Читать книгу Butler Parker Staffel 8 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 7

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Sie hieß Mabel Levell und kämpfte gegen ihre Tränen. Ihre Hände rangen mit einem Staubtuch.

»Wirklich, Hank ging wie immer«, sagte sie, »wie immer … Er hat seinen Kaffee getrunken und fuhr dann mit dem VW weg.«

Sie sah Sergeant McLean aus leeren, verwirrten Augen an und wandte sich an Josuah Parker, der steif, würdevoll und gemessen neben dem Sergeant stand.

»Ich darf unterstellen, daß Sie nichts Außergewöhnliches an Ihrem Mann feststellen konnten und er sich seit diesem Vorfall nicht mehr gemeldet hat?«

»Seit einer Woche nicht mehr … Seitdem er das Haus verlassen hat.«

»Ich denke, Mister McLean, wir sollten gehen«, sagte Parker leise zu dem Detektiv-Sergeant. McLean nickte und stampfte wie ein Grislybär zur Küchentür. Als er Parker passiert hatte, wandte er sich noch mal zu Mabel Levell um.

»Hören Sie, Mabel«, sagte er, »Ich bin fest davon überzeugt, daß Hank unschuldig ist. Hank würde niemals ’ne Viertelmillion Dollar unterschlagen. Niemals!«

»Ich weiß … Danke!« Mabel schaute kurz hoch und wischte sich einige Tränen aus den Augenwinkeln.

»Ich bleibe am Ball«, versprach McLean, »privat und beruflich.«

»Hoffentlich ist Hank nichts passiert«, gab sie mit müder und leiser Stimme zurück. Dann fügte sie unvermittelt und scheinbar sinnlos hinzu: »Übermorgen wollten wir an die See fahren. Nach Atlantic City.«

Parker, der sich bereits umgedreht hatte, wandte sich noch mal zurück.

»Nach Atlantic City, Mrs. Levell? Eine nicht gerade kurze Reise, wenn ich es so ausdrücken darf?«

»Wir wollten zu seinem Bruder Paul. Er hatte uns eingeladen. Unter normalen Umständen hätten wir uns diese Fahrt nicht geleistet.«

Sie stand plötzlich auf und begann völlig unmotiviert mit dem Putztuch zu wischen. Sie schien die Anwesenheit von Parker und McLean völlig vergessen zu haben.

Josuah Parker und McLean verließen die Küche, gingen durch den schmalen Korridor und hielten auf die Haustür zu. Dabei passierten sie notgedrungen die einfache Garderobe.

Parker bemerkte im Vorbeigehen eine sehr modische Garçonmütze, die an einen Garderobenhaken hing. Sie war offensichtlich aus Waschleder, beige gefärbt und paßte eigentlich nicht in diese kleine, fast armselige Wohnung.

*

»Wenn Sie gestatten, Sergeant McLean, würde ich Sie sehr gern zu einem Whisky einladen«, sagte Butler Parker, als sie den hochbeinigen Wagen erreicht hatten.

»Das ist genau der Vorschlag, den ich Ihnen machen wollte«, gab McLean fast begeistert zurück, »die ganze Geschichte ist mir auf den Magen geschlagen. Haben Sie gesehen, wie fertig diese Frau ist?«

»Sie kennen sie relativ gut?« fragte Parker, als sie die Straße überquerten und sich einer einfachen Kneipe näherten.

»Ich kenne Hank«, sagte McLean, »ich ging mit ihm zusammen auf die Schule. Wir trieben uns hier in den Straßen herum, und wir poussierten mit demselben Mädchen. Später verloren wir uns für einige Jahre aus den Augen, dann waren wir plötzlich wieder zusammen. Aber inzwischen hatte er geheiratet. Ich übrigens auch. Wir scheinen alle Dummheiten gemeinsam zu machen.«

»Ihr Eheproblem interessiert mich, offen gesagt, nur am Rande«, bemerkte Parker, während sie die Kneipe betraten.

»Sie haben gut reden, Sie sind nicht verheiratet«, seufzte McLean. Er, der Grislybär, war mit einer erstaunlich zarten Frau vermählt, die allerdings Haare auf den Zähnen hatte, wie McLean stets behauptete.

»Sie trauen ihm diese Unterschlagung also nicht zu?«

»Hank und eine Unterschlagung! Wahnsinn, so etwas überhaupt nur zu denken, Parker.«

»Ihr unmittelbarer Vorgesetzter scheint da erheblich anderer Meinung zu sein.«

»Sie kennen doch Madford«, gab McLean zurück und verdrehte ergeben die Augen, »er ist wie ein Jagdhund, der Schnupfen hat. Er jagt stets der falschen Spur nach!«

»Weshalb sind Sie derart sicher, was Mister Levell angeht?«

»Warum soll Hank ausgerechnet vor einer Woche auf den Gedanken gekommen sein, mit dem Geld zu verschwinden? Er holt das Geld doch schon seit Jahren von der Bank.«

»250 000 Dollar dürften ein gutes Reisegeld sein, Mister McLean.«

McLean, der als Kriminalbeamter des, Sonderdezernats selbstverständlich Zivil trug, starrte auf sein Whiskyglas, das inzwischen serviert worden war. Dann schüttelte er energisch den Kopf.

»Ich will Ihnen mal was sagen«, nahm er seinen Faden wieder auf, »und was ich sage, kann ich natürlich nicht beweisen. Aber ich glaube, daß Hank ermordet wurde. Wegen der Banknoten. Und zwar von einem Täter, der ihn verdammt gut gekannt hat.«

*

»Glauben Sie das auch?« erkundigte sich Sue Weston etwa eine Stunde später, als Josuah Parker seinem jungen Herrn und ihr Bericht erstattet hatte.

»An Ihrer Stelle würde ich die Höflichkeit McLean gegenüber nicht zu weit treiben«, schaltete sich nun auch Mike Rander ein. »Sie haben ihm den Gefallen getan und mit dieser Mrs. Levell gesprochen. Schön und gut, Parker, aber damit dürfte für Sie die Sache erledigt sein.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, fühle ich mich Sergeant McLean gegenüber auch weiterhin verpflichtet«, erwiderte Parker würdevoll, »ich darf daran erinnern, daß Mister McLean in der Vergangenheit stets hilfreich war.«

»Um seinem Captain Madford eins auszuwischen«, gab Rander lachend zu.

»Die Motive, Sir, sollten generell nicht ge- und bewertet werden, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf. Die Ergebnisse allein zählen.«

»Glauben Sie nun wirklich, daß dieser Kassenbote sich sehr freiwillig mit dem Geld abgesetzt hat? Oder glauben Sie an einen Mord wie McLean?«

»Ich nehme mir die Freiheit, Sir, meiner Beobachtungsgabe zu vertrauen.«

»Aha … Und was haben Sie beobachtet, wenn man fragen darf?«

»Eine Garçonkappe, Sir, die wenig später nicht mehr an einem Garderobenhaken hing, als ich Mrs. Levell einen zweiten und hoffentlich überraschenden Besuch abstattete.«

»Eine Garçonkappe?« Rander sah seinen Butler zweifelnd an.

»Eine Damenmütze«, erklärte Sue schnell, »sie hat einen überlangen Schirm und wird sehr keß aufgesetzt. Lausbubenhaft sieht so etwas aus.«

»Okay, mein Groschen ist gefallen«, sagte Rander lächelnd.

»Solch eine Kappe hing an der Garderobe von Mrs. Levells Wohnung«, erläuterte der Butler, »sie paßte keineswegs in die allgemeine Umgebung, und sie fehlte, als ich nach etwa zehn Minuten noch mal zurück in die Wohnung kam. Sie war inzwischen vom Garderobehaken genommen worden. Und dies, worauf ich besonders aufmerksam machen möchte, obwohl weder Mrs. Levell noch eine andere Person die Wohnung verließen. Sie werden verstehen, Sir, daß mich diese Tatsache stutzig machte.«

*

Parker war unterwegs.

Er hatte seinen hochbeinigen Wagen verlassen und ging auf die Kellerbar zu, in der der verschwundene Hank Levell laut Sergeant McLean Stammgast gewesen war. McLean forschte bereits in der Vergangenheit, was Levell anbetraf.

Parker wußte bereits seit etwa fünfzehn Minuten, daß er hartnäckig verfolgt wurde.

Der Verfolger war ein mittelgroßer, leicht korpulenter Mann, der unauffällig aussah. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein und trug einen grauen Einreiher.

Parker hatte diesen Verfolger souverän übersehen. Er hatte dem Mann gestattet, ihm zu folgen.

Die Kellerbar, solide und gemütlich eingerichtet und Parker an einen englischen Pub erinnernd, war nur schwach besucht. Noch hatte der allgemeine Büroschluß nicht eingesetzt.

Parker wählte eine Nische in der Bartheke und bestellte sich beim Kellner einen Orangensaft mit Gin. Er ließ die Atmosphäre auf sich einwirken und konnte sich sehr gut vorstellen, daß der verschwundene Hank Levell hier verkehrt. Die, Getränke waren nicht sonderlich teuer und paßten zur privaten Geldbörse des Kassenboten.

Der Verfolger saß inzwischen in einer benachbarten Nische und studierte eine Zeitung. Übrigens sehr lustlos, wie sich zeigte, denn als Parker den Kellner in ein Gespräch verwickelte, spitzte der Verfolger deutlich sichtbar die Ohren.

Wenigstens hatte Parker diesen Eindruck.

»Ich brauche eine Auskunft von Ihnen«, sagte Parker zu dem Kellner, »können Sie mir sagen, wo ich die Firma Clatson finde?«

Den Namen dieser Firma hatte Parker im Durchfahren der Straße an einem Hauseingang entdeckt. Er bediente sich jetzt dieses Namens, um seinen Verfolger in aller Ruhe befragen zu können. Er hatte bereits sehr konkrete Vorstellungen, wie das zu geschehen hatte.

Wie zu erwarten, bekam Parker seine Auskunft. Der Kellner kannte sich in den Firmen dieser Straße gut aus. Und er erteilte diese Auskunft ungewollt lautstark. Der Verfolger mußte alles gehört haben.

Parker trank sein Glas leer und verließ die Kellerbar. Er überquerte die Straße und hielt auf den schäbigen Backsteinbau zu, in dem sich die Räume der Firma Clatson befanden.

Sein leicht korpulenter Schatten blieb treu und ergeben hinter ihm. Und er folgte ihm auch in den schäbigen Backsteinbau.

Parker betrat den klapprigen Lift, der einen nicht gerade vertrauenerweckenden Eindruck machte, und wartete höflich, bis sein Verfolger sich zu ihm gesellt hatte.

Der Mann, dessen Augen sehr wachsam und prüfend waren, gab sich etwas übertrieben desinteressiert.

Dann allerdings erwachte sein Interesse, als Parkers schwarz behandschuhter Zeigefinger sich auf den Knopf der Liftselbstbedienung legte, der verantwortlich war für die Fahrt hinunter in die Kellerräume.

Sein Interesse wurde derart wach, daß er blitzschnell nach seiner Schußwaffe greifen wollte, die sich offensichtlich in einer Schulterhalfter befand.

*

»Ich sehe mich gezwungen, diesen unfreundlichen Akt zu tadeln«, sagte Parker und setzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms nachdrücklich ein.

Der Bambusgriff traf das Handgelenk des eifrigen Mannes, der prompt aufstöhnte, aber ganz versessen darauf war, nach Parker zu treten.

Dies wiederum mochte Parker nicht.

Er wich dem Fußtritt geschickt aus und stach mit der Ziernadel zu, die sich bereits abwartend in der Zwinge befand, die aus Daumen und Zeigefinger gebildet wurden.

Der Verfolger kickste überrascht auf, als die spitze Nadel sich in seine Epidermis senkte. Er sprang etwa viereinhalb Zentimeter steil in die Luft und starrte den Butler irritiert und irgendwie auch etwas ängstlich an, nachdem er wieder auf seinen Füßen gelandet war.

»Sie werden sich innerhalb von Sekunden ein wenig schwach in den Beinen fühlen«, warnte Parker den Mann, »Ihnen wird möglicherweise schlecht werden, aber Sie sollten diesen Symptomen keine übermäßige Bedeutung beimessen. Sie sind sogar die Garantie für die Unschädlichkeit der Behandlung.«

Der Verfolger hatte mit wachsendem Erstaunen zugehört, verdrehte jetzt aber die Augen und gab sich seiner Schwäche hin. Er landete zu Parkers Füßen auf dem Boden des Lifts.

Parker öffnete die Tür zu den Kellerräumen und stieg aus. Um den bereits tief und fest schlafenden Mann kümmerte er sich nicht weiter. Aber Parker wunderte sich, als er wenig später feststellte, daß sich in seiner rechten Hand die Brieftasche dieses Mannes befand.

Er war überrascht und konnte sich kaum erklären, wieso sie in seinen Fingern hängengeblieben, war. Er ließ sich dazu hinreißen, über sich selbst verwundert den Kopf zu schütteln.

*

In seinen Wagen zurückgekehrt, sah Parker sich den Inhalt der bewußten Brieftasche genauer an.

Er fand einige kleinere Banknoten, zwei Fotos mit fast unbekleideten, bereits angejahrten Damen, die offensichtlich dem horizontalen Gewerbe nachgingen, sowie eine unbezahlte Rechnung über die Reparatur eines Eisschrankes und dann noch eine Kreditkarte, die auf den Namen Herbert Stilson ausgestellt war. Die fehlende Adresse dieses Mister Stilson ging aus der noch unbezahlten Rechnung hervor. Parker hatte damit, was er brauchte.

Er brachte seinen hochbeinigen Wagen in Gang und suchte die Fendel Street auf, die im Osten der Stadt lag. Es handelte sich um eine Geschäftsstraße, die ihre guten Zeiten längst hinter sich hatte. Es gab hier kleine Kramläden, Gemüsehandlungen und Geschäfte, deren Inhaber mit gebrauchter Ware handelten.

Über solch einem Laden entdeckte Parker auf einer Fensterscheibe den Namen Stilson. Sein Verfolger schien hier eine Art Büro zu unterhalten. Vermutlich spielte er Detektiv, wie aus dem Schriftband darunter hervorging. Ermittlungen aller Art versprach dieses Schriftband, das einen abgeblätterten und schmuddeligen Eindruck machte.

Parker ließ seinen Privatwagen in einer schmalen Seitenstraße stehen und betrat das bewußte Haus.

Er befand sich in einem langen und schmalen Korridor, der zu den rückwärtigen Treppen führte. Es roch penetrant nach faulem Obst und nach Toiletten.

Weit über ihm im Treppenhaus behauptete gerade eine schreiende Frauenstimme, es mit einem verkommenen Subjekt zu tun zu haben. Woraufhin dieses Subjekt einen porzellanähnlichen Gegenstand gegen eine Wand schmetterte.

Das Schreien ging in ein schrilles Kreischen über. Dann herrschte plötzlich Ruhe.

Als Parker die Treppe betrat, kam ihm ein junger Mann entgegen, dessen Haupthaar bis zu den Schultern reichte. Er trug eine Lennon-Brille und grinste, als er Parker ausmachte. Einen Mann von dieser Art hatte er zuletzt wohl im Kino gesehen, so butlerähnlich sah Parker aus.

»Haben wir hier im Bau ’ne Fete?« fragte er belustigt. »Kostümfest oder so …?«

»Falls ja, dann das, das Sie gerade verlassen haben müssen«, gab der Butler gemessen zurück, »darf ich Ihre Kontaktfreudigkeit nutzen und mich nach dem Büro von Mister Stilson erkundigen?«

»Stilson? Sie wollen tatsächlich zu diesem miesen Gauner?«

»Dies ist vorerst meine erklärte Absicht.«

»Nächster Stock, Zimmer 15. Lassen Sie sich von ihm nur nicht aufs Kreuz legen!«

»Ist das ein Hobby von Mister Stilson?«

»So ungefähr. Sie müssen ja verdammt viel Dreck am Stecken haben, wenn Sie sich ihn kaufen wollen.«

»Sie scheinen Mister Stilson nicht sonderlich zu schätzen.«

»Der kann mich mal«, sagte der Hippie und grinste, »sagen Sie mal, Opa, wo kann man die Klamotten kaufen, die Sie da tragen? Sieht verdammt schick aus.«

»Ich fürchte, Sie werden diese Art Kleidung nur in London bekommen«, entgegnete der Butler, lüftete höflich seine schwarze Melone und schritt weiter nach oben.

Der Hippie sah ihm nach. Er lächelte nicht mehr. Und er wirkte auch nicht mehr schnodderig oder sympathisch. Seine Augen waren kalt und wachsam.

*

Parker wunderte sich ein wenig, daß die Tür zum Büro nicht verschlossen war. Sie stand sogar spaltbreit offen.

Mit der Spitze seines Regenschirms drückte er sie ganz auf und schaute in das kleine Büro hinein. Er stellte sofort fest, daß sich noch frischer und warmer Tabakrauch unter der niedrigen Zimmerdecke befand.

Die Einrichtung des Detekteibüros bestand aus zwei schmalen Karteischränken, die nicht verschlossen werden konnten, aus einem alten, dunklen Schreibtisch, aus zwei billigen Strohsesseln, die einen kleinen runden Tisch flankierten, und schließlich aus einer zweiten Tür, die hinüber in einen angrenzenden Raum führte.

Parker hüstelte diskret. Er wollte sich auf seine spezielle Art bemerkbar machen, wie es sich geziemte.

Sein Hüsteln blieb ohne Erfolg.

Parker ging also tiefer in das kleine Büro hinein und näherte sich der Verbindungstür, die ebenfalls nur angelehnt war. Die Spitze des Regenschirms trat erneut in Aktion. Langsam schwang die Tür weiter auf. Sie produzierte dazu ein gekonnt-unheimliches Knarren, wie es nur in besten Horror- und Kriminalfilmen zu hören ist.

Irgendwie hatte Parker schon jetzt das Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Er dachte unwillkürlich an den Hippie, den er im Treppenhaus getroffen hatte. Und plötzlich wußte er auch mit letzter Sicherheit, daß dieser junge Mann hier oben im Büro gewesen sein mußte.

Aus einer plötzlichen Eingebung heraus benutzte Parker seinen Regenschirm als Golfschläger. Er drehte sich blitzschnell um seine Längsachse und ließ seinen angehobenen Regenschirm mitgehen.

Der Schwung reichte vollkommen aus, den hinter ihm stehenden Mann leicht aus der Fassung zu bringen.

Das heißt, genauer ausgedrückt, dieser Mann wurde voll in Höhe seiner linken Hüfte vom Regenschirm erwischt und zu Boden gefällt. Er blieb, nach Luft schnappend, neben einem der beiden Strohsessel liegen und schaute den Butler durch seine runde Lennon-Brille konsterniert an.

*

Parker stand hinter der Tür und hörte die schnellen Schritte draußen auf dem Korridor.

Sie näherten sich der inzwischen geschlossenen Tür zum Detekteibüro und gingen in leichtes Scharren über. Dann wurde ein Schlüssel ins Schloß gesteckt.

Parker hatte es vorgezogen, die Tür mit seinem Spezialbesteck wieder zu schließen.

Die Tür wurde jetzt schwungvoll aufgedrückt, und herein marschierte eine äußerst attraktiv aussehende Frau von höchstens fünfundzwanzig Jahren.

Sie trug schulterlanges, blondes Haar, das ihr apart geschnittenes Gesicht wirkungsvoll rahmte. Sie schien grau-grüne Augen zu haben, und sie besaß jene Körperformen, die Männerblicke automatisch auf sich zogen.

Sie war langbeinig, schlank und trug einen Minirock, der schon fast als verwegen anzusprechen war. Ihre Oberweiten staken in einer leichten, weit aufgeknöpften Polobluse.

Sie hatte keine Ahnung, daß sie beobachtet wurde.

Sie ging durch bis zum Schreibtisch, warf sich in den schäbigen Sessel und griff nach dem Telefon. Sie wählte eine Nummer und zündete sich dabei eine Zigarette an.

»Hallo, Süßer«, sagte sie, als die Verbindung hergestellt war, »Lana hier. Wie sieht’s bei dir aus? Schon was herausgefunden? Wie … Na schön, dann müssen wir eben noch schärfer rangehen, natürlich … Herb hat eine tolle Sache aufgebohrt. Sieht gut aus. Natürlich lasse ich ihn an der langen Leine. Ich weiß genau, wann ich ihm den Laufpaß zu geben habe, mach dir da mal keine Sorgen! Gut, Mel! Halt die Ohren steif! Bis dahin!«

Sie legte auf und entdeckte den Butler, der sich bisher nicht gerührt hatte.

Sie war völlig überrascht und sah ihn aus weit geöffneten Augen an, die sich jetzt mit Angst füllten.

Dann sprang Lana auf und riß gleichzeitig an der Schublade des Schreibtisches.

»Ich erlaube mir, Ihnen einen guten Tag zu wünschen«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, »mein Name ist Parker … Josuah Parker.«

»Was … Was wollen Sie hier?« Sie hielt bereits einen kurzläufigen 38er in der Hand und schien damit gut umgehen zu können. Sie hatte sich inzwischen schon wieder gefaßt und wirkte gar nicht mehr ängstlich.

»Ich warte auf Mister Stilson«, antwortete Parker, der die Waffe ignorierte, »er scheint sich ein wenig verspätet zu haben.«

»Mister Stilson ist … Wie, sagten Sie, heißen Sie? Parker?«

Endlich schien ihr Parkers Name etwas zu sagen. Ihr Blick wurde wachsam, doch sie ließ die Waffe wieder sinken.

»Parker ist mein Name«, wiederholte der Butler noch mal, ohne dabei die Schußwaffe aus den Augen zu lassen, »habe ich die Ehre, mit einer engen und vertrauten Mitarbeiterin Mister Stilsons zu sprechen?«

»Ich bin Lana Clint«, stellte nun auch sie sich vor, »stimmt übrigens haargenau. Ich bin Stilsons Mitarbeiterin.«

»Darf ich weiter fragen, ob Sie zusammen mit Mister Stilson meine bescheidene Wenigkeit überwachen und kontrollieren?«

»Wie kommen Sie denn darauf?« fragte sie gespielt erstaunt.

»Nun, was Mister Stilson anbetrifft, so hatte ich durchaus diesen Eindruck«, sagte Parker höflich, »inzwischen dürfte er allerdings meine Spur verloren haben. Würden Sie ihm bei Gelegenheit ausrichten, daß seine Fähigkeiten als Beschatter nicht gerade das sind, was man umwerfend nennen könnte.«

*

»Ich verstehe kein Wort«, sagte sie und schüttelte verständnislos den Kopf.

»Nähere Einzelheiten werden Sie sicher von jenem jungen Herrn erfahren, der unglücklicherweise in meinen Regenschirm lief«, sagte Parker und öffnete gleichzeitig die Tür zum Nebenraum der Detektei.

Lana Clint bekam große Augen, als sie den Hippie-Jüngling am Boden entdeckte.

»O Paul«, sagte sie erschreckt und vergaß ihre Waffe. Sie rannte fast hinüber zu dem Burschen und bettete seinen ausdrucksvollen Kopf in ihrem Schoß.

»Auch ein Mitarbeiter Mister Stilsons?« erkundigte sich Josuah Parker, der gemessen gefolgt war.

Sie schaute vorwurfsvoll hoch.

