Читать книгу Der exzellente Butler Parker Staffel 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6

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Josuah Parker öffnete die Tür und sah auf den ersten Blick nur Blumen. Das leicht gerötete Gesicht hinter dem Bouquet war ihm durchaus vertraut. »Ob Mylady wohl etwas Zeit für mich hat?« erkundigte sich Chief-Superintendent McWarden.

»Mylady hat soeben ihre schriftstellerische Arbeit unterbrochen, um eine Tasse Tee zu nehmen, Sir«, teilte der Butler mit und ließ den angesehenen Yardbeamten ins Haus.

»Sie wollen mir wohl zum Geburtstag gratulieren, mein lieber McWarden?« flötete Agatha Simpson. »Leider haben Sie sich im Datum geirrt.« »Keineswegs, Mylady«, entgegnete McWarden und nahm Platz. »Mit diesem Angebinde wollte ich mich nur für die gute Zusammenarbeit der letzten Monate bedanken.«

»Solche Großzügigkeit kennt man ja gar nicht an Ihnen, McWarden«, gab die passionierte Detektivin zurück. »Ich möchte wetten, daß Sie wieder mal in der Patsche stecken und meine Hilfe brauchen.«

»Offen gesagt: ein gewisser Fall raubt mir die letzten Nerven«, bekannte McWarden irritiert.

»Das will nicht viel besagen«, überspielte die Hausherrin ihre sofort entflammte Neugier. »Sie regen sich doch über jede Kleinigkeit auf.«

»Mag sein, Mylady«, schluckte McWarden die Stichelei. »Jedenfalls hat die Kleinigkeit, um die es in diesem Fall geht, den Innenminister persönlich auf den Plan gerufen. Auch im Verteidigungsministerium rotieren sie schon.«

»Darf man vermuten, daß es sich um Waffendiebstahl handelt, Sir?« schaltete Parker sich ein und legte seiner Herrin ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte vor.

»Es geht um ein neu entwickeltes Lasergerät...«, setzte der Chief-Superintendent an.

»Laser?« unterbrach Agatha Simpson. »Was verstehe ich unter Laser, Mister Parker?«

»Wie Mylady sich fraglos erinnern dürften, stellt das Wort ›Laser‹ eine Abkürzung dar«, gab der Butler höflich Auskunft. »Gemeint ist das Prinzip der ›Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung.«

»Ich weiß, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson sachverständig. »Und wer soll mit dieser simulierten Strahlung missioniert werden?«

»Der scharf gebündelte Lichtstrahl eines Lasergerätes läßt sich im medizinischen, technischen und militärischen Bereich außerordentlich vielseitig einsetzen, falls meine Wenigkeit nicht irrt«, versuchte Parker, seiner technisch unbedarften Herrin das Thema näherzubringen.

»Genau!« bestätigte McWarden. »Bisher waren der Verwendung von Lasergeräten aber Grenzen gezogen, weil sie auf eine starke Energiequelle angewiesen sind. Die handliche und kaum fünf Kilo schwere Neuentwicklung der Londoner Firma ›Hitec‹ kommt dagegen mit normalem Tageslicht aus, das durch spezielle Solarzellen gesammelt und in elektrische Energie umgewandelt wird.«

»Die Erfindung eines tragbaren Gerätes dürfte die Einsatzmöglichkeiten dieser Technik sozusagen schlagartig erweitern«, merkte der Butler an.

»Eben!« nickte der Chief-Superintendent bekümmert. »Was die Ingenieure von ›Hitec‹ entwickeln wollten, war ein Schweißgerät, das im Urwald ebenso problemlos arbeitet wie auf dem Mond. Was herauskam, läßt sich aber auch als lautlose Mordwaffe von geradezu unheimlicher Präzision mißbrauchen.«

»Die militärische Brisanz dieser Erfindung dürfte kaum zu unterschätzen sein, Sir«, ließ Parker sich vernehmen.

»Das ist der Grund, weshalb sich auch der Verteidigungsminister eingeschaltet hat, Mister Parker«, erläuterte McWarden. »Man will auf jeden Fall verhindern, daß die Erfindung einer fremden Macht in die Hände fällt.«

»Muß man davon ausgehen, daß das genannte Gerät entwendet wurde, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Kein Gerät«, korrigierte der Chief-Superintendent. »Es gibt bisher nur einen Prototyp, der sich noch im Besitz des Unternehmens befindet. Aber die Einbrecher, die nachts den Computer der ›Hitec‹ anzapften, haben sich sämtliche Konstruktionsunterlagen ausdrucken lassen.«

»Eine Methode, die auf professionelles Arbeiten schließen läßt«, warf Parker ein. »Darf man fragen, Sir, ob Sie bereits einen Verdacht haben?«

»Ich weiß im Moment nur eins«, gestand McWarden. »Ich muß um jeden Preis verhindern, daß die Papiere ins Ausland geschafft werden. Sonst kann ich meinen Schreibtisch im Yard räumen.

»Keine Sorge, McWarden«, tröstete Lady Agatha den Yardbeamten. »Ich werde die Ermittlungen übernehmen und für Sie die Kastanien aus dem Feuer holen.«

»Um Himmels willen«, rief McWarden entsetzt. »Der Innenminister hat mich zu strengster Vertraulichkeit verpflichtet. Eigentlich habe ich Ihnen schon jetzt zu viel erzählt.«

»Sie wollen also gar nicht, daß ich Ihnen helfe?« reagierte Mylady eingeschnappt. »Warum kommen Sie dann?«

»Ich wollte Sie nur bitten...«, begann der Chief-Superintendent, aber Agatha Simpson fiel ihm ins Wort.

»Also doch!« grollte sie. »Drücken Sie sich präzise aus und kommen Sie endlich zur Sache, McWarden. Meine Zeit ist kostbar.«

»Ich wollte Sie nur bitten, mir ein Gespräch mit Mister Pickett zu vermitteln«, nahm McWarden den zweiten Anlauf. »Bei seinen weitreichenden Verbindungen zur Londoner Szene hat er vielleicht etwas gehört.«

»Und deshalb halten Sie mich von der Arbeit ab?« entrüstete sich die ältere Dame. »Entweder übertragen Sie mir die Ermittlungen ...«

»Ausgeschlossen!« erwiderte McWarden gereizt. Die Gesichtsfarbe des korpulenten Mittfünfzigers ließ allmählich an eine reife Tomate denken. »In einer Sache von derartiger Brisanz kann ich keine Amateure ...«

»Amateure?« wiederholte die Hausherrin erregt. »Sie dürfen sich glücklich schätzen, daß ich mir immer noch einen gewissen Respekt vor den Beamten Ihrer königlichen Majestät bewahrt habe, McWarden. Sonst müßte ich mich beleidigt fühlen.«

»Aber Mylady«, versuchte McWarden die resolute Dame zu beschwichtigen. »Das Wort ›Amateur‹ ist doch keine Beleidigung.«

»Ich fasse es aber so auf«, belehrte Agatha Simpson ihren Gegenüber. »Wer ist Ihnen denn ständig um mindestens eine Nasenlänge voraus?«

»Das ist die Höhe!« ereiferte sich der Chief-Superintendent. »Mit Ihnen ist heute nicht vernünftig zu reden, Mylady. Ich gehe!«

McWarden trat den Rückzug in Richtung Diele an, wo Parker bereits mit Hut und Mantel wartete.

»Man wünscht weiterhin einen angenehmen Nachmittag, Sir«, sagte Parker mit unbewegter Miene, als er den Besucher hinausließ.

McWarden murmelte Unverständliches. Im Gehen klopfte er sich Blütenstaub und Blätter vom Anzug, die Myladys Wurfgeschoß hinterlassen hatte. Ohne sich noch mal umzuwenden, stieg er in seine schwarze Limousine und brauste davon.

*

»Mister McWarden werde ich zeigen, was es heißt, eine Lady Simpson herauszufordern, Mister Parker«, grollte die Detektivin. »Noch heute wird er die gestohlenen Papiere auf einem Silbertablett serviert bekommen. Und die ganze Einbrecherbande dazu.«

Die resolute Dame saß im bequemen Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum.

»Eine Amateurin hat er mich genannt, Mister Parker«, konnte sie sich nicht beruhigen. »Vielleicht hätte ich doch meine vornehme Zurückhaltung aufgeben sollen. Jeder andere hätte nach einer solchen Äußerung unweigerlich Bekanntschaft mit meinem Glücksbringer gemacht.«

Was Mylady zärtlich als »Glücksbringer« bezeichnete, war ein solides Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Dieser gewichtige Talisman steckte in ihrem Pompadour, einem Lederbeutel von fast zierlichem Format, den die Detektivin treffsicher einzusetzen wußte.

»Ein solcher Schritt hätte zweifellos weitreichende Folgen gezeitigt, falls der Hinweis gestattet ist«, merkte Parker an. Er saß in würdevoller Haltung am Lenkrad und steuerte sein schwarzes, eckiges Gefährt durch den nachmittäglichen Stadtverkehr in Richtung Osten.

»Wenn ich McWarden blamiere, ist das auch viel wirkungsvoller«, entschied die ältere Dame. »Ich werde ihm mal wieder demonstrieren, daß er gegen mich keine Chance hat.«

»Unter keinen Umständen würde meine Wenigkeit Mylady widersprechen«, versicherte der Butler wahrheitsgemäß und bog in die Whitechapel Road nach Stepney ein. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein.

Gleich nach McWardens überstürztem Abgang hatte Agatha Simpson ihn gebeten, die Adresse der Firma »Hitec« aus dem Telefonbuch herauszusuchen. Fünf Minuten später war das Duo aus Shepherd’s Market aufgebrochen.

»Hier dürfte es sein, Mylady«, meldete Parker über die Sprechanlage in den mit einer Panzerglasscheibe abgetrennten Fond. Gemächlich ließ er seinen Wagen auf dem Besucherparkplatz ausrollen.

Die schmucklosen Hallen und betonierten Hofflächen der Firma Hitec waren von einer übermannshohen Backsteinmauer mit Stacheldrahtkrone umgeben. Der Pförtner in der verglasten Kabine neben dem stählernen Rolltor hatte sich derart in das Studium seiner Sportzeitung vertieft, daß er Mylady und ihren Butler überhaupt nicht Vorbeigehen sah.

Wenig später hatten die Besucher eine Tür mit der Aufschrift »Vorzimmer des Geschäftsführers« erreicht.

››Sie wünschen?« erkundigte sich die schon etwas angejahrte Vorzimmerdame mißtrauisch und musterte das skurrile Paar von Kopf bis Fuß. Der Anblick, den die Besucher boten, war aber auch alles andere als alltäglich.

In seinem steifen, schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone auf dem Kopf und den altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten Unterarm, wirkte Josuah Parker wie ein hochherrschaftlicher Butler aus vergangenen Zeiten.

Während Parker alterslos schien, von eher durchschnittlicher Statur war und nur leichte Neigung zum Bauchansatz zeigte, verfügte seine Herrin über eine eindrucksvolle Fülle, die durch ein derbes Tweedkostüm mühsam gebändigt wurde. Agatha Simpson, die ihr Alter seit Jahren mit sechzig angab, steckte in rustikalen Schnürschuhen und trug ein wucherndes Filzgebilde auf dem Kopf, das sie hartnäckig als Hut bezeichnete, obwohl es eher einem mißratenem Napfkuchen glich.

»Mylady wünscht, den Herrn Geschäftsführer zu sprechen«, teilte der Butler mit einer knappen Verbeugung mit.

»Mister Clenwick ist in einer Besprechung«, gab die Dame hinter dem Schreibtisch kühl zurück. »Worum handelt es sich denn?«

»Das ist streng vertraulich und geht nur Mister Penstick und mich an«, beschied Mylady sie mit herablassender Geste.

»Sie meinen vermutlich Mister Clenwick?« vergewisserte sich die Sekretärin.

»Natürlich, wen denn sonst?« reagierte die Detektivin ungeduldig. »Im übrigen ist eine Lady Simpson nicht gewohnt, daß man sie warten läßt. Also sagen Sie Ihrem Mister Penstick, daß er sich gefälligst beeilen soll.«

»Aber...« Die Frau wollte protestieren, doch in diesem Augenblick wurde die Tür zu Clenwicks Büro geöffnet. Zwei unauffällig gekleidete Herren mit undurchdringlichen Gesichtern querten grußlos das Vorzimmer und verschwanden in Richtung Aufzug.

Der etwa 45jährige Mann im dunkelblauen Nadelstreifenanzug mit akkurat sitzender Krawatte und kurzgeschnittenem Blondhaar, der die beiden mit einem Kopfnicken verabschiedet hatte, machte einen nervösen und übernächtigten Eindruck. Die hellblauen Augen im gebräunten Gesicht streiften Agatha Simpson und Josuah Parker mit einem überraschten Blick.

»Sie wollen zu mir?« fragte er, schon wieder auf dem Rückweg in sein Büro.

»Chief-Superintendent McWarden hat mir die weiteren Ermittlungen in Ihrer Sache übertragen, Mister Penstick«, schwindelte die Detektivin ungeniert.

»Mylady genießt einen außerordentlichen Ruf als Detektivin«, setzte Parker hinzu, als er Clenwicks ungläubigen Blick bemerkte.

»Ist Mister McWarden denn krank geworden?« wunderte sich der Firmenchef, während er seinen Besuchern Platz anbot und die Tür zum Vorzimmer schloß. »Ich war sehr froh, als er die Ermittlungen persönlich in die Hand nahm, weil er mir als außerordentlich fähiger Kriminalist geschildert wurde.«

»Der gute McWarden ist wohlauf«, beruhigte Agatha Simpson ihr Gegenüber und ließ sich wohlig seufzend in einen üppig gepolsterten Ledersessel fallen. »Er hat nur eingesehen, daß er ohne meine Hilfe in dieser brisanten Sache nicht weiterkommt.«

»Mister McWarden wird schon wissen, was er tut«, schluckte Clenwick arglos die faustdicke Lüge. »Was kann ich für Sie tun, Mylady?«

»Mylady wünscht, zunächst die Bekanntschaft jener Herren zu machen, die an der Entwicklung des tragbaren Lasergerätes führend beteiligt waren«, sprang der Butler in die Bresche, als er das Zögern seiner Herrin bemerkte.

»Das sind nur zwei«, gab Clenwick zur Antwort. »Unsere Oberingenieure Rowes und Longdale. Alle übrigen Mitarbeiter der Abteilung haben lediglich Details bearbeitet und hatten keinen Überblick über das Gesamtprojekt«

Clenwick sah auf seine Armbanduhr und erhob sich. »Die beiden müßten eigentlich noch im Computerraum sein«, sagte er. »Wenn Sie nichts dagegen haben, bringe ich Sie hin.«

»Diesen Vorschlag kann man in der Tat nur begrüßen, Sir«, pflichtete Parker ihm bei und assistierte diskret seiner Herrin, die einige Mühe hatte, ihre Pfunde aus dem Sessel zu wuchten.

»Sie müssen die Einbrecher schnappen, ehe die Konstruktionsunterlagen ins Ausland geschmuggelt werden, Mylady«, beschwor Clenwick die Detektivin, während er durch lange, kahle Flure voranging. »Das Ministerium macht mir die Hölle heiß. Die beiden Herren, die ich vor Ihnen zu Besuch hatte, kamen von der Spionageabwehr.«

»Für eine Detektivin meines Ranges ist das überhaupt kein Problem, junger Mann«, prahlte Agatha Simpson. »Mein taktisches Konzept steht bereits. Bis zur Entlarvung der Täter können höchstens noch ein paar Stunden vergehen.«

*

»Verzeihung«, murmelte der Mann, mit dem Clenwick um ein Haar an der Tür zum Computerraum zusammengeprallt wäre. Parker schätzte ihn auf Ende Dreißig. Er war mit grellbuntem T-Shirt und einem abgeschabten Jeansanzug bekleidet. Seine aufmerksamen Augen blickten durch die Gläser einer modischen Hornbrille.

»Ich wollte gerade weg, weil ich noch eine Verabredung zum Tennis habe«, erklärte der Eilige. »Oder steht noch was Wichtiges an, Mister Clenwick?«

»Lady Simpson ist Detektivin«, stellte der Firmenchef seine Besucherin vor. »Sie möchte Ihnen und Mister Longdale noch ein paar Fragen stellen.«

»Schon wieder Fragen«, maulte der junge Mann, den Clenwick als Oberingenieur Peter Rowes vorstellte. »Aber wenn’s sein muß...«

Rowes Kollege Sinclair Longdale saß am Bildschirm und fragte Daten aus dem Großrechner ab, der eine Längswand des Raumes voll in Anspruch nahm. Der Mann trug einen blütenweißen Laborkittel über dem grauen Maßanzug. Das dunkle, an den Schläfen ergraute Haar war streng gescheitelt, Schwarze Augen in tiefliegenden Höhlen verliehen dem kantigen Gesicht einen leicht verschlagenen Ausdruck.

»Mister Rowes ist mit der Entwicklung der neuartigen Solarzellen der entscheidende Durchbruch gelungen«, fuhr Clenwick fort. »Seine Lösung erwies sich als kostengünstiger.«

»Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Mister Clenwick«, muckte Longdale auf. »Außerdem ist mein Verfahren zuverlässiger.«

»Sie wissen, daß die Entscheidung im Kreis der Anteilseigner einstimmig gefallen ist, Mister Longdale«, erklärte Clenwick seinem Mitarbeiter kühl. »Die Zeit der Diskussionen ist vorbei.«

»Ich weiß«, murrte Longdale. »Dafür jagen sich die Verhöre. Worum geht es denn jetzt schon wieder?«

»Mylady würde gern erfahren, auf welche Weise es möglich war, die im Computer gespeicherten Konstruktionsunterlagen zu entwenden«, ließ Parker sich vernehmen.

»Das ist eine Kleinigkeit, wenn man weiß, wie’s geht«, antwortete Longdale.

»Darf man möglicherweise auf eine etwas ausführlichere Erläuterung hoffen, Sir?« hakte der Butler nach.

»Man gibt den neunstelligen Zifferncode ein, holt sich die Sache auf den Bildschirm und schaltet den Drucker ein«, erläuterte der Oberingenieur. »Etwa zehn Minuten später packt man die Unterlagen in eine Aktentasche und geht.«

»Muß man von der Annahme ausgehen, daß dieser Raum allen Betriebsangehörigen zugänglich ist, Mister Longdale?« wollte der Butler wissen.

»Normalerweise sind nur Peter und ich hier drin«, gab sein Gegenüber Auskunft. »Wenn wir beide Weggehen, schließen wir grundsätzlich ab.«

»Außer Mister Longdale und Mister Rowes habe nur ich persönlich noch einen Schlüssel zum Computerraum«, schaltete Clenwick sich wieder ein. »Ach ja – und der Hausmeister. Und die Putzfrau natürlich.«

»Und der Servicetechniker der Computerfirma«, ergänzte Rowes.

»Spielt doch keine Rolle«, warf Longdale ein. »Die Einbrecher haben sowieso alle Schlösser geknackt. Aber damit steht jedenfalls fest, daß die Schlüsselinhaber mit der Sache nichts zu tun haben.«

»Darf man erfahren, worauf Sie diese Schlußfolgerung gründen, Mister Longdale?« fragte Parker.

»Wenn die Diebe Schlüssel gehabt hätten – warum sollten sie sich unnötige Arbeit machen und die Schlösser aufbrechen?« antwortete Longdale mit einer Gegenfrage.

»Das gewaltsame Eindringen könnte möglicherweise auch dazu dienen, den Verdacht von Mitarbeitern der Firma abzulenken«, gab der Butler zu bedenken und musterte sein Gegenüber ebenso unauffällig wie konzentriert.

»Aus dieser Perspektive habe ich die Sache noch nicht gesehen«, räumte Longdale ein. »Vielleicht haben Sie recht.« Seine Stimme klang fest und ruhig. Nur die dunklen Augen signalisierten erhöhte Wachsamkeit und eine Spur von Nervosität.

»Ich frage mich aber, wie die Einbrecher an die Codenummer des Laserprogramms herangekommen sind«, lenkte Clenwick das Gespräch auf einen anderen Punkt. »Die Kombination war außer Mister Rowes und Mister Longdale nur mir bekannt.«

»Für mich ist das überhaupt keine Frage, junger Mann«, schaltete Mylady sich unvermittelt ein. »Die Indizien sind absolut eindeutig.«

Parker war während der Worte seiner Herrin zur Tür geschritten und hatte sie mit einem Ruck aufgerissen.

»Miß Burley!« rief Clenwick zornig, als die mit einem grünen Arbeitskittel bekleidete Putzfrau in den Raum purzelte. Parker schätzte die Neugierige auf etwa dreißig Jahre. Der schlichte Kittel und das zu einem Turban geschlungene Kopftuch konnten nicht verbergen, daß Miß Burley eine ausgesprochen attraktive Raumpflegerin war.

»Ich wollte nur hören, ob hier noch jemand drin ist, Mister Clenwick«, entschuldigte sie sich. »Ich hätte sonst mit meiner Arbeit angefangen.«

»Ich denke, wir sind gleich soweit«, entgegnete der Chef. »Solange müssen Sie sich schon gedulden.« Er schickte der jungen Frau einen mißbilligenden Blick nach, als sie ihren vor der Tür abgestellten Schrubber ergriff und sich trollte.

»Falls meine Wenigkeit korrekt informiert wurde, gibt es einen Prototyp des neu entwickelten Lasergerätes, Mister Clenwick?« vergewisserte sich der Butler, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte.

»Der liegt zum Glück in dem großen Panzerschrank im Keller«, bestätigte Clenwick. »Da ist das Gerät vor Einbrechern absolut sicher.«

»Zweifellos darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Ihr Optimismus sich als begründet erweist, Sir«, merkte der Butler an. »Dennoch darf man möglicherweise darauf aufmerksam machen, daß es absolute Sicherheit nicht geben kann.«

»Wenn Sie an mich keine Fragen mehr haben, würde ich gern gehen«, unterbrach Rowes, der schon mehrfach auf die Uhr geschaut hatte. »Dann komme ich doch noch zu meinem Match.«

»Sie dürfen gehen, junger Mann«, erlaubte die Detektivin. »Meine Vernehmung ist für heute beendet. Die Zielrichtung der weiteren Ermittlungen steht ohnehin fest.«

Gleich nach Rowes verließen auch Clenwick und seine Besucher den Raum.

»Ich muß nur noch ein paar Daten vergleichen. Dann gehe ich auch nach Hause«, erklärte Longdale, der allein zurückblieb.

