Читать книгу Butler Parker Staffel 9 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 7

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Der schmale, dürre Mann taumelte aus dem Dickicht rechts der Straße und schwankte auf unsicheren Beinen quer über die Fahrbahn. Er fiel auf die Knie, stemmte sich mühsam wieder hoch und torkelte auf das Gebüsch links der Straße zu.

Parker verlangsamte sicherheitshalber die Geschwindigkeit.

»Der scheint aber mächtig geladen zu haben«, sagte Rander kopfschüttelnd. »In der Tat, Sir«, gab Parker gemessen zurück, »vielleicht sollte man Hilfestellung anbieten.«

»Fahren Sie mal näher ran, Parker!«

Der Butler beschleunigte sein hochbeiniges Monstrum und fuhr auf die Gegenseite der Fahrbahn. Der schmale, dürre Mann stolperte und stürzte fast kopfüber in den sumpfigen Straßengraben.

Parker wollte gerade aussteigen, als er die ersten Bluthunde sah, die auf der Fährte des dürren Mannes zu sein schienen. Sie brachen hechelnd und bellend aus dem dichten Buschwerk rechts der Straße und jagten den Mann, der sich gerade wieder aus dem Straßengraben erhob.

»Ich bitte, Sir, mich für einen Augenblick entschuldigen zu wollen«, sagte Parker und stieg aus seinem Wagen. Er ging die wenigen Schritte zum Straßengraben und erreichte ihn zusammen mit den Bluthunden, die ihn überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen. Die Tiere waren ganz auf den dürren Mann fixiert, der inzwischen wohl eingesehen hatte, daß es für ihn kein Entkommen mehr gab.

Josuah Parker, ein Butler, trickst Ganoven aus.

Mit angezogenen Beinen vor einem kleinen Baumstamm sitzend, starrte er aus glasigen, blutunterlaufenen Augen auf die Hundemeute, die sich auf ihn stürzen wollte.

Wogegen Josuah Parker allerdings etwas hatte. Und zwar sofort. Der Butler hatte bereits einen seiner Spezial-Kugelschreiber in der Hand, dessen Spitze er auf die Hundemeute richtete. Parkers schwarz behandschuhter Finger drückte auf den Halteclip, worauf aus der Spitze des Kugelschreibers eine weißlich gefärbte Wolke zischte.

Was die Bluthunde gar nicht schätzten, wie sich prompt zeigte. Die Tiere begannen im Chor zu husten und Tränen zu produzieren. Sie setzten sich auf ihre Hinterläufe, vergaßen ihr Opfer und wischten sich mit ihren Vorderpfoten die Augen aus. Dabei stießen sie ein Geheul aus, als wollten sie den noch nicht erschienenen Mond anjaulen.

Parker, der die Wirkung seines Patent-Kugelschreibers kannte, kümmerte sich nicht weiter um die Hundemeute, die einen völlig irritierten Eindruck machte. Er stieg würdevoll über den sumpfigen Straßengraben und widmete sich dem dürren Mann, der ihn ungläubig anstarrte und dazu trocken aufschluchzte.

Bei dieser Gelegenheit bemerkte Parker auch die alkoholträchtige Fahne, die diesem Mann voranflatterte. Der dürre Mann schien weit über das normale Maß hinaus getrunken zu haben.

»Es empfiehlt sich, diese ungastliche Stätte zu verlassen«, sagte Parker zu dem dürren Mann, »darf ich Ihnen den Wagen anbieten?«

Der Mann nickte wie ein Automat.

Nur mit Parkers Hilfe vermochte er aufzustehen. Er rutschte auf dem Weg hinüber zum Wagen einige Male haltlos in die Knie, wurde aber von Parker gestützt und erreichte endlich die hintere Wagentür des hochbeinigen Monstrums. Als Parker diese Wagentür öffnen wollte, spürte er plötzlich einen ungemein harten Gegenstand, der gegen seine Wirbelsäule gepreßt wurde.

»Flossen hoch!« sagte eine rauhe Stimme.

»Aber gewiß doch«, erwiderte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art und wandte sich halb um. Er sah sich einem kompakten Burschen gegenüber, der eine Winchester schußbereit in der rechten Hand hielt.

»Was haben Sie mit meinen Hunden gemacht?« fauchte der Kompakte ihn wütend an.

»Mein Name ist Parker … Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. Dann schaute er betont und gespielt überrascht an dem Mann vorbei hinüber zu den Hunden und erreichte damit, was er bezweckt hatte. Der Kompakte ließ sich täuschen und verzichtete dummerweise für einen Moment auf die Blickkontrolle.

Diese Sekunde reichte Parker vollkommen aus.

Mit seinem Universal-Regenschirm, den er nach wie vor korrekt über dem linken Unterarm trug, drückte er den Lauf der Winchester derart nachhaltig nach oben, daß die Waffe anschließend aus der Hand des Kompakten glitt.

Der Besitzer der Büchse wurde daraufhin ausgesprochen ärgerlich und unmutig. Er ließ einen gereizten Schnaufer vernehmen und wollte seine Faust auf die Magenpartie des Butlers legen. Was ihm auch bis auf eine kleine Panne durchaus gelang. Die Panne allerdings bestand darin, daß seine vorschnellende Faust sich auf die Wölbung von Parkers Melone legte.

Der Faust bekam das überhaupt nicht.

Sie konnte ja nicht wissen, daß Parkers korrekte Kopfbedeckung mit Stahlblech gefüttert war. Die Faust knirschte also gegen diese Spezialfüllung und verformte sich leicht, worauf der Kompakte einen stechenden Schmerz in seinen Fingerknöcheln registrierte.

»Sicher nur eine kleine Verstauchung«, tröstete Parker sein Gegenüber, »in solchen Fällen empfehle ich stets kalte Kompressen.«

Der Bursche hörte nicht konzentriert zu, da er mit einigen Tanzschritten beschäftigt war, die man auf keinen Fall als elegant bezeichnen konnte. Er erinnerte an einen ungelenken Tanzbären, der von einem Bein auf das andere hüpfte und dabei Töne ausstieß, die einem Nebelhorn ähnlich waren.

»Wir sollten losfahren«, ließ Rander sich in dem Augenblick vernehmen. Er tauchte hinter dem Kompakten auf. Ohne Parkers Antwort abzuwarten, schob er den dürren Mann auf den Rücksitz des Wagens.

Der Dürre rülpste unfein und grinste Rander an.

»Mann«, sagte er dann fast stolz, »Mann, bin ich besoffen!«

*

»Wir sollten verschwinden, bevor wir uns noch unbeliebter machen«, sagte der Anwalt und nickte seinem Butler nervös zu.

Was seine Berechtigung hatte, wie sich bereits zeigte. Aus dem dichten Unterholz rechts der Straße erschien ein zweiter Mann, mittelgroß, schlank, der ebenfalls der stolze Besitzer einer Feuerwaffe war. Dieser Mann hatte den Kompakten, der vom Wagen verdeckt wurde, noch nicht gesehen, doch er wirkte irritiert, weil die Hundemeute sich so gar nicht seinen Vorstellungen gemäß verhielt. Die lieben Tierchen saßen nach wie vor auf ihren Hinterläufen und nahmen übel. Dazu weinten sie dicke Tränen und niesten.

Josuah Parker, der um den Lack seines hochbeinigen Wagens fürchtete, gab zugleich Gas und schickte aus der Düse neben dem Auspuff eine schwarze, ölige Rauchwolke in die Luft. Gewiß, er trug damit zwar zu einer kleinen Umweltverschmutzung bei, aber er hinderte den Gewehrschützen daran, gezielt zu schießen. Was dieser Mann nämlich automatisch tat. Er fragte nicht lange, sondern schoß erst mal auf den Wagen, der in der Rußwolke verschwand. Die Schrotkugeln pfiffen durch diese dunkle Wolke, richteten aber kein Unheil an.

»Ungewöhnlich reizbare Menschen«, stellte Mike Rander kopfschüttelnd fest, nachdem sie aus der Gefahrenzone waren.

»Ein tadelnswertes Benehmen«, gab Parker zustimmend zurück, »aber vielleicht hängt dies mit unserem Gast zusammen, Sir.«

»Möglich, aber im Augenblick werden wir von ihm nichts erfahren. Er schläft wie ein Murmeltier.«

Rander hatte richtig beobachtet. Der dürre Mann hatte es sich ungemein bequem gemacht und gab Schnarchtöne von sich. Der Alkohol schien ihn restlos übermannt zu haben.

»Darf ich vorschlagen, Sir, Lemmon Bay erst mal zu meiden?« erkundigte sich Parker bei seinem jungen Herrn.

»Einverstanden«, sagte Rander sofort, »erst müssen wir wissen, was mit dem Mann hier los ist. Suchen Sie irgendein nettes Plätzchen!«

Parker entdeckte nach etwa einer Meile einen Feldweg, in den er hineinfuhr. Sicherheitshalber ließ er sein hochbeiniges Monstrum seitlich im Buschwerk verschwinden und stellte dann den Motor ab.

Rander, der ausgestiegen war, betrachtete die Autokarte.

»Bis Lemmon Bay sind es höchstens noch drei Meilen«, stellte er fest.

»Demnach dürfte man unterstellen, daß die beiden Gewehrschützen aus Lemmon Bay stammen?«

»Denke ich auch, Parker. Den richtigen Vorgeschmack auf dieses Städtchen haben wir ja jetzt bekommen. Ich bin gespannt, wie es weitergehen wird.«

»Ein Auto, Sir!« Parker hatte sich nicht verhört. Über den Feldweg, den sie eben noch benutzt hatten, kam ein Wagen auf sie zu, den sie aber noch nicht sehen konnten, da der Weg eine Biegung machte.

Rander und Parker verschwanden schnell im Buschwerk und beobachteten dann einen Jeep, an dessen Steuer eine junge Frau saß, die knapp über zwanzig Jahre war. Sie trug Stiefel, Reithose und eine einfache Polobluse. Sie sah nicht links noch rechts, sondern preschte in Richtung Hauptstraße und war bald hinter einem Knick verschwunden.

»Judy Malone«, sagte eine Stimme hinter Rander und Parker. Sie gehörte dem Dürren, der gerade schwerfällig und unsicher aus dem Wagen stieg.

»Judy Malone?« wiederholte Rander.

»Nettes Mädchen«, redete der Dürre weiter und rülpste, »die hat wenigstens noch Herz …«

»Im Gegensatz zu wem?« wollte Rander wissen.

»Zu ihrem Alten … John Malone«, sagte der Dürre und verzog angewidert sein Gesicht.

»Sie geben zu erkennen, daß Sie besagten Mister John Malone nicht mögen?« fragte Parker höflich.

»John Malone ist ein Schwein«, stellte der Dürre schlicht und nachdrücklich fest, »John Malone ist ein – ein … mir fällt nichts Passendes ein. Schwein ist noch zu wenig!«

»Spielt er eine gewisse Rolle in Lemmon Bay?« erkundigte sich Rander.

»Er ist der ungekrönte König von Lemmon Bay und Umgebung«, lautete die Antwort des Dürren, »sein Wort ist hier bei uns Gesetz.«

»Womit Sie sich möglicherweise nicht abfinden wollen?« Parker fragte höflich-reserviert.

»Genau«, stellte der Dürre fest, »darum sind sie ja auch alle hinter mir her.«

»Zum Beispiel die Hundemeute und die beiden Gewehrträger?«

»Mike Crampel und Jess Linton«, antwortete der Dürre und nickte nachdrücklich, »alles Kreaturen von Malone. Wenn Malone erkältet ist, husten sie für ihn.«

»Sie mögen Malone nicht?« Rander lächelte.

»Er ist mir gleichgültig, solange er mich in Ruhe läßt.«

»Und warum läßt er Sie nicht in Ruhe, Mister …?«

»Rudy Shrimp«, stellte der Dürre sich vor und lehnte sich erschöpft gegen den hochbeinigen Wagen, »Berufstrinker … asoziales Element … Beachcomber … Narr und Blitzableiter!«

»Sie scheinen sehr vielseitig zu sein«, gab Rander zurück.

»Ich hau jetzt ab durch die Mitte«, sagte Rudy Shrimp, »ich verdrück’ mich, bevor Sie wegen mir Ärger bekommen. Ich gebe Ihnen ’nen Rat. Fahren Sie so schnell wie möglich durch Lemmon Bay! Gehen Sie bloß kein Risiko ein! Vergessen Sie, daß es ein Kaff wie Lemmon Bay gibt.«

»Und was werden Sie jetzt tun?«

»Ich gehe erst mal auf Sehrohrtiefe«, sagte Rudy Shrimp, »irgendwann wird Malone sich wieder beruhigen. Bis dahin suche ich mir eine Gegend aus, die gesünder für mich ist.«

»Darf man sich vorher noch erkundigen, aus welchen Gründen man Bluthunde auf Sie gehetzt hat?« warf der Butler gemessen ein.

»Weil ich mal wieder geklaut haben soll«, gab Shrimp ungerührt zurück, »aber ausgerechnet diesmal habe ich die Finger wirklich nicht lang gemacht!«

*

Lemmon Bay, südlich von Tarpon Springs an der Westküste von Florida gelegen, sah reizvoll aus. Es gab durchweg nur ein- und zweistöckige Holzhäuser, die sehr gut in Farbe standen. Daneben gepflegte Vorgärtchen, bunt bemalte Zäune und sattgrüne Rasenflächen. Es gab eine Art Marktplatz, der zum Golf hin geöffnet war und den Blick auf den weiten Strand gewährte. Umsäumt wurde dieser Marktplatz mit der Holzkirche von einem Drugstore, einer Bank, einigen kleinen Bars und Hotels und von zwei mittelgroßen Supermärkten.

»Wirkt ziemlich verträumt«, sagte Rander, »hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein.«

»Falls man gewisse Bluthunde vergißt«, bemerkte der Butler, »ein recht ungewöhnliches Verfahren, einen kleinen Dieb mit einer Hundemeute von dieser Gefährlichkeit zu jagen.«

»Vielleicht hat dieser Shrimp mehr Dreck am Stecken, als wir ahnen.«

»Diesen Eindruck, Sir, machte er allerdings nicht«, widersprach der Butler, »ich möchte unterstellen, daß er ein Trinker ist, aber ein Verbrecher dürfte er auf keinen Fall sein.«

Während Parker noch sprach, ließ er seinen hochbeinigen Wagen vor dem Lemmon Bay Hotel ausrollen, das einen gepflegten Eindruck machte.

Dabei erregten Parker und sein hochbeiniges Monstrum wieder mal Aufsehen.

Hinter der breiten Scheibe rechts vom Hoteleingang tauchten einige irritiert und amüsiert aussehende. Gesichter auf. Was Parker zwar zur Kenntnis nahm, sich aber nicht anmerken ließ. Er drückte die Tür zur Hotelhalle auf und schritt gemessen zur Rezeption, die aus einem Tresen rechts neben einem Treppenaufgang bestand.

»Mister Rander hat zwei Zimmer telefonisch reservieren lassen«, sagte der Butler und lüftete höflich seine schwarze Melone.

Der etwas schüchtern wirkende Mann hinter dem Tresen war etwa 50 Jahre alt, hüstelte nervös und blätterte in einem dicken Kontobuch.

»Hier haben wir s«, sagte er dann. »Zwei Einzelzimmer für zwei Tage, nicht wahr?«

»Dies entspricht genau der Vorbestellung«, antwortete Parker, »darf ich bei der Gelegenheit gleich nach einem gewissen Mister Tony Ritchel fragen, der hier in Lemmon Bay wohnen soll?«

»Tony Ritchel?« Der Angestellte hinter dem Tresen hüstelte erneut.

»Mister Tony Ritchel«, wiederholte Parker würdevoll, »falls ich recht informiert worden bin, muß er hier in Lemmon Bay wohnen.«

»Was … was wollen Sie von ihm?« rutschte es dem Angestellten ungewollt heraus.

»Ihn sprechen«, sagte Rander, der jetzt hinter seinem, Butler erschien. »Als Wohnort hat er nur Lemmon Bay angegeben.«

»Mister Ritchel wohnt draußen am Stadtrand, gleich vor dem Sumpf.«

»Ich denke, ich fahre mal zu ihm«, sagte Rander zu Parker, »Sie können ja inzwischen auspacken, Parker.«

»Sehr wohl, Sir. Ich fürchte allerdings, daß es hier kaum ein Taxi geben wird.«

»Ist es weit?« fragte Rander den Angestellten.

»Zu Fuß etwa 15 Minuten«, sagte der Mann mit dem schüchternen Aussehen. »Sie brauchen nur die Hauptstraße entlang zu gehen.«

»Dann werde ich mir jetzt mal die Füße vertreten«, erklärte Rander seinem Butler, »bis gleich!«

»Ich könnte Sie selbstverständlich in einem Minimum der eben geschätzten Zeit zu Mister Ritchel bringen«, schlug der Butler schnell vor.

»Nee, danke, Parker! Ich will mal wieder spüren, daß ich Beine habe.« Rander nickte seinem Butler zu und verließ die kleine Hotelhalle. Parker, der mit dieser Lösung überhaupt nicht einverstanden war, ließ sich natürlich nichts anmerken, sondern kümmerte sich um das wenige Reisegepäck und trug es hinauf in die beiden Zimmer, die durch eine Tür miteinander verbunden waren. Er trat hinaus auf einen der kleinen Balkone und genoß den Blick hinunter auf den nahen Strand und auf den Golf. Es war früher Nachmittag und der Abend schien traumhaft schön zu werden.

Parker wollte gerade wieder zurück in sein Zimmer gehen, als er von einem kurzen Lichtblitz aufmerksam gemacht wurde. Die Sonne schien sich entweder in einem Spiegel oder in einer Optik gespiegelt zu haben.

Parker ließ sich nichts anmerken, obwohl er sofort wußte, daß dieser Lichtblitz nur mit einer Person im Zusammenhang stand. Gemessen schritt er zurück ins Zimmer, um dann hinter der Gardine stehen zu bleiben.

Da war wieder dieser Lichtblitz.

Er kam vom Flachdach eines zweistöckigen Hauses.

Parker öffnete seine private Reisetasche und holte ein leistungsstarkes Fernglas hervor. Damit suchte er das Flachdach ausgiebig ab. Doch zu seiner Enttäuschung konnte er nichts ausmachen. Das Dach war leer.

Parker wollte sich gerade seinen schwarzen Zweireiher aufknöpfen, als plötzlich die Tür zu seinem Zimmer jäh aufgedrückt wurde. Ein breitschultriger Mann von vielleicht 30 Jahren schob sich herein und baute sich vor dem Butler auf.

*

Mike Rander hatte den Kern des kleinen Städtchens bereits hinter sich gelassen.

Die Häuser standen weniger dicht beieinander und sahen auch etwas schäbiger aus. Hier zeigte sich die Kehrseite von Lemmon Bay. Von Gepflegtheit und Farbe war hier kaum noch etwas zu sehen: In diesen Häusern, die sich bis zum Sumpfgürtel hinzogen, nistete die Armut. Es gab viele Autowracks und Unrat. Diese Gegend schien so etwas wie der Müllplatz von Lemmon Bay zu sein.

Hier wohnten Mexikaner, Schwarze und Weiße, die den Anschluß an die Norm wohl nicht geschafft hatten, die es vielleicht nicht gewollt hatten oder denen man nie eine echte Chance gegeben hatte.

Rander dachte an Tony Ritchel, an den Mann, wegen dem Parker und er hierher nach Lemmon Bay gekommen waren. Rander hatten diesen Tony Ritchel schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, sich aber sofort an ihn erinnert, als ein Hilferuf gekommen war. Rander war neugierig auf diesen Mann, der seinerzeit mal in Chikago eine Sportschule geleitet und bei dem er die Grundlagen des Boxens erlernt hatte. Nun, das war lange her, aber wie gesagt, als Ritchel sich gemeldet hatte, war es für Rander selbstverständlich gewesen, dem Mann einen Besuch abzustatten.

Dieser Besuch hatte sich fast zwangsläufig ergeben, da Rander an der Ostküste zu tun hatte. Die Arbeit in Daytona Beach war beendet, und die Fahrt herüber an die Ostküste war dank Parkers Fahrkünsten fast ein Katzensprung gewesen..

Rander schreckte hoch, als er dicht hinter sich das leise Schnurren eines Automotors hörte. Instinktiv sprang er nach rechts und sah erst dann den Wagen, der dicht an ihm vorbeifuhr, um dann aber scharf anzuhalten.

»Soll ich Sie ’n Stück mitnehmen?« fragte der Fahrer durch das geöffnete rechte Wagenfenster. Der Mann war etwa 25 Jahre alt und besaß einen unangenehm aussehenden Stiernacken. Er hatte ein grob geschnittenes Gesicht und kalte, graue Augen.

»Lohnt sich nicht«, sagte der Anwalt, »ich bin gleich da.«

»Steigen Sie ein!« forderte der Mann mit dem Stiernacken und zeigte Rander plötzlich den Lauf eines 38ers.

Rander überlegte blitzschnell und taxierte seine Möglichkeiten. Weglaufen wäre hier sinnlos gewesen. Er befand sich gerade zwischen zwei Häusergruppen, die für eine Flucht viel zu weit weg waren.

»Was hegt eigentlich an?« fragte Rander und trat an den Wagen heran, wobei der Revolverlauf ihm folgte.

»Schnauze! Steigen Sie schon endlich ein!« Der Stiernacken sah so aus, als würde er nicht bluffen. Ein gängiger Trick wäre Selbstmord gewesen. Rander klinkte also die Wagentür auf und setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Fragen Sie später«, sagte der Mann, der ihm jetzt den Lauf gegen die Hüfte preßte. Mit der linken Hand steuerte er, alles weitere erledigt die Automatik des Wagens.

Mike Rander verzichtete auf jede Frage, aber er dachte schnell und intensiv nach. Diese Einladung zur Mitfahrt mußte mit der Szene auf der Landstraße Zusammenhängen, mit diesem Shrimp und der Hundemeute. Eine andere Erklärung gab es nicht.

Rander sah zum Wagenfenster hinaus.

Die letzten Häuser dieses Slums waren bereits passiert. Der Mann mit dem Stiernacken wurde jetzt schneller und hielt auf einen Wald zu, der wie ein Dschungel aussah. Während er den Wagen sehr lässig und gekonnt mit der linken Hand dirigierte, kaute er intensiv auf einem Streichholz. Dabei umspielte ein zynisches Lächeln seine Lippen.

*

»Dein Chef will dich sehen«, sagte der breitschultrige Mann in Parkers Hotelzimmer, »komm schon! Wir wollen ihn doch nicht warten lassen.«

»Mit wem habe ich das zweifelhafte Vergnügen?« erkundigte sich Parker sehr distanziert.

»Kleiner Witzbold«, sagte der Mann, der ein wohlgenährtes Gesicht besaß. »Trab schon an, sonst mache ich dir Beine!«

»Ihr Ton läßt alle Grundregeln der Höflichkeit vermissen«, tadelte Josuah Parker. »Ich sehe mich gezwungen, Ihnen meine Mißbilligung auszusprechen.«

»Und ich sehe mich gleich gezwungen, dir alle Knochen zu brechen«, gab der Mann mit den Pausbacken gereizt zurück. »Heb’ endlich ab, Alterchen!«

»Nun gut«, meinte Parker, um gleichzeitig auf die Blumenvase zu deuten, die auf dem kleinen Tischchen neben dem Balkonfenster stand, »wie würden Sie diesen alltäglichen Gegenstand aus Ihrer Sicht bezeichnen?«

»Das … Das ist natürlich eine Blumenvase.« Der Mann grinste ein wenig abfällig.

»In der Tat«, sagte Parker und nahm die Vase hoch, »sie erfüllt aber auch andere Zwecke.«

Der Mann mit den Pausbacken röchelte wenig fein, als die Vase plötzlich seine Nase deformierte. Er gurgelte, als das Blumenwasser in seinem erstaunt geöffneten Mund landete, und er erlitt einen fast mittelschweren Hustenanfall, als einige Wassertropfen seine Luftröhre belästigten. Dazu fuchtelte der Mann mit seinen Händen erfolglos in der Luft und wischte sich anschließend den Wasserguß aus den Augen.

Parker sah nicht untätig zu. Er hatte bereits seinen Universal-Regenschirm in der rechten Hand und ließ die spitze Zwinge auf den leichten rechten Schuh des Mannes niedergleiten.