»Was haben Sie nur mit Paul gemacht?« wollte sie wissen, »er ist ja ohnmächtig!«

»Dies, Miß Clint, ließ sich leider nicht vermeiden«, entschuldigte sich Parker, »aber darf ich meine Frage noch mal wiederholen? Handelt es sich bei jenem Herrn ebenfalls um einen Mitarbeiter Mister Stilsons?«

»Aber natürlich«, gab sie zurück, »Paul arbeitet schon seit einem Jahr für Stilson.«

»Und Sie, Madam, falls mir diese Frage gestattet ist?«

»Seit ein paar Wochen. Aber was interessiert Sie das überhaupt? Warum haben Sie Paul niedergeschlagen? Er kann Ihnen doch gar nichts getan haben? Paul würde sich nie an einem Mitmenschen vergreifen.«

»Ich werde mir erlauben, mich zu einem späteren Zeitpunkt bei ihm zu entschuldigen«, erwiderte Josuah Parker, »wenn Sie gestatten, möchte ich mich jetzt allerdings empfehlen.«

»Sie wollen nicht auf Mister Stilson warten?«

»Er wird nach meinen privaten Berechnungen noch auf sich warten lassen«, erklärte Parker höflich, »rechnen Sie mit seiner Rückkehr in etwa einer knappen Stunde. Mister Stilson wird mit Sicherheit einen leichten Kopfschmerz mitbringen. Für solche Fälle empfehle ich Milch, ein ausgezeichnetes Getränk, Um die angegriffene Physis wiederherzustellen!«

*

Mrs. McLean war eine erstaunlich zarte Frau, die einem jungen Mädchen glich. Nur nicht die Augen stimmten überein. Die erinnerten an die einer stets leicht gereizten Katze.

Als sie die Tür des kleinen Reihenhauses öffnete, verwandelte sich ihr etwas spitzes Gesicht in eitel Frohsinn. Sie hatte eine Schwäche für den Butler, den sie als den letzten Gentleman dieser Erde bezeichnete.

»Ich erlaube mir, Mrs. McLean, Ihnen einen besonders schönen Abend zu wünschen«, begrüßte Josuah Parker sie und lüftete höflich seine schwarze Melone, »gehe ich richtig in der Annahme, Ihren Gatten treffen zu können?«

»Sie kommen wegen dieser Levell-Geschichte, nicht wahr?« Sie ließ ihn eintreten und führte ihn in den Wohnraum, in dem eine fast klinische und peinliche Sauberkeit herrschte. Es roch übrigens penetrant nach scharfem Bohnerwachs.

»Sie kennen die Vorgeschichte?« erkundigte sich Parker.

»Ich kenne Levell«, gab sie zurück, »ich kenne Hank, der mit den 250 000 Dollar verschwunden ist.«

»Wie sich das trifft«, meinte Parker, »lernten Sie Mister Levell durch Ihren Mann kennen?«

»Richtig«, bestätigte sie und nötigte Parker Platz zu nehmen. Sie war allerdings nicht schnell genug, ein gesticktes Kissen vom Sessel zu reißen. Wahrscheinlich hatte sie gewisse Befürchtungen, Parker könnte es leicht zerdrücken.

»Ihr Mann macht sich Sorgen um Mister Levell.«

»Seine Sorgen möchte ich haben«, sagte sie giftig, »dieser Hank Levell war und ist kein Umgang für ihn. Er trinkt, pokert und scheint auch seine Frau zu betrügen.«

»Wie schrecklich!«

»Ja, und jetzt ist er sogar noch zum Dieb geworden«, redete sie weiter, »so mußte es ja mal kommen. Ich kann nicht verstehen, warum Levells Firma ihn das Lohngeld von der Bank holen ließ. Reiner Leichtsinn, Mister Parker, wenn Sie mich fragen!«

»Sie kennen demnach auch Mrs. Levell?«

»Eine bedauernswerte Frau. Ich habe sie eigentlich immer bemitleidet, verstehen Sie?«

»Ich fürchte, nicht ganz, Mrs. McLean.«

»Haben Sie sie schon mal gesehen? Eine kleine, verschüchterte Frau, die nichts zu sagen hat. Und ausgerechnet sie muß jetzt die ganze Geschichte ausbaden. Muß die Suppe auslöffeln, die ihr Mister Levell eingebrockt hat.«

»Ihr Mann scheint da etwas anderer Meinung zu sein, Mrs. McLean.«

»McLean«, sie nannte stets nur seinen Hausnamen, »McLean ist naiv, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten. Er hält Hank Levell für einen anständigen Menschen. Daß ich nicht lache! Er hat sich mit den 250 000 Dollar abgesetzt und wird irgendwo in der Welt ein neues Leben beginnen.«

»Hallo, Mister Parker«, rief McLean in diesem Moment von der Tür her. Er strahlte den Butler an und warf dann seiner Frau einen fast scheuen Blick zu. Was bei seinen körperlichen Ausmaßen irgendwie irritierte. Wie gesagt, McLean glich einem Grislybär, doch er stand völlig unter der Fuchtel seiner kleinen, fast zarten Frau.

»Ich erkläre Mister Parker gerade, wie sehr du auf dem Holzweg bist, was diesen Levell betrifft«, sagte sie spitz, »aber ich hatte dich ja schon immer vor diesem Mann gewarnt.«

»Hatten Sie dafür möglicherweise bestimmte Gründe?« erkundigte sich Parker bei Mrs. McLean.

»Gründe … Gründe …!« Sie schnaufte verächtlich, »braucht man dazu Gründe? So etwas spürt eine Frau! Levell ist in meinen Augen ein Gauner und Herumtreiber, der seine Frau im Stich gelassen hat. Du wirst es noch einsehen, McLean!«

»Wie du meinst«, sagte der Sergeant gehorsam und nickte.

»Wann heiratete Ihr Bekannter Levell?« fragte Parker, sich an den Grislybär wendend.

»Vor etwas über einem Jahr«, lautete die Antwort, »er lernte Mabel in einem Fahrstuhl kennen.«

»Womit ihr Unglück prompt begann«, schaltete Mrs. McLean sich bitter ein, »ich bin sicher, sie hätte damals die Treppe benutzt, wenn sie das alles vorausgeahnt hätte!«

*

Parker hatte das Reihenhaus der McLeans verlassen und schritt gemessen auf seinen hochbeinigen Wagen zu.

Dabei beobachtete er automatisch die nähere Umgebung des Hauses. Es war dunkel geworden, doch die Straßenbeleuchtung reichte aus, um Einzelheiten in der weiteren Umgebung des Hauses zu erkennen.

Verdächtiges vermochte Parker nicht festzustellen, doch seine innere Alarmglocke meldete sich wieder mal. Irgend etwas stimmte nicht. Eine Gefahr lauerte. Er vermochte aber noch nicht zu sagen, worum es sich handelte.

Mit einem Schuß aus dem Hinterhalt rechnete Parker allerdings nicht. Dazu gab es nach seiner Berechnung vorerst keine Veranlassung. Noch hatte er den Fall Levell ja nur oberflächlich angekratzt und sammelte nur Informationen, um sich überhaupt ein Bild zu machen.

Er setzte sich ans Steuer seines Wagens und wußte Bruchteile von Sekunden später, um welche Gefahr es sich handelte. Diese blitzschnelle Erkenntnis hing mit dem Rückspiegel seines Wagens zusammen, in dem die Gesichter von zwei Mitfahrern vage zu erkennen waren.

Es handelte sich um Männer, die im Fond Platz genommen hatten, obwohl Parker sie auf keinen Fall zu dieser Fahrt eingeladen hatte. Sie hatten die Tatsache genutzt, daß der Butler die Wagentüren – gegen seine sonstige Gewohnheit – nicht abgeschlossen hatte.

Aber die beiden Männer wollten nicht nur mitgenommen werden. Sie meldeten sogar noch Ansprüche an, die Parker auf keinen Fall akzeptieren wollte und konnte.

Diese Ansprüche bestanden darin, daß einer von ihnen seine rechte Hand hob. Sehr vorsichtig und sehr verstohlen. In dieser Hand befand sich eine Schußwaffe vom Kaliber 45. Der Lauf sollte laut Rückspiegel gegen den Hinterkopf des Butlers gepreßt werden.

Parker jedoch war schneller.

Sein schwarz behandschuhter Zeigefinger drückte bereits einen Knopf auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett des Wagens. Blitzschnell schoß daraufhin die schmale Trennscheibe zwischen Wagenfond und seinem Sitz nach oben.

Der Mann mit dem 45er zuckte überrascht zusammen, als die Waffenmündung plötzlich gegen dickes Panzerglas stieß. Er wollte sich mit der Tatsache nicht abfinden, daß er von Parker abgeschnitten war. Wütend hämmerte er mit dem Lauf der Waffe gegen das dicke und unempfindliche Panzerglas.

Parker verriegelte inzwischen elektrisch die beiden hinteren Wagentüren, deren Füllungen ebenfalls aus dickem Panzerglas bestanden. Die beiden Männer ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß sie sich bereits in einem rollenden Gefängnis befanden.

Noch redeten sie miteinander.

»Drück doch ab!« fauchte der Mann, der nach wie vor in seiner Wagenecke saß und bisher keine Aktionen gezeigt hatte.

»Panzerglas«, meldete der Mann mit der Waffe.

»Los! Mach schon!«

»Ich laß mir doch keinen Querschläger um die Ohren pfeifen«, gab der Mann mit der Schußwaffe gereizt zurück, »wir steigen aus, und zwar an der nächsten Ampel.«

Parker war in der erfreulichen Lage, die Unterhaltung mitverfolgen zu können. Natürlich hatte er längst das Mikrofon im Fond eingeschaltet. Er bekam jede Nuance des Zwiegesprächs mit.

Die erwartete Ampel näherte sich, sie stand auf Rot.

Parker ließ den Wagen langsam aufrollen und wartete auf die Umschaltung.

Die beiden Insassen seines Wagens mühten sich inzwischen verzweifelt mit den Klinken ab. Sie drückten und rüttelten an ihnen herum. Doch die Türen rührten sich nicht. Man hätte sie wohl nur mit einem Hochleistungsschweißbrenner zu offen vermocht.

»Schlag doch endlich die Scheiben ein!« schrie der Mann ohne Waffe nervös.

»Panzerglas«, meldete sein Partner mit dem 45er lakonisch.

»Das wird Conally uns niemals abnehmen«, meinte der Mann ohne Schußwaffe. Er ließ sich erschöpft und resigniert in seine Wagenecke zurücksinken.

»Pete wird uns dafür in kleine Scheiben schneiden«, stöhnte der Mann mit dem 45er. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und hämmerte dann wie besessen gegen die Trennscheibe.

Parker hatte die beiden Namen Conally und Pete inzwischen zur Kenntnis genommen. Erfreulicherweise sagten sie ihm sehr viel. Er kannte nämlich einen stadtbekannten Mann der Unterwelt, der sich Pete Conally nannte. Und Parker war der durchaus richtigen Ansicht, daß er gerade eine äußerst wichtige Information frei Fahrersitz erhalten hatte.

*

»Und was wurde aus den beiden Kerlen?« fragte Mike Rander, als Parker bis zu diesem Punkt der Geschichte gekommen war. Der Butler hielt sich im Studio seines jungen Herrn auf und hatte Bericht erstattet.

Sue Weston hatte sich stenografische Notizen gemacht, um für Rander später ein Erinnerungsprotokoll anfertigen zu können. Sie hatte die Frage Randers gehört und sah den Butler erwartungsvoll lächelnd an.

»Verständlicherweise, Sir, war ich an der weiteren Mitnahme der beiden Herren nicht mehr interessiert«, erwiderte Parker.

»Wo stecken sie jetzt?« wiederholte Rander seine Frage.

»Ich war so frei, Sir, sie aussteigen zu lassen.«

»In welchem Zustand?« Rander kannte schließlich seinen Butler.

»Nun, Sir, die beiden erwähnten Herren waren nicht gerade sehr sicher auf den Beinen.«

»Sie haben sie also mit Lachgas betäubt?«

»Ein wenig, Sir. Bei dieser Gelegenheit wollte ich den Funktionszustand meiner Lachgasanlage im Wagen überprüfen!«

»Die Anlage funktionierte natürlich ausgezeichnet, oder?«

»Sehr wohl, Sir. Und was die beiden Herren betrifft, so müßten sie inzwischen gefunden worden sein.«

»Wieso?« Rander lächelte bereits. Er wußte um den Erfindungsreichtum seines Butlers.

»Nun, Sir, aus Gründen der Sicherheit fühlte ich mich veranlaßt, den zuständigen Behörden das zu geben, was man gemeinhin einen Tip nennt.«

*

Die beiden in Parkers Wagen Gefangenen standen inzwischen Höllenqualen aus.

Was durchaus zu verstehen War.

Sie waren durch eine handelsübliche Handschelle miteinander verbunden und glichen im übertragenen Sinn siamesischen Zwillingen. Ihr Pech bestand darin, daß der Mann mit dem 45er durch eine zusätzliche und zweite Handschelle mit dem Scherengitter eines Bankportals verbunden war.

Über Langeweile konnten sie sich nicht beklagen.

Zwei uniformierte Polizisten waren mit Stahlsäge und Beißzange damit beschäftigt, diese bewußte Handschelle aufzuknacken. Was nicht einfach war, denn die Handschelle, die das Handgelenk und das Scherengitter miteinander verband, erwies sich als ausgesprochen hartnäckig.

Abgesehen von den beiden Uniformierten belebten noch weitere Beamte die Szene. Diese Leute gehörten verschiedenen Dezernaten an und diskutierten lebhaft miteinander darüber, wer die beiden Männer wohl kurzgeschlossen haben mochte.

Es mußte, darüber waren sie sich einig, ein Sach- und Fachkenner gewesen sein, denn die beiden Männer waren der Polizei wohlbekannt. Sie hießen Cary und Hal und galten als ausgemachte Gangster.

Cary und Hal hüteten sich, nähere Auskünfte über ihre Betriebspanne zu liefern. Sie sprachen von dem berühmten großen Unbekannten und wußten im übrigen von nichts.

Bei dieser Version blieben sie auch noch nach zwei Stunden, als man sie endlich vom Scherengitter losgeeist hatte. Was ein gewisser Josuah Parker übrigens einkalkuliert hatte, denn zu dieser Zeit war er bereits wieder unterwegs. Diesmal aber in Begleitung von Mike Rander und Sue Weston.

Captain Madford vom Sonderdezernat allerdings ging sofort ein Licht auf, als die Meldung von der seltsamen Befreiungsaktion seinen Schreibtisch erreichte.

Er klemmte sich sofort ans Telefon und rief Mike Randers Penthouse an.

Als sich auf der Gegenseite aber nur der automatische Antwortgeber meldete, da wußte er genau Bescheid. Er wußte, daß sich zumindest ein gewisser Josuah Parker wieder mal auf den Kriegspfad begeben hatte.

Und er wußte, daß es wieder mal Ärger für ihn geben würde.

*

Es war etwa zweiundzwanzig Uhr, als Parkers hochbeiniger Wagen vor einem kleinen Kino hielt, das in einer engen Seitenstraße irgendwo im Loop lag.

Es handelte sich um ein sogenanntes Studio-Kino, in dem nur Experimentalfilme gezeigt wurden, wie die Leuchtschrift über dem schmalen Eingang verkündete.

Das Kassenhäuschen präsentierte eine üppige Blondine, die ein wenig lasziv bis ordinär wirkte. Ihr Dekolleté war verwegen und an sich ein Experiment.

Parker schritt gemessen auf dieses Kassenhäuschen zu und lüftete höflich seine schwarze Melone.

»Wären Sie so liebenswürdig, Madam, mir eine Karte zu verkaufen?« bat er.

»Klar«, sagte sie und musterte ihn ungeniert, »Loge oder Parkett?«

»Was würden Sie meiner bescheidenen Wenigkeit denn empfehlen?«

»Parkett«, sagte sie etwas geringschätzig, »wir zeigen übrigens nur Filme in der Originalsprache.«

»Könnten Sie mit weiteren Einzelheiten dienen?«

»Revolutionsfilme aus Kuba«, sagte sie.

»Ausgezeichnet«, freute sich Parker andeutungsweise, »ich wollte meine spanischen Kenntnisse ohnehin ein wenig auffrischen.«

Er erhielt seine Karte, nachdem er einen erstaunlich hohen Eintrittspreis entrichtet hatte. Im Eingang zum eigentlichen Kino stieß er fast mit einem Turm von einem Mann zusammen, der eigentlich in einen Catcherring gepaßt hätte.

Dieser Catcher prüfte sehr eingehend die Eintrittskarte, schaltete dann die kleine Taschenlampe ein und führte den Butler in den Zuschauerraum.

Etwas unlustig wies der Catcher einen Platz im Parkett an und verschwand dann auf äußerst leisen Sohlen.

Parker schaute zur Leinwand hoch, wo ein Film abgespult wurde. Es handelte sich tatsächlich um einen Experimentierfilm, denn er verstand von dem, was gezeigt und gesagt wurde, nicht ein einziges Wort.

Auf der Leinwand war eine Frau zu sehen, die vor einem Spiegel saß und sich ihr Haar kämmte.

Sie tat es noch nach vier Minuten, was Parker verständlicherweise langweilte.

Dabei stieß sie leise, zischende Geräusche aus, was Josuah Parker befremdete.

Er fühlte sich derart gelangweilt, daß er sich entschloß, diesem Film sein Interesse vorzuenthalten.

Parker hatte sich inzwischen informiert.

Außer ihm befanden sich im Zuschauerraum nur etwa zwölf bis fünfzehn Personen, die die Dunkelheit nutzten, entweder zu schlafen, oder, falls es sich um Pärchen handelte, intim miteinander zu werden.

Parker, der seine schwarze Melone abgenommen hatte, schob sie über den Bambusgriff seines Regenschirms und klemmte diesen so verzierten Regenschirm dann hinter einen der Klappsitze. Dann erhob er sich und nutzte eine Dunkelphase auf der Leinwand, um seinen Sitz und die Stuhlreihe zu verlassen.

Er hoffte, dabei nicht entdeckt zu werden.

*

»Und ich gehe jede Wette ein, daß Ihr Butler uns diese Geschichte eingebrockt hat«, schnaufte Madford und sah Mike Rander grimmig an, »inzwischen kenne ich doch seine Methoden. Vor allen Dingen seine Masche mit den privaten Handschellen. Ich will wissen, weshalb er die beiden Gangster Cary und Hal an das Scherengitter angeschlossen hat.«

»Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?« ließ Sue Weston sich vernehmen. Auch sie befand sich im Studio von Mike Rander und hatte amüsiert zugehört, wie Madford sich wieder mal über den Butler beschwerte.

»Ich will keinen Drink! Ich will wissen, wo Parker steckt!« gab Madford in seiner gereizten Art zurück. Der schmale, kleine Mann mit dem eleganten Lippenbärtchen erinnerte eigentlich stets an einen mißgelaunten Gockel, der auf alles einhackt, was seinen Weg kreuzt.

Als Sue Weston mit dem gefüllten Glas wieder gehen wollte, schnappte er allerdings blitzschnell nach dem Drink.

»Nehmen Sie doch nicht immer alles so wörtlich«, sagte er dazu, »Sie müssen doch meinen Ärger verstehen. Parker geht wieder mal seine eigenen Wege. Und ich wette, diese beiden festgeschlossenen Gangster hängen mit dem Fall Levell zusammen. Ist es nicht so?«

Während er noch redete, sah er Mike Rander eindringlich an.

»Sprechen Sie darüber mit Parker! Ich habe die beiden Typen ja schließlich nicht ans Scherengitter angeschlossen«, sagte Rander lächelnd.

»Aber Sie wissen, was gespielt wird!«

»Glauben Sie denn immer noch daran, daß Levell sich freiwillig mit dem Lohngeld abgesetzt hat?« Rander wich mit seiner Frage einer Antwort aus.

»Natürlich bin ich nach wie vor sicher«, schnappte Madford sofort zu, »ein durchgebrannter Kassenbote ist doch bereits ein klassischer Fall. So etwas kommt doch am laufenden Band vor.«

»Sie haben natürlich eine Großfahndung nach ihm eingeleitet, nicht wahr?«

»Worauf Sie sich verlassen können, Rander.« Madford nippte am Drink, um dann nachdrücklich zu nicken, »irgendwann werden wir ihn erwischen. Und wenn nicht wir, dann vielleicht ein gewisser Conally.«

Rander, der von Parker natürlich wußte, wer Conally war und daß die beiden Gangster Cary und Hal für ihn arbeiteten, zuckte mit keiner Wimper.

»Conally?« fragte er unschuldig.

»Ein Gangsterboß, der nicht gerade scharf ist auf Schlagzeilen. Ein verdammt cleverer Bursche, der sehr geschickt arbeitet …«

»Und Sie glauben, daß dieser Conally hinter Levell her ist?«

»Warum eigentlich nicht?« meinte Madford nachdenklich, »250 000 Dollar lohnen schon einen privaten Einsatz, finden Sie nicht auch? Und vielleicht sind noch ganz andere Gruppen hinter Levell her. Ich möchte auf jeden Fall nicht in seiner Haut stecken. Er wird erwischt werden. Früher oder später.«

»Daran ist wohl kaum zu zweifeln«, sagte Rander, »hoffentlich sind Sie schneller als irgendwelche Gangster, Madford. Aber Sie gehen nach wie vor von der Annähme aus, daß Levell selbst mit dem Geld durchgebrannt ist. Sie können sich kaum vorstellen, daß er vielleicht hochgenommen wurde?«

»Ausgeschlossen! Da bin ich vollkommen sicher.«

»Sie scheinen Beweise dafür zu haben, oder?«

»Beweise? Vielleicht.«

»Moment mal, Madford, ich möchte annehmen, daß Sie die Telefonleitung von Mrs. Levell angezapft haben. Mit richterlicher Erlaubnis natürlich. Sollte Levell sich etwa gemeldet haben? Vielleicht bei seiner Frau?«

»Wie kommen Sie denn darauf?« wunderte sich Madford derart schlecht und aufgesetzt, daß ihm die Lüge förmlich im Gesicht stand, »das wäre doch zu schön, um wahr zu sein, finden Sie nicht auch?«

»Hat er sich nun gemeldet oder nicht?« Rander war jetzt sicher, daß Levell sich gemeldet haben mußte. Und zwar per Telefon bei seiner Frau.

»Darauf werde ich Ihnen antworten, wenn Parker auspackt. Könnte ja sein, daß wir unsere Informationen mal wieder gegenseitig austauschen. Aber das sage ich Ihnen gleich, reißen tue ich mich nicht darum. Diesmal sitze ich am längeren Hebel. Und das sollten Sie Ihrem Butler klarmachen!«

*

Josuah Parker stand um diese Zeit hinter einem schweren Vorhang, der die Tür zum Notausgang des kleinen Filmtheaters kaschierte.

Parker sah den Lichtschein der abgedunkelten Taschenlampe in der Hand des Catchers.

Dieser Mann pirschte sich vorsichtig an den Sitzreihen entlang. Möglicherweise war ihm nicht entgangen, daß sich auf Parkers Platz etwas getan hatte. Nun wollte er gewiß nachsehen, worum es sich handelte.

Arglos passierte er den Butler, der daraufhin schleunigst sein Versteck verließ und nach vorn zum Eingang des Kinos lief. Hier baute der Butler sich hinter dem breiten Einlaßvorhang auf. Er war sicher, daß der Catcher nicht lange auf sich warten ließ.

Seine Rechnung ging auf, denn der Catcher hatte inzwischen den Rollentausch entdeckt und kam schnell zurück zum Eingang. Freundlicherweise brachte er den Universal-Regenschirm des Butlers und die schwarze Melone gleich mit.

Der Catcher verfügte nicht gerade über die Logik eines Genies. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, der vermißte Kinogast könnte sich hinter dem Vorhang aufgebaut haben. Nein, er passierte diesen Vorhang und öffnete eine kleine Loge seitlich neben dem Eingang.

In diesem Raum gab es eigentlich nichts anderes als nur eine Sprechanlage, die der Catcher gerade in Betrieb setzen wollte. Er hatte seine Hand bereits nach der Einschalttaste ausgestreckt, als er plötzlich wie unter einem elektrischen Schlag zusammenzuckte. Gleichzeitig faßte er ungemein schnell nach seiner rechten Gesäßhälfte, die plötzlich schmerzte.

Der Catcher traute seinen Augen nicht, als er eine Ziernadel aus dem Fleischmuskel zog, die einen bunten Porzellankopf aufwies. Er schaute sich diese kleine Nadel völlig verwirrt an, während er sich mit dem schmerzenden Gesäß an der Türkante der Loge scheuerte. Dann verdrehte der Mann die Augen, seufzte und rutschte an der Wand entlang auf den Boden.