*

Das kurze Gespräch, zu dem Clenwick nach einem Rundgang in sein Büro einlud, zog sich fast zwei Stunden hin, da der Firmenchef eine Kognakflasche aus dem Wandschrank holte, die sogar unter den kritischen Augen der Lady Gnade fand.

Clenwick beklagte sich bitter darüber, daß das Verteidigungsministerium seinem Unternehmen die kalte Schulter gezeigt habe, solange es darum ging, Zuschüsse zu den beträchtlichen Entwicklungskosten des Lasers zu erhalten. »Und jetzt spielen sie verrückt«, beschwerte er sich.

Seine wiederholten Versuche, Agatha Simpson Einzelheiten über ihre Ermittlungen zu entlocken, scheiterten an der Hartnäckigkeit der älteren Dame.

»Meine Ermittlungen sind so gut wie abgeschlossen«, versicherte Agatha Simpson stereotyp. »Mein Konzept sieht als nächsten Schritt die Festnahme des Täters vor. Doch davon später, junger Mann.«

Als Clenwick schließlich resignierte und seine Gäste entließ, war es draußen schon dunkel.

»Darf meine Wenigkeit noch um Auskunft darüber bitten, seit wann Miß Burley bei Ihnen beschäftigt ist, Mister Clenwick?« stellte Parker seine letzte Frage.

»Seit einem Monat«, gab der Firmenchef Auskunft. »Ist das wichtig?«

»Es könnte sich möglicherweise als wichtig erweisen, Sir«, entgegnete der Butler und lüftete ein wenig seine schwarze Melone. »Man wünscht noch einen angenehmen Abend, Mister Clenwick.«

*

»Natürlich habe ich diesen Monday sofort durchschaut, Mister Parker«, verkündete Lady Agatha mit stolzgeschwellter Brust, während der Butler sie über den Hof geleitete.

»Darf man die Vermutung äußern, daß Mylady Mister Sinclair Longdale zu meinen geruhen?« vergewisserte sich Parker.

»Nichts anderes habe ich doch gesagt, Mister Parker«, behauptete die resolute Dame in einem Ton, der keinen Widerspruch gewohnt war. »Mein Namensgedächtnis ist über jeden Zweifel erhaben.«

»Nicht mal in Morpheus’ Armen würde meine Wenigkeit es wagen, dies in Abrede zu stellen«, versicherte der Butler in seiner unerschütterlichen Höflichkeit. »Darf man möglicherweise um Aufklärung darüber bitten, wie Mylady Ihren Verdacht gegenüber Mister Longdale zu begründen geruhen?«

Die Detektivin zögerte mit der Antwort, bis man an der hell erleuchteten Pförtnerloge vorbei war. Der Wächter blickte zwar verdutzt, als er Agatha Simpson hocherhobenen Hauptes vorüberschweben sah, begleitet von ihrem Butler. Er verzichtete aber auf Fragen und ließ das seltsame Paar mit einem Kopfnicken passieren, Mylady bedachte den kahlköpfigen, ungeschlacht wirkenden Mann mißtrauisch über die Schulter, ehe sie fortfuhr: »Dieser Monday hat einen ausgesprochen hinterhältigen Blick, Mister Parker, Außerdem ist er unzufrieden und verträgt sich nicht mit seinem Chef.«

»In der Tat dürfte bei Mister Longdale ein gewisses Motiv zu vermuten sein«, stimmte der Butler vorsichtig zu. »Die Entscheidung für Mister Bowes’ Erfindung dürfte ihn tief enttäuscht haben, falls man diesen Eindruck wiedergeben darf.«

»Sie haben mich richtig verstanden, Mister Parker«, lobte die Detektivin. »Aber obwohl Monday ein Motiv hat, werde ich seine Festnahme noch etwas hinausschieben.«

»Gewichtige Gründe dürften Mylady zu dieser Entscheidung bewogen haben.«

»In der Tat, Mister Parker.«

»Möglicherweise gehen Mylady von der Annahme aus, Mister Longdale könne die gestohlenen Papiere inzwischen an einen Komplizen weitergegeben haben?«

»Genauso ist es, Mister Parker«, nickte die Detektivin eifrig, obwohl sie an diese Möglichkeit nicht im entferntesten gedacht hatte. »Ich werde deshalb sein kriminelles Umfeld sondieren, ehe ich zuschlage.«

»Die Gelegenheit dazu dürfte sich kurzfristig ergeben, Mylady«, meldete Parker, während er seiner Herrin beim Einsteigen behilflich war. Er hatte die junge Dame, die am anderen Ende des Parkplatzes in einen japanischen Mittelklassewagen stieg, trotz der schwachen Beleuchtung sofort erkannt.

Sie trug jetzt ein enges, schwarzes Kleid unter dem modischen Wettermantel und ließ ihre langen, blonden Haare über die Schultern wehen. Es handelte sich zweifelsfrei um die neugierige Raumpflegerin Miß Burley.

»Unsinn, Mister Parker«, wehrte Mylady ab, als ihr Butler vorschlug, der jungen Dame unauffällig zu folgen.

»Immerhin gehört Miß Burley zu den wenigen Personen, die ungehindert Zutritt zum Computerraum haben, falls dieser Hinweis erlaubt ist«, wandte Parker ein.

»Dennoch kommt sie mir nicht verdächtig vor, Mister Parker«, entschied Lady Simpson. »Eine Putzfrau! Woher sollte ein dienstbarer Geist wissen, wie man mit einem Computer umgeht? Wenn die Frau solche Fähigkeiten hätte, würde sie eine angenehme und gut bezahlte Arbeit ausüben, anstatt zu putzen.«

»Zweifellos haben Mylady erwogen, daß Miß Burley möglicherweise als Spionin in das Unternehmen eingeschleust worden ist«, spielte Parker seiner Herrin einen Ball zu, den sie prompt auffing.

»Darauf wollte ich sie gerade aufmerksam machen, Mister Parker«, schwindelte die ältere Dame unbekümmert. »Diese Miß Curley ist eine gefährliche Agentin. Das war mir natürlich sofort klar, als ich sie beim Lauschen an der Tür ertappte.«

Die Entscheidung war gefallen. Die roten Lichter des japanischen Wagens verschwanden gerade hinter einer Häuserecke, als Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum anrollen ließ und die Verfolgung aufnahm.

*

Für den Butler stand noch nicht fest, daß Miß Burley eine Spionin war, wenn auch ihre Ausrede nicht sehr überzeugend geklungen hatte. Darüber hinaus machte sie nicht den Eindruck, als wäre sie es gewohnt, ihren Lebensunterhalt durch Putzen zu verdienen. Und sie war erst einen Monat bei der »Hitec«.

Die Fahrt endete nach einer Viertelstunde in einer Wohnstraße in der Nähe des Victoria-Parks. Die junge Frau verließ ihren Wagen, überquerte eilig die Fahrbahn und klingelte an der Tür eines kleinen, gepflegten Reihenhauses.

Parker hatte sein Fahrzeug in sicherer Entfernung zum Stehen gebracht. Er sah, wie die Tür geöffnet wurde und die junge Frau eintrat. Wer sie eingelassen hatte, konnte er nicht erkennen.

»Falls Mylady keine Einwände erheben, würde man das Haus, das Miß Burley soeben betreten hat, etwas näher in Augenschein nehmen«, bot er an.

»Aber lassen Sie größte Vorsicht walten, Mister Parker«, warnte die Detektivin. »Diese Frau ist gefährlich.«

»Man wird sich bemühen, Myladys wohlgemeinte Ratschläge uneingeschränkt zu beherzigen«, versprach Parker und verließ den Wagen.

Das glatte Pokergesicht des Butlers zeigte nicht die Spur einer Regung, als er das Messingschild an der weiß lackierten Haustür las: Sinclair Longdale.

Sekunden später verschwand Parker in dem Durchgang, der zu dem kleinen Gärtchen an der Rückseite des Hauses führte. Da die Fenster zur Straße dunkel waren, hielten Longdale und seine Besucherin sich vermutlich in einem der rückwärtigen Zimmer auf.

Licht fiel nur aus einem großen Fenster im Obergeschoß, das auf einen Balkon hinausging. Kurz entschlossen hakte der Butler den Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes ins schmiedeeiserne Geländer und hangelte sich nach oben.

Jetzt konnte er auch Stimmen hören. Die Glastür, die auf den Balkon führte, stand einen Spalt offen.

»Laß mich doch in Ruhe mit dem Kram, Jennifer«, murrte Longdale gerade. »Wenn ich Feierabend habe, will ich von dem verdammten Betrieb nichts mehr hören. Ich habe Champagner für uns eingekauft, Darling ...«

»Du kannst mir doch ruhig sagen, wo ihr diesen komischen Prototyp, oder wie das Ding heißt, aufbewahrt«, unterbrach Jennifer Burley. »Was ist denn schon dabei?«

»Natürlich ist nichts dabei«, entgegnete Longdale mürrisch. »Aber es nervt mich, wenn du mir ständig Löcher in den Bauch fragst. Was interessiert dich denn so daran?«

»Ich möchte nur möglichst genau wissen, was du den ganzen Tag machst«, war Jennifer Burley wieder zu hören. Die Gereiztheit, die eben noch in ihrer Stimme gelegen hatte, war verschwunden. »Das ist doch das gute Recht einer liebenden Frau, oder nicht?«

»Also gut. Damit du endlich Ruhe gibst: Das Ding liegt in dem großen Panzerschrank im Keller. Zufrieden?«

»Zufrieden«, bestätigte Jennifer Burley. Ein schmatzendes Geräusch und das Klingen von Gläsern folgte.

Parker wollte sich schon diskret zurückziehen, doch ein derart taktvolles Verhalten erwies sich als überflüssig.

»Um Himmels willen!« rief die junge Frau plötzlich. »Schon kurz nach neun.«

»Na und?« brummte Longdale unwillig.

»Fast hätte ich vergessen, daß ich meiner Freundin Betty versprochen habe, sie vom Flugplatz abzuholen«, behauptete Jennifer. »Ihre Maschine landet in zwanzig Minuten.«

»Aber wir wollten doch ...«, meldete der enttäuschte Longdale Protest an.

»Morgen, Schatz. Morgen«, vertröstete die Besucherin ihn.

Der Ingenieur verlegte sich aufs Bitten, aber die junge Frau beharrte auf ihrer Verabredung.

Gemessen ließ sich der Butler wieder auf den Boden gleiten und verließ Longdales Garten. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum schon fast erreicht, als Jennifer Burley aus der Haustür trat und ihren gegenüber geparkten Wagen ansteuerte.

*

Natürlich dachte Jennifer Burley nicht daran, eine Freundin von einem der Londoner Flughäfen abzuholen.

Während Parker ihrem Wagen über die Grove Road folgte, informierte er Mylady über das Gespräch, das er unmittelbar zuvor belauscht hatte.

»Ich habe Ihnen ja von Anfang an gesagt, daß dieses Frauenzimmer eine raffinierte Agentin ist, Mister Parker«, triumphierte die Detektivin. »Aber für mich ist sie natürlich nicht raffiniert genug.«

Inzwischen war Jennifer Burley in die Roman Road eingebogen, und der Butler war nicht im mindesten überrascht, als sie ihren Wagen vor dem Postamt abstellte. Während er sein hochbeiniges Monstrum am Straßenrand ausrollen ließ, schritt die junge Frau zu einer Telefonzelle.

»Was ist denn los, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha überrascht. »Warum fahren Sie nicht weiter?«

»Miß Burley hat soeben ihren Wagen verlassen, um ein Telefongespräch zu führen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, meldete der Butler nach hinten.

»Bestimmt will sie die Information weitergeben, die sie diesem Trottel Monday entlockt hat«, vermutete seine Herrin.

»Falls Mylady gestatten, würde auch meine Wenigkeit sich dieser Annahme anschließen«, pflichtete Parker ihr bei.

»Natürlich muß ich wissen, wen sie anruft«, fuhr die Detektivin fort.

»Darf man fragen, wie Mylady sich die gewünschte Information zu beschaffen gedenken?« ließ der Butler sich vernehmen. Da alle Sprechkabinen besetzt waren, hatte Jennifer Burley bisher warten müssen. Doch jetzt schien eine Zelle frei zu werden.

»Sie wissen doch, daß ich mich mit derartigen Details nicht belasten kann, Mister Parker«, gab die ältere Dame mürrisch zurück.

»Myladys Wünsche sind meiner bescheidenen Wenigkeit selbstverständlich Befehl«, versicherte Parker und verließ rasch den Wagen. Die Zelle, vor der Jennifer Burley gewartet hatte, war frei geworden.

Kaum hatte die junge Frau ihm den Rücken zugewandt und den Hörer abgenommen, stand der Butler auch schon vor der gläsernen Tür. Konzentriert folgte er Jennifers Zeigefinger beim Weg über die Wählscheibe.

Parker prägte sich die Ziffernfolge ein, während er eine Art Stethoskop aus der Tasche zog, wie Ärzte es zum Abhorchen ihrer Patienten verwenden. Sanft drückte er die Gümmimuschel mit dem hochempfindlichen Mikrofon gegen die Scheibe.

»Hallo Ed? Hier Jenny«, tönte es deutlich aus den Ohrhörern. »Ich konnte dich nicht früher anrufen, weil es den ganzen Tag im Betrieb von Polizisten und Detektiven nur so wimmelte. Ich mußte extra noch zu Longdale fahren, um ihm die Information aus der Nase zu ziehen.«

»Wo denkst du hin, Ed?« protestierte die junge Frau nach einer kurzen Pause in scherzhafter Entrüstung. »Bist du etwa eifersüchtig?«

Wieder entstand eine Pause, in der offenbar ihr „Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung redete.

»Er will mir zwar ständig an die Wäsche«, fuhr Jenny fort. »Aber da ist der Bursche bei mir an der falschen Adresse. Ich lasse ihn einfach zappeln. Da wird er noch am ehesten gesprächig.«

Unvermittelt brach die junge Frau in Kichern aus. »Sei nicht albern, Ed«, mahnte sie und wurde sofort wieder ernst. »Also zur Sache: Der Prototyp liegt in einem Panzerschrank im Keller unter der Halle, in der die Hochspannungs-Versuchsanlage steht.«

»Ja, du hast richtig gehört«, antwortete sie auf eine Rückfrage ihres Gesprächspartners. »In einem Panzerschrank. Ist das ein Problem?«

»Um so besser«, nickte sie nach kurzer Unterbrechung. »Dann sehen wir uns also morgen, Ed.«

Als Jennifer Burley den Hörer einhängte und aus der Telefonzelle trat, hatte Parker sein Stethoskop längst in die Tasche gleiten lassen. Er stand vor dem Schaufenster eines benachbarten Buchladens und drehte der jungen Frau den Rücken zu.

In der spiegelnden Scheibe konnte er verfolgen, wie die Agentin eines Unbekannten namens Ed, in ihren Wagen stieg und davonfuhr.

*

»Zusätzliche Erkenntnisse dürften auch durch eine weitere Beschattung der jungen Dame nicht zu gewinnen sein, Mylady«, meinte der Butler, nachdem er Agatha Simpson über Jennifer Burleys Telefonat ins Bild gesetzt hatte.

»Damit geben Sie exakt meine Einschätzung der Situation wieder, Mister Parker«, bestätigte die Lady. »Ich werde deshalb nach Hause zurückkehren, um dort noch einige wichtige Dinge zu erledigen.«

»Darf man um Aufklärung bitten, welche wichtigen Dinge Mylady zu meinen belieben?«

»Vor allem sind dringend noch ein paar Studien für meinen Roman fällig, Mister Parker«, gab die ältere Dame Auskunft. »Lange kann ich die Verleger, die sich um das Manuskript reißen, nicht mehr hinhalten.«

Daß Agatha Simpson seit Jahren an einem Roman arbeitete, der natürlich ein Krimi werden sollte, war dem Butler durchaus geläufig. Aber daß es schon Verleger gab, die dem Manuskript nachjagten, war ihm neu. Mylady sah ihren literarischen Erstling zwar schon an den Spitzen der internationalen Bestsellerlisten; über die ersten Seiten war sie aber trotz unzähliger Anläufe noch nicht hinausgekommen.

»Demnach planen Mylady, die Ermittlungen im Fall ›Hitec‹ bis morgen auszusetzen?« vergewisserte sich Parker.

»Warum nicht?« wunderte sich die Detektivin. »Mein taktisches Konzept sieht für den heutigen Abend keine Einsätze mehr vor, Mister Parker.«

»Mylady könnten den ehrenwerten Mister Pickett telefonisch um eine Gefälligkeit bitten, falls der Vorschlag genehm ist«, entgegnete der Butler. »Mit seiner Hilfe dürfte es am schnellsten möglich sein, die Identität des Unbekannten mit dem Vornamen Ed und der Telefonnummer 7 32 17 65 zu lüften.«

»Diesen Auftrag wollte ich Ihnen gerade erteilen, Mister Parker«, schwindelte Agatha Simpson. »Bei der Last meiner Verantwortung verlasse ich mich darauf, daß Sie mir Detailarbeiten abnehmen.«

»Selbstverständlich wird meine Wenigkeit unverzüglich das Notwendige veranlassen, Mylady«, versicherte Parker. »Darüber hinaus wäre aber auch an einen nächtlichen Ausflug zu denken, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Was für ein nächtlicher Ausflug, Mister Parker?«

»Zur Firma ›Hitec‹, Mylady.«

»Aber da war ich doch gerade, Mister Parker.«

»Sofern man Miß Burleys Äußerungen am Telefon richtig deutet, dürfte heute nacht mit dem Versuch zu rechnen sein, den Prototyp des Lasergerätes aus dem Panzerschrank der Firma ›Hitec‹ zu entwenden, Mylady«, gab der Butler zu bedenken.

»Unsinn, Mister Parker«, wischte die Detektivin den Einwand beiseite. »Mister Penstick hat mir ausdrücklich versichert, daß der Panzerschrank einbruchsicher ist. Außerdem sagt mir mein untrüglicher Instinkt, daß die Ganoven abwarten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Heute nacht wird nichts passieren.«

Inzwischen hatte man die stille Wohnstraße erreicht, an der Myladys Domizil lag: ein zweistöckiges Fachwerkgebäude von repräsentativem Zuschnitt, das auf den Grundmauern einer alten Abtei errichtet war. Das Areal, das sich die reiche Dame im Stadtviertel Shepherd’s Market zusammengekauft hatte, bildete eine Oase der Ruhe mitten im hektischen Getriebe der Millionenstadt.

Agatha Simpson begab sich unverzüglich in ihre privaten Gemächer im Obergeschoß und ließ sich von ihrem Butler mit den nötigen Stärkungsmitteln in flüssiger Form versorgen. Als Parker wenig später von unten den Fernseher hörte, wurde ihm klar, was seine Herrin mit »Studien« gemeint hatte. Laut Programmzeitschrift mußte es ein Krimi sein, der gerade über die Mattscheibe flimmerte.

Horace Pickett, den der Butler telefonisch in den Stand der Ermittlungen einweihte, war ein Mann von etwa sechzig Jahren. Seine gepflegte Erscheinung erinnerte an einen pensionierten Offizier. In Wahrheit hatte Pickett einst als »König der Londoner Taschendiebe« seine flinken Finger nach den prallen Brieftaschen wohlbetuchter Mitbürger ausgestreckt.

Seit Parker ihm in unverschuldeter Notlage das Leben gerettet hatte, stand Pickett auf der richtigen Seite des Gesetzes. Er verfügte aber nach wie vor über intime Kenntnisse der Londoner Unterwelt, die sich schon oft als hilfreich erwiesen hatten.

»Gleich morgen früh werde ich einen guten Freund anrufen, der bei der Post arbeitet, Mister Parker«, versprach Pickett. »Er kann mit Sicherheit herausfinden, wem die Nummer 7 32 17 65 gehört. Das ist besser, als wenn Sie bei diesem Mister Ed anrufen. Er würde sich ohnehin nicht mit Namen und Anschrift melden.«

»Ihre freundliche Hilfsbereitschaft verdient aufrichtigen Dank, Mister Pickett«, versicherte Parker, ehe er das Gespräch beendete.

Die Fernsehtöne aus dem Obergeschoß wurden inzwischen von röhrenden Schnarchgeräuschen überlagert. Rasch steckte Parker noch einige Kleinigkeiten ein und verließ das Haus. Mylady würde ihn so schnell nicht vermissen.

*

Bürotrakt und Werkhallen der Firma »Hitec« lagen in tiefer Dunkelheit, als Parker sein hochbeiniges Monstrum am geschlossenen Tor vorbeirollen ließ. Abgesehen von einigen trüben Lampen auf dem Hof, brannte nur in der Pförtnerloge Licht.

Hinter der nächsten Straßenecke stellte der Butler sein Fahrzeug ab und schritt über ein unbebautes Grundstück auf die Backsteinmauer des Hitec-Areals zu. Weit und breit war kein Mensch zu entdecken, aber die düstere Ecke, die er sich zum Übersteigen aussuchte, hatte offenbar schon andere Besucher angezogen. Als Parker am Fuß der Mauer stand, stellte er fest, daß an dieser Stelle der Stacheldraht durchschnitten und zur Seite gebogen war.

Ob »Mister Ed« seine Arbeit schon aufgenommen hatte?

Einen Moment blieb der Butler stehen und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Kein Geräusch drang an sein Ohr. Auch die geheimnisvolle innere Stimme, die ihn vor tödlichen Gefahren zu warnen pflegte, hüllte sich in Schweigen.

Würdevoll hakte Parker den gebogenen Bambusgriff seines schwarzen Regendachs an der Mauerkrone fest und hangelte sich nach oben.

Der Platz war gut gewählt. Das flache Dach des eingeschossigen Schuppens reichte so dicht an die Mauer heran, daß der Butler ohne Mühe mit einem Schritt hinüberwechseln konnte. Das Gebäude grenzte unmittelbar an eine große Halle.

Nach Parkers Erinnerung mußte dies die Halle sein, in der die Versuchsabteilung für Hochspannungstechnik untergebracht war. Im Keller darunter befand sich der Panzerschrank mit dem Prototyp des tragbaren Lasergerätes.

Vom Dach des Schuppens aus waren die hochgelegenen Fenster der Halle ohne Schwierigkeiten zu erreichen. Diesen Umstand hatten sich offenbar auch Parkers unsichtbare Vorgänger zunutze gemacht. Eins der Fenster war nur angelehnt. Kratzspuren am Rahmen ließen darauf schließen, daß die Einbrecher sich den Zugang gewaltsam geöffnet hatten.

