Читать книгу Der exzellente Butler Parker Staffel 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9

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»Wenn es noch lange dauert, Mister Parker, werde ich im nächsten Ort einen kleinen Imbiß nehmen«, sagte Agatha Simpson ungeduldig. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und musterte gelangweilt die bilderbuchschöne Landschaft. Weideflächen wechselten ab mit Baumgruppen und Waldstücken. Die Sonne stand schon tief, bis zum Einbruch der Dunkelheit konnte es nicht mehr lange dauern.

»Mylady sollten vielleicht noch mit einer halben Stunde rechnen«, gab der Butler Auskunft. »Man wird in wenigen Minuten Cudlam Hill passieren.« »Und was hat das zu bedeuten?« grollte sie.

»Nach dem Durchfahren von Cudlam Hill sind es höchstens noch zwanzig Minuten, Mylady!«

»Ich hätte diese verrückte Einladung nicht annehmen sollen«, räsonierte sie. »Wie kann man sich nur in dieser Einöde vergraben?«

»Auf Mylady warten eine Treibjagd«, erinnerte der Butler, der am Steuer seines bemerkenswerten Privatwagens saß.

»Ich hasse Treibjagden«, gab die ältere Dame zurück, »aber Sir Alfreds Küche ist gut, denke ich.«

»Man wird sich mit Verlaub anstrengen, um Mylady zu verwöhnen«, versicherte Parker.

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben.« Sie räusperte sich explosionsartig. »Zur Not können ja Sie die Küche übernehmen, Mister Parker. Sie kochen zwar nicht besonders gut, aber immerhin.«

»Mylady verfügen eben über eine Zunge, die man allenthalben zu rühmen pflegt.«

»Das stimmt allerdings.« Sie nickte wohlwollend. »Ich nehme es mit jedem Feinschmecker auf, Mister Parker. Vielleicht sollte ich eines Tages einen Führer durch die Londoner Restaurants herausbringen. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Butler Parker war durch nichts zu erschüttern. Er kannte die wilden Gedankensprünge seiner Herrin nur zu gut. Sie nahm sich stets viel vor, doch mit der Ausführung ihrer Absichten und Pläne war es nicht weit her. Die ältere Dame ließ sich liebend gern ablenken und war dankbar für jede neue Anregung.

Lady Agatha hatte die Fahrt in den tiefen Süden von London aus einer Laune angetreten. Unter der Morgenpost hatte sie die Einladung Sir Alfreds vorgefunden, an seine vorzügliche Küche gedacht und sich sofort entschieden. An der angekündigten Treibjagd war sie mit Sicherheit nicht interessiert.

Man hatte Cudlam Hill erreicht. Das Städtchen schien aus einem Reiseprospekt zu stammen. Fachwerkhäuser herrschten vor und scharten sich um eine romanische Kirche. Es gab kleine Geschäfte und Gasthäuser.

Parker fiel sofort auf, wie klinisch sauber hier alles war. Es gab vorschriftsmäßig geschnittenen Rasen, Vorgärten, wie mit dem Lineal angelegt und kein Fenster ohne Blumenschmuck.

»Sehr hübsch«, urteilte die ältere Dame, »aber ziemlich langweilig, Mister Parker. Finden Sie nicht auch?«

»Mylady haben sicher den Eindruck, durch ein Freiland-Museum zu fahren«, erwiderte der Butler.

»Genau das wollte ich gerade noch hinzufügen«, behauptete sie sofort. »Ich vermisse eine gepflegte Unordnung.«

Parker warf einen Blick auf den Tourenzähler seines Wagens und minderte die Geschwindigkeit. Er hielt sich strikt an das Limit, das am Eingang zu dem kleinen, malerischen Städtchen per Hinweisschilder vorgeschrieben war.

»Sehen Sie, was ich sehe, Mister Parker?« ließ die passionierte Detektivin sich plötzlich vernehmen, beugte sich vor und blickte nach vorn durch die Windschutzscheibe.

»Mylady meinen jene Auseinandersetzung, die man nur als ausgesprochen handgreiflich bezeichnen kann?«

»Da wird doch ein Halbwüchsiger geschlagen«, empörte sie sich. »Halten Sie sofort!«

Parker reagierte unverzüglich.

Auf einem kleinen Parkplatz vor einem Gemüseladen wurde ein junger Mann von zwei ausgewachsenen Schlägern traktiert. Sie hatten ihm eine gefüllte Einkaufstüte aus dem Arm geschlagen und ohrfeigten ihn gezielt.

Der kaum Achtzehnjährige hatte keine Chance. Er schützte das Gesicht mit den hochgezogenen Unterarmen und fiel auf die Knie. Die beiden Schläger verzichteten deshalb auf ihre Fäuste und gingen zu ausgesprochen gemeinen Fußtritten über.

Lady Agatha hatte bereits den Wagen verlassen.

Der perlenbestickte Pompadour an ihrem rechten Handgelenk war bereits in heftige Schwingung geraten. Die ältere Dame fühlte sich wieder mal voll gefordert. Sie stand grundsätzlich auf der Seite der Unterlegenen.

Josuah Parker folgte diskret und würdevoll. Er bot das Bild eines untadeligen englischen Butlers, wie man ihn nur noch in entsprechenden Kostümfilmen zu sehen bekam. Er trug einen schwarzen Zweireiher, hatte die gewohnte schwarze Melone auf dem Kopf und trug einen altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten linken Unterarm »Darf man nach dem Grund der Diskussion fragen?« Parker hatte sich neben Agatha Simpson aufgebaut.

Die beiden Schläger fühlten sich angesprochen und drehten sich um. Ungläubiges Erstaunen war von ihren Gesichtern abzulesen. Mit solch einer Unterbrechung hatten sie nicht gerechnet.

»Ich hasse Fußtritte«, meinte Lady Agatha und ... verabreichte ihre erste Ohrfeige. Da sie mit Leidenschaft Golf spielte und auch den Sportbogen schoß, war ihre Armmuskulatur nicht gerade unterentwickelt.

Die ältere Dame setzte ihre linke Hand auf die rechte Backe des Schlägers und brachte ihn auf diese einfache Art völlig aus dem Gleichgewicht; um ihn restlos zu erschüttern, trat die resolute Dame ihm dann noch zusätzlich gegen das rechte Schienbein.

Der Schläger fiel gegen die Hauswand und rutschte danach langsam an ihr hinunter zu Boden.

Der zweite Schläger reagierte endlich.

Er holte zu einem Fausthieb aus und hatte keine Bedenken, eine Dame zu schlagen. Das Ziel seiner nicht gerade kleinen Faust war Myladys Gesicht.

Josuah Parker, normalerweise der rohen Gewalt abhold, kam diesem Schlag fast beiläufig zuvor. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes traf er den Solarplexus des Mannes und veranlaßte ihn, eine tiefe, fast höfliche Verbeugung zu machen.

In diesem Moment setzte die ältere Dame ihren Pompadour auf den Hinterkopf des Mannes, der plötzlich das Gefühl hatte, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er verdrehte die Augen und lagerte sich auf den Gehwegplatten.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau anzugreifen«, warnte sie anschließend den Schielenden mit baritonal gefärbter Stimme.

Der Halbwüchsige kroch inzwischen auf die Zuschauer dieser Szene zu und wollte sich in Sicherheit bringen. Um die verstreut liegenden Eßwaren aus der Einkaufstüte kümmerte er sich nicht.

»Halt, junger Mann«, donnerte Agatha Simpson, während Parker die beiden Schläger höflich-abwartend musterte. »Selbstverständlich wird man Ihnen den Schaden ersetzen. Wir kaufen jetzt noch mal gemeinsam ein.«

»Nein, nein«, stammelte der Halbwüchsige ängstlich. »Es ist schon gut.«

»Überhaupt nicht«, entschied die Detektivin und wandte sich an ihren Butler. »Bringen Sie die beiden Waschlappen auf die Beine, Mister Parker. Diese Subjekte werden selbstverständlich den Neueinkauf aus ihren Taschen bezahlen.«

»Eine Entscheidung, Mylady, die man nur als gerecht bezeichnen kann und muß«, gab Parker zurück. Er wußte bereits zu diesem Zeitpunkt, daß da wieder mal einiges auf Mylady und ihn zukam.

*

Der Halbwüchsige schleppte sich mit zwei prall gefüllten Tüten ab und machte dennoch einen unglücklichen Eindruck, als er im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz nahm.

»Sie hätten sich nicht einmischen sollen, Mylady«, meinte er und tupfte sich mit einem Papiertaschentuch die immer noch blutende Nase ab. »Sie haben ja keine Ahnung, was da alles nachkommen wird.«

»Nun reißen Sie sich mal zusammen, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Sie stehen unter meinem Schutz.«

»Jetzt noch, Mylady«, lautete die Antwort. »Aber Sie werden weiterfahren. Und dann werden die Männer wieder über mich herfallen.«

»Sollte es dafür einen bestimmten Grund geben?« schaltete der Butler sich vom Steuer her ein. Er fuhr die Hauptstraße hinunter und hatte die Absicht, den jungen Mann nach Hause zu bringen.

»Ich bin ein Pakistani«, sagte der Fahrgast mit leiser Stimme.

»Aha«, meinte Agatha Simpson ironisch. »Ich muß, Ihre Hautfarbe völlig übersehen haben.«

»Man hat Sie wegen dieser Hautfarbe geschlagen?« erkundigte sich Parker.

»Und weil ich Pakistani bin«, klang müde die Antwort. »Wir sind hier in Cudlam Hill nicht besonders beliebt.«

»Ihr Englisch ist recht gut, junger Mann«, stellte die ältere Dame fest.

»Ich bin ja hier geboren«, erwiderte der junge Mann, der älter sein mußte, als Mylady zuerst angenommen hatte. »Meine Eltern und ich sind vor einem Vierteljahr nach Cudlam Hill gezogen. Mein Vater bekam hier einen Job.«

»Darf man sich nach Ihrem Beruf erkundigen?« warf Josuah Parker ein.

»Ich arbeite als Dreher in einem kleinen Betrieb, aber ich hab’ schon die Kündigung in der Tasche.«

»Eine Kündigung wegen Ihrer Hautfarbe, junger Mann?« fragte Agatha Simpson interessiert.

»Wegen meiner Hautfarbe«, bestätigte der Fahrgast und wandte sich an den Butler. »Gleich rechts, Sir, dann das letzte Haus links.«

»Ich kenne genügend Leute, die Sie wegen Ihrer braunen Hautfarbe beneiden würden«, spottete die ältere Dame, »um sie zu erreichen, liegen sie für sündhaft teures Geld auf diesen verrückten Sonnenbänken.«

»Aber die sind weiß, wir sind von Geburt aus braun«, meinte der junge Mann resigniert. »Und genau das ist der Unterschied, Mylady.«

Parker hatte das kleine, ebenerdige Haus erreicht und hielt. Der junge Mann stieg aus und bedankte sich noch mal.

»Es war mir ein echtes Vergnügen«, gab die Detektivin zurück.

»Sie sprachen davon, daß noch etwas auf Sie zukommen würde«, erinnerte der Butler den jungen Mann, der die beiden hoch gefüllten Papiertüten in die Arme genommen hatte.

»Vergessen Sie es, Sir«, meinte der Pakistani hastig. »Sie sind ja nur auf der Durchreise.«

»Müssen Mylady davon ausgehen, daß sogenannte Fremde in Cudlam nicht sonderlich erwünscht sind?«

»Und zwar ganz gleich, welche Hautfarbe man hat«, lautete die Antwort. »Dafür sorgt schon der Sauber ...«

»Sie führen absichtlich Ihren Satz nicht zu Ende?«

»Schon gut. Nochmals, vielen Dank! Und gute Weiterfahrt!« Der junge Mann nickte und ging auf die kleine Haustür zu, die geöffnet worden war. In ihr stand wohl der Vater des jungen Mannes. Er war schmal, fast klein zu nennen, und verbeugte sich, als Parker grüßend die schwarze Melone lüftete.

»Was sage ich dazu, Mister Parker?« fragte die ältere Dame, als Parker langsam anfuhr.

»Mylady dürften entrüstet sein«, stellte der Butler fest.

»Das kann man wohl sagen, Mister Parker. Ich hätte noch viel intensiver zulangen sollen. Ich denke, ich werde noch mal zurückkehren und mir die beiden Schläger kaufen.«

»Mylady können sich nach Lage der Dinge diese Rückfahrt ersparen«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady brauchen nur in der Nähe des kleinen Hauses zu warten.«

»Aha. Die beiden Subjekte werden nachkommen, um sich für den Zwangseinkauf zu rächen?«

»In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »zudem müssen diese beiden Schläger ihr sogenanntes Image wahren. Darf man Mylady in diesem Zusammenhang an den Satz erinnern, den der junge Pakistani nicht zu Ende brachte?«

»Sprach er nicht von ...? Von wem sprach er noch?«

»Von einer Person, deren Name ›Sauber‹ lautet, wobei man davon ausgehen muß, daß zumindest eine Silbe aus Angst verschluckt wurde.«

»Selbstverständlich werde ich hier in der Nähe auf diese beiden Lümmel warten«, meinte Lady Agatha. »Der gute Sir Alfred kann warten. Die Sache hier hat absoluten Vorrang.«

Sie betastete freudig den sogenannten Glücksbringer in ihrem perlenbestickten Pompadour. Ihre Finger umrundeten das veritable Hufeisen in dem Handbeutel. Der Größe nach zu urteilen mußte es von einem mächtigen Brauereipferd stammen.

*

Das hochbeinige Monstrum stand hinter einer übermannshohen Hecke auf einem schmalen Feldweg. Parker hatte die Wagenlichter gelöscht und das Fenster auf seiner Seite nach unten gedreht. Er horchte in die Dunkelheit und rechnete jeden Augenblick damit, daß zumindest die beiden Schläger erschienen. Bis zum kleinen, ebenerdigen Haus, in dem die pakistanische Familie wohnte, war es nicht sonderlich weit.

Josuah Parker war durchaus damit einverstanden, daß man sich in dieses Geschehen einschaltete. Er war ein Mann ohne Vorurteile. Fragen der Hautfarbe interessierten ihn grundsätzlich nicht. Für ihn zählte nur die Tatsache, daß ein Mensch sich menschenwürdig benahm und verhielt.

»Sie haben die Lage wieder mal völlig falsch eingeschätzt«, räsonierte die ältere Dame und ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. »Selbstverständlich werden diese beiden Subjekte nicht erscheinen und ...«

»Man scheint zu kommen, Mylady«, meldete der Butler gemessen nach hinten in den Wagen.

»Unsinn«, widersprach sie, »das ist ein durchfahrender Wagen, der ... vor dem Haus hält.«

Sie war wie elektrisiert und stieß die linke Tür auf. Sie schob ihre imponierende Fülle nach draußen und brachte ihren Pompadour in Schwingung.

Parker verließ ebenfalls den Wagen und übernahm die Führung. Er hatte das leise Zuschlagen einer Wagentür gehört. Parker übernahm die Führung und geleitete seine Herrin durch ein schmales, geöffnetes Gartentor. Von hier aus konnte man bereits auf die Rückseite des kleinen Hauses blicken. Hinter zwei Fenstern brannte schwaches Licht.

Wenige Augenblicke später wußte der Butler, daß man sich nicht geirrt hatte. Die beiden Schläger standen in einem kleinen Wohnraum und waren bereits dabei, einen Tisch auf ihre spezielle Art abzuräumen.

Sie fegten mit Stahlruten das wenige Porzellan von der runden Platte. In einer Zimmerecke machte Parker den jungen Mann aus, der zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter hier Schutz suchte.

Der Butler passierte die beiden Fenster und erreichte die Hintertür, die verschlossen war. Er bemühte sein kleines Spezialbesteck und brauchte nur wenige Sekunden, bis er das mehr als einfache Schloß dazu gebracht hatte, sich zu öffnen.

»... zwanzig Pfund auf den Tisch«, sagte einer der beiden Schläger und wandte sich an die drei Hausbewohner, »und dann noch mal zwanzig Ordnungsstrafe.«

»Und zwar ein bißchen plötzlich«, warf der zweite Schläger ein Und fetzte mit seiner Stahlrute ein Bild von der Zimmerwand. »Anschließend unterhalten wir uns über eure Rückkehr nach London. Wir hier in Cudlam Hill wollen keine Fremden sehen. Langsam müßtet ihr das doch kapiert haben, wie?«

Ohne jede Vorwarnung schlug er nach dem Vater des jungen Pakistani und traf dessen Schulter. Der Getroffene stöhnte und wurde noch kleiner.

»Morgen haut ihr ab«, sagte der erste Schläger, »und falls nicht, brennen wir euch das Dach über den Köpfen ab.«

Josuah Parker öffnete die Tür zum Wohnraum und lüftete äußerst höflich die schwarze Melone.

»Wie klein ist doch die Welt«, sagte er dann. »So sieht man sich also wieder.«

Die beiden Schläger waren vorgewarnt und wollten sich nicht noch mal überrumpeln lassen. Wie auf ein geheimes Kommando hin stürzten sie sich auf Parker, doch sie erlebten ein weiteres Wunder, was diesen so konservativ gekleideten Mann betraf.

Der Butler verwandelte seinen Universal-Regenschirm in einen Kendo-Stab. Seine schwarz behandschuhten Hände umspannten den Schirmstock oben und unten. Dann kam es zu einer Reihe blitzschneller und verwirrend erscheinender Bewegungen, die die beiden Schläger völlig irritierten.

Bevor sie dann überhaupt begriffen, was mit ihnen tatsächlich geschah, nahmen sie sehr angeschlagen auf dem Teppich aus Reisstroh Platz und stöhnten um die Wette. Die Stahlruten hatten sie längst weggeworfen.

»Sie haben wieder mal übertrieben«, beschwerte sich Agatha Simpson grollend. »Ich kann doch jetzt nicht auch mit meinem Pompadour zulangen. Oder doch?!«

*

Sie hatten glasige Augen. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln, das man nur als ausgesprochen töricht bezeichnen konnte.

Parker hatte sie gebeten, den engen Kofferraum zu verlassen. Sie waren seinem Wunsch sofort nachgekommen und standen nun wie geistesabwesend neben Parkers hochbeinigem Monstrum.

Sie befanden sich eindeutig auf einer anderen Bewußtseinsebene, was mit dem Spezialspray zusammenhing. Der Butler hatte sie damit kurz behandelt, bevor er sie gebeten hatte, im Kofferraum Platz zu nehmen.

Dieser Spray, der auf der Basis von Lachgas entwickelt worden war, machte friedfertig und auch ein wenig apathisch. Er stammte aus einem Sprayfläschchen, das Parker stets mit sich führte.

»Man sollte vielleicht gemeinsam die Frische der Nachtluft genießen«, schlug Josuah Parker vor und deutete mit der Schirmspitze auf den Rand eines kleinen Waldstücks.

»Und etwas schnell, wenn ich bitten darf«, grollte die Stimme der älteren Dame, die am Wagenheck plötzlich unternehmungslustig auftauchte.