Parker, der dem Catcher diese Nadel in die Kehrseite appliziert hatte, nahm dieses spitze Geschoß an sich und ließ es im Revers seines schwarzen Zweireihers verschwinden. Dann schloß er die Logentür und zog den Schlüssel ab. Vorher war er allerdings noch so vorsichtig, den dünnen Draht der Wechselsprechanlage aus dem Gerät zu ziehen.

Parker nahm Regenschirm und Melone wieder an sich und wandte sich nach rechts.

Neben der Loge befand sich nämlich die schmale Treppe, die hinauf zum Balkon führte. Diese Treppe schien ihm interessant und wichtig zu sein. Gemessen und würdevoll stieg er nach oben.

Er landete auf dem Balkon des kleinen Kinos.

Hier gab es vorn an der Brüstung einige Logen, die aber alle unbesetzt waren. Ansteigend dahinter befanden sich die normalen Balkonsitze. Aber dort gab es auch eine Tür, die zu den oberen Toilettenräumen führte.

Diese Tür benutzte Parker.

Der Toiletten- und Waschraum sah völlig unverdächtig aus. Bis auf eine weißlackierte Tür neben dem großen Waschbecken. Beim genaueren Hinsehen bemerkte Parker den abgegriffenen Lack an der Kante. Diese Tür schien häufig benutzt zu werden.

Parker untersuchte das Schloß und wollte gerade sein Spezialbesteck zum Öffnen bemühen, als die Klinke heruntergedrückt wurde. Sekunden später drehte sich ein Schlüssel im Schloß, dann wurde die Tür schwungvoll aufgedrückt.

Parker hatte nichts dagegen.

*

Ein zweiter Catcher grinste förmlich von einem Ohr bis hinüber zum zweiten und hielt devot die Hand für ein Trinkgeld auf.

Die beiden Männer, die Smoking trugen, verstanden diese Geste und ließen eine kleinere Banknote springen. Dann marschierten sie aus der Toilette hinaus, während der Catcher die Banknote prüfte.

Er grinste jetzt nicht mehr, sondern murmelte ein paar Worte, die nicht gerade saloonfähig waren. Wahrscheinlich war das Trinkgeld zu gering ausgefallen.

Als er zurück zur Tür ging, hüstelte Parker diskret.

Der zweite Catcher wirbelte sofort herum. Seine Reflexe schienen noch in Ordnung zu sein. Gleichzeitig griff er nach seiner Schulterhalfter. Er führte die gedachte Bewegung allerdings nicht zu Ende. Er starrte fasziniert und ratlos auf den Butler, der seine geöffnete, schwarz behandschuhte und flache Hand in die Höhe seines Mundes gebracht hatte.

Gleichzeitig pustete der Butler einen grauen Staub in das Gesicht des zweiten Catchers.

Die Partikelchen formierten sich und landeten in den Augen des Mannes, der von einer Sekunde zur anderen von einem Weinkrampf durchgeschüttelt wurde.

Er rieb sich die Augen, verschlimmerte dadurch alles noch mehr und spürte dann einen äußerst harten Gegenstand, der sich auf seine niedrige Stirn legte.

Er konnte nicht sehen, daß es sich um den bleigefütterten Bambusgriff von Parkers Regenschirm handelte. Er konnte nicht denken, denn der Bambusgriff schickte ihn ohnmächtig auf den Boden. Als er dort ankam, war der zweite Catcher bereits geistig weggetreten.

Parker stieg über den Mann hinweg und betrachtete den kleinen, fast viereckigen Korridor, von dem zwei Türen abzweigten.

Josuah Parker hielt auf jene Tür zu, über der »Privat« stand. Sein Spezialbesteck öffnete das Schloß unhörbar. Parker drückte die Tür vorsichtig auf und fixierte die beiden Personen, die vor einem schmalen Glasfenster standen, das in die Mauer eingelassen war.

Es handelte sich um Pete Conally, wie er sofort richtig erkannte. Und um eine junge, äußerst attraktiv wirkende Dame, die in einem schwarzen Hosenanzug steckte und ihn irgendwie an eine geschmeidige Katze erinnerte.

*

»Mrs. Levell«, sagte Sue Weston leise und reichte Rander den Telefonhörer.

»Rander«, meldete sich der junge Anwalt, während Sue nach dem Zweithörer griff, um das Gespräch mitzuhören.

»Könnte ich Mister Parker sprechen?« fragte Mrs. Levell auf der anderen Seite der Leitung. Ihre Stimme klang nervös und gehetzt.

»Tut mir leid, Mrs. Levell«, erwiderte Rander, »mein Butler ist unterwegs. Kann ich ihm etwas ausrichten?«

»Ich … Hören Sie … Man hat …« Sie stotterte herum. Die Auskunft Randers schien sie vollends durcheinander gebracht zu haben.

»Hat Ihr Mann sich gemeldet, Mrs. Levell?« fragte Rander sie daraufhin rundheraus.

»Wieso? Wie?« Rander hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, wie ihrer verwirrten Reaktion zu entnehmen war.

»Sie können Vertrauen zu mir haben, Mrs. Levell«, sagte Rander schnell, »Mister Parker und ich arbeiten immer Hand in Hand. Ich weiß, daß er Ihnen helfen will.«

»Hank … ich meine, mein Mann … Er hat sich wirklich gemeldet«, gab Mrs. Levell daraufhin zu. Sie schien erleichtert darüber zu sein, daß sie über diese Tatsache mit einem Menschen reden konnte. »Vor einer knappen Stunde kam sein Anruf. Zuerst wollte ich ihn verschweigen. Ich habe lange mit mir gerungen, glauben Sie mir.«

»Was hat Ihr Mann gesagt?«

»Er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Er sprach nur sehr wenig.«

»Von wo aus rief Ihr Mann an, Mrs. Levell?«

»Das sagte er nicht, obwohl ich ihn danach gefragt habe. Er sagte nicht viel. Wissen Sie, ich glaube, daß er nicht so sprechen konnte, wie er wollte.«

»Was sagte er noch?«

»Hank will in den nächsten Tagen zurückkommen. Er sagte, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen.«

»Fragten Sie ihn nach der Viertelmillion?«

»Natürlich, aber darauf antwortete er nicht. Sagen Sie mir, was ich jetzt machen soll, Mister Rander. Muß ich nicht die Polizei anrufen? Obwohl er mir das streng verboten hat?«

»Ich fürchte, daß die Polizei bereits Bescheid weiß«, sagte Rander und dachte an Captain Madford, »will Ihr Mann sich noch mal melden?«

»In den nächsten beiden Stunden«, sagte Mrs. Levell. »Ich bin völlig durcheinander. Hoffentlich passiert Hank nichts. Seine Stimme klang so mechanisch. So leiernd, als hätte er Mühe, die Worte zu formulieren, verstehen Sie, was ich meine?«

»Wenn Sie erlauben, Mrs. Levell, werden meine Sekretärin und ich sofort zu Ihnen kommen.«

»Ja, bitte«, sagte sie mit ängstlicher Stimme, »allein in der Wohnung würde ich es jetzt nicht mehr aushalten. Bitte, kommen Sie schnell! Ich habe Angst um Hank.«

*

Parker sah ebenfalls durch die Glasscheibe, und zwar in einen angrenzenden Raum, der die Dimensionen eines mittleren Saales aufwies.

In diesem Saal standen ein paar Spieltische, die nicht umlagert waren. Es wurde Roulette gespielt, und die Einsätze konnten sich sehen lassen.

Die Spieler trugen durch die Bank dunkle Anzüge, Smokings und Abendkleider. Sie stammten sicher aus begüterten Kreisen und suchten teure Zerstreuung.

»Schlecht besucht heute«, sagte die Frau zu Conally.

»Der Abend fängt ja erst an«, stellte Conally richtig, »wichtiger ist, wann Cary und Hal sich endlich melden.«

»Was versprichst du dir eigentlich davon?« wollte die Frau wissen.

»250 000 Dollar«, gab Conally lächelnd zurück, »ich gehe jede Wette ein, daß Parker schon auf ’ner heißen Spur ist. Aber das wird er uns ja bald sagen können, Liz. Auf die Jungs kann ich mich verlassen.«

»Ich fürchte, ein wenig Wasser in den Wein Ihrer Hoffnungen gießen zu müssen«, schaltete Josuah Parker sich in diesem Augenblick ein. Als Conally prompt herumwirbelte und ihn entsetzt anstarrte, lüftete der Butler höflich seine Melone.

Die Frau mit dem schwarzen Haar und den dunklen, verhalten glühenden Augen wandte sich wesentlich langsamer um. Ihr Gesicht wirkte neutral, fast ausdruckslos, als sie den Butler musterte. Sie schien auf jeden Fall bessere Nerven zu haben als Conally, der jetzt tief nach Luft schnappte.

»Ich möchte auf keinen Fall stören«, entschuldigte sich der Butler in seiner höflichen und ruhigen Art, »ich komme nur, um Sie über Ihre beiden Mitarbeiter Cary und Hal zu informieren. Ich fürchte, sie sind im Moment nicht in der Lage, Ihnen Bericht zu erstatten.«

»Wie … Wie kommen Sie hier herein?« sagte Conally, der sich endlich etwas gefangen hatte.

»Aber das ist doch jetzt völlig unwichtig, Pete«, mischte sich die junge schwarzhaarige Dame in die Unterhaltung ein, »ich freue mich, daß Mister Parker gekommen ist.«

»Sie kennen meine bescheidene Wenigkeit?«

»Von Erzählungen und Beschreibungen her«, sagte sie und lächelte kokett.

»Hoffentlich enttäusche ich Sie nicht zu sehr.«

»So, wie Sie aussehen, Mister Parker, habe ich Sie mir genau vorgestellt«, erwiderte Liz lächelnd, »Sie haben Cary und Hal außer Gefecht gesetzt, nicht wahr?«

»Es ließ sich leider nicht vermeiden«, gab der Butler zurück, »aber ich darf Ihnen versichern, Madam, daß ihnen nichts angetan wurde, das sie nicht überwinden würden.«

Conally war halt ein Gangster, der es einfach nicht lassen konnte. Für ihn zählte nur die nackte Gewalt. Er schob sich langsam zu seinem Schreibtisch hinüber. Und sein Ziel war mit Sicherheit die obligate Schreibtischschublade, in der sich höchstwahrscheinlich eine Schußwaffe befand.

Worauf Parker fast beschwörend den Kopf schüttelte.

»Wenn ich mir einen Rat erlauben darf«, sagte er dazu zu Conally, »so sollten Sie Abstand von überraschenden Angriffen nehmen. Sie sollten inzwischen bemerkt haben, daß ich als interessierter Besucher gekommen bin.«

Sicherheitshalber war Parker dem Gangsterboß an den Schreibtisch gefolgt. Seine schwarz behandschuhten Hände spielten mit einem ordinären Leimtopf, der neben einer Federschale stand.

Es war ausgerechnet die schwarzhaarige junge Dame, die jetzt aggressiv wurde.

Sie hatte sich eine echte Chance ausgerechnet, Parker außer Gefecht setzen zu können. Und sie wollte diese Chance sofort nutzen. Sie hielt plötzlich einen soliden Aschenbecher in der rechten Hand und war ganz wild darauf, ihn auf dem Kopf von Parker abzustellen.

Sie kickste erschreckt auf, als Parker ihr den Leimpinsel durch das frisch bemalte Antlitz zog.

*

Sie schnappte nach Luft, leckte nach dem weißen Leim und spuckte ihn wütend wieder aus. Ihr war die Sicht genommen, und sie warf den Aschenbecher wütend und ziellos durch das Zimmer.

Womit Conally nicht gerechnet hatte.

Er verdrehte die Augen gegeneinander, schielte außerordentlich und stöhnte dann leise auf. Was damit zusammenhing, daß der schwere Aschenbecher auf seiner Nasenwurzel gelandet war. Conally wurde schwach in den Beinen und fiel rücklings in einen günstig stehenden Sessel.

Die junge Dame namens Liz wischte sich inzwischen die verleimten Augen aus und schob sich dabei hilflos durch das Zimmer. Sie konnte nicht sehen, daß Parker die Gunst des Augenblicks nutzte, um sie weiter zu beschäftigen.

Zuerst benutzte er den Pinsel, mit dem er weitere Leimstriche durch ihr Gesicht zog.

Anschließend verleimte er das Kleid auf ihrem Rücken und goß den zähen Rest in ihren großherzigen Ausschnitt.

Liz führte daraufhin einen fast vollendeten Tanz auf und griff nach ihrer Kleidung, die sich bereits innig mit ihrer Haut verband. Dazu stieß sie kleine und spitze Schreie aus.

Parker, der eigentlich schon genug gehört hatte, entschloß sich zum Gehen. Er wollte nicht weiter stören. Er wußte, daß die beiden Strolche Cary und Hal von Conally auf ihn angesetzt waren, um auf diesem Umweg an die 250 000 Dollar heranzukommen. Conally wollte nur im trüben fischen. Für das Verschwinden von Hank Levell kam er nach Lage der Dinge nicht in Betracht.

Der Catcher, der Parkers Staubpartikelchen tief eingeatmet hatte, richtete sich gerade auf, als Parker erschien.

Kraftlos sah er dem Butler nach, um dann wieder endlos zu niesen. Es schüttelte ihn jedesmal derart durch, daß er immer wieder von den Knien abrutschte und haltlos auf dem Boden landete.

Als Parker die untere Loge erreicht hatte, sah er kurz nach dem ersten Catcher.

Dieser Mann, der von Parkers Ziernadel getroffen worden war, pflegte noch der tiefen Ruhe. Er war überhaupt nicht ansprechbar.

Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, als er das kleine Kassenhäuschen passierte.

Die üppige Blondine, die nichts ahnte, würdigte ihn nicht eines Blickes. Ein Mann mit dem Aussehen Parkers war in ihren Augen ein totales Nichts.

*

»Sind Sie sicher, daß es die Stimme Ihres Mannes gewesen ist?« fragte Mike Rander eindringlich, »überlegen Sie genau, Mrs. Levell!«

»Vollkommen sicher«, sagte sie, »und ich glaube, daß das Gespräch von weit her kam. Seine Stimme klang nicht besonders laut. Wie bei einem Stadtgespräch, zum Beispiel.«

»Sie könnte also auf keinen Fall imitiert worden sein?« schaltete Sue Weston sich ein.

»Auf keinen Fall«, gab Mrs. Levell zurück, »er brauchte Redewendungen, die typisch für ihn sind, verstehen Sie?«

»Warten wir ab, ob er sich noch mal melden wird«, sagte Rander. Er und Sue Weston befanden sich in dem Wohnraum der Levell-Wohnung und hatten es geschafft, Mrs. Levell etwas zu beruhigen. Sie rauchte jetzt eine Zigarette, nippte an einem Glas Milch und beobachtete fast konzentriert das Telefon.

Sue Weston taxierte sie ab.

Mrs. Levell sah wieder nicht vorteilhaft aus. Sie trug ein einfaches, aber viel zu weites Hauskleid, das bis über die Knie reichte. Das Haus war ungepflegt. Von einem Make-up war nicht die Spur zu erkennen.

Sue räusperte sich leicht, worauf Mrs. Levell zusammenfuhr. Sie schien mit ihren Nerven am Ende zu sein.

»Entschuldigung«, sagte Sue und stand auf, »wo finde ich das Badezimmer?«

»Am Ende des Korridors, rechts«, sagte Mrs. Levell, die schon wieder das Telefon hypnotisierte. Sue nickte dankend und verließ den kleinen Wohnraum mit den billigen Versandhausmöbeln. Sie hatte keineswegs die Absicht, sich die Nase zu pudern, sie wollte sich das Schlafzimmer der Levells ansehen. Sie war einfach neugierig. Sie kam nicht von dem Gedanken los, daß Rander und ihr so etwas wie Theater vorgespielt wurde.

Sie fand das Schlafzimmer auf Anhieb.

Es gab die beiden Einzelbetten, die von einem niedrigen Schränkchen getrennt wurden. Auf diesem Schränkchen machte sich ein Teddybär breit, der den übrigen Kitsch hoch überragte. Dieser Kitsch bestand aus Nippes-Figuren, gestickten Deckchen und zwei Nachttischlampen, die die Form kleiner Tänzerinnen hatten. In ihren ausgestreckten Händen hielten sie die Lampenschirme, die mit Troddeln und Fransen verziert waren.

Im Zimmer roch es nach billigem Parfüm.

Sue schaute zur Tür. Sie hoffte, sich noch etwas Umsehen zu können. Mike Rander mußte wissen, daß sie Zeit brauchte. Und sicher würde er sie in irgendeiner Form warnen, falls Mrs. Levell ihr folgen wollte.

Doch davon war nichts zu hören.

Sue öffnete vorsichtig den Wandschrank und sah sich die Kleider an. Sie suchte vor allen Dingen nach einer Garçonkappe, wie Parker sie beschrieben hatte.

Zu ihrer Überraschung fand sie diese Kappe in einem Seitenfach des Wandschranks. Die Kappe war brandneu und sicher nicht billig gewesen. Sie paßte tatsächlich nicht in diesen Schrank, in dem billige Konfektionskleidung hing. Es handelte sich um einige Kleider, Kittel und um zwei einfache Mäntel.

Die Wäsche von Mrs. Levell war auf keinen Fall das, was man Reizwäsche hätte nennen können. Alles wirkte ein wenig bieder und auch hausbacken. Zu bieder und hausbacken, wie es Sue durch den Kopf schoß. Sie konnte sich einfach keine Frau vorstellen, die nicht wenigstens ein paar gewagte und freche Dinge für den Intimbereich eingekauft hatte, wobei man durchaus offen lassen konnte, ob sie solche Dinge auch tatsächlich verwendete.

Sue hörte das Läuten des Telefons und beeilte sich, zurück in den Wohnraum zu kommen.

Mrs. Levell hielt bereits den Hörer in der Hand.

»Hank?« fragte sie gerade mit leiser, ängstlicher und erwartungsvoller Stimme, »Hank, bist du es?«

Mike Rander hatte sein Ohr dicht an die Rückseite des Hörers gebracht, um mitzuhören. Er sah Sue, die jetzt vor ihm stand, aus erwartungsvoll geöffneten Augen an.

»Warum kommst du nicht zurück?« fragte Mrs. Levell gerade, »die Polizei glaubt, du hättest das Geld unterschlagen, Hank! Sie halten dich für einen Dieb. Bitte, komm zurück!«

Sue ließ sich leise in einen der einfachen Sessel gleiten und wartete ab, bis das Gespräch beendet war.

Das geschah schneller als erwartet.

»Hank … Hank …!« sagte Mrs. Levell gerade aufgeregt und wesentlich lauter, »Hank, bist du noch am Apparat? Sag doch etwas! Hank, hörst du mich?«

»Aufgelegt«, kommentierte Mike Rander und richtete sich auf, »hörte sich so an, als sei ihm etwas dazwischengekommen, Mrs. Levell!«

»Ich habe einen Schuß gehört«, erwiderte Mrs. Levell und rang die Hände, »haben Sie ihn nicht auch gehört, Mister Rander? Das muß doch ein Schuß gewesen sein.«

»Vielleicht nur eine Tür, die ins Schloß gefallen ist«, meinte Rander lahm und ohne Überzeugungskraft. Es war offensichtlich, daß er an diese Tür nicht glaubte.

*

Parker war noch nicht in der Laune, zurück in die Dachgartenräume seines jungen Herrn zu gehen.

Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und näherte sich der Straße, in der sich die Geschäftsräume einer bestimmten Detektei befanden.

Etwa zehn Minuten später wußte er, daß er diesen kleinen Umweg nicht umsonst gemacht hatte. In den Räumen der Detektei Stilson brannte noch Licht.

Parker ließ seinen Wagen etwa hundert Meter hinter dem Haus stehen und ging zu Fuß zurück.

Die Haustür war geöffnet, was ihn nicht weiter wunderte.

Parker ging über die Treppe nach oben und blieb abwartend vor der Tür Nummer 125 stehen.

Stimmen waren zu hören. Lana Clint war dabei, die wütend zu sein schien.

»… kann ich euch wirklich nicht verstehen«, meinte sie, »wer ist schon dieser Parker? Ein Mann, der mal Glück gehabt hat. Ich lasse mich von ihm nicht ins Bockshorn jagen.«

»Du kennst den Butler nicht«, erwiderte Stilson wehleidig, »dieser Kerl ist mit allen Wassern gewaschen. Haben wir doch heute erst erlebt. Ich bin dafür, daß wir die Sache Levell fallenlassen. Dabei springt für uns nichts heraus.«

»Wer verzichtet schon freiwillig auf 125 000 Dollar?« schaltete sich jetzt der Hippie Paul ein. Seine Stimme war unverkennbar. »Lana hat recht. Wir dürfen nicht klein beigeben. Und wenn Parker Ärger macht, müssen wir ihm eben auf die Füße treten!«

»Und wie, wenn man mal fragen darf?« Stilson, der Chef der Detektei, wollte Einzelheiten wissen.

»Ein paar Wochen Krankenhaus sind gar nicht zu verachten«, erwiderte Hippie Paul, »das muß doch zu schaffen sein. Dieser Parker ist doch nicht unverwundbar.«

»Okay, einverstanden, Paul, aber dann kannst du ihm die paar Wochen Krankenhaus auch verschreiben.« Stilsons Stimme klang erleichtert.

»Worauf du dich verlassen kannst, Stilson.« Hippie Paul war guter Dinge, was den Krankenhausaufenthalt des Butlers anging, »ich werde das übernehmen. Und Lana wird mir dabei helfen.«

»Parker muß so schnell wie möglich ausgeschaltet werden«, erklärte Lana Clint mit Nachdruck, »wir brauchen freie Bahn, wenn wir uns an die Levell hängen wollen.«

Parker hörte interessiert zu, doch er glaubte nicht so recht an das, was er da hörte.

Wieso sprachen die Mitglieder der obskuren Detektei ausgerechnet in dem Augenblick von ihren Plänen, als er vor der Tür auftauchte? Wußten sie, daß er draußen stand? Waren sie durch irgendein geschickt angebrachtes Alarmsystem gewarnt worden?

Parker juckte es zwar in den Fingern, auf der Bildfläche zu erscheinen, doch er unterdrückte diesen Wunsch. Auf leisen Sohlen ging er zurück zur Treppe und dann nach unten. Er wollte nicht gerade das tun, was Stilson, der Hippie und Lana Clint vielleicht von ihm erwarteten.

Er konnte nur hoffen, daß sein Entschluß richtig war.

*

Parker saß in seinem hochbeinigen Wagen und verließ die Fendel Street. Er fuhr allerdings nur um den Häuserblock herum und baute sich erneut in der Nähe der Detektei auf.

Er hatte genau den richtigen Zeitpunkt gewählt.

Er stand in einem Hausflur und beobachtete den Eingang.

Nach etwa fünf Minuten erlosch das Licht in den Räumen der Detektei. Wenige Minuten später erschienen unten auf der ziemlich dunklen Straße Hippie Paul und Lena Clint. Sie gingen auf einen altersschwach aussehenden Chrysler zu, dessen Steuer der Hippie übernahm.

Parker wartete, bis der Wagen verschwunden war.

Kam er zurück? War diese Abfahrt nur ein Trick? Rechneten die Detekteileute damit, daß er sich noch in der Nähe befand?

Nach zehn Minuten tat sich immer noch nichts.

Parker schlenderte gemessen auf das Haus zu, um dann, als er den Eingang fast erreicht hatte, sich plötzlich umzuwenden. Er tat so, als habe er eine wichtige und ihn alarmierende Entdeckung gemacht. Mit ausgesprochen schnellen Schritten ging er zurück in Richtung Hausflur, den er eben erst verlassen hatte.

Seine Taktik erwies sich als richtig.

Plötzlich zuckten zwei grelle Autoscheinwerfer durch die Dunkelheit.

Ein Motor heulte wütend auf.

Parker sah einen Wagen, der mit großer Geschwindigkeit auf ihn zuhielt.

Ob es sich um den Chrysler handelte, vermochte er nicht zu sagen. Er war geblendet und mußte sich höllisch beeilen, wenn er nicht überfahren werden wollte.