Was den diversen Zehen überhaupt nicht bekam. Dem Mann entfuhr ein Glucksen, und er tanzte auf dem noch heilen Fuß herum. Doch nur solange, bis der Butler den bleigefütterten Bambusgriff seines Schirms auf den Hinterkopf des Mannes legte.

Bruchteile von Sekunden später legte der ungebetene Besucher sich zu einer kurzen Ruhepause auf dem Teppich nieder. Parker nutzte die günstige Gelegenheit, die Taschen des Mannes zu durchsuchen. Er fand außer der Brieftasche noch ein Springmesser und einen kurzläufigen Revolver, Kaliber 38. Was ihn aber besonders beeindruckte, war die fast unerfreuliche Tatsache, daß er einen Dienstausweis fand, aus dem hervorging, daß dieser Mann ein Hilfssheriff war und Mel Folders hieß.

Parker handelte schnell und überlegt.

Er zerriß den Ausweis, ging ins angrenzende Badezimmer und benutzte die Segnungen einer modernen Zivilisation, diese Schnipsel der Kanalisation anzuvertrauen. Als er ins Zimmer zurückkam, schüttelte Mel Folders gerade benommen den Kopf.

»Sie haben hoffentlich keinen Schaden genommen«, sagte Parker und bemühte sich um den Hilfssheriff, der jetzt die Augen öffnete, »ich fürchte, Sie und meine bescheidene Wenigkeit haben sich zu ungeschickt benommen.«

Mel Folders kam nur mühsam hoch, ließ sich in einen Sessel fallen und rieb sich hingebungsvoll den Hinterkopf. Dann sah er auf, erinnerte sich und sprang in die Höhe.

»Dafür mache ich Sie fertig«, sagte er stöhnend, »dafür sperre ich Sie ein!«

»Darf ein harmloser Tourist erfahren, wovon Sie im Augenblick sprechen?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Widerstand gegen die Staatsgewalt«, schnaufte Mel Folders, der sich schnell erholte.

»Sie werden gewiß begreifen, daß ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann ein wenig irritiert ist«, entschuldigte sich Parker. »Sprachen Sie gerade von Widerstand gegen die Staatsgewalt?«

»Hier! Mein Ausweis!« Mel Folders griff automatisch in die Innentasche seines Sakkos und … war nun seinerseits leicht irritiert, was durchaus verständlich war. Er konnte ja nicht wissen, daß sein Ausweis bereits in den Abwässern trieb.

»Sie wollten mir einen Ausweis zeigen«, erinnerte Parker höflich.

»Verdammt!« Mel Folders gab die Suche nach diesem wichtigen Papier auf. »Los, Sie kommen auf jeden Fall mit!«

»Mit welcher Begründung wollen Sie das rechtfertigen und durchsetzen?« fragte Parker.

»Hiermit!« Er griff nach seinem 38er, der allerdings auch nicht vorhanden war.

»Meinen Sie möglicherweise diese Handfeuerwaffe?« fragte der Butler, »sie muß aus Ihrer Tasche gerutscht sein.«

»Drehen Sie das Ding weg!« jaulte Mel Folders auf, als Parker ihm die Waffe freundlich reichte, und zwar mit dem Lauf voran.

»Wie meinen?«

»Weg mit dem Ding!« schnauzte Folders und wich zur Seite.

»Ihr Wunsch ist mir Befehl«, sagte Parker, nachdem er die Waffe durch die geöffnete Balkontür hinunter in den Hof geworfen hatte, »hoffentlich haben Sie nicht schon wieder etwas an meiner bescheidenen Person auszusetzen. Ich finde, daß Sie sehr anspruchsvoll sind!«

Mel Folders starrte den Butler wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an. Dann kam er auf Parker zu, sah aber den Regenschirm in dessen Hand, drehte sich um und rannte aus dem Hotelzimmer. Er leitete damit sicher die Bergung seiner Schußwaffe ein.

Parker folgte Mel Folders mit einigem Abstand, verließ ebenfalls das Zimmer, ging aber nicht hinüber zum Treppenhaus, sondern irrte sich in der Tür. Er landete in einer Art Besenkammer, wie sich herausstellte. Sie lag seinem Zimmer schräg gegenüber, wogegen der Butler überhaupt nichts einzuwenden hatte, zumal der Zimmerschlüssel zu seinem Raum außen im Schloß steckte.

*

»Darf ich jetzt wenigstens fragen?« erkundigte sich Mike Rander, als sie den Waldrand erreicht hatten. Eine schmale, aber lange Holzbrücke lag hinter ihnen, die über eine Art Kanal führte. Die Straße war in einen Weg übergegangen, der sich in der Tiefe des dschungelartigen Waldes verlief.

»Aussteigen!« kommandierte der Stiernacken und hielt an.

»Und dann?« wollte der Anwalt wissen.

»Gibt’s ’ne kleine Lektion.« Der Mann wartete, bis Rander den Wagen verlassen hatte. Dann schob er sich über den Beifahrersitz nach draußen, was wohl doch sein Fehler war. Er hatte sicher nicht damit gerechnet, daß Rander keineswegs so sanft war, wie er oft nach außen hin wirkte.

Mike Rander – innerlich geladen – nutzte kühl seine Chance.

Er wartete, bis der Mann sich nach draußen schieben wollte. Als er das halb geschafft hatte, schmetterte Rander die Wagentür zu. Sie knallte mit Vehemenz gegen die Stirn des Mannes, der zurück in den Wagen geschleudert wurde. Dann setzte Mike Rander sich schleunigst ab. Gelegenheit dazu gab es mehr als reichlich. Der Waldweg war schmal, das Unterholz nahe und dicht.

Der Stiernacken erholte sich schnell von seinem Zusammenstoß, stieg aus dem Wagen, wirkte zwar noch etwas unsicher auf den Beinen, brüllte dafür aber um so lauter.

»Kommen Sie zurück!« donnerte er im Kommandoton, »ich weiß, wo Sie stehen, Mann. Wenn Sie nicht sofort anrauschen, knall’ ich Sie ab!«

Rander stand hinter einem dicken Baum und sah sich außerstande, diesem Wunsch nachzukommen. Eben, weil er nicht niedergeschossen werden wollte. Und damit war fast zu rechnen.

Der Bursche regte sich noch einige Zeit auf, doch er getraute sich nicht ins dichte Buschwerk. Er setzte sich schließlich zurück ans Steuer und preschte dann so schnell los, daß die Hinterräder durchdrehten.

Der Anwalt wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt merkte er eigentlich, wie schwül und heiß es war. Die Luftfeuchtigkeit hatte das normale Maß weit überschritten. Hinzu kam so etwas wie eine Reaktion auf dieses Erlebnis.

Bei dieser Gelegenheit merkte Rander, daß er bis zu den Knöcheln im weichen Morast stand. Er wollte den schützenden Baumstamm gerade verlassen, als er den Wagen hörte. Der Stiernacken schien irgendwo gewendet zu haben, er war auf der Rückfahrt.

Rander bückte sich und schöpfte eine Handvoll Schlamm. Dann wartete er, bis der Wagen erschien. Als er fast seine Höhe erreicht hatte, warf Rander den Schlammklumpen direkt auf die Windschutzscheibe, wo er zerplatzte.

Der Stiernacken wurde derart überrascht, daß er die Kontrolle über das Steuer verlor. Er verriß es, zwang dem Wagen eine Schlangenlinie auf und landete anschließend im Straßengraben.

Rander nickte nachdrücklich. Genau so etwas hatte er beabsichtigt. Er kochte jetzt vor Zorn. Er ließ sich nicht ungestraft herumschubsen. Von keinem Menschen.

Er beobachtete den Wagen.

Wo blieb der Mann? Ihm war doch hoffentlich nichts passiert? Das hatte Rander schließlich nicht gewollt. Dann sah er seinen Gegner.

Schlammverkrustet erschien der Stiernacken auf dem Rand der Böschung und wischte sich den Dreck aus dem Gesicht. Er sah jetzt klein und wenig machtvoll aus.

Rander bemühte sich um einen zweiten Schlammklumpen und schleuderte ihn in Richtung Stiernacken.

Der Mann wurde voll auf der Brust getroffen. Er zuckte wie unter einem Hieb zusammen, nahm dann die Beine in die Hand und trabte im Schweinsgalopp zurück in Richtung Lemmon Bay.

*

Mel Folders erschien auf der Treppe und glich einem gereizten Kampfstier.

Er hatte sich seine Handfeuerwaffe zurückgeholt und näherte sich der Zimmertür. Er drückte sie jäh auf und stürmte in den Raum. Er wollte die Quittung für die erlittene Schmach ausstellen.

Parker wollte wesentlich weniger …

Als bescheidener Mensch begnügte er sich damit, die Tür vorsichtig hinter dem Stiernacken zu schließen und den Schlüssel gemessen umzudrehen. Dann schritt er gemessen hinunter in die Hotelhalle. Er hatte seinen Spezialkoffer in der rechten, schwarz behandschuhten Hand und fühlte sich sehr wohl in seiner Haut. Lemmon Bay – das wußte er bereits jetzt – entsprach völlig seinen Erwartungen. Mehr konnte er sich im Moment gar nicht wünschen.

Der Mann hinter der Anmeldung musterte den Butler erstaunt, sagte aber kein Wort.

Einige Männer in der angrenzenden Bar, die an dem Tresen lehnten, schauten überrascht zu ihm herüber, sagten aber ebenfalls nichts. Sie drängelten sich am Fenster, als Parker sein hochbeiniges Monstrum bestieg und langsam davonfuhr.

Josuah Parker ergriff damit keineswegs die Flucht. Es ging ihm einzig und allein um seinen jungen Herrn, den er in Gefahr glaubte. Der Besuch des ruppigen Hilfssheriffs hatte ihn stutzig werden lassen. Hier schien so etwas wie eine konzertierte Aktion gegen Rander und ihn abzulaufen.

Parker kannte die ungefähre Richtung, in die sein junger Herr gegangen war. Er hoffte, ihn unterwegs noch erreichen zu können. Als er in den Rückspiegel seines Wagens schaute, entdeckte er hinter sich einen Chrysler, der ihm bereits hartnäckig folgte. Dieser zivile Wagen wirkte auf den ersten Blick unverdächtig, aber auf den zweiten kam Parker nicht umhin, anzunehmen, daß er nicht zufällig folgte.

Parker passierte die Slums von Lemmon City und hielt Ausschau nach Mike Rander. Er näherte sich dem dschungelartigen Waldgürtel und fand es ausgesprochen lästig, derart hartnäckig verfolgt zu werden.

Beim Durchfahren einiger Pfützen nutzte er die Gelegenheit. Nach dem Umlegen eines Kipphebels auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett fielen unten aus dem Wagen einige ansehnliche Pappnägel zu Boden und verschwanden im Wasser dieser Pfützen. Sie warteten nur darauf, sich umgehend in die Reifen des nachfolgenden Wagens zu bohren.

Was prompt geschah.

Der Chrysler war Sekunden später luftlos.

Er schlingerte durch eine große Wasserlache und wurde angehalten. Der Fahrer stieg aus und trat in seiner Hast und Wut in die schlammige Pfütze, die seine Waden umspülte.

Parker, ansonsten stets beherrscht und würdevoll, gestattete sich den Luxus eines feinen Lächelns. Es war keine reine Schadenfreude, wie er sich sofort einredete, sondern auch zusätzlich eine Notwendigkeit gewesen. Er hatte schließlich einen unter Umständen gefährlichen Verfolger abgeschüttelt.

Parker erreichte jetzt allein den Waldgürtel und stieß bald auf einen Wagen, der tief im schlammigen Straßengraben lag. Er dachte sofort an seinen jungen Herrn und verlangsamte das Tempo. Wenig später erschien vor ihm auf dem Waldweg Mike Rander, der das typische Zeichen eines Anhalters machte.

»Können Sie mich ein Stück mitnehmen?« fragte Rander lächelnd, als Parker angehalten hatte.

»Es wird mir eine Ehre sein, Sir«, erwiderte Parker, »darf ich unterstellen, daß Sie das hatten, was man gemeinhin Ärger nennt?«

Rander stieg in den Wagen und schilderte knapp, was ihm passiert war. Parker revanchierte sich mit seiner eigenen Geschichte.

»Wir scheinen ins Fettnäpfchen getreten zu haben«, sagte Rander anschließend, »Tony Ritchel dürfte hier nicht besonders beliebt sein.«

»Man sollte besagten Herrn danach fragen«, schlug Parker vor, »vielleicht kann Mister Ritchel mit Details aufwarten, Sir, die die Dinge erhellen.«

*

»Was Malone hier veranstaltet, ist ein einziges Kesseltreiben gegen mich«, sagte Tony Ritchel eine halbe Stunde später. Der ehemals stämmige, durchtrainierte Mann, den Rander in Erinnerung hatte, war nicht mehr wiederzuerkennen.

Tony Ritchel, ein mittelgroßer Mann von 50 Jahren, wirkte nervös, abgespannt und gehetzt. Er saß mit seinen beiden Gästen Rander und Parker auf der Porch seines Hauses.

»Wer ist Malone?« fragte Rander. Sie hatten die Begrüßung hinter sich und waren zur Sache gekommen.

»Malone ist hier der große Boß«, antwortete Ritchel bitter, »alles tanzt nach seiner Pfeife. Sein Wort ist Gesetz, bildet er sich wenigstens ein und verfährt dementsprechend.«

»Warum dieses Kesseltreiben gegen Sie, Ritchel?«

»Sehen Sie sich mal diesen Küstenstreifen genauer an«, erwiderte Ritchel, unter dessen Augen dicke Tränensäcke hingen, »erstklassiger Sandstrand …. Das alles habe ich vor Jahren sehr billig bekommen. Kein Mensch interessierte sich dafür. Mir gefiel es, und ich investierte mein erspartes Geld darin.«

»Darf man dem entnehmen, daß nun dieser Mister Malone diesen Küstenstreifen an sich bringen will?« Rander sah Ritchel aufmerksam an.

»Genau das ist es«, gab Ritchel zurück. »Malone ist Spekulant. Er nennt sich zwar Bauunternehmer, aber er ist ein Spekulant. Er will Lemmon Bay zu einem Ferienzentrum ausbauen. Auf eigene Rechnung, versteht sich. Er will hier Parzellen anlegen und sie an Feriengäste und Pensionäre verkaufen. Und dieser Strand ist hier das, was er dazu braucht.«

»Hat er Ihnen jemals ein reguläres Angebot gemacht?« wollte Mike Rander wissen.

»Angebot schon, aber regulär? Er hat mir noch nicht mal das geboten, was ich seinerzeit selbst zahlen mußte.«

»Darf ich noch mal auf einen Punkt zurückkommen, der mich interessiert«, sagte Rander, »warum haben Sie seinerzeit diesen Geländestreifen gekauft, Ritchel?«

»Um hier in aller Ruhe leben zu können. Ich ahne schon, worauf Sie hinauswollen. Sie nehmen an, ich selbst könnte mit dem Strand spekuliert haben. Sitzt aber nicht drin. Ich denke nicht an so etwas!«

»Wie sieht das Kesseltreiben gegen Sie aus, Ritchel?«

»Schikanen am laufenden Band. Nicht von Malone direkt. Nein, dazu ist er zu clever. Er würde sich seine Hände niemals schmutzig machen. Dazu hat er seine Kreaturen.«

»Jetzt sollten Sie diese Typen mal aufzählen, Ritchel.«

»Da ist erst mal Sheriff Banding. Ein ganz übler Bursche! Sie sehen es ihm bestimmt nicht an, aber er ist wie ein Terrier. Dann sein Hilfssheriff Folders. Er hustet, wenn Banding sich nur erkältet fühlt. Die beiden Kerle sind schon seit Monaten hinter mir her. Eine Anzeige jagt die andere. Mal bin ich angeblich zu schnell gefahren. Dann soll ich betrunken am Steuer gesehen worden sein. Dann soll ich verbotenerweise Müll längs der Straße weggeworfen haben und so weiter … Sie können sich nicht vorstellen, was Banding alles einfällt.«

»Man will Sie also vergraulen?«

»Man hat es schon fast geschafft«, erwiderte Ritchel müde, »bis ich auf die Idee kam, Sie anzurufen. Das heißt, Parker. Hoffentlich können Sie was erreichen. Ich will doch nur meine Ruhe. Mehr nicht!«

»Darf ich mich bei Ihnen nach einem gewissen Rudy Shrimp erkundigen?« schaltete der Butler sich jetzt in die Unterhaltung ein.

»Shrimp!?« Ritchel lächelte andeutungsweise, »ein netter Kerl, restlos versoffen. Klaut manchmal, aber wirklich ein harmloser Bursche. Hier mal ein Griff in eine Apfelkiste, dort mal ein verlaufenes Huhn.«

»Sollte das ausreichen, ihn mit einer Hundemeute zu jagen?« stellte der Butler seine nächste Frage.

»Hundemeute?« wunderte sich Ritchel und schüttelte irritiert den Kopf. Nachdem Rander ihm die näheren Einzelheiten erklärt hatte, nagte er nachdenklich an seiner Unterlippe.

»Ist er schon jemals derart gejagt worden?« wollte Mike Rander wissen.

»Noch nie! Da scheint er etwas Besonderes ausgefressen zu haben.« Ritchel stand auf und trat an das große Fenster, durch das man hinaus auf den Strand sehen konnte. »Rudy Shrimp ist bisher so als eine Art Narr geduldet worden. Weiß der Himmel, warum man ihn jetzt umbringen will!«

»Wem gehört die Hundemeute?« fragte der Anwalt.

»John Malone«, gab Ritchel zurück, »und die beiden Burschen mit den Hunden können nur seine Angestellten Mike Crampel und Jess Linton gewesen sein.«

»Okay, Shrimp nannte uns bereits diese Namen«, erwiderte Mike Rander, »und wer ist der Stiernacken, der mich quasi kidnappen wollte?«

»Steve Noldans«, lautete die Antwort von Ritchel. »Er ist der erste Hilfssheriff von Banding. Mel Folders ist der zweite Hilfssheriff. Wer von den beiden härter ist, kann ich nicht sagen. Sie sind beide so gefährlich wie Klapperschlangen.«

»Wieso ist Banding im Kielwasser von Malone zu finden?«

»Weil Malone bestimmt, ob Banding wiedergewählt wird. Malone manipuliert mit seinem Geld die öffentliche Meinung. Und wahrscheinlich schmiert er auch Banding. Aber das läßt sich nicht beweisen.«

»Dann wollen wir uns mal ein paar nette Ferientage in Lemmon Bay machen«, sagte Rander, sich an seinen Butler wendend, »langen Sie von mir aus so tief in die Trickkiste, wie Sie mögen, Parker. Ich lasse mich gern mal wieder überraschen!«

*

»Hallo«, sagte der kleine drahtige Mann mit der Figur eines Jockeys zu ihnen, »auf der Durchreise?«

Mike Rander und Josuah Parker, die zur Hotel-Rezeption gingen, blieben stehen und nickten dem Mann neutral zu. Sie wußten sofort, daß es sich nur um Sheriff Banding handeln konnte. Ritchel hatte ihn genau beschrieben. Banding trug einen blitzsauberen und erstklassig sitzenden Khakianzug mit Sheriffstern. Er wirkte sehr zivil, zumal er ohne Waffe war.

»Ich lade Sie zu einem Drink ein«, redete Banding weiter und zeigte mit einer knappen Kopfbewegung zur Hotelbar hinüber, »ich bin übrigens Sheriff Banding. Aber das nur am Rande.«

»Vielen Dank für die Einladung«, erwiderte Rander lächelnd, »und gern angenommen. Ich bin Mike Rander. Das ist mein Butler.«

»Parker mein Name – Josuah Parker«, stellte der Butler sich höflich vor und lüftete seine schwarze Melone. Sie folgten Banding an den Tresen.

Der Mann hinter der Bar nickte Banding eifrig zu und beschäftigte sich mit den Drinks, die er intensiv mixte.

»Auf der Durchreise?« wiederholte Banding seine Frage noch mal. Als kleiner Mann hielt er sich betont aufrecht und straff.

»Mehr oder weniger«, erwiderte Rander, »ein paar Tage werden wir schon bleiben.«

»Netter Ort hier«, sagte Banding, »auf den lassen wir hier nichts kommen.«

»Wie schön für Lemmon Bay«, gab Rander lächelnd zurück, »hier dürfte die Welt noch in Ordnung sein.«

»Und sie wird es auch bleiben«, sagte Banding. »Sie haben sich schon etwas umgesehen?«

»Genau«, meinte Rander. Während er sich weiter mit Banding unterhielt, beobachtete Parker den Sheriff und taxierte ihn genau ein. Irgend etwas an Banding erinnerte ihn an einen gespreizten Pfau. Der Sheriff litt wahrscheinlich unter seiner Körpergröße, die unter der Norm lag. Er versuchte das durch Forschheit und Bestimmtheit auszugleichen. Er schien ein Mann zu sein, der unbedingt und grundsätzlich ernst genommen werden wollte.

»Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit waren gerade auf dem Weg Zu Ihnen«, schaltete sich Parker ein, »ich möchte mir erlauben, eine Anzeige zu erstatten, die sich auf einen Mann bezieht, der ungefragt in mein Hotelzimmer eindrang und mich mittels einer Handfeuerwaffe bedrohte.«

»Wie war das?« Banding schien den Butler erst jetzt zu sehen.

»Dank einiger Umstände, die erfreulicherweise zusammentrafen, konnte ich mich den Nachstellungen dieses Subjektes entziehen«, redete der Butler weiter. »Besagter Mann bedrohte mich massiv mit einer Handfeuerwaffe.«

»Und ich wurde gekidnappt«, schaltete sich jetzt Mike Rander ein. »Ich war auf dem Weg zu einem gewissen Mister Ritchel, als ich von einem Wagen überholt wurde. Der Fahrer zwang mich mit Waffengewalt in seinen Wagen.«

»Demnach muß festgestellt werden, daß die heile Welt hier doch nicht so recht in Ordnung zu sein scheint«, meinte der Butler würdevoll.

»Trinken wir erst mal«, sagte Sheriff Banding und hob sein Glas. Rander und Parker taten ihm Bescheid und nippten an dem Getränk.

»Ich frage mich als Anwalt, ob wir nicht offiziell Anzeige erstatten sollen«, sagte Rander dann. »Was halten Sie davon, Sheriff?«

»Darf ich vorschlagen, die besagten beiden Herren selbst zu fragen?« ließ Parker sich in diesem Moment vernehmen und deutete hinüber in die kleine Halle, in der die beiden Hilfssheriffs Steve Nolands und Mel Folders zu sehen waren. Sie hatten gerade das Hotel betreten und schauten sich suchend um.

Als sie Rander, Parker und ihren Sheriff am Bartresen sahen, wußten sie augenscheinlich nicht, was sie machen sollten. Sie hatten wohl eine andere Situation erwartet.

»Sie meinen Nolands und Folders?« Sheriff Banding lachte leise und gekünstelt. »Das sind meine beiden Mitarbeiter.«

»Ein klassischer Fall von Amtsanmaßung«, stellte der Anwalt gelassen fest.

»Der aber verständlich ist«, beruhigte Banding seine beiden Gäste. »Wir sind hinter einem Burschen her, der ’ne Frau überfallen und belästigt hat. Eine üble Geschichte. Man hat Sie verwechselt, weil Sie fremd sind.«

»Darf man erfahren, um welche Dame es sich handelt, die belästigt worden ist?« fragte Parker höflich.

»Wie? Nein. Dienstgeheimnis!« Banding räusperte sich betont. »Tja, ich muß jetzt gehen. Ich wünsche Ihnen einen netten Aufenthalt. Auch wenn die Stimmung im Moment gereizt ist hier in Lemmon Bay. Die Leute sind verbittert.«

»Diese Verbitterung hängt womit zusammen, Sir?« erkundigte sich Butler Parker gemessen.

»Mit diesen Überfällen«, sagte Sheriff Banding, »es handelt sich nämlich um eine Serie von Verbrechen. Diebstähle, Belästigungen von Frauen. Sie sind mit Mister Ritchel näher bekannt?«

»Überhaupt nicht«, erwiderte Rander, wie er es zusammen mit seinem Butler und Ritchel vereinbart hatte. »Ritchel schrieb vor einigen Wochen eine Gesellschaft an, deren Rechtsvertreter ich bin. Ich bin hier, um Kontakt mit ihm aufzunehmen.«

»Wegen seiner Grundstrücke?« sagte Banding gespielt desinteressiert.