In der weitläufigen Halle war es dunkel und still. Die haushohen Isolatoren der Versuchsanlage waren nur als gespenstische Silhouetten zu erkennen.

Lautlos wie der Schatten eines Nachtvogels ließ der Butler sich durchs Fenster nach innen gleiten und stand im nächsten Moment auf der Galerie, die auf halber Wandhöhe rund um die Halle führte. Erst als er die Treppe an der Stirnwand hinabstieg, waren undeutliche Geräusche zu vernehmen, die aus dem Keller kamen.

Am Schaltpult für die Versuchsanlage, die Firmenchef Roger Clenwick ihm während der Betriebsbesichtigung am Nachmittag erklärt hatte, hielt Parker inne. Leise Stimmen und das Scharren von Schritten drangen aus dem Keller nach oben.

Von jeder Seite der Halle aus führte eine Treppe in die Tiefe. Der Butler entschied sich für die linke und spähte vorsichtig vom oberen Absatz hinab.

Der Mann, der auf den unteren Stufen saß und ein kurzläufiges Schnellfeuergewehr auf den Knien hielt, schien seine Aufgabe als Wachposten nicht sonderlich ernst zu nehmen. Er sog an einer Zigarette und kehrte Parker arglos den Rücken zu.

Als sein Hinterkopf Sekunden später mit der bleigefüllten Bambuskrücke des schwarzen Universal-Regenschirms Bekanntschaft machte, fiel dem Mann zuerst der Glimmstengel aus dem Mund. Anschließend landete seine Waffe mit Gepolter auf dem Boden. Er selbst stieß ein gurgelndes Geräusch aus, ehe er hintenüberkippte und nach einer bequemen Lage suchte, was auf den harten Betonstufen nicht gerade einfach war.

»Was war das?« war eine gedämpfte, nervös klingende Stimme aus einem der angrenzenden Räume zu hören. Hastige Schritte folgten. Gleich darauf erfolgte der Ruf: »Weg hier!«

Parker rechnete damit, daß die flüchtenden Panzerschrankknacker die gegenüberliegende Treppe nehmen würden. Dann kamen sie zwangsläufig an den Isolatoren der Hochspannungsanlage vorbei, wenn sie die Galerie und das offene Fenster erreichen wollten.

Gelassen machte der Butler auf der Treppe kehrt und stand gleich darauf vor dem eindrucksvollen Schaltpult. Mit sicherem Griff legte er den Hebel um, der den gigantischen Transformator in der Mitte der Halle unter Strom setzte. Der Koloß antwortete mit einem tiefen Brummen und gab dadurch zu erkennen, daß er dabei war, die notwendige Hochspannung für einen künstlichen Blitz aufzubauen.

Die beiden Männer, die in diesem Moment die gegenüberliegende Treppe heraufstürmten, blieben wie angewurzelt stehen. Das bedrohlich klingende Brummen schien ihnen nicht geheuer. Ratlos blickten sie in die Runde. Eine Alternative zu dem Weg an der Hochspannungsanlage vorbei gab es nicht.

Vorsichtig, als wäre der Boden mit rohen Eiern gepflastert, setzten sich die Tresorknacker wieder in Bewegung. Sie hatten die gefährliche Stelle fast erreicht, als ihr Wächter in panischer Hast hinterherspurtete. Offenbar hatte ihn das vernehmliche Brummen des Transformators aus dem leichten Schlummer gerissen, den der Butler ihm verordnet hatte.

»Spannung erreicht«, meldete ein blaues Kontrollämpchen. Mit unbewegter Miene drückte Parker auf den roten Knopf mit der Aufschrift »Entladung«.

Die drei Männer sprangen entsetzt zur Seite, als wenige Schritte neben ihnen ein gleißender Blitz aufzuckte. Für Sekundenbruchteile war die Halle in grelles Licht getaucht. Der scharfe Knall, der die Entladung begleitete, ließ die Fensterscheiben klirren. Im nächsten Augenblick herrschten wieder Stille und Dunkelheit.

Starr vor Schreck und geblendet von der Helligkeit des Blitzes, wagten die Männer nicht, sich von der Stelle zu rühren. Parker, der seine Augen rechtzeitig mit der behandschuhten Linken bedeckt hatte, hielt schon die Gabelschleuder in der Hand und legte eine hartgebrannte Tonmurmel in die Lederschlaufe.

Dreimal spannte er die starken Gummistränge. Dreimal glitten kleine, harte Perlen durch die Dunkelheit, und suchten sich unbeirrbar ihr Ziel. Die Männer antworteten der Reihe nach mit krächzenden Lauten und warfen die Arme in die Luft, ehe sie in den Knien einknickten und sich auf den harten Boden betteten.

Wie der Butler bei einem kurzen Inspektionsgang in den Keller feststellte, war der wuchtige Panzerschrank noch unbeschädigt. Offenbar hatte er die Tresorknacker überrascht, als sie gerade mit ihrer Arbeit beginnen wollten.

Kurz entschlossen trug er die Drei nacheinander in den Keller und kettete sie mit Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl an den soliden Türgriffen des Panzerschranks fest. Parker war noch damit beschäftigt, den Schläfern möglichst bequeme Sitzpositionen zu verschaffen, als ein Geräusch auf der Treppe ihn aufhorchen ließ.

»Hände hoch!« verlangte eine barsche Stimme.

Im Zeitlupentempo kam der Butler der Aufforderung nach. Den grobschlächtigen Glatzkopf, der am Fuß der Treppe stand und eine Pistole auf ihn gerichtet hielt, hatte er schon mal kurz gesehen. Es war der Pförtner, der seine verglaste Kabine am Tor verlassen hatte.

»Ach – Sie sind es, Mister Parker«, sagte der Mann und ließ die Waffe sinken.

»Haben Sie die Kerle überwältigt?« fragte er nach einem langen, prüfenden Blick über die Gesichter der schlummernden Tresorknacker.

»Die Herren drangen offenbar in der Absicht hier ein, den Panzerschrank aufzubrechen«, gab der Butler Auskunft. »Meine bescheidene Wenigkeit sah sich genötigt, ihnen diese strafbare Absicht auszureden. Darf man übrigens erfahren, woher Ihnen der Name meiner Wenigkeit bekannt ist, Mister...?«

»Chickham«, stellte der Pförtner sich vor. »Burt Chickham. Sie fielen mir auf, als Sie mit Lady Simpson den Betrieb verließen. Als Mister Clenwick kurz darauf an meiner Loge vorbeikam, sprach ich ihn an und fragte nach Ihnen. Der Chef sagte mir, daß Sie Detektive sind und hinter den gestohlenen Konstruktionspapieren herjagen.«

Am liebsten hätte Parker das Erwachen der träumenden Tresorknacker abgewartet, um ihnen diverse Fragen zu stellen. Doch in Gegenwart des Pförtners schien ihm das aus besonderem Grund nicht ratsam.

Das Wichtigste, den Namen des Auftraggebers, der vermutlich im Besitz der gestohlenen Papiere war, auf den Vornamen Ed hörte und unter der Nummer 7 32 17 65 zu erreichen war, würde er ohnehin am Morgen erfahren. Auf den ehrenwerten Mister Pickett war Verlaß.

»Möglicherweise sollte man die Polizei bitten, sich der Herren anzunehmen, Mister Chickham«, schlug der Butler deshalb vor.

»Ach ja, die Polizei«, rief der kahlköpfige Pförtner. »Das hätte ich bald vergessen. Ich bin noch völlig verwirrt. Erst der Blitz und der Knall, durch die ich aufmerksam wurde. Dann die Einbrecher ...«

Eilig ging Chickham auf dem Weg zur Pförtnerloge voran und leuchtete mit seiner Taschenlampe. Parker folgte würdevoll in gemessener Haltung.

»Was die Kerle wohl in dem Panzerschrank vermutet haben?« fragte Chickham kurz vor dem Ziel Und gab sich gleich selbst die Antwort: »Geld natürlich, was sonst?«

»Natürlich, Mister Chickham«, bestätigte der Butler. Wußte der Mann wirklich nicht, was in dem stählernen Koloß gelagert wurde?

»Wollen Sie bei mir warten, bis die Polizei kommt, Mister Parker?« bot der Pförtner an. »In meiner Bude ist es wenigstens warm.«

»Man dankt für das freundliche Angebot, Mister Chickham«, entgegnete Parker. »Aber meine Wenigkeit würde es vorziehen, noch ein paar Stunden zu Hause zu arbeiten. Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, die Herren von der Polizei über alles Wesentliche zu unterrichten.«

»Mach’ ich, Mister Parker«, versprach Chickham strahlend und zog sich in seine Loge zurück. Anscheinend war er doch erleichtert, den knappen Platz nicht mit dem Butler teilen zu müssen, zumal es nur einen einzigen Stuhl gab.

Hätte Parker sehen können, welche Nummer Burt Chickham kurz darauf wählte, hätte er hinter dem sichtbaren Aufatmen des Mannes noch andere Gründe vermutet.

*

»Es hat geläutet, Mister Parker.« Interessiert blickte Agatha Simpson von ihrem Teller auf. Gerade hatte der Butler ihr ein Frühstück nach Art des Hauses serviert: Zarter norwegischer Räucherlachs mit sahniger Meerrettich-Dillcreme. Diverse Wildspezialitäten und Geflügelgerichte sowie eine reichhaltige Käseauswahl warteten darauf, die Gaumenfreuden der älteren Dame zu erfüllen.

»Wünschen Mylady, daß meine Wenigkeit öffnet?« erkundigte sich Parker vorsichtig. Er wußte, daß seine Herrin sich bei den Mahlzeiten nicht gern stören ließ.

»Das wird doch nicht etwa Mister McWarden sein?« sagte Agatha Simpson mit vollem Mund und beschleunigte ihr Verzehrtempo. »In seiner Gegenwart zu frühstücken ist aufregend, Mister Parker. Mit seinen Blicken zieht er einem den letzten Happen vom Teller.«

»Meine Wenigkeit würde eher der Annahme zuneigen, daß es sich um den ehrenwerten Mister Pickett handelt«, teilte der Butler mit.

»Hoffentlich täuschen Sie sich nicht, Mister Parker.«

Die Hausherrin ließ sich rasch noch glasierte Putenbrust vorlegen, ehe sie ihren Butler in Richtung Haustür entließ.

»Welche Freude, Sie zu sehen, mein lieber Pickett«, rief Agatha Simpson dann erleichtert, als Parker den Besucher in den Salon geleitete. Horace Pickett besaß eine Eigenschaft, die die ältere Dame an Mitmenschen schätzte: Bescheidenheit. Man konnte ihm jederzeit etwas anbieten, ohne Angst zu haben, daß er es tatsächlich nahm. Das galt sogar für Kognak, Sherry und verwandte Stärkungsmittel.

»Ich hoffe, Sie haben Neuigkeiten mitgebracht?« erkundigte sich Mylady, als der ehemalige Eigentumsumverteiler ihr gegenüber Platz genommen hatte.

»Es war nicht sehr schwer, Mylady«, antwortete Pickett. »Der Mann, der in London die Telefonnummer 7 32 17 65 hat, heißt Milstone. Edward Milstone.«

»Darf man vermuten, daß Sie Näheres über Mister Milstone herausfinden konnten, Mister Pickett?« schaltete Parker sich ein.

»Ed Milstone ist in der Szene kein Unbekannter«, wußte Pickett zu berichten. »Es gilt als offenes Geheimnis, daß er seine Finger im Waffenschmuggel hat. Die Polizei ist ihm allerdings bisher nicht auf die Schliche gekommen.«

»Das wundert mich nicht im geringsten, mein lieber Pickett«, tat die Detektivin in knapper Form ihre Meinung über Ihrer Majestät Ordnungshüter kund. »Wenn ich nur an Mister McWarden denke...«

»Offiziell betreibt Milstone eine Möbelspedition in Wapping«, fuhr Myladys Besucher fort. »Aber mein Informant wußte aus eigener Anschauung, daß in Milstones Container oft ganz andere Dinge befördert werden.«

»Mit Sicherheit Waffen«, schloß Agatha Simpson scharfsinnig.

»Genauso ist es, Mylady«, bestätigte Pickett höflich.

»Dann wird es höchste Zeit, daß ich dem dreisten Lümmel das Handwerk lege«, entschied die Hausherrin. »Sonst kommt er doch noch auf die Idee, auch dieses Photo... Wie hieß das Photoding noch, Mister Parker?«

»Man kann nur vermuten, daß Mylady den Prototyp zu meinen geruhen.«

»Richtig! Phototyp!« nickte die Hausherrin. »Sagte ich das nicht? Jedenfalls muß ich verhindern, daß der Mann auch noch den Phototyp stiehlt, ehe ich ihm die Papiere entrissen habe.«

»Diese Gefahr dürfte im Moment als gebannt gelten, Mylady«, warf der Butler ein. In knappen Sätzen informierte er seine Herrin und Horace Pickett über die Festnahme der Tresorknacker, die er am Tatort für die Polizei zurückgelassen hatte.

»Mit einem weiteren Einbruchsversuch dürfte wohl kaum zu rechnen sein«, meinte Pickett.

»Dieser Einschätzung würde sich auch meine Wenigkeit ohne Vorbehalte anschließen, Mister Pickett«, pflichtete Parker dem Besucher bei. Doch diesmal irrte der Butler.

*

Horace Pickett war gerade gegangen, als in der Diele das Telefon klingelte. Gemessenen Schrittes begab sich Parker zum Apparat und nahm den Hörer ab.

»Hier bei Lady Simpson ...«

»Sind Sie es, Mister Parker?« war Roger Clenwicks aufgeregte Stimme zu hören. »Wissen Sie schon, was passiert ist?«

»Man darf wohl annehmen, daß Sie auf die Festnahme der Einbrecher anzuspielen geruhen, Sir«, tippte der Butler.

»Das ist nicht alles«, entgegnete Clenwick, der einen entnervten Eindruck machte und den Tränen nahe schien. »Der Prototyp ist weg.«

»Meine Wenigkeit kann nicht umhin, ein gewisses Erstaunen kundzutun, Sir«, räumte Parker ein. »Als man die Herren Einbrecher heute nacht mit energischem Zureden dazu brachte, von ihrem sträflichen Tun abzulassen, war der Panzerschrank verschlossen und unbeschädigt.«

»Das hat auch unser Nachtpförtner Burt Chickham bestätigt, als man ihn heute morgen fand.«

»Darf man um Auskunft darüber bitten, Sir, wie Sie das Wort ›fand‹ verstanden wissen möchten?«

»Ein Arbeiter der Frühschicht, der zufällig durch den Keller kam, fand nicht nur die angeketteten Einbrecher, sondern auch den bedauernswerten Chickham mit einer Platzwunde am Kopf. Er war gefesselt und hatte einen Knebel im Mund. Inzwischen liegt er im Krankenhaus.«

»Muß man Ihre Schilderung so verstehen, Sir, daß die Polizei beim Beginn der Frühschicht noch nicht auf dem Firmengelände eingetroffen war?«

»Die Polizei wurde erst kurz nach sechs alarmiert, Mister Parker. Der gute Chickham behauptet zwar, er hätte die Polizei angerufen, bevor er gegen zwei Uhr noch mal in den Keller ging, um nach den angeketteten Einbrechern zu sehen, aber irgendwie scheint der Anruf nicht an der richtigen Stelle gelandet zu sein.«

»Diese Vermutung möchte auch meine Wenigkeit ausdrücklich teilen, falls Sie gestatten, Sir.«

»Erst die Polizei entdeckte das große Loch in der Rückwand des Tresors«, fuhr der Firmenchef fort. »Nach der Bande, die Sie dingfest gemacht haben, Mister Parker, müssen also noch weitere Einbrecher gekommen sein.«

»Andere Schlüsse dürften sich aus der geschilderten Situation kaum ziehen lassen, Sir.«

»Sie haben den armen Chickham hinterrücks niedergeschlagen, vom Nebenhaus ein Loch durch die Mauer gestemmt und die Rückwand des Tresors aufgeschnitten«, setzte Clenwick seine Schilderung fort. »Was ich nur nicht verstehe: warum sie einfach ihre Komplizen am Tatort zurückließen, als sie mit dem Prototyp das Weite suchten.«

»Darf man fragen, woraus Sie schließen, daß es sich um Komplizen handelte, Sir?«

»Was denn sonst?« fragte Clenwick verdutzt.

»Man sollte die Möglichkeit nicht grundsätzlich aus schließen, daß eine konkurrierende Bande existiert, die ebenfalls an dem in Ihrem Haus entwickelten Lasergerät interessiert ist, Sir«, bemerkte der Butler und brachte den gestreßten Industrieboß damit noch mehr aus der Fassung.«

»Auch das noch«, rief Clenwick. »Wie soll das bloß enden?«

»Mit der Festnahme der Täter und der Rückerstattung des Diebesguts, falls die Anmerkung erlaubt ist, Sir.«

»Sie haben gut reden«, entgegnete Clenwick bitter. »Sie stecken nicht in meiner Haut.«

»Dieser Feststellung möchte man keinesfalls widersprechen, Sir«, gab der Butler zurück.

Clenwick überhörte den Einwurf. »Glauben Sie denn, daß Sie mit Ihren Ermittlungen überhaupt Erfolg haben?« wollte er zum Schluß des Gesprächs wissen. »Die Kriminalbeamten am Tatort schienen mir jedenfalls etwas ratlos. Sie sprachen von professioneller Arbeit und fehlenden Spuren.«

»Mylady ist absolut zuversichtlich«, teilte Parker mit, bevor er den Hörer auflegte. »Ein Besuch bei einem Tatverdächtigen steht unmittelbar bevor.«

*

»Ich habe natürlich von Anfang an geahnt, daß es sich um zwei Banden handelt, die hinter diesem Phototyp herjagen, Mister Parker«, behauptete Mylady, als der Butler sie über Clenwicks Anruf informiert hatte. »Ich hätte Sie darauf hinweisen sollen, bevor ich Sie gestern abend in die Fabrik schickte.«

»Darf man um Aufklärung darüber bitten; worauf Mylady Ihre Annahme stützen?«

»Nun – mein detektivischer Instinkt ist unbestechlich, Mister Parker«, wich die ältere Dame aus.

»Nie würde meine Wenigkeit dieser Feststellung widersprechen, Mylady«, versicherte der Butler. »Leider vermag man aber bisher keine Beweise vorzulegen, die eine solche Theorie erhärten könnten.«

»Sie kleben immer an Tatsachen und Beweisen, Mister Parker«, tadelte die Detektivin. »So etwas ist bei der Arbeit nur hinderlich. Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir.«

»Selbstverständlich ist man ständig bemüht, Myladys leuchtendem Beispiel nachzueifern«, warf Parker ein.

»Wenn Sie unbedingt Beweise haben wollen, Mister Parker«, bot Mylady an, nachdem sie überraschend erfolgreich in ihrem Gedächtnis gekramt hatte. »Warum haben die einen Ganoven die anderen nicht befreit, sondern der Polizei überlassen? Ich will es Ihnen verraten: Weil es keine Komplizen waren, sondern Konkurrenten.«

»Zweifellos dürften Mylady sich bewußt sein, daß man noch auf eine weitere Erklärung verfallen könnte«, gab der Butler zu bedenken.

»Natürlich weiß ich, daß es noch eine andere Erklärung gibt, Mister Parker«, reagierte die Detektivin unbekümmert. »Welche?«

»Mylady dürften bedacht haben, daß man die Herren Einbrecher mit Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl zu fesseln beliebte, die jedem handelsüblichen Werkzeug trotzen«, gab Parker die gewünschte Auskunft. »Es könnte also einen Befreiungsversuch gegeben haben, der aber von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, sofern die Anmerkung erlaubt ist.«

»Es gibt sogar noch eine dritte Erklärung, Mister Parker«, wußte die Detektivin plötzlich. »Als die dreisten Lümmel gerade den Panzerschrank aufgebrochen und den Phototyp herausgeholt hatten, wurden sie gestört. Deshalb hatten sie keine Zeit mehr, ihre Komplizen zu befreien.«

»Allerdings dürfte diese Annahme einen etwas geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen«, wandte der Butler ein. »Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sollte man davon ausgehen, daß ein Mitglied der Unterwelt seinen Komplizen befreit, ehe er sich der Arbeit zuwendet.«

Parker betrieb das kleine Geplänkel mit Agatha Simpson aus einer Art sportlichem Ehrgeiz. In Wirklichkeit war er davon überzeugt, daß zwei skrupellose Gangsterbanden ein gnadenloses Wettrennen begonnen hatten. Als Preis winkte dem Sieger eine Waffe, mit der man nicht nur lautlos töten, sondern sogar Flugzeuge vom Himmel holen konnte.

Agatha Simpson war dagegen so verwirrt, daß sie überhaupt nicht mehr wußte, was sie glauben sollte.

»Welches ist der nächste Schritt, den mein taktisches Einsatzkonzept vorsieht, Mister Parker?« erkundigte sie sich vorsichtshalber.

»Falls man sich recht erinnert, planten Mylady einen Besuch bei Mister Milstone«, versuchte der Butler seiner Herrin weiterzuhelfen.

»Und was will ich da?«

»Mister Milstone ist der Waffenschmuggler, den Mylady dringend verdächtigen, Anführer der einen Bande zu sein.«

»Ich weiß sehr gut, wer Mister Killbone ist, Mister Parker«, gab Lady Simpson zurück. »Worauf gründe ich meinen Verdacht gegen Mister Killbone? Abgesehen davon, daß er als Waffenschmuggler von vornherein verdächtig ist?«

»Mylady fanden heraus, daß die Raumpflegerin Jennifer Burley Mister Milstone wenige Stunden vor dem Einbruch telefonisch darüber informierte, wo der gesuchte Prototyp zu finden War«, half der Butler seiner Herrin auf die Sprünge.

»Die Agentin!« fiel der älteren Dame Wieder ein. »Ich wußte gleich, daß sie mit dem Menschen unter einer Decke steckt. Natürlich hat der Kerl die Papiere und den Phototyp. Ich werde unverzüglich einen Überraschungsangriff starten, Mister Parker.«

»Myladys Fahrzeug befindet sich in einsatzfähigem Zustand, falls der Hinweis genehm ist.«

»Mit eisernem Griff Werde ich ihm den Phototyp entreißen, Mister Parker«, schwor die resolute Dame und schwang sich temperamentvoll aus dem Sessel.

»Fraglos haben Mylady die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß sich der Prototyp gar nicht in Mister Milstones Besitz befindet«, bremste Parker ihren überschäumenden Tatendrang.