Parker hatte keine große Auswahl an Rettungsmöglichkeiten. Der Wagen kam sehr schnell näher, und die Scheinwerfer schnitten ihn aus der Dunkelheit heraus. Sie ließen ihm keine Chance.

Parker tat nun etwas, was Nichteingeweihte entsetzt hätte. Er rannte auf die beiden Schaufenster einer Pfandleihe zu, deren Scheiben durch starke Scherengitter gesichert waren. Parker rannte, was bei ihm etwas zu sagen hatte. Dies tat er wirklich nur, wenn es um sein Leben ging.

Der Wagen schoß näher.

Parker schien die Übersicht verloren zu haben. Warum sah er seine Rettung ausgerechnet vor diesen beiden Schaufenstern? Die Scherengitter waren höchstens geeignet, als eine Art Sieb zu wirken, durch das ihn der Wagen gleich pressen mußte.

Dann geschah alles mit einer brutalen und konsequenten Schnelligkeit.

Parker hatte das linke Schaufenster samt Scherengitter erreicht.

Der Wagen mit den voll aufgeblendeten Scheinwerfern war nur noch wenige Meter von ihm entfernt.

Die Vorderräder sprangen bereits über den Bordstein. Der Kühler war bereit, Parker auf die Hörner zu nehmen, um ihn dann durch das Scherengitter in die Scheibe zu drücken.

Parker schien vor Schreck wie gelähmt.

Vielleicht wollte er den Wagen auch nicht mehr sehen. Er wandte ihm den Rücken zu. Hatte der Butler mit seinem Leben abgeschlossen? Sah er ein, daß er seine Meister gefunden hatte?

Der Kühler war nur noch knapp anderthalb Meter von seinem Rücken entfernt.

Und Parker rührte sich nicht!

*

Mike Rander hatte seinen Sportwagen in die Tiefgarage des Bürohochhauses gesteuert und wartete, bis sich die Tür zu den privaten Parkboxen hob.

Diese Parkboxen hatte er sich als Eigentümer des Hochhauses reservieren lassen. Durch starke Gitter und Maschengeflecht geschützt, befanden sich die Parkboxen in der äußersten linken Ecke der Tiefgarage. Von diesen Boxen aus konnte man mit einem Expreß- und Privatlift hinauf zum Penthouse fahren.

Mike Rander hatte die Einfahrt zu den Privatboxen über Funkimpulse veranlaßt, sich zu öffnen. Das breite Tor hob sich bereits, und genau in diesem Moment erschien rechts vom Wagen ein Mann, dessen Gesicht von einer Maske verdeckt war.

Dieser Mann hielt eine Maschinenpistole in der Hand.

»Raus!« sagte er fast lässig, »und die Flossen hoch!«

Sue Weston, die sich ebenfalls angesprochen fühlte, hob sofort die Arme. Sie hatte erkannt, daß Gegenwehr sinnlos und selbstmörderisch gewesen wäre.

Rander folgte ihrem Beispiel. Wobei er sich darüber ärgerte, daß er ziemlich leichtsinnig in die Tiefgarage gefahren war. Hier hatten sich in der Vergangenheit schon wiederholt Kidnappingsversuche ereignet, die ihm, Sue und Parker gegolten hatten.

Rander stieg also aus und hörte im gleichen Moment schräg hinter sich ein scharrendes Geräusch.

Instinktiv wollte er sich umwenden, doch in diesem Moment erhielt er einen harten Schlag ins Genick. Er sah die oftmals geschilderten bunten Sterne und fiel dann in den ebenfalls immer wieder zitierten grundlos tiefen und schwarzen Brunnen seines Bewußtseins. Mit anderen Worten, Rander war sofort ohnmächtig und nicht mehr in der Lage, etwas für seine Sekretärin zu tun.

Sue rührte sich nicht.

Sie hatte den Niederschlag Randers beobachtet. Aus den Augenwinkeln sah sie den Mann, der das getan hatte, Auch er trug eine Gesichtsmaske.

Sue stieg aus dem niedrigen Sportwagen und versuchte den Mann mit der Maschinenpistole zu erkennen.

»Umdrehen!« kommandierte der Mann, dessen Stimme hinter der Strumpfmaske dumpf und hohl klang.

Sue gehorchte.

»Hände auf den Rücken!«

Sie folgte auch diesem Befehl.

Der zweite Mann, der Rander niedergeschlagen hatte, baute sich knapp vor ihr auf. Er hielt eine Stahlrute schlagbereit in der Hand.

»Dein Gesicht geht drauf, wenn du Dummheiten machst«, warnte er.

Sue holte tief Luft. Sie glaubte diesem untersetzten, muskulösen Mann aufs Wort.

Inzwischen spürte sie, daß ihre Hände mit einem dünnen Strick zusammengebunden wurden.

Sue kam sich schrecklich hilflos vor. Sie ahnte, in wessen Hände sie gefallen war. Und sie konnte sich vorstellen, was sie erwartete, denn der Mann vor ihr griff schamlos nach ihrer Brust.

Ein hartes, brutales Zupacken wäre ihr lieber gewesen. Doch dieser Mann strich fast sanft über ihren Pullover, abschätzend, irgendwie mit einer dennoch schmierigen Geste.

Sue schloß die Augen.

*

Parker schien keine Chance mehr zu haben.

In der nächsten Sekunde mußte der Autokühler ihn erfassen und durch das Scherengitter in die Schaufensterscheibe drücken.

Aber Parker wäre nicht Parker gewesen, wenn er keinen Ausweg entdeckt hätte.

Im letzten Augenblick schnellte sein Arm hoch, in dessen Hand sich sein Universal-Regenschirm befand.

Er hielt die untere Stockzwinge in der Hand. Mit dem starken Bambusgriff des Schirms hakte er in das Scherengitter und zog sich daran mit einer erstaunlichen Leichtigkeit hoch.

Parker zog die Beine an und brachte sie in Leibeshöhe. Dennoch spürte er einen leisen Schlag gegen die Fersen, als das Wagendach unter ihm hindurchschoß, um sich krachend gegen das Scherengitter zu legen.

Der Kühler demolierte das Gitter und fraß sich in die Eisenkonstruktion.

Der Automotor heulte wütend auf. Schlagartig erloschen die Scheinwerfer, die vom Zusammenprall mit dem Scherengitter zertrümmert worden waren.

Der Fahrer legte den Rückwärtsgang ein und wollte den Wagen rollen lassen.

Er hatte die Wucht des Zusammenpralls unterschätzt. Das verbogene und teils auseinandergerissene Scherengitter war wie eine Falle, die ihre Beute nicht mehr hergab.

Parker ließ seine Beine hinunter, hakte den Bambusgriff aus dem Gitter und marschierte dann fast gemessen über das Dach des ruckenden Wagens hinüber zum Kofferraum.

Es war schon fast amüsant, wie ruhig und gelassen der Butler über den Kofferraum hinunter auf den Gehweg stieg.

Er nahm die Gelegenheit wahr, in den Wagen zu sehen.

Am Steuer des Chrysler – um ihn handelte es sich, wie Parker inzwischen entdeckt hatte – saß ein guter, alter Bekannter.

Hippie Paul mit der Lennon-Brille mühte sich verzweifelt ab, den Wagen vom Scherengitter zu lösen.

Neben ihm hockte Lana Clint, die sich die Stirn massierte. Sie schien gegen die Scheibe geschlagen zu sein und machte einen nicht mehr ganz gesunden Eindruck.

Parker verschwand zwischen am Straßenrand abgestellten Wagen und sah den Bemühungen Pauls zu, dem es endlich gelungen war, den Wagen vom Scherengitter zu lösen.

Lana war inzwischen ausgestiegen und suchte nach Parker. Sie machte einen leicht verwirrten Eindruck, was zu verstehen war, denn das Opfer, eben noch in einer absolut ausweglosen Situation, war einfach nicht mehr vorhanden. Es schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Sie hastete wieder in den Wagen, der zurück auf die Straße stieß.

Parker blieb in Deckung eines kleinen Lasters stehen und sah dem davonpreschenden Wagen nach, während weit in der Ferne bereits die Sirene eines Polizeistreifenwagens zu hören war.

Der aus der Nachtruhe aufgeschreckte Pfandleiher und Besitzer des Scherengitters hatte inzwischen die Polizei alarmiert.

*

Seinen Arm legte er um ihre Schulter und tat sehr heimatlich.

Sue war wie verkrampft.

Sie ahnte, daß sie gegen diese Umarmung nichts unternehmen durfte. Ihre einzige Chance bestand darin, dem Gangster etwas vorzugaukeln. Er mußte das Gefühl bekommen, daß sie einem kleinen und intimen Abenteuer nicht abgeneigt war.

Seine Füße standen auf Rander, der vor ihm und Sue auf dem Wagenboden lag. Rander war ebenfalls gefesselt. Ob er bereits wieder zu sich gekommen war, konnte Sue nicht beurteilen.

Der zweite Gangster saß am Steuer des Wagens, der hinüber in den Ostteil der Stadt gefahren wurde. Beide Männer hatten inzwischen ihre Gesichtsmasken abgelegt. Sue hatte die Burschen vorher noch nie gesehen. Es waren echte Unbekannte für sie.

»Meine Hände«, sagte sie und stöhnte, als er mit ihrem Nackenhaar spielte.

»Das gibt sich, Süße«, turtelte der Gangster neben ihr, »man gewöhnt sich an alles.«

Dann beugte er sich vor, nahm hart ihren Kopf herum und küßte sie gierig.

Um ein Haar hätte Sue falsch reagiert und ihn mit ihrer Schulter zurückgestoßen. Sie nahm sich zusammen und erwiderte zwar nicht seinen Kuß, das wäre zu auffällig gewesen, aber sie ließ immerhin erkennen, daß sie angeblich beeindruckt war.

»Puh …!« sagte sie gespielt atemlos, als er sie wieder freigab.

»Laß den Quatsch, Ronnie«, fuhr der Mann am Steuer dazwischen.

»Wieso Quatsch?« Ron grinste, »die Kleine scheint Temperament zu haben.«

»Finger weg!«

»Du bist wohl behämmert, wie?« Ron beugte sich vor zum Fahrer, »wer hat hier wem was zu sagen, he?«

»Schon gut«, sagte der Mann am Steuer und hob gleichzeitig die Schultern, »laß dich nur nicht leimen!«

»Aber ich doch nicht, Clive!« Ron lachte leise auf, »ich weiß doch, wie man mit Katzen umgeht!«

Dann zog er Sue wieder an sich und ließ seine linke Hand unter ihren Pullover gleiten.

Sue bäumte sich auf und stöhnte.

Was Ron gründlich mißverstand. Erfreuerlicherweise übrigens, wie Sue konstatierte.

»Ganz schön heiß«, sagte er, »aus uns kann noch was werden, Süße.«

»Wohin … Wohin bringen Sie uns?« fragte Sue, Sie ignorierte seine Hand, was ihr nicht leicht fiel.

»Kleiner Ausflug«, meinte Ron, »Stadtrundfahrt … Und dann ’ne kleine Party, einverstanden?«

»Ich habe Angst«, gestand Sue ehrlich und laut.

»Ich auch – nämlich vor mir«, erwiderte Ron, wozu Clive vorn am Steuer meckernd auflachte.

*

Die Polizei hatte den Tatort vor dem Scherengitter längst verlassen. Sie hatte einige Spuren gesichert, den aufgeschreckten Pfandleiher vernommen und ein paar Zeugen aus den benachbarten Häusern befragt.

Herausgekommen war nichts, wie Parker es aus der vorsichtigen Distanz bemerkt hatte. Er hatte sich nicht sehen lassen und die Szene von seinem hochbeinigen Wagen aus beobachtet. Er stieg aus, als die beiden Streifenwagen in einer Seitenstraße verschwunden waren.

Seit dem Mordversuch an ihm waren gut und gern fünfundvierzig Minuten verstrichen.

Die Straße machte wieder einen verschlafenen und dunklen Eindruck. Parker glaubte, jetzt wieder aktiv werden zu können. Sein Ziel war das graue und schäbige Haus, in dem es eine Detektei gab.

Auf der Treppe selbst war er noch unbefangen und bewegte sich normal. Als er aber den kleinen Korridor vor sich hatte, in dem sich die Räume der Detektei befanden, schaltete er auf höchstes Mißtrauen um.

Parker ging von der Voraussetzung aus, daß Stilson irgendein Alarmsystem installiert haben mußte. Er dachte an das Gespräch von Stilson, dem Hippie und Lana Clint. Auf Kommando hatten sie eine Unterhaltung geführt, die Parker interessieren mußte. Sie hatten auf ein ganz bestimmtes Stichwort hin dieses Gespräch geführt.

Parker untersuchte sorgfältig den Eingang zum Korridor, der früher mal eine Tür gewesen war. Die Holzrahmen waren noch zu sehen. War hier das Alarmsystem versteckt?

Sein Verdacht bestätigte sich sehr schnell.

Es gab so etwas wie eine unsichtbare Lichtschranke. Links und rechts in Kniehöhe angebracht, entdeckte er im Rahmenholz zwei Linsen, die sich genau gegenüber lagen. Ob diese Lichtschranke eingeschaltet war, vermochte er nicht zu sagen. Sicherheitshalber ging er von dieser Annahme aus.

Er benutzte seinen Universal-Regenschirm als Sprungstab. Mit einem leichten Anlauf schwang er sich über die Lichtschranke und stand dann im eigentlichen Korridor. Bis zur Tür Nummer 125 war es jetzt nicht mehr weit.

Parker kannte bisher nur die beiden eigentlichen Arbeitsräume der Detektei. Seiner Ansicht nach befanden sich Stilsons Privaträume hinter den Türen Nummer 126 und Nummer 127.

Sein Besteck war Superklasse.

Es befand sich in einem kleinen Lederbeutel und setzte sich aus verchromten Spezialschlüsseln zusammen. Nach ungefähr zwanzig Sekunden hatte er die Tür Nummer 126 aufgesperrt.

Vorsichtig öffnete er sie und starrte in die Mündung einer kurzläufigen 38er.

Sie war so groß wie ein mittleres Scheunentor, wie Parker empfand.

*

Die nächtliche Stadtrundfahrt endete auf einem weiten Platz, wo dicht an dicht ein Wohnwagen neben dem anderen stand. Es handelte sich um Kleinstmodelle, um Luxusausführungen und um riesige Trailer, die schon Häuser auf Rädern glichen.

Der Wagen hielt vor einem dieser Trailer, das Licht wurde ausgeschaltet.

»Auf, Süße!« sagte Ron und schob Sue aus dem Wagen.

Clive hatte inzwischen das Steuer verlassen und kümmerte sich um Mike Rander, der noch immer bewußtlos zu sein schien. Das änderte sich, als Clive ihm einen leichten Haken verpaßte. Daraufhin entschloß Rander sich, die Augen zu öffnen und mitzuspielen.

Sie gingen schweigend zur Tür des großen Trailers, die von Ron aufgeschlossen wurde. Er schob Sue in den Wagen hinein. Sie blieb in der Tür stehen und sah sich nach Rander um.

»Für den haben wir ’ne Extrabehausung«, sagte Ron grinsend, »er würde nur stören.«

Clive schob und drückte Rander auf einen kleineren Wohnwagen zu, dessen Tür er öffnete. Er verschwand mit Rander in diesem Wohnwagen und zog leise die Tür hinter sich zu.

»Setz dich, Kleine«, sagte Ron zu Sue. Dann verabreichte er ihr geschickt einen leichten Stoß. Sie kam mit den Kniekehlen gegen die Kante einer Koje und fiel rücklings auf das breite Bett.

Er baute sich vor ihr auf und sah auf sie hinunter.

»Wie war’s denn jetzt mit einem Schluck?« fragte er und streifte sich das Jackett ab.

»Bitte!« sagte Sue und richtete sich mühsam wieder auf, »was … was geschieht mit Mister Rander?«

»Der wird von Clive zur Ruhe gebettet«, sagte Ron und öffnete einen Wandschrank in der Pantry des Trailers. Diesen Küchenraum konnte man über eine Art Frühstückstheke beobachten. Ron holte Gläser aus dem Schrank. Dann öffnete er den Eisschrank und griff nach einer Whiskyflasche.

»Sollen wir umgebracht werden?« fragte Sue den Gangster rundheraus.

»Unsinn! Ihr werdet nur auf Eis gelegt. Für ein paar Tage! Dann könnt ihr von uns aus wieder abschwirren, Süße!«

»Um was geht es denn eigentlich?« Sie hatte ihre Beine herumgeschwungen und wieder auf den Boden gestellt. Sie saß jetzt auf der Kante des breiten Bettes.

»Worum wohl, Süße?«

»Levell?« Sie riskierte es, die Dinge beim Namen zu nennen.

»Genau«, erwiderte Ron und goß zwei Gläser voll, »oder besser gesagt, um 250 000 Dollar!«

»Haben Sie Mister Levell gekidnappt?« wollte sie wissen.

»So ungefähr«, antwortete Ron und lächelte, »eigentlich war es die Katze, aber das sagt Ihnen wohl nichts, wie?«

»Die Katze?«

»Ein Spitzname! Aber lassen wir das. Nehmen wir lieber einen, Süße.«

Er wandte ihr für einen Moment den Rücken zu. Dabei verdeckte er – absichtlich oder nicht –die gefüllten Gläser, als er sich wieder zu Sue umdrehte, lächelte er neutral.

»Haben Sie K.o.-Tropfen beigemixt?« fragte Sue.

Rons Augen wurden etwas größer. Dann nickte er.

»Laß dich überraschen, Süße«, meinte er, »vielleicht war’s auch nur Arsen oder Blausäure!«

Er kam mit den gefüllten Gläsern auf sie zu.

»Meine Hände!« sagte Sue, um Zeit herauszuschinden.

»Brauchst du nicht. Noch nicht. Ich geb dir Hilfestellung.«

Er führte das Glas an ihren Mund.

Sue versuchte es mit einem Trick. Sie wollte Ron täuschen und nahm zwar einen tiefen Schluck aus dem Glas, schluckte das Getränk aber nicht herunter. Sie wollte es ausspucken, sobald er sich abwendete. Sie war sicher, daß er den Drink versetzt hatte. Mit irgendeinem Präparat, das vielleicht ihren Willen brach.

Ron ließ sich nicht täuschen.

»Schluck’s runter«, sagte er lächelnd zu ihr. Er stand vor Sue und wartete, bis sie notgedrungen den Schluck in ihren Magen gleiten ließ.

»Und gleich noch mal«, meinte er ironisch. »Weil’s so gut geschmeckt hat.«

Als sie das Glas bis zur Hälfte geleert hatte, spürte sie bereits die erste Wirkung.

Sie hatte das Gefühl, sich auf imaginäre Wolken zu erheben. Sie schwebte bereits.

*

»Es beruhigt mich außerordentlich, daß ich Sie keineswegs aufgeschreckt zu haben schien«, sagte Parker und blickte über die Mündung der Schußwaffe hinweg in die Augen Stilsons.

Der Inhaber der Detektei war vollständig angekleidet, er hatte nur seine Krawatte etwas gelockert. Er war übrigens sehr nervös, wie sich am leichten Schwanken und Zittern des Laufs feststellen ließ.

»Kommen Sie rein!« Stilson trat ein bis zwei Schritte zurück.

»Ich bin so frei«, antwortete der Butler, »würden Sie es mißverstehen, wenn ich jetzt höflich meine Melone abnehme und grüße?«

»Ich schieße, sobald Sie eine falsche Bewegung machen.«

»Sie scheinen ungemein nervös zu sein, Mister Stilson.«

Er antwortete nicht, sondern ließ Parker passieren und schloß dann hinter ihm die Tür. Dann deutete er mit der Waffe auf einen Sessel in seinem Wohnraum.

Parker hatte sich bereits mit einem schnellen Rundblick informiert. Das mittelgroße Zimmer war mit einem Sammelsurium alter Möbel eingerichtet. Wohlhabend schien Stilson nicht zu sein. Ja, er lebte wahrscheinlich von der Hand in den Mund und war stets auf der Suche nach Aufträgen. Auf der anderen Seite konnte er durchaus ein geschickter Tiefstapler sein, der der Außenwelt nur etwas vortäuschte.

»Ich darf unterstellen, daß Sie Augenzeuge des seltsamen Verkehrsunfalles unten auf der Straße gewesen sind?« Parker saß steif und korrekt im Sessel.

»Keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«

»Ihre beiden Mitarbeiter, Miß Lana und der Hippie Paul, haben den unzweifelhaften Versuch unternommen, meine bescheidene Wenigkeit zu überfahren. Sie scheuten nicht davor zurück, dabei sogar die Straße zu verlassen. Und zwar mit Ihrem Wagen.«

»Unsinn!«

»Brennt in Ihrer Küche möglicherweise etwas an?« fragte Parker ohne jeden Übergang.

»Wieso?« Stilson ließ sich tatsächlich bluffen. Er schaute zu der halb geöffneten Tür hin, hinter der teilweise eine Kücheneinrichtung zu erkennen war.

Bruchteile von Sekunden später war er ohne Waffe.

»Ich bitte sehr um Entschuldigung«, sagte Parker, der ihm die Waffe mit seinem Universal-Regenschirm aus der Hand geschlagen hatte, »ich möchte festhalten, daß Sie mich zu diesem Akt der Notwehr gezwungen haben.«

Stilson rieb sich das schmerzende Handgelenk und starrte den Butler finster an. Er schien aber nicht die Absicht zu haben, Parker anzugreifen. Ja, Parker hatte sogar den Eindruck, daß Stilson irgendwie erleichtert war.

»Ich möchte fast annehmen, daß Sie von dem Mordanschlag auf meine Wenigkeit nicht orientiert waren«, sagte er.

»Mein Wort.«

»Sie waren nur an einigen Wochen Krankenhausaufenthalt interessiert, nicht wahr?«

»Von Mord war niemals die Rede«, sagte Stilson schnell, »und am liebsten wäre ich ausgestiegen. Diese Levell-Sache ist nicht meine Schuhgröße!«

»Ihre beiden Mitarbeiter Lana und Paul scheinen da aber anderer Ansicht zu sein!«

»Ich … Ich will mit ihnen nichts mehr zu tun haben. Ich passe auf der ganzen Linie, Parker. Ich habe keine Lust, wegen einem Mord angeklagt zu werden.«

»Wobei sich die Frage erhebt, ob Ihre beiden Mitarbeiter Lana und Paul überhaupt noch zu stoppen sein werden, Mister Stilson.«

»Ich … Ich werde abhauen. Verschwinden … Mich absetzen!«

»Wer brachte Sie eigentlich dazu, Miß Lana Clint einzustellen?«

»Paul.«

»Sie kennen ihn gut?«

»So gut, wie man eine Klapperschlange kennt«, erwiderte Stilson.

*

Mike Randers Lage war nicht gerade angenehm.

Er lag auf dem Boden eines kleinen Wohnwagens und mühte sich verzweifelt ab, seine Hände frei zu bekommen. Er spürte, daß er nicht viel Zeit dazu hatte. Ihm war klar, daß die beiden Gangster Ron und Clive keine Rücksichten nehmen würden.

Clive, der ihn in den Wohnwagen gestoßen hatte, war gegangen. Er wollte hinüber zu seinem Partner Ron, wie er gesagt hatte. Und damit auch zu Sue, wie Rander wußte.

Der junge Anwalt stieß mit den Füßen gegen den aufgestellten Tisch, der nur von einem Standbein getragen wurde.

Der Tisch, seiner Stütze beraubt, klappte herunter und ließ eine Flasche und ein Glas zu Boden fallen. Die Flasche blieb heil, aber das Glas zersprang in handliche Scherben.

Eine dieser Scherben angelte sich Rander mit den Füßen. Er brauchte ein Schneideinstrument, um die Fesseln zu lösen. Und zwar sehr schnell.

Er schob und drückte sich über den Wohnwagenboden, bis er in die Nähe der Scherben kam. Dann zwang er sich zur Ruhe und griff mit den Fingern nach dem passenden Glasscherben.