Die beiden benommenen Schläger gehorchten augenblicklich und setzten sich in Bewegung. Parker dirigierte sie unauffällig auf eine Buche zu, die einen besonders stämmigen Eindruck machte.

Hier ließ er die Männer Platz nehmen und scherenförmig die Beine ausbreiten. Da sie sich gegenübersaßen, umschlossen ihre Beine nun den Stamm, und Parker brauchte nur noch zwei seiner privaten Handschellen an den Fußgelenken anzubringen, um die Männer unentrinnbar am Stamm zu fixieren.

Sie fanden dies recht unterhaltsam und kicherten ein wenig albern. Ihnen war noch gar nicht aufgegangen, was da gerade passiert war. Sie grinsten den Butler fröhlich an.

»Wann werden diese Lümmel wieder ansprechbar sein?« fragte Agatha Simpson ungeduldig. »Ich habe keine Lust, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen.«

»Das Lächeln kündigt ein baldiges Erwachen aus dem Schwebezustand an, Mylady«, versicherte der Butler. »Darf man sich nach Myladys Kreislauf erkundigen?«

»Eine sehr gute Frage«, fand sie sofort. »Er ist natürlich in sich zusammengebrochen, Mister Parker.«

Der Butler wußte Rat.

Aus der Brusttasche seines schwarzen Covercoats, den er inzwischen trug, holte er eine lederumspannte Taschenflasche hervor, deren ovaler Verschluß als Trinkbecher dienen konnte. Der Butler füllte einen mehr als doppelten Cognac ab und reichte Mylady den Becher.

»Sehr schön«, meinte sie, nachdem sie durchaus gekonnt getrunken hatte. »Es geht mir bereits erheblich besser, Mister Parker. Nur weiter so.«

»Darf man Ihre Worte dahingehend interpretieren, daß Mylady noch einer weiteren Anregung bedarf?«

»Manchmal verstehen Sie mich auf Anhieb, Mister Parker«, lobte sie ihn und ließ sich einen zweiten Kreislaufbeschleuniger servieren. Dann blickte sie auf die beiden Männer, die nicht mehr fröhlich lächelten, sondern irritiert-ärgerlich an ihren Fußfesseln zerrten. Das schwache Mondlicht reichte völlig aus, um ihr Mienenspiel genau zu beobachten.

»Was soll der Quatsch?« fragte der erste Schläger wütend. Seine Zunge war zwar noch etwas schwer, doch man konnte deutlich heraushören, wonach er sich erkundigte.

»Mylady haben Ihnen und Ihrem Partner eine Nacht der Besinnung und inneren Einkehr verordnet«, erwiderte Josuah Parker. »In Ihrem Interesse ist zu hoffen, daß es möglichst nicht regnet.«

»Mann, uns findet hier doch kein Mensch«, beschwerte sich der zweite Schläger wütend.

»Es kostete in der Tat einige Zeit, bis man das geeignete Waldstück fand«, erklärte der Butler in seiner höflichen Art. »Sie werden mit einiger Sicherheit kaum gestört werden.«

»Dafür werden Sie noch zahlen«, drohte der erste Schläger. Seine Sprache wurde eindeutig flüssiger, die Wirkung des Sprays ließ merklich nach.

»War das gerade eine Drohung, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha freudig.

»Eindeutiger hätte solch eine Drohung kaum ausfallen können, Mylady.«

»Nun, so etwas läßt eine Agatha Simpson sich nicht bieten«, entschied sie prompt. »Ziehen Sie die Lümmel bis auf die Unterwäsche aus! Ich hoffe, daß die Nacht kalt wird.«

»Sind Sie wahnsinnig, Lady?« brüllte der zweite Schläger. »Wollen Sie uns umbringen?«

»Man könnte die beiden Männer auch freilassen, Mylady«, warf der Butler ein. »Aber dazu müßten Sie Mylady ausführlich berichten, in wessen Auftrag Sie die Pakistani-Familie aus Cudlam Hill vertreiben sollen.«

»Da könnt ihr lange warten«, lautete die Antwort, »aber ihr werdet euch noch wundern. Wir erwischen euch auch in London! Und dann seid ihr reif!«

»Um Ihnen unnötige Arbeit zu ersparen, sollten Sie vielleicht die Visitenkarte meiner Wenigkeit entgegennehmen«, schlug Parker vor. Zwischen seinen Fingern, die in schwarzen Lederhandschuhen steckten, erschien wie durch Zauberei eine Visitenkarte.

*

»Stopp, Mann ... Warten Sie doch!«

Der erste Schläger verlieh seiner Stimme einen bittenden und beschwörenden Unterton. Butler Parker und Lady Simpson, die sich umgedreht hatten und zum Wagen zurückgehen wollten, schienen jedoch nichts gehört zu haben.

»Wir packen ja aus«, rief der Schläger eindringlich. »Verdammt, wir können doch nicht die ganze Nacht hier rumsitzen.«

»Mylady sind an Auskünften nicht weiter interessiert«, antwortete der Butler, der stehengeblieben war.

»Eben haben Sie doch noch wissen wollen, für wen wir arbeiten, oder?«

»Wer würde schon Schläger Ihrer Provenienz beschäftigen?« fragte Josuah Parker.

»Der Saubermann«, lautete die Antwort, die den Butler hellhörig werden ließ. Er erinnerte sich an die Andeutung des jungen Pakistani, der die Silben »Sauber« erwähnt hatte.

»Mylady schätzen es keineswegs, belogen zu werden.« Josuah Parker ließ sich nicht anmerken, wie wichtig das eben gehörte Stichwort für ihn war.

»Wir lügen nicht. Wir arbeiten für den Saubermann«, schaltete der zweite Schläger sich ein.

»Und was soll Mylady sich unter diesem Saubermann vorstellen?«

»Der sorgt für Ordnung hier in der Gegend«, redete der Schläger hastig weiter.

»Aber wir wissen nicht, wer das ist«, fügte der andere Sitzende hinzu, »und das ist die Wahrheit.«

»Der Saubermann sorgt für Ordnung?« Mylady marschierte zurück zu den beiden Männern. Ihre Stimme klang bissig. »Für seine persönliche Ordnung, wie?«

»Für Ordnung eben«, sagte der Schläger. »Der sorgt für ›klar Schiff‹ und so, verstehen Sie, Lady?«

»Überhaupt nicht«, grollte sie. »Aber Subjekte wie Sie sind seine Vollstrecker, nicht wahr?«

»Der Saubermann sagt uns genau, was wir tun sollen.«

»Und Sie erledigen dies mit Fausthieben und Fußtritten?« fragte der Butler.

»Wer nicht kapieren will, der muß eben fühlen«, kam die zynische Antwort. »Mit der Zeit werden die schlaffen Säcke schon merken, wo’s lang geht.«

»Auf welche Art pflegt dieser Saubermann sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen?« wollte Parker wissen. Er wußte längst, daß die beiden Männer die Wahrheit sagten.

»Der ruft an, oder er hinterläßt Nachrichten«, hörten Parker und Lady Agatha. »Das ist von Fall zu Fall verschieden.«

»Sind Sie seine einzigen Handlanger?«

»Keine Ahnung«, meinte der andere Schläger achselzuckend. »Aber wir müssen wohl mehr sein. Überall werden die miesen Typen hochgenommen.«

»Und welchen Sold beziehen Sie?« lautete Parkers nächste Frage.

»Wir kriegen Kopfprämien«, sagte der Mann. »Für jeden Typ, den wir zur Ordnung rufen, kassieren wir zwanzig Pfund.«

»Sie befassen sich ausschließlich mit andersfarbigen Menschen?« In Parkers Stimme war nichts mehr von der sonst bekannten Verbindlichkeit zu verspüren.

»I wo, Mann«, hörte er. »Wir schnappen uns auch Typen, die weiß sind. Wir haben doch genug Schrott davon.«

»Aber Ihre Hinweise erhalten Sie nur von dem von Ihnen erwähnten Saubermann?«

»Nur von ihm«, erwiderte der Schläger, »so, jetzt haben wir ausgepackt. Sie sollten uns wieder freilassen.«

»Dazu werden Sie einen sehr persönlichen Beitrag leisten müssen«, gab Josuah Parker zurück. »Man wird Ihnen eine kleine Handfeile zur Verfügung stellen. Mit Fleiß, Ausdauer und Geschick brauchen Sie höchstens drei bis vier Stunden, bis Sie wieder frei sind.«

*

Auf Umwegen war Parker zurück zur Durchgangsstraße gelangt.

»Wie lange brauche ich denn noch, Mister Parker?« mäkelte die ältere Dame. »Ich habe Hunger, Mister Parker.«

»In zwanzig Minuten müßte man Cudlam Castle erreicht haben, Mylady, falls es nicht zu einem weiteren Zwischenfall kommt.«

»Ein weiterer Zwischenfall? Was stelle ich mir denn darunter vor?«

»Der sogenannte Saubermann dürfte inzwischen einige Erkenntnisse gewonnen haben, Mylady. Er wird seine beiden Handlanger vermissen. Darüber hinaus ist möglicherweise bereits bekannt, daß die pakistanische Familie Cudlam Hill per Taxi verließ, um in London Schutz zu suchen.«

»Sie glauben, daß dieses Subjekt bereits nach mir fahndet, Mister Parker?«

»Man sollte dies unterstellen, Mylady.«

»Nun ja, dagegen hätte ich überhaupt nichts einzuwenden.« Sie lächelte versonnen. »Ich denke, hier kündigt sich ein neuer. Fall für mich an, nicht wahr?«

»Mylady haben die Absicht, diesem Saubermann das Handwerk zu legen?«

»Aber selbstverständlich, Mister Parker.« Sie nickte nachdrücklich. »Man muß den selbsternannten Beglückern der Menschheit nachdrücklich auf die Finger schlagen, bevor sie völlig verrückt spielen.«

»Wenn es erlaubt ist, möchte meine Wenigkeit sich der Auffassung Myladys vollinhaltlich anschließen«, gab der Butler zurück. »Sir Alfred ist sicher in der Lage, einige weitere Hinweise auf diesen Saubermann zu geben.«

Während Parker sprach, registrierte er einen dunklen Morris, der an einer Bushaltestelle parkte. Im Licht der Wagenscheinwerfer machte der Butler zwei Insassen aus.

Seine innere Alarmanlage funktionierte und meldete sich. Mit sicherem Instinkt wußte er, daß der Morris dort nicht per Zufall stand. Der Saubermann schien tatsächlich bereits so etwas wie eine Fahndung eingeleitet zu haben. Als man die Haltebucht passiert hatte, setzte der Morris sich sofort in Bewegung und folgte dem hochbeinigen Monstrum.

Parker minderte das Tempo seines Wagens und ließ den Morris aufkommen. Der Fahrer des folgenden Wagens setzte sofort zu einem Überholmanöver an und passierte Parkers Privatwagen. Wenige Augenblicke später streckte der Beifahrer einen Leuchtstab durch das Seitenfenster und gab energische Haltzeichen.

»Was soll denn das, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson gereizt.

»Möglicherweise handelt es sich um eine Privatstreife der Polizei, Mylady.«

»Die ich mir aber verbitten möchte«, grollte sie aufgebracht. »Mit einem Leuchtstab kann schließlich jedes hergelaufene Subjekt arbeiten.«

»Eine Bemerkung, Mylady, die man nur als trefflich bezeichnen kann«, entgegnete der Butler, doch er ging auf das Haltezeichen ein und ließ seinen Wagen langsam ausrollen. Er hielt etwa drei Meter vor dem haltenden Morris. Dann langte er in eine seiner vielen Westentaschen und holte seinen ganz speziellen Spray hervor.

Die beiden Männer hatten bereits den Morris verlassen und kamen auf das hochbeinige Monstrum zu. Sie trugen Cordhosen, Lederwesten und dunkle Pudelmützen.

»Eigenartig«, räsonierte die ältere Dame. »Ich glaube, ich werde mich gleich sehr ärgern.«

»Aussteigen«, schnarrte der größere der beiden Männer. Sie hatten die Fahrerseite erreicht und bauten sich vor der Tür auf. Parker kurbelte das Fenster spaltbreit herunter.

»Würden Sie sich bitte erst mal legitimieren?« fragte der Butler.

»Streifengarde«, schnarrte der Mann weiter und wirkte sehr ungeduldig. »Aussteigen!«

»Und zwar ein bißchen dalli«, fügte sein Begleiter hinzu. Er langte nach dem Türgriff und wollte das Schloß öffnen, doch Parker hatte sämtliche Türen bereits zentral verriegelt.

Er war durchaus in der Lage, diese Abwehr noch zu steigern, doch vorerst verzichtete er darauf. Er wollte die Geheimnisse seines hochbeinigen Monstrums nicht vorzeitig preisgeben.

»Machen Sie die Tür auf«, brüllte der Mann, der wütend am Türgriff zog und zerrte.

»Darf man sich noch mal nach Ihrer Legitimation erkundigen?« fragte der Butler, »oder sollten Sie vielleicht gar nicht Vertreter einer Behörde der Krone sein?«

»Wir sind die Streifengarde. Und verdammt ... Sie werden uns gleich kennenlernen! Wetten?«

Während der Mann noch redete, hielt er plötzlich eine automatische Faustfeuerwaffe in der rechten Hand. Er richtete die Mündung auf die Wagenscheibe.

*

Josuah Parker sah sich gezwungen, Gegenwehr zu leisten.

Die beiden Männer bekamen nicht mit, daß seine linke Hand einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett umlegte, nachdem er mit der Spitze des linken Schuhs vorher die Gesamtsperre aufgehoben hatte. Dazu hatte er einen versteckt angebrachten Knopf oberhalb des Kupplungspedals betätigt.

Der Mann, der am Türgriff rüttelte und riß, wurde augenblicklich von konvulsivischem Schütteln erfaßt. Er zappelte wie an vielen unsichtbaren Fäden und führte einen wilden Tanz auf. Dazu stieß er Laute aus, die man nur als unartikuliert bezeichnen konnte.

Dies war an sich kein Wunder, denn der Türgriff stand unter Strom. Gesundheitliche Schäden waren jedoch kaum zu erwarten, da die Stromstärke gering war. Parker hatte diese Türsicherung nach dem Prinzip eines elektrisch geladenen Weidezauns eingebaut und war immer wieder überrascht, wie wirkungsvoll die Sperre war.

Der Mann brüllte also, stieß spitze Schreie aus und hinderte seinen Begleiter daran, von der mächtigen Schußwaffe Gebrauch zu machen. Inzwischen benutzte der Butler sein Sprühfläschchen, um die beiden Streifengardisten in ausgesprochen friedliche und heitere Stimmung zu versetzen.

Aus dem kleinen Zerstäuber entwich mit feinem Zischen der Spezialspray. Ein kaum wahrnehmbarer Feuchtigkeitsfilm legte sich prompt auf die Gesichter der Männer. Parker stoppte den Stromfluß und wartete auf die Reaktion der beiden wohl selbsternannten Streifengardisten.

Der Waffenträger warf bereits seine Automatic in hohem Bogen über Parkers Wagen auf eine Wiese. Der andere Gardist grinste töricht dazu und wischte sich nun über das Gesicht.

»Muß man unterstellen, daß Sie bereits lange warten?« fragte der Butler höflich.

»Seit ’ner Stunde schon ... Wir sin’ hinter ’nem Wagen her.«

»In dem sich zwei Insassen befinden?«

»’ne Frau und ’n Mann. Komische Typen.«

»Und wie lautet Ihr spezieller Auftrag, wenn man fragen darf? Oder hat der Saubermann verboten, nähere Angaben zu machen?«

»Hat er, hat er«, bestätigte der ehemalige Waffenträger und nickte. Dazu lächelte er breit und machte momentan einen durchaus zivilen Eindruck.

»Und wie melden Sie dem Saubermann, daß Sie Ihre Pflicht getan haben?« bohrte der Butler weiter.

»Der ruft uns an, klar? Ganz einfache Sache.«

»Und wo erreicht man die Streifengardisten?«

»Im Sportklub«, verriet der Mann, der elektrisiert worden war.

»Der sich wo befindet, meine Herren?« Josuah Parker gab sich überaus verbindlich.

»Na, wo wohl? In Cudlam Hill, auf der alten Biggin Farm. Die kennt doch jeder hier.«

»Sie sollten jetzt dort hinüber zur alten Feldscheune gehen«, schlug der Butler vor. »Dort werden Sie den gesuchten Wagen finden.«

Die Streifengardisten nickten, salutierten in einer Art, die man durchaus als militärisch bezeichnen konnte, wandten sich stramm um und marschierten zu der bezeichneten Feldscheune, die in Umrissen weit jenseits der Straße auf einer Weide stand.

»Sie lassen diese Lümmel gehen, Mister Parker?« entrüstete sich die ältere Dame. Sie hatte bisher geschwiegen.

»Mit weiteren Angaben dürfte kaum zu rechnen sein, Mylady«, versicherte Josuah Parker ihr.

»Das ist allerdings richtig.« Sie nickte ein wenig zögernd. »Nun gut, Mister Parker, man wird ja sehen. Aber nun weiter zu Sir Alfred. Ich fühle mich bereits ziemlich entkräftet.«

»Wenn Mylady gestatten, sollte meine Wenigkeit den Wagen vorher noch unbrauchbar machen.«

»Genau das wollte ich gerade Vorschlägen«, lautete ihre umgehende Antwort. ‘»Sollen die beiden Lümmel doch zu Fuß nach Dulham Hill gehen.«

»Cudlam Hill, Mylady«, korrigierte Parker, der aus langjähriger Erfahrung wußte, daß seine Herrin sich keine Namen merken konnte.

»Wie auch immer«, meinte sie unwirsch. »Was sind schon Namen, Mister Parker? Es kommt immer auf den Inhalt an, nicht wahr?«

»Meine bescheidene Wenigkeit würde es niemals wagen, Myladys Feststellungen anzuzweifeln«, sagte der Butler. Er blickte zu den beiden Männern hinüber, die gerade einen Stacheldrahtzaun überstiegen und weiter stur die Feldscheune ansteuerten. Vorerst war mit ihnen nicht mehr zu rechnen.

*

»Der Wahrheit die Ehre, meine Liebe«, bekannte Sir Alfred nach der Begrüßung. »Mir geht es bei der Einladung weiß Gott nicht um die Treibjad.«

»Aber das kalte Büfett wird es doch geben, oder?« Sie sah Sir Alfred nervös an.

»Selbstverständlich, Lady Agatha«, versicherte der Gastgeber. »Und es wird auch die Treibjagd geben, aber wie gesagt, ich habe Sie wegen einer völlig anderen Geschichte hierher gebeten.«

Während Sir Alfred noch sprach, blickte er wiederholt auf den Butler. Lady Agatha bemerkte diesen Blick und winkte ab.

»Mister Parker ist mein Vertrauter«, sagte sie knapp. »Reden Sie schon, Sir Alfred!«

»Könnten Sie möglicherweise Ärger mit einem gewissen Saubermann haben, Sir?« warf Josuah Parker ein.