»Dienstgeheimnis«, erwiderte jetzt Rander und lächelte neutral, »in ein paar Tagen kann ich vielleicht die Katze aus dem Sack lassen, Sheriff!«

»Falls Sie meine Hilfe brauchen, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung«, verabschiedete sich Banding, »und was meine beiden Mitarbeiter angeht, so bitte ich um Entschuldigung. Die Boys schießen manchmal übers Ziel hinaus. Wird nicht wieder Vorkommen!«

*

Josuah Parker vertrat sich wieder mal die Beine.

Er lustwandelte über den Marktplatz und näherte sich wie zufällig dem Büro des Sheriffs, vor dem zwei Streifenwagen standen. Er hatte sich vergewissert, daß Sheriff Banding und dessen Mitarbeiter Noldans und Folders im Büro waren.

Parker blieb vor einem der Fenster stehen, dessen Springrollo von innen heruntergezogen war. Er zündete sich umständlich eine seiner schwarzen Zigarren an und benutzte dazu Streichhölzer. Als der schwarze Torpedo endlich brannte, ließ der Butler ganz zufällig die Streichholzschachtel auf der Fensterbank liegen. Und zwar dicht in Scheibennähe.

Dann schritt er wieder zurück auf den Marktplatz und ließ sich auf einer Bank in der Nähe der Autobus-Station nieder. Von seinem Platz aus konnte er das Büro des Sheriffs gut überblicken. Zwischen den schwarz behandschuhten Fingern seiner rechten Hand tauchte plötzlich eine zweite Streichholzschachtel auf, die überraschenderweise Stimmen reproduzierte.

Parker bediente sich wieder mal gewisser technischer Hilfsmittel. Die Streichholzschachtel auf der Fensterbank war ein Sender, der mit einem Hochleistungs-Richtmikrofon gekoppelt war. Die Streichholzschachtel in seiner Hand war der dazugehörige Empfänger. Diese beiden Geräte hatte der Butler in seiner privaten Bastelstube in Chikago konstruiert.

Sonderliche Hemmungen, mit diesen Geräten zu arbeiten, hatte er nicht. Er bediente sich einfach jener Mittel, die in Kreisen der Wirtschaft und der Regierung verwendet werden. Parker brauchte einen gewissen Informationsvorsprung, um aktiv werden zu können. Er paßte sich damit nur notgedrungen der jeweiligen Situation an.

»… nicht zu glauben«, kam Sheriff Bandings Stimme aus der kleinen Streichholzschachtel in Parkers Hand, »läßt sich von einem komischen Butler restlos aufs Kreuz legen. Verliert seinen Dienstausweis und seine Kanone dazu. So was muß man sich mal vorstellen.«

»Ist ja schon gut, Sheriff«, erwiderte Mel Folders betreten, »ich bin ’reingelegt worden! Okay! Passiert nicht noch mal. Aber auch Noldans ist schließlich übers Ohr gehauen worden.«

»Ich habe den Anwalt unterschätzt«, räumte Steve Noldans ein, »Kann ja jedem mal passieren. Beim nächsten Mal sind wir eben vorsichtiger!«

»Und ob wir vorsichtig sein müssen!« Sheriff Bandings Stimme hatte sich etwas beruhigt. »Ich stelle jetzt erst mal fest, mit wem wir es genau zu tun haben. Bis dahin wird nichts unternommen. Sobald aber die Lage geklärt ist, laß ich mir was einfallen. Und ich garantiere euch, daß mir was einfallen wird.«

»Was machen wir mit Ritchel, Chef?« erkundigte sich Steve Noldans.

»Vorerst nichts!«

»Versteh ich nicht«, sagte Folders gedehnt, »nur wegen der beiden Typen sollen wir …«

»Nur wegen der beiden Typen«, sagte Sheriff Banding nachdrücklich. »Das sind Profis, wenn ihr mich fragt. Denkt daran, wie sie euch ’reingelegt haben! Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Ihr könnt eure Retourkutsche immer noch fahren, Jungens. Und dann mit voller Pulle, das verspreche ich euch.«

Parker war aufgestanden und schlenderte zurück zum Büro des Sheriffs. Er wußte jetzt Bescheid. Tony Ritchel hatte also nicht gelogen. Und Sheriff Banding war der Mann, der das Kesseltreiben gegen Ritchel leitete.

Parker schlenderte am Fenster vorbei, ließ die erste Streichholzschachtel in der Tasche verschwinden und lüftete dann höflich seine schwarze Melone, als die beiden Hilfssheriffs Noldans und Folders aus dem Büro kamen.

Sie sahen ihn aus zusammengekniffenen Augen an, nickten nur kurz und setzten sich in einen der beiden Streifenwagen. Parker hatte das deutliche Gefühl, daß sie ihn nicht sonderlich mochten.

Sheriff Banding hingegen, der nun auch aus dem Büro kam, lächelte den Butler breit und gewinnend an.

»Sobald es dunkel wird, sollten Sie lieber im Hotel bleiben«, sagte er dann warnend, »ich sagte Ihnen ja schon … Die Leute hier sind leicht hysterisch, seitdem die Überfälle passieren.«

»Was darf ich darunter verstehen?« erkundigte sich Parker würdevoll.

»Fremde werden halt leicht verdächtigt«, meinte Sheriff Banding, »Wäre doch verdammt peinlich, wenn Ihnen was passieren würde.«

*

Es war dunkel geworden.

Auf der Rückseite des Hotels erschien Steve Noldans auf leisen Sohlen.

Er kannte sich bestens aus und suchte nach den beiden rückwärtigen Hotelfenstern, hinter denen Rander und Parker wohnten. Er registrierte das Licht hinter den zugezogenen Vorhängen und stieg dann über das Dach einer niedrigen Remise auf den Balkon rechts von Parkers Hotelzimmer.

Er hörte die Stimmen von Rander und Parker, leise Schritte, das Rücken von Stühlen, das Klirren von Drinkgläsern und dann leise Musik, die wohl aus einem Kofferradio stammte. Zwischendurch war immer wieder das Gespräch von Parker und Rander zu hören, die sich, wenn ihn nicht alles täuschte, über geschäftliche Dinge und Aktien unterhielten.

Das reichte Noldans bereits.

Vorsichtig und leise stieg er zurück in den Hinterhof und ging dann nach vorn zur Straße, wo Folders auf ihn wartete.

»Alles okay«, sagte er, »du kannst abschwirren und dem Chef Bescheid sagen. Ich halte hier die Stellung.«

»Ruf uns sofort an, sobald die beiden Typen das Hotel verlassen«, antwortete Folders eindringlich, »ich kann zwar auch nicht verstehen, warum Banding jetzt auf einmal loslegen will. Aber das ist nicht mein Bier.«

Folders wandte sich ab und verschwand in der Dunkelheit. Wenig später erschien er neben seinem Streifenwagen, der auf dem Marktplatz stand, setzte sich ans Steuer und fuhr los.

Steve Noldans baute sich vor dem Hotel auf und beobachtete den Eingang. Nach etwa fünf Minuten schlenderte er auf die Rückseite des Gebäudes und kontrollierte die beiden Rückfenster. Alles war in bester Ordnung. Die beiden Fremden befanden sich nach wie vor im Zimmer und hielten sich augenscheinlich an die Warnung von Sheriff Banding, nach der sie das Hotel bei Dunkelheit auf keinen Fall verlassen sollten.

Damit waren gewisse Weichen gestellt.

Noldans hoffte, daß es endlich klappen würde. Dieser Ritchel war längst überfällig. Und damit auch eine fette Prämie, mit der man fest rechnen konnte.

*

Als das Telefon läutete, ging Ritchel schnell an den Apparat und meldete sich.

»Wer spricht dort?« fragte er, da die Verständigung nicht sonderlich gut war. In der Leitung war ein Rauschen und Knattern zu hören. »Ach so, Mister Rander! Ja, jetzt verstehe ich etwas besser. Wie, bitte? Sofort zu Ihnen ins Hotel kommen? Ja, ich habe verstanden. Okay, ich werde sofort losfahren. Ende!«

Ritchel legte auf und wandte sich dann an Mike Rander, der knapp hinter ihm stand und lächelnd nickte.

»Hätten Sie diesen Trick durchschaut?« erkundigte sich der Anwalt dann.

»Auf keinen Fall«, gab Ritchel zu, »ich wäre prompt darauf ’reingefallen. Warum will man mich aus dem Haus locken?«

»Um Sie unterwegs in irgendeiner Form zu schnappen«, erwiderte der Anwalt. »Möglichkeiten dazu gibt es schließlich genug.«

»Aber warum ausgerechnet heute? Wieso haben Sie das geahnt, Mister Rander?«

»Weil Ihr Gegner nervös geworden ist«, sagte Rander. »Er befindet sich jetzt im Zugzwang, verstehen Sie? Und daraus werden wir Kapital schlagen.«

»Glauben Sie, man würde selbst vor einem Mord nicht zurückschrecken?«

»Schwer zu sagen«, antwortete der Anwalt. »Mord wird wohl das letzte Mittel sein. Aber davor gibt es ja noch eine Reihe anderer Möglichkeiten. Es würde doch schon reichen, wenn man Sie unter irgendeinem Vorwand hinter Gitter brächte. Dann könnte man Sie in aller Ruhe weichkochen, oder? Malone befürchtet einfach, daß Sie an mich verkaufen werden.«

»Wenn man ihm das alles nur nachweisen könnte«, gab Ritchel grimmig zurück.

»Geduld, Ritchel, auch das werden wir schon schaffen. Jetzt müssen erst mal Banding und seine beiden Kreaturen ausgetrickst werden.«

»Unterschätzen Sie die bloß nicht!«

»Warten wir’s ab«, sagte Rander lächelnd und optimistisch, denn er wußte, daß sein Butler bereits in den richtigen Startlöchern stand.

*

Steve Noldans lauerte wieder auf der Rückseite des Hotels und sah zu den beiden Fenstern hoch, hinter denen Rander und dieser Butler wohnten.

Er hörte die Musik aus dem Radio, das leise Gemurmel von Stimmen und das Klirren von Gläsern.

Alles in bester Butter, meldete er wenig später über das Funktelefon an Banding und Folders weiter, die vor der Stadt auf der Lauer lagen.

Noldans blieb neben seinem Streifenwagen stehen und konzentrierte sich wieder auf den Hoteleingang. Sobald Rander oder Parker dort erschienen, mußte er eine Warnung absetzen. Das hatte Sheriff Banding ihm eingebläut, und daran wollte er sich halten.

Er zündete sich eine Zigarette an und grinste leicht. Gerade durch das Erscheinen dieser beiden Stadttypen waren die Dinge endlich ins Rollen gekommen.

Sobald Tony Ritchel etwas passiert war, konnte man Rander und Parker ins Spiel bringen und ihnen anhängen, was immer man wollte. Dafür würde schon Banding sorgen, dieser alte, gerissene Fuchs. Der Chef hatte da seine ganz bestimmten Vorstellungen. Und bisher hatte er immer noch durchgesetzt, was er hatte erreichen wollen.

*

Banding und Folders standen neben ihrem Streifenwagen und beobachteten die Landstraße. Banding hatte vor knapp zehn Minuten mit Ritchel telefoniert und sich dabei als Mike Rander ausgegeben. Nach diesem Lockanruf hatte er sich schnell zurück in den Streifenwagen gesetzt und war zusammen mit Folders hierher gefahren. Die Landstraße machte an dieser Stelle einen leichten Knick, um dann im Wald- und Sumpfgürtel zu verschwinden. Hier wollten sie Tony Ritchel hochnehmen. Und zwar so gründlich, daß dieses Problem dann nicht mehr existierte.

Banding war innerlich allerdings nicht so sicher, wie er sich nach außen hin gab.

Der Sheriff hatte ein schlechtes Gewissen. Und das hing mit der Zwangslage zusammen, in der er sich befand. Er hatte sich lange dagegen gewehrt, dieses üble Spiel mitzumachen, doch Malone hätte ihn fest in der Hand. Malone konnte von ihm fordern, was immer wollte. Er, Banding, konnte nur mitmachen, wenn er seine Existenz nicht aufs Spiel setzen wollte. Und die aufzugeben, kam für ihn nicht in Betracht.

»Jetzt müßte Ritchel eigentlich bald aufkreuzen, Chef«, sagte Folders ungeduldig.

»Nur nicht nervös werden«, sagte Banding, »er wird kommen!«

»Okay«, meinte Folders, »aber vielleicht fahren wir ihm ein Stück entgegen, oder?«

»Wir warten noch ein paar Minuten.«

Banding nagte nervös an seiner Unterlippe. Auch seiner Meinung nach hätte Ritchel längst erscheinen müssen. Hoffentlich war nichts dazwischengekommen und hatte Ritchel nicht Lunte gerochen.

Die Minuten, die sie sich gesetzt hatten, verstrichen, aber der sehnlichst erwartete Wagen tauchte nicht auf.

»Los, wir fahren ihm entgegen«, reagierte Banding schließlich nervös, »kann sein, daß er auf der Zufahrtstraße steckengeblieben ist.«

Folders übernahm das Steuer, Banding setzte sich auf den Beifahrersitz. Langsam fuhr der Streifenwagen tiefer in den Wald- und Sumpfgürtel hinein. Er glich mit seinen abgeblendeten Lichtern einem großen Raubtier, das auf Beute aus ist.

»Nichts!« sagte Folders enttäuscht, als sie die Abzweigung zum Strand erreicht hatte, »weit und breit nichts zu sehen.«

»Weiter! Bis zum Haus!« erklärte Banding nachdrücklich, »ich muß wissen, wo er steckt.«

Der Streifenwagen kroch langsam weiter auf eine riesige Wasserpfütze zu, die die ganze Breite der Zufahrt einnahm. Was nicht ungewöhnlich war, denn der schmale Weg war im Grund nur ein ausgebauter Knüppeldamm, der durch sumpfiges Terrain führte.

Tony Ritchel hatte immer wieder darüber Klage geführt, daß dieser Weg von der Straßenverwaltung nicht ausgebaut wurde. Ihn hatte das allerdings nicht gewundert, denn die Stadt wurde schließlich von Malone beherrscht, der jede Gelegenheit nutzte, Ritchel den Aufenthalt in Lemmon Bay zu vermiesen.

»Und was machen wir, wenn er noch im Haus ist?« fragte Folders seinen Chef.

»Dann ziehe ich meine, Show ab«, beruhigte Banding seinen Mitarbeiter und stieß Bruchteile von Sekunden später einen mehr als spitzen Schrei aus. Er klammerte sich am Haltegriff fest und hatte das Gefühl, das Tauchmanöver eines U-Bootes mitzuerleben.

*

Parker genoß die Szene.

Er stand seitlich im Sumpf, und zwar auf einer Art Miniatur-Insel. Von seinem Standort aus sah er, wie der Streifenwagen, mit dem Kühler voran, langsam, aber intensiv in der Pfütze eintauchte, die grundlos zu sein schien.

Der Wagen gluckerte mit einer höflichen Verbeugung ins Wasser, das jetzt schon die Hälfte der Motorhaube umspülte.

Das Wasser stieg weiter und erreichte die Windschutzscheibe. Dazu wurde ein kleiner Donnerschlag geliefert, als das elektrische System sich in einem Kurzschluß selbst erledigte.

Aus dem Streifenwagen war das hysterische Geschrei zweier völlig überraschter und in Panik geratener Männer zu hören. Sie schienen sich ungemein zu beeilen, um aus dem absackenden Wagen herauszukommen. Der Streifenwagen, der langsam immer tiefer tauchte, geriet in unkontrollierbare Schwankungen. Er glich jetzt einer überdimensional großen, fetten Ente, die gerade gründelt und nach Eßbarem sucht: Köpfchen im Wasser, Schwänzchen in die Höhe.

Parker hatte keinen Grund einzugreifen, schließlich wußte er durch eingehende Vormessungen sehr genau, wie tief die Pfütze war. Lebensgefahr für die Insassen bestand auf keinen Fall.

Doch das wußten die beiden Amtsvertreter nicht.

Wahrscheinlich hatten sie das Gefühl, grundlos tief abzusinken, was ihrem Nervensystem nicht sonderlich bekam. Das Geschrei im Streifenwagen, der bis zur Wagenmitte in der Pfütze steckte, wurde lauter und intensiver.

Schließlich öffnete sich die hintere Wagentür, und die beiden Insassen strampelten sich energisch und überhastet ins Freie. Dabei erwies Folders sich als physisch stärker. Er stieg über die Schulter seines Chefs ins Freie und – damit noch mal in die Pfütze.

Ein gellender Schrei, und Folders glitschte in den Schlamm, der ihn sofort bis zur Brust aufnahm.

Anschließend krabbelte Banding aus dem weggesackten Streifenwagen und nutzte seine Chance. Er sah die einladenden Schultern seines Mitarbeiters, benutzte sie als Brücke und landete relativ trocken hinter dem hoch in der Luft stehenden Wagenheck auf dem dort intakten Knüppeldamm.

Dabei drückte er seinen Mitarbeiter Folders noch zusätzlich in den zähen Schlamm.

Folders schrie wie ein verwundetes Tier, als die Schlammbrühe plötzlich seinen Hals erreichte.

»Hilfe!« brüllte er mit sich überschlagender Stimme. »Hilfe! Ich ersaufe!«

Banding nahm sich sehr viel Zeit. Er zahlte es seinem Mitarbeiter heim, daß er vor ein paar Sekunden so schnell und rücksichtslos gewesen war. Dann aber zog und zerrte er Folders auf den Knüppeldamm, wo sie erschöpft liegen blieben.

Ausgepumpt und nach Luft schnappend saßen sie sich gegenüber und starrten auf das Wagenheck, das steil in die Luft ragte. Dabei gebrauchte Folders ein ordinäres Schimpfwort.

»Das – das kann kein Zufall gewesen sein«, sagte Banding, dessen Atem sich endlich etwas beruhigt hatte. Er stand mühsam auf und besichtigte den Rest des Wagens.

»Wieso?« fragte Folders müde und entnervt.

»Weil die Zufahrt sonst immer in Ordnung war«, gab Banding gereizt zurück.

»Ritchel?« tippte Folders an.

»Natürlich«, sagte Banding. »Und den werden wir uns gründlich kaufen, sobald wir den Wagen wieder flott gemacht haben. Los, wir müssen. Noldans alarmieren! Er muß mit ’nem Trecker kommen …«

»Wir können von Ritchel aus anrufen.«

»Wahnsinnig geworden, wie?« Banding schüttelte energisch den Kopf, »den Triumph gönne ich ihm nicht! Wir rufen von der nächsten Öffentlichen aus an.«

»Bis dahin ist es aber verdammt weit, Chef«, gab Folders zu überlegen.

»Immer noch besser ein Fußmarsch, als eine Riesenblamage«, raunzte Banding seinen Hilfssheriff an.

Sie streiften sich den zähen Schlamm von ihrer Dienstkleidung und machten sich auf den langen Marsch. Nach etwa zehn Metern blieben sie kurz stehen und sahen sich nach dem Streifenwagen um.

Er hatte es sich im Schlammloch ungemein bequem gemacht und war bis zur Wagenmitte eingetaucht.

*

Noldans saß auf einem Traktor und ratterte mit voller Kraft durch die Dunkelheit.

Er wußte noch immer nicht so recht, warum Banding ihn brauchte. Er war von Mike Crampel alarmiert worden, einem der Leibwächter Malone. Noldans hatte sich also einen Traktor besorgt und tuckerte mit Vollgas seinem Einsatzort entgegen.

Vor dem Hotel waren die beiden Malone-Leibwächter zurückgeblieben, Crampel und Linton. Sie hatten seine Aufgabe übernommen und überwachten jetzt die beiden komischen Stadttypen.

Nach etwa fünfundzwanzig Minuten erschien im Scheinwerferlicht des Traktors Banding und Folders. Noldans hätte sie fast nicht erkannt und sie für Schwarze gehalten. Im letzten Moment bremste er seinen Traktor und kletterte hinunter auf die Landstraße.

»Sie lahme Schnecke«, schnauzte Banding seinen Mitarbeiter an, ' »wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?«

»Ich war auf Achse«, gab Noldans gereizt zurück, »erst mußte ich mal den Traktor besorgen. Und dann ist so’n Ding ja keine Düse, oder? Was haben Sie denn gemacht?«

»Wir – wir sind mit dem Streifenwagen abgerutscht«, sagte Banding wütend, »das heißt, wie landeten in einem Schlammloch.«

»Muß aber sehr gründlich gewesen sein«, stellte Noldans fest, »wollen Sie aufsteigen, Chef?«

Butler und Folders nahmen hinter dem Fahrersitz Aufstellung, dann gab Noldans wieder Vollgas und ratterte weiter durch die Nacht.

Nach einer weiteren Viertelstunde erreichten sie die Zufahrt zum Strand und damit zu Ritchels Haus.

»Jetzt vorsichtig!« mahnte Banding, »unser Schlitten muß auftauchen.«

»Ich bin ja kein Anfänger!« murrte Noldans gereizt. Er war es leid, sich laufend herumkommandieren zu lassen. »Ich werde schon aufpassen.«

Im Licht der beiden kleinen Scheinwerfer des Traktors war leider nicht sehr viel zu sehen. Dennoch mußte der Wagen nach Bandings Berechnung bald im Schlammloch erscheinen. Weit konnte es auf keinen Fall mehr sein.

»Vorsicht!« rief Folders nervös, als der Traktor auf eine wegbreite Pfütze zuratterte.

»Aufpassen!« rief auch Banding mit leicht schriller Stimme. Er hatte das Gefühl, diese Pfütze vorher nicht gesehen zu haben.

»Was ist denn los?« fragte Noldans und setzte das Tempo herab.

»Schritt fahren«, kommandierte Banding mißtrauisch und stieg vorsichtshalber während der Fahrt ab, ein Vorgang, den Folders ihm sofort abguckte und nachmachte.

Gespannt beobachteten sie, wie die kleinen Vorderräder des Traktors in die dunkle Pfütze rollten und – auf dem Knüppeldamm blieben.

Banding und Folders stiegen wieder auf.

»Dort ist der Streifenwagen!« rief Folders plötzlich und deutete nach vorn. Er hatte sich nicht geirrt.

Etwa hundert Meter vor ihnen war das Heck des Streifenwagens deutlich zu sehen.

»Na also«, sagte Banding erleichtert und klammerte sich am Gestänge des Traktors fest.

Noldans gab Vollgas und ratterte mit den kleinen Vorderrädern des Treckers erneut auf eine wegbreite Pfütze zu. Nun warnten weder Banding noch Folders. Sie starrten wie gebannt auf den Streifenwagen, der jetzt noch deutlicher an eine riesige, fette Ente erinnerte, die gründelt.

Bruchteile von Sekunden später passierte es!

Noldans stieß zuerst einen spitzen Schrei aus.

Was mit den Vorderrädern des Traktors zusammenhing, die plötzlich nach unten wegsackten.

Noldans klammerte sich in panischer Angst am Steuerrad fest und wurde gleichzeitig aus dem Sitz gehoben. Die lange, schmale Motorhaube senkte sich blitzschnell nach unten und katapultierte dann den Hilfssheriff über das Steuerrad hinweg in den aufspritzenden Schlamm.

Banding und Folders waren gebrannte Kinder, die das Feuer – sprich den Schlamm scheuten.

Sie sprangen rechts und links vom Traktor ab, aber sie hatten sich gründlich verschätzt.

Sie landeten wie Noldans im aufspritzenden Schlamm und gingen erst mal auf Sehrohrtiefe. Prustend und spuckend tauchten sie wieder auf, strampelten wie Kleinkinder in einer Wasserpfütze herum und retteten sich dann zurück auf den Knüppeldamm.

Der Traktor bohrte sich inzwischen immer tiefer in das Schlammloch und war bereits bis zum Fahrersitz in der zähen Brühe verschwunden.

»Hilfe!« gurgelte Noldans und paddelte zum Rest des Knüppeldamms. Er zog sich hinauf auf das rettende Land und starrte dann betreten auf sein Fahrzeug, das an ein gründelndes Entenküken erinnerte.

Banding glotzte seinerseits und war unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen.

Er schaute sich langsam zu Folders um, der zunächst von einem lautlosen Lachkrampf geschüttelt wurde. Dann spuckte der Hilfssheriff Schlamm aus und lachte schallend wie ein klassischer Hysteriker.

Er verstummte allerdings schlagartig, als Banding ihm eine deftige Ohrfeige versetzte, die sein Kopf fast vom Rumpf riß.