»Falls er das Ding schon weiterverkauft hat, werde ich ihn zwingen den. Namen des Käufers preiszugeben, Mister Parker.«

»Um den Prototyp verkaufen zu können, müßte Mister Milestone ihn zunächst in seinen Besitz gebracht haben, Mylady.«

»Aber das hat er doch, Mister Parker. Sonst würde ich gar nicht erst hinfahren.«

»Bisher steht nicht fest, ob die erfolgreichen Tresorknacker von Mister Milstone entsandt wurden oder von einem unbekannten Konkurrenten«, gab Parker zu bedenken, während er seine Herrin zum Wagen geleitete.

*

Der rußgeschwärzte Backsteinbau, in dem Möbel- und Waffenspediteur Edward Milstone residierte, wirkte fast genauso heruntergekommen wie die langsam Verfallenden Lagerschuppen ringsum.

Mit einer angedeuteten Verbeugung öffnete Parker seiner Herrin die Tür mit der Aufschrift »Büro«.

Zwei athletisch gebaute junge Männer, die in das Studium von Pornozeitschriften vertieft waren und ihre Schreibtischplatten als Fußstützen benutzten, blickten unwillig auf.

»Was wollen Sie?« knurrte einer Von ihnen gereizt. »Hier ist Mittagspause.«

»Mylady Wünscht Mister Edward Milestone zu sprechen«, teilte der Butler mit und lüftete seinen schwarzen Bowler ein wenig.

»Der Chef hat auch Mittagspause«, lautete die mürrische Antwort.

»Eine Lady Simpson ist es nicht gewohnt, daß man sie warten läßt«, stellte die Detektivin unmißverständlich klar und steuerte forschen Schrittes die Tür mit den Namensschild »E. Milstone« an.

Die Schnelligkeit, mit der die beiden Burschen sich nun von ihrer Lektüre trennten, war beachtlich. Einer von ihnen hätte es fast geschafft, sich der energischen Dame in den Weg zu stellen. Mylady holte jedoch unvermittelt zu einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen aus und fegte den Mann wie ein lästiges Insekt beiseite.

Der zweite ließ sich durch den Mißerfolg Seines Kollegen keineswegs entmutigen, sondern stürzte der Detektivin mit wütendem Aufschrei nach. Parker, den dieses ungastliche Verhalten keineswegs überraschte, sorgte jedoch dafür, daß der Angreifer seine Absichten spontan änderte.

Blitzschnell und dennoch mit Würde ließ der Butler sein altväterlich gebundenes Regendach vom angewinkelten Unterarm senkrecht in die Höhe steigen. Gleich darauf hatte er die bleigefütterte Spitze in der schwarz behandschuhten Rechten und ließ den gebogenen Bambusgriff dicht über dem Erdboden kreisen.

Der Mann jaulte wie ein getretener Hund und suchte vergeblich nach einem Halt, als sich die Krücke unwiderstehlich um seine Fußgelenke ringelte und ihm die Beine unter dem Leib wegriß. Klatschend absolvierte er eine nahezu formvollendete Bauchlandung und machte es sich auf dem Fußboden bequem, ohne sein Ziel erreicht zu haben.

Der bedauernswerte Kollege, auf dessen Wange sich Myladys Finger inzwischen als rote Striemen abzeichneten, hing wie ein nasser Sack über einem der Schreibtische und zeigte ebenfalls nur geringe Neigung, aktiv am Leben teilzunehmen.

Die etwas geräuschvolle Art, mit der sich die beiden Leibwächter aus dem Geschehen zurückgezogen hatten, weckte jedoch die Neugier eines dritten Mannes«

»Verdammt! Was ist denn wieder los in diesem Saustall«, brüllte er und ließ ein zornrotes Gesicht in der halb geöffneten Tür sehen.

»Ihre Herren Sekretäre sahen sich wegen einer leichten Unpäßlichkeit leider gezwungen, eine Ruhepause einzulegen«, gab Parker seelenruhig Auskunft. »Darf man die Vermutung äußern, Mister Edward Milstone persönlich vor sich zu haben?«

»Und wer sind Sie?« fragte Milstone mit finsterem Blick auf seine ausgeschalteten Leibwächter.

»Parker«, stellte sich der Butler mit einer höflichen Verbeugung vor. »Josuah Parker, Butler in Diensten Lady Simpsons.«

Augenblicklich verschwand die Röte aus Milstones Gesicht und machte einer kühlen Blässe Platz. Die Augen unter den buschigen Brauen verengten sich zu Schlitzen.

»Hab’ von Ihnen gehört, Parker«, sagte Milstone, sichtlich bemüht, seiner Stimme einen freundlich-unbefangenen Ton zu geben. »Man erzählt sich allerhand über ihre Tricks. Wollen Sie etwa zu mir?«

»Mylady hat sich in der Absicht herbemüht, Ihnen einige Fragen zu stellen, Mister Milstone.«

»Bin ja gespannt, was das für Fragen sind«, gab der Mann mit breitem Grinsen zurück.

»Ausgesprochen unangenehme Fragen«, funkte Agatha Simpson dazwischen.

»Na, wenn schon – ich habe nichts zu verbergen«, entgegnete der Waffenschmuggler gelassen und mit geradezu entwaffnender Freundlichkeit.

»Das wird sich zeigen, junger Mann«, kündigte Agatha Simpson in strengem Ton an, doch damit entlockte sie dem schätzungsweise fünfzigjährigen Mann nur ein müdes Lächeln.

»Den kleinen Zwischenfall vor meiner Tür werden Sie hoffentlich nicht tragisch nehmen«, entschuldigte sich Milstone für das unhöfliche Verhalten seiner Leibwächter. »Die Jungs sind manchmal etwas ruppig. Aber Sie haben ja einen hervorragenden Beschützer, Mylady.«

»Ich? Da haben Sie mich noch nicht richtig kennengelernt. Ständig halte ich meine schützende Hand über Mister Parker.«

»Die Frauen Von heute sind eben nicht mehr die wehrlosen Wesen von einst«, räumte Milstone ein, während er die Besucher in sein überraschend komfortabel eingerichtetes Büro geleitete und ihnen Plätze in luxuriösen Ledersesseln anbot. Er selbst zog sich hinter einen hochglanzpolierten Schreibtisch aus edlem Rio-Palisander zurück.

»Was kann ich also für Sie tun, Mylady?«

*

Die Detektivin tupfte sich mit einem karierten Taschentuch unsichtbare Schweißperlen von der Stirn. »Hätten Sie vielleicht einen Schluck zu trinken für mich, Mister Killbone?«

»Ich werde Ihnen ein Glas Wasser holen, Mylady«, bot Milstone an, doch Agatha Simpson hob abwehrend die Hände und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

»Nur kein Wasser«, stöhnte sie. »Das macht alles noch schlimmer.«

»Verstehe«, nickte Milstone und holte eine Kognakflasche aus dem Wandschrank, deren Etikett die ältere Dame regelrecht entzückte.

Staunend beobachtete der Gastgeber, wie sie das Glas leerte.

»Das Londoner Klima ist einfach Gift für meinen sensiblen Kreislauf«, seufzte Lady Agatha und ließ sich einen zweiten Kognak geben.

»Wo haben Sie den Phototyp versteckt, Mister Killbone?« fragte die Detektivin unvermittelt.

»Was für ein Ding?« erkundigte sich ihr Gegenüber verdutzt.

»Mylady geruhen den Prototyp eines tragbaren Lasergerätes zu meinen, der in der vergangenen Nacht aus einem Panzerschrank der Firma ›Hitec‹ entwendet wurde«, erläuterte Parker.

»Interessant! Ein tragbares Lasergerät?« spielte Milston den Ahnungslosen. »Ich wußte gar nicht, daß es so etwas gibt.«

»Das Gerät wurde von dem Londoner Unternehmen für technische Zwecke entwickelt, läßt sich aber auch als lautlose Mordwaffe einsetzen, falls der Hinweis erlaubt ist«, wurde der Butler deutlicher.

»Wirklich interessant, Mister Parker«, bestätigte Milstone. »Aber warum fragen Sie ausgerechnet mich danach?«

»Weil meine Ermittlungen eindeutig ergeben, daß Sie den Phototyp gestohlen haben, Mister Killbone«, schaltete Mylady sich wieder ein.

»Ihr Ruf als Detektivin mag über jeden Zweifel erhaben sein, Mylady«, entgegnete Milstone freundlich. »Aber in diesem Fall sind Sie mit Sicherheit auf der falschen Fährte.«

»Eine Lady Simpson befindet sich grundsätzlich nie auf einer falschen Fährte, junger Mann«, belehrte ihn die ältere Dame. »Ihr Leugnen wird Ihnen nicht helfen. Damit zwingen Sie mich nur, den Ton meines Verhörs zu verschärfen.«

»Nicht so stürmisch, Mylady«, bremste Milstone. Er wußte anscheinend nicht, ob er sich ärgern oder amüsieren sollte. »Ich höre von dem Gerät und dem Diebstahl zum erstenmal. Abgesehen davon bin ich ein seriöser Speditionskaufmann, der sich von dunklen Geschäften fernhält. Wie kommen Sie also gerade auf mich?«

»Weil...«, begann die ältere Dame und zog ihre Stirn in nachdenkliche Falten. »Mister Parker wird Ihnen die Ergebnisse meiner Ermittlungen vortragen«, verfiel sie dann auf den rettenden Ausweg.

»Der dringende Tatverdacht, mit dem man Sie bedauerlicherweise konfrontieren muß, Mister Milstone, stützt sich im wesentlichen auf ein Telefongespräch, das Sie gestern abend führten«, kam Parker dem Wunsch seiner Herrin nach.

»Ein Telefongespräch?« wiederholte der Spediteur lauernd. Die heitere Gelassenheit, die er während des Gespräches mit Lady Simpson ausgestrahlt hatte, war wie weggeblasen. Noch zeigte er aber keine Spur von Nervosität.

»Falls man nicht gründlich irrt, Mister Milstone, wurden Sie von einer jungen Dame angerufen«, fuhr der Butler fort.

»Kann schon sein«, unterbrach der Spediteur grinsend. »Ist ja auch nichts dabei, wenn ein Mann im besten Alter von einer jungen Dame angerufen wird, oder?«

»In diesem Fall handelte es sich um eine gewisse Jennifer Burley, die in der Firma ›Hitec‹ als Raumpflegerin beschäftigt ist«, machte der Butler unbeirrt kund. »Gegen elf Uhr am gestrigen Abend suchte Miß Burley eine Telefonzelle an der Roman Road auf und teilte Ihnen mit, wo der Prototyp des neuartigen Lasergerätes zu finden ist.«

Milstone wurde blaß und ruckte nervös an seiner Krawatte. Er bewahrte aber immer noch einen beachtlichen Rest von Fassung.

»Das ist doch alles kompletter Unsinn«, protestierte er. »Ich kenne keine Jennifer Burley.«

Hätte Milstone geahnt, wer im nächsten Moment die Tür aufstieß, hätte er sich diese Lüge gespart.

*

»Was ist denn mit den Jungs los, Ed?« fragte die attraktive Blondine fassungslos. Sie blieb im Türrahmen stehen und deutete in den Vorraum, wo Milstones Leibwächter sich immer noch ihren Träumen hingaben.

Der nervöse Zug im Gesicht der jungen Frau wich blankem Entsetzen, als sie gleich darauf den Butler und Agatha Simpson gewahrte.

»Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen, Miß Burley«, grüßte Parker höflich und lüftete seinen schwarzen Bowler.

»Oh!« stieß Jennifer Burley mühsam hervor und hielt sich am Türrahmen fest.

»Komm nur herein, Jenny«, forderte Milstone seine Freundin lächelnd auf. »Wir führen gerade ein interessantes Gespräch, das auch dich betrifft.«

Er erhob sich, um der jungen Frau entgegenzugehen, und griff dabei blitzschnell in eine halboffene Schreibtischschublade. Parker, der mit einer Verschärfung des Gesprächsklimas rechnete, war jedoch vorbereitet.

Er hatte die Hand schon an der Krempe seines Bowlers und ließ die stahlblechgefütterte Kopfbedeckung wie eine Frisbeescheibe durch den Raum schwirren. Die messerscharfe Kante der schwarzen Halbkugel köpfte ein paar Chrysanthemen in einer Kristallvase, bevor sie über Milstones Handgelenk strich.

Jammernd zog der Spediteur die Hand zurück und ließ den langläufigen Revolver in die Schublade fallen, als hätte er sich an der Waffe die Finger verbrannt.

Mit dem Rücken hatte der Butler gleichzeitig die Tür zugedrückt, um Jennifer Burley den Rückzug abzuschneiden. »Schußwaffen sind nur selten geeignet, einen kultivierten Gesprächston zu gewährleisten, falls der Hinweis erlaubt ist«, stellte er mit mißbilligendem Blick auf Milstone fest.

Der Spediteur rieb sich noch immer sein Handgelenk und zeigte keine Neigung, noch mal nach seiner Pistole in der offenen Schublade zu greifen. Dennoch hielt Parker es für besser, die Waffe an sich zu nehmen und unter seinem schwarzen Zweireiher verschwinden zu lassen.

»Ganz schön fix«, gestand der entwaffnete Waffenschmuggler. Trotz der Schmerzen in der Hand bemühte er sich redlich, ein anerkennendes Grinsen aufzusetzen. »Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Parker.«

»Darf man unter diesen etwas gewandelten Umständen noch mal auf Myladys Ausgangsfrage zurückkommen, Mister Milstone?« erkundigte sich der Butler, als auch Jennifer Burley sich beruhigt und einen Sitzplatz gefunden hatte.

»Wiederholen Sie die Frage doch noch mal, Parker«, spielte Milstone auf Zeitgewinn. »Ich hab’ total vergessen, was es war.«

»Mylady begehrte Auskunft darüber, wo Sie den in der vergangenen Nacht gestohlenen Prototyp versteckt haben, Mister Milstone«, kam Parker der Aufforderung nach.

»Ich hab’ das verdammte Ding nicht«, knurrte der Mann.

»Der dreiste Lümmel lügt«, behauptete Agatha Simpson.

»Sie haben ’ne Meise«, kam es postwendend zurück.

Mit einer energischen Bewegung stellte die ältere Dame ihr Kognakglas ab. »Könnte es zutreffen, daß ich soeben in unverschämter Weise beleidigt wurde, Mister Parker?« vergewisserte sie sich in frostigem Ton.

»Meine Wenigkeit hat Myladys Darstellung des Tatbestandes nicht das geringste hinzuzufügen«, äußerte der Butler mit angedeuteter Verbeugung. Dieser Bestätigung hätte es freilich nicht bedurft, denn Mylady war schon dabei, sich auf ihre persönliche Art Genugtuung zu verschaffen.

Mit kaum hörbarem Pfeifen durchschnitten die Halteriemen ihres Pompadours die Luft. Treffsicher landete der Beutel auf Milstones Hinterkopf und signalisierte seine Ankunft mit dumpfem Klatschen.

Der völlig überraschte Spediteur dachte im ersten Moment, ein Pferd hätte ihn getreten, denn dieser Eindruck war keinesfalls abwegig. Schließlich war es Lady Simpsons Glücksbringer, der sich mit erdrückender Zärtlichkeit an seinen Schädel schmiegte.

Sekunden später dachte Edward Milstone überhaupt nichts mehr. Mit weit aufgerissenen Augen ließ er seinen Kopf von Schulter zu Schulter pendeln und stieß dabei glucksende Laute aus, die nur entfernt an menschliche Sprache erinnerten.

Mit letzter Kraft versuchte der Mann, sich aus dem Sessel hochzustemmen. Er verschob sein Vorhaben jedoch auf später und sackte mit zischendem Geräusch zusammen. Ein tiefer Seufzer wurde hörbar, ehe er den Kopf auf die Tischplatte bettete und jedes Interesse an seiner Umgebung verlor.

»Das könnte dem Lümmel so passen, sich einfach meinem Verhör zu entziehen«, schäumte Mylady und schob die hysterisch schluchzende Jennifer beiseite. »Der Mann muß mir unverzüglich wieder zur Verfügung stehen, Mister Parker.«

»Man wird sich bemühen, Myladys Wünschen in kürzester Zeit zu entsprechen«, versicherte der Butler und zog ein Fläschchen mit Riechsalz aus der Tasche.

Der stechende Geruch durchdrang selbst die Nebel in Milstones Gehirn. Eine Minute später schlug er zögernd die Augen auf und blickte verwirrt um sich.

»O mein Kopf!« stöhnte er und schloß wieder die Augen. Jammernd wollte er seinen Kopf erneut auf den Tisch sinken lassen, aber Myladys sogenannter Glücksbringer, der neben seinem rechten Ohr auf die Tischplatte schlug, ließ ihn entsetzt hochfahren.

»Aufhören!« flehte er. »Ich gestehe alles.«

»Der weinerliche Ton mißfällt mir, junger Mann«, tadelte die ältere Dame. »Was Sie erlebt haben, war lediglich eine kleine Lektion, die Ihnen zeigen sollte, daß man eine Lady Simpson nicht ungestraft beleidigt.«

»Mir hat’s gereicht«, stöhnte der Spediteur und tastete vorsichtig den hufeisenförmigen Wulst ab, der an seinem Hinterkopf wucherte.

»Hoffentlich«, kommentierte Lady Agatha kühl. »Sollten die Vorfälle sich wiederholen, müßte ich eine deutlichere Sprache sprechen, Mister Killbone.«

»Nur das nicht!« Milstone zog instinktiv den Kopf ein.

»Dann wird Mister Parker jetzt Ihr Geständnis zu Protokoll nehmen«, entschied die Detektivin. »Aber wagen Sie es nicht, mir Märchen aufzutischen. Das merke ich sofort und werde dann ausgesprochen unangenehm.«

*

»Okay, ich habe versucht, an das Ding heranzukommen«, räumte der Waffenschmuggler ein. »Ich wollte mir den Laser mal aus der Nähe ansehen, weil ich mich halt für technische Neuerungen interessiere.«

»Darf man erfahren, auf welche Weise Sie versuchten, sich in den Besitz des Prototyps zu bringen, Mister Milstone?« schaltete Parker sich wieder ein.

»Vor zwei Monaten hörte ich zufällig, daß bei der ›Hitec‹ an sowas gearbeitet wird«, gab der Spediteur Auskunft.

»Man muß vermutlich davon ausgehen, daß Ihnen der Name des Informanten entfallen ist, Mister Milstone?«

»Es war irgendein Typ aus dem Ministerium, den ich von früher her flüchtig kenne, Mister Parker. Den Namen weiß ich wirklich nicht mehr.«

»Möglicherweise wird man auf dieses Thema später noch zurückkommen, Mister Milstone. Darf man vorerst bitten, chronologisch fortzufahren?«

»Jenny bewarb sich bei der ›Hitec‹ um einen Job als Putzfrau.«

»Darf man Ihre Äußerung so verstehen, Mister Milstone, daß Sie Ihre Lebensgefährtin Jennifer Burley als Kundschafterin in die Fabrik einschleusten?«

»Richtig, Parker. Jenny sollte herausfinden, wie man an die Konstruktionspläne herankommt und wo der Prototyp versteckt ist.«

»Darf man vermuten, daß Sie dieselben Ziele im Auge hatten, Mister Milstone, als Sie Miß Burley auf Oberingenieur Sinclair Longdale ansetzten?«

»Sie sind ja blendend informiert, Parker. Ich sehe schon, daß man Ihnen nichts vormachen kann.«

»Selbst den leisesten Versuch würden Sie mit Sicherheit bereuen, junger Mann«, fuhr Mylady mit ihrem baritonalen Organ dazwischen. Zur Bekräftigung schwenkte sie ihren perlenbestickten Handbeutel.

»Nach Jennys Anruf gestern abend habe ich drei Leute losgeschickt, die den Tresor knacken und mir den Prototyp bringen sollten«, fuhr Milstone fort. »Aber die Burschen sind bis jetzt nicht zurückgekehrt. Da es heute morgen bei der ›Hitec‹ von Polizisten nur so wimmelte, denke ich mir, daß etwas schiefgelaufen ist und die drei Männer geschnappt wurden.«

»Trotz dieser Vermutung hielten Sie es nicht für angezeigt, mit unbekanntem Ziel zu verreisen, Mister Milstone?« wollte der Butler wissen. »Sie mußten doch annehmen, daß die Polizei kurze Zeit später auch bei Ihnen auftauchen würde.«

»Die Cops hätten mir nichts beweisen können«, war Milstone sich sicher. »Meine Jungs halten dicht.«

»Könnte die Verschwiegenheit möglicherweise damit zusammenhängen, daß ein Verräter selbst hinter Gittern seines Lebens nicht mehr sicher wäre, Mister Milstone?«

»Sie drücken es sehr kraß aus, Mister Parker, aber hin und wieder muß man schon für etwas Disziplin sorgen.«

»Der Prototyp befindet sich also nicht in Ihrem Besitz, Mister Milstone?«

»Nein.«

»Und die Konstruktionspapiere?«

»Das waren auch die anderen«, behauptete Milstone.

»Darf man erfragen, welche anderen Sie zu meinen geruhen, Mister Milstone?« hakte der Butler sofort nach.

»Es – es muß noch einen zweiten Interessenten geben. Sie haben selbst gesagt, daß der Prototyp gestohlen wurde. Und wenn meine Leute es nicht waren, können es nur andere gewesen sein.«

»Dieser Feststellung möchte auch meine Wenigkeit sich in vollem Umfang anschließen, Mister Milstone.«

»Na also«, antwortete der Spediteur, sichtlich erleichtert. »Die werden dann auch die Konstruktionspläne gestohlen haben, von denen Sie sprachen.«

»In der Tat war der Panzerschrank der Firma ›Hitec‹ zweimal kurz nacheinander das Ziel nächtlicher Besucher«, bestätigte Parker. »Im ersten Fall gelang es meiner Wenigkeit, die Herren von der Aussichtslosigkeit ihres Beginnens zu überzeugen. Die Herren, die später in der Nacht anrückten, waren dann jedoch erfolgreich, falls dieser Hinweis für Sie von Interesse ist, Mister Milstone.«

»Wirklich?« tat der Spediteur überrascht. Er machte erstaunte Augen, doch Parker ließ sich dadurch nicht täuschen. Die Art, in der Milstone die Neuigkeit aufnahm, ließ eher darauf schließen, daß es für ihn gar keine Neuigkeit war.