»Saubermann?! Woher wissen Sie? Sie haben von ihm gehört?« Sir Alfred, ein großer, hagerer Sechziger mit weißem Haar und gleichfarbigem Schnauzbart, blickte den Butler irritiert an.

»Mylady nahm bereits Kontakt mit der gerade erwähnten Person auf«, erklärte der Butler in seiner höflichen Art, die niemals devot wirkte. »Mylady setzte sich überdies bereits mit zwei Männern auseinander, die sich als Streifengardisten bezeichneten.«

»Guter Gott«, stöhnte Sir Alfred verhalten. »Vielleicht hätte ich Sie vorher warnen sollen, wie? Es ist doch nichts passiert, oder?«

»Nicht mir oder Mister Parker«, gab die ältere Dame genußvoll zurück, »aber diese Subjekte werden sich ganz sicher nicht gern an mich erinnern.«

Sir Alfred hatte seine Gäste in der Bibliothek von Cudlem Castle empfangen. Hier war man unter sich und konnte sich ungestört unterhalten

Sir Alfred, ein alter Bekannter Myladys, war zwar Großgrundbesitzer, bezeichnete sich aber als Landwirt und Viehzüchter. Er gab sich keineswegs dem Nichtstun hin, sondern bewirtschaftete die Felder mit Sachkenntnis und Geschick. Sein Verhältnis zu den Mitarbeitern war durchaus als gut zu bezeichnen.

»Darf man hören, was passiert ist?« erkundigte sich Sir Alfred. Agatha Simpson blickte ihren Butler an.

»Fassen Sie sich aber kurz, Mister Parker«, forderte sie ihn auf. »Ich will endlich etwas essen.«

Der Butler faßte sich kurz. Er berichtete von dem Zwischenfall in Cudlam Hill, von der pakistanischen Familie und von den insgesamt vier Anhängern des Saubermannes.

»Pakistani«, sagte Sir Alfred, nachdem Parker ihn ins Bild gesetzt hatte, »das ist auch mein Problem, Pakistani und Inder... Ich habe einige Leute von ihnen hier bei mir angestellt. Und nun hat dieser Saubermann eine Ordnungsstrafe verhängt. Pro Person tausend Pfund. Lächerlich, natürlich, Lady Agatha, aber ich weiß aus Erfahrung, daß er dieses Geld eintreiben läßt.«

»Der erwähnte Saubermann verlangt natürlich auch die umgehende Entlassung der Pakistani und Inder, Sir?«

»Ich müßte sie eigentlich schon längst weggeschickt haben, aber der Saubermann hat mir noch eine Frist bis morgen um die Mittagszeit eingeräumt.«

»Per Telefon, Sir, wie zu vermuten ist?«

»Per Telefon«, bestätigte Sir Alfred und nickte. »Mein Verwalter hat den Anruf angenommen.«

»Wann, Sir, wenn man fragen darf, kam es zum ersten Kontakt mit dem Saubermann?« erkundigte sich der Butler.

»Vor drei Tagen, Mister Parker. Aber ich rechnete bereits schon seit Wochen mit solch einer Ordnungsstrafe. Der Saubermann ist schon seit etwa einem Monat tätig.«

»Eine Person, die dem Rassenhaß frönt, Sir?«

»Das bestimmt, aber auch ein Verrückter, der sich anmaßt, die Gesundung der Insel einleiten zu müssen. Moralisch gesehen, versteht sich.«

»Und was sagt die Polizei, mein Bester?« wollte Lady Agatha wissen.

»Die ist tätig, aber geschafft hat sie bisher überhaupt nichts.« Sir Alfred winkte resigniert ab. »Wir leben hier auf dem Land und haben nicht die Spezialisten wie Sie in der Stadt.«

»Keine Sorge.« Agatha Simpson setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung. »Nun bin ja ich hier, Sir Alfred. Betrachten Sie den Fall als bereits erledigt. Ist es nicht so, Mister Parker?«

»Mylady war bisher noch kein Täter gewachsen«, lautete die Antwort des Butlers.

*

Die ältere Dame machte einen zufriedenen Eindruck.

Sie hatte sich am kalten Büfett mit spielerischer Leichtigkeit durchgesetzt und die übrigen Gäste um Längen geschlagen. Sie hielt einen Cognacschwenker in Händen und ging, gefolgt von Parker, zum großen Kamin in der Halle.

»Halten Sie mir die Gäste vom Leib«, meinte sie zu ihrem Butler. »Die Leute interessieren mich nicht.«

»Darf man Mylady darauf aufmerksam machen, daß auch Einheimische zur morgigen Treibjagd eingeladen wurden?«

»Einheimische?« Sie nahm einen nicht gerade kleinen Schluck aus dem großen Schwenker. »Und was schließe ich daraus, Mister Parker?«

»Theoretisch könnte sich der gesuchte Saubermann darunter befinden, Mylady.«

»Daran dachte ich auch gerade«, behauptete sie prompt. »Man kann nicht vorsichtig genug sein. Sir Alfred soll mir diese Leute vorstellen, ich werde mir dann ein erstes Bild verschaffen.«

»Inzwischen könnte meine Wenigkeit Kontakt mit dem Hauspersonal herstellen, Mylady.«

»Aber passen Sie auf sich auf, Mister Parker. Sie wissen hoffentlich, daß Sie mehr denn je zum Leichtsinn neigen, nicht wahr?«

»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. Er verbeugte sich andeutungsweise und verließ die Halle, während Agatha Simpson dem Gastgeber zuwinkte.

Über eine schmale Wendeltreppe, die sich um den Speisenaufzug schlängelte, stieg Josuah Parker hinunter in die große Küche, die in einem mächtigen Gewölbe untergebracht war. Hier traf er auf den Verwalter von Cudlam Castle.

Vance Stratons war etwa fünfunddreißig, mittelgroß und schlank. Er hielt sich militärisch straff, wozu seine Breecheshosen und die Reitstiefel noch beitrugen. Er hatte eine nasalarrogante Stimme und blickte den Butler kühl an.

»Ist die allgemeine Abfütterung beendet?« erkundigte er sich herablassend.

»Muß man unterstellen, Mister Stratons, daß Sie die Gäste nicht sonderlich schätzen?«

»Die sind mir herzlich gleichgültig, Parker«, antwortete der Verwalter von Cudlam Castle wegwerfend. »Sie als Insider werden doch wohl bemerkt haben, daß die eigentliche Rasse und Klasse fehlt, nicht wahr?«

»Sie scheinen den sogenannten Adel zu vermissen, Mister Stratons.«

»Da weiß man doch wenigstens, woran man ist«, sagte Stratons. »Aber oben im Haus ist doch nichts anderes als Landvolk vertreten. Sie verstehen, was ich meine?«

»Meine Wenigkeit muß bedauern, Mister Stratons.«

»Na ja, Sir Alfred hat bei seinen Einladungen nicht gerade hochgegriffen«, mäkelte Stratons herum, »nichts als kleine Grundbesitzer und Kaufleute aus der Region. Alles bestimmt schlechte Schützen, eben keine Rasse und Klasse.«

»Ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft, Mister Stratons.«

»Lassen wir das, Parker«, näselte der Verwalter. »Dafür ist ja Lady Simpson erschienen. Wie kommen Sie mit ihr hin?«

»Mylady hat ein durchaus gutes Verhältnis zu ihren Mitarbeitern, Mister Stratons.«

»Sie soll sich als Detektivin betätigen? Kann ich mir kaum vorstellen. Frauen als Detektive, so etwas gibt es doch nur in Filmen und im Fernsehen.«

»Mylady ist eben eine rühmliche Ausnahme.«

»Helfen Sie ihr bei der Arbeit?« Stratons blickte den Butler eindeutig belustigt an.

»Soweit es in den mehr als schwachen Kräften meiner bescheidenen Wenigkeit steht, Mister Stratons.«

»Nun, hier bei uns auf dem Land werden Sie sich kaum anstrengen müssen«, prophezeite der Verwalter und lächelte für einen Moment. »Hier passiert so gut wie gar nichts.«

»Wofür schon ein gewisser Saubermann sorgt, wie man hört.«

»Saubermann? Sie ... Sie haben schon von ihm gehört?« Stratons stutzte.

»Es kam bereits zu ersten Kontakten, Mister Stratons«, versicherte der Butler ihm. »Man verlangte von Mylady eine sogenannte Ordnungsstrafe.«

»Die Sie besser umgehend bezahlen, Parker.« Stratons dämpfte seine Stimme und blickte zum Küchenpersonal hinüber, das an einem langen Tisch saß und aß.

»Gibt es einen Grund für Ihre Empfehlung, Mister Stratons?« wollte der Butler wissen.

»Und ob, Parker, und ob!« Stratons lächelte herablassend. »Und dieser Grund ist die Gesundheit. Der Saubermann fackelt nicht lange, wenn er einen aufs Korn genommen hat. Fragen Sie mal unseren Koch Deveter. Der ist seinen Armgips erst seit ein paar Tagen wieder los. Der wollte auch nicht zahlen. Ich wette, daß er in Zukunft die Ordnungsstrafen pünktlich auf die Minute überweist. Aus Schaden wird man schnell klug.«

Der Verwalter lächelte wieder knapp-herablassend, wandte sich um und verließ dann die Küche durch eine Außentür.

*

Sekunden später hörte man einen Schrei.

Die Hausangestellten am großen Tisch im Hintergrund sprangen hoch, wobei Stühle umfielen. Einige männliche Angestellte wollten instinktiv zur Tür laufen, um zu helfen, doch dann stoppten sie ihren Schwung und blieben in Deckung der mächtigen Ziegelpfeiler stehen, die das Küchengewölbe trugen.

Josuah Parker begab sich durchaus gemessen, aber auch nicht gerade langsam zur Tür, entdeckte hier einige Lichtschalter und betätigte sie. Das mehrfache Licht in der Schloßküche erlosch. Parker drückte die Tür auf, die ins Freie führte, doch er benutzte sicherheitshalber dazu die Spitze seines Schirmes.

Seine Vorsicht zahlte sich aus.

Die Türangeln quietschten verhalten und lösten damit zwei Schüsse aus, die in schneller Reihenfolge hintereinander abgefeuert wurden. Parker hörte zwar die Abschüsse nicht, dafür aber ein schrilles Pfeifen und dann das Klatschen der Geschosse in den Verputz der Küche.

Der heimtückische Schütze verwandte eindeutig einen Schalldämpfer und wartete sicher auf das Ergebnis dieser Schüsse. Parker langte nach einem Stuhl und schleuderte ihn durch die geöffnete Tür nach draußen. Dabei ging die Glasfüllung zu Bruch. Das Klirren war weithin zu vernehmen.

Erst dann trat Josuah Parker ins Freie, wich seitlich zur Außenwand hinüber und orientierte sich. Seine Augen brauchten sich nicht lange an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Über der Tür brannte eine Lampe, die von einem Drahtgitter umschlossen wurde. Der Butler nahm Deckung hinter einer Batterie von Müllkästen und wartete auf den nächsten Schuß. Er hörte aber nur das Anlassen eines Motorrad-Motors, der unmittelbar danach auf Höchsttouren gebracht wurde. Dann herrschte Stille.

»Mister Stratons?« rief Parker höflich.

»Hier ... hier«, lautete die zögernde Antwort.

»Könnten Sie möglicherweise etwas deutlicher artikulieren?« fragte der Butler.

»Hier im Stall«, rief Stratons, dessen Stimme nun schon kräftiger klang.

»Sind Sie verletzt worden?«

»Ich hab’ einen Schlag erhalten«, antwortete er. Wenig später erschien der Verwalter im Lichtkreis der Laterne und hielt sich den Hinterkopf. Er war etwas unsicher auf den Beinen.

»Rechnen Sie mit dem Mitgefühl meiner Wenigkeit«, versicherte Parker dem Mann und schritt ihm entgegen. »Wo wurden Sie überfallen, wenn man fragen darf?«

»Drüben im Stall«, sagte Stratons und stöhnte leise, als er seinen Hinterkopf und die linke Schädelseite befingerte. »Die Schläge kamen urplötzlich, ich hatte keine Chance.«

»Sie wissen natürlich nicht, von wem Sie attackiert wurden, Mister Stratons?«

»Ich habe nicht die Spur einer Ahnung, Parker«, erklärte der Verwalter. »Hat der Kerl auf Sie geschossen?«

»Sie gehen davon aus, daß es sich um einen Mann gehandelt haben muß?«

»Ich spür’ die beiden Schläge jetzt noch, Parker. So langt nur ein Mann zu.«

»Stehen Sie möglicherweise noch in der Schuld dieses Saubermannes, Mister Stratons?«

»Ich hab’ mit dem nichts zu tun.« Stratons schüttelte vorsichtig den Kopf, während sich in der Tür neugierige Angestellte drängelten. »Vielleicht hab’ ich den Mann aber gestört. Er hat doch auf Sie geschossen, oder?«

»Man sollte dies nicht unbedingt ausschließen«, erwiderte der Butler höflich und gemessen, »der sogenannte Saubermann scheint meiner Wenigkeit nicht sonderlich gewogen zu sein.«

»Er ist mit einem Motorrad weggefahren. Haben Sie’s gehört, Parker?«

»Es dürfte sich um einen recht vorsichtigen Saubermann handeln, der kein Risiko eingeht«, meinte der Butler. »Wenn Sie gestatten, wird man Lady Simpson und Sir Alfred informieren. Es erhebt sich natürlich die Frage, ob man vielleicht die Polizei bemühen sollte.«

»Mann, Sie haben Nerven!« Eine gewisse Hochachtung lag in Stratons Stimme. »Haben Sie keine Angst, daß der Saubermann noch mal schießen könnte?«

»Damit ist fest zu rechnen«, urteilte der Butler, der auf die Frage nach seiner eventuellen Angst überhaupt nicht einging.

*

»Sie haben dieses niederträchtige Subjekt entwischen lassen?« wunderte sich Agatha Simpson und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Also mir, Mister Parker, wäre das nicht passiert.«

»Hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal verzeihen«, erwiderte der Butler. Sein Gesicht blieb glatt.

»Nun ja, er wird zurückkommen«, meinte die ältere Dame. »Im Grund ist dieser Schütze ja einzig und allein hinter mir her.«

»Ich habe die Polizei in Cudlam Hill angerufen«, sagte Sir Alfred, der aus einem Nebenzimmer trat. Er machte einen nervösen Eindruck. »Inspektor Nodd will sofort kommen.«

»Und alles unnötig komplizieren«, grollte Lady Agatha. »Man kennt das ja. Diese Leute haben keine Phantasie und kleben an ihren Dienstanweisungen.«

»Der gute Nodd gibt sich alle Mühe und rennt sich die Hacken ab, Lady Agatha«, verteidigte Sir Alfred den Polizeibeamten. »Aber wie soll er gegen die Angst der Leute ankommen? Da gibt es eine Mauer des Schweigens, die man erst mal durchbrechen muß.«

»Es gibt in dieser Region nicht bestimmte Personen, denen man übersteigertes Nationaldenken nachsagt, Sir?« fragte der Butler.

»Diese Leute gibt es überall und immer wieder«, meinte Sir Alfred. »Aber Ihre Frage ist gut ... Ich könnte Ihnen da einen Mann nennen, der äußerst unangenehm ist und ... Aber lassen wir das, ich möchte keinen Mitmenschen anschwärzen.«

»Haben Sie sich gefälligst nicht so, Sir Alfred«, raunzte Lady Agatha ihn an. »Wie soll ich dieses Subjekt erwischen, wenn Sie mir mit Feingefühl kommen.«

»Er heißt Paul Pitnay und träumt von vergangenen Zeiten.«

»Mister Parker wird sich die Adresse dieses Mannes merken«, schickte die ältere Dame voraus. »Was ist das für ein Mann?«

»Ein längst pensionierter Offizier, hochdekoriert im Zweiten Weltkrieg«, sagte Sir Alfred zögernd. »Er sammelt Militaria aller Art und hat sich eine Art Museum eingerichtet. Er wohnt gar nicht weit von hier, jenseits der Hügel. Pitnay schlägt die alten Schlachten noch mal und gewinnt sie diesmal natürlich. Viele hier im Kreis halten ihn für einen, nun, sagen wir mal, für einen Spinner.«

»Solche Leute kenne ich, Sir Alfred.« Agatha Simpson nickte und blickte dann ihren Butler an. »Hatte ich damit nicht schon zu tun?«

»Mehrfach, Mylady«, bestätigte der Butler. »Die Gegenwart dieser Menschen ist die Vergangenheit, eine Zukunft dürften sie nicht zur Kenntnis nehmen.«

»Das ist Paul Pitnay«, entgegnete Sir Alfred, »ein Sonderling, ein Kauz, aber harmlos. Er hat mit dem Saubermann ganz sicher nichts zu tun. Er würde niemals anonym arbeiten.«

»Ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen, mein lieber Sir Alfred. Haben Sie noch etwas Brauchbares für mich?«

»Ich habe eigentlich schon zuviel gesagt«, sorgte sich der Gastgeber. »Ich möchte nicht ins Gerede kommen, Lady Agatha.«

»Papperlapapp, Sir Alfred«, meinte sie energisch. »Denken Sie an das Geld, das Sie an diesen Strolch bezahlen sollen. Eine horrende Summe!«

»Ihr Verwalter, Sir, warnte vor dem Saubermann«, schaltete Parker sich ein.

»Stratons hat sicher an meinen Koch gedacht«, erwiderte der Gastgeber und nickte. »Der gute Deveter hat seinen Kontakt mit dem Saubermann und diesen Streifengardisten bereits hinter sich. Sein linker Arm ging dabei zu Bruch, von Prellungen und Quetschungen ganz zu schweigen.«

»Darf man nach dem Grund dieses Kontaktes fragen, Sir?« erkundigte sich der Butler.

»Deveter kaufte bei einem Inder drüben in Cudlam Hill ein, was der Saubermann ihm verbot«, lautete Sir Alfreds Antwort. »Deveter pfiff auf die Warnung und wurde dann von diesen Streifengardisten zusammengeschlagen, als er mit der Ware nach Cudlam Castle zurückfuhr. Sie stoppten ihn unterwegs, zerrten ihn aus dem Wagen und machten kurzen Prozeß mit ihm.«

Agatha Simpson wollte gerade antworten, als ein Angestellter des Hauses erschien und einen Brief überbrachte.

»Er wurde soeben abgegeben, Sir«, meldete er. »Ich soll ihn sofort weiterreichen.«

Sir Alfred blickte Mylady und Parker an, riß dann den Umschlag auf und zog einen Zettel hervor. Er überflog die wenigen Zeilen und reichte ihn dann an Agatha Simpson weiter.

»Ich soll Sie sofort wegschicken«, sagte Sir Alfred. »Falls nicht, will der Saubermann einen Feuerzauber veranstalten. Und zwar noch in dieser Nacht!«

*

»Eine Lady Simpson läßt sich nicht vertreiben«, stellte die passionierte Detektivin energisch fest und blitzte Sir Alfred an.

»Mylady beendet nach freiem Ermessen ihren Aufenthalt in einem Haus«, fügte Josuah Parker hinzu.