»Ich möchte bloß mal wissen, was es da zu lachen gibt«, schnauzte Banding dann verhalten, »so komisch finde ich das gar nicht!«

*

»Darf ich mir erlauben, Ihnen meine bescheidene Hilfe anzubieten?« ließ Parkers Stimme sich in diesem Augenblick laut und deutlich vernehmen. Gleichzeitig flammte eine starke Taschenlampe auf, die die Szenerie gnadenlos erhellte.

»Sie?« wunderte sich Noldans total verblüfft.

»Meine bescheidene Wenigkeit«, stellte der Butler sich in seiner höflichen Art vor und lüftete die schwarze Melone, »wenn meine Augen mich nicht sonderlich trügen, müssen Sie diesem schlechten Knüppeldamm zum Opfer gefallen sein.«

Banding bebte vor Wut.

Die Blamage war vollkommen. Er sah Noldans nur knapp und strafend an und schwor sich, mit ihm später ein paar private Worte zu wechseln. Dann warf er sich in die Brust und erklärte mit Nachdruck, daß man keine Hilfe brauche.

»Ich könnte vielleicht mit einem kleinen Traktor dienen«, schlug der Butler weiter vor.

»Wie bitte?« Banding hielt den Atem an. Ihm war ein schrecklicher Gedanke gekommen.

»Er gehört Mister Ritchel, wie ich am Rande bemerken möchte«, redete Josuah Parker weiter, »ich glaube, er steht dort hinten an der Wegkreuzung.«

Das war eine Stelle, die sie bereits hinter sich gelassen hatten.

»Wieso kommt der Trecker da hin?« wollte Banding wissen.

»Wenn mich nicht alles täuscht, wollte Mister Ritchel morgen aus Eigeninitiative mit der Reparatur des Knüppeldamms beginnen«, erläuterte der Butler. »Ich bin überzeugt, daß er nichts dagegen haben wird, wenn Sie sich dieses Fahrzeugs bedienen.«

Banding wußte mit letzter Sicherheit Bescheid.

Nicht Ritchel hatte die beiden Löcher in den Knüppeldamm gerissen, sondern dieser verdammte Butler! Er hatte zuerst für ein Loch gesorgt, in das sie mit dem Streifenwagen hineingeplumpst waren.

Während sie dann auf Noldans gewartet hatten, hatte Parker für das zweite Loch gesorgt, in dem jetzt der Traktor immer tiefer sackte. Sie waren perfekt hereingelegt worden, von einem einzigen Mann, und sie konnten diesem Butler noch nicht mal etwas beweisen!

»Scheren Sie sich zum Teufel!« brüllte Banding, »wir brauchen keine klugen Ratschläge.«

»Wo steht Ritchels Traktor?« erkundigte sich Folders, der wesentlich praktischer dachte. Parker beschrieb den Standort, lüftete höflich seine schwarze Melone und marschierte zurück in die Dunkelheit. Er blieb auf dem intakten Knüppeldamm und ging in Richtung Strand und Ritchels Haus.

»Wer sollte auf diesen Butler aufpassen?« fragte Banding seinen Hilfssheriff Noldans, der zu ihnen herüberbalanciert war, »wer sollte Alarm schlagen?

»Die – die sind noch im Hotel gewesen, als ich losfuhr«, stotterte Noldans betreten und sah Parker nach, dessen Umrisse bereits mit der Schwärze der Nacht verschmolzen.

»Flasche!« sagte Folders verächtlich.

»Ich habe sie doch die ganze Zeit über gehört«, verteidigte sich Noldans energisch.

»Wieder so ein Trick von dem Butler«, sagte Banding, der nachdenklich geworden war, »das werde ich dem niemals vergessen. Dafür stelle ich diesem Butler noch ’ne Quittung aus, die sich gewaschen hat. Worauf wartet ihr noch?«

Folders und Noldans trabten los, um den Ritchel-Traktor zu holen, den sie auch tatsächlich dort fanden, wo Parker ihn verheißen hatte.

Anschließend arbeiteten die drei Hüter der Gesetze genau eineinviertel Stunden, bis sie beide Wagen geborgen hatten. Sie waren darüber derart in Schweiß geraten, daß sie am liebsten im Schlamm ein kühlendes Bad genommen hätten.

*

»Die werden eine Stinkwut auf uns haben«, stellte Ritchel fest, »ich kenn’ doch Banding. Wer den blamiert, der steht auf seiner Liste!«

»Die Fronten dürften damit immerhin geklärt sein«, erwiderte Josuah Parker gemessen. Er sah wirklich untadelig aus, obwohl er doch tatsächlich zwei Löcher in den Knüppeldamm gerissen hatte. Zwar unter Mitwirkung eines kleinen Traktors, aber immerhin doch in Einzelarbeit.

Seiner schwarzen Kleidung war nicht die Spur davon anzusehen. Schmutz schien den Butler grundsätzlich zu meiden. Er sah so korrekt, sauber und taufrisch aus, als sei er einem Journal entstiegen.

»Banding wird zurückkommen«, sagte Ritchel, »er wird sich wieder was einfallen lassen …«

»Mister Parker ebenfalls«, schaltete Mike Rander sich lächelnd ein, »übrigens mein Kompliment, Parker! Sie haben erstklassige Arbeit geliefert!«

»Sie bringen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann in einige Verlegenheit«, gab Parker leicht verschämt zurück, »der Knüppeldamm bot sich zu diesem Doppelstreich förmlich an. Ich war einfach nicht in der Lage, Widerstand zu leisten.«

»Hauptsache, Banding ist gereizt«, stellte Mike Rander fest, »damit werden sich die Fehler bei ihm häufen.«

»Und seine Wachsamkeit steigern«, warnte Ritchel, »unterschätzen Sie ihn nicht, Mister Rander!«

»Auf keinen Fall, Ritchel! Daher auch unser Vorschlag, daß Sie erst mal aus der allgemeinen Schußlinie verschwinden.«

»Ich – ich soll mich verdrücken?« entrüstete sich Ritchel, »das würde ja nach Feigheit aussehen.«

»Wäre aber die reine Form der Klugheit«, gab Mike Rander eindringlich zurück, »können Sie hier in der Nähe untertauchen?«

»Ich – hätte da eine kleine Fischerhütte im Sumpfgebiet«, sagte Ritchel.

»Kennt Banding diese Hütte?«

»Kein Mensch!«

»Dann sollten Sie sofort bei Tagesanbruch losrudern«, erwiderte der Anwalt, »nehmen Sie sich Vorrat für ein paar Tage mit und kommen Sie erst dann zurück, wenn wir grünes Licht geben.«

»Paßt mir aber gar nicht.«

»Aber Parker und mir paßt das ins Konzept«, erwiderte der Anwalt, »wir brauchen freie Hand. Und was wollen wir und Sie gegen irgendeinen gezielten Schuß aus dem Hinterhalt unternehmen?«

»Wenn Sie erlauben, stelle ich Ihnen einen Mundvorrat zusammen«, sagte Parker. »Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit werden Sie dann anschließend ins Versteck bringen.«

»Und wie kommen Sie wieder zurück?«

»Mit dem Boot, in dem wir Sie hinausfahren werden.«

»Sie wollen mich auf der Sumpfinsel wohl festnageln, wie?«

»Erraten«, sagte Rander lächelnd, »unsere Kreise dürfen nicht gestört werden. Und noch etwas. Wir brauchen eine Vollmacht von Ihnen. Ich bereite das alles vor. Eine Schreibmaschine werden Sie ja wohl haben, oder?«

Ritchel hatte sich überzeugen lassen und spielte mit. Rander tippte auf der Maschine die Texte, die er brauchte, um Banding gegenüber handlungsfähig bleiben zu können. Parker stellte den Mundvorrat zusammen.

Nach gut einer Stunde waren die Vorbereitungen beendet.

»Für den Rest der Nacht sollten wir es uns bequem machen«, sagte Rander. »Vorerst wird bestimmt nichts mehr passieren. Für die nächsten Stunden dürfte Banding die Nase voll haben.«

Mike Rander hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als plötzlich der Butler lauschend den Kopf hob.

»Hundegebell«, stellte er dann fest.

»Ich höre nichts«, sagte Ritchel und schüttelte den Kopf.

»Sie müssen sich irren, Parker«, sagte Rander.

»Das Gebell einer aufgebrachten Hundemeute«, wiederholte der Butler höflich, »falls mich nicht alles täuscht, sind es jene Tiere, die Mister Shrimp gejagt hatten.«

*

Rudy Shrimp taumelte förmlich in den Flur des Hauses und fiel dann erschöpft auf die Knie.

»Helfen Sie!« sagte er keuchend, »die Biester sind wieder hinter mir her!«

Rudy Shrimp sah erbarmungswürdig aus. Er war schlammverkrustet, verdreckt. Seine Kleidung hing in Fetzen vom Körper herunter, sein Gesicht und seine Hände waren von Dornen zerkratzt.

»Kommen Sie, Shrimp«, sagte Rander und zog ihn vorsichtig hoch.

»Sie sind dicht hinter mir her«, keuchte Shrimp, »liefern Sie mich nicht aus. Bitte. Die zerreißen mich!«

Ritchel und Rander führten Shrimp ins Haus.

Parker befaßte sich mit den Schlamm- und Schmutzspuren im Flur, die unübersehbar waren. Er mußte sich etwas einfallen lassen. Bis zum Erscheinen der Verfolger konnte es nicht mehr lange dauern, das Jaulen und Hecheln, das Bellen und Kläffen der Bluthunde wurde immer lauter.

»Einen Moment, bitte …« rief er Shrimp nach, der von Rander und Ritchel gestützt wurde. »Darf ich um Ihre Socken bitten?«

»Schnell«, sagte Rander, der zwar noch nicht verstand, aber aus Erfahrung wußte, daß Parker immer gute Einfälle hatte.

Bevor Shrimp etwas sagen konnte, saß er bereits auf dem Teppich und wurde seine beiden durchnäßten Socken los.

Inzwischen griff der Butler nach der langen Angelrute von Ritchel, die im Vorflur in einem Ständer stand. Er ließ sich die beiden Socken geben und befestigte sie sachgerecht und schnell am Drillingshaken der Schnur.

Dann trat er hinaus ins Freie, lauschte kurz auf das Gekläff der Meute und zog die beiden am Haken befestigten Socken von der Türschwelle weg über den Boden und begab sich zur Hausecke.

Dann entwickelte er Kenntnisse, die man von Parker wirklich kaum kannte.

Er schwang die beiden Socken am Haken einige Male prüfend durch die Luft und … ließ sie dann mit gelöster Kurbelsperre durch die Luft in Richtung Strand zischen.

Die beiden Schweißsocken am Angelhaken taten genau das, was der Butler wollte.

Sie segelten weit durch die Luft und landeten am Strand fast in der Nähe der auslaufenden Wellen. Jetzt drillte Parker die Socken konsequent und blitzschnell zurück zum Haus und zu seinem Standort.

Er sorgte damit für eine erstklassige Spur, auf die jede Hundenase hereinfiel.

Parker sorgte zuletzt für einen nahtlosen Übergang der beiden Spuren, die jetzt von der Türschwelle hinweg hinunter zum Strand und zum Wasser führten. Dann barg er die beiden Socken, die tatsächlich imponierend rochen, und trug sie zusammen mit dem Angelgerät zurück ins Haus.

Er ließ sie in der Küche des Hauses schleunigst im Mülleimer verschwinden und suchte nach einem bestimmten Küchengewürz. Als er es gerade gefunden hatte, brachen die Bluthunde aus dem Unterholz und rannten auf den Hauseingang zu.

Hinter ihnen erschienen zwei Männer. Einer von ihnen war der mittelgroße, schlanke Jess Linton, der andere Mann war dem Butler unbekannt. Er trug aber wie Linton eine Winchester und machte einen sehr entschlossenen und kaltblütigen Eindruck.

*

Der Leithund der Meute, ein ausgesprochen intelligentes Tier, hechelte über den freien Platz auf die Haustür zu. Die Fährte, auf der er sich befand, war etwas für Anfänger und beleidigte in ihrer Penetranz seine Nase. Deutlicher konnte eine Spur gar nicht sein. Der Schweißgeruch der Socken war wie eine Schiene, die man nicht verfehlen konnte.

Der Leithund hatte die Türschwelle erreicht, schnüffelte kurz und raste weiter. Die übrigen Hunde taten es ihm nach. Der Kurs der Schweißfährte war unverkennbar. Sie führte zum Strand hinunter.

»Scheint nicht ’reingekommen zu sein«, sagte Jess Linton zu dem zweiten Mann.

»Würde ich Ritchel auch nicht raten«, erwiderte dieser Mann, der John Malone hieß. Er war groß, stämmig und muskulös. Er mochte etwa 50 Jahre alt sein und erinnerte an den Familienboß einer bekannten Wildwest-Fernsehserie.

Die beiden Männer folgten ihren Hunden, die jetzt freie Bahn hatten und zum Strand hinunterrasten. Als sie die Zone der auslaufenden Brandung erreicht hatten, blieben die klugen Tiere allerdings leicht ratlos stehen und sahen sich ziemlich verbiestert an, da die Spur hier endete.

John Malone stachelte seine Meute durch Zurufe an. Sie verteilten sich, die lieben Tiere, und suchten ausschwärmend nach der Fortsetzung der Spur, die sie verständlicherweise nicht finden konnten. Sie wußten ja nichts von Parkers Anglertrick.

John Malone zündete sich eine Zigarette an und sah nachdenklich zu Ritchels Haus hinüber, das auf einer hohen Böschung stand.

»Ob er uns austricksen wollte?« fragte er dann mehr sich als seinen Begleiter Linton.

»Shrimp könnte auf seiner ersten Spur zurück zum Haus gerannt sein«, erwiderte Linton eifrig.

»Hatte er soviel Zeit?«

»Er hatte es auf jeden Fall eilig. Da wird man schnell, Boß!«

»Kommen Sie, Linton! Wir werden Ritchel fragen.«

Linton rief die nervösen Hunde zusammen, die sich schämten, da sie die Spur verloren hatten. Dann ging es zurück zum Haus von Tony Ritchel, in dem kein Licht brannte.

»Machen Sie auf, Ritchel!« dröhnte Malones Stimme, als er mit der mächtigen Faust gegen die Tür pochte. »Aufmachen, Ritchel – Beeilung …!«

Unter der Türschwelle war plötzlich ein schwacher Lichtschein zu sehen. Dann näherten sich ruhige, gelassene, fast würdevolle Schritte.

»Mit wem habe ich die Ehre?« war plötzlich Parkers Stimme zu hören.

»John Malone. Machen Sie endlich auf!« dröhnte die Stimme des Boß erneut, während die hechelnden Hunde seine Beine umspielten.

Es dauerte einige Zeit, bis die Tür spaltbreit geöffnet wurde. Der Schlüssel wurde mehrfach und umständlich im Schloß bewegt, eine Türkette wurde ausgehakt, dann zwei Riegel zurückgezogen.

Im Türspalt war Parkers Gesicht zu sehen.

»Kann ich irgend etwas für Sie tun, meine Herren?« erkundigte sich der Butler.

Die Hunde, die auf ihn zuschießen wollten, traten auf die Bremsen und stemmten sich mit ausgestreckten Vorderläufen gegen ihren Schwung. Was mit dem penetranten Pfeffergeruch zusammenhing, von dem Parker förmlich umwallt wurde.

»Gesundheit!« sagte Parker, als nicht nur die Hundemeute, sondern auch John Malone und Linton im Chor niesten. »Ich erlaube mir, ein langes und gesundes Leben zu wünschen.«

»Wer … Wer sind Sie?« fragte John Malone sehr nasal und nieste erneut. Die Hunde an seinen Beinen wälzten sich bereits übereinander. Sie niesten wie in einer einzigen gewaltigen Orgie und konnten sich nicht mehr auf ihren Läufen halten.

Linton hatte sich abgewandt und hielt sich an der Hauswand fest. Er wollte niesen, aber es war noch nicht soweit. Er verzog sein Gesicht, produzierte dicke Tränen und schnappte nach Luft. Dann schüttelte es ihn derart durch, daß er weich in den Knien wurde und halb zu Boden ging.

»Ich bitte sehr um Entschuldigung«, sagte Parker, der erstaunlicherweise unempfindlich zu sein schien. »Ich bin gerade bei der Zubereitung eines speziellen Pfeffersteaks für Mister Rander.«

Parker hatte sich die Naseninnenwände sicherheitshalber mit einer Creme verkleidet und konnte so dem Niesreiz widerstehen.

»Haben … Haben Sie … einen Landstreich…cher … ’reingelassen?« sprach John Malone niesend.

»Gesundheit von Herzen«, antwortete Parker.

»Der Boß hat Sie gefragt, ob Sie … Hatschiii … Ob Sie … Hatschiii … einen Land … Hattt…«

Linton riß es die Füße weg, und er landete auf dem Boden.

»Gesundheit auch Ihnen und ein relativ langes Leben«, sagte Parker, sich jetzt an Linton wendend, »haben Sie sich möglicherweise erkältet?«

»Wollen Sie uns … Hatschii … auf den Arm …?« Mehr brachte John Malone nicht heraus. Er hielt sich am Türrahmen fest und nieste derart urgewaltig, daß das Haus in ein sanftes Beben überging. Dann wischte er sich die Tränen aus den Augen und ging schwankend zurück in Richtung Unterholz.

Die Hundemeute kroch ihm nach und fiel unterwegs immer wieder durch- und übereinander.

Linton kämpfte mit einem gewaltigen Nieser, der sich aber nicht löste. Er schnappte zwischendurch immer wieder nach Luft und klammerte sich dann im letzten Moment an einem dünnen Baumstamm fest, als es endlich klappte.

Parker schloß die Tür und ging zurück in die Küche. Als er sie erreicht hatte, erwischte es allerdings auch ihn. Sein Nieser war allerdings wesentlich gedämpfter als der von John Malone. Es handelte sich um einen fast eleganten, angedeuteten Nieser, wie ihn nur ein Josuah Parker produzieren konnte.

*

»Ich … Ich Idiot bin zurück nach Lemmon Bay gegangen«, berichtete Shrimp inzwischen. Er befand sich im Dachgeschoß des Hauses und hatte sich endlich etwas beruhigt. Was mit dem Drink zusammenhing, den Ritchel ihm gemixt hatte.

»Warum sind Sie zurückgekommen?« wollte Mike Rander wissen. Er stand am Fenster und traute sich nicht so recht in die Nähe von Rudy Shrimp.

Was wiederum, um ehrlich zu sein, mit Shrimps Füßen zusammenhing, die die Schweißspur für die Hunde gelegt hatten.

»Ich … Ich hatte da noch ’ne Flasche Brandy im Haus«, sagte Shrimp, »und ich habe gedacht, Malone hätte sich wieder beruhigt.«

»Jetzt aber mal raus mit der Sprache«, forderte der Anwalt, »warum ist Malone mit seiner Hundemeute hinter Ihnen her? Er wird doch nicht vor Ihrer Hütte auf Sie gewartet haben, oder?«

»Lügen Sie bloß nicht herum, Rudy«, warnte Ritchel, »sonst können wir Ihnen wirklich nicht helfen. Legen Sie Ihre Karten auf den Tisch.«

»Ich war auf Malones Grundstück«, gestand Shrimp und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas.

»Und was wollten Sie da?«

»Auf keinen Fall abstauben«, sagte Shrimp schnell, »wäre mir viel zu gefährlich.«

»Was wollten Sie bei Malone?« wiederholte Mike Rander erneut.

»Abkassieren!« sagte Shrimp kleinlaut.

»Bei wem?«

»Bei Judy«, redete Rudy Shrimp weiter. »Sie hatte mich zu sich bestellt. Das heißt, genauer gesagt, eigentlich nicht«

»Was denn nun?«

»Ich hatte Roy Jenkins gesehen.«

»Wer ist denn das?«

»Ein Landbesitzer aus Lemmon Bay«, schaltete Rander sich erklärend ein.

»Ein Freund dieser Judy Malone?«

»Wo denken Sie hin!« Shrimp lachte jetzt sogar leise. »Er könnte ihr Vater sein. Jenkins ist bestimmt seine 45 Jahre alt, oder auch noch mehr.«

»Und was wollte er bei Judy Malone?«

»Das – das weiß ich eben nicht. Und das wollte ich rausbekommen. Aber da waren plötzlich die Hunde, und ich mußte türmen. Um ein Haar hätten sie mich erwischt.«

»Welche Verbindung gibt es zwischen Malones Tochter und diesem Roy Jenkins?« wollte Rander wissen.

»Das weiß ich eben nicht. Aber wenn ich das weiß, dann habe ich endlich meine Ruhe vor Malone, verstehen Sie?«

»Kein Wort«, erwiderte der Anwalt, obwohl er vage begriff.

»Wissen ist Macht«, sagte Shrimp und trank sein Glas leer, »normalerweise haben die Malones und Jenkins nichts miteinander zu tun.«

»Können Sie sich einen Vers darauf machen?« wandte Rander sich an Ritchel, der aber nur stumm die Achseln zuckte.

»Irgendwann krieg ich es raus«, redete Shrimp weiter. »Das heute war das dritte Mal, daß ich Jenkins bei Malone gesehen habe. Irgendwann schaffe ich das.«

»Falls die Hundemeute Sie nicht vorher geschnappt hat«, warnte der Anwalt. Rander fühlte, daß Shrimp etwas verheimlicht hatte. Dieser kleine Gauner wollte sich eine fette, nahrhafte Suppe zubereiten. Er übersah aber wahrscheinlich, daß er an dieser Suppe ersticken konnte, wenn er nicht sehr aufpaßte.

»Sobald Malone abgezogen ist, haue ich ab durch die Mitte«, sagte Shrimp, »ich habe jetzt endgültig den Kanal voll.«

»Sie werden sich noch etwas Zeit nehmen müssen«, sagte Rander, »wenn Mister Ritchel Malone richtig einschätzt, und daran ist wohl nicht zu zweifeln, dann wird Malone in der Nähe bleiben und darauf warten, daß Sie sich sehen lassen.«

»Sie meinen, er könnte uns belagern«, sagte Ritchel, »ein John Malone gibt nicht so schnell auf!«

*

»Na, bitte!« sagte Sheriff Banding, als er die Tür zu Parkers Hotelzimmer geöffnet hatte. »Tonbandgerät mit Endlosschleife.«

Seine beiden Hilfssheriffs Noldans und Folders betraten nun ebenfalls das Hotelzimmer und sahen sich das kleine, aber leistungsstarke Tonbandgerät an. Eine Endlosschleife produzierte nach wie vor munter alle jene Geräusche, die Noldans gehört hatte.

Banding stellte das Gerät ab.

»Sie bleiben vor dem Hotel, Folders«, sagte er dann zu seinem Mitarbeiter, »Noldans und ich kümmern uns erst mal um den Streifenwagen.«

»Und wie lange soll ich hier Nachtwache schieben?« wollte Folders wissen.

»Bis Rander und dieser Butler wieder zurück sind«, antwortete der Sheriff, »bevor wir jetzt was unternehmen, müssen wir uns alles sehr genau durch den Kopf gehen lassen.«

»Hätten wir früher tun sollen«, murrte Noldans.

»Klappe«, fauchte Banding seinen Hilfssheriff an. »Wer wäre auf diesen Butler nicht ’reingefallen. Das wird auch Malone begreifen müssen, ob ihm das nun paßt oder nicht!«

Sie schoben sich aus dem Hotelzimmer und trennten sich vor dem Haus.

Folders bezog unwillig seine Nachtwache, während Banding und Noldans sich um den Wagen kümmerten. Die drei Hüter des Gesetzes fühlten sich ungemein abgeschlafft und gereizt. Sie hatten hart und ausgiebig auf dem Knüppeldamm gearbeitet, um den Traktor und dann den Streifenwagen zu bergen. Dabei hatten sie den Knüppeldamm ungewollt wenigstens teilweise wiederherstellen müssen. Sie fühlten sich auf der ganzen Linie hereingelegt.

»Wird höchste Zeit, daß hier in Lemmon Bay wieder Ruhe einkehrt«, sagte Noldans seufzend, »war das doch schön, als diese beiden Typen noch nicht da waren, da wußte man wenigstens genau, was wo gespielt wurde.«

*

»Sie sitzen drüben im Unterholz«, sagte Rander, der hinunter in die Küche zu Parker gekommen war.