»Dann war es also mein Fehler, daß meine Jungs die ersten waren«, faßte Milstone zusammen. »Dabei sagt man doch immer: Den Letzten beißen die Hunde.«

»Sie können nicht zufällig eine Vermutung äußern, wer dieser ›Letzte‹ gewesen sein könnte, Mister Milstone?«

»Ich habe wirklich keinen blassen Dunst, Parker«, beteuerte der Spediteur.

»Man dankt in aller Form für die herzliche Gastfreundschaft und das aufschlußreiche Gespräch, Mister Milstone«, sagte der Butler und wollte seine Herrin schön zur Tür geleiten, doch zuerst gab es noch eine kleine Störung.

Mit neu erwachtem Mut kamen Milstones Leibwächter zur Tür herein und wollten sich ohne viel Federlesens auf die Besucher stürzen. Sie hatten jedoch die Rechnung ohne den Butler gemacht.

Ein Fußtritt gegen einen Blumenkübel reichte aus, um eine fast zimmerhohe Palme aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wie eine Schranke senkte sich der struppige, armdicke Stamm des Tropengewächses herab, als der erste Angreifer gerade ins Zimmer stürmen wollte.

Das unverhoffte Hindernis zwang ihn, eine turnerische Übung zu absolvieren, die entfernte Ähnlichkeit mit einer Bauchwelle am Reck hatte. Der Abgang war jedoch alles andere als formvollendet. Japsend und stöhnend blieb der ungeschickte Turner auf dem Rücken liegen und vergaß seine unfreundlichen Absichten.

Sein Kollege war zu dicht gefolgt, um noch ausweichen zu können. Er landete schreiend im spitzen, scharfkantigen Blätterwerk der Palme. Sekunden später war er wieder auf den Beinen, doch damit kam er nur vom Regen in die Traufe.

Agatha Simpson hatte nämlich inzwischen ihren Pompadour in Schwingung gebracht und plazierte ihn genüßlich auf der Nase des Angreifers. Röchelnd taumelte der Mann durchs Zimmer, während sein Riechorgan Format und Farbe einer reifen Tomate annahm.

Er zeigte ein paar mißglückte Tangoschritte und torkelte gegen Milstones Schreibtisch. Auf dem Bauch rutschte er über die blankpolierte Platte und fiel seinem völlig verdatterten Chef um den Hals.

»Man wünscht noch einen möglichst geruhsamen Nachmittag, Mister Milstone«, ließ Parker sich vernehmen, räumte den Blumenkübel beiseite und geleitete seine Herrin hinaus.

*

»Ich war wieder viel zu sanftmütig«, warf sich Lady Agatha vor, als sie wieder im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum saß. »Ich hätte das Verhör schärfer führen sollen. Dem dreisten Lümmel kann man doch kein Wort glauben, Mister Parker.«

»Dieser Einschätzung möchte auch meine Wenigkeit sich ohne Vorbehalte anschließen«, pflichtete der Butler ihr bei. »Vermutlich darf man davon ausgehen, daß Mylady sich inzwischen ein eigenes Bild von den Ereignissen der vergangenen Nacht gemacht haben?«

»Selbstverständlich, Mister Parker«, tönte es postwendend aus der Sprechanlage. »Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie meine Ausführungen wiederholen würden.«

»Man wird sich bemühen, Myladys scharfsinnige Analyse korrekt wiederzugeben«, versprach Parker, der seine Herrin insgeheim bewunderte. »Mylady haben aus Mister Milstones Verhalten den Schluß gezogen, daß er entgegen eigener Bekundung doch gründlich über die Ereignisse der vergangenen Nacht informiert war«, begann der Butler.

»Habe ich das, Mister Parker?« fragte die ältere Dame überrascht. »Und welchen Schluß ziehe ich daraus?«

»Mylady dürften es als wahrscheinlich ansehen, daß Mister Milstone seine Informationen aus erster Hand erhielt«, antwortete der Butler, »nämlich von dem zweiten Tresorknackerteam, das er persönlich entsandte.«

»Interessant«, reagierte Mylady gelangweilt.

»Daraus wiederum dürften Mylady den wirklich interessanten Schluß gezogen haben, daß Mister Milstone doch im Besitz des Prototyps ist oder zumindest war«, fuhr Parker fort. Prompt war die Detektivin wieder hellwach.

»Genauso verhält es sich, Mister Parker«, nickte sie eifrig. »Der Lümmel wird es bereuen, daß er mich angelogen hat. Aber zum Glück fällt eine erfahrene Detektivin auf solche Tricks nicht herein. Mir war von Anfang an klar, daß Killbone den Phototyp doch hat.«

Behaglich lehnte Lady Simpson sich in die weichen Polster zurück. »Dann ist ja wieder mal alles klar, Mister Parker.«

»Bis auf eine Kleinigkeit, falls der Hinweis erlaubt ist, Mylady.«

»Und das wäre, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen. »Ständig behelligen Sie mich mit unwichtigen Kleinigkeiten.«

»Zweifellos haben Mylady geplant, auch den Auftraggeber der drei erfolglosen Einbrecher zu ermitteln«, entgegnete Parker, ohne sich von der Laune seiner Herrin beeindrucken zu lassen. »Man sollte nicht ausschließen, daß er sich im Besitz der gestohlenen Konstruktionsunterlagen befindet, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Diesen Schurken werde ich mit einer besonders genialen List zur Strecke bringen. Doch davon später, Mister Parker«, ließ Mylady erkennen, daß sie nicht gewillt war, sich auf weitere geistige Anstrengungen einzulassen.

Wieder lehnte sich die ältere Dame entspannt in die Polster zurück. »Warum werde ich denn nicht verfolgt, Mister Parker?« murmelte sie, schon halb im Traum.

»Erfreulicherweise darf man Mylady auf einen kleinen, aber entscheidenden Irrtum hinweisen«, meldete Parker, der den Rückspiegel schon längere Zeit aufmerksam im Auge behalten hatte.

»Also doch«, triumphierte die Detektivin und saß sofort wieder kerzengerade. »Ich habe es geahnt, Mister Parker. Wenn man einen richtigen Gangster demütigt, schlägt er zurück.«

»Darf man Myladys Äußerung so deuten, daß Mylady bereits über den Auftraggeber der Verfolger informiert sind?« erkundigte sich der Butler und bog ohne Vorwarnung in eine Seitenstraße ein.

»Das war aber eine seltsame Frage, Mister Parker«, sagte die ältere Dame. »Wer sonst außer Killbone sollte mir die Kerle auf den Hals gehetzt haben?«

»Fraglos haben Mylady die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß es sich auch um Mitglieder der konkurrierenden Bande handeln könnte«, gab der Butler zu bedenken.

»Als Detektivin bin ich es gewohnt, Mister Parker, ständig alle nur denkbaren Möglichkeiten in meine Betrachtungen einzubeziehen«, erklärte Agatha Simpson. »Woraus schließe ich, daß es sich um Mitglieder der zweiten Bande handelt?«

»Mister Milstone dürfte kaum in der Lage gewesen sein, in der erforderlichen Schnelligkeit entsprechendes Personal zu beschaffen, nachdem seine Leibwächter ausgefallen waren«, gab Parker Auskunft.

»Trotzdem, Mister Parker«, wandte Lady Agatha ein. »Die Lümmel von der anderen Bande kennen mich doch gar nicht. Warum sollten sie mich verfolgen?«

»Diesen Entschluß könnten die Herren möglicherweise spontan gefaßt haben, falls der Hinweis erlaubt ist, Mylady.«

»Spontan?«

»Mylady dürften davon ausgehen, daß die Herren im schwarzen Mustang ursprünglich Mister Milstones Gelände observierten und sich spontan zur Verfolgung entschlossen, als sie Mylady dort abfahren sahen.«

»Sagten Sie Mustang, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame irritiert. »Reitende Verfolger wären ja wirklich mal etwas Neues.«

»In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »In diesem Fall handelt es sich jedoch um ein sportliches Automobil, das von den Fordwerken produziert wird. Der Name wurde vermutlich aus Gründen der Werbung gewählt.«

»Ich weiß, ich weiß«, wehrte Mylady ab. »Mit Autos kenne ich mich besonders gut aus.«

Mit einem Blick in den Rückspiegel überzeugte sich der Butler davon, daß der schwarze Mustang weiter auf Myladys Fährte blieb. Der Fahrer hielt zwar vorsichtig Distanz, aber er hatte Parkers Abbiegemanöver mitgemacht Eben tauchte der schnelle Wagen an der Ecke auf.

»Trotzdem ist es Unsinn«, brummte die Detektivin nach kurzer Denkpause.

»Darf man um Aufklärung bitten, was Mylady zu meinen geruhen?«

»Warum sollten die Kerle von der anderen Bande ausgerechnet Mister Killbones Gelände observieren?« dachte Agatha Simpson laut. »Ich bin doch für sie gefährlich, nicht dieser lächerliche Jammerlappen Killbone.«

»Eine Feststellung, die man nur unterstreichen kann, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. »Andererseits rechnen Mylady mit der Möglichkeit, daß der Auftraggeber der Männer im schwarzen Mustang darüber informiert ist, daß Mister Milstone den gestohlenen Prototyp in seinem Besitz hat.«

»Das ist ein weiterer Beweis dafür, daß der Lümmel mich in unverschämter Weise angelogen hat«, schloß Lady Agatha messerscharf. »Wenn die anderen das Ding hätten, brauchten sie ihn nicht zu observieren.«

»Eine Schlußfolgerung von geradezu durchschlagender Überzeugungskraft«, merkte der Butler an. »Andererseits wäre noch die Frage zu beantworten, wer den unbekannten Bandenchef darüber informierte, daß Mister Milstones Leute erfolgreicher waren als seine eigenen.«

»Was vermute ich, Mister Parker?«

»Da sich die zuerst am Tatort eingetroffenen Panzerschrankknacker in Polizeigewahrsam befinden, dürfte als Informant nur der Pförtner der Firma ›Hitec‹, Mister Burt Chickham, in Frage kommen.«

»Der Bursche kam mir gleich verdächtig vor, Mister Parker«, behauptete die Detektivin unbekümmert, obwohl sie Chickham höchstens im Vorübergehen an seiner Pförtnerloge mit einem flüchtigen Blick gestreift hatte.

Im Moment interessierten sie die Verfolger aber mehr als die Rolle des »Hitec«-Pförtners. »Sind sie schon dicht hinter mir?« wollte Mylady wissen.

»Die Herren halten sich diskret im Hintergrund, falls der Hinweis erlaubt ist«, meldete der Butler.

»Welche Schlüsse ziehe ich aus diesem Verhalten, Mister Parker?«

»Mylady nehmen an, daß die Herren nicht bemerkt werden möchten.«

»Und worauf läßt das wiederum schließen?«

»Mylady gehen zweifellos davon aus, daß die Herren keinerlei Angriffsabsichten hegen, sondern lediglich über Myladys Aktivitäten und Myladys Wohnsitz unterrichtet sein möchten.«

»Trotzdem«, entschied die Detektivin. »Ich werde den Lümmeln eine gründliche Lektion erteilen. Ich kann es nicht leiden, wenn man hinter mir herschnüffelt.«

»Darf man vermuten, daß Mylady bereits konkrete Vorstellungen entwickelt haben, was mit den Herren geschehen soll?«

»Da lasse ich Ihnen völlig freie Hand, Mister Parker«, zeigte sich die ältere Dame großzügig. »Das sind genau die Details, aus denen man etwas lernen kann.«

»Meine Wenigkeit wird bestrebt sein, Mylady nicht zu enttäuschen«, versicherte der Butler. Nach kurzem Blick in den Rückspiegel trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch.

*

Das Renntriebwerk, das Parker unter der eckigen Haube des ehemaligen Taxis hatte installieren lassen, antwortete mit dumpfem Röhren. Prompt machte das schwerfällig wirkende Gefährt einen Satz nach vorn.

Dem Mustangfahrer blieb die überraschende Beweglichkeit des schwarzen Kastens nicht verborgen. Er wollte den Anschluß nicht verlieren und gab ebenfalls Gas.

Parker tat ein übriges, um den vorsichtigen Verfolger aus der Reserve zu locken. Er bog in eine Querstraße und brachte sein hochbeiniges Monstrum gleich nach der Ecke am Straßenrand zum Stehen.

»Was ist geschehen, Mister Parker«, erkundigte sich Mylady irritiert, als der Mustang auf wimmernden Pneus um die Ecke schoß.

Verdutzt registrierte der Fahrer den Wagen des Butlers, tippte instinktiv auf die Bremse, gab aber sofort wieder Gas und brauste weiter.

»Wie verantwortungslos manche Leute heutzutage autofahren!« entrüstete sich Agatha Simpson. »So eilig kann es doch kein normaler Mensch haben.«

»Bei dem Fahrer, der Myladys Mißfallen erregte, handelte es sich um Myladys Verfolger, falls der Hinweis gestattet ist«, setzte Parker seine Herrin ins Bild.

»Ich habe geahnt, daß der Bursche zu feige ist, sich mir zu stellen«, reagierte die resolute Dame enttäuscht. »Er ist es nicht wert, daß ich mich weiter mit ihm beschäftige.«

Gemächlich ließ der Butler sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen. Er rechnete nicht damit, daß der Mustangfahrer auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Zwei Straßen weiter hatte Parker ihn wieder im Rückspiegel.

»Einen Denkzettel sollte ich ihm vielleicht doch verpassen«, entschied die ältere Dame, als der Butler seine Wahrnehmung nach hinten meldete. Inzwischen hatte man ein Stadtviertel erreicht, in dem Josuah Parker sich ebenso schlafwandlerisch auskannte wie in den unergründlichen Taschen seines schwarzen Zweireihers.

Die verwinkelten Straßen zwangen den Mustangfahrer, noch dichter aufzuschließen, wollte er das hochbeinige Monstrum nicht aus den Augen verlieren. Gelassen hetzte Parker den Verfolger kreuz und quer durch das Viertel, verschärfte das Tempo und bog unvermittelt mal links, mal rechts ab.

Der Fahrer am Steuer des amerikanischen Sportwagens wurde allmählich nervös. Er spürte, daß der Butler mit ihm spielte, aber jetzt wollte er sich erst recht nicht abhängen lassen. Dabei ließ er die gebotene Vorsicht außer acht, was ihm wenig später zum Verhängnis wurde.

Der Butler wußte, daß die lange Gerade, in die er einbog, nach rund 500 Metern rechtwinklig in eine Querstraße mündete. Das war der Punkt, den er ausersehen hatte, um Myladys Wünsche in die Tat umzusetzen.

Ein Beben lief durch die schwere Karosserie des hochbeinigen Monstrums, als das Zusatztriebwerk seine Kräfte spielen ließ und dem schwarzen Kasten das Temperament eines feurigen Araberhengstes verlieh. Zitternd kletterte die Tachonadel höher.

Der Mustangfahrer, der offenbar an einen Ausbruchversuch glaubte, holte aus seinem spurtstarken Fahrzeug ebenfalls alles heraus, was sich herausholen ließ. Er hatte aufgeholt und lag dicht hinter Parker, als der Butler mit unbeweglicher Miene einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett umlegte.

Augenblicklich quoll eine schwarze, ölige Wolke aus dem Auspuff seines Fahrzeuges, das nicht ohne Grund den legendären Ruf als »Trickkiste auf Rädern« genoß. Im selben Moment hatte der Butler die Einmündung erreicht, trat scharf auf die Bremse und bog nach rechts ab.

Der Mustangfahrer, der sich überraschend auf einem Blindflug ohne Instrumente wiederfand, tat das Einzige, was er tun konnte: Er trat auch auf die Bremse. Er hätte seinen Wagen vielleicht noch unbeschädigt zum Stehen gebracht, wäre da nicht ein wasserklarer Film auf dem Pflaster gewesen, der aus einer Düse am Heck des hochbeinigen Monstrums stammte. Dabei handelte es sich um Seifenlauge, die den Straßenbelag sekundenschnell in eine Rutschbahn verwandelte.

Der Mann am Steuer konnte sich abmühen, wie er wollte. Sein Wagen reagierte weder auf die Bremsen noch auf die Lenkung, sondern schlitterte eigenwillig geradeaus – mitten in die schwarze Wolke hinein.

Als die Schwaden vor der Windschutzscheibe sich wieder teilten, ließ Myladys Verfolger das Lenkrad los und schlug entsetzt die Hände vor die Augen. Der Anblick einer ganzen Batterie von Mülltonnen, die in beängstigendem Tempo auf ihn zurasten, war dem Mann unerträglich.

Mindestens ebenso unerträglich war das Scheppern, mit dem der Mustang die blecherne Barrikade auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig durchbrach. Meterweit flogen die Mülltonnen auseinander, verstreuten ihren unappetitlichen Inhalt und rollten klappernd über die Straße.

Im selben Moment hatten die blockierten Reifen wieder griffigen Boden unter dem Profil und ließen ein gräßliches Quietschen hören. Die wenigen Meter Gehweg, die vor der Auslage eines großen Spirituosengeschäftes lagen, reichten als Bremsweg allerdings nicht mehr aus.

Splitternd zerbarst die Schaufensterscheibe, als der Mustang unsanft mit seiner Nase dagegenstieß. Unter ohrenbetäubendem Lärm stürzte die aufwendige Dekoration in sich zusammen, als der Wagen das Schaufenster zum Parkplatz umfunktionierte.

Ganze Batterien von Flaschen gingen rund um das Fahrzeug in Scherben. Champagner spritzte, Sektkorken flogen.

Parker, der sein hochbeiniges Monstrum hundert Schritte weiter am Straßenrand abgestellt hatte, verfolgte die Szene aufmerksam im Rückspiegel. Sein Pokergesicht blieb glatt und ausdruckslos.

Auch Mylady nahm ausnahmsweise die Mühe auf sich, durch das Rückfenster nach ihrem Verfolger zu sehen.

»Seinen Denkzettel hat der Bursche«, stellte sie befriedigt fest. »Aber Sie hätten wirklich ein anderes Geschäft nehmen sollen, Mister Parker. Wenn ich an alle die guten Tropfen denke, die jetzt in die Gosse rinnen ...«

*

»Gleich, wer es ist, Mister Parker. Ich bin nicht zu sprechen. Ich muß dringend eine Stunde der Meditation widmen«, sagte Lady Simpson zu ihrem Butler. Hocherhobenen Hauptes entschwebte die ältere Dame auf der geschwungenen Treppe ins Obergeschoß.

»Wie Mylady wünschen«, entgegnete Parker und lenkte seine Schritte zum beharrlich läutenden Telefon.

McWarden war am Apparat. Seine Stimme klang ungehalten.

»Muß Mylady mir denn immer nur Ärger einbrocken?« fragte er.

»Möglicherweise darf man daran erinnern, daß Mylady Ihnen gelegentlich auch wertvolle Hilfe bei Ermittlungen leistete, Sir«, gab der Butler zu bedenken.

»Weiß ich ja, Mister Parker«, räumte der Chief-Superintendent widerwillig ein. »Aber was Ihre Herrin sich bei der Firma ›Hitec‹ geleistet hat, wird mit Sicherheit ein Nachspiel haben.«

»Darf man um Auskunft darüber bitten, wie diese Äußerung zu verstehen ist, Sir?« tat Parker ahnungslos.

»Mylady hat dem Firmenchef vorgespiegelt, ich hätte ihr die Ermittlungen übertragen«, empörte sich McWarden. »Das ist Amtsanmaßung, Mister Parker.«

»Bedauerlicherweise kann meine Wenigkeit sich nicht entsinnen, entsprechende Worte aus Myladys Mund vernommen zu haben, Sir«, erwiderte der Butler.

»Das glaube ich Ihnen nicht, Mister Parker«, verharrte der hohe Yard-Beamte klipp und klar auf seinem Standpunkt. »Außerdem habe ich mit Ihnen auch noch ein Hühnchen zu rupfen.«

»Darf man die Vermutung äußern, daß Sie Probleme mit gewissen Handschellen hatten, Sir?«

»Natürlich«, knurrte McWarden. »Jedesmal, wenn Sie Ihre verdammten Dinger einsetzen, muß ein Spezialunternehmen diesen speziell gehärteten Stahl knacken.«

»Das ist eine Anforderung, die man gemeinhin an die Qualität von Handschellen stellen sollte, Sir«, merkte Parker gelassen an.

»Schwamm drüber«, lenkte der Chief-Superintendent ein. »Als ich die am Panzerschrank angeketteten Ganoven sah, war mir natürlich sofort klar, daß kein anderer als Sie dahinterstecken. Das ist eindeutig Ihre Handschrift, Mister Parker.«

»Meiner Wenigkeit liegt es fern, Ihrer Feststellung zu widersprechen, Sir«, pflichtete der Butler ihm bei.

»Natürlich bin ich Ihnen dankbar, daß Sie das Trio dingfest gemacht haben, Mister Parker«, fuhr McWarden fort und mühte sich hörbar, seiner Stimme einen versöhnlichen Klang zu geben. »Leider konnten Sie aber auch nicht verhindern, daß der Prototyp später in der Nacht doch noch gestohlen wurde.«

»Diesen Umstand bedauert meine Wenigkeit außerordentlich, Sir«, versicherte Parker. »Darf man fragen, ob die Vernehmung der drei erfolglosen Einbrecher irgendwelche interessanten Erkenntnisse gebracht hat?«

»Nicht die Spur, Mister Parker«, gestand der Chief-Superintendent. »Die Kerle behaupten, sie hätten Geld in dem Tresor vermutet.«

»Eine Einlassung, die nicht sehr wahrscheinlich klingt, aber im Moment nur schwer zu widerlegen sein dürfte, Sir«, stellte der Butler fest.

»Das ist auch meine Einschätzung«, bestätigte McWarden. »Wir werden den Burschen schon auf die Schliche kommen. Was mir aber im Moment das größte Kopfzerbrechen bereitet, ist die Rolle des Nachtpförtners.«

»Darf man fragen, worauf Sie mit dieser Äußerung anzuspielen geruhen, Sir?«

»Warum ging der Kerl noch mal in den Keller zu den drei Ganoven, die Sie dort festgesetzt hatten?« wunderte sich der Yard-Beamte. »Und warum hat er nicht die Polizei eingeschaltet?«

»Sie können versichert sein, Sir, daß meine Wenigkeit Mister Chickham ausdrücklich bat, die Polizei anzurufen«, warf Parker ein;

»Ich weiß«, bestätigte McWarden. »Er behauptet ja auch, angerufen zu haben. Nur ist der Anruf nirgends angekommen.«

»Jedenfalls nicht bei der Polizei, falls die Anmerkung erlaubt ist, Sir.«

»Genau, Mister Parker. Dieser Chickham ist mir nicht geheuer. Ich glaube ihm kein Wort.«

Eine kurze Pause entstand. Parker spürte deutlich, wie der Chief-Superintendent mit sich ringen mußte, ehe er seine letzte Frage anbrachte.