»Richtig, Mister Parker«, bestätigte sie, »und ich werde bleiben. Oder?«

»Mylady denken sicher bereits an die vielen Gäste, die hier auf Cudlam Castle übernachten werden.«

»Warum sollte ich?« erwiderte sie. »Ich stelle es jedem frei, Fersengeld zu zahlen.«

»Der sogenannte Saubermann, Mylady, wartet sicher darauf, Mylady unterwegs abfangen zu können«, tippte der Butler an.

»Das ist allerdings richtig.« Sie runzelte die Stirn. »Ich hätte dann die einmalige Gelegenheit, ihm die Maske vom Gesicht zu reißen.«

»Treffender könnte man Myladys Absichten nicht definieren«, erklärte der Butler höflich.

»Ich werde abreisen, mein lieber Sir Alfred«, meinte sie danach und nickte dem verblüfften Gastgeber zu, der solch schnellen Sinneswandel nicht erwartet hatte.

»Er wird das Haus hier beobachten und seine Handlanger auf mich ansetzen«, freute sie sich, »und ich, Lady Simpson, werde ihn in meine Falle locken. Mister Parker, treffen Sie alle erforderlichen Vorbereitungen! Sie wissen ja, daß Details mich nicht interessieren ...«

»Mylady können sich auf meine Wenigkeit verlassen«, versprach der Butler und deutete eine knappe Verbeugung an. Er machte sich keine Sorgen, was den möglichen Kontakt mit dem Saubermann betraf.

Im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums befand sich die große, schwarze Reisetasche aus Leder, die viele Überraschungen barg. Zudem war sein Wagen mit technischen Finessen ausgestattet, um die ihn selbst James Bond beneidet hätte.

»Zur Treibjagd werde ich wieder zurück sein«, meinte die ältere Dame zu ihrem Gastgeber.

»Nehmen Sie sich nur Zeit, Lady Agatha«, bat Sir Alfred, der etwas erleichtert wirkte. »Und passen Sie bitte auf sich auf. Das gilt auch für Sie, Mister Parker.«

»Selbstverständlich werde ich mir für den Rest der Nacht eine Kleinigkeit einpacken lassen«, ließ Lady Agatha sich vernehmen. »Ich bin ja kaum dazu gekommen, ein paar Häppchen zu mir zu nehmen.«

»Man könnte eine Art Picknick-Korb zusammensteilen, Mylady«, schlug Josuah Parker vor.

»Das werde ich selbst übernehmen«, erklärte sie. »Ich habe da so meine ganz speziellen Vorstellungen. Sie können inzwischen den Wagen holen. Sir Alfred, Sie dürfen mich in die Küche begleiten.«

Josuah Parker ging davon aus, daß Cudlam Castle inzwischen von den Streifengardisten des Saubermannes beobachtet wurde. Ihm kam es jetzt darauf an, ungesehen das Haus zu verlassen. Dazu begab er sich in einen Seitentrakt des recht ansehnlichen Schlosses und betrat eines der Zimmer.

Ohne Licht einzuschalten, ging er an ein Fenster und öffnete es vorsichtig. Dann stieg er hinaus auf eine Art Rundgang und setzte auf seine schwarze Dienstkleidung.

Gegen das dunkle Gemäuer konnte er wohl kaum ausgemacht werden. Dennoch, der Butler blieb vorsichtig und überstürzte nichts. Er rechnete mit einem Gegner, der inzwischen überlegteres Handeln an den Tag legte.

Parker erreichte das Ende des vorderen Rundganges und blickte auf ein angrenzendes Dach, das tiefer lag. Mit einer Geschmeidigkeit, die man diesem Mann niemals zugetraut hätte, stieg der Butler nach unten, erreichte das fast flache Dach und wechselte hinüber zu einer Gruppe von Kaminessen. Hier wartete er erst mal. Von seinem Standort aus konnte er die nahen Wirtschaftsgebäude gut einsehen.

Im Haus selbst wußte man eindeutig nichts von der Gefahr, die in der Dunkelheit lauerte. Man hörte Musik, Stimmen und Lachen. Einige Fenster der großen Räume unten schienen halb geöffnet worden zu sein. Noch machte alles einen friedlichen, unverdächtigen Eindruck.

Und dann war es das banale Aufglühen einer Zigarette, das den Butler alarmierte!

In der Dunkelheit neben einem langgestreckten, stallartigen Gebäude stand ein Raucher, der Cudlam Castle beobachtete. Irgendwie wußte Parker sofort, daß er es mit einem dieser Streifengardisten des Saubermannes zu tun hatte.

*

Josuah Parker holte seine zusammenlegbare Gabelschleuder aus einer der inneren Manteltaschen seines schwarzen Covercoats und steckte sie zusammen. Er überprüfte kurz die enorme Spannkraft der beiden Gummistränge, die von einer Lederschlaufe gehalten wurden.

Bei dieser Gabelschleuder oder Zwille handelte es sich um ein Gerät, wie es von mehr oder weniger großen Jungen immer noch aus kleinen Astgabeln angefertigt wird. Parker hatte sein Katapult natürlich perfektioniert und dabei auf eine große Schußweite Wert gelegt.

Als Geschosse benutzte er Tonmurmeln von der Größe einer Erbse, doch diese Murmeln waren unterschiedlich hart gebrannt. Dem Butler kam es schließlich stets darauf an, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Zudem war es sein Grundsatz, möglichst keine Verletzungen zu bewirken, die der Gesundheit abträglich waren.

Diesmal entschied er sich für eine hartgebrannte Tonerbse.

Er legte sie in die Lederschlaufe, spannte die beiden Gummistränge mit Daumen und Zeigefinger und visierte kurz den Punkt an, den das Aufglühen der Zigarette ihm geliefert hatte.

Er hörte einen erstickten Seufzer, dann einen dumpfen Fall. Für Parker war das ein Zeichen dafür, daß er getroffen hatte. Er löste sich von den Kaminessen und arbeitete sich ein wenig weiter vor.

Er bekam deutlich mit, daß drüben am stallartigen Gebäude Bewegung entstand. Der Zigarettenraucher war also nicht allein gewesen. Man schien sich um den Getroffenen zu kümmern.

Plötzlich röhrte ein Wagenmotor.

Aus der Dunkelheit preschte ein Fahrzeug ohne eingeschaltete Scheinwerfer. In Umrissen machte der Butler einen Geländewagen aus, der scharf gebremst wurde. Dann sprang eine Gestalt aus dem Wagen und lief zur Ecke der Stallung. Wenig später schleppte man den Getroffenen zum Wagen. Viel konnte Parker zwar nicht ausmachen, doch die Umrisse reichten ihm bereits.

Er verzichtete darauf, noch mal auf einen dieser selbsternannten Streifengardisten zu schießen. Parker hielt sich an die rechte Seite des Wagens und markierte sie mit einer zweiten Tonerbse. Er setzte das kleine Geschoß unten auf die Mitte der Wagentür.

Der singende Aufschlag trieb die Streifengardisten zur Eile an. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Geländewagen sich wieder in Bewegung setzte.

*

»Ich habe mir ein paar nette Kleinigkeiten einpacken lassen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame, als der Butler wieder in der Eingangshalle erschien. Sie deutete auf einen nicht gerade kleinen Weidenkorb, dessen Inhalt von einer karierten Tischdecke geschützt wurde.

»Sie werden irgendwo in Cudlam Hill übernachten?« fragte Sir Alfred.

»Mylady werden sich rechtzeitig entscheiden«, erwiderte der Butler ausweichend und nahm den Korb hoch, der ein erstaunliches Gewicht hatte.

»Ich könnte Ihnen ein kleines Jagdhaus anbieten«, meinte der Gastgeber. »Stratons könnte Sie dorthin bringen, Lady Agatha.«

»Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß, mein Bester«, wehrte die ältere Dame grimmig ab. »Ich werde schon zurechtkommen. Zum Frühstück werde ich wieder zurück sein.«

»Es war nur ein Vorschlag«, sagte Sir Alfred und reagierte nervös, als die schwere Türglocke sich meldete. Bevor einer der Hausangestellten erschien, ging er zur Tür und öffnete.

»Hallo, Inspektor«, grüßte er einen kleinen, drahtigen Mann, der knapp fünfzig Jahre zählte und wie ein Terrier wirkte.

»Schneller ging’s nicht, Sir Alfred«, entschuldigte sich der Inspektor .und musterte ungeniert-neugierig Agatha Simpson und Butler Parker.

»Meine Jagdgäste aus London«, stellte Sir Alfred vor und nannte dann die Namen. »Auf Mister Parker wurde geschossen, und eben erst erhielt ich eine Nachricht dieses Saubermannes. Danach verlangt er, daß Lady Simpson und Mister Parker sofort abreisen, falls ich hier nicht einen Feuerzauber erleben will.«

»Scheußliche Sache dies«, sagte Inspektor Nodd, nachdem er sich seinerseits vorgestellt hatte, »eine Art Phantom, überall und nirgends.«

»Sie müssen doch in etwa wissen, wer als Täter in Betracht kommt, mein lieber Inspektor«, grollte die Detektivin. »Ich hoffe; Sie können mit einigen Verdachtsmomenten dienen.«

»Fehlanzeige, Mylady«, bedauerte Inspektor Nodd. »Hier in der Region herrscht die Angst. Wer etwas ahnt oder weiß, hält den Mund. Keiner will etwas mit dem Saubermann zu tun bekommen.«

»Sollte es sich um einen Rassenfanatiker handeln, Sir?« warf Josuah Parker ein.

»Das ist er ganz sicher«, lautete Inspektor Nodds Antwort. »Und ich fürchte, es gibt hier in der Region so manchen Mitbürger, der dem Saubermann heimlichen Beifall zollt.«

»Nicht nur in dieser Region, mein Bester«, schnappte die ältere Dame zu.

»Wie auch immer, Mylady, bisher haben wir keinen einzigen Anhaltspunkt, was den Saubermann betrifft.«

»Es muß sich aber um eine Person handeln, Sir, die mit Sicherheit bestens informiert ist«, schaltete Josuah Parker sich ein, »sonst könnte er nämlich kaum derart gezielt Vorgehen.«

»Der Saubermann hat Helfershelfer«, fügte Inspektor Nodd hinzu, »aber es ist schon richtig, dieser Mann weiß sehr gut Bescheid.«

»Warum setzen Sie sich nicht mit Scotland Yard in Verbindung?« wollte die Detektivin wissen.

»Das werde ich jetzt tun, Mylady«, meinte Nodd grimmig. »Bisher hat dieser Saubermann noch nie geschossen, aber jetzt hat die Lage sich geändert. Haben Sie eine Ahnung, Mister Parker, warum man auf Sie geschossen hat?«

»Meine bescheidene Wenigkeit war so frei, einem Pakistani in Cudlam Hill beizustehen, der von Schlägern erheblich belästigt wurde, Sir.«

Mehr sagte der Butler nicht und unterschlug den Kontakt mit vier sogenannten Streifengardisten. Er sprach auch nicht von dem Geländewagen, den er eben erst mit einer Tonerbse markiert hatte.

»Eine verdammt scharfe Reaktion«, urteilte Inspektor Nodd. »Gleich scharfe Schüsse? Da war wirklich nicht mehr?«

»War da mehr, Mister Parker?« fragte die ältere Dame ihren Butler.

»Man sollte vielleicht noch nachtragen, Sir, daß Mylady die pakistanische Familie nach London schickte und dafür ein Taxi aus Cudlam Hill mietete.«

»Sie haben die Pakistani nach London geschickt?« wunderte sich Inspektor Nodd sichtlich. »Eine teure Geschichte! Kennen Sie diese Familie?«

»Ich war und bin noch immer Pfadfinderin, mein Lieber«, stellte Agatha Simpson fest. »Jeden Tag eine gute Tat, das ist nach wie vor mein Motto. Und was den Preis für das Taxi betrifft, nun, so werde ich dafür sorgen, daß dieser Saubermann das Geld bis auf den letzten Penny zurückzahlt.«

»Sie wollen also nicht endgültig wegfahren?« fragte Inspektor Nodd.

»In ein paar Tagen werden Mylady Cudlam Castle erneut aufsuchen«, sagte Parker schnell, bevor seine Herrin sich festlegen konnte. »Vorerst geht es auf dem schnellsten Weg zurück nach Croydon, woher Mylady zu kommen geruhten.«

»Nach Croydon?« wunderte sich Agatha Simpson prompt. Sie war schließlich aus London angereist. Doch dann begriff sie und nickte.

»Aus diesem Grund würde ich raten, möglichst schnell auf die nächste Durchgangsstraße zu gehen«, sagte Inspektor Nodd. »Da kann Ihnen mit Sicherheit nichts passieren.«

»Ein Rat, Sir, den man nur als hervorragend bezeichnen kann«, sagte Josuah Parker. »Man wird sich selbstverständlich an Ihre Empfehlung halten.«

*

»Ich traue diesem Inspektor nicht über den Weg, Mister Parker«, äußerte die ältere Dame wenig später. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und blickte durch die Rückscheibe auf Cudlam Castle.

»Haben Mylady einen Grund für das Mißtrauen?« fragte der Butler.

»Mister Nodd war doch mehr als überrascht, als er erfuhr, daß ich die pakistanische Familie auf eigene Kosten nach London geschickt habe.«

»Inspektor Nodd dachte sicher an die mit Sicherheit nicht unbeträchtlichen Kosten.«

»Dieser Mann gefällt mir nicht«, redete die Detektivin weiter. »Ich kann mich auf meine Menschenkenntnis verlassen, Mister Parker.«

»Mylady vermag man nicht zu täuschen.« Parkers Stimme klang neutral.

»Das ist richtig, Mister Parker.« Sie nickte zufrieden. »Man versucht es zwar immer wieder, doch es gelingt einfach nicht. Der Inspektor erinnert mich an einen Hund, der auf den Mann dressiert ist.«

»Ein Vergleich, Mylady, der nicht von der Hand zu weisen ist, wie meine Wenigkeit respektvoll feststellen möchte.«

»Es wäre nicht der erste Polizeibeamte, der ein Doppelleben führt.«

»Die sprichwörtlichen schwarzen Schafe, Mylady, sind in allen Bereichen vertreten.«

»Sie sollten sich um sein Vorleben kümmern, Mister Parker«, schlug sie vor. »Ich weiß bereits jetzt, daß es da einige dunkle Punkte geben wird.«

»Man könnte vielleicht Chief-Superintendent McWarden einschalten, Mylady.«

»Genau das wollte ich gerade sagen, Mister Parker.« Wohlwollen lag in ihrer Stimme. »Dieser Inspektor will sich ja ohnehin mit dem Yard in Verbindung setzen.«

Sie wandte sich wieder ein wenig schnaufend um und beobachtete die Landstraße, die sie hinter sich brachten. Man befand sich längst wieder in freiem Gelände.

»Nichts«, sagte sie enttäuscht. »Der Saubermann wird doch nicht etwa aufstecken wollen, Mister Parker? Wann werde ich die Durchgangsstraße erreichen?«

»In etwa fünfzehn Minuten, Mylady, aber in Richtung Süden.«

»Was soll ich denn dort?« räsonierte sie.

»Dort dürfte der Saubermann seine Streifengardisten mit einiger Sicherheit kaum postiert haben.«

»Soll das bedeuten, daß ich einer möglichen Auseinandersetzung aus dem Weg gehe, Mister Parker?«

»Mylady sind sicher damit einverstanden, Mister Paul Pitnay einen überraschenden Besuch abzustatten.«

»Und ob ich einverstanden bin! Und wer ist dieser Ritway?«

»Mister Paul Pitnay«, korrigierte Josuah Parker höflich. »Dabei handelt es sich um den Sammler von Militaria, wie Sir Alfred erläuterte.«

»Ich weiß«, grollte sie. »Das ist dieser Sonderling, der von alten Zeiten träumt, wie?«

»Menschen seiner Art dürfte es noch viele geben, Mylady«, erwiderte der Butler, »und sie finden leider immer wieder junge Nachläufer.«

»Die Dummheit stirbt eben nicht aus«, gab sie ungnädig zurück, »aber ich sage Ihnen schon jetzt, Mister Parker, daß er auf keinen Fall der Saubermann sein kann.«

»Mylady haben Gründe für diese Annahme?«

»Diese Gründe liegen doch auf der Hand.« Sie lachte leise und wissend. »Dieser Kauz entspricht zu sehr dem Bild des Saubermannes, daher kann er dieses Subjekt also auch nicht sein.«

»Myladys Beweisführung ist geradezu verblüffend, wenn meine Wenigkeit dies sagen darf«, lautete Parkers Antwort.

*

»Sie stören überhaupt nicht, Mylady.« Paul Pitnay hob abwehrend die Hände. »Um diese Zeit fängt der Tag für mich ja erst an. Ich höre von meiner Ordonnanz, daß Sie sich verfahren haben?«

»Und zwar gründlich«, meinte Agatha Simpson, die sich erstaunlich friedfertig gab und durchaus charmant wirkte. »Mister Parker schafft es immer noch nicht, eine Karte zu lesen.«

»Gedient?« fragte Paul Pitnay und musterte Parker mit abschätzendem Blick.

»In etwa, Sir«, gab der Butler zurück. »Meine Wenigkeit war in geheimer Mission tätig, wenn man es mal so ausdrücken darf.«

»Immerhin ...« Paul Pitnay nickte leutselig. »Ich höre von meiner Ordonnanz, daß Sie zu Sir Alfred wollen? Nicht weit von hier ist das, aber ziemlich umständlich zu erreichen. Darf man einen Drink servieren lassen, Mylady?«

»Mein Kreislauf ist tatsächlich in Unruhe geraten«, schnappte die ältere Dame sofort zu. »Sie wohnen hier recht eigenwillig.«

»Alte Gewohnheit, Mylady«, reagierte Paul Pitnay mit seiner hellen, ein wenig kichernden Stimme. »Man muß sich in Form halten, stets und immer. Es kann jederzeit wieder losgehen.«

»Was kann jederzeit losgehen?« fragte Mylady irritiert.

»Der Kampf mit Englands Feinden«, erwiderte Paul Pitnay. »Aber ich hier bin gewappnet, man wird mich nicht überraschen.«

»Muß man davon ausgehen, daß Sie seinerzeit eine militärische Einheit führten?« schaltete Josuah Parker sich ein.

»Eine Brigade«, schnarrte Pitnay. »Invasion, dann Arnheim, vorher Nordafrika. Heiße Zeiten! Ah, da kommt ja schon der Drink. Mylady, ich stehe zu Ihrer Verfügung.«

Agatha Simpson tauschte mit Parker einen schnellen Blick, als die Ordonnanz ihr einen Aluminium-Trinkbecher reichte, der zu einem Feldbesteck gehörte. Als sie jedoch den verführerischen Duft von Cognac wahrnahm, setzte sie das unzeitgemäße Trinkgefäß an die Lippen.