Was auf Anhieb gelang.

Auf dem Boden sitzend und sich gegen eine Schlafkoje pressend, versuchte er, die Stricke an seinen Handgelenken zu durchschneiden. Er merkte sehr schnell, daß das in der Theorie zwar klappen mußte, doch die Wirklichkeit sah anders aus.

Er stöhnte wütend, als die ersten Hautfetzen sich von seinen Gelenken lösten. Er biß die Zähne zusammen und dachte an Sue Weston, die er nicht im Stich lassen durfte.

Es dauerte etwa zehn Minuten, bis er es endlich geschafft hatte.

Er richtete sich auf, untersuchte oberflächlich die blutenden Handgelenke und sah sich dann nach einer Waffe um.

Diese Suche wurde unterbrochen, als er draußen vor dem Wohnwagen leise und schnelle Schritte hörte.

*

Sie sah das harte und grobgeschnittene Gesicht über sich und spürte seine Hände. Ron streifte ihr den Pullover hoch. Sue sah zu, ohne jede Empörung oder Ekel. Sie registrierte seine Berührungen und empfand sie sogar als wohltuend. Sie kicherte ein wenig, denn sie war gespannt, wie geschickt Ron sich anstellen würde. Was er bisher gezeigt hatte, war nicht sonderlich aufregend gewesen.

»Komm schon!« sagte er etwas ungeduldig, »heb dich mal an!«

Während sie seinem Wunsch folgte, durchschnitt er ihre Fesseln. Er war sich seiner Sache sicher. Er wußte, was er ihr ins Glas gegeben hatte. Mit Widerstand war auf keinen Fall zu rechnen.

Sue schaute auf sich hinunter und hob gleichzeitig die Arme, damit er ihr den Pullover über den Kopf streifen konnte. Sie fühlte seine Hände auf ihrem Oberkörper und kicherte erneut, als er sich mit ihrem BH befaßte. Er stellte sich überraschenderweise nicht gerade geschickt an.

»Nun helf doch endlich!« schnaubte er, »du bist doch keine Anfängerin!«

Sue sah an Ron vorbei und schloß die Augen. Ihr war plötzlich alles so schrecklich gleichgültig.

Als kühle Luft ihre nackte Brust traf, schauerte sie zusammen und entdeckte Rander, der gerade vorsichtig in den Trailer hereinkam.

Er legte warnend den Zeigefinger vor die Lippen. In der Hand hielt er eine Flasche.

»Oh, Mister Rander!« stieß sie überrascht hervor und legte ihre Arme vor die Brust.

Ron blieb für einen Sekundenbruchteil wie erstarrt halb auf ihr liegen, dann schnellte er hoch und griff gleichzeitig nach der Schußwaffe, die er neben sich auf den Boden gelegt hatte.

»Nein!« rief Sue, die Mike Rander schon wieder vergessen hatte, »nein!«

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie wollte ihn gerade jetzt nicht aufgeben. Sie hatte sich an seine Berührungen gewöhnt, ja, sie gierte nach ihnen.

Rander nutzte seine Chance, als Ron sich nicht sofort freimachen konnte.

Er ließ die Flasche auf Rons Kopf fallen. Nachdrücklich und ohne jede Hemmung.

Ron schaffte es nicht mehr, an seine Waffe heranzukommen. Mit einem erstickten Gurgeln sackte er in sich zusammen und blieb dann regungslos neben dem Wohnwagenbett liegen.

»Hallo, Sue!« rief Rander und beugte sich über seine Sekretärin, »alles in Ordnung?«

Er wußte längst, wie gut sie aussah.

Dennoch sah er fasziniert auf ihre nackten Brüste. Bevor er sich zurückwerfen konnte, griff Sue blitzschnell nach ihm und zog ihn zu sich herunter.

»O Darling«, hauchte sie, »ich habe ja so auf dich gewartet!«

»Miß Weston! Nein! Bitte, nicht!«

Rander war peinlich berührt.

Er wollte sich von ihr lösen und die Situation auf keinen Fall ausnützen. Er wußte, daß sie unter Drogeneinfluß stand.

Aber sie war überraschend stark.

Sie ließ ihn nicht wieder los und hielt ihn fest. Dann küßte sie ihn in einer Art, daß Rander sofort weich in den Knien wurde. Als guterzogener Mann rief er sich zur Ordnung. Was hier geschah, durfte nicht sein. Sue Weston war schließlich nicht im Vollbesitz ihrer Sinne.

Der nächste Kuß ließ seinen Widerstand schwinden.

»Nicht doch …!«, murmelte er schon halb überstimmt. »Miß Weston … Sue! Ich bitte Sie!«

Sie hörte überhaupt nicht zu.

Ihre langen, schlanken und nackten Arme waren wie zähe Lianen, die nicht zu zerreißen waren.

»O Darling«, flüsterte Sue mit weicher Stimme, »bitte, laß mich nicht allein. Küß mich!«

Rander sah ein, daß er nur ein schwacher Mann war. Und er gab dieser Schwäche, wenn auch unter innerem Protest, schließlich nach.

*

»Bleiben wir also bei Ihrer Klapperschlange«, sagte Josuah Parker interessiert. Er saß nach wie vor im Sessel von Stilsons Wohnung, »Sie stellten sie vor etwa einem Jahr ein?«

»Der Junge brachte Aufträge mit.«

»Und woher kam Mister Paul?«

»Keine Ahnung! Er stellte sich eines Tages vor. Ich wollte ihn zuerst gar nicht nehmen. Wer beschäftigt schon einen Hippie? Und ausgerechnet, in meiner Branche. Aber er brachte Aufträge mit, die sich lohnten.«

»Aufträge welcher Art?«

»Scheidungsangelegenheiten!«

»Sie haben sich inzwischen darauf spezialisiert?«

Stilson nickte müde. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Kante eines Sideboard und rieb sich das schmerzende Handgelenk.

»Bis Paul Sie auf Levell hetzte, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«

»Genau! Er weiß angeblich, wie man an Levell herankommen kann. Aber ausgepackt hat er bisher nicht.«

»Kennen Sie Ihre Mitarbeiterin Lana Clint näher? Wissen Sie, woher diese junge Dame kommt?«

»Ich habe keine Fragen gestellt. Paul wollte, daß ich sie einstelle. Also hab ich’s getan.«

»Wann kam es zu dieser Einstellung? Könnten Sie sich möglicherweise präzise dazu äußern? Geschah dies vor oder nach dem Verschwinden von Mister Hank Levell?«

»Genau einen Tag danach. Und von der Levell-Geschichte erfuhr ich erst durch Paul. Er hatte die Idee, ihn aufzuspüren und ihm das Geld wegzunehmen.«

»Würde Mister Conally Ihre Angaben bestätigen?« erkundigte sich Parker harmlos.

»Co… Conally?« Stilson räusperte sich plötzlich. Seine Stimmbänder schienen belegt zu sein. »Conally? Wie kommen Sie denn auf den?«

»Sie sind sicher, nicht für ihn zu arbeiten?«

»Aber nein!« Stilson sah den Butler fast empört an. »Conally ist ein Gangster, der eine Type wie mich niemals brauchen würde.«

»Dies alles hört sich irgendwie logisch an«, meinte Parker höflich, »aber Sie werden verstehen, daß ich Ihnen nicht glaube.«

»Haargenau richtig«, sagte in diesem Augenblick von der weit aufgerissenen Küchentür her Hippie Paul.

Der junge Mann mit der Löwenmähne und der Lennon-Brille grinste spöttisch und hielt – wie nicht anders zu erwarten war – eine Schußwaffe in der Hand, auf deren Mündung ein Schalldämpfer aufgeschraubt war.

Hinter ihm tauchte Lana Clint auf.

Sie rauchte eine Zigarette und sah etwas mitgenommen aus. Sie schien den Zusammenstoß mit dem Scherengitter noch nicht ganz überwunden zu haben.

»Wie klein ist doch die Welt«, konstatierte der Butler, »ob Sie es nun glauben oder nicht, meine Herrschaften, mit dieser Konfrontation habe ich die ganze Zeit über gerechnet. Ich wäre enttäuscht gewesen, falls sie ausgeblieben wäre.«

*

Sue Weston war ein wenig gehemmt.

Zuerst küßte sie Rander, dann warf sie sich Captain Madford an den Hals. Sie preßte sich an ihn und girrte wie eine verliebte Katze.

Der kleine, drahtige Mann mit dem eleganten Bärtchen auf der Oberlippe war peinlich berührt.

Er versuchte, sich Randers Sekretärin zu entledigen. Zuerst mit Sanftheit, dann aber mit Nachdruck. Dabei strauchelte er und fiel auf den Teppich von Randers Studio.

Sue jauchzte, als Madford auf dem Boden lag. Sie warf sich auf ihn und zerrte an seiner Krawatte. Sie hatte, wie Rander deutlich sah, die feste Absicht, ihm zudem auch das Oberhemd aus der Weste zu zerren.

Rander kam Captain Madford zu Hilfe.

Die beiden Männer hatten ihre liebe Mühe und Not, Sue Weston wenigstens einigermaßen wieder zur Vernunft zu bringen, das heißt, sie schleppten sie in den Waschraum und stellten sie unter die Dusche.

Madford, der das Flackern in Sues Augen sah, drehte hastig den Kaltwasserhahn auf. Dann hielt er die Sekretärin fest, obwohl auch er deutlich und nachhaltig eingeweicht wurde.

Sue wurde unter der Einwirkung des kalten Wassers nüchtern. Sie wehrte sich gegen die Fluten und behauptete lautstark, sie müsse ertrinken.

Schließlich belegte sie Madford und Rander mit ausgesuchten, nicht gerade damenhaften Schimpfwörtern. Sie wehrte sich wütend und trat gegen Madfords rechtes Schienbein.

Madford brüllte vor Schmerz auf und ließ sie los.

Sue Weston nutzte ihre Chance, stieß den Captain gegen die Kachelwand der Duschkabine und wollte flüchten. Sie landete in Randers Armen, die sie nicht mehr losließen.

»O Mike!« seufzte Sue auf und legte ihren Kopf auf seine rechte Schulter.

»Schon gut, Sue«, erwiderte Rander und bemühte sich um deutliche Zärtlichkeit in seiner Stimme, »ich bringe Sie ins Bett, ja?«

»Bitte!« hauchte Sue und kuschelte sich noch fester an seine Brust. Rander hob sie auf und trug sie durch die Räume hinüber in ihr Schlafzimmer.

Sie ließ sich nicht nur willenlos entkleiden und abfrottieren, sondern sie schien diese Behandlung sogar noch zu genießen. Die Sekretärin schnurrte wie eine Katze und versuchte, Rander zu sich herunter zu zerren.

Rander wich diesen Forderungen geschickt aus. Dann wickelte er sie in eine Decke und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Er streichelte ihr Haar und wartete, daß sie endlich einschlief. Dabei dachte er an die vergangene Stunde.

Er hatte die beiden Gangster Ron und Clive bei Madford abgeliefert und sich dabei zusätzlich mit Sue Weston abgemüht. Es war klar, daß man sie unter ganz bestimmte Drogen gesetzt hatte, die ihre Libido angeheizt haben mußten.

Zusammen mit Madford hatte er dann Sue hinauf in sein Penthouse gebracht.

Wo sich das abgespielt hatte, was er gerade hinter sich gebracht hatte.

Madford erschien in der Tür zum Badezimmer. Er trug Randers Bademantel und sah leicht verwirrt aus. Er rieb sich eine Beule über der rechten Schläfe, die von dem Zusammenprall mit der Kachelwand der Duschkabine herrührte.

Rander sah auf Sue hinunter.

Sie schien eingeschlafen zu sein. Ihre Augen waren geschlossen, und der Atem ging tief und fest.

Rander erhob sich vorsichtig und ging zur Tür, die Madford jetzt freigab.

»Ganz schön anstrengend«, flüsterte Rander.

»Ich kann Sie ja vertreten«, schlug Madford vor, der jetzt unternehmungslustig aussah.

»Raus!« sagte Rander und drückte ihn zurück in den Korridorgang.

»Ich hab schon immer geahnt, daß Sie etwas gegen Polizisten haben«, beschwerte sich Madford.

*

»Kommen wir zur Sache«, sagte Stilson. Sein Ton hatte sich sehr geändert. Er war nicht mehr der ängstliche Mann, sondern er ließ deutlich werden, daß er die Fäden in der Hand hielt.

»Sie wollen von meiner bescheidenen Wenigkeit gewiß erfahren, wo Sie Mister Levell finden können, nicht wahr?« Parker übersah souverän die obligaten Schußwaffen. Er konzentrierte sich auf die gierigen Gesichter von Stilson, Paul und Lana.

»Je schneller Sie reden, desto größer Ihre Chance, noch mal zu überleben«, meinte Stilson.

»Ich fürchte, Sie enttäuschen zu müssen«, gab der Butler gemessen zurück, »meine Nachforschungen sind leider noch nicht weit gediehen, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Sagen Sie, was Sie bisher herausbekommen haben«, schaltete Hippie Paul sich ein.

»Der Wahrheit die Ehre«, entgegnete der Butler, »ich weiß von nichts, um genau zu sein. Ich war der ehrlichen Ansicht, daß Sie inzwischen mehr in Erfahrung bringen konnten.«

»Laßt euch doch nicht auf die Schippe nehmen«, warf in diesem Augenblick Lana Clint ein. Ihr Ton war gereizt.

»Sollen wir die Wahrheit aus Ihnen herausprügeln?« erkundigte sich Paul, der Hippie mit der Lennon-Brille.

»Gestatten Sie mir eine Frage«, erwiderte Parker höflich, »arbeiten Sie nun für Mister Conally oder nicht?«

»Ändert das etwas an der Wahrheit?« wollte Lana wissen.

»Vielleicht«, sagte Parker, »ein unscheinbarer Privatmann wie meine bescheidene Wenigkeit würde sich nur höchst ungern mit einem Mann wie Conally anlegen.«

»Dann hätten Sie was dagegen, wenn wir Sie an Conally ausliefern, wie?« Stilson schien eine Möglichkeit zu wittern, Parker unter Druck setzen zu können.

»In der Tat!«

»Ruf ihn an, Lana«, befahl Stilson, sich an die attraktive, junge Frau wendend.

»Conally?« reagierte sie verblüfft. Sie hatte Stilson nicht sofort durchschaut.

»Mister Conally«, wiederholte Parker. Ihm war plötzlich klar, daß Stilson auf keinen Fall mit diesem Gangsterboß zusammenarbeitete, auch wenn er das Gegenteil behauptete. Er hatte es bei Stilson tatsächlich mit einem Außenseiter zu tun, der auf eigene Rechnung von Levell kassieren wollte.

Lana, die inzwischen begriffen hatte, verschwand aus dem Wohnraum, um angeblich vom Detekteibüro aus Conally anzurufen. Als sie die Tür schon passiert hatte, rief Parker ihren Namen. Worauf sie noch mal zurück ins Wohnzimmer kam.

»Ersparen Sie sich diesen Bluff«, sagte Parker höflich, »er wäre die reinste Zeitverschwendung, Miß Clint. Passen Sie lieber auf, daß Conallys Leute nicht hier erscheinen. Das wäre, glaube ich, für uns alle nicht sonderlich befriedigend.«

»Conallys Leute?« Stilson schien von dieser Aussicht nicht viel zu halten.

»Mister Conally und seine Mitarbeiter sind schon seit Stunden hinter meiner bescheidenen Wenigkeit her«, erläuterte der Butler, »ich hatte sogar, wie ich bekennen muß, ein sogenanntes Recontre mit Mister Conally. Er dürfte mir zur Zeit keineswegs gewogen sein.«

Die Blicke, die sich Stilson, Paul und Lana zuwarfen, waren der letzte Beweis für Parker. Diese Gruppe hatte mit Conally nichts zu tun. Sie hatte sogar deutlich sichtbare Angst vor diesem Gangsterboß.

Paul verlor plötzlich sein Interesse für Parker. Er schaute kurz auf seine schallgedämpfte Waffe und verließ dann schnell die Privatwohnung seines Chefs.

Er wollte sich wohl irgendwo im Treppenhaus aufbauen und aufpassen. Er wollte sich nicht von den Schlägern und Gorillas überraschen lassen.

Lana zögerte einen Moment, dann folgte sie dem Hippie. Zurück blieb ein deutlich nervöser Mister Stilson, der nicht so recht wußte, was er machen sollte.

*

Es war hell geworden.

In den Straßenschluchten der Stadt regte sich der erste Verkehr. Rander und Madford saßen abgekämpft im Studio des jungen Anwalts und genossen den heißen, starken Kaffee, den Rander aufgebrüht hatte.

Sie hatten sich noch sehr lange mit einer entfesselten Sue Weston herumschlagen müssen. Nun war Ruhe eingekehrt. Sie schien tief und fest zu schlafen.

»Als das Telefon sich meldete, nahm Rander den Hörer ab, hörte kurz zu und reichte ihn dann an Madford weiter.

»Interessante Neuigkeiten«, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. »Meine Dienststelle hat sich mit den beiden Gangstern Ron und Clive befaßt.«

»Hoffentlich sind es Bekannte.«

»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Madford und nippte an seinem Kaffee, »sie haben eben zugegeben, für Conally zu arbeiten. Sie haben auf der ganzen Linie ausgepackt.«

»Und Miß Weston und mich wollten sie sicher nur zu einem kleinen und harmlosen Ausflug einladen, nicht wahr? Von Kidnapping keine Spur, oder?«

»Das ist haargenau ihre faule Ausrede«, gab Madford lächelnd zurück. »Wir werden sehen, wie weit sie damit kommen.«

»Wo stammen diese beiden Schläger her?« wollte Rander wissen.

»Hier aus Chikago, sie waren aber für ein paar Jahre im Süden. Jeder von ihnen hat einige Vorstrafen auf dem Buckel. Ich bin sicher, daß sie Conally belasten werden.«

»Dann brauchen Sie sich ja jetzt nur diesen Conally zu kaufen, wie?«

»Meine Leute sind bereits unterwegs«, sagte Madford selbstzufrieden. Er trank seine Tasse leer und schaute dann auf seine Armbanduhr, »für mich wird’s jetzt Zeit. Ich möchte dabei sein, wenn Conally in meinem Dezernat erscheint.«

»Um ihn nach Hank Levell zu fragen, wie?« Rander lächelte.

»Vielleicht auch das«, meinte Madford, »es sieht jetzt tatsächlich so aus, als wären ein paar Leute hinter dem Kassenboten her, um ihm die Dollars abzujagen. Was doch nur beweist, daß meine Theorie richtig ist. Er ist mit dem Zaster durchgebrannt.«

»Haben Sie wirklich keine anderen Beweise?« Rander sah den Captain prüfend an.

»Nun ja …«

»Sagen Sie schon, daß Sie die beiden Anrufe mitgehört haben«, warf Rander ihm an den Kopf.

»Nun ja … Stimmt! Natürlich habe ich die Telefonleitung überwachen lassen.«

»Dann könnten Sie mir doch auch sagen, woher der Anruf kam.«

»Ich werde mich hüten, meine Karten auf den Tisch zu legen, Rander. Weiß ich, was Parker inzwischen ausgegraben hat?«

»Ich werde Sie informieren, sobald er hier auftaucht, Ehrenwort!«

»Okay.« Madford sah den jungen Anwalt abschätzend an, »ich werde es riskieren. Hank Lovells Anruf kam aus … Atlantic City.«

»Wo sein Bruder Paul lebt?«

»Richtig!«

»Steht Paul Levell unter Beobachtung?«

»Aber selbstverständlich, Rander. Er tut keinen Schritt, den wir nicht kennen. Bisher hat sich dort aber nichts Verdächtiges getan.«

»Ihrer Ansicht nach dürfte Hank dann mit den 250 000 Dollar zu seinem Bruder gefahren sein?«

»Wäre das so abwegig? Die beiden Burschen haben sich vielleicht zusammengetan.«

»Klingt nicht schlecht. Vorausgesetzt, Madford, daß Hank Levell wirklich der Anrufer war.«

»Hat das seine Frau nicht bestätigt? Sie waren doch in ihrer Wohnung, als der zweite Anruf kam.«

»Das wissen Sie auch?«

»Selbstverständlich wird auch Mrs. Levell überwacht. Für den Fall nämlich, daß Levell zurück zu seiner Frau kommt!«

»Ich wünschte, Parker würde endlich aufkreuzen«, sagte Mike Rander ungeduldig, »irgendwie paßt es nicht zu ihm, daß er sich nicht meldet.«

»Wie ich Ihren Butler kenne, rührt er bereits wieder in irgendeiner Suppe herum«, schloß Madford und verzog sein Gesicht, »ich wünsche ihm ja nichts Böses, Rander, aber die Fingerspitzen, die sollte er sich wirklich mal gründlich verbrennen.«

*

»Darf ich mir gestatten, einen Gedanken laut werden zu lassen?« Parker hatte sich an Stilson gewandt, der allein zurück im Wohnraum geblieben war.

»Na?«

»Sie haben sich zwar, was Ihre Aussagen und Behauptungen betrifft, in viele Widersprüche verwickelt«, stellte der Butler fest, »doch langsam neige ich zu der Ansicht, daß Sie keineswegs die Fäden in der Hand halten.«

»Wie … Wie kommen Sie denn darauf?«

»Den Ton scheint doch dieser Hippie anzugeben, oder?«

»Unsinn!«

»Oder vielleicht Miß Clint?«

»Quatsch … Ich bin der Chef!«

»Hoffentlich respektieren Ihre beiden Mitarbeiter Paul und Lana diese Behauptung, Mister Stilson.«

»Wenn es denen picht paßt, können sie ja gehen. Und nun wieder zu Ihnen, Parker. Zu Hank Levell. Ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Sie wollen mir eine gewisse Beteiligung anbieten?«

»Woher wissen Sie das?«

»Dies, Mister Stilson, war nicht schwer zu erraten.«

»Das ist Ihre letzte Chance, wenn Sie nicht solange durchgeprügelt werden wollen, bis Sie Ihre Informationen ausspucken!«

»Sind auch Sie dieser Ansicht, Miß Lana?« fragte Parker über die Schulter von Stilson hinweg.

Und erneut fiel Stilson auf diesen plumpen Trick herein. Er nahm zumindest den Kopf etwas herum.

Was dem Butler vollkommen genügte.

Er griff erstaunlich schnell nach seiner schwarzen Melone und funktionierte sie in ein Wurfgeschoß um.

Die schwarze Kopfbedeckung sirrte mit scharfem Zischen durch die Luft und traf die Stirn von Stilson, der wie unter einem Hammerschlag zusammenfuhr.

Als er sich herumwerfen und Parker angreifen wollte, war es bereits zu spät.

Parker goß ihm nicht nur den Inhalt einer Blumenvase über den Kopf, sondern gebrauchte anschließend die Vase als Schlaginstrument. Als Stilson sehr ruhig und entspannt auf dem Boden lag, mußte der sonst so würdige Butler sich ein aufsteigendes Lächeln verbeißen.

Eine der halb verwelkten Blumen aus der Vase steckte wie eine Indianerfeder hinter Stilsons Ohr.

Was fast dekorativ aussah.

*

»Da sind Sie ja endlich«, sagte Rander erleichtert, als sein Butler aus dem Expreßlift stieg.

»Ich möchte mich für meine Unpünktlichkeit in aller Form entschuldigen«, sagte Parker und lüftete grüßend seine schwarze Melone, »gewisse Umstände hinderten mich daran, Sie zwischendurch anzurufen.«

»Sie hatten Ärger?«

»Nur am Rande, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf. Ich hatte mehr interessante Unterhaltungen und Begegnungen.«

»Spannen Sie mich nur nicht auf die Folter.«

»Sie haben sich verletzt, Sir?« Parker hatte die Heftpflaster an Randers Handgelenken sofort gesehen.

»Davon erzähle ich Ihnen, sobald Sie Ihre Geschichte beendet haben, Parker.«

Der Butler folgte seinem jungen Herrn in das Studio, um dann von Stilson, Lana Clint und dem Hippe Paul zu berichten. Er sprach von dem eingedrückten Scherengitter, von dem mißglückten Mordversuch auf seine Wenigkeit und von der Tatsache, daß sowohl Paul als auch Lana sich abgesetzt hatten.