»Unter uns, Mister Parker«, schlug er einen ungewohnt vertraulichen Ton an, »sind Sie denn mit Ihren Ermittlungen schon weitergekommen?«

»Mylady ist absolut zuversichtlich, in kurzer Zeit die Straftäter festnehmen und das Diebesgut zurückerstatten zu können, Sir«, wich der Butler aus.

»Das heißt überhaupt nichts«, gab McWarden zurück. »Zuversichtlich ist Mylady immer. Aber ich kann Sie ja leider nicht zwingen, Ihre Karten auf den Tisch zu legen, Mister Parker.«

»Dieser Feststellung kann meine Wenigkeit nur vorbehaltlos zustimmen, Sir«, ließ Parker sich vernehmen und wollte das Gespräch beenden, doch der Chief-Superintendent hatte noch etwas auf dem Herzen.

»Wenn Sie schon in dieser Sache mitmischen, was ich nicht verhindern kann«, mahnte er, »bedenken Sie bitte, daß es sich um eine streng vertrauliche und äußerst delikate Angelegenheit handelt, die höchste Regierungsstellen beschäftigt. Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie jedes unnötige Aufsehen vermeiden würden, Mister Parker.«

»Selbstverständlich ist man ständig bemüht, unnötiges Aufsehen zu vermeiden, Sir«, versicherte Parker treuherzig.

»Manchmal bin ich da nicht so sicher, Mister Parker«, bekannte McWarden lachend. »Vermutlich unterscheiden sich aber auch unsere Auffassungen darüber, was nötig und unnötig ist.«

»Diese Annahme dürfte einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit besitzen, Sir«, bestätigte der Butler, bevor er sich von McWarden verabschiedete und den Hörer auflegte.

*

Josuah Parker wollte gerade in die Wohnhalle zurückkehren, als die Haustürglocke läutete.

»Hallo, Parker«, begrüßte Mike Rander den Butler. »Ob Mylady für Kathy und mich wohl noch Tee übrig hat?«

»Mylady hat sich zwar zur Meditation zurückgezogen ...«, begann Parker.

»Ich weiß«, schmunzelte Rander, der die Geräusche aus dem Obergeschoß sofort richtig deutete.

»... dennoch dürfte Mylady keine Einwände erheben, wenn meine Wenigkeit Miß Porter und Sie hereinbittet, Sir«, brachte der Butler den Satz zu Ende. »Das Teewasser kocht bereits, falls der Hinweis genehm ist.«

In würdevoller Haltung schritt Parker voran und bot den Besuchern Plätze in Myladys geräumiger Wohnhalle an.

»Möglicherweise könnten Sie meine Wenigkeit für einige Minuten entbehren«, bat der Butler. »Man war gerade im Begriff, den ehrenwerten Mister Pickett anzurufen.«

»Wir werden uns schon nicht langweilen, Parker«, gab Rander gutgelaunt zurück.

Der vierzigjährige Anwalt, der eine Kanzlei in der nahegelegenen Curzon Street betrieb, war häufiger Gast im Hause Simpson. Mylady schätzte den sportlichen Rander, dessen männlich-kraftvolle Erscheinung an einen beliebten James-Bond-Darsteller erinnerte, außerordentlich.

Am liebsten hätte sie ihn mit ihrer Gesellschafterin, der attraktiven Kathy Porter, vor dem Traualtar gesehen. Doch die jungen Leute, die sich im Haus der älteren Dame kennengelernt hatten, schienen andere Vorstellungen von zeitgemäßer Partnerschaft zu haben.

Rander hatte mit Josuah Parker aufregende Jahre in den Staaten verbracht, ehe er dem Butler nach London folgte. Jetzt bestand seine Hauptbeschäftigung darin, das Vermögen der ebenso reichen wie sparsamen Witwe aus Shepherd’s Market zu verwalten.

Die zierliche Kathy mit den leicht mandelförmig geschnittenen Augen und dem zarten Kastanienschimmer im dunklen Haar konnte sanft und anschmiegsam sein. Sie konnte sich aber auch blitzschnell in eine fauchende Pantherkatze verwandeln, die zudringliche Gegner das Fürchten lehrte. Ebenso wie Mike Rander hatte die junge Dame schon an der Aufklärung brisanter Fälle mitgewirkt.

Wenig später kehrte Parker mit duftendem Darjeelingtee, einer Schale Buttergebäck und einer Mokkatorte in die Wohnhalle zurück.

»Wenn Sie den guten, alten Pickett anrufen, ist doch bestimmt wieder was im Busch, Parker«, tippte Rander, während der Butler den Tee einschenkte, »Man bat den ehrenwerten Mister Pickett, einen gewissen Edward Milstone zu observieren, der in dringendem Verdacht steht, den Prototyp eines neu entwickelten Lasergerätes entwendet zu haben«, gab Parker bereitwillig Auskunft. »Dabei sah man sich genötigt, Mister Pickett darauf hinzuweisen, daß Mister Milstone möglicherweise gleichzeitig von anderen Interessenten beschattet wird.«

»Das hört sich ja mal wieder spannend an«, bemerkte Kathy Porter mit unverhohlener Neugier.

Auf ihre Bitte hin schilderte Parker während der kleinen Teestunde ausführlich, was sich seit McWardens Besuch zugetragen hatte.

»Ich würde auch davon ausgehen, daß der Nachtpförtner mit dem festgenommenen Tresorknackertrio unter einer Decke steckt, Parker«, bestätigte Mike Rander die Vermutung, die der Butler zum Schluß geäußert hatte.

»Genau«, nickte Kathy Porter. »Nachdem Mister Parker abgefahren war, hat Burt Chickham keineswegs die Polizei angerufen, sondern ist in den Keller zurückgekehrt, um seine Komplizen zu befreien. Dabei wurde er von der anderen Bande, die auch hinter dem Prototyp her ist, überrascht.«

»Der arme Kerl wird sich an Ihren Spezialhandschellen ganz schön abgemüht haben, Parker«, spottete der Anwalt. »Und alles umsonst.«

Das Telefon klingelte. Pickett war am Apparat.

»Soeben ist Milstone mit zwei Leibwächtern aus dem Haus gekommen und in einem schwarzen Bentley weggefahren«, meldete der ehemalige Eigentumsumverteiler. »Meine Leute behalten ihn im Auge, Mister Parker. Sobald er sein Ziel erreicht hat, melde ich mich wieder.«

»Es ist eine Freude, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen, Mister Pickett«, lobte Parker. »Man sieht mit einer gewissen gespannten Erwartung Ihrem nächsten Anruf entgegen.«

»Vielleicht ist er unterwegs, um sich mit einem Abnehmer zu treffen«, vermutete Kathy Porter. »Falls er die Konstruktionspläne und den Prototyp nicht schon abgesetzt hat, wird Milstone sich unter Zeitdruck fühlen, seit er weiß, daß Sie ihm auf der Spur sind.«

»Ihre Annahme erscheint naheliegend, Miß Porter, sofern meiner Wenigkeit diese Bemerkung erlaubt ist«, gab Parker der jungen Dame recht. Er hatte einen kurzen Blick zum Fenster hinausgeworfen, während er die Vorhänge zuzog. Der hellblaue Volvo, der in der Abenddämmerung auf der anderen Straßenseite parkte, war ihm nicht entgangen.

»Zumindest scheint Mister Milstone auf dem Weg zu einer ausgesprochen wichtigen Verabredung zu sein«, vermutete der Butler, während er wieder zum Tisch zurückkehrte.

»Woraus schließen Sie das, Parker?« wollte der Anwalt überrascht wissen.

»Mister Milstone scheint viel daran gelegen zu sein, daß Mylady und meine Wenigkeit vorerst nicht das Haus verlassen, Sir«, gab Parker Auskunft. »Anders dürfte das Verhalten der Herren im blauen Volvo kaum zu deuten sein.«

»Gemeinsam begaben sie sich in die Diele, und der Butler schaltete die hauseigene Fernsehüberwachungsanlage ein. Sie bot bessere Möglichkeiten, die Bewacher unbemerkt zu beobachten, als der Platz hinter der Gardine.

Sekunden später zeigte der Monitor ein gestochen scharfes Bild. Parker fuhr die Zoom-Optik der Kamera soweit aus, daß man fast die Bartstoppeln der beiden Männer im Volvo erkannte. Die Schnellfeuergewehre, mit denen sie sich ausgerüstet hatten, waren jedenfalls nicht zu übersehen.

»Wenn die Burschen wirklich die Absicht hätten, Sie umzulegen, würden sie nicht derart auffällig vor der Einfahrt parken«, ließ Myladys Gesellschafterin sich vernehmen. »Verstecke für Heckenschützen gibt es im Umkreis doch mehr als genug.«

»Falls Sie gestatten, Miß Porter, möchte man Ihre Feststellungen ausdrücklich unterstreichen«, stimmte Parker zu.

»Auf einen Versuch würde ich es trotzdem nicht ankommen lassen«, warf Mike Rander ein.

»Deshalb wird man die Herren höflich bitten, von möglicherweise feindseligen Absichten Abstand zu nehmen«, kündigte der Butler an.

»Wie ich Sie kenne, Parker, wird den Burschen nichts anderes übrigbleiben, als Ihrer Bitte zu entsprechen«, feixte Mike Rander, »Ich kann Sie ja begleiten, wenn Sie wollen.«

»Diese Mühe dürfte sich kaum als erforderlich erweisen, Sir«, verzichtete Parker auf das Angebot. »Man wäre Ihnen jedoch sehr verbunden, wenn Sie während der kurzen Abwesenheit meiner Wenigkeit auf das Telefon achten würden.«

»Rechnen Sie damit, daß Pickett sich in der Zwischenzeit wieder meldet?«

»So ist es, Sir.«

*

Bevor der Butler das Haus durch einen der Hinterausgänge verließ, unternahm er noch einen kurzen Abstecher in das kleine Labor, das er sich neben seinen privaten Räumen im Souterrain eingerichtet hatte. Einer der zahlreichen Schubladen entnahm er ein graues Plastikkästchen vom Format eines Suppenwürfels und ließ es in den Taschen seines altväterlich geschnittenen Zweireihers verschwinden.

Wenig später hatte Parker das Häuserkaree umrundet und näherte sich auf leisen Sohlen dem Heck des hellblauen Volvo. Tiefe Dämmerung schluckte die schwarz gewandete Gestalt des Butlers, während er Würdevoll und lautlos wie ein Schatten von Straßenbaum zu Straßenbaum glitt.

Die Belagerer in der hellblauen Limousine schienen sich ausgesprochen sicher zu fühlen, Sie plauderten ungeniert bei offenem Fenster und qualmten Zigaretten wie die Schlote. Die Männer wurden auch nicht aufmerksam, als Parker hinter dem Heck des Wagens in die Hocke ging.

Behutsam zog er das graue Kästchen aus der Tasche und stellte den Zeitwähler auf drei Minuten ein. Die unscheinbare Schachtel enthielt einen komplizierten Baustein, der aus einer Alarmanlage stammte. Der entnervende Jaulton, den das Kästchen gleich produzieren würde, ähnelte täuschend dem Heulen einer Polizeisirene.

Geräuschlos schob der Butler das Produkt nächtlicher Bastelstunden in das Auspuffrohr des Volvo. Mit schnell härtender Knetmasse klebte er sein Geschenk an die Bewacher so fest, daß es nicht herausrutschen konnte.

Die Männer waren immer noch ins Gespräch vertieft. Sie registrierten nicht mal, daß Parker in der Hocke ihren Wagen umkreiste und vor jedem Reifen einen sogenannten Krähenfuß plazierte. Sekunden später befand er sich in gewohnt würdevoller Haltung auf dem Rückweg.

Der Butler hatte das Haus kaum betreten, als der schauerliche Jaulton losbrach. Mike Rander und Kathy Porter standen vor dem Monitor in der Diele und bogen sich vor Lachen.

Als Parker zu ihnen trat, ließ der Volvofahrer gerade in beispielloser Hektik den Anlasser wimmern. Der Wagen sprang nach einigem Zögern an. Der Mann gab sofort Vollgas und wollte mit durchdrehenden Rädern davonjagen. Doch die Krähenfüße trugen erheblich dazu bei, das Temperament der kraftvollen Limousine zu zügeln.

Wie die spitzen Zähne gieriger Piranhas bohrten sich die im Winkel verschweißten Stahlnägel in die Reifen des Volvo.

Zischend entwich die komprimierte Luft. Humpelnd wie ein Invalide, wollte der Volvo nicht recht in Fahrt kommen.

Daran war aber auch Parkers graues Kästchen nicht unschuldig. Es engte den Querschnitt des Auspuffrohrs so ein, daß der Motor zwar noch arbeitete, aber die gewohnte Leistung vermissen ließ.

Nach zwanzig Metern Fahrt waren die Männer von ihrem Auto so enttäuscht und von dem Sirenengeheul derart entnervt, daß sie in heilloser Panik aus dem Wagen sprangen und auf Schusters Rappen die Flucht ergriffen.

»Sie waren kaum aus dem Haus, Mister Parker, da rief Mister Pickett an«, teilte Kathy Porter mit. Sie war plötzlich wieder ernst geworden. »Milstone hat eben ein persisches Bauchtanzlokal in der Nähe des Soho Square betreten.« Sie nannte die genaue Anschrift.

»Zum Vergnügen wird der Schlingel nicht dahingefahren sein«, mutmaßte Mike Rander.

»Dieser Einschätzung möchte auch meine Wenigkeit sich anschließen, falls Sie gestatten, Sir«, stimmte der Butler zu. »Andernfalls hätte Mister Milstone wohl kaum Belagerer nach Shepherd’s Market entsandt und zwei Leibwächter als Begleitung mitgenommen.«

»Wir sollten hinfahren und ihm ein bißchen über die Schulter sehen«, schlug der Anwalt vor.

»Diese Anregung kann man nur als ausgesprochen zweckdienlich bezeichnen, Sir.«

»Und ich?« beschwerte sich Kathy Porter. »Soll ich wieder hierbleiben und Myladys Babysitter spielen?«

»Man würde dich wahrscheinlich gar nicht erst reinlassen, Kathy«, argwöhnte Mike Rander. »Es sei denn, du wolltest hüftwackelnd auf der Bühne stehen.«

»Nein danke«, verzichtete die junge Frau. »Dafür fehlt mir schon die richtige Figur.«

»Was aber in meinen Augen kein Fehler ist«, merkte Rander an und verabschiedete sich mit einem Kuß von ihr.

*

»Sollen wir zusammen reingehen, oder haben Sie andere Pläne, Parker?« erkundigte sich der Anwalt, als die beiden Männer im hochbeinigen Monstrum saßen.

»Mister Milstone dürfte sich durch die Anwesenheit meiner Wenigkeit unter Umständen gestört fühlen«, gab der Butler zu bedenken, während er sein schwarzes, eckiges Gefährt an dem verlassenen Volvo vorbei in Richtung Durchgangsstraße lenkte. Das Sirenengeheul war inzwischen verstummt.

»Mich kennt er zum Glück nicht«, nickte Rander. »Hoffentlich komme ich nahe genug an den Burschen ran, um alles Wichtige mitzukriegen.«

»Es würde genügen, wenn Sie nur einmal einen Moment in Mister Milstones unmittelbare Nähe kämen, Sir«, erläuterte Parker und griff in die linke Außentasche seines schwarzen Zweireihers. Gleich darauf hielt er ein erbsengroßes Kügelchen zwischen Daumen und Zeigefinger, das er Rander hinüberreichte.

»Eine Wanze?« vergewisserte sich der Anwalt.

»Ein hochempfindliches Mikrofon mit einem Sender, der immerhin eine Reichweite von mehreren hundert Metern hat, Sir«, gab Parker Auskunft. »Der Empfänger befindet sich hier im Fahrzeug, das man in der Nachbarschaft des fraglichen Lokals abzustellen gedenkt.«

Wenig später bog der Butler in die Gasse, die Kathy Porter ihm genannt hatte. Sie lag etwas abseits der belebten Straßen, in denen sich um diese Zeit noch neugierige Touristen vor Sexshops und einschlägigen Lokalen drängten. Der einsame Spaziergänger, der schlurfenden Schrittes seinen kleinen Hund spazierenführte, fiel ihm sofort auf.

»Guten Abend, Mister Parker«, grüßte der Mann freundlich, als der Butler gehalten und die Seitenscheibe heruntergekurbelt hatte. »Das Lokal ist da drüben. Einen Hintereingang gibt es vom angrenzenden Parkplatz aus.«

»Man dankt für die hilfreiche Information, Mister Pickett«, ließ Parker sich vernehmen. »Darf man fragen, ob Mister Milstone das Lokal allein betreten hat?«

»Seine beiden Bullen sind kurz nach ihm rein«, gab Pickett Auskunft. »Übrigens hatte er eine schwarze Aktentasche dabei, die ihm sehr wichtig zu sein schien.«

Rander verließ den Wagen und ging schräg über die Straße zu dem orientalischen Lokal.

»Ich werde mein Hündchen noch eine Weile hier spazierenführen«, versprach Pickett und entfernte sich. Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum noch ein Stück weiterrollen und stellte es hinter der nächsten Straßenecke ab. Dann schaltete er den Empfänger ein.

*

Zögernd betrat Mike Rander das schummrig beleuchtete Lokal und blickte sich um. Orientalische Bauchtanzfans saßen an kleinen, runden Tischen und tranken Pfefferminztee aus Gläsern. Freie Plätze gab es kaum noch.

Die üppige Blondine, die auf der Bühne zu monotoner Musik Schleier, Ketten und diverse Körperteile schwenkte, schien den Geschmack des durchweg männlichen Publikums zu treffen. Begeistertes Johlen und Klatschen begleitete besonders eindrucksvolle Höhepunkte ihrer Darbietung.

Engländer machte der Anwalt unter den Gästen des Lokals nur wenige aus. Die beiden derben Burschen, die gleich neben der Tür in einer Nische lehnten und ihn beim Eintreten mißtrauisch begutachteten, mußten Milstones Leibwächter sein. Das signalisierte schon die Nase des einen, die nach der Behandlung mit Myladys Glücksbringer inzwischen Form und Farbe einer Aubergine angenommen hatte.

Ein dritter Mann von europäischem Aussehen saß allein an einem Tisch seitlich der Bühne. Ihn schien das wogende Fleisch im Rampenlicht weniger zu interessieren. Rander fiel auf, daß er zwischendurch immer wieder zu einem Tisch hinübersah, der abseits in einer dunklen Nische am anderen Ende des Raumes stand.

Die beiden Männer, die dort saßen und sich bei Kerzenlicht unterhielten, mußte Rander sich unbedingt näher ansehen. Sie waren der Grund, warum er dieses Lokal überhaupt betreten hatte.

Der etwa fünfzigjährige Engländer mit leicht ergrautem Haar und rundem, rotem Gesicht entsprach der Beschreibung, die Parker von Ed Milstone gegeben hatte. Auf einem Stuhl neben dem Mann stand die schwarze Ledertasche, die Pickett aufgefallen war.

Sein Gesprächspartner stach von den sonst eher lässig gekleideten Gästen durch gediegene Eleganz ab. Sein dunkler Abendanzug stammte mit Sicherheit nicht von der Stange, wie Rander schon aus der Entfernung registrierte. Der Mann schien nur wenig jünger als Milstone und machte den Eindruck eines mit allen Wassern gewaschenen arabischen Geschäftsmannes.

Gerade war ein Kellner zu den beiden unterwegs. Auf dem Tablett in seiner Hand standen zwei Teegläser und eine Messingschale, die Pistazienkerne und Nüsse enthielt.

Als habe er endlich einen Tisch gefunden, durchschritt Rander rasch das Lokal und legte seinen Weg so, daß er kurz vor dem Tisch der beiden mit dem Kellner Zusammentreffen mußte.

»O Verzeihung«, murmelte der Anwalt.

»Verzeihung, Sir«, sagte auch der Kellner.

Der junge Bursche war flink genug gewesen, dem Zusammenprall auszuweichen, den Rander provozieren wollte. Auch sein Tablett hatte er rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Randers Plan, die hellbraune Erbse unauffällig in der Nußschale unterzubringen, war gescheitert.

Aber nur im ersten Anlauf, denn im selben Moment kam die Bauchtänzerin auf der Bühne dem Anwalt ungewollt zu Hilfe.

Der plötzlich losbrechende Beifall ließ vermuten, daß sie gerade eine besonders akrobatische oder sonstwie reizvolle Darbietung gab. Neugierig drehte sich der Kellner zur Bühne um und übersah dabei, daß Rander die »Wanze« flink zwischen Pistazien und Walnußkernen verschwinden ließ.

Auch Milstone und seinem arabischen Gesprächspartner fiel nichts auf. Sie hätten durch Randers breiten Rücken hindurchsehen müssen, um die blitzschnelle Manipulation zu bemerken.

Gelassen suchte der Anwalt einen Platz in der Nähe der Bühne, der einen guten Überblick bot, und bestellte sich einen Pfefferminztee. Dabei fiel ihm auf, daß der junge Engländer, der so deutliches Interesse für Milstones Tisch gezeigt hatte, nun auch ihn verstohlen musterte. Hatte er etwas gemerkt?

*

Die Qualität des Mikrosenders in der Messingschale auf Milstones Tisch war erstaunlich gut. Parker wunderte sich nur über die rumpelnden Störgeräusche, die hin und wieder den klaren Empfang überlagerten. Er konnte nicht wissen, daß dieses Rumpeln immer dann entstand, wenn einer der Männer in die Schale mit Nüssen langte.

Mike Randers zeitweilige Befürchtung, Milstone oder sein Gesprächspartner könnten die »Wanze« unbemerkt verschlucken, erwies sich jedoch als unbegründet. Die glatte Perle war zwischen den Nüssen hindurchgerutscht und lag ungefährdet auf dem Grund der Schale.

»Sie sind ein gerissener Fuchs, Milstone«, hörte der Butler eine Stimme mit leicht arabischem Akzent. »Es war ausdrücklich vereinbart, daß Sie mir nicht nur die Konstruktionspapiere liefern, sondern auch den Prototyp.«

»Ich weiß, El Malud«, gab Milstone ärgerlich zurück. »Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich den Prototyp erst morgen abend liefern kann.«

»Dann werden Sie auch die fünfzigtausend Pfund erst morgen abend erhalten«, entgegnete sein Gegenüber. Die Stimme klang liebenswürdig, hatte aber einen eisigen Unterton.