»Eine Art Beute aus Frankreich«, erklärte Pitnay und lächelte knapp, »wurde requiriert, verstehen Sie? Ergab sich so, war nicht zu vermeiden.«

Paul Pitnay wandte sich unvermittelt ab und trat vor eine große Wandkarte, die mit vielfarbigen Nadeln übersät war. Er schien ohne jeden Übergang plötzlich vergessen zu haben, daß er Gäste hatte.

Die Ordonnanz hüstelte nachdrücklieh, und Pitnay drehte sich wieder zu Mylady und Parker um.

»Hab’ ein Problem.« Pitnay runzelte die Stirn. »Der Gegner hat einen vertrackten Riegel gesetzt. Werde ihn wohl umgehen müssen, wenn da nicht diese scheußlichen Sumpfwiesen wären. Kaum zu schaffen für schweres Material.«

»Mylady geht davon aus, Sir, daß Sie auch dieses Problem meistern werden«, sagte Parker höflich zu dem mittelgroßen, schlanken Mann, der etwa fünfundsechzig sein mochte. Auffallend in dem hageren Gesicht waren die dunklen, übergroß wirkenden Augen.

»Alles eine Frage der Logistik«, meinte der Schlachtenlenker außer Dienst und wandte sich wieder seinen beiden Gästen zu. »Sie halten mich bestimmt für einen seltsamen Kauz, nicht wahr?«

»Falls Sie darauf bestehen, Sir, wird Mylady dem widersprechen«, gab Josuah Parker zurück.

»Natürlich halten Sie mich für überdreht«, redete Paul Pitnay weiter. »Jeder hier in der Region tut das. Warum sollten Sie da eine Ausnahme machen?«

»Hält auch der sogenannte Saubermann Sie möglicherweise für einen Kauz, Sir?« fragte Josuah Parker.

»Er wird mich sogar für völlig verrückt halten«, kam die ironische Antwort. »Stellen Sie sich vor: Der selbsternannte Einheitsführer will mich mit einer Ordnungsstrafe belegen! Geradezu lächerlich! Ich soll angeblich zwei von seinen Streifengardisten bedroht haben. Das muß man sich mal vorstellen. Bedroht! Ich habe die beiden Kerle mit der Reitpeitsche traktiert und ihnen Disziplin beigebracht. Ich dulde keine Insubordination, verstehen Sie?«

»Sie fürchten nicht, Sir, von ihm belästigt zu werden?« erkundigte sich der Butler.

»Ich bitte sogar darum«, meinte der Mann, der in einer anderen Welt lebte. »Dann nämlich werde ich diesem Zivilisten zeigen, wer hier der Kommandeur ist. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ja? Hab’ da noch mit dieser vertrackten Sperre zu tun ... Scheußliches Problem, das!«

Und damit vergaß er Agatha Simpson und Parker. Die Ordonnanz, ein etwa fünfundfünfzigjähriger Mann, dicklich und gutmütig aussehend, winkte die beiden Gäste behutsam zurück in die Halle des Landhauses.

Mylady folgte mit der Behutsamkeit einer Besucherin, die ein Krankenzimmer verläßt.

*

»Ich sagte Ihnen ja gleich, daß dieser Mann niemals der Saubermann sein kann«, erklärte die ältere Dame wenig später, als sie in Parkers hochbeinigem Monstrum Platz genommen hatte.

»Mister Paul Pitnay dürfte ein durchaus bemerkenswerter Mann sein, Mylady.« Parker ging auf Myladys Erklärung nicht ein.

»Aber haben Sie mal seine Ordonnanz angesehen, Mister Parker?« redete Lady Agatha munter weiter. »Ein schwer zu durchschauender Bursche, Mister Parker. Er dürfte es faustdick hinter den Ohren haben.«

»Er heißt Jack Fulson und ist laut eigener Aussage bereits seit vielen Jahren als Ordonnanz tätig, Mylady.«

»Was überhaupt nichts besagt, Mister Parker«, sagte sie und lachte hintergründig. »Selbstverständlich hintergeht er den armen Pitwick.«

»Mister Paul Pitnay«, erfolgte die höfliche Korrektur des Butlers. »Mister Pitnay war seinerzeit Oberst bei den irischen Füsilieren.«

»Unwichtige Details, Mister Parker«, meinte sie wegwerfend. »Sie werden sehr viele Informationen einholen müssen und sich jetzt nach einem hübschen Hotel umsehen. Oder habe ich noch etwas Unaufschiebbares zu erledigen?«

»Planen Mylady eventuell, weitere Streifengardisten zur Ordnung zu rufen?«

»Ich spiele tatsächlich mit diesem Gedanken«, sagte sie und gab sich sehr munter. »Dieser Saubermann muß spüren, daß ab sofort ein anderer Wind in seiner Region weht. Wie stelle ich mir die Kontakte vor?«

»Mylady werden die Streifengardisten dazu bringen, Mylady zu verfolgen. Die Mitarbeiter des Saubermannes dürften noch immer auf ihren Posten stehen.«

Sie nickte und rückte sich in der Ecke des Polsters zurecht.

Josuah Parker steuerte auf Umwegen zurück zur Durchgangsstraße. Er verfügte über einen ausgezeichneten Orientierungssinn und hatte keine Schwierigkeiten, um die gewünschte Straße zu erreichen. Er näherte sich der Region um Cudlam Hill aus südlicher Richtung und rechnete nach etwa zehn Minuten mit erstem Kontakt.

Er brauchte genau elf Minuten.

Im Licht der Scheinwerfer entdeckte Parker auf der gegenüberliegenden Straßenseite plötzlich einen Ford, neben dem zwei Männer standen, die den entgegengesetzten Straßenverlauf beobachteten.

Parker hielt scharf, als er ihre Höhe erreichte, drehte das Wagenfenster nach unten und hupte diskret.

»Benötigen Sie möglicherweise Hilfe?« rief er den beiden Männern zu, die längst herumgefahren waren und den Butler überrascht anblickten.

»Moment mal«, rief einer der beiden Männer hastig. Dann setzte er sich in Bewegung, wollte die Straße überqueren und zu dem hochbeinigen Monstrum laufen. Dabei griff er unter seine Lederweste.

Der zweite Mann folgte dem Beispiel seines Partners und schloß zu ihm auf. Josuah Parker hielt längst eine kleine Plastikkapsel in der rechten Hand, zerdrückte die Glasampulle darin und warf dann die Kapsel auf die Straße.

Eine wasserklare Flüssigkeit, die sich in der Ampulle befand, reagierte geradezu explosionsartig mit dem Sauerstoff in der Luft und ließ aus den vielen Öffnungen der Kapsel eine Art Nebelwolke hochschießen.

Daraufhin hüstelten die beiden Männer und bremsten notgedrungen ihren Schwung. Sie standen plötzlich im Nebel und husteten aus Leibeskräften. Kettenraucher nach dem Aufstehen hätten sich kaum wirkungsvoller produzieren können.

Parker fuhr schleunigst weiter und nahm sich noch nicht mal die Zeit, das Fenster wieder zu schließen. Ihm kam es darauf an, den Nebel so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

»Ist das bereits alles?« räsonierte Lady Agatha.

»Man wird selbstverständlich zurückkehren, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Die beiden Streifengardisten werden kaum in der Lage sein, ihren momentanen Standort zu wechseln. Ihre mit Sicherheit gereizten Bronchien werden sie daran hindern.«

*

Sie hockten im Straßengraben und machten einen erschöpften Eindruck.

Butler Parker hatte sich den beiden Männern vorsichtig genähert. Sie befanden sich in Reichweite seines altväterlich gebundenen Universal-Regenschirmes, husteten um die Wette und reagierten kaum, als der Butler sich nach ihrem Befinden erkundigte.

»In spätestens einer Stunde werden Sie keine Beschwerden mehr verspüren«, beruhigte Parker die beiden Streifengardisten. »Dann werden Sie auch in der Lage sein, jener Person eine Nachricht zu überbringen, die man den Saubermann nennt.«

Die beiden Männer hatten durchaus nach wie vor die Absicht, sich auf den Butler zu stürzen, doch ihre Hustenanfälle machten dies zunichte. Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß Parker sie ungemein schnell und geschickt demilitarisierte. Er entwickelte dabei die Geschicklichkeit eines professionellen Taschendiebes.

»Sie sollten sich wirklich nicht unnötig echauffieren«, schlug Parker ihnen höflich vor, nachdem die beiden Schußwaffen in seinem Besitz waren. Er deutete auf den Ford. »Gibt es einen Funkkontakt mit dem erwähnten Saubermann?«

Einer der beiden Streifengardisten schüttelte den Kopf.

»Richten Sie dem erwähnten Saubermann also aus, daß Lady Simpson keineswegs bereit ist, der Gewalt zu weichen. Mylady wird solange in dieser Region verbleiben, bis hier wieder normale Verhältnisse herrschen. Darüber hinaus verlangt Mylady die völlige Erstattung der bisher entstandenen Unkosten.«

Möglicherweise hätten die beiden Streifengardisten gern geantwortet, doch ihre immer noch gereizten Bronchien ließen dies nicht zu. Dann hob einer der beiden Männer den Kopf. Auch Parker hatte das Näherkommen eines Wagens aus der Richtung von Cudlam Hill gehört. Er dachte sofort an seine Herrin, die er im Wagen zurückgelassen hatte. Rollte eine Kontrollstreife dieser Saubermann-Gardisten heran? Würde man dann versuchen, Mylady aus dem Wagen zu holen?

Scheinwerfer tauchten hinter einer Wegbiegung auf. Dann rollte ein Wagen vorüber, der nur kurz seine Fahrt verlangsamte, dann wieder Tempo machte und schließlich in der Dunkelheit verschwand.

Parker prägte sich das Kennzeichen des Autos ein und wunderte sich etwas darüber, daß der Fahrer nicht gehalten hatte. Immerhin war die Wagentür des Fords zur Straße hin geöffnet. War der Fahrer nicht auf den Gedanken gekommen, daß seine Hilfe benötigt wurde?

*

»Wie geruhten Mylady zu schlafen?« fragte Josuah Parker, als die ältere Dame bereits am frühen Morgen im kleinen Frühstücksraum des Gasthofes erschien.

»Sehr schlecht, Mister Parker«, verhehlte sie nicht. »Es hat sich doch überhaupt nichts getan. Ich habe die ganze Zeit über mit einem tückischen Überfall gerechnet. Und was ist schon geschehen?«

»Der sogenannte Saubermann dürfte Myladys Spur verloren haben«, gab der Butler zurück. Nach dem Zwischenfall auf der Durchgangsstraße war Parker in Richtung Süden zurückgefahren und hatte Quartier in dem sehr ländlichen Gasthof gemacht. Um wieder in die Cudlam Hill-Region zu gelangen, brauchte man mit dem Wagen mehr als eine halbe Stunde.

»Ich werde mich nach dem Frühstück wieder bemerkbar machen«, sagte sie und schnupperte danach lustvoll. Aus der Küche des Gasthofes drangen verführerische Düfte.

»Sie haben daran gedacht, daß ich strenge Diät halten muß?« erinnerte sie ihn ohne jeden Nachdruck.

»Meine Wenigkeit hat der Köchin genaue Anweisungen gegeben, Mylady.«

»Hoffentlich haben Sie nicht wieder übertrieben«, sorgte sie sich umgehend in umgekehrter Richtung.

»Auf Mylady warten nur ein wenig Rührei mit Speck, gebackene Nierchen, ein Fleisch-Pastetchen, einige Scheiben Roastbeef sowie hausgemachte Leberwurst.«

»Das klingt ja recht einfach«, redete sie sich ein.

»Zudem können Mylady zwischen Kaffee und Tee wählen«, meinte Josuah Parker, der den Appetit seiner Herrin nur zu gut kannte. »Von diversen Brotsorten, Butter und Schinken ganz zu schweigen.«

»Von allem nur eine Kleinigkeit«, behauptete sie und nickte wohlwollend. »Übertreibungen schaden nur. Sie haben schon gefrühstückt, Mister Parker?«

»Und telefoniert, Mylady.« Der Butler deutete eine zustimmende Verbeugung an.

»Sie haben mit dem guten McWarden gesprochen?« Sie nickte der Köchin leutselig zu, die das Frühstück servierte.

»Mister McWarden wird gegen Mittag bei Sir Alfred eintreffen«, berichtete der Butler. »Der Chief-Superintendent wird Mylady mit Angaben zu gewissen Personen dienen können.«

»Sehr schön.« Sie nickte und widmete sich den Kleinigkeiten auf dem großen Tisch. Parker goß den Kaffee ein, entschuldigte sich dann und zog sich zurück.

Vom Schankraum rief er Inspektor Nodd in Cudlam Hill an, nachdem er die Nummer im Telefonbuch gesucht hatte. Ohne seinen Namen zu nennen und in knapper Form machte er Nodd auf die beiden Männer aufmerksam, die mit ihren Beinen die Buche umspannten. Nodd wollte natürlich wissen, wer ihm diesen Hinweis gab, doch der Butler zog es vor, anonym zu bleiben.

Nach diesem Anruf trat er vor das Haus und musterte die nähere Umgebung. Der Gasthof lag an der Kreuzung von zwei schmalen Landstraßen, die sich durch die Parklandschaft dieser Gegend schlängelten. Auch hier gab es Weideflächen, grasendes Vieh, Baumgruppen und Waldstücke. Das Gelände war sanft gewellt.

»Sie haben sich in der Nacht verfahren?« fragte der Wirt, der um die Hausecke gekommen war. »Sehr einsam hier, wie?«

»Sie leben nur von Zufallsgästen?« steifte der Butler die Gegenfrage.

»Wir haben noch ’ne Landwirtschaft«, erwiderte der Gastwirt, »sonst würd’s nicht klappen.«

»Mylady sucht die Ruhe und Geborgenheit der freien Natur«, meinte der Butler. »Und Mylady fahndet nach einer Person, die sich Saubermann nennt.«

»Saubermann?« Der Gastwirt runzelte die Stirn. »Ist das dieser Bursche aus Cudlam Hill?«

»Sie kennen diese Person?« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.

»Viele kennen ihn«, lautete die Antwort. »Das ist sein Spitzname, Mister Parker.«

»Sie kennen ihn persönlich, wie man unterstellen darf?«

»Der alte Harry«, redete der Gastwirt weiter. »Harry Caterling, um genau zu sein. Der schreibt Strafanzeigen am laufenden Band und will Cudlam Hill auf Vordermann bringen.«

»Sie sprachen von einem alten Harry«, erinnerte der Butler. »Demnach muß es sich, also um eine bereits betagte Person handeln, oder sollte man sich irren?«

»Wie alt mag Harry sein?« Der Gastwirt dachte sichtlich nach. »Na ja, so um die fünfundfünfzig Jahre, denke ich. Der ist aus dem Polizeidienst entlassen worden. Verkehrsunfall und so. Er hat ein steifes Bein und ’ne kleine Pension, aber innerlich ist er der scharfe Hund geblieben, der er mal war, Mister Parker. Jetzt nimmt ihn natürlich keiner mehr ernst, ist ja klar. Aber er schreibt seine Strafanträge.«

»Sollte man sicherheitshalber davon ausgehen, daß sein Geist ein wenig verwirrt ist?«

»Manche glauben das, manche nicht. Er ist ein Querulant, wenn Sie verstehen, was ich meine. Bleiben Sie nur für einen einzigen Tag in Cudlam Hill, dann werden Sie bestimmt mitbekommen, wer er ist.«

»Ein Vorschlag, den man nur als reizvoll bezeichnen kann«, antwortete der Butler und beobachtete einen Geländewagen, der über die rechte Landstraße kam und sich dem Gasthof näherte.

*

»Noch ein wenig Kaffee, Mylady?« fragte Parker, der zu Lady Agatha zurückgekommen war.

»Natürlich«, erwiderte sie umgehend. »Ich muß frisch sein für diesen Tag. Auf mich warten Dinge, die getan werden müssen.«

»Mylady brauchen möglicherweise nicht sehr lange auf ein erstes Ereignis zu warten«, meinte der Butler.

»Nun, Mister Parker, überraschen Sie mich«, forderte sie den Butler auf.

»Es nähern sich Besucher, Mylady, die einen Geländewagen benutzen.«

»Und was sagt mir das, Mister Parker?« Sie ließ sich in ihrer Ruhe überhaupt nicht stören.

»In der vergangenen Nacht ergriffen Streifengardisten des sogenannten Saubermannes die Flucht in solch einem Wagen, Mylady.«

»Sie glauben, man habe mich aufgespürt?«

»Man sollte sicherheitshalber davon ausgehen, Mylady.«

»Nun gut, ich bin mit dem Frühstück gleich fertig«, sagte sie und blickte dann fast gelangweilt zu einem der kleinen Fenster hinaus. Auch Parker sah jetzt den hochbeinigen Geländewagen, der gerade hielt. Zwei kräftige junge Männer stiegen aus, die einen handfesten Eindruck machten. Sie trugen Jeans, Lederjacken und hatten schottisch gemusterte Baskenmützen auf dem Kopf.

In arrogant-aufdringlicher Art betraten sie den vorderen Raum und bauten sich vor dem kleinen Tresen auf. Einer von ihnen fragte nach zwei Fremden.

»Warum?« reagierte der Gastwirt kurz angebunden.

»Weil wir’s wissen wollen, Mann«, gab der Fragende zurück und fegte mit einer schnellen Handbewegung einige Gläser und Flaschen vom Tresen.

»Und weil wir’s ganz schnell wissen wollen«, fügte der zweite Mann hinzu und nahm eine Flasche in die Hand. Er zerschlug sie an der Kante des Tresens und bedrohte den Wirt mit dem gezackten, scharfkantigen Rest.

»Mylady läßt um Ruhe bitten«, sagte Josuah Parker in diesem Moment und verließ den kleinen Frühstücksraum. Er lüftete höflich die schwarze Melone und nahm den altväterlich gebundenen Regenschirm vom linken, angewinkelten Unterarm.

»Ach nee«, staunte der erste Gast und grinste breit. »Hier habt ihr euch also verkrochen?«

»Mann, das gibt ’ne Prämie«, fügte der zweite hinzu und wandte sich dann fast gelangweilt an den Wirt. »Verschwinde, wir haben hier was ganz Privates zu erledigen.«

»Sie sollten sich wirklich ein wenig in den hinteren Räumen des Hauses beschäftigen«, riet Parker dem Gastwirt, der dem Hinweis folgte und schleunigst in Richtung Küche verschwand. Die beiden Männer warteten, bis er eine Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann setzten sie sich in Bewegung und hielten auf den Butler zu.

»Sie handeln im Auftrag jener Person, die sich Saubermann nennt?« fragte Parker.

»Stimmt haargenau«, erwiderte der Wortführer der beiden Männer. »Und wir haben verdammt genaue Anweisungen erhalten.«

»Wir sollen euch reif fürs nächste Hospital machen«, erläuterte der zweite Mann und grinste ebenfalls.