»Sie haben Sie mit Stilson allein zurückgelassen?« wunderte sich Rander.

»In der Tat, Sir! Und was Mister Stilson betrifft, so sah ich keine Veranlassung, ihn zum Beispiel der Polizei zu übergeben.«

»Was versprechen Sie sich denn davon, Parker?«

»Ich möchte Mister Stilsons Bewegungsfreiheit nicht weiter einschränken, Sir. An der langen Leine gelassen, wird er mit Sicherheit und dazu noch ungewollt weitere Informationen liefern.«

»Glauben Sie wirklich?«

»Sir, ich rechne fast damit. Mister Stilson und seine Mitarbeiter Lana und Paul scheinen das zu sein, was man die Schlüssel zu einem Fall nennt.«

»Dieser miese Detektiv?«

»Mister Stilson hat sein Büro in einer Art und Weise abgesichert, Sir, die ich als sehr ungewöhnlich bezeichnen möchte. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch mal auf die Lichtschranke und das übrige Alarmsystem in seiner Detektei. Dies ist mehr als ungewöhnlich und steht in keinem normalen Verhältnis zu seiner Arbeit.«

»Das stimmt allerdings. Warum hat der Mann sich solche Sachen einbauen lassen?«

»Die überdies noch recht kostspielig sein müssen«, fügte der Butler hinzu.

»Glauben Sie, daß dieser Stilson einen doppelten Boden hat?«

»Mit Sicherheit, Sir. Das, was er sagt, ist gelogen. Einmal versucht er sich mit dem Fluidum der Ängstlichkeit zu umgeben, dann wieder spielt er den überlegenen Detektiv.«

»Glauben Sie an eine Verbindung mit Levell?«

»Dies ist das, Sir, was man gemeinhin die Crux nennt«, gab der Butler zurück, »rein gefühlsmäßig glaube ich, daß es zwischen Levell und Stilson eine gewisse Verbindung gibt.«

»Natürlich. Stilson ist hinter Hank Levell und den 250 000 Dollar her.«

»So etwa, Sir.«

»Moment mal!« Rander war eine Idee gekommen, »hören Sie, Parker, könnte dieser Stilson nicht Levell hochgenommen und entführt haben?«

»Eine interessante Variante, Sir.«

»Und jetzt tut er so, als sei er nur hinter dem Geld her. Das wäre sein Versuch, sich ein Alibi zu verschaffen!«

»Bestechend, Sir.«

»Gehen wir noch einen Schritt weiter«, steigerte Mike Rander sich, »Stilson hat Hank Levell solange belauert, bis er genau wußte, wann und wo Levell abzufangen war. Vielleicht ist die Detektei nur der Deckmantel für eine Stilson Gang!«

»Die bereits in der Vergangenheit ähnliche Verbrechen verübt haben könnte, Sir.«

»Genau, Parker! Wir müssen uns Stilson ab sofort sehr genau ansehen. Und wir müssen sehr diskret herausbekommen, ob in der näheren oder ferneren Vergangenheit ähnliche Dinge wie im Falle Levell geschehen sind.

Parker wollte spontan zustimmen, doch er wurde abgelenkt.

Eine sehr attraktiv aussehende junge Dame betrat das Studio. Wie attraktiv sie war, ließ sich unschwer erkennen, denn sie trug nichts anderes als nur ihre makellose, gebräunte Haut.

*

»Ich habe schreckliche Kopfschmerzen«, sagte die Dame. Sie war sich ihrer bezaubernden Nacktheit überhaupt nicht bewußt.

»Miß Weston!« Rander schluckte und ging schnell auf sie zu.

»Kann ich einen Drink haben?« erkundigte sich Sue und ließ sich in einem tiefen und bequemen Ledersessel nieder.

»Sofort«, schaltete Parker sich ein. Er wollte sich zur Hausbar umwenden, doch sein Blick blieb wie gebannt auf ihr ruhen. Sue fuhr sich mit einer nervösen Geste durch das Haar und gähnte. Ihren Augen war deutlich anzusehen, daß sie noch immer unter Drogeneinfluß stand.

Mike Rander hatte sich inzwischen sein Jackett ausgezogen und deckte es über Sues Frontseite.

Parker riß sich zusammen und mixte ihr einen Drink. Doch dann verzichtete er darauf, ihn zu servieren. Rander hatte zwar seine Geschichte noch nicht erzählen können, doch Parker ahnte, daß in dieser Geschichte zumindest das Stichwort Droge Vorkommen mußte.

»Ich erlaube mir, für ein paar Minuten den Raum zu verlassen«, entschuldigte er sich bei Rander und ging schnell aus dem Studio.

»Wie fühlen Sie sich, Sue?« erkundigte sich Rander und sah auf Sue hinab.

Die Sekretärin räkelte sich wohlig und sah dann zu ihm hoch.

»Komisch«, meinte sie, »ich habe zwar scheußliche Kopfschmerzen, aber irgendwie stören sie mich doch nicht. Wissen Sie, was eigentlich passiert ist?«

Sie hatte ihren Satz noch nicht ganz beendet, als die Erinnerung zurückkehrte.

Sie sprang hoch, als habe sie ein elektrischer Schlag getroffen. Daß dabei Randers Jackett von ihrem Körper rutschte, merkte sie erst eine Sekunde später.

Sue stieß einen erschreckten Schrei aus und rannte aus dem Zimmer.

Um in der Tür mit Parker zusammenzustoßen, der mit einem Glas Milch zurück ins Studio wollte.

Mit artistischer Gewandtheit hob er das Getränk hoch und vermied ein Überschwappen der weißen Köstlichkeit.

Sue rannte um Parker herum und verschwand.

»Geben Sie schon her«, sagte Rander aufatmend und griff nach der Milch. Er leerte das Glas in einem Zug, und gab es dann an seinen Butler zurück.

»Jetzt scheint es bei Miß Weston eingeschlagen zu haben«, sagte er lächelnd.

»Sie war tatsächlich unter Drogen gesetzt worden, nicht wahr?«

»Es muß sich um ein fürchterliches Zeug gehandelt haben«, erklärte Rander, »ihre Libido kam auf Hochtouren. Irgendwann werde ich diese Gangster mal fragen müssen, was sie eigentlich verwendet haben. Das Zeug ist geradezu gewaltig.«

»Darf ich mich überhaupt noch reintrauen?« fragte Sue in diesem Augenblick von der Tür her. Sie trug einen weißen Bademantel und sah reizend aus.

»Sie haben nichts getan, dessen Sie sich schämen müßten, Madam«, sagte Parker.

»Na, ich weiß nicht. Ich habe da ein paar Erinnerungsfetzen, die ich am liebsten vergessen möchte.« Sue Weston ließ sich wieder im Sessel nieder. Ihre Augen waren jetzt wach und klar. Sie schien den Drogeneinfluß endgültig überwunden zu haben.

Was durchaus stimmte, wie sich herausstellte.

Sie beteiligte sich an der Diskussion und wurde zusätzlich wach, als Rander noch mal auf den möglichen Zusammenhang zwischen Levell und Stilson zu sprechen kam.

»Etwas stört mich die ganze Zeit, über«, sagte Sue zu diesem Thema, »eigentlich wissen wir viel zuwenig über diese Mrs. Levell, finden Sie nicht auch? Wir wissen auch nichts über Hank Levells Bruder Paul in Atlantic City. Sollte man hier nicht mal ansetzen?«

»Ein bemerkenswerter Hinweis, dem ich umgehend nachkommen werde«, freute sich Parker, »eine graue Maus, wie man Mrs. Levell bezeichnen könnte, kann sich möglicherweise in eine Pantherkatze verwandeln. Diesem zoologischen Novum sollte man in der Tat nachspüren.«

*

»Ich kann nur für ein paar Minuten bleiben«, sagte Sergeant McLean, nachdem er Rander, Parker und Sue Weston begrüßt hatte, »mein Chef spielt mal wieder verrückt.«

»Nehmen Sie erst mal einen Drink«, schlug Rander vor. Er nickte Parker zu, der den Sergeant sofort entsprechend bediente. McLean, einem Whisky niemals abgeneigt, trank das Glas in einem Zug leer. Anschließend schälte er eine Pfefferminztablette aus einem Papier heraus und schob sie sich in den Mund.

»Wieso hat Madford Ärger?« fragte Rander.

»Die Sache mit Conally klappt nicht«, berichtete McLean, »hauen Sie mich bloß nicht in die Pfanne. Er darf nicht wissen, daß ich hier Informationen ablade.«

»Natürlich nicht, das geht schon in Ordnung. Aber wieso kommt er mit Conally nicht zurecht?«

»Der Gangsterboß ist wie weggetaucht«, berichtete McLean weiter, »er scheint nach der Verhaftung von Ron und Clive kalte Füße bekommen zu haben.«

»Könnten Sie da vielleicht aushelfen?« wandte Rander sich an seinen Butler.

»Ist der Behörde bekannt, wo Mister Conally einen verbotenen Spielsalon betreibt?« erkundigte sich Parker bei McLean.

»Daß er so was aufgezogen hat, wissen wir. Wir wissen nur nicht, wo dieser Laden sich befindet.«

»In einem kleinen Kino.«

»In einem Kino? Sind Sie sicher, Mister Parker?«

»Mit letzter Sicherheit. Es könnte allerdings durchaus sein, daß Mister Conally auch dieses Etablissement aufgegeben hat. Sie dürfen nicht vergessen, daß er bereits einige Schlappen einstecken mußte.«

»Sie meinen die beiden Knilche vom Scherengitter der Bank?« McLean grinste.

»In der Tat.«

»Weiß Conally, daß Sie von diesem Kino wissen?«

»Ich fürchte, daß dies der Fall ist.«

»Dann können wir das Kino streichen. Er kann sich doch an fünf Fingern ausrechnen, daß Sie mit uns zusammenarbeiten.«

»Dennoch würde ich empfehlen, diesem Kino einen Besuch abzustatten. Vielleicht in den späten Abendstunden.«

Parker nannte McLean die Adresse des kleinen Studio-Kinos und erklärte sich bereit, den Sergeant dorthin zu begleiten.

»Das wäre ein Hit«, seufzte McLean wohlig, »Madford ginge auf die Palme, wenn ich den Conally-Laden ausheben könnte. Ich kann mich auf Sie verlassen, Mister Parker?«

»Gewiß, Mister McLean. Es wird mir eine ehrliche Freude sein, Sie ins Kino zu begleiten.«

»Schön, dann habe auch ich ein paar Informationen. Aber wie gesagt, der Chef darf nicht davon erfahren.«

»Sie wissen doch, McLean, wie verschwiegen wir sein können«, meinte Rander lächelnd, »packen Sie schon aus! Neues von Levell?«

»Nicht direkt. Sie hatten mich doch gebeten, so was wie eine Liste zusammenzustellen. Von Fällen, die dem Levells in etwa gleichen. Sie werden Augen machen.«

»Spannen sie mich nicht auf die Folter!«

»In Chicago sind innerhalb der vergangenen zwei Jahre vier Männer verschwunden. Mit einem Gesamtbetrag von 1,1 Millionen Dollar!«

»Wie bitte?« Rander sah seinen Butler entgeistert an. »Sagen Sie 1,1 Millionen Dollar?«

»Genau, Mister Rander. Ich habe selbst fast einen Schluckauf bekommen!«

»Unterschlagungen?«

»So ungefähr. Die vier Männer waren Kassenboten, Lohnbuchhalter und Kassierer in kleinen Bankfilialen.«

»Halten wir noch mal fest«, wiederholte Rander und nickte Sue zu, die sich aber bereits schon stenografische Notizen machte. »In zwei Jahren sind vier Männer mit insgesamt 1,1 Millionen Dollar verschwunden. Wurden sie jemals aufgespürt?«

»Zwei von ihnen«, berichtete Madford weiter und hatte nichts dagegen, den Pfefferminzgeschmack in seinem Mund mit einem zweiten Whisky herunterzuspülen. »Sie waren Unfällen zum Opfer gefallen. Aber wahrscheinlich handelte es sich um Mord. In einem Fall war der Mann von einem Laster überrollt worden, im zweiten Fall trieb der Mann im See. Ertrunken!«

»Und die beiden anderen Männer?«

»Konnten bisher nicht entdeckt werden, Mister Rander. Aber wie gesagt, hauen Sie mich bei Madford bloß nicht in die Pfanne. Sie haben das selbst rausbekommen, klar?«

»Wir hätten es mit Sicherheit herausgefunden«, antwortete der junge Anwalt, »dank Ihnen ist es nur schneller gegangen.«

»Waren die vier Männer verheiratet?« schaltete sich Josuah Parker gemessen ein.

»Zwei von ihnen.«

»Sind die Adressen noch bekannt? Die Adressen der betreffenden Witwen?«

»Hier sind alle Daten und Angaben, die Sie brauchen.« McLean tauschte den Zettel mit den Angaben gegen ein drittes Glas Whisky aus.

»Sehr schön«, meinte Parker und ließ den Zettel in seiner Westentasche verschwinden, »das wird die Ermittlungen vorantreiben, wie ich vermute. Darf ich noch mal nach Ihrem Bekannten Levell fragen, Sie halten ihn nach wie vor für unschuldig?«

»Da bin ich vollkommen sicher, Mister Parker. Hank ist nicht der Mann, der sich mit fremden Geld absetzen würde. Niemals. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Und zudem hätte er Jahre vorher mit gleichen Summen abhauen können. Warum hätte er es ausgerechnet jetzt tun sollen?«

»Vielleicht hat ihn seine Ehe wesentlich verändert?«

»Mabel? Ausgeschlossen! Die stirbt doch vor Hemmungen, wenn Sie mich fragen. Die ist so hausbacken wie ein Rührkuchen.«

»Und Mister Levells Bruder in Atlantic City?« Rander kam mit diesem Einwand.

»Ich kenne Paul Levell nur flüchtig. Er ist erheblich älter als Hank. Aber Paul kann auch nicht dahinterstecken. Paul ist Prediger in einer kleinen Sekte. Strenge Grundsätze und so … Vollkommen lächerlich, daß Madford diesen Paul Levell überwachen läßt. Der hat mit dem Verschwinden bestimmt nichts zu tun.«

Bevor Rander antworten konnte, kam bereits wieder der obligate Anruf, als sei das oft zitierte Stichwort gegeben worden. Parker hob ab und meldete sich.

»Oh, Mrs. Levell«, sagte er würdevoll, »ja, ich höre … O ja. Dies wird sich einrichten lassen. Natürlich, Sie können fest damit rechnen!« Er legte auf und wandte sich an seinen jungen Herrn.

»Womit kann Mrs. Levell fest rechnen?« wollte Rander neugierig wissen. Auch Sergeant McLean hatte sich erwartungsvoll erhoben.

»Mrs. Levell bittet um einen Besuch«, antwortete der Butler, »Mister Levells Bruder Paul ist eingetroffen. Er möchte unbedingt Kontakt mit Ihnen, Sir, und mit meiner bescheidenen Wenigkeit aufnehmen.«

»Worauf warten wir noch?« fragte Rander unternehmungslustig.

*

Mrs. Levell, die kleine schüchterne und graue Maus, öffnete die Tür und nickte Rander und Parker gehemmt zu.

Hinter ihr erschien Paul Levell, wie der große und massige Mann mit dem strengen Gesicht sich sofort vorstellte. Er glich einem Prediger aus der Bibel. Er schien sein Leben nur an strengen Richtlinien zu messen.

»Gott wird ihn richten«, sagte Paul Levell, als sie in dem schäbig und kleinbürgerlich eingerichteten Wohnzimmer saßen und zur Sache gekommen waren, »er wird ihn richten, wenn er schuldig geworden sein sollte. Er wird ihn aber erheben, wenn er in die Macht des Bösen geraten ist, ohne sein Dazutun und unschuldig …«

»Hoffentlich haben Sie mehr zu bieten als das, was Sie gerade gesagt haben«, meinte Rander. Er konnte Paul Levell, den Bruder des verschwundenen Kassenboten, vom ersten Moment an nicht ausstehen. Daher vielleicht auch seine bewußt schnoddrige Sprache.

»Ich hörte von Mabel, daß Sie sich dieses Falles angenommen haben«, sagte Paul Levell.

»Nicht nur wir«, meinte Rander, »vergessen Sie nicht die Polizei.«

»Haben Sie schon irgendwelche Spuren entdecken können?«

»Ihr Bruder scheint noch zu leben«, gab Rander zurück, »aber das werden Sie ja schon von Ihrer Schwägerin erfahren haben. Ich meine jetzt die beiden Anrufe Ihres Bruders.«

»Wer lebt, steht in der Hoffnung der Gnade«, erklärte Paul Levell und verdrehte andächtig die Augen nach oben.

»Abgesehen davon«, gab Rander etwas gereizt zurück, »können Sie nicht mit Informationen dienen? Hat Ihr Bruder sich nicht vielleicht auch bei Ihnen gemeldet?«

»Wie sollte er das?«

»Das war meine Frage.«

»Hank hat sich nicht gemeldet. Aber weswegen ich Sie hierher gebeten habe: Ich möchte meine Schwägerin Mabel mit mir nach Atlantic City nehmen. Sie braucht Geborgenheit, Sicherheit und den Glauben.«

»Machen Sie das mit Captain Madford aus«, antwortete Rander, »aber soviel ich weiß, steht Mrs. Levell ja nicht unter Anklage. Sie dürfte also wohl verziehen können.«

»Ich … Ich möchte hierbleiben«, meldete sich Mrs. Levell endlich zu Wort, scheu, schüchtern und ängstlich. Sie sah ihren Schwager dabei kaum an, »ich will nicht weg. Ich will hier auf Hank warten.«

»Deine Wege bestimme ich, liebe Mabel«, sagte Paul Levell mit salbungsvoller Stimme, »ich, dein Schwager, der Bruder deines Mannes. In unserem Haus wirst du Sicherheit und Ordnung finden.«

»Vielleicht sucht sie gar nicht danach«, meinte Rander.

»Sie wird wollen, wenn ihr die Erleuchtung kommt.«

»Vielleicht möchte Mrs. Levell zurück in ihre Heimat?« redete Rander weiter, »Sie, Mrs. Levell, kommen woher?«

»Aus Detroit«, sagte sie schnell.

»Sie lernten Ihren Mann hier in der Stadt kennen?«

»Was sollen diese Fragen?« fuhr Paul Levell dazwischen.

»Was haben Sie dagegen«, gab Rander spitz zurück, während Josuah Parker nur beobachtete und zuhörte, »wollen Sie Mrs. Levell an den Antworten hindern? Dann hätten Sie uns nicht herzubitten brauchen. Also, Mrs. Levell, Sie lernten Ihren Mann hier in der Stadt kennen?«

»Wir mochten uns sofort«, sagte sie und sah zu Boden. »Ich glaube, Hank war sehr allem. Und ich war es auch.«

»Er war stets allem. Das stimmt!« pflichtete Paul seiner Schwägerin bei, »er hatte sich dem Rausch des Lebens verschrieben, aber er war allein.«

»Das verstehe ich nicht.« Rander schüttelte ehrlich den Kopf.

»Nun, Hank lebte nur im Diesseits, er dachte nie an das große Gericht in einer anderen Welt.«

»Aber das änderte sich, als Sie heirateten?« frage Rander, sich ausschließlich an Mrs. Levell wendend.

»Hank wurde sofort häuslich«, erwiderte Mrs. Levell, »er verkehrte nur noch mit wenigen Freunden. Er war am liebsten zu Hause.«

Während die völlig unwichtige Unterhaltung dahinplätscherte, hielt Parker Ausschau nach Erinnerungsfotos, die in solchen Wohnungen eigentlich obligat waren.

Kein Foto von Hank Levell war zu sehen. Und in diesem Moment wurde Parker sich des Mangels erst bewußt.

Er räusperte sich bedeutungsvoll, worauf ihn alle ansahen.

»Haben Sie zufälligerweise«, wandte er sich an Paul Levell, »haben Sie auch möglicherweise ein Bild Ihres Bruders bei sich? Oder könnten Sie, Mrs. Levell, mit solch einer Aufnahme dienen?«

»Foto? Dieses Blendwerk einer Welt, die nur auf Äußerlichkeiten bedacht ist!« Paul Levell gab sich entrüstet.

»Ich glaube nicht, daß ich ein Foto von Hank habe«, warf Mrs. Levell schüchtern ein.

»Mister Levell wurde uns widersprüchlich beschrieben«, sagte Parker.

»Dem kann ich allerdings abhelfen«, sagte Paul Levell in diesem Augenblick, »Hank gleicht mir, äußerlich gesehen, aufs Haar.«

»Sie sind Zwillinge?« entfuhr es Rander.

»Das nicht. Ich bin einige Jahre älter. Aber er soll mir sehr gleichen, wie immer gesagt und behauptet wurde.«

Während Paul Levell sprach, sah Parker zu der kleinen, grauen und schüchternen Maus hinüber. Sie sah wieder zu Boden und rang die Hände.

*

Als sie das Haus verlassen wollten, stießen sie mit Captain Madford zusammen.

Madford war mit seinem Dienstwagen gekommen und machte einen dementsprechend dienstlichen Eindruck, druck.

»Schlechte Nachrichten«, sagte er verkniffen.

»Hank Levell?« Rander ahnte schon, was sich ereignet hatte.

»Gefunden … und zwar tot!« Captain Madford nickte.

»Wo?«

»Neben einem Bahndamm im Osten der Stadt«, erklärte Madford, »zwei Schußwunden in der Brust, Jede hätte ausgereicht, ihn sterben zu lassen.«

»Von den 250 000 Dollar selbstverständlich keine Spur, oder?«

»Nichts«, gab Madford zurück, »aber wir haben die beiden Geschosse. Vielleicht läßt sich daraus etwas machen.«

»Und wann geschah der Mord?«

»Vor wenigstens vierundzwanzig Stunden, wie der Coroner sagt.«

»Dann sind die Anrufe also vorgetäuscht worden, wie?«

»Mit Sicherheit«, sagte Madford, »Mrs. Levell ist da, oder?«

»Und Levells Bruder Paul.«

»Das ist uns bekannt«, sagte Madford, »was halten Sie von diesem Mann?«

»Er geht mir auf die Nerven«, erwiderte Rander leise und sah in den Korridor hinein.

»Und er hat Dreck am Stecken«, fügte Madford leise hinzu, »Reverend Levell, wie er sich nennt, saß zwei Jahre im Zuchthaus. Wegen Betrug und Erpressung. Das liegt zwar schon über fünfzehn Jahre zurück, aber viele Katzen lassen das Mausen nicht.«

*

»Was wollen Sie bei Stilson?« erkundigte sich Rander, als sie im hochbeinigen Wagen des Butlers saßen und durch Loop fuhren.

»Ich würde mich gern noch mal mit diesem Herrn unterhalten«, meinte Parker, »ich möchte zudem in Erfahrung bringen, wo Miß Lana Clint und der Hippie Paul wohnen.«

»Sie lassen sich wohl nicht ausreden, daß dieser Stilson nur ein Aasgeier ist, wie?«

»Mich beschäftigt immer wieder die Anlage seiner Alarmeinrichtungen«, erklärte Parker, »warum hat ein Mann wie Stilson sich solche kostspieligen Systeme angeschafft? Dies muß einen bestimmten Grund haben.«

»Ist das alles?«

»Mitnichten, Sir. Ich berichtete ihm möglicherweise nicht von einem Telefongespräch, daß Miß Clint vom Büro Mister Stilsons aus mit einem Herrn führte, den sie vertraulich Mel nannte. Nach Art und Diktion dieser Unterhaltung muß ich schließen, daß Miß Clint sich für diesen betreffenden Mel in die Detektei eingeschlichen hat.«

»Aber nach Ihrer Darstellung doch durch diesen Hippie, oder?«

»So behauptete es Mister Stilson, Sir.«

»Mel …! Mel …! Ein völlig neuer Name in diesem Fall.«

»Diesem Umstand sollte man vielleicht etwas Beachtung schenken, Sir.«

»Einverstanden! Dieser Fall kann ja gar nicht verwickelt genug sein, Parker.« Rander lachte leicht gequält. »Zum Teufel mit McLean! Warum mußte er ausgerechnet mit Levell befreundet gewesen sein.«

*

»Sie ist seit dieser Geschichte mit Ihnen nicht mehr zurück ins Büro gekommen«, sagte Stilson, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte.