»In der Tat, Sir«, bestätigte Josuah Parker, »von dort aus kann der bewußte Mister Malone sowohl den Strand als auch die Zufahrt zum Haus kontrollieren.«

»Kann man dagegen etwas unternehmen?« erkundigte sich der Anwalt lächelnd, »Sie wissen doch, Parker, Sie haben vollkommen freie Hand.«

»Ich war so frei, Sir, mich mit diesem Problem bereits zu beschäftigen«, entgegnete Parker, »in erster Linie dürfte es darauf ankommen, die Bluthunde ein wenig zu verunsichern.«

»Wie wollen Sie sich diesen lieben Tierchen verständlich machen?«

»Man müßte die Vierbeiner, die an sich ja unschuldig sind, anderweitig interessieren.«

»Wie und womit?«

»In der Vorratskammer Mister Ritchels, Sir, fand ich einige appetitlich aussehende Vollkonserven, die mit Rind- und Schweinefleisch gefüllt sind.«

»Liefern Sie den Hunden dann gleich ein paar Büchsenöffner mit, Parker!«

»Sie werden wahrscheinlich mit meiner Wenigkeit zufrieden sein«, erklärte der Butler und deutete auf einige Blechbüchsen, die er bereits geöffnet hatte. Auf einem Schneidebrett hatte Parker handliche Fleischbrocken zurechtgelegt.

»Und wie wollen Sie die Appetithäppchen ’rüber ins Unterholz befördern?«

»Mittels meiner Patent-Hosenträger, Sir, die ich in eine Schleuder umfunktionieren werde.«

»Ich sehe Ihnen dabei gern zu, Parker.«

Was der junge Anwalt dann auch tat.

Sein Butler öffnete seine schwarze Spezialtasche, der er eine Aluminiumkapsel entnahm, die er aufschraubte. Aus dieser Kapsel zog er ein kleines Fläschchen hervor, dem er eine wasserhelle Flüssigkeit entnahm und auf die einzelnen Fleischportionen tropfen ließ.

»Schlafmittel?« erkundigte sich Rander lächelnd.

»In der Tat, Sir, ein besonders wirksames, wie ich zusätzlich bemerken möchte.«

»Hauptsache, die Vierbeiner nehmen die Köder an.«

»Damit dürfte fest zu rechnen sein, Sir.«

Während Parker noch redete, streifte er sich gemessen und mit abgezirkelten Bewegungen seinen schwarzen Zweireiher ab und ließ die vieltaschige Weste folgen. Dann löste er die Hosenträger und legte sie neben sich auf einen Stuhl.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« fragte Rander.

»Echauffieren Sie sich auf keinen Fall, Sir!« Parker schüttelte den Kopf und verpackte die kleinen Fleischportionen in Zeitungspapier. Er formte Bälle, die nicht größer waren wie Hamburger-Portionen.

Rander folgte sehr interessiert seinem Butler, der das Hackbrett mit den verpackten Fleischportionen hinauf ins Dachgeschoß trug. Hier befestigte Parker die langen Enden der Hosenträger am Fensterrahmen. Das Mittelstück dieser Hosenhalter benutzte er als Schlaufe, um die Spezialgeschosse auf die Reise schicken zu können.

Parker arbeitete leise, schnell und konzentriert. Nach wenigen Minuten schon waren alle Vorbereitungen getroffen. Er öffnete das Fenster und sah zum Unterholz hinüber.

Das feine, nervöse Winseln der Bluthunde war deutlich zu hören. Es klang nicht gerade schön. Es drückte Blutgier, Hunger und Angriffslust aus.

»Darf ich Ihnen wenigstens die Geschosse reichen?« fragte Rander, als Parker die beiden Stränge der Hosenträger versuchsweise strammte.

»Es wird mir eine Ehre sein, Sir, sie entgegennehmen zu dürfen«, bedankte sich Parker, »ich würde Vorschlägen, daß wir jetzt den ersten Köder auf die Luftreise schicken.«

Rander war wieder mal fasziniert, wie geschickt Parker diese Riesenschleuder bediente und wie treffsicher er die diversen Geschosse hinüber ins Unterholz beförderte.

Parker arbeitete mit der Präzision eines Uhrwerks. Es dauerte nur knapp dreißig Minuten, bis alle Geschosse an Ort und Stelle gelandet waren.

»Nichts«, stellte Rander fest.

»Ich empfehle ein wenig Geduld, Sir«, sagte der Butler, »die Vierbeiner müssen sich wahrscheinlich erst von dieser echten Überraschung erholen.«

*

»Was ist das?« fragte John Malone nervös, als es zwischen den Zweigen des Unterholzes rauschte.

»Irgendwas aus den Bäumen«, stellte Linton fest, »aber sehen Sie sich mal die Hunde an!«

Das herrschende Mondlicht reichte vollkommen aus, um selbst im dichten Unterholz die Bluthunde in etwa beobachten zu können. Die lieben Vierbeiner hatten ihre Ohren aufrecht gestellt und waren zu Salz- und Steinsäulen erstarrt. Sie mußten eine Witterung aufgenommen haben, die hier im Unterholz irregulär war.

Dann aber, wie auf ein geheimes Kommando hin, spritzten sie gierig und lautlos auseinander.

Linton, der sie an der Koppel hatte, wurde völlig überrascht. Da er erst mal nicht losließ, wurde er etwa zehn Meter durch das dichte Unterholz geschleift. Dann mußte er allerdings loslassen, da sein Kopf in innige Berührung mit einem kräftigen Baumstamm geriet.

Linton verdrehte die Augen und blieb regungslos vor dem Baumstamm liegen.

Die Bluthunde hechelten und jaulten wie verrückt durcheinander, rissen sich von der Leitkoppel los und stürzten sich mit Vehemenz auf die Appetithäppchen, die Parker so freigiebig ins Unterholz geschossen hatte.

Beim Aufprall war das Papier geplatzt und hatte die Fleischbrocken freigegeben. Die Vierbeiner brauchten nur noch zuzulangen, was sie dann auch ausgiebig besorgten. Für jeden Hund war genug da, sie brauchten sich noch nicht mal zu streiten.

John Malone war aufgestanden und kümmerte sich um seinen Leibwächter Linton, der gerade aus einer leichten Benommenheit erwachte und sich sinnlos nach der im Moment herrschenden Uhrzeit erkundigte, eine Frage, die Malone verständlicherweise nicht beantwortete.

»Was ist mit den Hunden los?« herrschte er Linton an.

John Malone brauchte die Antwort nicht abzuwarten. Er selbst sah Sekunden später, was mit seiner Meute passiert war. Die Bluthunde, die die diversen Appetithappen inzwischen verdrückt hatten, torkelten wie betrunken zurück zu ihrem Herrn und Meister. Sie leckten sich die Lefzen Und schielten augenscheinlich. Sie stelzten auf nachgiebigen Läufen heran und knickten dabei immer wieder ein. Dann gähnten sie und kämpften mit einem Schlafbedürfnis, das man nur als riesengroß bezeichnen konnte.

Malone stierte seine Meute an. So hatte er die auf den Mann dressierten, sehr scharfen Tiere noch nie gesehen. Sie bewegten sich nicht nur im Zeitlupentempo, sondern kämpften auch gegen das Blei in ihren Lidern an. Dann entwickelten sie so etwas wie das Zärtlichkeitsbedürfnis von Kleinstkindern und kuschelten sich an ihn an.

Malone wollte die Tiere zurückdrängen, doch er kam gegen sie nicht an. Sie schnieften und fiepten, gähnten und maunzten. Sie rutschten und stiegen über ihn und betteten sich zur Ruhe. Malone verschwand unter den Leibern seiner Hundemeute und hatte den Vorzug, aus nächster Nähe die ersten ausgiebigen Schnarchtöne zu hören.

Malone brauchte etwa zweieinhalb Minuten, bis er unter seiner Hundemeute hervorgekrochen war. Dann kniete er und weinte still vor sich hin. Dieses Weinen mischte sich in das jetzt aufdringliche Massenschnarchen der Bluthunde, die kreuz und quer übereinander lagen.

*

»Was ist los?« erkundigte sich Rudy Shrimp ängstlich. Er war zusammen mit Ritchel herunter in die Küche gekommen, wo sich inzwischen Rander und Parker aufhielten.

»Schnarchtöne«, übersetzte Rander die seltsamen Laute, die bis in die Küche drangen, »Malones Hunde haben eine kleine Erholungspause eingelegt.«

Shrimp und Ritchel sahen sich irritiert an.

»Nähere Erklärungen, meine Herren, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt gern nachliefern«, schaltete der Butler sich gemessen ein, »sollte man jetzt nicht daran denken, das Haus zu räumen?«

»Und Malone und Linton?« fragte Shrimp nervös.

»Werden mit einiger Sicherheit beschäftigt sein«, redete der Butler weiter, »vorsichtshalber werde ich aber eine Sicherheitswand aufbauen.«

»Ich – ich verstehe kein Wort«, gab Ritchel zurück.

Statt zu antworten, steckte Josuah Parker seine Gabelschleuder zusammen und verschickte mit ihr einige Spezial-Rauchgeschosse in Richtung Unterholz. Innerhalb weniger Sekunden wuchs eine dichte Nebelwand hoch, die die Sichtverhältnisse noch zusätzlich erschwerte. Die Nacht wurde jetzt total undurchsichtig. Der Mond hatte jede Chance verspielt, etwas Licht auf den Boden zu schicken.

Shrimp und Ritchel verabschiedeten sich von Mike Rander. Anschließend folgten sie Parker hinaus ins Freie und vertrauten sich ihm an. Der Butler war sehr daran interessiert, Ritchel im Sumpf verschwinden zu lassen.

Für Rudy Shrimp hingegen hatte er sich etwas Zusätzliches einfallen lassen. Er war der Ansicht, daß dieser kleine Tagdieb endlich seine Karten auf den Tisch legen mußte.

*

»Ein Kompliment den Hütern des Gesetzes«, sagte Josuah Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß und es über den wieder intakten Knüppeldamm in Richtung Landstraße steuerte. »Sie haben das besorgt, was man gemeinhin eine saubere Arbeit zu nennen beliebt.«

»Andere Sorgen haben Sie wohl nicht, wie?« Rander lächelte. »Die Hüter des Gesetzes werden ausgesprochen sauer auf uns sein.«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, räumte der Butler ein, »und ein gewisser Mister John Malone wird sie darin nur noch bestärken.«

»Wir werden eine ganze Stadt gegen uns haben«, warnte Rander, »denken Sie an Ritchel!«

»Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, Sir, daß Mister Ritchel und Mister Shrimp erst mal aus der Schußlinie heraus sind. Dies wird die weiteren Erhebungen sichtlich erleichtern.«

»Gute Idee von Ihnen, daß Sie Shrimp mit auf die Sumpfinsel gepackt haben. Dort kann ihnen nichts passieren, sie können aber auch nicht stören. War Shrimp damit einverstanden?«

»Nicht direkt, Sir. Aber er versprach sich wohl einiges von einem kleinen Kanu, das ich im Schilf entdeckte.«

»Und!««

»Das ich bedauerlicherweise zerstörte, als ich ausrutschte, Sir. Die beiden Herren wissen noch nichts davon.«

»Sie sind also festgeeist?«

»Sicher, Sir.«

Während Rander und Parker sich unterhielten, hatten sie bereits die Landstraße erreicht. Es herrschte ein ausgesprochen sonniger Morgen, der Dschungel dampfte in der aufkommenden Wärme und der Polizeistreifenwagen hinter der Einbiegung in die Landstraße war nicht zu übersehen.

»Jetzt bin ich aber gespannt«, meinte Rander und beugte sich etwas vor. »Sie suchen sicher nach einem Vorwand, um uns etwas anzuhängen.«

Nun, der Streifenwagen mit Noldans am Steuer und Folders auf dem Beifahrersitz klemmte sich hinter Parkers Wagen und folgte ihm wie ein Schatten. Parker minderte die Fahrt seines Wagens erheblich und fuhr fast im Schrittempo. Dazu legte er zusätzlich einen Kipphebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett um, was Rander überhaupt nicht mitbekam.

»Ich möchte bloß wissen, was die wollen«, sagte Rander und sah sich immer wieder nach dem Streifenwagen um.

»Man möchte Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit wahrscheinlich ein Vergehen gegen die Straßenverkehrsordnung nachweisen«, erwiderte Parker.

»Da bin ich aber gespannt!« Rander schüttelte nachdenklich den Kopf. Er überdachte wohl die Möglichkeit, die die beiden Hilfssheriffs hatten.

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich gleich nach der Rückkehr nach Lemmon Bay einige Einkäufe vornehmen.«

»Sagen Sie schon, daß Sie sich mit diesem Roy Jenkins unterhalten wollen.«

»Dies wird sich dabei wohl ergeben, Sir.«

»Was haben Sie hinsichtlich dieses Jenkins aus Shrimp herausgeholt?«

»Im Grunde nichts, Sir. Mister Shrimp scheint sich von seinem Privatgeschäft immer noch eine erhebliche und sichere Dividende zu versprechen.«

Rander und Parker passierten die Slums und erreichten endlich die kleine City von Lemmon Bay. Als sie vor dem Hotel hielten, schoß der Streifenwagen plötzlich vor und stellte sich quer vor den Kühler von Parkers hochbeinigem Monstrum.

Die beiden Sheriffs Noldans und Folders stiegen gewichtig aus und schaukelten breitbeinig auf Rander und Parker zu. Sie verkörperten das Gesetz, hart, aber gerecht.

»Na, endlich …!« sagte der stiernackige Noldans, »endlich haben wir Sie stoppen können!«

»Überhöhte Geschwindigkeit in geschlossener Ortschaft«, fügte Folders grinsend hinzu, »daß sie um ein Haar ein Kind überfahren hätten, haben Sie wohl gar nicht mitbekommen, wie!?«

»Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Rander kühl.

»Das wird Ihnen unser Zeuge sagen«, meinte Noldans, »nämlich Missis Haynes. Die Mutter des Kindes.«

Rander verstand zwar wirklich kein Wort, aber er ahnte, daß es da eine Schlinge gab, die sich um seinen und Parkers Hals zog.

*

»Was ist denn hier los?« war plötzlich die Stimme von Sheriff Banding zu hören. Er kam aus dem Hotel, schob sich durch gut ein Dutzend Neugierige, die sich bereits versammelt hatten und baute sich vor Rander und Parker auf.

Noldans wiederholte seine Anschuldigungen.

»Kommen Sie mit ins Office«, sagte Banding kühl zu Rander und Parker.

»Ihr Wunsch ist Befehl«, reagierte Parker schnell, bevor Rander gegen diese sinnlose Anschuldigung protestieren konnte, »einen Moment bitte!«

Parker öffnete die Fahrertür seines Wagens und langte unter das Armaturenbrett.

»Was soll das?« fragte Banding gereizt.

»Mein bescheidener Wagen enthält einen Fahrtschreiber«, antwortete Parker.

»Einen was …?« Banding hatte nicht ganz verstanden und wunderte sich.

»Einen Fahrtschreiber oder Tachograph«, erläuterte Parker und präsentierte Banding die betreffende Scheibe, die er dem Gerät entnommen hatte. »Es handelt sich um ein Präzisions-Meßgerät zur Überwachung von Geschwindigkeit und Fahrweg, die beide in Abhängigkeit von der Uhrzeit aufgeschrieben werden. Mit anderen Worten, und um es volkstümlich auszudrücken, dieser Scheibe wird man entnehmen können, daß die Geschwindigkeit keineswegs überhöht gewesen sein kann …«

»Damit werden Sie nicht durchkommen«, sagte Banding, dessen Gereiztheit sich steigerte.

»Dieses Gerät dürfte Beweiskraft haben«, widersprach der Butler gemessen, »es wurde erst vor wenigen Tagen geeicht und zwar von einem staatlichen technischen Institut.«

»Kommen Sie endlich!« schnauzte Banding, da einige Neugierige bereits unverkennbar grinsten, »über die Sache werden wir uns gleich ausführlich unterhalten.«

»Vor allen Dingen über das Kind, das Sie angefahren haben«, mischte sich Folders ein, »da wird Ihnen kein Fahrtschreiber helfen, verlassen Sie sich darauf!«

Rander und Parker folgten Banding zum Office.

Noldans und Folders nutzten die Gelegenheit, sich ausgiebig und laut über die beiden Fremden zu verbreiten. Sie ließen mehr als deutlich durchblicken, daß man in ihnen vielleicht die Burschen gefunden habe, die die Überfälle auf Frauen begangen hatten.

Rander entging keineswegs, daß die Neugierigen zwar zuhörten, sich aber relativ schweigend verhielten. Glaubten sie den Hütern des Gesetzes nicht? Kannten sie die Tricks, mit denen Banding, Noldans und Folders arbeiteten?

»Tür zu!« kommandierte Banding, als sie im Office waren. Noldans gehorchte umgehend und zog die Springrollos herunter.

»Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken«, sagte Banding dann zu Rander und Parker.

»Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus«, sagte Rander knapp.

»Spielen Sie sich bloß nicht so auf, Rander«, redete Banding weiter. Er sprach leise, als fürchte er, draußen gehört zu werden, »die Sache mit dem Kind bricht Ihnen den Hals.«

»Wir sind sicher, daß Sie alles sehr gründlich vorbereitet haben«, meinte der Anwalt.

»Worauf Sie sich verlassen können.« Banding nickte. »Hinzu wird noch Widerstand gegen die Staatsgewalt kommen, Und totale Trunkenheit. Das reicht vollkommen aus, Sie beide für Monate einzulochen …!«

»Wie ich Sie einschätze, können Sie uns einen passablen Ausweg aufzeigen, oder?«

»Trinken wir erst einen«, sagte Folders und deutete auf die Whiskyflasche. Er benützte dazu den Lauf seiner Dienstwaffe, die er gezogen hatte.

»Genieren Sie sich bloß nicht«, warf Banding ein und nickte, »los, trinken Sie schon! Oder meine beiden Mitarbeiter müssen sich gegen einen Angriff auf uns wehren.«

Rander preßte die Lippen zusammen. Er hatte eingesehen, daß es im Moment kein Entrinnen gab. Banding hatte alle Trumpfkarten in der Hand. Sie waren gezinkt, aber er spielte sie hemmungslos aus. Er konnte hier in der Stadt machen, was er wollte.

Rander griff nach der Flasche und schraubte den Verschluß auf.

In diesem Moment erlitt Parker einen ausgesprochenen Schwächeanfall.

Er faßte nach seinem Herzen, produzierte einige halb erstickte Laute und griff nach einer der vielen Westentaschen.

»Die Pillen …!« sagte er mit ersterbender Stimme, »schnell, die rosa Pille …«

*

»Nun hilf ihm schon!« sagte Banding zu Folders. Er gebrauchte einen verächtlichen Ton. Für ihn war Parker bereits ein erledigter Mann.

Folders fühlte sich vollkommen sicher. Einmal, weil er die Dienstwaffe jetzt in der linken Hand hielt, zum anderen, weil der Butler tatsächlich fertig zu sein schien.

Folders fingerte also in die bewußte Westentasche hinein und zog eine kleine flache und viereckige Pillendose hervor, mit deren Verschluß er sich beschäftigte.

Randers Interesse galt inzwischen der Whiskyflasche, deren Drehverschluß er nicht aufbekam. Dabei beobachtete er Banding und Noldans, die ihn kühl und abwartend musterten. Sie warteten ohne jede Hast auf seinen ersten Schluck.

»Na, endlich«, sagte Folders, als er die Mechanik des Verschlusses erkannt hatte. Er drückte auf eine kleine Metallzunge und japste Bruchteile von Sekunden später erstickt auf.

Was mit dem feinen Puder zusammenhing, das beim blitzschnellen Aufspringen des Deckels aus der Pillendose hervorgeschnellt war und jetzt auf seinem Gesicht lag. Es drang in seine beiden Nasenlöcher, in seinen erschreckt geöffneten Mund und schließlich auch in die Augen.

Der Erfolg war überwältigend.

Folders hustete und nieste. Er vergaß seine schwere Dienstwaffe, griff sich wie ein Erstickender an den Hals, schnappte weiter nach Luft und konnte nichts mehr sehen. Der Reizpuder hatte es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Er alarmierte sämtliche Schleimhäute der Gesichtszone und brachte Folders in Luftschwierigkeiten.

Aber nicht nur ihn.

Parker war nämlich längst auf den Beinen und hielt seinen Universal-Regenschirm fest in der Hand. Damit klopfte er auf Folders Handgelenk und schlug ihm die Dienstwaffe aus den Fingern.

Auch Rander war nicht untätig geblieben.

Er trat Noldans nachdrücklich auf den dicken, rechten Zeh und dosierte sehr fein seine linke Handkante, die plötzlich auf dem Nacken des Hilfssheriffs lag.

Banding, der total überrascht war, wollte nach seiner Waffe greifen, doch er ließ es sein, als der Butler ihm mit der Spitze seines Schirms gegen die Magenpartie piekte. Der konzentrierte Schmerz war derart Unangenehm, daß Banding nach Luft schnappte und lustlos wurde.

Innerhalb einiger Sekunden hatte das Blatt sich gewendet.

Rander und Parker, deren Hälse eben noch in der Schlinge steckten, waren frei.

Banding, Folders und Noldans hingegen fühlten sich in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt, zumal sie in Parkers Hand eine Dienstwaffe entdeckten.

»Ich bitte höflichst, sich zu bedienen«, sagte Parker und deutete auf die Whiskyflasche, die jetzt einladend auf Bandings Schreibtisch stand.

Der Sheriff und seine beiden Mitarbeiter wollten zuerst nicht so recht. Trinken im Dienst, das schien ihnen gegen den sprichwörtlichen Strich zu gehen. Es war vor allen Dingen Folders, der Parkers Worten noch nicht so ganz zu folgen vermochte, da er noch immer unter Luftschwierigkeiten litt.

Die Trinkorgie begann mit Sheriff Banding, der wohl etwas in Parkers Augen entdeckt hatte, was ihm empfahl, nach der Flasche zu greifen.

Er nahm einen kräftigen Schluck, um den Whisky dann an Noldans weiterzureichen. Dann war Banding wieder an der Reihe und dann – griff Folders nach der Flasche. Er hatte wieder Luft und verspürte Durst.

Rander und Parker sahen interessiert zu, wie die drei Hüter des Gesetzes sich langsam vollaufen ließen. Sie brauchten nämlich nicht mehr ermuntert zu werden. Nachdem ihre Hemmungen erst mal durchbrochen waren, schaukelten sie sich gegenseitig im Konsum der alkoholischen Flüssigkeit hoch und leerten die Flasche.

Anschließend begannen sie Lieder zu singen. Zuerst heitere, dann etwas angeschmutzte. Sie faßten sich an den Händen und tanzten eine Art Ringelreigen, gegen den Rander und Parker nichts einzuwenden hatten.

Um die erstaunlichen Tanzbegabungen der drei Gesetzeshüter einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ließ Josuah Parker dann schließlich die Rollos hochschnellen.

Die Neugierigen, deren Zahl noch erheblich angewachsen war, quetschten ihre Nasen an den Fensterscheiben platt und ermunterten Banding, Folders und Noldans durch entsprechende Zurufe, Soloeinlagen zu zeigen.

Was Banding nicht so recht gelang.

Als er auf der Spitze tanzen wollte, verlor er das Gleichgewicht, krachte gegen einen Aktenbock und ging zusammen mit ihm zu Boden.

Seme beiden Mitarbeiter Folders und Noldans waren da erheblich besser und geschickter.

Sie zelebrierten einen Pas de Deux, der opernreif war und irgendwie an Tschaikowskys Ballett Schwanensee erinnerte.

Sie erhielten daraufhin ungeteilten Beifall.

*

In einer Seitenstraße, die vom Marktplatz zu erreichen war, befand sich der Eisenwarenladen des Mr. Roy Jenkins. Sein Geschäft macht einen verwahrlosten Eindruck. Die beiden Schaufenster rechts und links vom Eingang schrien förmlich nach Wasser und einem Wischleder.

Parker und sein junger Herr betraten dieses Geschäft und schraken bei dem Gebimmel einer wahrscheinlich angerosteten Ladenglocke zusammen. Anschließend sahen sie sich interessiert um.

Auf einfachen und roh zusammengeschlagenen Wandregalen befanden sich Waren aller Art: von der Mausefalle über Werkzeuge bis hin zu einfachem Geschirr aus Steingut. Alles machte auch hier einen kräftig verstaubten Eindruck. Die Geschäfte des Mr. Roy Jenkins konnten nicht gerade glänzend gehen.

»Ja …!?« erkundigte sich eine erstaunt-gedehnte Stimme, die einem Mann gehörte. Anschließend ließ der Besitzer dieser Stimme sich auch sehen. Er kam hinter einem Thekenaufsatz herum, in dem Pfannen und Töpfe gelagert waren.