»Und zwar ganz langsam«, fügte der erste Mann hinzu. »Unsere Freunde haben da noch ’ne kleine Rechnung aufzumachen.«

»Ihren Worten ist zu entnehmen, daß Sie beabsichtigen, rohe Gewalt anzuwenden«, stellte der Butler fest. »Sie sollten mit Myladys Mißbilligung rechnen.«

Dann lüftete er die schwarze Melone erneut und ... warf sie aus dem Handgelenk wie eine Frisbee-Scheibe auf den Wortführer, der völlig überrascht wurde und keine Chance hatte, diesem Diskus auszuweichen.

Die harte Kante der Kopfbedeckung knallte auf die Stirn des Mannes dicht über der Nasenwurzel. Daraufhin zeigte der Getroffene Konditionsschwächen und suchte erst mal den sauberen Bretterfußboden auf.

Sein Partner war irritiert und wollte wohl nach seiner Waffe greifen. Doch Parker setzte seinen Universal-Regenschirm ein und stach nach dem Solarplexus des Verdutzten. Natürlich traf der Butler genau den Punkt, auf den es ankam. Daraufhin folgte der Mann dem Beispiel seines Wortführers und suchte den Fußboden auf. Vorher aber kniete er fast andächtig nieder und bedachte Parker mit einem Blick, den man fast als anklagend bezeichnen konnte.

*

»Wo stecken die Wirtsleute, Mister Parker?« fragte Lady Agatha, die die Küche betrat. Sie warf einen kurzen, abfälligen Blick auf die Männer aus dem Geländewagen. Sie saßen auf dem gekachelten Boden und waren von Parker mit Packband verschnürt worden.

»Die Gastgeber folgten der Aufforderung der beiden Männer und entfernten sich«, erwiderte der Butler. »Mylady brauchen mit keiner Störung zu rechnen.«

»Haben Sie den Geländewagen weggeschafft?«

»Er steht in der nahen Scheune und kann nicht gesehen werden, Mylady.«

»Ausgezeichnet«, freute sich die ältere Dame. »Schreie wird man ja weit und breit kaum hören, oder?«

»Selbst schrille Töne im Diskant, Mylady, dürfte man nicht zur Kenntnis nehmen«, versicherte Parker seiner Herrin.

»Was ... Was soll das bedeuten?« fragte der Wortführer, der unruhig geworden war.

»Mylady wird Sie einem intensiven Verhör unterziehen«, erklärte der Butler. »Mylady wird Sie nach der Person des Saubermanns befragen.«

Dann wandte der Butler sich ab und beugte sich über zwei große Kochtöpfe aus Aluminium, in denen Wasser brodelte.

»Kocht es bereits, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha und langte nach einem Schöpflöffel.

»Der Siedepunkt ist in der Tat erreicht, Mylady.«

»Wieso Siedepunkt?« stieß der Wortführer hervor, als Agatha Simpson den Schöpflöffel eintauchte.

»Mylady hat die Absicht, Ihrem Erinnerungsvermögen nachzuhelfen, falls es versagen sollte«, meinte der Butler. »In solchen Fällen hilft stets kochendes Wasser.«

»Wo ... Wollen Sie uns verbrühen?« stotterte der zweite Streifengardist und blickte den Butler entsetzt an.

»Ich werde nur etwas ungeschickt sein«, kündigte Lady Agatha munter an. »Glauben Sie nur ja nicht, ich wollte Sie etwa foltern.«

»Lady, machen Sie keinen Unsinn«, stöhnte der Wortführer. »Nehmen Sie den verdammten Löffel weg! Fragen Sie doch erst mal!«

»Wir reden ja«, schwor der zweite Mann förmlich.

»Mister Parker, stellen Sie den beiden Subjekten meine Fragen«, forderte die Detektivin ihren Butler auf.

»Seit wann wird nach Mylady und meiner Wenigkeit gesucht?« Parkers Ton war höflich wie stets.

»Seit Mitternacht oder so«, lautete die hastige Antwort des Wortführers. »Der Saubermann hat uns im Sportclub angerufen und losgeschickt.«

»Und wie war der Auftrag genau?«

»Wir ... Wir sollten Sie zur Biggin-Farm bringen. Mehr nicht. Was wir da eben rumgeredet haben, war doch nur Quatsch.«

»Mylady wünscht zu erfahren, wo sich die Biggin-Farm befindet.«

Der zweite Mann erging sich in ausführlichen Beschreibungen. Er blickte dabei wie hypnotisiert auf den Schöpflöffel in der Hand der älteren Dame.

»Die erwähnte Biggin-Farm ist der Treffpunkt der Streifengardisten?«

»Wir haben da ’nen Sportclub«, beantwortete der Wortführer die Frage hastig und nickte dazu nachträglich.

»Wie viele Streifengardisten sind für den Saubermann tätig, um auch diese Frage noch zu klären?«

»’n Dutzend«, meinte der Mann. »Vielleicht ein paar Mann mehr. Aber wir haben keinen blassen Schimmer, wer der Saubermann ist. Wirklich nicht. Wir werden nur angerufen.«

»Eigentlich tun wir keinem Menschen was«, behauptete der andere Schläger und bemühte sich um Treuherzigkeit. »Wir sin’ doch keine Schläger. Wir machen nur manchmal ’n Faß auf, verstehen Sie, Lady? Nur aus Spaß und so.«

»Dies war deutlich zu erkennen, als Sie den Wirt nach Mylady und meiner Wenigkeit fragten.«

»Wir hätten die Gläser und Flaschen doch anschließend bezahlt, was glauben denn Sie?«

»Dazu besteht immer noch die Möglichkeit«, gab Josuah Parker zurück. »Wie weit ist es von hier bis zur Biggin-Farm?«

»’ne ganze Strecke«, sagte der Wortführer, »bestimmt sechs bis acht Kilometer.«

»Die Ihnen bekommen werden«, schaltete die ältere Dame sich ein. Ihre Augen funkelten boshaft. »Sie werden selbstverständlich zu Fuß nach Cudding-Hills gehen.«

»Wohin sollen wir gehen?«

»Nach Cudlam-Hills«, verbesserte Parker diskret und höflich. »Aber dazu sollten Sie sich entsprechend kleiden, meine Herren.«

»Kleiden?« Der zweite Schläger duckte sich unwillkürlich.

»Oder anders ausgedrückt, entkleiden«, fügte Josuah Parker hinzu. »Das wird Sie mit Sicherheit veranlassen, die Straßen zu meiden.«

»Wir ... Wir sollen nackt zurück nach Cudlam-Hill?« stöhnte der Wortführer.

»Sie sagen es, junger Mann«, entschied Agatha Simpson, »und ich werde Ihnen mit Ihren Pistolen Beine machen!«

*

Sie genierten sich.

Die beiden Streifengardisten standen verschämt neben der Scheune und warteten auf das Startsignal für ihren Feld- und Waldlauf. Sie waren splitternackt und liefen los, als sie Myladys explosionsartiges Räuspern vernahmen.

Die ältere Dame war in der Scheune zurückgeblieben, um sich den Anblick der beiden Nudisten zu ersparen. Parker hielt eine der erbeuteten Waffen in der rechten Hand und feuerte einen schallgedämpften Schuß ab.

Als das Geschoß sich knapp neben den beiden Joggern in den Boden bohrte und eine Erdfontäne hochsprang, verwandelten die Streifengardisten sich in ausgesprochene Sprinter. Sie verschwanden, als säße ihnen der Teufel im Nacken.

»Was hat dieses Verhör nun erbracht, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson, als sie neben Parker stand. Die Sprinter jagten gerade auf einen Weidezaun zu und verwandelten sich in Hürdenläufer, zumal Parker einen zweiten Schuß abgefeuert hatte, der in einem der Zaunpfosten einschlug.

»Die beiden Männer bestätigten die bereits bekannte Aussage, Mylady, derzufolge die Streifengardisten sich in einem Sportclub zu versammeln pflegen, der auf der sogenannten Biggin-Farm eingerichtet wurde.«

»Dieser Farm muß ich unbedingt einen Besuch abstatten, Mister Parker«, verlangte die Detektivin. »Ich werde den Sportclub auffliegen lassen.«

»Mylady wissen allerdings, daß man damit den Saubermann nicht erreichen wird.«

»Das ist mir natürlich klar«, gab sie zurück. »Aber immerhin, Mister Parker. Man muß den Lümmeln die Basis nehmen.«

Die beiden Geländeläufer hielten inzwischen schnurstracks auf eine kleine Waldgruppe zu. Sie waren langsamer geworden und hatten sich vermutlich bereits ausgerechnet, daß sie von Geschossen aus der Faustfeuerwaffe nicht mehr erreicht werden konnten.

»Mylady sollten von einer Person Kenntnis nehmen, die man in Cudlam Hill ebenfalls den Saubermann nennt«, deutete Parker an, um seine Herrin ins Bild zu setzen.

»Ein ehemaliger Polizeibeamter?« wunderte sich Agatha Simpson danach und nickte nachdenklich. »Wahrscheinlich ein Ordnungshüter, der es nicht lassen kann, wie?«

»Zumindest ein Querulant, Mylady, wie der Gastwirt es ausdrückte.«

»Diese Leute sind besonders gefährlich, Mister Parker. Sie glauben stets, im Recht zu sein.«

»In diesem speziellen Fall deutete der Gastwirt ferner an, daß Bewohner von Cudlam Hill davon ausgehen, Mister Harry Caterling sei geistig ein wenig verwirrt.«

»Natürlich reine Verstellung«, vermutete Lady Agatha umgehend. »Das ist nichts als ein raffinierter Trick, Mister Parker. Diesen Saubermann muß ich mir umgehend aus nächster Nähe ansehen.«

»Mylady wünschen, nach Cudlam Hill zurückzufahren?«

»Selbstverständlich«, sagte sie energisch. »Ich denke, eine heißere Spur gibt es im Augenblick gar nicht.«

Josuah Parker verzichtete auf eine Antwort und widmete sich den beiden Joggern, die gerade im kleinen Waldstück verschwanden. Er war mit den bisherigen Erfolgen mehr als zufrieden.

Die Streifengardisten des Saubermannes waren empfindlich verunsichert worden. Daraus ergab sich allerdings, daß der bisher unbekannte Täter nun mit allen Mitteln versuchen würde, wieder Oberhand zu gewinnen.

Mit einer Vielzahl scharfer Schüsse war fast zu rechnen.

*

Der abgeplatzte Lack unten an der Wagentür des Geländewagens war nicht zu übersehen. Dennoch hatte die Streifengardisten sich nicht die Mühe gemacht, diesen Lackschaden zu beseitigen.

»Lasse ich den Wagen nun hier zurück, Mister Parker?« fragte die ältere Dame.

»Mylady werden sicher feststellen wollen, wer der Besitzer dieses Geländewagens ist.«

»Selbstverständlich.« Sie nickte. »Es würde mich nicht wundern, wenn er auf den wirklichen Namen des Saubermannes lautet, Mister Parker. Haben Sie daran schon mal gedacht?«

»Dies, Mylady, wäre ein mehr als erfreulicher Zufall.«

»Nun, ich werde den Geländewagen übernehmen«, entschied sie resolut, »Sie können mir mit Ihrem Wagen folgen, ich werde das Tempo machen.«

Agatha Simpson hielt sich für technisch versiert. Selbstverständlich besaß sie eine Fahrerlizenz, doch ihr Fahrstil war abenteuerlich. Dieser mächtige Geländewagen reizte sie natürlich ungemein.

»Ich werde jetzt erst mal in dieses Nest fahren, wie immer es auch heißen mag«, sagte sie unternehmungslustig. »Danach werde ich mir diesen Saubermann ansehen, Mister Parker.«

»Vielleicht könnte man eine kleine Warteschleife einlegen, Mylady«, schlug der Butler vor. »Es ist durchaus damit zu rechnen, daß die beiden Geländeläufer drüben im Wäldchen nur darauf warten, bis man den Gasthof verläßt.«

»Schön, Mister Parker, daß Sie von sich aus darauf kommen«, meinte die ältere Dame und lächelte wohlwollend. »Für mich war diese Warteschleife eine Selbstverständlichkeit.«

Sie schob ihre majestätische Fülle in den Geländewagen und setzte sich ans Steuer. Nachdem sie ausgiebig gehupt hatte, ließ sie den schweren Wagen in einer Art Zuckeltrab anfahren.

Sie kam mit der Kupplung nicht ganz zurecht und unterschätzte wenig später die Wagenbreite. Beim Verlassen des Gasthofes rammte sie ganz beiläufig mit dem linken Kotflügel einen Torpfosten und überrollte dann noch zusätzlich eine nicht gerade kleine Hecke.

Der starke Motor des Wagens mahlte über alle Hindernisse hinweg. Dann erreichte die energische Dame die linke Landstraße und gab Gas.

Parker folgte in seinem hochbeinigen Monstrum und wünschte, daß Mylady kein Wagen entgegenkam. Der Fahrer eines solchen hatte nämlich kaum eine Chance, auf der schmalen Landstraße zu bleiben. Eine Lady Agatha wich schließlich prinzipiell nicht aus.

Schon bald kam es deshalb, wie es kommen mußte.

Agatha Simpson war immerhin so verkehrsfreundlich, erneut ausgiebig zu hupen. Der entgegenkommende Wagen wurde angehalten. Der Fahrer schien im vorhinein zu ahnen, daß Gefahr drohte. Er stieß die Fahrertür auf und brachte sich in Sicherheit.

Mit einem Hechtsprung wechselte er hinüber in den Straßengraben und nahm Deckung hinter einem Steinwall. Sekunden später passierte es bereits.

Lady Agatha streifte den hart am Straßenrand stehenden Austin, drückte dessen Breitseite ein und trat dann energisch aufs Bremspedal. Sie stieg aus und beobachtete den Austin, der langsam in den Graben rutschte.

»Ich werde Sie verklagen, junger Mann«, dröhnte ihre baritonal gefärbte Stimme über den Straßengraben. »Sie haben absichtlich und grundlos die Straße blockiert.«

Der Fahrer des Austin stieg über den Stein wall und näherte sich der Lady. Es handelte sich um einen etwa fünfundvierzigjährigen Mann, der groß und dicklich war. Er trug eine unmoderne Brille und hatte eine Stirnglatze.

»Was, bitte, habe ich?« fragte er wütend.

»Sie haben die Straße blockiert«, behauptete Lady Agatha. »Sie wollten mich von der Fahrbahn drücken.«

»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, jaulte der Brillenträger. »Sie stellen ja die Tatsachen auf den Kopf.«

Er blickte auf den weggerutschten Wagen und nahm Parker kaum zur Kenntnis. Der Butler hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und beobachtete wachsam die Szene.

Er hatte allen Grund dazu.

Ihm war sofort das Wagenkennzeichen des Austin aufgefallen. Es war identisch mit dem, das er sich in der vergangenen Nacht gemerkt hatte, als er sich mit den Streifengardisten aus dem Ford befaßt hatte.

War es erneut ein Zufall, daß dieser Wagen in der zeitlichen Nähe von Streifengardisten erschienen war?

*

Der Mann hieß Graham Grooner und war Schriftsteller, wie seine Visitenkarte auswies, die er Butler Parker überreicht hatte. Grooner verlangte natürlich Schadenersatz und bestand darauf, die Polizei zu verständigen.

»Ich bitte sogar darum, junger Mann«, raunzte Lady Agatha. »Die Schuldfrage muß eindeutig geklärt werden. Eine Lady Simpson zahlt niemals freiwillig.«

Sie schritt zum Geländewagen zurück und ließ den Schriftsteller einfach stehen.

»Sie müssen den Unfall doch gesehen haben«, erregte sich Grooner und blickte den Butler an.

»Meine bescheidene Wenigkeit kann durchaus ein wenig abgelenkt worden sein«, meinte der Butler. »Aber man darf Ihnen im Vertrauen versichern, daß man für den Schaden aufkommen wird.«

»Woher wollen Sie das wissen?« Graham Grooner runzelte die Stirn.

»Meine bescheidene Wenigkeit ist Lady Simpsons Butler«, erläuterte Parker gemessen. »Wie bereits gesagt, man wird für den Schaden auf diskrete Art aufkommen.«

»Kann ich mich darauf verlassen?« fragte Grooner.

»Rechnen Sie in den kommenden Tagen mit einem Barscheck«, versicherte der Butler.

»Und woher weiß ich, daß der ausreichen wird?« Grooner deutete anklagend auf den schräg im Straßengraben hängenden Austin.

»Er wird ausreichen, Sir«, meinte der Butler gemessen und, würdevoll. »Sie sollten allerdings auf weitere Auseinandersetzung mit Mylady verzichten.«

»Sie will wohl immer recht haben, wie?« Grooner lächelte versuchsweise.

»Sie stammen aus Cudlam Hill?« erkundigte sich Parker, das Thema wechselnd.

»Ich lebe schon seit Jahren dort«, gab Grooner zurück.

»Ihrer Visitenkarte ist zu entnehmen, daß Sie Schriftsteller sind?«

»Ich schreibe hauptsächlich für Magazine«, lautete Grooners Antwort, »ich bin, um genau zu sein, Militärschriftsteller.«

»Darf man unterstellen, Sir, daß Sie Mister Paul Pitnay kennen?«

»Der gute Pitnay.« Grooner lächelte mokant. »Natürlich kenne ich ihn. Ich habe bereits einige Male über ihn geschrieben. Sie kennen ihn ebenfalls?«

»Es kam zu einer flüchtigen Kontaktaufnahme, Mister Grooner.«

»Dann werden Sie sich ja ein Bild von ihm gemacht haben, denke ich.« Das mokante Lächeln wurde noch intensiver. »Pitnay holt jetzt das nach, was er seinerzeit falsch gemacht hat. Sie wissen, daß er eine Brigade führte?«

»Ein interessanter Hinweis, Sir.«

»Wegen eines Nervenleidens übernahm er dann eine Nachschubeinheit, was er nie verwunden hat.«

»Und Mister Jack Fulson, Mister Grooner?«

»Seine Ordonnanz. Ein treuer Bursche, der stets bei ihm blieb. Ohne ihn wäre der gute Pitnay verloren.«

»Kann man davon ausgehen, daß Sie die Wahrheit über Mister Pitnay schrieben, Sir, was seine militärischen Erfolge betrifft?«

»Nichts als die Wahrheit«, bestätigte Grooner. »Pitnay haßt mich wie die Pest. Er hat mich schon einige Male verklagt, aber er wurde stets vor Gericht abgeschmettert.«

»Sie sind häufig, wenn man überhaupt fragen darf, mit Ihrem Austin unterwegs, Sir?«

»Hin und wieder«, lautete die Antwort. »Warum fragen Sie?«

»Könnte es sein, daß meine Wenigkeit Sie in der letzten Nacht sah, Sir?«

»Ausgeschlossen, ich war während der ganzen Nacht in Cudlam Hill und habe gearbeitet. Noch mal, weshalb fragen Sie?«

»Wegen einiger Personen, die sich Streifengardisten nennen, Mister Grooner.«

»Ach ja, die Streifengardisten.« Der Schriftsteller schien Bescheid zu wissen und winkte ab. »Hatten Sie bereits Ärger mit diesem Haufen?«

»Mylady sah sich genötigt, einige erzieherische Maßnahmen zu ergreifen.«

»Sie hatten tatsächlich bereits Kontakt mit diesen Gardisten?« staunte der Schriftsteller nun wirklich.