Er saß vor seinem Schreibtisch und stand jetzt vorsichtig auf. Er ließ den Butler nicht aus den Augen und besaß Respekt.

»Und wie steht es mit Ihrem Mitarbeiter Paul?« wollte Josuah Parker wissen.

»Der ist in einer Scheidungssache unterwegs«, erklärte Stilson, »hören Sie, Mister Parker! Diese Szene bei mir. Mit Paul und Lana … Also, ich erklärte vor Zeugen, daß das alles ein Mißverständnis gewesen ist!«

»Ich habe keineswegs die Absicht, Sie bei der Polizei anzuzeigen«, beruhigte Parker den Inhaber der Detektei, »diesen Vorfall habe ich bereits vergessen.«

»Und was die Levell-Sache angeht, so habe ich die Segel gestrichen«, redete Stilson weiter, »ich habe Paul und Lana gründlich ins Gebet genommen. Ich lasse mir meinen guten Namen nicht vermiesen. Sollen andere Leute nach den 250 000 Dollar suchen. Die Sache ist ’ne Nummer zu groß für mich.«

»Ein vielleicht sehr vernünftiger Entschluß«, erwiderte Josuah Parker, »wären Sie so freundlich, mir die Adresse von Miß Lana Clint zu geben?«

»Klar«, sagte Stilson eifrig, »sie wohnt hier in der Nähe, Mister Parker.«

»Was wissen Sie über sie?«

»Paul schleppte sie eines Tages an. Also genau gesagt, vor fünf Wochen. Was ich von ihr weiß? Nicht viel, wenn man’s genau nimmt.«

»Woher kommt sie, ist sie verheiratet?« mischte Mike Rander sich jetzt ein.

»Nein, verheiratet ist sie nicht.«

»Wer ist denn Mel?« fragte Rander gespielt beiläufig.

»Mel ist ihr … Wie Mel? Welcher Mel?« Er merkte, daß er sich hatte überlisten lassen. Und er ärgerte sich.

»Nun rücken Sie schon mit der Sprache heraus«, sagte Rander ärgerlich.

»Also gut. Mel ist ihr Freund, glaube ich. Mel Masterson, wenn ich mich nicht irre.«

»Kennen Sie besagten Mel Masterson?« wollte Josuah Parker wissen.

»Nur flüchtig«, gab Stilson zurück, »er wohnt bei ihr. Mein Typ ist er nicht.«

»Was macht dieser Mel Masterson?« stellte Rander seine nächste Frage.

»Er gammelt so herum. Ich glaube nicht, daß er einen Beruf ausübt. Aber Lana versuchte die ganze Zeit über, ihn bei mir unterzubringen.«

»Als Detektiv?«

»Das stellte sie sich jedenfalls so vor. Aber ich hab da nicht mitgespielt. Ich mag ihn einfach nicht.«

»Kommen wir zu Ihrem Hippie Paul«, wechselte Rander das Thema, »er ist schon seit Jahren für Sie tätig?«

»Seit gut einem Jahr«, korrigierte Stilson, »er ist nicht schlecht, was seine Arbeit anbetrifft.«

»Womit wir zum eigentlichen Thema vorstoßen«, sagte Parker gemessen, »ich spiele auf die immerhin kostspielige Alarmeinrichtung Ihrer Detektei an, die mir nicht entgangen ist. Warum, so lautet meine Frage, warum dieser Aufwand?«

»Aus … Aus Sicherheitsgründen!«

»Sie wollen sich damit vor wem schützen?«

»Naja, vor Leuten, denen ich auf die Füße getreten habe. Sie wissen doch, daß ich mich auf Scheidungen spezialisiert habe. Was das manchmal für Ärger gibt, können Sie sich überhaupt nicht vorstellen.«

»Würden Sie uns freundlicherweise zu Miß Lana Clint begleiten?« fragte Parker bei Stilson an.

»Ich? Warum denn? Ich habe jetzt keine Zeit, ich muß doch … Ich erwarte einen Klienten.«

»Ich bin sicher, daß Sie uns freiwillig begleiten werden«, sagte Parker höflich, aber sehr kühl.

Worauf Stilson im Augenblick nichts mehr an Einwänden einfiel. Er ging mit Rander und Parker hinunter zum Wagen.

*

»Nichts«, sagte Rander enttäuscht, nachdem Parker an der Wohnungstür von Lana Clint geklingelt hatte. Mehrfach und mit Nachdruck.

»Vielleicht ein Unfall, Sir?«

»Sie suchen wohl nach einem Vorwand, um wieder mal eine Tür knacken zu können, wie?«

»Wenn mich nicht alles täuscht, Sir, dürfte jenseits der Tür eine Katze miauen.«

»Na und?«

»In einer Art und Weise, die die Qual einer hilflosen Kreatur demonstriert.«

»Das ist neu«, meinte Rander ironisch. »Diesen Vorwand habe ich bisher von Ihnen noch nie gehört. Also, machen Sie schon! Gegen einen erklärten Tierliebhaber wird die Polizei nichts einzuwenden haben.«

Parker hatte auf dieses Stichwort nur gewartet. Innerhalb weniger Sekunden hatte er das nicht sonderlich komplizierte Schloß geöffnet. Vorsichtig drückte er mit seiner Schirmspitze die Wohnungstür auf.

»Donnerwetter. Tatsächlich eine Katze!«

Mike Rander, der kein Miauen gehört hatte, sah verdutzt auf die sehr schöne und unnahbar aussehende Siamkatze hinunter, die um Parkers Beine strich.

Dann machte das Tier einen Buckel und rannte durch den kleinen Korridor auf eine Tür zu, die nur angelehnt war.

Rander und Parker folgten der Siamkatze, drückten die Tür auf und blieben betroffen stehen.

Vor einem großen Kühlschrank, dessen Tür nur halb geöffnet war, lag Lana Clint.

Sie trug nur ein knappes Höschen und zeigte den beiden Betrachtern ihren nackten Rücken und ihren Brustansatz.

Die Siamkatze stand vor einem Milchteller, nicht weit entfernt von Lana Clint. Und die Katze schleckte gerade den letzten Rest vom Teller und kümmerte sich nicht weiter um die Tote.

*

»Irgendwie habe ich die ganze Zeit über geahnt, daß Sie mir wieder eine Leiche servieren würden«, regte sich Captain Madford auf.

Er war mit den Leuten der Mordkommission eingetroffen und sah zu, wie der Tatort nach Spuren abgesucht wurde. Madford, Rander und Parker standen in Lana Clints Wohnzimmer, das nett, hell und modern eingerichtet war.

»Ich bedaure unendlich, Sir, falls ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet haben sollte«, sagte Parker gemessen, »es soll so schnell nicht wieder vorkommen.«

»Was wollten Sie von der Clint?« fragte Madford.

»Erkundigungen über einen gewissen Mister Stilson einziehen, Sir«, antwortete der Butler.

»Wie wäre es, wenn ich jetzt endlich mal Ihre Karten zu sehen bekäme?«

»Aber gewiß, Sir«, meinte der Butler höflich, »ich brenne darauf, Ihnen die Fakten meiner bisherigen Ermittlungen unterbreiten zu dürfen.«

»Was ist denn mit Ihrem Butler los?« wunderte sich Madford, um dann sofort auf Mißtrauen zu schalten, »aber keine Show, wenn ich bitten darf, sonst kann ich verdammt unangenehm werden.«

Parker faßte sich relativ kurz und berichtete von Stilson, der Detektei und von seinen Erlebnissen mit Stilson, Paul und Lana Clint.

»Sie glauben wirklich, daß dieses Trio hinter Levell und den 250 000 Dollar her war und ist?« fragte Madford schließlich.

»Nach Lage der Dinge, Sir, muß das als sicher angenommen werden.«

»Dann hätte dieses Trio ja Conally Konkurrenz gemacht, oder?«

»Worauf Sie sich verlassen können«, schaltete Rander sich ein, »es ist wie mit Aasgeiern. Sobald Beute in der Luft liegt, werden diese Geier aktiv.«

»Dann könnte Conally diese Clint auf dem Gewissen haben.« Madford zog ein nachdenkliches Gesicht.

»Durchaus«, sagte Parker schnell, bevor sein junger Herr antworten konnte, »aber da existiert noch ein gewisser Mel Masterson, auf den ich unbedingt hinweisen muß.«

»Wer ist denn das schon wieder?«

»Der Freund der toten jungen Dame. Er soll laut Stilson hier gewohnt und gelebt haben.«

»Ihr Freund! Aha … Mel Masterson! Mel Masterson?« Madford schien so etwas wie eine Erleuchtung zu haben. Der Name Mel Masterson löste in ihm eine heftige Reaktion aus, die er nicht kaschieren konnte.

»Ich darf unterstellen, Sir, daß dieser Name Ihnen einiges sagt?« erkundigte sich Parker würdevoll.

»Mel Masterson kenn ich tatsächlich«, gab Madford zu, »ein ganz raffinierter Heiratsschwindler, der mit der Jungenmasche arbeitet.«

»Wie bitte, Sir?«

»Er mimt den großen Jungen mit Geld, der sich nach einer liebenden Frau sehnt. Er hat ein paar tolle Fischzüge hinter sich. Saß insgesamt rund vier Jahre im Bau.«

»Wollte er vielleicht diese Lana Clint ausnehmen?« überlegte Mike Rander laut.

»Oder wollten er und Lana Clint Stilson aufs Kreuz legen?« gab Madford zu überlegen. »Ich werde sofort eine Großfahndung nach diesem Masterson einlei… Ach nee, wen haben wir denn da? Mel Masterson persönlich? Hereinspaziert, Masterson, genieren Sie sich nur nicht! Auf Sie habe ich gerade gewartet!«

Rander und Parker wandten sich zu dem breitschultrigen, großen und schlanken Mann um, der vielleicht dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt war. Er sah auf den ersten, zweiten und auch auf den dritten Blick hin ungemein sympathisch aus. Er war auf keinen Fall ein Gammler, wie Stilson behauptet hatte. Er trug einen Blazer, hellgraue Hosen und ein mit Sicherheit maßgeschneidertes Seidenhemd. Er wirkte tatsächlich wie ein großer Junge, dem die Herzen einfach zufliegen mußten.

Dieser große Junge bekam einen Weinkrampf, als er von Lanas Tod erfuhr.

»Ist … Ist sie ermordet worden?« fragte er schließlich, als er sich etwas gefaßt hatte.

»Erwürgt«, sagte Madford, »mit ungewöhnlich harten und durchtrainierten Händen.«

»Dieses Schwein«, entfuhr es Mel Masterson, »dieses verdammte Schwein!«

»Darf ich annehmen und unterstellen, Mister Masterson, daß Sie einen ganz bestimmten Menschen meinen?« schaltete Josuah Parker sich ein.

»Und ob!« schnaufte Masterson, »das kann nur Paul getan haben.«

»Mister Stilsons Mitarbeiter mit der Lennon-Brille?«

»Genau den meine ich«, antwortete Mel Masterson und preßte die Lippen fest zusammen, »und er hat’s bestimmt getan, weil sie ihn nicht an sich rangelassen hat. Er war die ganze Zeit hinter ihr her wie ein läufiger Hund.«

*

»Ich will mich ja nicht gerade beschweren«, sagte Rander, als er mit Parker die Straße betrat, »aber warum haben Sie Madford verschwiegen, daß wir einen Gast an Bord haben?«

»Sie meinen Mister Stilson?«

»Natürlich.«

»Mister Stilsons Auftauchen hätte die Ermittlungen wohl nur unnötig gestört«, redete Parker sich heraus, »zudem dürfte er zur Zeit nicht sonderlich vernehmungsfähig sein.«

Was durchaus stimmte, denn Stilson, der im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen saß, schlief tief und fest. Was mit einer Dosis Lachgas zusammenhing, die Parker durch einen gewissen Knopfdruck nach hinten in seinen Wagen hatte einsprühen lassen.

Von Passanten konnte Stilson nicht gesehen werden. Die Fenster waren durch Jalousetten geschlossen. Stilson konnte sich ungestört seiner Ruhe hingeben.

»Und was machen wir jetzt mit ihm?« erkundigte sich Rander, als sie im Wagen saßen.

»Ich werde ihn zu einem geeigneten Zeitpunkt zurück in seine Privaträume geleiten«, versprach Parker, »vorerst möchte ich ihn vor den möglichen Nachstellungen eines gewissen Paul schützen, der ja laut Mister Masterson ein Mörder sein soll.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Parker?«

»Keineswegs, Sir, ich möchte Ihnen nur eine Motivation dafür liefern, daß ich Mister Stilsons Freiheit noch ein wenig weiter einzuschränken gedenke.«

*

Sue Weston wirkte unverdächtig.

Sie hatte sich verkleidet und glich jetzt einer Intellektuellen im Gammellook.

Sie trug Maxi, bunte Holzperlenketten und ein Indianerband um den Kopf.

Sie trat an den Schalter des Kinos und erstand sich eine Eintrittskarte.

Die üppige Blondine im Kassenhäuschen taxierte Sue mit einem schnellen Blick. Sie war gar nicht auf den Gedanken gekommen, bei Sue nach einer Karte für das Parkett oder für die Logen zu fragen. Für sie war es klar, daß Sue sich wirklich nur den angekündigten Experimentalfilm ansehen wollte.

Als die üppige Blondine ihr das Wechselgeld zurückgeben wollte, blies Sue in die geöffnete, flache Hand.

Ein graues Pulver stäubte von ihrer Handfläche hoch und legte sich auf das Gesicht der Blondine, die sofort hüstelte, dann hustete und einen leichteren Weinkrampf erlitt. Sie fand keine Zeit mehr, irgendwelche Warnknöpfe zu drücken. Sie sackte sofort in sich zusammen und schlief ein.

Bevor Sue das eigentliche Kino betrat, sah sie sich zur Straße um.

Das, was sie sah, beruhigte sie. Sie öffnete noch ein wenig die Verschnürung des Kleides über ihrer Brust und lieferte sich dann dem Platzanweiser aus, der wie ein Catcher aussah.

Das Licht seiner Taschenlampe blieb auf ihrem verwegenen Ausschnitt haften.

Allerdings nicht lange, denn plötzlich legte sich Sues Handkante um seinen Hals.

Der Catcher schnaufte beeindruckt und ging in die Knie. Als er sich wieder benommen hochdrücken wollte, schlug Sue noch etwas nachdrücklicher zu. Daraufhin gab der Catcher seinem Ruhebedürfnis nach und blieb aus Gründen der Bequemlichkeit einfach auf dem Boden liegen.

Jetzt erschienen McLean, Rander und Parker auf der Bildfläche, für die Sue den Weg gebahnt hatte.

Parker wollte sein Versprechen einlösen und McLean mit Conally bekannt machen.

*

Der Catcher hinter der Tür, die von der Toilette aus zu erreichen war, schaute leicht verwirrt auf Sue Weston, die sich schluchzend an seinen Hals warf.

Sie sah ziemlich derangiert aus.

Die leichte Bluse war eingerissen. Sie schien einem ausgesprochenen Unhold gerade noch entwischt zu sein.

»Moment mal«, stammelte der Catcher und versuchte, Sue vom Hals zu lösen. »Was ist denn los, Mädchen?«

Er merkte es Sekunden später, als Sue ihn gegen das rechte Schienbein trat.

Sie stemmte sich von ihm ab und rannte quer durch den Waschraum hinüber zum Eingang.

Der Catcher, verständlicherweise leicht ärgerlich, wollte ihr seine Pranke ins Genick legen. Um das zu erreichen, lief er ihr nach und gab damit die Tür zur Spielabteilung des Kinos frei.

Er stand plötzlich einem gewissen Josuah Parker gegenüber, der höflich seine Melone lüftete.

Der Catcher versuchte es mit einer Schnellbremsung, doch es reichte nicht. Sein Schwung war bereits zu groß. Er landete in den Armen von McLean, der sich in einen Grislybär verwandelte. McLean schloß seine Arme um die Brust des Catchers und drückte sanft zu.

Daraufhin wurde dem Catcher die Luft knapp. Die Rippen knackten bedrohlich.

Parker kürzte das Verfahren ab, indem er mit dem bleigefütterten Bambusgriff kurz und nachdrücklich zulangte. Daraufhin verdrehte der Catcher seine Augen, gab ein dumpfes Stöhnen von sich und wurde in McLeans Armen schwach.

»Ich bitte, näher treten zu wollen«, sagte Parker, der bereits in der geöffneten Tür stand, »ich hoffe, Mister McLean, Ihnen Mister Conally präsentieren zu können.«

*

McLean strahlte, als er die Handschelle um Conallys Handgelenk schließen konnte. Und er strahlte zusätzlich, als er diese Handlung auch an Conallys Freundin Liz Tatman vornehmen konnte. Dann griff er zum Telefon und informierte seinen Chef Madford. Er forderte einen Transportwagen an, um die Gäste Conallys en bloc abfahren zu lassen. Verbotenes Glücksspiel lautete die Pauschalanklage.

»Ich weiß genau, daß ich das Ihnen zu verdanken habe«, sagte Conally gereizt zu Parker, der interessiert, aber schweigend zugesehen hatte, »dafür stelle ich Ihnen bei Gelegenheit eine Quittung aus.«

»Sie sollten Ihre Festnahme mit Fassung tragen«, erwiderte Parker, »ich wundere mich allerdings ehrlich, daß Sie nach meinem Gastspiel hier in diesen Räumen nicht die Lokalitäten wechselten.«

»Weil er ein ausgemachter Trottel ist«, warf Conallys Freundin mit schriller Stimme ein, »ich hatte ihn gleich gewarnt, aber er fühlte sich ja so sicher.«

»In einer geeigneten Zelle wird Ihr Lebensgefährte sich wahrscheinlich noch sicherer fühlen«, meinte Parker höflich, »die Anklage dürfte ja wohl bekannt sein. Kidnapping von Mister Rander und Miß Sue Weston. Der Gesetzgeber reagiert darauf erfreulich hart!«

»Daran sollte man immer denken«, schaltete Rander sich ein, hüstelte anzüglich und warf seinem Butler einen noch anzüglicheren Blick zu.

»Ausnahmen bestätigen natürlich immer die allgemeine Regel«, fügte der Butler jetzt verständlicherweise hinzu. Er dachte wohl an Stilson.

»Kidnapping? Das müssen Sie mir erst mal beweisen.« Conally regte sich ehrlich auf.

»Dies, Mister Conally, werden schon Ihre diversen Mitarbeiter Ron und Clive mit Freuden erledigen«, gab der Butler zurück, »von Ihren Belastungszeugen Cary und Hal einmal ganz zu schweigen. Ich bin sicher, daß sie die Schuld niemals allein auf sich nehmen werden.«

»Warten wir’s ab! Und ich komme ja mal wieder raus aus dem Bau.«

»So etwas deuteten Sie bereits an, Mister Conally.« Parker nickte fast wohlwollend, »wenn dies geschieht, wird der Fall Levell allerdings längst gelöst sein.«

»Ich sage kein Wort mehr«, gab Conally zurück, »Sie wollen aus mir doch nur etwas rausholen.«

»Dann möchte ich Sie abschließend und notwendigerweise mit einer Tatsache konfrontieren, die Ihnen sicher unangenehm sein wird.«

Conally schwieg und preßte die Lippen fest zusammen.

»Ich möchte Ihnen die Ermordung einer gewissen Lana Clint vermelden«, schloß Parker.

»Lana Clint!« Die Augen Conallys nahmen einen sehr überraschten Ausdruck an.

»Sie kennen Miß Clint? Sie kannten Sie?«

»Halt doch deinen Mund, du Idiot!« schrie Conallys Freundin. Liz Tatman blitzte ihn wütend an.

»Kein Kommentar«, meinte Conally mürrisch und senkte den Kopf.

»Sagt Ihnen auch der Name Mel Masterson etwas?« stellte der Butler ungerührt seine nächste Frage.

»Kein Kommentar«, erwiderte Conally konsequent, um dann aber schnell hinzuzufügen, »ist er auch tot?«

»Sie kennen ihn also?«

»Kein Kommentar«, wiederholte Conally mürrisch.

»Wie Sie meinen, Mister Conally«, sagte Parker, »Mister Masterson wird sicher die Freundlichkeit haben, etwas über seine Zusammenarbeit mit Ihnen zu berichten.«

»Sie haben Mel … Äh, ich meine Masterson … festgenommen?« Conally geriet nun doch etwas durcheinander. Die Wucht der Nachrichten bügelte ihn nieder.

»Masterson haben wir in der Tasche«, schaltete McLean sich breit grinsend ein. »Es sieht so aus, als könnte er Lana Clint umgebracht haben.«

Conally schwieg.

»Er wird sich etwas einfallen lassen müssen, wenn er seinen Hals aus der Schlinge ziehen will«, redete McLean nicht ungeschickt weiter, »ich möchte wetten, Masterson wird rückhaltlos die Wahrheit sagen. Auch wenn sie Ihnen, Masterson, verdammt unangenehm werden sollte. Wie ich die Lage einschätze, wird er keine Rücksichten kennen.«

Madford, der mit seinen Mannen zu diesem Zeitpunkt auf der Bildfläche erschien, sah seinen Sergeant ziemlich sauer an. Es hatte fast den Anschein, als würde er McLean diese Conally-Massenverhaftung nicht von Herzen gönnen.

*

Stilson erwachte fast ruckartig aus seinem erholsamen und erquickenden Schlaf und richtete sich steil in seinem Bett auf. Er sah sich völlig verwirrt um und brauchte einige Sekunden, bis seine Erinnerung wieder einsetzte.

Dann stieg er vorsichtig aus dem Bett und untersuchte den Raum, in dem er sich befand.

Es war ein einfacher, kleiner, rechteckiger Raum, der an ein Krankenzimmer erinnerte.

Hinter dem starken Milchglas der Fensterscheibe waren Eisengitter zu erkennen. Die Überprüfung der Tür zeigte ihm, daß sie ohne Klinke war. Alles war blendend weiß gestrichen, und es roch etwas zu penetrant nach einem Desinfektionsmittel.

Stilson weitete seine Erkundigungen aus.

Er stieß die Tür zum angrenzenden Badezimmer auf und fand auch hier ein kleines Fenster mit Milchglasfüllung, hinter dem ein Eisengitter zu erkennen war. Es gab neben der obligaten Toilettenschüssel noch ein Waschbecken und eine Duschkabine.

Stilson füllte sich am Waschbecken ein Glas mit Wasser und trank es gierig leer. Dann sah er an sich herunter und konstatierte, daß er seine normale Kleidung trug.

Dies alles beobachtete Josuah Parker durch zwei versteckt im Raum angebrachte Fernsehkameras, von denen Stilson keine Ahnung hatte. Der Inhaber der Detektei ging zurück zur Zimmertür und begann wütend gegen die Füllung zu pochen.

Er fühlte sich verständlicherweise in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

*

Mike Rander und Sue Weston hatten ihre Beobachtungsposten bezogen und richteten sich auf eine längere Wartezeit ein.

Ihr Interesse galt dem Haus, in dem Mrs. Mabel Levell wohnte. Parker hatte sie um diesen Dienst gebeten. Er wollte genau darüber unterrichtet sein, was Mrs. Levell tat und noch tun würde. Seiner bescheidenen Ansicht nach würde sie das Haus früher oder später verlassen.

Nun, zuerst sah es nicht danach aus.

Aus dem Haus kam Paul Levell, der Bruder des ermordeten Kassenboten. Er stampfte schwer hinunter auf die Straße und trug ein Einkaufsnetz in der Hand.

Sue stieg aus ihrem Mietwagen und folgte ihm vorsichtig. Rander blieb in seinem eigenen Wagen zurück und konzentrierte sich auf Mrs. Levell.

