders günstig liegen.«

Während Parker redete, war Rander stehen geblieben.

»Auf Judy kann er nicht schießen«, sagte er, »aber uns wird er aufs Korn nehmen, Parker!«

»Er wird sein Cannae erleben, Sir!« Parker ging würdevoll weiter und erreichte das Ufer. Er sah zu Harry hinüber, der wieder in den Wagen gestiegen war und hinter dem Steuer Platz genommen hatte.

Am Vorbeugen Johnnys war klar zu sehen, daß er den Zündschlüssel bewegte. Parker, sonst ein ungemein beherrschter Mann, konnte sich die Andeutung eines leichten Schmunzelns nicht verkneifen. Schließlich hatte er schon immer einen sehr ausgeprägten Sinn für Humor gehabt. Parker harrte also der Dinge, die da mit Sicherheit kommen mußten.

»Eigentlich tut er mir schon fast wieder leid«, sagte Rander, der neben seinem Butler auftauchte, »diesen Wagen, Parker, wird er nie wieder vergessen, zu welcher Strafe man ihn auch verurteilen wird.«

Johnny, dem Parkers Wagen verständlicherweise nicht vertraut war, bewegte den Zündschlüssel weiter im Schloß. Bisher hatte der Motor samt Anlasser sich noch nicht gemeldet.

Etwas nervös geworden, sah Johnny zum Ufer hinüber, auf dem Rander und dieser Butler bereits erschienen. Es wurde verdammt höchste Zeit, diese verwünschte Kiesgrube zu verlassen.

Eine weitere Drehung des Zündschlüssels …

Johnny, der sich etwas vorbeugte, um den Anlasser zu hören, zuckte plötzlich wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. Er fuhr vom Sitz hoch und rammte mit seinem Kopf gegen das Wagendach. Von dort plumpste er – reichlich benommen – zurück auf den Sitz, in dessen Mitte leider – was Johnny anbelangte – ein spitzer Dorn erschienen war. In diesen Dorn rutschte Johnny zurück, schrie entsetzt auf, fuhr erneut hoch und bearbeitete ein zweites Mal das Wagendach mit seinem Kopf.

Diesmal war Johnny vorsichtiger.

Er hielt sich am Steuerrad fest, vermied eine dritte Begegnung mit dem Dorn und stieg aus dem Wagen.

Ein seltsames, leichtes Gefühl erfaßte und durchflutete ihn. Johnny, eben noch gehetzt wie ein Tier in einer Falle, fühlte sich ausgezeichnet und! hätte am liebsten die ganze Welt umarmt. Er torkelte leicht, aber das registrierten seine Nerven nicht.

Johnny warf die Schußwaffe in hohem Bogen in den Sand und schwankte wie ein leicht Angetrunkener auf Rander und Parker zu.

Er wußte natürlich nicht, daß der Spitzdorn, der aus dem Sitz gekommen war, von Parker präpariert worden war. Beim Umdrehen des Zündschlüssels – auch das wußte Johnny nicht – hatte er vergessen, eine Sperre zu lösen, die vom Armaturenbrett aus gesteuert wurde. All das wußte Johnny nicht, dem die Beine schwach wurden und der sich wenige Sekunden später auf den Sand zur Ruhe legte.

»Ich würde sagen, Sir, daß der Fall der sanften ›Lämmer« damit sein Ende gefunden hat«, sagte Parker und lüftete in Richtung Mike Rander höflich seine schwarze Melone, »ich hoffe, Sir, Sie waren mit meiner bescheidenen Wenigkeit zufrieden!«

»Nichts gegen das Resultat«, sagte Lieutenant Madford ein paar Stunden später. Er befand sich mit Sergeant McLean im Studio des jungen Anwalts und wollte den Schlußbericht liefern, »nichts gegen das Resultat, Parker, aber es macht mich wahnsinnig, daß Sie nach wie vor Ihre Extratouren reiten müssen.«

»Diesmal ließ sich das nicht vermeiden«, gab Mike Rander zurück, bevor der Butler sich verteidigen konnte, »die ganzen Dinge spielten sich zu schnell ab. Wir konnten nicht warten, bis Ihr schwerfälliger Fahndungsapparat in Bewegung kam.«

»Darf man erfahren, Sir, ob diverse Rocker und ›Lämmer‹ bereits Geständnisse ablegten?« Parker wandte sich betont höflich an Lieutenant Madford, während McLean grinste und sich an sein gefülltes Glas hielt.

»Johnny Coolway hat ein Geständnis auf der ganzen Linie abgelegt«, erklärte Madford, »er hat Marty Galbert umgebracht, und er ist auch für die beiden jungen Männer aus seiner Lämmergruppe verantwortlich. Warten wir ab, was die Verhandlung gegen ihn bringen wird …«

»Und die Lämmer, Sir?«

»Die Mädchen und Jungen wird man unter dem Tatbestand der Beihilfe anklagen … Die Rocker hingegen kommen mit einem blauen Auge davon, soviel kann man schon jetzt sagen.«

»Und Miß Judy Galbert, Sir?«

»Sie hängt mit drin, aber wie gesagt, die Jugendlichen werden ihre Chance bekommen. Hauptsache, dieser Leithammel Johnny kann kein Unheil mehr anrichten.«

»Er versammelte die Lämmer eigentlich nur um sich, um ungestört koksen zu können«, sagte McLean. Sein Glas war bereits leer. »Wenn’s nach mir ginge, würde ich sie nicht die sanften ›Lämmer‹ sondern die blöden Schafe nennen!«

Rander, Parker, Madford und McLean unterhielten sich noch etwa eine halbe Stunde. Dann mußten die beiden Polizeibeamten zurück in ihre Dienststelle.

»Und wir, Parker«, sagte Rander, als sie allein waren, »sollten vielleicht ausgehen. Ich glaube, wir haben uns eine Abwechslung verdient.«

»Ich werde sofort den Wagen bereitstellen, Sir.«

»Ausgeschlossen«, wehrte Mike Rander sofort ab, »diesmal werde ich fahren, Parker. Und ich schwöre Ihnen, ich werde mich auf nichts einlassen, egal, was meinem Wagenkühler passiert…«

Er überlegte einen kurzen Moment und schloß dann lächelnd: »Wenn ich’s mir richtig überlege, Parker, bleiben wir am besten zu Hause. Ich hoffe, daß uns wenigstens hier in der Wohnung kein neuer Fall erreicht!«

- E N D E -

Butler Parker Box 12 – Kriminalroman

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