»Entweder Sie zahlen mir die Hälfte jetzt, El Malud, oder ich nehme die Papiere wieder mit.«

»Ohne den Prototyp kann ich mit den Papieren auch nichts anfangen, Mister Milstone.«

»Ich hätte den Prototyp ja mitgebracht, wenn mir nicht jemand anders zuvorgekommen wäre, EI Malud.«

»Was soll das heißen, Mister Milstone, daß Ihnen jemand anders zuvorgekommen ist?«

»Es gibt eine andere Gang, die ebenfalls auf den Laser scharf ist. Die Leute haben meinen Jungs das Ding vor der Nase weggeschnappt. Künstlerpech sozusagen.«

»Diese Geschichte klingt nicht sehr glaubwürdig, Mister Milstone. Ich würde eher annehmen, daß Sie den Prototyp als Pfand zurückhalten, um meine Zahlungswilligkeit auf die Probe zu stellen.«

»Unsinn, El Malud.«

»Warum sind Sie dann so sicher, mir den Prototyp morgen abend liefern zu können, Mister Milstone?«

»Weil ich inzwischen weiß, wer die anderen sind, El Malud. Im Morgengrauen werde ich mit meinen Leuten das Haus umstellen und mir den Prototyp holen.«

»Der Prophet sagt: Vertraue den Menschen, aber glaube keinem Gottlosen, Mister Milstone.«

»Sie können mir glauben oder mißtrauen, El Malud. Dadurch ändert sich nichts.«

»Gut, Mister Milstone. Ich will Ihnen glauben und auf ihre Bedingungen eingehen. Die Tasche mit den Konstruktionsunterlagen haben Sie abgeliefert. Hier ist der Umschlag.«

»Aber...«

»Es sind nur fünfundzwanzigtausend drin, Mister Milstone. Sie sehen, El Malud ist ein ebenso vorsichtiger Geschäftsmann wie Sie.«

»Dann sehen wir uns morgen am selben Ort zur selben Zeit, El Malud.«

»Allah wird es nach seinem Willen fügen, Mister Milstone.«

Parker hörte Stühle scharren. Die Männer erhoben sich. Ihre Stimmen entfernten sich und tauchten in der Geräuschkulisse der Gaststätte unter.

Der Butler wollte den Empfänger schon abschalten, als ein Poltern aus dem Lautsprecher am Armaturenbrett drang. Gegen dieses akustische Inferno waren die gelegentlichen Störungen während der Unterhaltung ein leises Murmeln gewesen.

Aufgeregte Stimmen wurden hörbar. Schreie. Dann Schüsse ...

*

Josuah Parker verließ seinen Privatwagen und steuerte den Parkplatz neben dem Bauchtanzlokal an. Er bog gerade um die Ecke, als ein italienischer Sportwagen mit heulender Maschine und quietschenden Reifen aus der Einfahrt schoß.

Der Fahrer und sein Beifahrer schienen es derart eilig zu haben, daß es Ihnen auf ein Menschenleben nicht ankam: Nur mit einem beherzten Sprung zur Seite konnte der Butler sich in Sicherheit bringen. Allerdings war er auch in dieser Situation darauf bedacht, seine würdige Haltung zu bewahren.

Gleich darauf stürzten drei Männer mit finsteren Gesichtern und ausgebeulten Jacken aus dem Nebenausgang. Sie rannten über den Parkplatz, ohne den Butler auch nur eines Blickes zu würdigen.

Ohne Zögern betrat Parker das Gebäude und fand sich schon nach wenigen Schritten hinter der Bühne wieder. Im Lokal war es totenstill geworden. Nur Milstones Stimme war plötzlich zu hören.

»Sie leiden an Wahnvorstellungen, El Malud!« fauchte er wütend. »Wenn ich den Kerl bestellt hätte, hätten meine Leute doch nicht auf ihn geschossen.«

Vorsichtig riskierte der Butler einen Blick hinter dem Vorhang her. Alle Gäste des Lokals, Mike Rander eingeschlossen, standen unbeweglich mit erhobenen Händen.

Milstone hatte in der offenen Tür Posten bezogen, flankiert von seinen Leibwächtern, die langläufige Pistolen mit Schalldämpfer im Anschlag hielten.

»Sie haben die Ware ordnungsgemäß erhalten, El Malud«, knurrte der Waffenschmuggler. »Wenn Sie nicht drauf aufpassen, ist das Ihr Problem.«

Anschließend trat er den Rückzug an.

»Das war Ihr letzter Streich, Mister Milstone«, hörte Parker einen elegant gekleideten arabischen Geschäftsmann sagen, der mitten unter den Gästen stand.

Butler Parker und Anwalt Rander verständigten sich durch Zeichen. In der allgemeinen Unruhe nach Milstones Abgang verließen sie unverzüglich und unbemerkt das Haus.

»Das war vermutlich nicht eingeplant«, berichtete Mike Rander, während sie im hochbeinigen Monstrum Platz nahmen und Parker den Motor startete. »Ein Bursche, der schon im Lokal war, als ich kam, riß die schwarze Tasche an sich und flüchtete durch den Hinterausgang. Milstones Leute schossen zwar noch hinter ihm her, aber getroffen haben sie ihn anscheinend nicht.«

»Meine Wenigkeit hatte Gelegenheit, die etwas überstürzte Abfahrt des jungen Herrn mitzuerleben«, ließ Parker sich vernehmen. »Demnach scheint endgültig und zweifelsfrei festzustehen, daß sich der Prototyp in Mister Milstones Besitz befindet.«

»Sie meinen, daß der Dieb von der Konkurrenzbande geschickt war, die ihm das Gerät abjagen will, weil sie am Panzerschrank nicht zum Zug kam?« vergewisserte sich der Anwalt.

»Das ist exakt die Überlegung, die meine Wenigkeit anstellte, Sir.«

»Aber es könnte doch auch sein, daß die anderen im Besitz des Prototyps sind und von Milstone die Papiere haben wollen, Parker.«

»Auch diese Möglichkeit dürfte in Betracht kommen, Sir«, räumte Parker ein. Noch vor Morgengrauen sollte sich jedoch herausstellen, daß der Butler mit seiner Vermutung richtig lag.

Milstones Wagen war natürlich schon weg, als das hochbeinige Monstrum am Eingang des Lokals vorbeirollte. Aber an der Ecke stand der Spaziergänger mit dem kleinen Hund und deutete in die Richtung, in der der schwarze Bentley des Waffenschmugglers verschwunden war.

Beim Abbiegen gewahrte Parker in der Ferne die Rücklichter der schweren Limousine und ließ das Zusatztriebwerk seines schwarzen Gefährts aufröhren. Schon nach wenigen Minuten hatte er soweit aufgeholt, daß er den Bentley mühelos im Auge behalten konnte, ohne selbst bemerkt zu werden.

»Mister Milstone scheint die Absicht zu haben, ohne Umwege sein Zuhause anzusteuern«, bemerkte Parker gerade, als sich eine mit zwei Männern besetzte Ford-Limousine in rasantem Tempo an seinem Fahrzeug vorbeischob. Die Insassen schenkten dem hochbeinigen Monstrum jedoch keine Beachtung. Der Fahrer scherte wieder ein und hielt sich in der geräumigen Lücke zwischen Parkers und Milstones Fahrzeug.

Sekunden später – an einer schlecht beleuchteten Kreuzung – geschah es.

Gleichzeitig kamen von links und rechts zwei Wagen in die Fahrbahn geschossen und stoppten mitten auf der Kreuzung. Geistesgegenwärtig trat Milstones Fahrer auf die Bremse und kam zwei Meter vor dem Hindernis zum Stehen.

Rücksichtslos würgte er den Rückwärtsgang ins beleidigt kreischende Getriebe. Doch die Flucht nach hinten war versperrt. Der Fordfahrer, der Parker kurz zuvor überholt hatte, stellte seinen Wagen quer und schnitt dem Waffenschmuggler den Rückzug ab.

Während Parker sein hochbeiniges Monstrum in respektvoller Entfernung zum Stehen brachte, peitschten schon die ersten Pistolenschüsse durch die Nacht.

Scheiben splitterten, Schreie ertönten. Autotüren flogen auf.

Blitzschnell zerrten zwei Unbekannte den heftig widerstrebenden Milstone aus seinem Fahrzeug. Ein Faustschlag in die Magengrube machte ihn gefügig.

Kurze Zeit später hatten die Männer ihn in dem Ford verstaut. Mit aufheulender Maschine und jaulenden Pneus jagte das Fahrzeug um die Ecke. Gleich darauf waren auch die beiden anderen Wagen verschwunden. Nur Milstones Bentley stand verlassen auf der Kreuzung.

»Der bei dem Überfall entstandene Lärm dürfte kurzfristig Mitmenschen anlocken, die Mister Milstones möglicherweise verletzten Begleitern die notwendige Hilfe zuteilwerden lassen«, meinte Parker. »Man sollte deshalb unverzüglich die Verfolgung der Entführer aufnehmen, falls der Vorschlag genehm ist, Sir.«

»Ich wüßte nichts, was mir genehmer wäre, Parker«, stimmte Rander zu.

In scharfem Tempo bog der Butler in eine schmale Seitenstraße ein. Er kannte dieses Viertel mindestens ebenso gut wie die ständig wechselnden Launen seiner Herrin. Vielleicht würde es ihm gelingen, den Gangstern den Weg abzuschneiden ...

»Da sind sie!« Aufgeregt deutete Mike Rander nach vorn. In wilder Fahrt jagte der Ford über die St. Martin’s Lane, die zu dieser späten Stunde glücklicherweise nur wenig belebt war. Über Whitehall und Parliament Street ging es zur Westminster Bridge, dann weiter in Richtung South Lambeth.

In der Nähe der Markthallen schwenkte der Ford unvermittelt in eine Fabrikeinfahrt. Als Parkers hochbeiniges Monstrum ein paar Augenblicke später am offenen Tor vorbeirollte, registrierte der Butler aus dem Augenwinkel, wie Milstone aus dem Ford gezerrt wurde. Er wehrte sich nur noch schwach.

*

»Sind das auch alles Wanzen?« wunderte sich der Anwalt.

Parker hatte sein Fahrzeug in einer Seitenstraße abgestellt, nahm ein Zellophanpäckchen mit grünen Trockenerbsen aus dem Handschuhfach und ließ es in die linke Außentasche seines altväterlich geschnittenen Zweireihers gleiten.

»Mitnichten, Sir«, entgegnete der Butler. »Es handelt sich um gewöhnliche Erbsen, die meine Wenigkeit in einem Supermarkt erstand.«

»Sie wollen doch nicht etwa anfangen, Eintopf zu kochen?« mokierte sich Rander. »Oder wollen Sie die Dinger als Geschosse benutzen, Parker? Sind Ihnen die Tonerbsen ausgegangen?«

»Meine Wenigkeit hatte kürzlich Gelegenheit, die Ballade eines deutschen Dichters namens August Kopisch zu lesen«, erläuterte Parker dem verdutzt dreinblickenden Anwalt. »Das Werk trägt den Titel ›Die Heinzelmännchen von Köln‹, und enthält eine bemerkenswerte Anregung, die man gern auf ihre praktische Brauchbarkeit prüfen möchte.«

»Sie reden in Rätseln, Parker«, resignierte Rander, dem das Gedicht unbekannt war. »Aber ich lasse mich überraschen.«

»Man sollte sich dem Gebäude, in das Mister Milstone gebracht wurde, aus der Tiefe des Geländes nähern, Sir«, schlug der Butler vor. »Am Tor dürften mit Sicherheit bewaffnete Posten aufgestellt sein, falls der Hinweis erlaubt ist.«

Rander nickte, und sie machten sich auf den Weg.

Die Mauer, die das kleine Fabrikareal umgab, war weder für Josuah Parker noch für Mike Rander ein ernst zu nehmendes Hindernis. Als sie sich auf der Innenseite in den dunklen Hof hinabließen, trat der Anwalt jedoch auf eine leere Coladose, die mit leisem Scheppern zur Seite rollte.

»Da! Was war das?« hörten die Eindringlinge eine gedämpfte Männerstimme vom Tor her.

»Ratten! Was sonst?« antwortete eine zweite Stimme.

»Ich seh’ aber doch mal nach«, war der erste Mann wieder zu vernehmen.

Schritte kamen über den Hof. Eine Taschenlampe blitzte auf. Parker und Rander duckten sich hinter einen Geräteschuppen.

Große Lust zu einer gründlichen Inspektion schien der Wachmann nicht zu haben. Flüchtig ließ er den Lichtkegel seiner Lampe an der Mauer entlanggleiten, knipste sie aus und kehrte zu seinem Kollegen zurück.

»Wir werden die Burschen nicht umgehen können, Parker«, flüsterte der Anwalt kaum hörbar. »Der Eingang zum Haus liegt zu nahe am Tor.«

»Man wird die Herren bitten müssen, sich für eine gewisse Zeit blind und taub zu stellen«, gab Parker ebenso leise zurück.

Unsichtbar glitten die nächtlichen Besucher über den stockfinsteren Hof und näherten sich lautlos den ahnungslosen Wachposten.

Die Männer waren auch noch ahnungslos, als sie fast gleichzeitig in den Knien einknickten und sich leise röchelnd auf das Pflaster betteten. So blitzartig hatte Parker den rechten Burschen mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Regenschirmes behandelt, während Rander den linken mit einem präzise angesetzten Haken außer Gefecht setzte.

Jeder von Ihnen fand einen Platz in einer leeren Mülltonne. Die Deckel befestigte Parker ausbruchsicher mit zähem Paketklebeband.

»Ob im Haus auch noch Wachen aufgestellt sind?« flüsterte der Anwalt, während er mit Parker zur Tür schritt, durch die Milstone von seinen Entführern ins Haus getragen worden war.

»Man sollte mit dieser Möglichkeit unter allen Umständen rechnen, falls die Meinung meiner Wenigkeit gefragt ist, Sir«, mahnte der Butler zu erhöhter Vorsicht.

Die Tür war verschlossen. Aufmerksam legte Parker sein Ohr an das Holz. Erst als er dahinter keinerlei Geräusche hörte, zog er sein kleines Spezialbesteck aus der Tasche. Das handliche Werkzeug, das an das Besteck eines Pfeifenrauchers erinnerte, hatte schon manchen versperrten Weg geöffnet und bewährte sich auch jetzt.

Behutsam ließ der Butler den passenden Fühler in das moderne Zylinderschloß gleiten. Einige Sekunden dauerte es, dann gab der Mechanismus seinen sanften Überredungskünsten nach. Kaum hörbar glitt der Riegel zurück.

Der Flur, in dem Parker und Rander lauschend standen, war stockdunkel. Nur von der Kellertreppe drang ein schwacher Lichtschimmer nach oben. Der Anwalt wollte schon den Fuß auf die erste Stufe setzen, doch die schwarz behandschuhte Rechte des Butlers hielt ihn zurück.

Jetzt hörte Mike Rander auch die leisen, scharrenden Geräusche. Sie kamen aus dem Kellergang, der rechtwinklig am Fuß der Treppe abzweigte. Jemand räusperte sich gedämpft. Papier raschelte. Ein Streichholz flammte auf.

Plötzlich war auch eine Stimme zu hören. Sie klang wütend und unbeherrscht und schien aus einem weiter entfernten Raum zu kommen, dessen Tür geschlossen war.

»Ich mach dich fertig, wenn du nicht endlich auspackst, Milstone!« brüllte der Unbekannte. »Wo hast du den verdammten Prototyp versteckt?«

Milstones Antwort war nicht zu hören, dafür aber dumpfes Klatschen von Schlägen und ein unterdrückter Schrei.

»Reingelegt hast du mich, du Hund«, reagierte der Mann schreiend seinen Frust an Milstone ab. »Ich dachte, in der Tasche wäre das Gerät. Was soll ich mit dem verdammten Papier?«

»Der Chef ist ganz schön in Fahrt heute«, raunte einer der Bewacher im Gang. »Ich würde auch lieber drinnen mitwirken, als hier dämlich herumzustehen.«

Seelenruhig zog der Butler die Tüte Erbsen aus der Tasche seines schwarzen Zweireihers. Er leerte die Packung auf dem oberen Treppenabsatz, ehe er lautlos wieder in den dunklen Flur zurücktrat, und auch Mike Rander ein Zeichen gab, in Deckung zu gehen.

Leise prasselnd fielen die getrockneten Hülsenfrüchte auf den Beton und hüpften mit klickenden Geräuschen von Stufe zu Stufe.

»Hast du das gehört?« drang eine Stimme aus dem Gang.

»Was war das für ein seltsames Geräusch?« fragte ein zweiter Mann.

»Ich gehe der Sache mal auf den Grund«, kündigte der erste großspurig an. Das war allerdings auch die letzte verständliche Äußerung, die er in dieser Nacht von sich gab.

Der Mann reagierte mit überraschtem Aufschrei, als er den Fuß der Treppe erreichte und die Erbsen unter seinen Schuhsohlen die Wirkung von Bananenschalen entfalteten.

Er zeigte Verrenkungen wie ein ungeschickter Schlittschuhläufer, der sich zum erstenmal aufs Eis wagt. Mit den Armen ruderte er in der Luft und suchte vergeblich nach einem Halt.

Der Mann, der das Schicksal der Heinzelmännchen von Köln teilte, stieß einen gurgelnden Laut aus, als sein Hinterkopf unvermittelt mit dem eisernen Treppengeländer Bekanntschaft machte. Seine Neugier schien plötzlich gestillt. Seufzend machte er es sich auf dem harten Beton bequem.

Dafür war bei seinem Kollegen der Wissensdurst erwacht. Allerdings zeigte auch er sich etwas ungestüm und bemerkte die rollenden Hülsenfrüchte unter seinen Füßen erst, als es schon zu spät war. Dem Mann riß es die Beine unter dem Leib weg, als wäre er ahnungslos auf eine spiegelblanke Eisbahn getreten.

Ein dunkler, hohler Glockenton war zu vernehmen, als er auf seinen Kollegen kippte und die beiden Gangsterschädel unsanft zusammenstießen. Anschließend wurde es unten still.

In dem verschlossenen Raum, in dem Ed Milstone von seinem Konkurrenten mit harten Bandagen verhört wurde, hatte man den Zwischenfall anscheinend nicht bemerkt. Josuah Parker und Mike Rander setzten ihren Weg fort.

*

An der Tür angelangt, legte der Butler das Auge ans Schlüsselloch. Dann gab er auch dem Anwalt Gelegenheit, sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was sie hinter dieser Tür erwartete.

Erst gewahrte Rander nur die dunklen Umrisse eines Mannes, der mit dem Rücken zur Tür stand. Als der Unbekannte einen Schritt zur Seite trat, wurde auch der Blick auf Edward Milstone frei.

Der Waffenschmuggler war mit kräftigen Stricken an einen Stuhl gefesselt und machte einen mitleiderregenden Eindruck. Seine Nase blutete. Sein Gesicht war von den Fausthieben aufgequollen, mit denen die Folterknechte an seiner Seite ihn traktiert hatten. Kraftlos hing er in seinen Fesseln. Sein Kopf pendelte hin und her.

»Du willst es ja nicht anders, Milstone«, fuhr der Mann mit dem Rücken zur Tür seinen apathischen Gefangenen an. »Wir steigen jetzt auf Elektroschocks um.«

Das war der Moment, in dem Parker blitzschnell die Tür öffnete und eintrat. »Folter als Mittel der Wahrheitsfindung sollte unter zivilisierten Menschen verpönt sein, falls die Anmerkung erlaubt ist«, erklärte er in mißbilligendem Ton.

Der Mann, der ihm den Rücken zukehrte, fuhr zusammen, als hätte er selbst einen elektrischen Schlag erlitten. Dieser Eindruck verstärkte sich, als der Butler den bleigefüllten Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirmes auf dem Hinterkopf des Unbekannten spazieren führte.

Am ganzen Leib zitternd, ging der Mann in die Knie. Ein gequältes Röcheln entrang sich seiner Kehle, während er sich vergeblich in Parkers Richtung umzuwenden versuchte. Mitten in der Bemühung verließen ihn aber nicht nur die Kräfte, sondern auch die Sinne.

Seine Assistenten schienen mit dem plötzlichen Ende des Verhörs nicht recht einverstanden. Wütend stürzten sie sich auf die Eindringlinge.

Parker, der mit einer derart unhöflichen Begrüßung schon gerechnet hatte, blickte dem ersten Angreifer gelassen entgegen, ehe er sich tief vor ihm verneigte.

Der Mann gab ein Geräusch wie eine rostige Dampfmaschine yon sich, als Parkers stahlharte Kopfbedeckung sich in seine Magengrube drängte und das sensible Organ massierte. Verzweifelt rang der Folterknecht nach Luft und japste wie ein Fisch auf dem Trockenen. Schweiß trat auf seine plötzlich kalkweiße Stirn, während er sich in die Horizontale begab und den Kopf zärtlich an die Schulter seines schlummernden Chefs schmiegte.

Der zweite Angreifer, der es auf Mike Rander abgesehen hatte, ließ sich dadurch nicht entmutigen. Er kam jedoch umgehend zur Einsicht, als seine Kinnlade mit der harten Faust des Anwalts Bekanntschaft machte.

Ed Milstone konnte die plötzliche Wende kaum fassen. Aus weit aufgerissenen Augen blickte er dem Butler und dem Anwalt entgegen.

»Mister Parker?« stammelte er. »Gut, daß Sie kommen.« Anschließend sank sein Kopf wieder kraftlos auf die Brust.

Rasch entfernte der Butler die Fesseln, behandelte Milstones Blutergüsse mit kühlendem Spray und hielt ihm schließlich das Fläschchen mit Riechsalz unter die Nase, das er stets bei sich zu führen pflegte.

»Sie haben mir das Leben gerettet, Mister Parker«, stöhnte der Waffenschmuggler, als er wieder die Augen aufschlug. »Die Burschen hätten mich fertiggemacht.«

»Ihre Befürchtung dürfte nicht ganz von der Hand zu weisen sein, Mister Milstone«, pflichtete der Butler ihm bei. »Darf man hoffen, daß Sie über die Identität Ihres Peinigers Auskunft geben können?«

»Der Mann heißt Clark Watson und ist spezialisiert auf Bankeinbrüche«, gab Milstone bereitwillig Auskunft.