Es störte ihn nicht, daß außer Sue und ihm wohl auch noch Madfords Beamte das Haus und damit Mrs. Levell beschatteten. Rander brauchte Informationen aus erster Hand.

Nun, Mrs. Levell ließ sich nicht blicken. Sie schien ungemein scheu zu sein.

Sue Weston blieb inzwischen Paul Levell auf den Fersen.

Der Bruder des Ermordeten, gekleidet in einem priesterähnlichen Anzug, wollte tatsächlich einkaufen. Er verschwand in einem nahen Supermarkt, dem Sue selbstverständlich ebenfalls einen Besuch abstattete.

Paul Levell kaufte zwei Dosen Ravioli, Steaks aus der Tiefkühltruhe, etwas Frischobst und Büchsenkaffee. Dann aber verschwand er in einer der beiden Telefonzellen, die sich neben der Käseabteilung befanden.

Sue hatte Glück und konnte die Nebenzelle mit Beschlag belegen. Sie wählte allerdings keine Nummer, sondern versuchte, etwas von dem Gespräch mitzubekommen, das Levell führte.

Das Mithören war überraschend leicht, wie sie schnell feststellte. Die Trennwand zwischen den beiden Telefonzellen war erfreulich leicht und dünn.

»… richtig, Paul Levell … Der Bruder des ermordeten Hank Levell … Richtig … Hören Sie, ich habe Ihnen etwas auszurichten! Nein, bitte, legen Sie nicht auf, es ist sehr wichtig! … Ich rufe für …«

Sue Weston schrak zusammen, als ausgerechnet in diesem Augenblick die Tür ihrer Telefonzelle wütend aufgerissen wurde. Ein dicklicher, cholerisch aussehender Mann blitzte sie gereizt an.

»Sprechen Sie oder sprechen Sie nicht?« hauchte er Sue an, »entscheiden Sie sich endlich. Ich hab nicht so viel Zeit wie Sie.«

Sue räumte wütend die Zelle, ohne ein Wort zu verlieren. Der Zeitpunkt war vertan. Paul Levell schien seine Botschaft bereits ausgerichtet zu haben. Er verließ gerade seine Sprechzelle.

Sue Weston schluckte ihren Ärger hinunter und hängte sich wieder an Reverend Levell, der jetzt den Ausgang des Supermarktes suchte. Er schien nach wie vor nicht zu merken, daß er verfolgt wurde.

*

Es war dämmrig geworden.

Josuah Parker hatte seine beiden Außenposten eingesammelt. Sie befanden sich jetzt in seinem hochbeinigen Wagen. Rander und Sue hatte nicht viel zu berichten gehabt. Mrs. Levell befand sich nach wie vor im Haus und rührte sich nicht.

»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?« erkundigte sich Rander bei Parker, »warum sagen Sie nicht klipp und klar, daß Sie Mrs. Levell für die eigentliche Täterin halten? Das ist doch der Fall, oder?«

»Damit rechne ich in der Tat, Sir«, erwiderte der Butler gemessen, »ich halte Mrs. Levell für eine raffinierte Täterin! Und vielleicht auch für eine Mörderin. Es wird nur eine große Schwierigkeit sein, ihr das nachzuweisen.«

»Wie ich Sie kenne, spielen Sie doch sicher schon mit einigen Möglichkeiten, nicht wahr?«

»In der Tat, Sir. Man müßte Mrs. Levell entführen.«

»Wiederholen Sie das noch mal«, bat Rander, der glaubte, sich gründlich verhört zu haben.

»Man müßte Mrs. Levell entführen«, sagte Parker also noch mal, »um sie dann allerdings kurzfristig wieder freizulassen.«

»Jetzt verstehe ich kein Wort mehr«, unterbrach Sue.

»Ich gehe von der Voraussetzung aus, Miß Weston, daß Mrs. Levell der Kopf einer kleinen, aber raffinierten Bande ist, die mit höchster Effizienz arbeitet.«

»Können Sie auch im Klartext reden?« fragte Rander ironisch.

»Ich verweise auf die vier Männer, die laut Sergeant McLean und damit der Polizei in einem Zeitraum von zwei Jahren verschwanden.«

»Und mit ihnen 1,1 Millionen Dollar«, pflichtete Rander ihm bei und nickte.

»Dahinter könnte ein System stecken«, setzte Parker seine Theorie weiter auseinander, »über die Grundinformationen hinaus, die wir von Sergeant McLean erhielten, stellte ich detaillierte Nachforschungen an und bediente mich dabei der Boulevardzeitungen.«

»Sie waren unterwegs?« Rander sah den Butler erstaunt an.

»Ich sah mich in zwei Zeitungsarchiven um«, erklärte der Butler gemessen, »ich war so frei, mir die vier eben erwähnten Fälle aus der Sicht der damaligen Berichterstattungen anzusehen.«

»Und zu welchen Ergebnissen kamen Sie, Parker?«

»Die Parallelität zwischen diesen vier Fällen und dem Fall Hank Levell ist das, was man frappierend nennen sollte, Sir!«

»Sie haben also so etwas wie ein System in allen jetzt fünf Fällen entdeckt?«

»In der Tat, Sir! Und ich habe in den beiden Fällen, in denen die Verschwundenen verheiratet waren, mir die Fotos der Witwen angesehen.«

»Ich ahne schon, was Sie entdeckt haben könnten«, meinte Sue eifrig, »diese beiden Ehefrauen gleichen Mrs. Levell, nicht wahr?«

»In etwa, vorsichtig ausgedrückt.«

»Also, das wäre ja eine Bombe!« Rander sog scharf die Luft ein.

»In beiden Fällen bestanden die betreffenden Ehen erst seit einem beziehungsweise seit fast einem Jahr. Wie im Fall Levell.«

»Was haben Sie noch ausgegraben?«

»In beiden Fällen sind die Ehefrauen nicht mehr aufzuspüren. Wenigstens nicht auf Anhieb, Sir. Eine umfassende und genaue Ermittlung in dieser Richtung konnte ich aus Zeitmangel noch nicht anstellen. Erste Telefonate ergaben allerdings diesen Verdacht. Die Ehefrauen müssen zumindest die Stadt verlassen haben. Angehörige sind im Moment ebenfalls nicht zu ermitteln.«

»Sie sprachen eben von einer kleinen, aber raffiniert arbeitenden Bande«, warf Rander ein, »aus welchen Mitgliedern soll diese Bande denn Ihrer Ansicht nach bestehen?«

»Aus Mrs. Levell, Sir, aus dem Hippie Paul vielleicht, ganz sicher aber auch Mister Stilson.«

»Na, na, diese kühne Behauptung werden Sie mir beweisen müssen.«

»Ich verweise im Fall Stilson auf die Alarmeinrichtung seiner Detektei, die in keinem Verhältnis zu seinen nach außen dokumentierten Einnahmen stehen dürfte. Hinter Stilson verbirgt Sich das, was man ein Geheimnis nennen sollte.«

»Okay, zugegeben, Stilson scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben. Und wieso zählen sie Paul dazu?«

»Dieser Hippie, Sir, arbeitet seit fast einem Jahr für Stilson.«

»Na ja, er könnte demnach eingeweiht sein, falls Ihre Behauptungen stimmen, Parker.«

»Aber wieso arbeiten Stilson und dieser Hippie mit Mrs. Levell zusammen?« stellte Sue die entscheidende Frage, »wie wollen Sie da einen Zusammenhang aufzeigen, Mister Parker?«

»Nun, eine Frau wie Mrs. Levell wäre allein niemals in der Lage, Männer verschwinden zu lassen. Sie braucht Helfershelfer, wie ich es ausdrücken möchte. Sie braucht Mitarbeiter, die die möglichen Morde erledigen.«

»Das ist immer noch kein Beweis«, sagt Sue hartnäckig. Sie war noch nicht überzeugt.

»Sehr wahr, Miß Weston«, gab der Butler gemessen zurück, »diesen inneren Zusammenhang scheint mir aber Mister Stilson selbst geliefert zu haben. Nachdem Sergeant McLean mich bat, für seinen verschwundenen Freund Levell tätig zu werden, erschien Stilson auf der Bildfläche und beschattete meine bescheidene Wenigkeit. Hier sehe ich den Zusammenhang, den Sie bisher vermißten, Madam!«

»Kommen wir also zur Entführung«, sagte Rander in gespannter Erwartung, »wie soll die vor sich gehen, vorausgesetzt, daß ich damit einverstanden bin. Mrs. Levell kann keinen Schritt vor das Haus setzen, der von Madfords Beamten nicht registriert würde.«

»Ich schlage vor«, meinte Parker »daß man Mrs. Levell austauscht. Vielleicht gegen Miß Weston.«

»Ausgeschlossen«, lehnte Rander diesen Vorschlag kategorisch ab, »ausgeschlossen! Ich habe was dagegen, daß Sue, eh, ich meine Miß Weston im letzten Moment noch von dieser Raubkatze erledigt wird!«

*

Parker merkte sehr schnell, daß er auf dem richtigen Weg war.

Zusammen mit Sue Weston, die natürlich doch mitgekommen war, erschien er vor der Wohnungstür und nickte Mrs. Levell höflich zu.

»Haben Sie möglicherweise noch mal für einige Minuten Zeit?« erkundigte er sich.

»Ich weiß nicht, was Sie noch von mir wollen«, erwiderte Mrs. Levell mit müder Stimme.

»Ich werde es Ihnen gleich sagen«, gab Parker zurück. Er folgte ihr zusammen mit Sue Weston in den Wohnraum. Hier schaute Parker sich interessiert um. »Sollte Ihr Schwager nicht zu Hause sein?«

»Er hat sich etwas niedergelegt. Er wird morgen wieder zurück nach Atlantic City fahren.« Die kleine graue Maus sah den Butler abwartend an. »Was wollen Sie mir sagen?«

Parker sah zur Tür hinüber, neben der Sue Weston sich aufgebaut hatte.

»Hätten Sie etwas dagegen, meiner bescheidenen Wenigkeit vor die Tür zu folgen?« fragte er dann.

»Wie, bitte?« Sie sah ihn erstaunt und überrascht zugleich an.

»Ich möchte Sie zu Mister Stilson bitten«, sagte Parker.

»Bitte, lassen Sie mich in Ruhe!« Ihre Stimme klang etwas schärfer als gewöhnlich. Aber noch blieb sie die unscheinbar aussehende graue Maus.

»Ich fürchte, dann etwas Gewalt anwenden zu müssen«, sagte Parker, noch immer höflich. Doch während er noch redete, streckte er seine schwarz behandschuhten Hände nach ihr aus.

In diesem Moment zeigte sich, was in dieser grauen Maus steckte. Sie verwandelte sich innerhalb weniger Augenblicke in eine gereizte Katze.

Ihre Augen sprühten Feuer und schossen Blitze. Sie wich zurück, und an der Stellung ihrer Hände erkannte der Butler sofort, daß sie sich zumindest in der Kunst der Jiu-Jitsu auskannte.

Denn, so schnell, wie dieser Ausbruch gekommen war, verwandelte sie sich zurück in die kleine graue Maus.

»Gewalt?« fragte sie mit gekonnt belegter Stimme.

»Ich fürchte, ich habe mich etwas undeutlich ausgedrückt«, korrigierte sich der Butler. Um dann auf den Auslöseknopf seines Universal-Regenschirms zu drücken.

Mit feinem Zischen schoß der kleine buntgefiederte Pfeil aus dem Schirmstock und bohrte sich in Mrs. Levells Oberarm.

Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.

Sie starrte aus entsetzt und weit geöffneten Augen auf den Pfeil, seufzte, zog ihn vorsichtig und angewidert zugleich aus dem Arm und fuhr sich dann über die Stirn.

Es dauerte nur knapp eine Sekunde, bis sie haltlos in sich zusammenbrach.

*

Zu Stilsons Überraschung schwang die Tür plötzlich weit auf.

Er glaubte zuerst, seinen Augen nicht zu trauen. Er rechnete mit einer Falle und bewegte sich dementsprechend vorsichtig nach draußen.

Er befand sich in einem kleinen Korridor, der in eine große Wohnhalle mündete. Da Stilson noch nie in Randers Penthouse gewesen war, war dies alles sehr neu für ihn.

Von der großen Wohnhalle aus zweigten einige Türen ab, die sich aber nach Prüfung durch ihn als fest verschlossen erwiesen. Unverschlossen war eigentlich nur die Tür zu dem privaten Expreßlift, der nach unten auf die Straße führte.

Stilson nutzte seine Chance und benutzte diesen Schnellift. Innerhalb weniger Sekunden war er an der Endstation und drückte die Tür auf. Unsicher sah er sich auf der Straße nach allen Seiten um.

Dann machte er sich allerdings sehr schnell auf die Beine und hatte bald darauf das Glück, ein vorbeifahrendes und erfreulicherweise leeres Taxi abwinken zu können.

»Zum Loop«, sagte er hastig zu dem vierschrötigen Fahrer, »beeilen Sie sich! Ich spucke eine Extranote, falls Sie spuren.«

*

Mrs. Levell kam überraschend schnell wieder zu sich.

Gewiß, sie hatte einen etwas dumpfen Kopf, aber sie konnte sofort klar denken.

Mit schnellem Blick hatte sie herausgefunden, daß sie sich im Fond eines seltsamen Wagens befand. Es schien sich um ein Taxi aus London zu handeln. In den Staaten waren solche Modelle normalerweise nicht zu sehen. Und sie wußte auch, wem dieser so seltsam aussehende Wagen gehörte.

Richtig, Parker saß steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, am Steuer seines Wagens. Die Trennscheibe zwischen ihm und dem Fahrgastraum war hochgelassen.

Mrs. Levell blieb ruhig in der Wagenecke sitzen, aber mit dem linken Fuß fingerte sie vorsichtig nach der Türklinke.

Wenig später hatte auch sie schon ihre Chance.

Parker hielt vor einem Stoppschild. Er mußte warten, bis der querfließende Verkehr abgelaufen war. Diese Chance nutzte Mrs. Levell.

Sie beugte sich plötzlich blitzschnell vor, drückte die Klinke hinunter und sprang aus dem Wagen. Sie mischte sich geschickt unter die Passanten, die an diesem Stoppzeichen ebenfalls warteten.

Sie sah zu Parkers Wagen hinüber, der zuerst nicht anrollen wollte. Parker schien inzwischen gemerkt zu haben, daß sein Gast aus dem Fond des Wagens verschwunden war. Er konnte sich nicht entschließen, die Weiterfahrt anzutreten. Erst das wütende Hupen der Wagen hinter ihm trieb ihn an.

Mit offener Schadenfreude in den Augen sah Mrs. Levell dem davonfahrenden Wagen nach. Dann konzentrierte sie sich darauf, eine ganz bestimmte Adresse zu suchen. Sie hatte es sehr eilig.

*

Paul, der Hippie mit der Lennon-Brille, war nicht mehr zu erkennen. Das hing einmal mit der modernen Brille zusammen, die er jetzt trug. Und es hing zusammen mit seinem gepflegten Haarschnitt, der zu einem pflichtbewußten Collegeboy gepaßt hätte. Schließlich verwandelte ihn auch der konventionelle, graue Anzug, der ihm übrigens ausgezeichnet stand.

Hippie Paul war kein Hippie mehr, sondern er sah aus wie ein jüngerer, aber immerhin leitender, seriöser Angestellter, der sich bereits dem Establishment verschrieben hatte.

Paul kam aus dem Badezimmer und widmete sich wieder seinen beiden kleinen Koffern. Dann steckte er den Flugschein für einen Luftsprung nach Los Angeles in die Tasche. Von ihm aus konnte es losgehen.

»Du willst ohne mich verreisen?« fragte in diesem Moment eine gereizte Stimme hinter ihm.

Paul wirbelte herum und sah sich Stilson gegenüber, der eine Schußwaffe in der Tasche seines Jacketts zu haben schien. Die Ausbeulung der Tasche und seine Hand darin redeten eine deutliche Sprache.

»Ich … Du …«

»Er, sie … es …!« sagte Stilson höhnisch, »wir wollen hier keine Sprachstudien betreiben, Paulchen. Ich wette, in einem der Koffer sind runde 250 000 Dollar, oder?«

»Unsinn! Ich …« Paul redete nicht zu Ende. Er setzte alles auf eine Karte und griff nach seiner Schulterhalfter, die er umgeschnallt hatte. Er hatte die feste Absicht, Stilson niederzuschießen.

Und diese Absicht führte er auch durch.

Nach dem Schuß, der noch nicht mal so laut klang, taumelte Stilson und fiel gegen ein Sideboard. Dann rutschte der Mann zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Paul griff hastig nach den beiden Koffern und stieg über Stilson hinweg. Er wollte zur Tür, die der Erschossene nicht geschlossen hatte.

Er blieb plötzlich wie erstarrt stehen.

»Mabel?« sagte er dann fast hilflos.

Mrs. Levell stand vor ihm. Und sie glich nun wirklich nicht mehr einer grauen und verschüchterten Maus. Sie hatte sich sehr gründlich verwandelt und trug eine Automatic in der Hand.

»So etwas habe ich die ganze Zeit über befürchtet«, sagte sie kühl zu Paul, »ich habe gewußt, daß du mich eines Tages betrügen würdest.«

»Hör zu, Mabel«, sagte Paul hastig, »ich wollte doch nur …«

Was er wollte, konnte er nicht mehr sagen.

Getroffen von einem Schuß, der sein Hemd über der Brust rot färbte, fiel er auf die Knie und rollte dann weich und schlaff zu Boden.

Mabel Levell hielt sich nicht lange auf, sie griff nach den beiden Koffern und verließ schnell die kleine Wohnung. Sie hastete über die Treppe nach unten und betrat die Straße.

»Hallo, Mrs. Levell!« begrüßte Sergeant McLean sie hier fröhlich lärmend, »das ist aber ’ne Überraschung. Hoffentlich reichen meine beiden Kollegen, Sie zurück nach Hause zu bringen.«

Mabel Levell senkt den Kopf und zuckte die Achseln.

»Pech«, sagte sie, »aber es kann ja schließlich nicht immer klappen!«

*

»Jetzt möchte ich endlich wissen, was gelaufen ist«, schnauzte Captain Madford gereizt, »ich werde wohl nicht mehr gefragt, wie?«

»Regen Sie sich wieder ab«, meinte Rander lächelnd, »wir hatten einfach keine Zeit, Sie noch zu informieren und einzuschalten. Wir mußten blitzschnell handeln.«

»Und ich darf und möchte Sergeant McLean an dieser Stelle meine ehrliche Anerkennung aussprechen«, schaltete Josuah Parker sich ein, »dank seiner überaus schnellen Reaktionsfähigkeit konnte Mrs. Levell überführt werden. Von den Herren Stilson und Paul ganz zu schweigen.«

»Einzelheiten«, schnarrte Madford beleidigt.

»Die sind schnell auf den Tisch gelegt«, meinte Rander lächelnd, »Parker ließ Stilson und auch Mrs. Levell von der Kette, wenn ich mich so ausdrücken darf. Er lud sie – vornehm ausgedrückt – zu sich ein, um sie dann wieder freizulassen. Sie gingen prompt in die Falle. Sowohl die Levell als auch Stilson hatten Angst, ihr Bandenmitglied Paul könnte mit der Beute von 250 000 Dollar verschwinden. Sie beeilten sich, in Pauls Wohnung zu kommen, die wir ja leider noch nicht kannten. Hier kam es zu einer turbulenten Schießerei, bei der Stilson und Paul auf der Strecke blieben. Sie sind verwundet, aber sie werden ihre Verletzungen mit Leichtigkeit überstehen.«

»Und Sie haben die ganze Zeit über mitgespielt?« Captain Madford sah McLean strafend an.

»Und wie!« freute sich Rander noch nachträglich, »er besorgte die Männer, die wir zur Festnahme und Kontrolle brauchten. Einer davon spielte den Taxifahrer, den Stilson vor meinem Bürohaus abwinkte. Und der zweite Mann Ihrer Dienststelle, Madford, wartete vor einem Stoppschild darauf, daß Mrs. Levell aus Parkers Wagen hüpfte. Dieser Treffpunkt war genau vorausgeplant worden und haute prächtig hin!«

»Leichtsinn auf der ganzen Linie«, schnaubte Madford und warf seinem Sergeant einen grimmigen Blick zu.

»Schön, Leichtsinn, aber er zahlte sich aus«, sagte Rander, »wir haben diese verflixte Raubkatze Levell überführt. Und ihre beiden Mitarbeiter Stilson und Paul dazu. Dieses Trio hat übrigens in den vergangenen zwei Jahren die vier Männer mit insgesamt 1,1 Millionen verschwinden lassen, beziehungsweise ermordet.«

»Wobei zu ergänzen wäre«, schaltete der Butler sich gemessen ein, »daß dieser Mister Paul für den Mord an Miß Lana Clint verantwortlich zeichnet. Er hat diese Tat bereits zugegeben.«

»Das Motiv?« bellte Madford böse.

»Angst vor einer Entdeckung«, sagte McLean eifrig, »Paul hatte herausbekommen, daß die Clint für Conally arbeitete, und daß sie darüber hinaus eine Art Privatgeschäft mit ihrem Liebhaber Masterson aufziehen wollte. Es ging allen um die 250 000 Dollar.«

»Diese ganze Verschwörung hätte man auch mit der klassischen Methode entdeckt«, beschwerte sich Madford bitter.

»Selbstverständlich«, schaltete der Butler sich wieder ein, »aber man hätte möglicherweise mehr Zeit gebraucht.«

»Wie haben Sie die Levell aus der Wohnung bekommen?« wollte Madford wissen.

»Ich mußte Ihre Leute, die sich vor Mrs. Levells Wohnung aufgebaut hatten, notgedrungen ein wenig täuschen«, räumte der Butler ein, »Miß Weston war so freundlich, in der übrigens sehr guten Maske der Mrs. Levell die Wohnung zu verlassen.«

»Verstehe«, knurrte Madford, »und als meine Leute geleimt waren und Miß Weston nachpirschten, schafften Sie die richtige Levell in Ihren Wagen, wie?«

»Ausgezeichnet erfaßt«, lobte der Butler, »ich darf abschließend noch mal darauf verweisen, daß ich Mrs. Levell eigentlich nie über den Weg traute.«

»Ihre berühmte Intuition, wie?« fragte Madford mürrisch.

»In der Tat, Captain«, sagte Parker, »es war eine Garçonkappe, die meine bescheidene Wenigkeit stutzen ließ und die eigentlich nicht in die Wohnung der Mrs. Levell paßte. Diese Kappe gehörte zum und ins eigentliche Privatleben der Mrs. Levell, die im Grunde nichts anderes ist als eine erstklassige, aber sehr mordlüsterne Schauspielerin, die wohl in allen Fällen die kleine Ehefrau spielte, um an Männer heranzukommen, die mit Geld zu tun hatten, und wenn auch nur als Zwischenträger.«

»Sie war der Kopf dieser Gang«, schloß Rander, »Stilson und Paul waren nur ihre Mitarbeiter. Ich hoffe, Sie werden McLean für seine Tatkraft zur Beförderung vorschlagen.«

»Wissen Sie, was ich tun werde?« fragte Madford grimmig.

»Na?«

»Ich werde ihm was husten«, sagte Madford wütend, um sich dann dem Butler zuzuwenden, »und Ihnen werde ich mit Sicherheit ein Verfahren ans Bein binden. Wegen wiederholter Behinderung meiner amtlichen Tätigkeit und Ermittlung!«

»Sehr wohl«, sagte Parker gemessen und deutete eine knappe Verbeugung an.

»Das scheint Sie nicht zu beeindrucken, oder?« Madford ärgerte sich noch mehr.

»Sie haben das getroffen, Sir, was man den oft zitierten Nagel auf den Kopf nennt«, antwortete der Butler. »Im übrigen empfehle ich für Ihre mit Sicherheit verbrauchten Nerven Milch, die gut sein soll gegen das, was der Mediziner Maroditis nennt.«

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Butler Parker Staffel 8 – Kriminalroman

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