»In der Tat, Mister Grooner«, bestätigte Josuah Parker. »Darüber hinaus verfügte der sogenannte Saubermann, Mylady und meine Wenigkeit hätten diese Region umgehend zu verlassen.«

»Nehmen Sie das ernst?« fragte Grooner.

»Sollte man solch eine Warnung ignorieren?«

»Ich möchte Ihnen da keinen falschen Rat erteilen«, schickte der Schriftsteller voraus, »aber der Saubermann ist eine Realität. Und er hat bereits viele Anhänger in Cudlam Hill. Daran besteht überhaupt kein Zweifel.«

»Sie stehen seinen Absichten möglicherweise positiv gegenüber?«

»Ich halte mich schlicht und einfach heraus«, lautete Grooners Antwort. »Übrigens, das mit meinem Wagen geht in Ordnung? Ich kann mich darauf verlassen?«

»Rechnen Sie fest mit einem Scheck, der Ihre Unkosten decken wird«, wiederholte der Butler sein Versprechen. »Soll man in Cudlam Hill einen Abschleppwagen informieren?«

»Ich erledige das drüben vom Gasthof aus«, lautete Grooners Antwort. »Ich wollte ohnehin da hin. Noch eine Frage, ja?«

»Meine Wenigkeit steht zu Ihrer Verfügung, was die angekündigte Frage betrifft.«

»Woher haben Sie den Geländewagen? Ich meine, weil ich ihn kenne.«

»Sie kennen den Besitzer des Wagens?«

»Klar doch, der gehört Doc Hall. Eigentlich verleiht der ihn nie.«

»Mylady und meine Wenigkeit fanden ihn am Straßenrand und wollten ihn nach Cudlam Hill bringen«, schwindelte der Butler. »Sollten Sie nicht vom Gasthof aus den Arzt informieren? Er wird seinen Wagen sicher bereits vermissen.«

»Mache ich«, versprach der Schriftsteller. »Er wird Feuer spucken, wenn er seinen Wagen sieht.«

»Doc Hall hängt demnach sehr an diesem Geländewagen?«

»Er hütet ihn wie seinen Augapfel.«

Parker wechselte noch einige Sätze mit dem Schriftsteller und ging dann zu Lady Simpson zurück, die bereits ungeduldig neben dem Geländewagen stand.

»Ein unsympathischer Bursche«, urteilte sie streng, »und ein schlechter Autofahrer dazu.«

»Der mit einigen Hinweisen dienen konnte, Mylady. Der Geländewagen gehört einem Doctor Hall aus Cudlam Hill.«

»Den ich mir kaufen werde«, versprach sie umgehend. »Er wird diesen Wagen ja wohl nicht ohne Grund an diese Subjekte des Saubermannes ausgeliehen haben.«

*

Dennis Hall mochte etwa vierzig sein. Er war mittelgroß, hatte ein offenes, freundliches. Gesicht und schien Ärger mit dem linken Bein zu haben. Er zog es kaum merklich nach und bemühte sich, dies nicht zu zeigen.

Wohnung und Praxis des Mannes befanden sich in einem hübschen Haus in der Nähe der zentral gelegenen Kirche. An das Haus schloß sich eine hohe Mauer an, die einen weiten Garten und einen Innenhof mit Remise einschloß.

»Ich hatte bereits Anzeige erstattet«, sagte Doc Hall und ging um den Geländewagen herum, den die ältere Dame vor der Remise geparkt hatte. Er seufzte, als er die Lädierung des Wagens zur Kenntnis nahm.

»Ihnen wurde der Wagen gestohlen, Sir?« fragte der Butler.

»Als ich einen Arztbesuch machte«, bestätigte Hall. »Das war draußen vor der Stadt. Guter Gott, was hat man nur mit meinem Wagen gemacht?! Der Dieb hat ihn ja fast zu Schrott gefahren.«

»Nun übertreiben Sie nicht gleich, junger Mann«, raunzte die ältere Dame. »Ein paar leichte Schrammen stammen übrigens von mir ... Ich wurde rücksichtslos von der Straße gedrängt.«

»Ein Mister Graham Grooner steuerte den entgegenkommenden Austin«, fügte der Butler hinzu, ohne auf Myladys Erklärung einzugehen.

»Grooner?« Der Arzt stutzte.

»Ein Bewohner von Cudlam Hill, der Ihnen sicher bekannt ist«, vermutete der Butler.

»Natürlich kenne ich Grooner«, bestätigte der praktische Arzt. »Er nennt sich Schriftsteller.«

»Was Sie ihm nicht abnehmen, wie?« hakte die Detektivin sofort wachsam nach.

»Das will ich nicht gesagt haben«, korrigierte der Arzt sofort. »Er schreibt für Magazine und regionale Zeitungen.«

»Und informierte Sie, daß man Ihren Wagen gefunden hat«, fragte der Butler.

»Richtig, er rief mich an. Und ich war erleichtert. Aber wie der Wagen aussieht! Nicht zu glauben. Der muß völlig überholt werden.«

»Sie liehen den Wagen mit Sicherheit nicht an die sogenannten Streifengardisten aus, Sir?« wollte der Butler wissen.

»Das hätte mir gerade noch gefehlt«, meinte Doc Hall. »Mit solchen Schlägern habe ich nichts zu tun. Absolut gar nichts!«

»Sie wissen, daß diese Schläger für einen selbsternannten Saubermann arbeiten?«

»Und ob ich das weiß!« Der Arzt nickte. »Zu meinen Patienten gehören schließlich Inder und Pakistani, die er aus Cudlam Hill vertreiben will. Der Mann ist ein Rassist.«

Bevor der Butler die nächste Frage stellen konnte, schoß förmlich ein Jeep durch die Toreinfahrt. Der Wagen wurde jäh gebremst.

Vier Männer in Jeans und Lederwesten sprangen heraus, schwangen Stahlruten und liefen auf Parker und Lady Simpson zu. Sie wollten sich nicht noch mal überraschen lassen und schwärmten aus, um das Duo zu umzingeln.

»Sie sollten vielleicht sicherheitshalber ein wenig zur Seite treten«, empfahl Parker dem Arzt, der einen konsternierten Eindruck machte. Er wollte in die Remise zurückgehen, doch zwei der vier Männer hinderten ihn daran.

»Sie sind mit im Spiel, Doc«, rief einer, schlug mit der Stahlrute unvermittelt zu und erwischte Hall an der rechten Schulter. Der Arzt stöhnte und ging unwillkürlich in die Knie.

Agatha Simpson schwang bereits ihren perlenbestickten Pompadour und wartete nur darauf, den Glücksbringer darin nutzbringend anwenden zu können.

Josuah Parker verwandelte sich in einen Kendo-Kämpfer. Seinen Universal-Regenschirm benutzte er als Bambusstock. Die schwarz behandschuhten Hände umspannten das obere und untere Drittel dieses improvisierten Kampfgerätes und blockten damit einen ersten Schlag mit geradezu spielerischer Leichtigkeit ab.

Dann ging Parker zum Gegenangriff über und verwirrte erst mal zwei seiner Gegner. Er stach zu, blockte ab, versetzte Schläge und paralysierte Gliedmaßen. Dies spielte sich in Sekundenschnelle ab. Die Angreifer begriffen überhaupt nicht, was mit ihnen geschah. Sie fanden sich allerdings auf dem Erdboden wieder und hatten keine Lust, den ungleichen Kampf fortzusetzen.

Inzwischen hatte auch Lady Agatha ihr Opfer gefunden.

Sie setzte den Glücksbringer auf die Schulter des dritten Mannes, der sofort an ein unsichtbares, auskeilendes Pferd dachte. Das mächtige Hufeisen im Pompadour brachte das rechte Schlüsselbein in erhebliche Schwingung.

Bevor der Mann sich zurückziehen konnte, verpaßte Agatha Simpson ihm einen wenig damenhaften, aber gekonnten Tritt gegen das linke Schienbein. Der Mann heulte auf, knickte ein und wurde erneut vom Handbeutel erwischt. Diesmal gab er auf, streckte sich und landete zu Füßen des fassungslos staunenden Arztes.

Der vierte Mann wollte sich absetzen. Er hatte längst eingesehen, daß hier nichts zu machen war. Er rannte auf den Jeep zu, begriff, daß er keine Zeit mehr hatte, ihn zu starten, rannte in Schräglage um den Wagen herum und wollte zum rettenden Tor hinüber.

Hier stieß er mit einem Mann zusammen, der sich als Vance Stratons entpuppte. Der Verwalter von Sir Alfreds Landbesitz reagierte schnell und prompt.

Er stellte dem Flüchtenden ein Bein und sorgte dafür, daß der Stürzende eine perfekte Bruchlandung machte. Der vierte Streifengardist schrammte über den Kies, pflügte ihn mit der Nase förmlich auf und blieb halb im Tor liegen.

»Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht«, sagte er dann in seiner nasal-arroganten Tonart. »Wird dieser Bursche vielleicht noch gebraucht?«

*

»Der Haftrichter wird entscheiden, was weiter passiert«, sagte Inspektor Nodd. »Mir sind vorerst die Hände gebunden. Die Burschen haben alle einen festen Wohnsitz. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß ich sie freisetzen werden muß, Mylady.«

»Ich werde selbstverständlich Strafantrag stellen«, erwiderte Agatha Simpson genußvoll, »und ich werde mich von einem der besten Anwälte Londons vertreten lassen, nämlich von Mister Mike Rander.«

»Irgendwie verstehe ich es immer noch nicht«, meinte Inspektor Nodd kopfschüttelnd. »Vier ausgemachte Schläger mußten passen. Wie war das möglich, Mylady?«

»Ich war ein wenig unwirsch geworden«, erwiderte die ältere Dame leichthin. »Man darf eine Lady Simpson nicht reizen.«

»Sie sprachen von vier ausgemachten Schlägern, Sir«, schickte Josuah Parker voraus. »Ihnen sind die vier jungen Männer also bereits bekannt?«

»Und ob, Mister Parker!« Der Inspektor nickte. »Die Kerle brechen immer wieder Streit vom Zaun, wie man so sagt. Es sind knochenharte Burschen, die endlich einen Denkzettel brauchen.«

»Sie gehen davon aus, daß sie für den sogenannten Saubermann arbeiten, Sir?«

»Möchte ich annehmen, aber beweisen kann ich’s natürlich nicht«, entgegnete Nodd. »Dieser Saubermann hat in jüngster Zeit ein paar hübsche Niederlagen einstecken müssen.«

»Könnte Mylady Einzelheiten erfahren?«

»Zwei Kerle fand ich draußen im Gelände«, schickte Inspektor Nodd voraus und lächelte breit und ausgesprochen schadenfroh. »Sie hatten ihre Beine um einen Baum geschoben und saßen fest.«

»Wie war dies möglich, Sir?«

»Können Sie sich das nicht vorstellen, Mister Parker?«

»Die Vorstellungskraft meiner Wenigkeit bedarf manchmal der akuten Nachhilfe, Sir.«

»Das kann man wohl sagen«, ließ Agatha Simpson sich genußvoll vernehmen.

»Möglich, das weiß ich nicht«, redete Nodd weiter. »Aber es gab da zwei Handschellen, die die Fußgelenke der Burschen zusammenhielten. Und noch etwas passierte, ob Sie’s glauben oder nicht.«

»Sie scheinen ein zweites Erfolgserlebnis gehabt zu haben, Sir.«

»Zwei nackte Schläger«, meinte Nodd und nickte. »Sie wurden von zwei Lastwagenfahrer aufgegriffen und hier vor der Station abgeliefert. Die beiden Schläger hatten den Lastwagen abgewinkt und wollten dann Ärger machen, aber sie gerieten an zwei handfeste Leute. Die beiden Schläger sahen entsprechend aus.«

»Zwei Exhibitionisten, mein Bester?« fragte Agatha Simpson.

»Zwei Schläger«, wiederholte Nodd. »Aber sie verweigern jede Aussage. Wie übrigens die beiden Baumumspanner auch. Der Saubermann müßte jetzt eigentlich merken, daß er unter Druck gerät.«

»Er wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine bisherigen Aktivitäten noch verstärken, Sir.«

»Das fürchte ich allerdings auch, Mister Parker.« Inspektor Nodd nickte sehr nachdrücklich. »Und er weiß auch, wem er das alles zu verdanken hat.«

»Sie setzten sich bereits mit Scotland Yard in Verbindung, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Wegen der Schüsse draußen auf Cudlam Castle.« Nodd blickte auf seine Uhr. »Ich denke, bis gegen zehn wird ein Yard-Beamter hier erscheinen.«

»Etwa ein gewisser McWarden?« fragte die Detektivin.

»Richtig«, bestätigte Nodd. »So heißt er. Sie kennen ihn?«

»Ein recht begabter Mann, der aber noch viel lernen muß«, fand Lady Agatha. »Schicken Sie ihn hinüber nach Cudlam Castle. Ich werde ...«

Sie wurde unterbrochen.

Schwungvoll wurde die Tür zur Polizei-Station aufgedrückt. Ein straff aufgerichteter Mann von etwa fünfundvierzig Jahren erschien und nahm so etwas wie militärische Haltung an. Er besaß ein oval geschnittenes Gesicht, trug einen mächtigen Schnauzbart und hatte sich ein Offiziersstöckchen unter den linken Oberarm geklemmt.

»Ich habe eine Strafanzeige zu erstatten«, schnarrte er. »Parken im absoluten Halteverbot. So etwas geht einfach nicht, so etwas lasse ich nicht durchgehen.«

*

»Hallo, Harry«, sagte Inspektor Nodd freundlich, »das ist heute schon die zweite Anzeige, oder?«

»Und es wird nicht die letzte sein«, versicherte der ehemalige Polizeibeamte ernst. »Die Leute wollen und können sich nicht an Ordnung halten. Man muß sie eben dazu erziehen, auch wenn es manchmal schmerzt.«

»Um welchen Wagen handelt es sich, wenn man fragen darf?« schaltete der Butler sich ein.

»Sind Sie der Halter des Taxis draußen?« fragte Harry Caterling, um den es sich zweifelsfrei handelte. »Der vordere Teil des Wagens würde dann zu einem Viertel im absoluten Halteverbot stehen.«

»Mister Harry Caterling?« erkundigte sich der Butler sicherheitshalber.

»Harry Caterling«, bestätigte der stramme Schnauzbärtige barsch und maß den Butler mit scharfem Blick. »Sie haben also auch schon von mir gehört, wie? Gehört Ihnen der Wagen im Halteverbot?«

»Könnte es sein, Mister Caterling, daß man Sie allenthalben hier in der Stadt den Saubermann nennt?«

»Und den Sheriff«, antwortete Caterling und lächelte andeutungsweise. »Ich habe viele Spitznamen, weil man mich respektiert. Man weiß sehr wohl, daß mir die Ordnung in Cudlam Hill ans Herz gewachsen ist.«

»Für Ordnung ist die Polizei zuständig, junger Mann«, fuhr die ältere Dame dazwischen.

»Die überfordert ist«, urteilte Caterling. »Sie kann schließlich nicht überall sein, ich aber kann es.«

»Aber auch nur zeitweise, Mister Caterling«, warf Josuah Parker ein. »Gestern kam es zu einem Zwischenfall mit einem Pakistani vor einem Supermarkt. Ihre Anwesenheit wäre möglicherweise recht hilfreich gewesen.«

»Oder haben Sie etwas gegen Pakistani und Inder, junger Mann?« stichelte Agatha Simpson genußvoll und neugierig zugleich.

»Ich kenne keine Ausnahmen«, behauptete der seltsame Saubermann und bemühte sich um weitere Straffheit in der Haltung. »Wahrscheinlich war ich zum genannten Zeitpunkt anderweitig unterwegs.«

»Hier in Cudlam Hill soll es aber eine Art Treibjagd auf Minderheiten geben«, sagte der Butler.

»Gerüchte, nichts als Gerüchte«, erwiderte Caterling. »Ich kenne nur absolute Neutralität.«

»Schon gut, schon gut, Harry«, schaltete Inspektor Nodd sich ein. »Vielleicht sehen wir uns später noch mal, ich habe jetzt zu tun.«

»Ich verlange die Bestrafung des Parksünders«, erklärte Caterling. »Wie gesagt, der Wagen steht mit einem Viertel wenigstens im absoluten Halteverbot.«

»Ich werde das in die Hand nehmen, Harry.«

»Und ich werde am Ball bleiben, Inspektor«, erklärte Caterling. »Ich habe übrigens ein Polaroid-Foto beigefügt als Beweismittel.«

Er legte einen Umschlag auf die Holzbarriere, zog das Foto hervor und präsentierte es dem Inspektor. Parker sah sofort, daß der Saubermann sich tatsächlich mit seinem Wagen beschäftigt hatte.

»Ich muß nun wieder auf Streife«, sagte Caterling, schob das Foto in den Umschlag zurück, salutierte und verließ das Büro der Polizei-Station.

»Sie lassen die Anzeigen doch wohl im Papierkorb verschwinden, wie?« fragte Agatha Simpson den Inspektor.

»Ich werde mich hüten«, gab Nodd zurück und lächelte ein wenig schief. »Caterling hakt nach. Ich bin dienstlich verpflichtet, solche Anzeigen weiterzuleiten.«

»Mister Harry Caterling dürfte demnach in der Stadt außerordentlich beliebt sein«, tippte der Butler an.

»Darauf können Sie sich verlassen.« Inspektor Nodd nickte. »Ein paarmal schon ist er verprügelt worden.«

»Aber dieser Mann ist doch ganz eindeutig krank«, sagte die Detektivin.

»Möglich, Mylady«, redete Nodd weiter. »Aber zwei Amtsärzte haben ihm völlige Handlungsfähigkeit attestiert. Nein, rechnen Sie damit, daß ich auch diese Anzeige weiterleiten werde.«

»Darf man beiläufig fragen, Sir, ob Mister Caterling nur von seiner Pension lebt?« wollte der Butler wissen.

»Auf keinen Fall«, lautete Nodds Antwort. »Er hat von seiner verstorbenen Schwester Geld geerbt. Und Grundstücke und Ländereien dazu. Sie war mit einem Landwirt verheiratet, der außerdem noch einen Großhandel für landwirtschaftliche Produkte hatte. Nein, nein, Caterling ist nicht unvermögend. Die gute Biggin ermöglicht ihm ein völlig sorgenfreies Leben.«

»Die von Ihnen erwähnte gute Mistreß Biggin ist demnach die Schwester Mister Caterlings, Sir?«

»Richtig, Mister Parker. Sie hatten draußen vor der Stadt eine große Farm, die aber jetzt verpachtet ist.«

»Mylady würde gern erfahren, wer der momentane Pächter ist«, sagte der Butler, der natürlich sofort hellhörig geworden war.