»Ist Ihnen möglicherweise auch bekannt, Mister Milstone, wer Mister Watson darüber informierte, daß sich der begehrte Prototyp in Ihrem Besitz befindet?« bohrte Parker weiter.

»Da Watsons glücklose Tresorknacker im Knast sitzen, muß Pförtner Chickham jemand von meinen Leuten erkannt haben, ehe er ausgeschaltet wurde«, vermutete Milstone.

»Dieser Annahme möchte auch meine Wenigkeit ausdrücklich beipflichten, Mister Milstone«, versicherte der Butler. »Man wird Mister Chickham bei nächster Gelegenheit einen Besuch am Krankenbett abstatten.«

Der Bursche steckt mit Watson unter einer Decke«, war Milstone sich sicher. »Meine Leute haben ihn ja überrascht, als er Watsons Leute mit einer Eisensäge befreien wollte.«

»Darf man noch um Auskunft darüber bitten, ob Sie Mister Watsons Bekanntschaft erst heute nacht machten, Mister Milstone?«

»In der Szene kennt man sich natürlich, Mister Parker. Aber viel hatte ich mit Clark Watson nie zu tun. Der Bursche kennt nur seine Tresore und Panzerschränke. Deshalb wollte er auch unbedingt den Laser haben ...«

»... während es sich bei Ihnen, Mister Milstone, lediglich um technisches Interesse handelte, falls man sich nicht gründlich täuscht.«

»Ganz richtig«, grinste Milstone, dessen Lebensgeister allmählich wiederkehrten.

»Demnach darf man wohl davon ausgehen, daß Sie gegen eine Herausgabe des Corpus delicti keine Einwände mehr erheben, Mister Milstone?«

»Sie können das Ding geschenkt haben, Mister Parker. Ich habe die Nase voll, es ist im Wandschrank in meinem Büro versteckt. In einem Geheimfach.«

»Dann sollte man sich unverzüglich dorthin begeben.«

Rasch schleppten Parker und Rander die Wächter von der Treppe in den engen Kellerraum, den Milstone jetzt verlassen durfte. Bevor er die Tür sorgfältig abschloß, ergriff der Butler noch die schwarze Aktentasche mit den Konstruktionspapieren, die unbeachtet in einer Ecke stand.

»Man darf wohl die Hoffnung äußern, daß Sie für diesen kleinen Mißtrauensbeweis Verständnis zeigen«, wandte er sich an Milstone, bevor man den Weg zur Treppe antrat.

»Okay«, nickte Milstone. Gehorsam streckte er Parker die Hände entgegen und wartete, bis sich die Handschellen geschlossen hatten.

»Mister Rander und meine Wenigkeit werden Sie auf dem Weg nach oben stützen, Mister Milstone«, schlug der Butler zusätzlich vor. »Die Treppe scheint etwas glatt zu sein, falls man sich nicht gründlich täuscht.«

*

Edward Milstones Leibwächter schienen ausgemachte Pechvögel zu sein. Als Parker, Rander und der gefesselte Waffenschmuggler das Haus betraten, um den Prototyp aus dem Geheimfach zu holen, hingen die beiden schon wieder wie schlaffe Gummipuppen über ihren Tischen.

Parker nahm als erster das dumpfe Stöhnen von nebenan wahr, und schritt gleich weiter in Milstones Büro. Jennifer Burley war es, die die undeutlichen Laute produziert hatte. Die junge Frau war an Milstones Schreibtisch gefesselt. Ein Knebel hinderte sie daran, sich verständlich zu machen.

»Araber!« war das erste Wort, das sie hervorstieß, als Parker ihr wieder zu einer klaren Aussprache verholfen hatte. »Araber waren es. Sie wollten mich umbringen!«

Rasch löste der Butler die Fesseln der jungen Frau, so daß sie sich schluchzend an Milstones Brust werfen konnte.

»Sie haben mir ein Messer an den Hals gesetzt«, preßte sie unter Weinkrämpfen hervor. »Da habe ich das Versteck verraten. Sie hätten mich bestimmt umgebracht, Ed.«

Das raffiniert getarnte Geheimfach, das sich nur durch den Druck auf einen versteckt angebrachten Knopf öffnen ließ, stand offen. Und leer war es natürlich auch.

»Das kann nur El Malud mit seinen Leuten gewesen sein«, erklärte Milstone. »Warum hab’ ich mich bloß auf Geschäfte mit dem Hund eingelassen ...«

»Ihre Bedenken kommen spät, Mister Milstone«, merkte Parker ungerührt an. »Da Sie und Miß Burley aber noch am Leben sind, darf man vermutlich davon sprechen, daß Ihre Bedenken nicht zu spät kamen.«

»Jedenfalls werden Sie demnächst reichlich Zeit haben, über alles nachzudenken«, fügte Mike Rander hinzu.

»Ich weiß«, nickte Milstone, deprimiert. »Aber wenn ich das Schwein in die Finger kriege...«

»Erst mal müssen wir ihn in die Finger kriegen«, meinte der Anwalt, an Parker gewandt. »Wenn wir nur eine Ahnung hätten, wo der Bursche steckt.«

»Man sollte Mister El Malud vor Morgengrauen habhaft werden, ehe er mit seiner Beute Unheil anrichten kann«, ergänzte der Butler.

»Wieso vor Morgengrauen?« fragte Rander verdutzt.

»Die Solarzellen des Lasergerätes benötigen Tageslicht, Sir«, erläuterte Parker« »Künstliches Licht reicht keinesfalls, wie die Konstrukteure meiner Wenigkeit versicherten.«

»El Malud ist übrigens Eigentümer des Bauchtanzlokals, in dem ich mit ihm zusammentraf«, wies Milstone eine mögliche Spur.

»Dann sollte man unverzüglich das genannte Lokal aufsuchen, um sich nach dem Verbleib des Inhabers zu erkundigen«, schlug Parker vor, und der Anwalt nickte.

»Vorher rufe ich aber schnell noch Kathy an, damit sie sich keine Sorgen macht«, erklärte er und griff zum Telefon. Parker traf inzwischen Vorkehrungen, um Ed Milstone, Jennifer Burley und die beiden Leibwächter am Verlassen des Hauses zu hindern.

»Hallo, Kathy«, rief Rander strahlend, als Myladys Gesellschafterin sich meldete. Aber sofort wurde sein Gesicht wieder ernst. Gleich darauf nahm es den Ausdruck gespielten Entsetzens an.

»O Schreck, laß nach«, stöhnte Rander. »Muß das sein?«

»Na gut«, lenkte er nach kurzer Pause ein. »Wir können uns vor dem Bauchtanzlokal treffen. Die Adresse hast du noch?«

»Mylady hat wider Erwarten ihre Meditation unterbrochen«, teilte der Anwalt mit, sobald er den Hörer aufgelegt hatte. »Sie besteht darauf, alle weiteren Einsätze persönlich zu leiten.«

*

Mike Rander hatte nicht übertrieben. Wie ein Kampfstier schoß die resolute Dame aus dem Auto und wirbelte ihren Pompadour durch die Luft. Zu allem Überfluß hatte sie auch noch ein Taxi nehmen und bezahlen müssen, da Kathy Porters Minicooper für ihr Format nicht konstruiert war.

»Darf man von der Annahme ausgehen, daß Mylady meiner bescheidenen Wenigkeit bestimmte Aufgaben zugedacht haben?«

»Ich werde gegen diese Gangsterhöhle einen Überraschungsschlag führen«, gab die Detektivin bekannt. »Sie dürfen mich dabei begleiten, Mister Parker.«

»Fraglos haben Mylady auch geplant, den Nebenausgang überwachen zu lassen«, erinnerte Parker seine Herrin.

»Selbstverständlich habe ich das geplant, Mister Parker«, reagierte Lady Agatha entrüstet. »Mike, der gute Junge, wird aufpassen, daß der feige Schurke nicht türmt. Kathy kann ihm dabei helfen. Für sie ist es drinnen zu gefährlich.«

Als die resolute Dame mit finsterer Miene und hektisch kreisendem Pompadour in das Lokal stampfte, hallten ihre Schritte von den Wänden wider. Alle Gäste waren gegangen, die Bühne dunkel. Nur ein einsamer Kellner war noch mit Aufräumen beschäftigt.

Der junge Bursche schien nichts Gutes zu ahnen. Sobald er sein Erstaunen über die späten Gäste verwunden hatte, setzte er zu einem Spurt in Richtung Seitenausgang an. Parker war jedoch schneller.

Lautlos beschrieb die Bambuskrücke seines Universal-Regenschirmes einen Bogen und hakte sich an den Knöcheln des Fliehenden fest. Der Mann reagierte mit einem überraschten Schrei auf die unverhoffte Behinderung und riß mehrere Tische und Stühle um, ehe er in einer gestreckten Bauchlandung Kontakt zum Boden suchte.

»Fragen Sie den Lümmel, wo sein Chef sich versteckt hält, Mister Parker«, ordnete die Detektivin mit ihrer baritonal gefärbten Stimme an.

»Mister El Malud ist nicht im Haus«, gab der junge Orientale in akzentfreiem Englisch Auskunft.

»Der Lümmel wagt es, zu lügen«, empörte sich Agatha Simpson. »Überprüfen Sie seine Behauptung, Mister Parker.«

Während Mylady mit einsatzbereitem Pompadour bei dem jungen Mann Wache hielt, tat der Butler, wie ihm geheißen.

»Mister El Malud scheint sich tatsächlich außerhalb des Hauses aufzuhalten, Mylady«, meldete er nach einem Inspektionsgang durch alle Räume.

»Möglicherweise sind Sie in der Lage, über den derzeitigen Aufenthaltsort Ihres Arbeitgebers Auskunft zu erteilen?« wandte Parker sich an den Kellner.

»El Malud befindet sich an einem geheimen Ort«, wich der junge Mann aus.

»Geheim oder nicht«, fuhr Lady Agatha dazwischen. »Sie werden mir diesen Ort jetzt nennen. Sonst zwingen Sie mich, den Ton meines Verhörs zu verschärfen.«

»Nie würde ich einen islamischen Führer an Ungläubige verraten«, rief der Kellner pathetisch aus, während er verstohlen seine blauen Flecken zählte. »So wahr mir Allah helfe!«

Sein Stoßgebet verhallte ungehört. Jedenfalls half ihm niemand, als Myladys Pompadour mit der Zärtlichkeit eines Eisbrechers seine Schulter massierte.

Stöhnend ging der Mann in die Knie, verdrehte die Augen und griff instinktiv nach einem Halt. Da er aber schon alle Tische und Stühle im Umkreis umgeworfen hatte, faßte er nur ins Leere und bettete sich leise röchelnd auf die Dielen.

»Sorgen Sie dafür, daß der Bursche mir unverzüglich wieder zur Verfügung steht, Mister Parker«, wünschte Agatha Simpson. »Meine Zeit ist kostbar.«

»Dieser Umstand ist meiner Wenigkeit durchaus vertraut, sofern die Anmerkung erlaubt ist, Mylady«, versicherte der Butler, während er wiederum sein Riechsalz-Fläschchen einsetzte.

Wenig später schlug der Kellner die Augen auf und blickte verwirrt zu dem skurrilen Duo aus Shepherd’s Market hoch. Nur langsam schien ihm zu dämmern, daß diese Leute unmittelbar mit seiner schmerzenden Schulter und seiner unbequemen Lage auf dem Fußboden zu tun hatten.

»Darf man, ohne aufdringlich zu erscheinen, an Myladys Frage erinnern?« blieb Parker hartnäckig.

»Ich weiß nicht, wo El Malud ist«, behauptete der junge Mann.

»Er lügt schon wieder, der dreiste Lümmel«, ereiferte sich die Detektivin. »Die kleine Lektion hat nicht gereicht.«

»Hilfe!« schrie der Kellner und hob schützend die Hände vors Gesicht. »Ich gestehe!«

»Ein Entschluß, zu dem man Sie nur beglückwünschen kann«, merkte der Butler an. Er wollte die Frage nach El Maluds Aufenthaltsort gerade wiederholen, als Hundekläffen ihn stutzig machte.

»Ich hörte den Hilferuf und wollte nur mal nachsehen, was ist, Mister Parker«, entschuldigte sich Horace Pickett, der mit seinem kleinen Hund an der Leine hereinspazierte.

»Nichts Wichtiges, Mister Pickett«, beschied Agatha Simpson den ehemaligen Eigentumsumverteiler. »Ich verhöre nur einen unbedeutenden Mitläufer, der sich bisher allerdings recht verstockt zeigt.«

»Ach so«, nickte Pickett und musterte den jungen Kellner.

»Der Lümmel will nicht gestehen, wo sein Chef sich versteckt hält«, setzte die Detektivin Pickett ins Bild. »Aber ich werde die Wahrheit schon aus ihm herausholen.«

»Ich gestehe alles«, flehte der junge Mann, als Agatha Simpson sich ihm wieder zuwandte und ihren perlenbestickten Handbeutel wippen ließ. »El Malud leitet ein Manöver.«

»Ein Manöver?« unterbrach die ältere Dame ungläubig. »Der Lümmel ist doch kein General. Seit wann leitet ein Kneipenwirt ein Manöver?«

»El Malud ist Befehlshaber einer Kadertruppe, die für den heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen trainiert«, verriet der Kellner. »Heute nacht ist Einsatzübung in einem verlassenen Steinbruch.«

»Darf man hoffen, daß Sie über die Lage des erwähnten Steinbruchs Auskunft geben können?« hakte Parker nach.

»El Malud wird mich töten, wie es sich für einen Verräter gehört«, jammerte der junge Mann.

»Dazu wird er keine Gelegenheit bekommen, da ich ihn noch heute nacht festnehme und hinter Schloß und Riegel bringe«, beruhigte die Lady den verängstigten Kellner.

»Der Steinbruch liegt fünf Meilen nordöstlich von Dover«, gab der junge Mann sein Wissen preis. Exakt beschrieb er den Punkt, wo man die Landstraße verlassen mußte, um das verwilderte Gelände zu erreichen.

»Stimmt«, kommentierte Pickett. »Ich kenne den Steinbruch. Er wird gelegentlich auch von Mitgliedern der Londoner Szene zu Schießübungen genutzt.«

Parker warf einen Blick auf seinen Chronometer.

»Man sollte unverzüglich die Fahrt zum Manövergelände antreten«, schlug der Butler vor. »In wenig mehr als einer Stunde dürfte mit dem Anbruch der Morgendämmerung zu rechnen sein.«

*

Wie ein schwarzer Blitz schoß Parkers hochbeiniges Monstrum auf der nächtlich leeren Autobahn in Richtung Dover. Meile um Meile fraßen sich die Scheinwerfer durch die Dunkelheit. Parker nahm die letzte Abfahrt vor der Küste und erreichte bald darauf die Stelle, die der junge Kellner beschrieben hatte.

Mike Rander und Kathy Porter, die gern an dem Ausflug im Morgengrauen teilgenommen hätten, waren auf ausdrücklichen Wunsch der Detektivin in London zurückgeblieben. »Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn den Kindern etwas zustieße«, hatte sie erklärt.

Der Butler parkte den Wagen abseits der Straße zwischen hohen Büschen.

»Mit dem Auto ins Manövergelände zu fahren, dürfte mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sein, Mylady«, gab Parker zu bedenken.

»Eine Lady Simpson scheut vor keinem Risiko zurück, Mister Parker«, erwiderte die Detektivin. »Wenn ich Ihrer Anregung folge, dann nur, weil ich Verantwortung trage.«

Das Duo hatte erst wenige Schritte auf dem von dichtem Buschwerk gesäumten Schotterweg zurückgelegt, als sich von der Landstraße her ein Auto näherte. Postwendend gingen Josuah Parker und Agatha Simpson in Deckung.

Gleich darauf tauchte das unbeleuchtete Fahrzeug als Schattenriß in der gerade anbrechenden Dämmerung auf. Es handelte sich um einen Jeep, dessen Fahrer die holprige Strecke bei zügigem Tempo zu einem Stoßdämpfer-Test nutzte.

»Stoppen Sie dieses Fahrzeug, Mister Parker«, verlangte Mylady, als der Wagen schon fast vorüber war.

»Wie Mylady wünschen«, entgegnete Parker rasch und schwang sich geistesgegenwärtig auf die hintere Stoßstange.

Gelassen langte der Butler während der Fahrt über Stock und Stein in die Außentasche seines altväterlich geschnittenen Zweireihers. Während der Jeep Sprünge machte wie ein bockiges Wildpferd beim Rodeo, zog Parker eine kleine, rundum perforierte Plastikkugel heraus, die einem Pingpongball nicht unähnlich sah.

Niemand hörte das leise Splittern, als die Glasampulle im Innern des Bällchens unter dem Druck seines Daumens brach. Anschließend warf der Butler seinen Gruß durch das halb geöffnete Schiebedach ins Wageninnere.

Die glasklare Flüssigkeit aus der Ampulle reagierte ausgesprochen heftig mit dem Luftsauerstoff. Sekunden später war der Jeep mit einem betäubenden Gas gefüllt, das wiederum heftige Reaktionen bei den Insassen hervorrief.

Husten und Japsen wurde hörbar, während der Jeep in flotter Fahrt Kurs auf eine Felswand nahm. Sekunden später waren die Geräusche schon wieder verstummt.

Durchs Rückfenster erkannte Parker, daß die vier Männer im Jeep es sich zu einem Schläfchen bequem gemacht hatten. Das galt auch für den Fahrer, der das Lenkrad losgelassen hatte und mit dem Fuß vom Gaspedal gerutscht war.

Führerlos schlingerte der Wagen weiter, erklomm eine kleine Geröllhalde am Fuß der Wand und legte sich anschließend auf die Seite.

Parker, der seinen schwankenden Platz auf der Stoßstange vorher verlassen und wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sah sich nach einer Deckung um. Doch der Mann mit dem schwarzweiß gemusterten Arafat-Tuch, der auf einer Felsnase über dem umgekippten Jeep auftauchte, hatte ihn schon bemerkt.

Schreiend warf er sich in Parkers Richtung. Im grauen Dämmerlicht sah der Butler eine Dolchklinge blitzen, als der Mann auf ihn zuflog.

Seelenruhig hielt der Butler dem Angreifer aus der Luft seinen schwarzen Universal-Regenschirm entgegen. Der Kampfschrei ging unvermittelt in hilfloses Röcheln über, als die bleigefütterte Spitze des Regendachs den Solarplexus des Mannes massierte. Stöhnend ging er neben dem Butler zu Boden und vergaß seine Angriffsgelüste.

Doch Zeit zum Aufatmen blieb Parker nicht. Die Stimme, die er jetzt plötzlich im Rücken vernahm, hatte er wenige Stunden zuvor schon mal gehört.

Es war El Malud, der mit zwei Begleitern hinter einem Felsvorsprung aufgetaucht war. Die Männer hatten den Finger am Abzug ihrer Maschinenpistolen. El Malud selbst hielt einen grauen Zylinder in der Hand, dessen Oberseite mit geriffeltem Glas besetzt war.

»Allah sei gepriesen!« rief er und setzte ein teuflisches Grinsen auf. »Er hat seinen Kämpfern nicht nur diese Waffe geschenkt, sondern auch den Spitzel in unsere Hände gegeben, an dem wir diese Waffe ausprobieren werden.«

Der Butler war sich nicht sicher, ob das schwache Licht des frühen Morgens für den Laser ausreichen würde. Aber für die beiden Maschinenpistolen, deren Läufe auf ihn zeigten, war es mit Sicherheit nicht zu dunkel.

»Sie sollten mit Ihrem Experiment warten, bis die Sonne aufgegangen ist«, spielte er erst mal auf Zeitgewinn. »Bei den herrschenden Lichtverhältnissen dürften die Solarzellen wohl kaum zufriedenstellend arbeiten, falls der Hinweise gestattet ist.«

»Was versteht denn dieser ungläubige Hund davon?« wunderte sich El Malud.

Er wunderte sich noch mehr, als plötzlich donnerndes Gepolter die frühmorgendliche Stille zerriß. Entsetzt fuhren der Chef der Kadertruppe und seine Begleiter herum. Wie gelähmt starrten sie dem zentnerschweren Felsbrocken entgegen, der über einen steilen Hang auf sie zugerast kam.

Das war Parkers Chance. Blitzschnell griff er nach seinem schwarzen Bowler und ließ ihn in El Maluds Richtung davonschwirren. Der Mann stieß einen Schrei aus, als die scharfkantige Stahlkrempe über seine Schläfe strich.

Stöhnend taumelte er zur Seite und riß im Fallen einen seiner Leibwächter mit. Der Laser glitt ihm aus der Hand. Auch der zweite Waffenträger legte sich ohne Umschweife zu Boden, als der Butler mit der bleigefüllten Krücke des Universal-Regenschirmes nachdrücklich auf seine Schädeldecke pochte.

Die Männer hatten Glück im Unglück: Gebremst durch eine Bodenwelle verlor der kollernde Felsbrocken seinen Schwung, machte noch einen Hüpfer und blieb zwischen ihnen liegen.

Keuchend tauchte kurz darauf die Detektivin hinter einer Felsecke auf. An ihrem Kostüm war die Kletterpartie im Steinbruch nicht spurlos vorübergegangen. Auch der sogenannte Hut war verrutscht und hatte eine neue, abenteuerliche Form angenommen. Myladys Energie aber war ungebrochen.

»Wo steckt der feige Lümmel, Mister Parker?« erkundigte sie sich unternehmungslustig. »Hat er vor meinem schweren Geschütz die Flucht ergriffen?«

»Mister El Malud und seine sieben Mitstreiter stehen Mylady uneingeschränkt zur Verfügung«, meldete der Butler und deutete auf die müden Kämpfer.

»Und warum habe ich den Phototyp noch nicht sichergestellt, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Falls man nicht irrt, dürfte sich das Gerät unter dem Felsbrocken befinden, den Mylady dankenswerterweise zur Rettung meiner Wenigkeit in Bewegung setzten«, gab Parker zur Antwort.

Unter Aufbietung aller Kräfte wälzte der Butler den Stein zur Seite, bis ein formloses Knäuel aus Blech und Glassplittern sichtbar wurde.

»In diesem Zustand dürfte der Laser für Mister Clenwick nur noch sehr eingeschränkten Wert besitzen, Mylady«, merkte der Butler an.

»Hauptsache, er bekommt ihn überhaupt zurück, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin. »Und Mister McWarden wird sich wieder mal schwarz ärgern!«

Der exzellente Butler Parker Staffel 1 – Kriminalroman

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