»Mister Roy Jenkins?« fragte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone.

»Ich bin Roy Jenkins«, bestätigte der hagere, dürre Mann, der nicht gerade gepflegt aussah. Er trug eine zerbeulte Hose, die von ausgefransten Hosenträgern festgehalten würde. Diese Hosenträger lagen auf einem karierten Baumwollhemd, das die Waschmaschine wahrscheinlich schon seit etlichen Wochen nicht mehr gesehen hatte. Jenkins trug eine Nickelbrille, die er jetzt abnahm.

Er machte insgesamt einen schlauen, gerissenen Eindruck, der aber von Müdigkeit und Resignation bereits kräftig überlagert wurde. Um seine Mundwinkel hatten sich tiefe Falten eingegraben.

»Ich bin Mike Rander«, stellte der Anwalt sich vor. »Das hier ist mein Butler.«

»Parker mein Name, Josuah Parker.«

»Was kann ich Ihnen verkaufen?« fragte Jenkins hoffnungsvoll.

»Informationen«, sagte Parker und kam somit sofort zum Kern der Sache.

»Informationen?« Jenkins Augen wurden schmal.

»Informationen«, wiederholte der Butler, »Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit hatten das etwas zweifelhafte Vergnügen, einen Bewohner dieser kleinen Stadt kennenzulernen, der über bestimmte Kenntnisse verfügt, die Mister Malone und Sie betreffen.«

»Malone!?« Die Augen wurden noch schmaler.

»Mister John Malone«, wiederholte Parker erneut, während Mike Rander langsam und scheinbar desinteressiert durch den kleinen Laden wanderte.

»Was ist mit ihm?« wollte Jenkins wissen.

»Nach unserer Kenntnis scheinen Sie im Hause Malone zu verkehren«, redete der Butler weiter, »wenigstens hat es diesen Anschein.«

»Ich soll bei Malone verkehren?« wunderte sich Jenkins sehr gespielt und schüttelte den Kopf, »wer hat Ihnen denn das auf die Nase gebunden? Malone ist Millionär! Und ich bin nur ein armer Schlucker.«

»Demnach scheint man Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit falsch unterrichtet zu haben.«

»Bestimmt.«

»Sie wundern sich nicht, warum wir Fragen stellen?« schaltete sich Mike Rander ein.

»Ich wundere mich über nichts mehr«, gab Jenkins zurück.

»Oder haben Sie einfach Angst?« fragte Rander mitfühlend.

»Wovor soll ich schon Angst haben?« meinte Jenkins wegwerfend. Er wollte noch etwas sagen, als sich die Tür zum Flur öffnete. Sie flog auf, dann kam erst mal nichts, dann jedoch ein chromblitzender Rollstuhl neuester Bauart in dem ein Junge von etwa fünfzehn Jahren saß.

»Daddy«, rief der Junge, »ich fahr mal … Hallo, Besuch?«

»Mein Junge – Neal …«, stellte Jenkins vor.

Neal nickte Rander und Parker zu, wendete etwas unbeholfen den Wagen und fuhr dann zurück in den Flur. Dabei schrammte er gegen die Türfüllung.

»Wir wollen nicht länger stören«, sagte Rander.

»Ich erlaube mir, auch im Namen von Mister Rander einen guten Tag zu wünschen«, verabschiedete sich Parker und lüftete seine schwarze Melone.

*

Als Parker und Rander zurück zum hochbeinigen Wagen des Butler gekommen waren, stießen sie auf einen Mann, den der Butler bereits kannte. Es handelte sich um den Stämmigen, der zusammen mit Linton den Landstreicher Shrimp gehetzt hatte. Mike Crampel erinnerte sich natürlich ebenfalls und maß den Butler mit dolchbewehrten Blicken. Er unternahm jedoch nichts, sondern blieb neben dem Jeep stehen, der vor dem Büro des Sheriffs stand.

Er stand dort nicht allein.

Es gab nach wie vor Neugierige, die das Office belagerten. Wahrscheinlich warteten die Zuschauer auf die Fortsetzung der Tanzdarbietungen. Woran aber im Augenblick zu zweifeln war, denn aus dem Büro drang die Stimme von John Malone nach draußen. Er unterhielt sich lautstark mit den Tanzsolisten, von denen nichts zu hören war.

Als Parker zur Tür des Office ging, verstellte Crampel, der Leibwächter von Malone, ihm den Weg. Doch nur für Sekunden, denn als er Parkers Augen sah, zog er den Kopf ein und schob sich zur Seite. Worauf Parker als höflicher Mensch seine Melone lüftete.

Rander gab seinem Butler eine mögliche Rückendeckung und blieb vor dem Büro. Er ließ Mike Crampel nicht aus den Augen. In dieser Stadt mußte man mit Überraschungen rechnen.

Malone hörte nicht, daß sich hinter ihm die Tür öffnete. Und wenn er es gehört hatte, dachte er wohl, Crampel sei hereingekommen. John Malone, der Mann, der wie der Heldenvater einer Fernseh-Western-Serie aussah, hatte sich vor Banding aufgebaut, der erschöpft und total betrunken in einem Sessel hing.

»So was hab ich nun zum Sheriff gemacht«, schnautzte Malone, dessen Stimme jetzt verhaltener und leiser klang, »läßt sich von zwei Stadttypen total aufs Kreuz legen.«

Banding versuchte sich aufzurichten, doch der Alkohol in seinem Blut spielte nicht mit und war dagegen.

»War ’ne Panne, Boß«, murmelte er stockend, »war aber Widerstand gegen die Staatsgewalt …«

»So was sagt ein Besoffener«, meinte Malone verächtlich, »wie wollen Sie in dem Zustand etwas beweisen, he? Ich werde Sie aus der Stadt jagen, Banding!«

»Nicht mit mir!« reagierte Banding und wurde etwas lauter, »noch habe ich die Trümpfe in der Hand. Denken Sie daran, Boß … Nicht mit mir …!«

»Abwarten«, sagte Malone gereizt und drehte sich um. Als er Parker erkannte, nahm sein Gesicht eine dunkelrote Farbe an. Er sog scharf die Luft ein und kam mit schweren, stampfenden Schritten auf den Butler zu.

»Einen wunderschönen Tag erlaube ich mir zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Darf ich übrigens beiläufig und warnend feststellen, daß Ihre Gesichtsfarbe Anzeichen dafür liefert, daß Sie wahrscheinlich erhöhten Blutdruck haben?«

John Malone ballte die Fäuste und hob sie auch bis in Hüfthöhe, doch erstaunlicherweise schlug er nicht zu, was eigentlich zu ihm gepaßt hätte. Er ließ die Fäuste wieder tief sinken.

»Alkohol …!?«, wunderte sich Parker laut und deutete dann diskret auf Banding, der sich erheben wollte, aber wieder zurück in seinen Sesel sackte und dazu wenig fein rülpste.

»Auch die beiden Hilfssheriffs?« wunderte sich Parker und deutete auf Noldans und Folders, die, vom Pas de Deux erschöpft, auf dem Fußboden lagen und schnarchten.

»Wer das hier inszeniert hat, weiß ich verdammt genau«, sagte John Malone und atmete schwer.

»Teufel Alkohol«, stellte Parker fest, »man riecht es deutlich, wenn ich mich derart vulgär ausdrücken darf.«

»Sie wissen genau, wen ich meine«, schnauzte Malone, »aber Sie werden sich das Genick noch brechen, Parker. Mein Wort darauf! In dieser Stadt bin ich der Boß, haben Sie kapiert?«

»Irgendwann, Mister Malone, erschöpft sich auch die Kaufkraft gewisser Gelder«, erwiderte der Butler höflich, »ich bin sicher, Ihnen das beweisen zu können.«

»Wir werden ja sehen!« Malone rang sich ein spöttisches Lächeln ab.

»Irgendwann, Mister Malone, hört jede Korruption auf«, meinte der Butler kühl, »wahrscheinlich warten die Bewohner dieser kleinen Stadt nur darauf, sich von ihnen befreien zu können. Was in meinen bescheidenen Kräften steht, soll dazu geschehen!«

*

Mike Rander stand am Fenster seines Hotelzimmers und sah durch das Fernglas nach draußen. Es war ein glücklicher Zufall, daß man vom Fenster aus in das erste Drittel jener kleinen Querstraße sehen konnte, in der sich Mr. Jenkins’ Geschäft befand.

»Genieren Sie sich nicht, Parker«, sagte Rander, »ich weiß doch, daß Sie Ihre Theorie loswerden wollen.«

»Sie bewegt sich in sehr einfachen Bahnen«, antwortete der Butler, der Randers Rock ausbürstete. »Mister Malone ist bis zum jetzigen Zeitpunkt der Boß dieser Stadt, wie die Bevölkerung es ausdrückt. Er scheint mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Sheriff Banding gekauft und lanciert zu haben. Mister Malone erwarb und erwirbt laut Mister Ritchel ein Grundstück nach dem anderen, um hier später ein modernes Ferienzentrum zu errichten.«

»Wogegen erst mal nichts einzuwenden ist, Parker.«

»In der Tat, Sir«, räumte Parker ein, »wenn man allerdings an die Methoden dieses Großeinkaufs denkt, wird dieser Massenerwerb sehr bedenklich. Mister Malone setzt die jeweiligen Besitzer der Grundstücke unter Druck und zwingt sie, zu Preisen zu verkaufen, die man nur als erbärmlich bezeichnen kann.«

»Weiter, Parker, das ist die Vorgeschichte!« Rander setzte für einen Moment das Glas ab und drehte sich zu seinem Butler um.

»Wenn Mister Ritchel uns nicht zu einem Besuch eingeladen hätte, Sir, könnte Mister Malone ungestraft weitermachen.«

»Richtig, Parker! Die Schwierigkeit ist nur, Malone das alles nachzuweisen. Wer wird schon den Mut haben, gegen ihn auszusagen? Da ist erst mal die Angst vor Banding, dann aber vor Malone und dessen Schlägern.«

»Mister Ritchel.«

»Wird allein nicht reichen …« Rander drehte sich um und beobachtete wieder durch das Fernglas die Quergasse.

»Man sollte nicht übersehen, daß Mister Malone bereits einige Niederlagen einstecken mußte«, redete der Butler weiter. »Dies wird ihn mit Sicherheit nervös machen. Diese Nervosität könnte man vielleicht noch etwas steigern.«

»Dagegen habe ich in diesem Fall nichts einzuwenden. Sagten Sie nicht, daß Lächerlichkeit tötet?«

»Dies gehört zu meinen bescheidenen Maximen, Sir.«

»Dann halten Sie sich daran, Parker! Glauben Sie wirklich, daß unser Besuch bei Jenkins bemerkt worden ist?«

»Mit letzter Sicherheit, Sir!«

»Haben Sie den nagelneuen Rollstuhl dieses Jungen bemerkt?«

»Gewiß, Sir. Und ebenfalls die Tatsache, daß dieser Junge den Rollstuhl noch nicht lange besitzt.«

»Wieso?«

»Die Handhabung dieses Rollstuhls bereitete ihm erhebliche Schwierigkeiten, Sir. Er kam mit dem Türrahmen in Konflikt.«

»Sie wollen doch sagen, daß Sie sich wundern, woher Jenkins das Geld für diesen teuren Rollstuhl hat, nicht wahr?«

»Ich denke da an Miß Judy Malone. Und an die Geschichte, die Mister Shrimp zu erzählen beliebte.«

»Irgendeine Erpressung?«

»Daran, Sir, glaube ich auf keinen Fall. Einen Mister Malone kann man wohl nicht erpressen, falls man sich eines längeren Lebens erfreuen möchte.«

»Also?« Rander wandte sich wieder seinem Butler zu.

»Man sollte vielleicht eruieren, Sir, warum und seit wann Mister Jenkins’ Sohn in einem Rollstuhl sitzen muß«, erklärte der Butler.

Statt zu antworten, legte Rander das Fernglas aus der Hand und nickte seinem Butler zu. Parker schien darauf nur gewartet zu haben. Er nahm Melone und Regenschirm und schloß sich seinem jungen Herrn an, der das Hotelzimmer sehr schnell verließ.

*

Diesmal verzichteten Rander und Parker darauf, den Laden zu betreten.

Sie gingen um das zweistöckige Holzhaus herum und erreichten den Hinterhof.

Neal, der Junge im Rollstuhl, verschwand gerade in einem verwilderten Garten. Wiederum war deutlich zu erkennen, daß ihm die Handhabung des modernen Rollstuhls schwerfiel. Er schien ihn noch nicht lange zu haben.

Rander und Parker gingen durch bis zur hinteren Porch des Hauses, erreichten die beiden schmalen Fenster des Eisenwarengeschäfts und – hörten Stimmen.

Sie genierten sich nicht, schweigend zuzuhören. Denn was sie hörten, was sie mitbekamen, war mehr als interessant. Sie unterschieden die Stimmen von Jenkins und von Linton.

»… hätte ich sie rauschmeißen sollen, Linton?« fragte Jenkins gerade nervös, »ich habe ja kaum gewußt, wer sie waren.«

»Was wollten Sie von dir, Jenkins?«

»Nichts. Sie sahen sich um und kauften dann ein paar Schachteln Nägel und Heftzwecken.«

»Sonst ist nichts passiert? Sie haben keine Fragen gestellt?«

»Nein, nichts! Ehrenwort!«

»Nun höre mal genau zu, Jenkins«, erwiderte Linton jetzt langsam und eindringlich, »möglich, daß sie zurückkommen werden. Halte nach wie vor den Mund! Gehe auf Null!«

»Natürlich – natürlich«, versicherte Jenkins schnell, »aber ich frage mich die ganze Zeit, was die nur gewollt haben können.«

»Ist nicht dein Bier, klar.«

Die Stimmen verloren sich in der Tiefe des Ladens. Rander und Parker verließen leise die Porch und trafen beim Weggehen auf den Jungen, der gerade wieder aus dem verwilderten Garten zurückrollte.

Er sah Rander und Parker schweigend, aber prüfend an.

»Guten Tag«, wünschte Parker freundlich.

»Sie haben gelauscht, nicht wahr?« erkundigte sich Neal.

»In der Tat«, gab der Butler sofort zu, »und ich muß einräumen, daß dies nicht besonders taktvoll ist.«

»Warum haben Sie das getan?«

»Um deinen Vater zu beschützen«, erwiderte Parker sehr offen. Er nahm den Jungen für voll und dachte nicht im Traum daran, ihn wie ein kleines Kind zu behandeln.

»Vor Malone?« fragte Neal auch prompt.

»Richtig, vor Mister John Malone«, bestätigte Parker.

»Sind Sie Detektive?«

»Im übertragenen Sinn kann man Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit durchaus so bezeichnen«, antwortete Parker freundlich.

»Sie wollen Malone aufs Kreuz legen?«

»Auch dies trifft in etwa zu«, sagte Parker.

»Dann müssen Sie aber sehr auf Draht sein«, stellte Neal Jenkins sachlich fest, »Sie kennen ihn nicht.«

»Irgendwann lernt man sich immer kennen. Hattest du einen Unfall?«

»Weil ich im Rollstuhl sitze?«

»In der Tat, Neal.«

»Ich bin angefahren worden«, erklärte Neal, »es war schon dunkel. Seitdem sind meine Beine gelähmt.«

»Wann ist das passiert, wenn ich fragen darf?«

»Vor anderthalb Jahren.«

»Und wer war der Fahrer des betreffenden Wagens?«

»Keine Ahnung! Das ist niemals ’rausgekommen. Fahrerflucht!«

»Dein Rollstuhl sieht sehr neu aus, Neal.«

»Ist auch neu. Den habe ich vor ein paar Wochen bekommen.«

»Wir werden uns bestimmt noch sehen, Neal«, versprach Parker, »übrigens, kennst du Miß Judy Malone?«

Neal Jenkins nickte. In seinen Augen war plötzlich ein freundlicher Schein festzustellen. Dann nahm er den Kopf zur Seite und rollte los. Was wohl, wie Parker schnell feststellte, mit seinem Vater zusammenhing, der auf der Porch erschienen war.

Jenkins passierte seinen Jungen und kam direkt auf Rander und Parker zu.

»Lassen Sie Neal in Ruhe«, sagte Jenkins scharf und aufgeregt. Auf seinen hageren Wangen hatten sich bereits kleine, rote Flecke gebildet. »Der Junge hat es schwer genug. Was wollten Sie von ihm?«

»Wir unterhielten uns über seinen bedauerlichen Unfall«, erwiderte Parker gemessen, »der Fahrer scheint seinerzeit Fahrerflucht begangen zu haben, nicht wahr?«

»Was geht Sie das an, he?«

»Allgemeines, menschliches Interesse, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Wir brauchen kein Mitleid«, sagte Roy Jenkins aufgebracht und scharf. »Scheren Sie sich zum Teufel, oder ich werde den Sheriff auf Sie hetzen!«

*

Sheriff Banding hatte schreckliche Kopfschmerzen.

Er hing in seinem Sessel und starrte trübselig vor sich hin. Er hatte die Drohung Malones noch in den Ohren. Voller Wut dachte er an den Mann, dem Lemmon Bay gehörte. Und voller Wut dachte er auch an zwei Männer, die Rander und Parker hießen. Seit deren Auftauchen hier in Lemmon Bay hatten die Schwierigkeiten sich gehäuft.

Er sah träge hoch, als die Tür zu seinem Office geöffnet wurde.

Eine Frau von etwa vierzig Jahren trat ein, untersetzt, schwammig und aufgetakelt. Sie war viel zu grell geschminkt und wirkte ordinär.

»Hallo, Sheriff«, sagte sie, »ich sollte kommen. Haben Sie die beiden Strolche erwischt, die meinen Jungen fast überfahren hätten?«

»Scheren Sie sich zum Teufel«, schnarrte Banding böse, »die Vorstellung fällt aus.«

»Was soll das heißen?« Ihre Stimme klang grell, »ist mein Jerry nun fast angefahren worden oder nicht?«

»Nein! Es war ein Irrtum.«

»Aber ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«

»Hau ab, Rosy«, sagte Banding gereizt, »ich sagte schon, die Vorstellung fällt aus!«

»Und wie sieht’s mit meinem Schmerzensgeld aus?«

»Gestrichen! Verschwinde endlich, oder willst du wegen Diebstahl eingesperrt werden?«

»Moment mal, Sheriff! Mit mir aber nicht! Ich sollte hierher kommen und gegen diese beiden Strolche aussagen. Dafür sollte ich Schmerzensgeld bekommen. Und die Moneten will ich jetzt sehen!«

»Hau ab!«

»Die hätten meinen kleinen Jerry um ein Haar überfahren.«

»Verschwinde, bevor ich restlos sauer werde! Hier!« Banding griff in seine Tasche und warf ihr eine Münze zu, »hier, sauf dich voll!«

Sie fing das Geldstück geschickt auf, ließ es dann aber zu Boden fallen, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Office. Banding starrte ihr nach, schloß die Augen und gab sich seinem Kopfschmerz hin.

*

»Missis Hynes?« erkundigte sich Parker, als sie auf das schäbige, kleine Haus zuging, das einen verfallenen Eindruck machte.

»Ja …?« Sie lächelte kokett und wirkte dadurch noch ordinärer.

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »Sie kennen meine bescheidene Wenigkeit?«

»Noch nie gesehen!« sagte Mrs. Hynes und lächelte einladend, »woher kennen Sie mich?«

»Ich war so frei, mich nach Ihnen zu erkundigen.«

»Warum? Sie sind aber bestimmt nicht aus Lemmon Bay, oder?«

»Auf der Durchreise«, erklärte der Butler, »wie ich erfahren haben, Missis Hynes, soll ich Ihren Jungen um ein Haar angefahren haben.«

»Sie sind das?« Sie hatte plötzlich schmale, gierige Katzenaugen.

»Ich soll es gewesen sein«, verbesserte Parker höflich, »aber sollte man sich über diese Einzelheiten nicht im Haus unterhalten? Falls ich Ihnen Schlimmes getan haben sollte, bin ich selbstverständlich bereit, einen gewissen Schadenersatz zu leisten.«

»Kommen Sie rein in die gute Stube«, lud sie den Butler ein, »ich habe zwar noch nicht aufgeräumt, aber das wird Sie ja kaum stören.«

Mrs. Hynes hatte stark untertrieben. Sie schien nicht nur seit einigen Wochen nicht mehr aufgeräumt zu haben, sondern ihre kleine Zweizimmerwohnung glich einem einzigen Chaos. Es roch nach abgestandenem Bier und saurem Essen.

»Sie wollen also was ausspucken?« fragte sie, sobald sie in ihrer Wohnung waren.

»Innerhalb einer gewissen Grenze«, schränkte der Butler ein. »Darf ich in Erfahrung bringen, wann und wo dieser Zwischenfall um ein Haar passierte?«

Sie erzählte ihm eine lange, völlig zusammenhanglose Geschichte. Sie verhedderte sich immer wieder und ließ schon nach knapp zwei, drei Minuten erkennen, daß sie log. Und das noch nicht mal geschickt.

»Darf ich das bedauernswerte Kind mal sehen?« fragte Parker, als Mrs. Hynes geendet hatte.

»Jerry!?«

»Gewiß«, sagte Parker, »ich habe dem Kleinen ein Spielzeug mitgebracht.«

Mrs. Hynes rief nach dem Kind. Sie schrie sich Sekunden später fast die Kehle heiser, aber der kleine Jerry war nicht aufzutreiben.

»Der hat sich wohl aus Angst versteckt«, sagte Mrs. Hynes, die besorgte Mutter, »können Sie sich ja vorstellen … Der Schock und so … Wieviel wollen Sie ausspucken?«

»Woran haben Sie denn gedacht?«

»Fünfzig Dollar …«

»Fünfundzwanzig«, korrigierte der Butler, »mehr hätten Sie von Mister Banding sicher nicht erhalten, oder?«

»Der wollte nur mit zwanzig Mäusen ’rausrücken«, sagte sie völlig arglos. Sie merkte überhaupt nicht, wie sehr sie sich verplappert hatte. Sie kassierte das Geld und brachte ihn bis zur Tür. Parker stellte inzwischen das Miniatur-Tonband ab, das sich in seiner Rocktasche befand. Er hatte den Beweis, den er dringend brauchte, falls Banding und Malone diese Unterstellung weiter ausbauen würden.

*

Es handelte sich um einen Landsitz, der sich wirklich sehen lassen konnte.

Malones Haus, im neo-spanischen Stil erbaut und zweistöckig, lag am Strand südlich von Lemmon Bay, inmitten einer weiten, gepflegten Parkanlage, die von einer fast übermannshohen Mauer umgeben wurde. Zum Strand war das Grundstück weit geöffnet.

Parker gab sich zu erkennen, worauf es auf der Gegenseite für lange Sekunden still wurde.

»Mister Malone erwartet Sie«, hörte er endlich. Das Tor öffnete sich elektrisch, und Parker rollte in seinem hochbeinigen Monstrum bis knapp vor das Haus.

Als er hielt, erschien die ihm bereits bekannte Hundemeute auf der Bildfläche und schwärmte hechelnd aus. Die Bluthunde machten einen sehr scharfen Eindruck und ließen den Butler nicht aus den Augen, als er dennoch ausstieg.

In der Haustür erschien Malone.

»Zurück in den Wagen!« schrie er besorgt, »die Hunde werden Sie zerfetzen.«

Parker schien überhaupt nichts gehört zu haben. Er trat ins Freie und schlug die Wagentür hinter sich zu, worauf die Bluthunde sich wie besessen auf ihn stürzten.

Um ihn dann allerdings fast schwärmerisch zu umspielen. Sie schienen sich in den Butler vernarrt zu haben. Sie sprangen jaulend und spielerisch an ihm hoch, umschwärmten ihn und folgten ihm wie die sagenhaften Raten dem Flötenspieler.

Malone war nicht nur beeindruckt, er war außer sich. Er starrte auf die Szene, schluckte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Wie machen Sie das?« fragte er, als Parker ihn erreicht hatte. Die Bluthunde ignorierten ihren Herrn und Meister und befaßten sich ausschließlich mit dem Butler, der sich niederbeugte und die lieben Tiere streichelte und beklopfte.

»Ein relativ einfacher Vorgang«, erklärte der Butler, »in meinem bescheidenen Gepäck befindet sich stets ein Hormon, auf das männliche Hunde verständlicherweise erfreut reagieren. Es stammt von Hündinnen und kann in Sprayform auf die jeweilige Kleidung aufgetragen werden. Ich möchte allerdings nicht verhehlen, daß dieser Hormon-Spray im normalen Handel noch nicht zu beziehen ist!«

John Malone räusperte sich betreten und warf seinen Bluthunden einen drohenden Blick zu, um den die Tiere sich allerdings nicht sonderlich scherten.

»Kommen Sie ins Haus«, sagte er dann zu Parker, »ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Auf den ich, offen gestanden, bereits warte«, erwiderte der Butler und hatte Mühe, die Bluthunde vor der Tür zu lassen.

*

»Ich gebe zu, Sie und Mister Rander völlig unterschätzt zu haben«, gestand Malone, als sie in seinem Arbeitszimmer waren, das im englischen Clubstil eingerichtet war, »ich gebe auch zu, daß Sie mich bisher auf der ganzen Linie hereingelegt haben.«

»Ein offenes Wort, Mister Malone.«

»Ich ziehe meine Konsequenzen daraus«, redete Malone weiter, »ich möchte Sie kaufen. Äh, ich meine natürlich, ich möchte Sie an mich binden – engagieren!«

»Sie fragen nicht, für wen Mister Rander und meine bescheidene Person arbeiten?«

»Ich werde in jedem Fall mehr zahlen!«

»Sie reden sehr unverblühmt, Mister Malone.«

»Ich bin für den direkten Weg. Und ich halte Sie für intelligent genug, mitzuziehen.«

»Welcher Aufgabenbereich würde Mister Rander und meine bescheidene Person erwarten?«

»Sie könnten den Ankauf dieses Küstenstreifens übernehmen. Und dann später die Verkaufsverhandlungen.«

»Sie würden, wenn ich Sie recht verstanden habe, Mister Rander und meine Wenigkeit einen langfristigen Vertrag anbieten?«

»Natürlich.«

»Die Besitzer gewisser Grundstücke werden Schwierigkeiten machen.«

»Sie müssen Sie eben aus dem Weg räumen, Mister Parker! Wie, das ist Ihre Sache. Um Details kümmere ich mich nicht.«

»Wie haben Sie das bisher handhaben lassen, Mister Malone?«

»Ich sagte Ihnen schon, daß ich mich um Einzelheiten nie kümmere. Mich interessieren nur Resultate. Und das hat sich bisher ausgezahlt. Bis auf ein paar Schlüsselgrundstücke habe ich diesen Küstenstreifen fest in der Hand. Und den Rest müssen Sie mir besorgen!«

»Angenommen, Mister Malone, es existieren da einige Besitzer von Grundstücken, die partout nicht verkaufen wollen. Könnte man in solchen Fällen nicht Sheriff Banding einschalten?«

»Einzelheiten interessieren mich gar nicht.« Malone lächelte zurückhaltend. »Ich halte Sie für clever genug, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.«

»Darf ich Ihnen etwas sagen?«

»Natürlich.«

»Sie sind mir herzlich widerlich«, stellte der Butler fest.

»Soll das ein Kompliment sein?« Malone lächelte nicht mehr.

»Eine Feststellung«, erwiderte der Butler. »Leuten wie Ihnen muß man so schnell wie möglich das Handwerk legen! Sie sind das, was ich Gangster im Frack zu nennen beliebe. Sie selbst bemühen sich um eine relativ weiße Weste, aber Ihre Kreaturen bekommen von Ihnen jede Hilfestellung, um mit ungesetzlichen Mitteln arbeiten zu können.«

»Damit dürfte die Unterhaltung wohl beendet sein, Parker.«

»Sie war es im Grunde schon, bevor sie begann, Mister Malone.«

»Wenn Sie glauben, daß ich jetzt drohe, sind Sie auf dem Holzweg.« Malone grinste. »Ich kann mir vorstellen, daß Sie mit allen Tricks arbeiten. Ich wünsche Ihnen nur noch einen weiteren, netten Aufenthalt in Lemmon Bay.«

*

Als Parker zurück in seinen Wägen stieg, entdeckte er auf dem Fahrersitz einen schmalen, weißen Zettel, den er geschickt und unauffällig in seiner Tasche verschwinden ließ. Er brachte den Motor in Gang und stieß derart zurück, daß der Auspuff genau auf Malone zeigte, der auf der unteren Treppenstufe stand und ihm ironisch zuwinkte.

Malone hatte sich keine Blöße gegeben. Er hatte sehr schnell gewisse Lektionen gelernt und wußte wohl inzwischen, wie gefährlich ein Josuah Parker war.

Parker beantwortete den ironischen Gruß Malones auf seine Weise, die gewiß nicht gerade vornehm war.

Er legte einen Kipphebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett um und gab Gas.

Worauf aus dem Auspuff eine pechschwarze, ölige Rußwolke quoll, die mit Preßluft angetrieben zu sein schien. Sie explodierte genau vor Malone, der in Sekundenbruchteilen völlig eingenebelt wurde. Als die Wolke sich verzog, hatte Malone sich in einen Schwarzen verwandelt.

»Ich bitte um Entschuldigung«, rief der Butler Malone zu, »mit dem Auspuffsystem meines Wagens scheint etwas nicht in Ordnung zu sein!«

Malone suchte nach passenden Worten, die er wegen seiner verständlichen Erregung jedoch nicht fand. Sich die Augen reibend, zog er sich schleunigst in sein Haus zurück, während Parker anfuhr und Richtung auf das Tor nahm.

Unterwegs holte er den kleinen Zettel aus der Rocktasche und überlas die wenigen Zeilen.

Miß Judy Malone bat ihn um eine Unterredung und schlug dem Butler den späten Nachmittag vor. Uhrzeit und Treffpunkt waren auf dem Zettel genau angegeben.

Josuah Parker beschloß, diesen Termin wahrzunehmen.

*

»Um achtzehn Uhr, draußen in den Stranddünen«, wiederholte Mike Rander, nachdem auch er den Zettel gelesen hatte, »eine Falle – oder?«

»An solch eine Möglichkeit, Sir, sollte man unter allen Umständen denken«, antwortete der Butler, »dieser Zettel braucht nicht unbedingt von Miß Malone geschrieben worden zu sein.«

»Aber wie ich Sie kenne, werden Sie auf jeden Fall hingehen, nicht wahr?«

»In der Tat, Sir!«

»Treffen Sie Ihre Vorbereitungen«, gab Rander lächelnd zurück, »ich werde zusätzlich in der Nähe bleiben. Aber kommen wir zu meinen Ermittlungen!«

Rander und Parker befanden sich im Hotelzimmer des Butler und tauschten ihre Nachrichten aus. Sie unterhielten sich leise miteinander, denn es war zu vermuten, daß man sie belauschte.

Es war gerade Parker, der sich dieses Eindrucks einfach nicht erwehren konnte. Sein Gefühl sagte ihm laut und deutlich, daß die Gegenseite nach Informationen hungerte.

Während Rander redete, legte der Butler seinen Zeigefinger warnend vor die Lippen, stand auf und ging leise aus jener Richtung, die man vom Schlüsselloch aus vielleicht einsehen konnte.

Rander verstand sofort und redete belanglos weiter. Er kam nicht zur Sache, machte es jedoch sehr spannend. Falls irgendein Lauscher vor der Tür stand, dann mußte er den Eindruck gewinnen, daß es nur noch Sekunden dauerte, bis Rander endlich zum Kern der Sache vordrang.

Parker war im angrenzenden Zimmer seines jungen Herrn verschwunden und öffnete hier sehr vorsichtig die Tür zum Korridor.

Seine innere Stimme hatte wirklich nicht umsonst Alarm geschlagen. Vor Parkers Zimmertür stand Linton, der sich gerade zum Schlüsselloch hinunterbeugte.

*

Linton hatte bisher nichts verstanden, hörte aber Randers Stimme. Er wartete darauf, daß der Anwalt endlich zur Sache kam. Er schien eine wichtige Entdeckung gemacht zu haben, für die Malone sich bestimmt interessierte.

Linton schaute durch das Schlüsselloch und sah den Anwalt, der gerade aufstand und zum geöffneten Balkonfenster ging. Dann drehte er sich wahrscheinlich zu Parker um und sagte leise, er solle doch mal schnell an die Balkontür kommen.

Lintons Aufmerksamkeit schärfte sich zusätzlich. Er preßte sein Auge noch fester gegen das Schlüsselloch. Entdeckung brauchte er nicht zu fürchten. Unten in der kleinen Hotelhalle wußte man, daß er hier oben war. Sollte irgendein Gast heraufkommen, würde unten die Tischglocke ertönen.

Rander – Linton sah es wirklich sehr deutlich – wies mit dem ausgestreckten Arm hinunter in den Hof.

Dann sah Linton allerdings nichts mehr.

Er zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als sein Auge plötzlich von einem dicken Schwall Rasierschaum getroffen wurde, der aus einer Spraydose kam.

Linton war prompt auf einem Auge blind, wenigstens zeitweise. Er stöhnte, schnellte hoch und wischte den sahnigen Schaum aus dem linken Auge. Womit er die Rasierseife nur noch tiefer ins Auge rieb.

Die gereizten Schleimhäute brannten wie Feuer. Linton tanzte diskret auf einem Bein und verwünschte den Butler, der ihm diesen Streich gespielt hatte. Daß es Parker gewesen war, war für ihn so sicher wie das Amen in der Kirche.

*

Parker kam von der Tür zurück.

»Geklappt?« erkundigte sich Rander lächelnd.

»Es handelt sich um das, was der Volksmund einen Volltreffer nennen würde«, gab der Butler zurück, »ich habe das Schlüsselloch zusätzlich mit Schaum versiegelt. Man dürfte sich jetzt ungesehen und ungestört unterhalten können.«

»Also, meine Ermittlungen«, sagte Rander leise. »Ich habe mich mit diesem Neal Jenkins beschäftigt. Er wurde tatsächlich vor anderthalb Jahren angefahren. Seitdem ist der Junge von der Hüfte abwärts gelähmt.«

»Wie ich vermuten darf, Sir, gibt es Gerüchte, was den Fahrer anbetrifft?«

»Man drückt sich, wenn überhaupt, sehr vorsichtig aus«, berichtete Rander weiter und nickte, »aber alles deutet daraufhin, daß Malone der Täter war.«

»Dies, Sir, überrascht mich. Ich hatte eigentlich mehr an Miß Judy Malone gedacht.«

»Ich selbstverständlich auch, Parker. Weil Jenkins sich heimlich mit Judy Malone trifft. Aber nein, wer Andeutungen machte, sprach von John Malone.«

»Und man hat ihm nie etwas nachweisen können, Sir?«

»Er hat ein erstklassiges Alibi. Und nun raten Sie mal, wer ihm das besorgt hat?«

»Sheriff Banding, Sir?«

»Erraten, Parker! Zur damaligen Tatzeit Wollen Sie außerhalb der Stadt gewesen sein.«

»Und die weiteren Ermittlungen seinerzeit, Sir?«

»wurden dann auch prompt eingestellt.«

»Demnach müßte Sheriff Banding Mister Malone in der Hand haben, Sir.«

»Finde ich auch, Parker. Und Malone diesen Banding. Eine Krähe wird der anderen kein Auge aushacken!«

Parker nickte versonnen und machte sich seine Gedanken. Er witterte Ansatzpunkte, ohne im Moment genau zu wissen, wo er den Hebel betätigen konnte.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als plötzlich hart gegen die Tür geklopft wurde. Sekunden später erschienen Sheriff Banding und seine beiden Mitarbeiter Noldans und Folders auf der Bildfläche.

»Ja?« fragte Rander knapp.

»Ich habe einen Haftbefehl gegen Sie, Mister Rander und gegen Sir, Mister Parker!« Banding präsentierte ein entsprechendes Schriftstück, während Noldans und Folders ihre Hände über den Dienstwaffen schweben ließen. Sie wollten sich wohl nicht noch mal hereinlegen lassen.

*

»Was wirft man uns vor?« erkundigte sich Rander sachlich.

»Fahrerflucht, nachdem Sie um ein Haar ein Kind überfahren haben«, sagte Banding. Dann fügte er privat und gehässig hinzu, »diesmal seid ihr reif, Freunde! Diesmal helfen euch keine Tricks mehr!«

»Sie sprechen doch sicher von Jerry Hynes, nicht wahr?« fragte Parker.

»Genau.«

»Dann dürfte Ihre Anklage auf sehr schwachen Füßen stehen«, redete der Butler gelassen weiter. »Ich war so frei, Mrs. Hynes einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.«

»Sie – sie waren bei …«

»… Mrs. Hynes«, unterbrach und vollendete der Butler. »Eine ungewöhnlich mitteilsame Dame, deren ausgeprägter Sinn für die Währung bemerkenswert ist.«

»Was – was wollen Sie damit sagen?« herrschte Banding den Butler an.

»Im Gegensatz zu Ihnen bot ich immerhin fünfundzwanzig Dollar«, meinte der Butler lakonisch.

»Ähem … Ja, so … Dann will sie also gar keine Klage erheben?«

»Selbst wenn«, meinte Parker, »es existiert da ein Tonband, das sich inzwischen selbstverständlich an einem sicheren Ort befindet. Und es gibt da einen Anwalt, der in gewissen Zeitabständen nach Mister Rander und meiner Wenigkeit fragen wird. Sollte Mister Rander oder meine Person inhaftiert worden sein, wird dieser Anwalt tätig werden. Falls sie es wünschen, diene ich natürlich mit weiteren Einzelheiten, Mister Banding.«

»Hören Sie mal einen Moment sehr gut zu«, schaltete sich Rander ein, während Banding noch an Parkers Worten herumkaute, »ich war mir schon immer klar darüber, daß Beamte und Vertreter des Gesetzes auch nur schwache, normale Menschen sind. Völlig klar! Auch diese Personengruppe ist käuflich, wenn ich an gewisse Einzelexemplare denke. Wäre es anders, müßten diese Menschen ja Übermenschen sein! Was Sie da aber abziehen, Sheriff, ist verbrecherisch! Stop, jetzt rede ich! Sie lassen sich vor den Karren eines Spekulanten spannen und spielen hemmungslos sein Spiel mit. Sie sollten doch wissen, daß Ihre Endstation nur Zuchthaus heißen kann, oder? Haben Sie sich, einschließlich Noldans und Folders, das auch schon mal durch den Kopf gehen lassen?«

»Mister Malone wird sie wie eine heiße Kartoffel fallenlassen, falls es ihm genehm erscheint«, fügte der Butler hinzu, »entschuldigen Sie die vulgäre Umschreibung, aber sie dürfte den Tatbestand sicher treffen.«

»Statt den Gesetzen zum Sieg zu verhelfen, haben Sie sich kaufen lassen«, war nun wieder Mike Rander an der Reihe. »Mein Butler und ich werden das beweisen.«

»Sie sollten prüfen, ob es für Sie noch einen gangbaren Weg zurück gibt«, übernahm nun Parker wieder die Rede, »denken Sie aber bitte nicht daran, Mister Rander oder meine Wenigkeit aus dem Weg schaffen zu wollen. Dazu ist es bereits zu spät.«

»Sie können jetzt gehen«, sagte Rander freundlich, »und seien Sie froh, daß wir Ihnen den Haftbefehl nicht abgenommen haben. Er wäre ein Baustein mehr gegen Sie!«

Banding drehte sich wortlos um und ging mit schweren Schritten aus dem Zimmer. Noldans und Folders folgten zögernd. Sie alle schienen schwer getroffen zu sein.

»Ob es was geholfen hat?« meinte Rander, als er mit Parker wieder allein war.

»Dies, Sir, wage ich nicht zu entscheiden«, sagte der Butler, »man sollte sicherheitshalber mit gewissen Kurzschlußhandlungen rechnen.«

»Finde ich ebenfalls. Ab sofort Großalarm!«

Als sie etwa eine halbe Stunde später das Hotel verließen, fiel dem Butler sofort auf, daß eine gereizte Stimmung in der Luft lag.

Einige Anwohner standen auf dem Marktplatz und starrten Rander und ihn schweigend und irgendwie auch drohend an.

Als Parker anfuhr, wurden die ersten Steine geworfen. Sie prallten zwar wirkungslos vom Kofferraum des Wagens ab, hinterließen bei Rander und Parker aber einen gehörigen Eindruck.

»Irgend etwas braut sich zusammen«, sagte Rander nachdenklich, »da scheint man Stimmung gegen uns gemacht zu haben, Parker.«

»Und zwar, wenn ich es so ausdrücken darf, Sir, aus einem handfesten Motiv heraus«, schloß Parker.

*

Die Stranddünen waren eine schmale Zone vor dem Waldgürtel, der aus hohen, alten Bäumen bestand. Die Dünen waren im Schnitt etwa zwei bis drei Meter hoch, sanft geschwungen und schufen eine ideale Fläche, die hier allerdings nur mit Treibholz bedeckt war.

Mike Crampel und Jess Linton kamen aus der Tiefe des Waldgürtels und pirschten sich vorsichtig an diese Dünen heran. Sie trugen Gewehre mit Zielfernrohren und waren sicher nicht auf dem Plan erschienen, um Wildenten zu schießen.

Ihr Ziel war eine schwarzgekleidete Gestalt, die gerade mit dem Oberkörper aus einem Dünental hervorragte, um dann wieder zu verschwinden.

»Das ist er«, flüsterte Linton zurück und grinste böse. »Gehen wir noch näher ’ran!«

»Klar! Wir brauchen ’nen Blattschuß.«

Sie huschten in schnellen Sprüngen aus dem Waldsaum heraus und erreichten die ersten Dünen. Dann pirschten sie sich weiter an die schwarzgekleidete Gestalt heran, deren Standort nicht mehr zu verfehlen war.

*

Mike Rander saß in einem alten und hohen Baum und bediente fachmännisch die 8-mm-Filmkamera, die er sich von seinem Butler ausgeborgt hatte. Mike Rander nahm in kurzen Takes alle Einzelheiten dieses Anpirschens auf. Er versprach sich davon einen spannenden Streifen, um den ihn jeder Krimi-Regisseur sicher beneidet hätte. Zugegebenermaßen benahmen sich die beiden Leibwächter Malones auch wirklich wie Profis aus der Filmbranche. Sie machten ihre Sache ausgezeichnet und kamen sicher nicht auf die Idee, sie könnten von einer Filmkamera aufgenommen werden.

*

»Da ist er!«

Mike Crampel, der, Mann mit den stämmigen Proportionen, hob langsam sein Gewehr.

Jess Linton tat es ihm nach.

Über den Rand einer Düne hinweg konnten sie den Butler erkennen. Er schien es sich im weißen, körnigen Sand bequem gemacht zu haben. Er saß oder lag. Und was noch wichtiger war, er hatte ihnen den Rücken zugedreht. Eine bessere Zielscheibe hätten sie sich überhaupt nicht wünschen können.

Sie nickten sich zu und nahmen ihre Gewehr in Anschlag. Sie visierten Parker an und entdeckten erst jetzt durch die Optik, daß irgend etwas nicht stimmte.

»Das ist …«

»… ’ne Puppe!« stammelte Linton, damit die Feststellung seines Partners ergänzend.

»Nichts wie weg! ne Falle!« entschied Crampel schnell und hastig. Dann beeilte er sich, zurück in Deckung der Düne zu gelangen. Er fühlte sich plötzlich von vielen noch unsichtbaren Augen beobachtet.

Doch weder Crampel noch Linton kamen weit.

Was mit kleinen Blasrohrpfeilen Zusammenhang, die geräuschlos durch die Luft schwirrten und sich in die diversen Gesäße der beiden potentiellen Mörder bohrten.

Crampel und Linton griffen nach den schmerzenden Stellen in ihren verlängerten Rücken, entdeckten die buntgefiederten Blasrohrpfeile, die an die von Amazonas-Indianern erinnerten, und gerieten in helle Panik.

Sich das Gesäß haltend, preschten sie los, wobei sie ihre Feuerwaffen wegwarfen. Sie rannten sich die Zunge aus dem Hals und strebten dem schützenden Waldsaum zu.

Aber sie kamen nicht weit.

Nach etwa dreißig Meter knickte zuerst Linton ein. Er überkugelte sich und schrammte dann noch etwa anderthalb Meter durch den Sand. Anschließend blieb er regunglos liegen.

Der stämmige Crampel hatte weniger Glück, da seine Füße ihn schon auf festen, grobkörnigen Grund getragen hatten. Auch Crampel ging in die Knie, er vollführte eine Bauchlandung und schrammte etwa einen Meter über den Boden, bis seine Nase als Bremse voll zur Funktion kam, doch der Untergrund war eben kein Sand. Entsprechend sahen Nase und Gesicht aus.

Parker, der bisher nicht zu sehen gewesen war, stieg aus der Sandgrube, die er sich für seine Zwecke in den Dünen angelegt hatte. Er warf die schützende Kunststoffplane ab, die den Sand abgehalten hatte, steckte das Blasrohr wieder zusammen und lustwandelte auf seinen jungen Herrn zu, der gerade vom Baum herabstieg.

»Was machen wir mit den beiden Figuren?« fragte Rander und deutete auf Crampel und Linton.

»Man sollte sie, wenn ich Vorschlägen darf, Sir, zu einer kleinen Erholungspause einladen«, sagte der Butler. »Mister Malone wird diese Entwicklung sicher nicht begrüßen.«

*

»Neal Jenkins«, sagte Parker und trat vorsichtig auf das Bremspedal seines hochbeinigen Wagens. Es war bereits dämmerig geworden, aber er hatte die Scheinwerfer noch nicht eingeschaltet. Dennoch war der Sohn des Ladenbesitzers Jenkins gut zu erkennen. Er saß im Rollstuhl und bewegte ihn jetzt ein gutes Stück auf die Fahrbahn hinaus. Er wollte Parker ganz offensichtlich stoppen.

»Kann ich irgendwie helfen?« fragte Parker, der ausgestiegen war und jetzt auf den Jungen zuging. Sie befanden sich etwa eine gute Meile vor Lemmon City. Neal machte einen erschöpften Eindruck. Er mußte die ganze Strecke aus eigener Kraft gerollt sein.

»Sie sind hinter Ihnen her«, sagte Neal aufgeregt, »sie wollen Sie aufhängen und totschlagen!«

»Wer, bitte, wen?«

»Die Leute von Lemmon Bay«, präzisierte Neal und holte tief Luft, »gut, daß ich Sie gerade noch rechtzeitig erreicht habe.«

»Und warum will man zu diesen ungewöhnlichen Mitteln greifen?« wollte der Butler wissen.

»Sie sollen meinen Vater zusammengeschlagen haben!«

»Ich darf davon ausgehen, Neal, daß du dies nicht glaubst?«

»Ich weiß ja, wer’s getan hat«, sagte Neal Jenkins und schluchzte trocken, »es sind Folders und Noldans gewesen. Ich hab’s vom Garten aus gesehen. Ganz genau.«

Er schlug seine Hände vors Gesicht und weinte jetzt unbeherrscht. Parker legte seinen Arm um die Schulter des Jungen und zog ihn fast väterlich an sich. Er sagte kein Wort und wartete, bis Neal Jenkins sich wieder etwas beruhigt hatte.

»Sie sind mit ihm in die Wagenremise gegangen. Und dann ist es passiert.« Neal schluckte noch einige Male auf, hatte sich aber wieder gefaßt.

»Wann ist das passiert?«

»Sie müssen gerade aus dem Hotel gekommen sein«, sagte Neal, »das hab ich so von den Leuten gehört. Sheriff Banding behauptete, Sie wären dann sofort zu meinem Vater gefahren.«

»Wie geht es deinem Vater, und wo befindet er sich?«

»Sie haben ihn ins Krankenhaus von Tarpon Springs gebracht. – Wie es Daddy geht? Er war besinnungslos.«

»Hat man Gründe darüber verbreitet, warum Mister Rander und meine Wenigkeit …«

»Ich weiß schon, wonach Sie fragen wollen.« Neal hatte genau verstanden. »Man sagt, Sie hätten ihn zwingen wollen, gegen Malone auszusagen. Wegen meiner Lähmung damals. Wegen dem Unfall.«

Rander und Parker sahen sich nur stumm an. Sie wußten, worauf Banding hinaus wollte. Er hatte sich für Krieg entschieden und die Warnungen nicht mehr durch den Kopf gehen lassen.

»Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte Rander und streichelte den Kopf des Jungen. »Ich denke, wir bringen dich jetzt erst mal in Sicherheit, Neal.«

*

Parker hatte den zusammenfaltbaren Rollstuhl gerade samt Neal im Wagen untergebracht und das Fahrzeug wiederum seitlich in einen Feldweg verschwinden lassen, als ein Streifenwagen der Polizei erschien, der die Straße langsam abfuhr und offensichtlich nach Parkers hochbeinigem Monstrum suchte.

»Das hat aber gerade noch mal hingehauen«, sagte Rander erleichtert.

»Die Großfahndung scheint bereits angelaufen zu sein«, antwortete Parker.

»Sieht nicht gut aus.« Rander verzog sein Gesicht. »Entweder schnappt uns die Polizei und erschießt uns auf der Flucht. Oder wir fallen den aufgebrachten Bewohnern von Lemmon Bay in die Hände!«

»Ich kenn’ ein Versteck«, meldete sich Neal zu Wort.

»Wie ich dich einschätze, muß es sich um ein sehr gutes Versteck handeln«, lobte Parker den Jungen.

»Wenn man uns zusammen mit ihm findet, wird man uns noch Kidnapping anhängen«, warf Rander ein.

»Mit letzter Sicherheit, Sir«, pflichtete Parker seinem jungen Herrn bei, »aber ich möchte Neal nicht zurück nach Lemmon Bay schicken.«

»Ich will nicht zurück!« bat Neal hastig.

»Befassen wir uns also mit deinem Versteck«, schlug der Butler vor, »hoffentlich kennst nur du es allein, Neal.«

*

Es war fast Mitternacht geworden.

In Lemmon Bay waren längst die Lichter ausgegangen. Nur im Hotel und im Büro des Sheriffs brannten noch die Lampen.

In der Hotelbar standen die Unentwegten und diskutierten den Überfall auf Roy Jenkins. Hilfssheriff Noldans, inzwischen schon stark angeheitert, schürte die Stimmung gegen die beiden Fremden und brauchte sich dabei noch nicht mal sonderlich anzustrengen. Er haßte Rander und Parker inzwischen wie die Pest.

»Wir sollten morgen eine Treibjagd auf sie veranstalten«, sagte er mit alkoholbefeuerter Zunge, »alles was Beine hat und ein Gewehr tragen kann, muß ’raus ins Gelände. Und dann ’ran an diese beiden Typen!«

»Und wenn sie Neal bei sich haben? Als Geisel?« erkundigte sich einer der angetrunkenen Bürger.

»Auf den werden wir schon aufpassen«, sagte Noldans ohne große Überzeugungskraft. »Hauptsache, wir erwischen die beiden Typen, bevor sie uns alle zusammenschlagen.«

Die Stimmung für eine Treibjagd war ausgezeichnet, wie sich zeigte. Diese Treibjagd versprach eine Abwechslung im öden Einerlei des Tages. Man war für eine Hetzjagd und freute sich bereits im voraus auf eine allgemeine Schießerei.

Bis die große Scheibe der Hotelbar plötzlich zersplitterte.

Alles warf sich auf ein Kommando zu Boden. Noldans zog seine Dienstwaffe und kroch unter einen schützenden Tisch. Er fühlte sich im Augenblick nicht so recht in Form.

Andere Bürger hatten inzwischen den Stein entdeckt, um den ein Blatt Papier gewickelt war.

Sie schälten es vom Stein, glätteten es und lasen den Text, der schlicht und einfach verkündete, einer der Täter, der Jenkins brutal zusammengeschlagen habe, befinde sich unter ihnen.

Es war schon recht erstaunlich, was daraufhin passierte. Nachdem der Vorleser den Text noch mal laut wiederholt hatte, schauten alle Anwesenden auf Noldans, der daraufhin sichtlich nervös wurde.

*

»Nein, nein, ich hab’ das County abriegeln lassen«, sagte Sheriff Banding in die Telefonmuschel, »weg sind sie noch nicht, Boß. Auf keinen Fall! Sie müssen sich irgendwo in den Wäldern oder im Sumpf versteckt haben. Ja, morgen, bei Tagesanbruch starten wir die Treibjagd. Natürlich werden wir erst schießen und dann die Fragen stellen. Sie können sich auf mich verlassen, Boß. Die Sache wird in Ordnung gehen! Ich habe …«

Er konnte nicht weiterreden, denn jetzt zersplitterte hier die Fensterscheibe.

Sie barst unter der Wucht eines dicken Steines und löste sich klirrend in ihre Bestandteile auf.

Banding schnappte nach Luft und konnte nicht reagieren. Dann aber hechtete er hinter seinen Schreibtisch, zog seine Dienstwaffe und feuerte Schuß auf Schuß in die Dunkelheit.

Dabei zog er sich den ehrlichen Unwillen einiger Anwohner zu. Er zertrümmerte nämlich mit einem Schuß eine Schlafzimmerscheibe, zerhämmerte mit einem zweiten Schuß die Wasserleitung einer Küche und sorgte so für eine nächtliche Überschwemmung und erreichte mit dem dritten Schuß, daß eine ängstliche Jungfer einen hysterischen Anfall erlitt.

Der Rest der Schüsse aus der schweren Dienstwaffe landete erfreulicherweise ohne weitere Wirkung irgendwo in der Dunkelheit. Auf Grund dieser nächtlichen Schießerei wurde Lemmon Bay überraschend lebendig. Licht flammte in den Häusern und Wohnungen auf, Rufe wurden laut, und Menschen rotteten sich auf dem Marktplatz zusammen.

Der Vorleser aus der Hotelbar befand sich mitsamt seinen Freunden unter ihnen und nutzte die Gelegenheit, seine Lesekenntnisse noch mal deutlich zu unterstreichen. Er verlas laut die Mitteilung auf dem Zettel.

Worauf sich alle mehr oder weniger direkt zu Sheriff Banding umdrehten, der gerade aus dem Office kam.

Die Bewohner von Lemmon Bay schienen in etwa begriffen zu haben. Ihre Blicke erreichten eine zusätzliche Wirkung, die wie ein Zeichen des Himmels auf sie wirkte.

Banding, der eine Winchester in der Hand hielt, zuckte plötzlich zusammen und faßte blitzschnell nach seiner Nase.

Dann erst stöhnte er auf und ging leicht in die Knie.

Was mit einer Tonmurmel zusammenhing, die seine Nase haargenau getroffen hatte.

Banding fühlte sich zu recht unter Beschuß genommen und wollte zurück in sein Büro flüchten.

Eine zweite Tonmurmel hinderte ihn daran.

Sie landete auf seinem Hinterkopf, worauf Banding das Gewehr weg – die Arme hoch in die Luft warf und dann zu Boden ging.

Durch die Menge auf dem Marktplatz ging ein erstauntes Raunen.

*

»Sehr gut«, sagte Rander zufrieden und nickte seinem Butler zu, der die Gabelschleuder gerade wieder zusammensteckte, »bei dem Büchsenlicht war das eine reife Leistung!«

»Ich bin glücklich, Sir, daß Sie mit mir zufrieden sind«, erwiderte Parker, »darf ich daran erinnern, daß jetzt Mister Malone auf dem Programm steht?«

»Lassen wir ihn auf keinen Fall warten«, sagte Rander lächelnd. Er und sein Butler standen auf dem Dach einer nahen Scheune. Von dort aus hatte der Butler seine seltsamen Geschosse mittels der Gabelschleuder auf die Luftreise geschickt.«

»Darf ich noch um etwas Geduld bitten, Sir?«

»Sie warten noch auf Folders, nicht wahr?«

»In der Tat, Sir! Für ihn habe ich mir eine kleine Überraschung ausgedacht. Er müßte jetzt, wo immer er auch bisher war, erscheinen, nachdem sein Vorgesetzter moralisch und physisch getroffen worden ist.«

*

Der wahre Boß von Lemmon Bay befand sich in seinem Haus und wanderte unruhig durch die große Halle.

Schon seit Stunden wartete er auf die Rückkehr seiner beiden Leibwächter Crampel und Linton. Irgend etwas mußte passiert sein, das war ihm klar.

»Kann ich dir irgendwie helfen Daddy?« fragte seine Tochter Judy von der Galerie herunter. Malone zuckte erschreckt zusammen, schaute nach oben und schüttelte den Kopf Es paßte ihm nicht, daß Judy nach unten kam, aber er ließ sich nichts anmerken.

»Was ist denn?« fragte Judy, als sie vor ihrem Vater stand.

»Nichts. Leg dich wieder hin!«

»Du machst dir Sorgen, nicht wahr?«

»Unsinn, Kind!«

»Du hast deinen Meister gefunden, gib es doch schon zu, Daddy!«

»Wie, bitte?«

»Du hast deinen Meister gefunden«, wiederholte Judy Malone eindringlich, »du weißt es längst, aber du willst es nicht wahrhaben.«

»Wovon redest du eigentlich?«

»Von Rander und Parker«, sagte Judy, »glaubst du, ich hätte nicht mitbekommen, was in Lemmon Bay passiert ist? Die Spatzen pfeifen es von den Dächern.«

»Was denn, zum Beispiel?«

»Daß deine Tage gezählt sind, nämlich als Boß von Lemmon Bay. Du hast dein Spiel restlos überzogen, Daddy, weil du den Hals nicht voll genug bekommen konntest!«

»Wie redest du denn mit mir? Scher dich hinauf in dein Zimmer!«

»Wahrheiten und Tatsachen hast du nie ertragen, wenn sie gegen dich sprachen«, erwiderte Judy Malone, ohne sich beirren oder beeindrucken zu lassen, »gesteh dir endlich ein, daß du verlierst! Und ich, deine Tochter, freue mich darüber.«

»Du weißt ja nicht, was du sagst, Judy. Für wen tue ich denn das alles?

»Bestimmt nicht für mich«, widersprach Judy sofort und energisch, »komm mir bloß nicht mit dieser billigen Standardausrede, Daddy! Für dich allein hast du das alles getan. Diese Pressionen auf Grundstücksbesitzer. Dieses Kaufen von Banding und jetzt diese Anstrengungen, um Rander und Parker auszuschalten.«

»Ich habe nichts Ungesetzliches getan.«

»Direkt beweisbar vielleicht nicht, aber moralisch«, sagte Judy verächtlich, »ich werde dir etwas sagen, und davon wirst du mich nicht abbringen. Ich werde gehen! Endgültig! Ich halte es hier nicht mehr aus. Du kennst nur die Gewalt. Ich hasse sie, und ich hasse damit auch dich!«

Sie drehte sich um und ging zurück zur Treppe, die hinauf zur Galerie führte. An der unteren Stufe blieb sie stehen und schüttelte den Kopf, als Malone ihr hastig folgte.

»Denk doch nur an Neal Jenkins«, sagte sie müde, fast abgespannt, »wer hat den Jungen damals angefahren? ich weiß es genau. Und ich freue mich, daß ich Neals Vater schon seit Monaten Geld zustecken kann. Wenigstens eine Art Ausgleich.«

»Du glaubst doch nicht, daß ich …?«

»Du hast Neal angefahren und dir ein Alibi durch Banding verschafft! Ich weiß es genau!«

»Es war der Sheriff!« brüllte Malone wütend und aufgebracht, »er war besoffen. Und gedeckt habe ich ihn. Das ist die Wahrheit! Ich hatte mit dem Unfall nichts zu tun.«

»Aber du hast auch nie etwas getan, damit dem Jungen geholfen wurde. Bei deinem Geld! Geh zum Teufel damit, Vater! Ich hab’s endgültig satt.«

*

Malone mixte sich mit zitternden Händen einen Drink.

Die kurze, aber heftige Aussprache mit seiner Tochter hatte ihn bis ins Mark getroffen. Sie hatte ihm da ein paar Wahrheiten an den Kopf geworfen, mit denen er nicht so schnell fertig wurde. Nicht, daß diese Wahrheiten ihn umgestimmt hätten, so etwas kommt nur in Romanen vor. Es ärgerte ihn nur, daß sie ihn derart ungeschminkt sah und beurteilte.

Malone wollte gerade trinken, als die Hölle losbrach.

Ein ohrenbetäubender Krach und Lärm herrschte. Eine Fensterscheibe nach der anderen zerbrach und barst klirrend in Stücke. Dies alles geschah mit solch einer Schnelligkeit, daß er Einzelgeräusche überhaupt nicht registrierte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Frontseite des Hauses ohne Scheiben war.

Malone riß einen Revolver aus der Lade seines Sekretärs, der in der Halle stand, und wollte wütend hinausrennen, doch da lösten sich bereits die Scheiben auf der linken Seite des Hauses.

Anschließend klirrten die Scheiben der Hausrückseite in Stücke, und dann folgte als krönender und logischer Abschluß die Restseite des Hauses.

Malone rannte hinaus ins Freie und schoß wie verrückt. Er brüllte nach seinen Hunden, aber er hörte nichts von ihnen. Malone rannte zum nahen Zwinger und sah die lieben Tiere, die sich gerade an handlichen Fleischbrocken gütlich taten.

Malone wußte Bescheid.

Parker hatte sich die Ehre gegeben, daran war überhaupt nicht mehr zu zweifeln.

*

»Ein nettes, vor allen Dingen lautes Intermezzo«, sagte Rander, der die Treffsicherheit seines Butlers wieder mal ausgiebig hatte bewundern können.

»Vielen Dank, Sir! Ich muß gestehen, daß es mir eine reine Freude war«, gestand der Butler und steckte die bereits zusammengelegte Gabelschleuder wieder zurück in seinen schwarzen Zweireiher. »Ich glaube, man sollte Mister Malone nun etwas Ruhe gönnen. Dies ist seinen Gedanken sicher förderlich.«

Rander und Parker verließen völlig ungeschoren den Park. Mit den Bluthunden war bestimmt nicht zu rechnen, wie Parker wußte. Und mit Mister Malone ebenfalls nicht. Nach seiner sinnlosen Schießerei hatte er sich schleunigst ins Haus zurückgezogen.

Rander und Parker setzten sich in das hochbeinige Monstrum des Butlers und fuhren anschließend zurück in das Versteck, das Neal Jenkins ihnen gezeigt hatte.

Es handelte sich um eine alte Schilfhütte in Strandnähe, die von Sumpf und Buschwerk umgeben war. Den Rest des Weges bis zur Hütte mußten sie zu Fuß zurücklegen.

»Jetzt bin ich mal gespannt, ob unsere nächtlichen Attacken gewirkt haben«, sagte Rander lächelnd, als sie auf die kleine windschiefe Hütte zugingen. »Lächerlich haben wir unsere Gegner nun wirklich genug gemacht.«

Neal war sichtlich erleichtert, als er Rander und Parker wiedersah. Er saß in seinem Rollstuhl und strahlte seine beiden Freunde an.

»Hat alles geklappt?« fragte er gespannt.

Parker nahm sich die Zeit, dem Jungen alles ausführlich zu erzählen. Neal, den sie noch nie hatten lachen sehen, lachte, bis ihm die Tränen kamen.

»Ich wär so gern dabeigewesen«, sagte er dann und weinte wirklich. Dabei schlug er mit seinen Fäusten in ohnmächtiger Wut auf seine toten Oberschenkel.

»Du wirst bald wieder dabei sein«, sagte in diesem Moment eine Stimme hinter Rander und Parker, die völlig überrascht wurden und es auch waren.

*

Es war hell geworden in Lemmon Bay.

Auf dem Marktplatz hatte sich die Mehrzahl der Bewohner versammelt und starrte zum Hotel hoch, auf dessen Giebeldach sich ein starker Fahnenmast befand.

Es war nicht der Fahnenmast, der die Aufmerksamkeit der Bewohner erregt hatte, sondern es war Folders, der an diesem Fahnenmast hing. Und zwar wie ein nasser Sack.

Er war verschnürt wie eine Dauerwurst und sach- und fachgerecht gehißt worden. Er flatterte allerdings nicht im Wind, sondern vor Angst. Schreien konnte er nicht, da man ihm ein Tuch um den Mund gebunden hatte.

Auf seiner Brust war ein Plakat zu erkennen, auf dem kurz und bündig zu lesen war, daß er Roy Jenkins zusammengeschlagen habe.

Banding, der aus seinen Privaträumen über seinem Office hinunter auf den Marktplatz schaute, wurde unruhig.

»Hei, was ist denn los?« rief er den Leuten zu, die ihn bisher respektiert und gefürchtet hatten.

Die Leute antworteten nicht, Sonden drehten sich um und gingen schweigend auseinander. Es war dann Noldans, der ihm die näheren Umstände schilderte.

»Die wissen Bescheid, daß Folders und ich …«, sagte er hastig, »sie wissen Bescheid, Chef. Was sollen wir tun?«

»Die Stimmung wird Umschlagen, sobald wir Rander und Parker vor unseren Läufen haben«, sagte Banding abfällig, »diese Idioten kann man doch umpolen, wie man will. Die glauben doch alles, was man ihnen vorsetzt.«

»Und Folders?«

»Hol ihn endlich vom Mast ’runter!«

»Und wenn Parker irgendwo … Ich meine, wenn er …«

»Hau schon ab und hol Folders vom Mast!« brüllte Banding aufgebracht. Worauf Noldans loslief, als würde er dafür bezahlt. Er kam jedoch sofort wieder zurück.

Und strahlte.

»Sie haben sie!« schrie er, »sie haben Rander und Parker erwischt. Eben ist ein Streifenwagen aus Tarpon Springs gekommen. Die beiden Typen sitzen drin.«

»Womit die Sache gelaufen wäre«, sagte Banding zufrieden, »jetzt sollst du mal sehen, mein Junge, wie schnell sich hier die Stimmung ändert. Wenn mich nicht alles täuscht, müssen wir sogar noch dafür sorgen, daß es nicht zur Lynchjustiz kommt.«

*

Inspektor Owen von der Staatspolizei nickte dem ins Office kommenden Banding knapp zu.

»Haben Sie Handschellen?« fragte er.

»Und ob!« erwiderte Banding, reichte Owen die Handschellen und nickte Rander und Parker triumphiernd zu, die vor dem Schreibtisch saßen.

Dann – bevor Banding überhaupt begriffen hatte – schmückten die Handschellen seine Handgelenke, was Owen mit großer Fingerfertigkeit besorgt hatte. Dann wandte er sich an Noldans.

»Holen Sie Ihren Kolegen vom Fahnenmast«, sagte er ungnädig, »aber beeilen Sie sich!«

Noldans wußte, wie der Hase lief Er war froh, ohne Handschellen das Office verlassen zu können. Für ihn gab es jetzt nur noch ein Absetzen auf der ganzen Linie. Er verließ das Büro, ging ums Haus herum und wollte in den Streifenwagen steigen. Doch er hatte die Tür noch nicht ganz auf, als ein Beamter der Staatspolizei energisch den Kopf schüttelte.

»Nicht doch«, sagte der Kollege von der Staatspolizei, »wollen Sie Ihren Partner Folders allein büßen lassen?«

*

»Dieser Sumpf wäre erst mal trockengelegt«, sagte Owen im Office zu Rander und Parker, »ist gerade noch mal gutgegangen, meine Herren! Sie wissen hoffentlich, auf was Sie sich eingelassen haben.«

»Selbstverständlich«, gab Rander lächelnd zurück, »wir haben das Gesetz gespielt, Owen. Völlig klar, aber wir standen unter Zeitdruck.«

»Und wurden von gewissen Herren dazu gerade genötigt«, schaltete der Butler sich höflich und gemessen ein, »zudem dürfen Sie nicht übersehen, Sir, daß Mister Rander Sie sofort verständigte, nachdem Miß Malone die näheren Zusammenhänge erklären und erläutern konnte.«

»Banding, Noldans und Folders haben ein Verfahren zu erwarten«, sagte Owen, »hoffentlich werden Crampel und Linton nicht gegen Sie klagen. Freiheitsberaubung! Die paar Stunden, die sie im Kofferraum des Wagens, Parker, verbracht haben, können schwer zählen.«

»Darauf, Sir, werde ich es gern ankommen lassen. Vielleicht tausche ich diesen Kofferaufenthalt gegen einen gewissen Filmstreifen ein.«

»Ich verstehe kein Wort«, sagte Inspektor Owen mißtrauisch. Er war ein ernster, sehr sachlicher Mann.

»Ist auch besser so«, meinte Anwalt Rander lächelnd, »ich bin sicher, daß diese beiden Männer keine Anzeige erstatten werden.«

»Bliebe Mister Malone«, sagte Parker.

»Der wird sich ebenfalls verantworten müssen. Schon wegen des falschen Alibis, das er Banding nach der Fahrerflucht gegeben hat. Wegen seiner bisherigen Geschäftspraktiken wird man ihm kaum etwas anhaben können. Seine Pressionen sind kaum beweisbar.«

»Mit Mister Malone werden Parker und ich noch ein paar persönliche Worte sprechen«, sagte Rander schmunzelnd, »ich habe so das Gefühl, daß er gewisse Dinge wieder zurechtrücken wird. Eines wird er mit Sicherheit tun!«

»Das wäre?« wollte Owen wissen.

»Er wird das Geld für eine gewisse Operation zur Verfügung stellen müssen«, sagte Rander jetzt ernst, »ein Junge wartet darauf, daß ihm geholfen wird.«

»Sie sind ein Optimist«, sagte Owen skeptisch, »ich kenne Malone vom Hörensagen. Ein Finanzhai.«

»Oder der Boß wird rotieren«, sagte Parker, »entschuldigen Sie, Sir, daß ich mich in einer gewissen Vulgärform auszudrücken beliebe.«

»Ich will davon nichts wissen«, sagte Owen und lächelte endlich auch mal, »aber wie ich Sie so einschätze, werden Sie es schaffen, auch einen Malone endgültig rotieren zu lassen. Haben wir sonst noch Probleme?«

»Keine«, sagte Rander und schüttelte den Kopf.

»Ein kleines«, widersprach der Butler höflich, »ich denke an die Herren Shrimp und Ritchel, die sich nach wie vor auf der bewußten Sumpfinsel befinden. Man sollte sie jetzt vielleicht erlösen.«

*

»Also, mein Junge«, sagte Rander und beugte sich zu Neal Jenkins hinunter, »mach’s gut! Inspektor Owen hat bereits seine Geständnisse. Noldans und Folders waren die Täter, die deinen Vater im Auftrag von Banding besucht hatten.«

»Und Miß Judy Malone wird mit dir schon morgen nach Tarpon Springs fahren«, schaltete der Butler sich ein, »dein Vater wird sich mit Sicherheit über deinen Besuch freuen.«

»Werden Sie noch etwas in Lemmon Bay bleiben?« wollte Neal wissen und strahlte den Butler an.

»Aber sicher«, meinte Parker. »Mister Rander und meine Wenigkeit wollen jetzt den Besuch bei Mister Ritchel antreten.«

»Worum ich auch bitten möchte«, schaltete sich Ritchel ein. Sie alle standen auf dem Hof des Eisenwarenladens. »Bis auf die paar Worte haben wir uns überhaupt noch nicht unterhalten können. Und hier ist übrigens ein Brief, der gestern bei mir abgeliefert worden ist. Ich fand ihn im Briefkasten.«

»Von Miß Weston«, sagte Parker, der den Absender kurz studiert hatte, um den Brief dann an Rander weiterzureichen. Der Anwalt entfaltete den Bogen und überflog die wenigen Zeilen.

»Tut mir leid«, sagte Rander dann zu seinem Gastgeber Ritchel, »wir müssen sofort weg!«

»Eine erfreuliche Entwicklung«, murmelte Parker.

»Eine dringende Sache in Chikago«, redete Rander weiter.

»Ein Kriminalfall?« hoffte Parker laut.

»Haben Sie nach diesem Abenteuer denn noch nicht die Nase voll?« staunte Ritchel.

»Ich möchte sagen, Mister Ritchel, daß meine bescheidene Wenigkeit jetzt erst den richtigen Appetit auf einen Kriminalfall bekommen hat«, gestand der Butler gemessen, »dies hier in Lemmon Bay betrachte ich als eine Art anregende Vorspeise.«

Dann drehte Parker sich zu Rander um und lüftete höflich seine schwarze Melone.

»Ich werde sofort auftanken, Sir, damit Sie keine Zeit verlieren.«

»Ich habe Zeit«, gab Rander lächelnd zurück.

»Aber wahrscheinlich nicht der dringende Fall, Sir, den man auf keinen Fall ungebührlich lange warten lassen sollte.«

Während Parker noch redete, befaßte er sich bereits mit seinem hochbeinigen Monstrum. Woraus wieder mal zu ersehen war, daß er keineswegs den Fall, sondern ausschließlich sich meinte.

ENDE

Butler Parker Staffel 9 – Kriminalroman

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