»Der Mann heißt Johnny Farding, Mister Parker.« Inspektor Nodd wußte auf Anhieb Bescheid. »Farding betreibt auf der Farm eine Schweinemast.«

»So etwas hat mich schon immer interessiert«, warf Lady Agatha ein. »Ich werde mir das aus der Nähe ansehen, Mister Parker.«

*

»Sie wissen jetzt natürlich, wer der wirkliche Saubermann ist, Mister Parker«, stellte die Detektivin fest, nachdem sie im hochbeinigen Monstrum Platz genommen hatte.

»Mylady haben sich inzwischen ein abschließendes Urteil gebildet?« fragte der Butler und ließ seinen Wagen langsam anrollen. Er lüftete grüßend die schwarze Melone in Richtung Caterling, der neben einem Hydranten stand und die Abfahrt beobachtete.

»Dieses Subjekt dort ist nicht der gesuchte Saubermann, Mister Parker, obwohl er so heißt«, betonte die ältere Dame mit Nachdruck. »Man hat ja sofort gesehen, was mit ihm los ist. Nein, Mister Parker, der wahre Saubermann ist natürlich der Schweinemäster. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«

»Man sollte möglicherweise erst mal Kontakt mit Mister Johnny Farding aufnehmen, Mylady.«

»Wer ist Johnny Farding?« gab sie gereizt zurück.

»Der erwähnte Schweinemäster, Mylady.«

»Sagte ich das nicht gerade?« wunderte sie sich gekonnt. »Sie haben sicher nicht recht zugehört, Mister Parker. Das werden Sie noch lernen müssen.«

»Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Mylady.«

»Der Schweinemäster hat die Farm gepachtet«, zählte die Detektivin zusammen. »Und auf dieser Farm treffen sich doch die Streifengardisten, nicht wahr? Also, Mister Parker, daraus braucht man ja schließlich nur seinen Schluß zu ziehen, oder?«

»Die Dinge sprechen in der Tat für diese Annahmen, Mylady.«

»Aber Sie weigern sich natürlich wieder mal, mir beizupflichten, Mister Parker. Ich kenne das!«

»Auch ein Mister Johnny Farding, Mylady, könnte nur ein Strohmann des tatsächlichen Mister Saubermann sein.«

»Nun gut, dann tippe ich eben auf diesen praktischen Arzt«, meinte sie und lieferte ihrem Butler eine neue Variante.

»Doctor Dennis Hall, Mylady?« Parker bemühte sich darum, keine Verblüffung zu zeigen.

»Er sieht mir einfach zu harmlos aus«, redete die ältere Dame weiter. »Er gibt sich zu tolerant. Ich möchte wetten, Mister Parker, daß der Arzt ein Doppelleben führt.«

»Eine Theorie, Mylady, die man nur als ausgesprochen verführerisch bezeichnen kann.«

»Nicht wahr?« Sie nickte und lächelte wohlwollend. »Dieser Arzt hat es faustdick hinter den Ohren. Nach außen hin spielt er den Wohltäter, tatsächlich aber läßt er Jagd auf Pakistani und Inder machen.«

»Was man Mister Dennis Hall allerdings noch beweisen müßte, Mylady.«

»Das kann doch nicht so schwer sein«, meinte sie wegwerfend. »Um solche Kleinigkeiten kann ich mich nicht auch noch kümmern, Mister Parker.«

»Mylady wünschen zur Biggin-Farm zu fahren?«

»Umgehend«, verlangte sie, »und dann zurück nach Cudlam Castle, Mister Parker. Wann soll dort die Treibjagd beginnen?«

»Am frühen Nachmittag, Mylady.«

»Natürlich wird der Saubermann versuchen, mich während dieser Treibjagd zu erschießen«, vermutete sie optimistisch. »Nun, er wird sich wundern. Er hat schließlich keine Ahnung, wie gut ich ein Gewehr handhaben kann.«

Parker verzichtete auf einen Kommentar, zumal er genau wußte, wie einmalig Mylady als Schützin war. Er sorgte sich allerdings bereits jetzt um die Gäste, die Sir Alfred zu dieser Treibjagd eingeladen hatte, besonders intensiv auch um die Treiber.

*

»Werde ich verfolgt, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson nach einer knappen Viertelstunde. Man hatte Cudlam Hill bereits hinter sich gelassen und befand sich im freien Gelände.

»Mylady kommen der Meldung meiner Wenigkeit zuvor«, antwortete der Butler. »Mylady werden in der Tat verfolgt.«

»Aha. Die Gardisten sind also hinter mir her, wie?«

»Der augenblickliche Verfolger müßte Mister Harry Caterling sein, Mylady.«

»Wie das?« wunderte sie sich.

»Der pensionierte Polizeibeamte hat sicher die Absicht, Mylady weiterhin zu kontrollieren.«

»Was ich mir verbitten werde«, grollte sie. »Es wird höchste Zeit, diesem Mann endlich mal eine Lektion zu erteilen. Ich kann nicht alles durchgehen lassen.«

Sie wandte sich um und beobachtete den verfolgenden Wagen. Harry Caterling saß in einem kleinen Morris und blinkte plötzlich mit den Scheinwerfern. Auch Parker sah das Aufblitzen der Lichter im Rückspiegel. Er minderte sofort das Tempo seines Wagens.

Der kleine Morris holte auf und schob sich näher an das hochbeinige Monstrum heran. Als Parker dann hielt, fuhr Caterling bis dicht an den Kofferraum heran und hielt ebenfalls.

Er stieg aus und näherte sich Parker, der das hochbeinige Monstrum samt Universal-Regenschirm verlassen hatte. Sicherheitshalber hatte der Butler seinen Schirm angehoben, um jederzeit reagieren zu können.

»Sie sind streckenweise zu schnell gefahren«, meinte der selbsternannte Saubermann ernst. »Aber in Anbetracht der Situation werde ich es bei einer ernsten Verwarnung belassen.«

»Sie sind außerordentlich gütig, Mister Caterling«, erwiderte Parker.

»In Anbetracht der Situation«, wiederholte Harry Caterling. »Normalerweise mache ich natürlich grundsätzlich keine Ausnahmen.«

»Sie dürften ein durchaus pflichtbewußter Mann sein, Mister Caterling.«

»Sie halten mich für verrückt, nicht wahr?«

»Nicht jeder, der ein Steckenpferd mehr als intensiv reitet, muß automatisch verrückt sein, wie Sie es auszudrücken belieben.«

»Zwei Amtsärzte haben mir bescheinigt, daß ich in Ordnung bin«, erklärte Caterling ernst. »Aber ich dulde nun mal keine Schlampereien.«

»Man kann sicher davon ausgehen, Mister Caterling, daß Sie Mylady nicht nur folgen, um diese Feststellung zu treffen.«

»Sie sind auf dem Weg zur Biggin-Farm, nicht wahr?«

»Die Ihnen gehört, Mister Caterling, wie zu erfahren war.«

»Ich habe sie seinerzeit an einen Johnny Farding verpachtet«, sagte der selbsternannte Saubermann, der jetzt einen konzentrierten Eindruck machte. »Und ich bin darüber nicht ganz glücklich.«

»Sollte es einen Grund dafür geben, Mister Caterling?«

»Farding ist Schweinemäster«, redete Caterling weiter, »und gewährt Leuten Unterschlupf, die mir überhaupt nicht gefallen.«

»Auf der Biggin-Farm soll sich das sogenannte Hauptquartier der Streifengardisten befinden, Mister Caterling.«

»Es ist das Hauptquartier dieser Rowdies«, bestätigte Caterling. »Daran besteht kein Zweifel. Und Farding beherrscht sie, wie er will.«

»Könnte er möglicherweise der wirkliche Saubermann dieser Region sein, Mister Caterling?«

»Selbst wenn, Mister Parker, man müßte es ihm erst mal beweisen. Als ehemaliger Angehöriger der Polizei kenne ich mich in prozessualen Dingen aus,«

»Mylady geht von der Annahme aus, daß Mister Johnny Farding wohl nur ein Strohmann dieses Saubermannes ist.«

»Eine kluge Dame, Mister Parker«, erwiderte der selbsternannte Saubermann. »Johnny Farding hat einfach nicht das Format, Menschen wirklich zu führen.«

»Sie haben sich bereits intensiv mit ihm beschäftigt, Mister Caterling?«

»Ich will diesen Saubermann enttarnen«, gestand der pensionierte Polizeibeamte. »Damit werde ich beweisen, daß man mich völlig zu Unrecht in Pension geschickt hat. Ich befinde mich nach wie vor auf der Höhe meiner früheren Leistungsfähigkeit, glauben Sie mir.«

»Sie wissen, daß Mylady dabei ist, diesen sogenannten Saubermann zu stellen?«

»Ich weiß es von Inspektor Nodd«, erwiderte der selbsternannte Saubermann. »Er gibt sich sehr kooperativ, aber lassen Sie sich nicht täuschen, Nodd haßt Ausländer.«

»Ein ungemein interessanter Hinweis, Mister Caterling.«

»Er wurde vor anderthalb Jahren in Brixton von Farbigen zusammengeschlagen. Das hat er niemals vergessen. Weil er danach förmlich Menschenjagd auf Ausländer betrieb, wurde er hierher nach Cudlam Hill versetzt. Wie gesagt, trauen Sie ihm nicht!«

»Sie glauben demnach, daß Mister Nodd der Drahtzieher des Sehweinemästers sein kann, Mister Caterling?«

»In meinen Augen ist er es, Mister Parker. Deshalb bin ich Ihnen und der Lady ja nachgefahren. Er hat bestimmt mitbekommen, daß Sie zur Biggin-Farm wollen. Dort ist man inzwischen längst alarmiert worden. Sie sollten also sehr vorsichtig sein. Aber keine Sorge, ich werde in der Nähe sein und aufpassen.«

Harry Caterling salutierte militärisch, vollführte eine perfekte Kehrtwendung und ging dann steifbeinig zu seinem kleinen Morris zurück.

*

Der Schweinemäster entpuppte sich als ein Hüne. Er war sehr groß, breitschultrig und hatte Speck angesetzt. Mit einiger Sicherheit mußte er in früheren Jahren mal im Boxring gestanden haben. Er zeigte ein sogenanntes Blumenkohlohr und hatte eine flache Nase, der das Bein fehlte.

Johnny Farding grinste breit, als die Besucher den hochbeinigen Wagen verließen. Er hielt eine Forke in den Händen und scheuchte damit einige frei laufende Schweine zur Seite.

»Sie sind doch bestimmt die Ratcliffs«, rief er Parker und Mylady zu. »Fein, daß Sie rausgekommen sind. Sie können sich die ganze Schweinerei mal aus nächster Nähe betrachten.«

»Sie erlauben eine kleine Korrektur?« schickte Parker voraus und lüftete höflich die schwarze Melone. »Sie haben den Vorzug und die Ehre, Lady Simpson begrüßen zu können. Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«

»Sie sind nicht die Ratcliffs?« staunte Johnny Farding, der sich bereits lärmend vorgestellt hatte.

»Nicht unbedingt, Mister Farding.«

»Und ich dachte schon, Sie wären die Ratcliffs«, wunderte sich der Schweinemäster erneut. »Sie wollen sich meine Schweine überhaupt nicht ansehen?«

»Sie sind ein schlechter Schauspieler, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich ein und maß den Schweinemäster mit eisigem Blick. »Natürlich wissen Sie genau, wer ich bin.«

»Müßte ich Sie kennen?« wollte Johnny Farding wissen.

»Mylady interessiert sich für sogenannte Streifengardisten, die hier auf der Farm ihr ebenfalls sogenanntes Clubheim oder Hauptquartier haben.«

»Die Jogging-Jungens?« Johnny Farding lächelte wieder breit.

»Die Streifengardisten«, sagte der Butler. »Sie arbeiten im Auftrag einer Person, die sich Saubermann nennt.«

»Den gibt’s hier.« Johnny Farding nickte. »Der Mann sorgt für Ordnung, das muß man ihm lassen. Von ihm hab’ ich die Biggin-Farm gepachtet.«

»Sie reden nun wahrscheinlich von Mister Harry Caterling, oder?« fragte der Butler.

»Von wem denn sonst?« Der Schweinemäster nickte und gab sich weiterhin treuherzig und begriffsstutzig.

»Mylady spricht von einer noch unbekannten Person, die sich darauf spezialisiert zu haben scheint, farbige Mitbürger unter massiven Druck zu setzen.«

»Ach so, diesen Saubermann meinen Sie.« Johnny Farding nickte. »Den gibt’s natürlich auch noch. Aber kein Schwein, ich meine, kein Mensch weiß, wer das ist.«

»Sie wissen auch, daß es diese Streifengardisten gibt?«

»Klar doch«, bestätigte Johnny Farding fast eifrig. »Die scheuchen die Farbigen durch die Gegend. Ich hab’ schon ein paarmal zugesehen. Die langen ganz schön zu.«

»Die Streifengardisten sind aber auf keinen Fall identisch mit jenen jungen Leuten, die hier ihrem Sport nachgehen?«

»Das fehlte noch«, erwiderte der Schweinemäster und schüttelte den fast quadratischen Kopf. »Denen würd ich was singen ... Nee, die Jungens hier sind in Ordnung. Die tun niemand was.«

»Sie sind zur Zeit auch nicht hier auf der Farm, oder sollte man sich irren, Mister Farding?«

»Nee, keiner hier«, antwortete Johnny Farding. »Da haben Sie Pech gehabt. Aber ich weiß, wo die gerade üben.«

»Wahrscheinlich im nahen Gelände, nicht wahr?«

»Drüben an der alten Brücke und Mühle«, lautete die Antwort. »Sie brauchen nur den Weg langzufahren und kommen automatisch hin. Sie können es überhaupt nicht verfehlen.«

»Mylady dankt für die präzisen Auskünfte«, meinte der Butler. »Sie wissen nicht zufällig, wie viele Personen sich an der alten Mühle befinden?«

»Sechs oder acht«, kam die Antwort. »Die waren nur kurz hier, drüben in Clublokal, wie die das nennen. Und dann sind die sofort weitergefahren.«

»Dieses Clublokal werde ich mir aus der Nähe ansehen, junger Mann«, ließ Lady Agatha sich vernehmen und setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung. »Ich kann nur hoffen, daß Sie mich daran hindern wollen.«

*

»Geh’n Sie doch rüber«, sagte der Schweinemäster, »is’ ja keiner da. Und abschließen tun die nie. Aber ich sag’ Ihnen gleich, daß Sie da nichts sehen werden.«

Agatha Simpson war ein wenig enttäuscht, zumal sie ihren perlenbestickten Pompadur bereits in deutliche Schwingung versetzt hatte. Johnny Farding dachte nicht im Traum daran, sie am Weitergehen zu hindern.

Parker folgte seiner Herrin.

Was den Schweinemäster betraf, so hatte er sich noch kein endgültiges Urteil gebildet.

War dieser Mann tatsächlich so einfältig, wie er sich gab? Oder war er ein Schauspieler, der sein Fach verstand? Wollte er die beiden Besucher in eine Falle locken? Warteten die Streifengardisten irgendwo im Hinterhalt?

Josuah Parker war auf der Hut.

Er blieb dicht hinter Lady Simpson, die energisch ein stallähnliches Gebäude ansteuerte, dessen Außenwände frisch gekalkt waren. Hinter den drei schmalen Fenstern waren geschlossene Vorhänge zu sehen, ein Oberlicht der drei Fenster war geöffnet.

Parker hatte den schwarzen Covercoat aufgeknöpft und die Zwille schußbereit gemacht. Johnny Farding konnte das nicht sehen. Er war am hochbeinigen Monstrum zurückgeblieben.

In der Lederschlaufe der Gabelschleuder lag bereits ein Spezialgeschoß. Es handelte sich dabei um eine Plastikkapsel, in der sich eine Glasampulle befand.

Während des Weitergehens spannte Parker die Gummistränge und visierte kurz das vorhangfreie Oberlicht an. Dann entließ er die Plastikkapsel aus der Lederschlaufe und ging weiter, als wäre überhaupt nichts passiert.

Die Plastikkapsel zischte durch die Luft und wischte durch das geöffnete Oberlicht. Parker hörte einen dumpfen Aufschlag und wußte, daß die Glasampulle zerbrochen war. Falls sich im Clubheim Personen aufhielten, würden sie mit Sicherheit nicht lange in dem stallähnlichen Gebäude bleiben.

Sie kamen noch schneller heraus, als zu erwarten war.

Zwei, drei, dann insgesamt vier junge Männer husteten sich die Seele aus dem Leib und torkelten ins Freie. Sie schlugen um sich, verbeugten sich und bellten wie Seehunde. Sie waren völlig hilflos und sahen sich außerstande, sich mit den beiden Besuchern zu befassen, wie es mit Sicherheit ihre feste Absicht war.

Parker wandte sich zu Johnny Farding um.

Der Schweinemäster stand breitbeinig vor dem hochbeinigen Monstrum und hielt die Forke in Händen.

Parker lüftete überaus höflich die schwarze Melone.

»Die sind ja schon wieder zurück«, rief Johnny Farding und tat jetzt mit einiger Verspätung erstaunt. »Na ja, dann werde ich mich wohl einschalten müssen.«

Er verwandelte die Forke in einen Spieß und marschierte auf den Butler los. Dabei grinste er wieder in der bereits bekannten Art. Nur seine Augen verengten sich ein wenig.

Der Schweinemäster hatte die feste Absicht, die beiden Besucher mit der dreizinkigen Forke zu attackieren.

»Ich wußte es doch, Mister Parker«, ließ die ältere Dame sich erfreut vernehmen. »Diesem Subjekt habe ich von Anfang an nicht getraut.«

Josuah Parker ließ sich auf nichts ein.

Er nahm seinen Universal-Regenschirm waagerecht hoch, drückte auf einen Knopf, der unterhalb vom Bambusgriff verborgen war, und löste damit einen Pfeil aus, der durch den hohlen Schirmstock jagte, das Freie erreichte und sich anschließend in die linke Armbeuge des Mästers bohrte.

Johnny Farding blieb jäh stehen und blickte auf den bunt gefiederten Pfeil, der kaum größer war als eine Stricknadel. Dann stieß er so etwas wie einen Urschrei aus, setzte sich wieder in Bewegung und rannte auf den Butler zu.

Es war eindeutig seine feste Absicht, Parker zu perforieren.

*

Dabei übersah er allerdings Lady Simpson, in der er wohl keine Gegnerin vermutete. Er passierte sie, nachdem der Butler seitlich ausgewichen war. Als der Schweinemäster Myladys Höhe erreichte, schlug sie mit ihrem Pompadour in gekonnter Manier zu.

Der im Handbeutel befindliche Glücksbringer tat wieder mal seine Schuldigkeit. Das mächtige Hufeisen krachte auf die rechte Schulter von Johnny Farding und ließ ihn in den Knien einknicken. Dabei verlor der Mäster die Forke, wollte sie wieder an sich reißen, litt aber bereits deutlich unter Konditionsschwierigkeiten und fiel auf die Knie.

Lady Agatha langte erneut lustvoll zu.

Sie setzte den Pompadour auf den Hinterkopf von Johnny Farding, der nach vorn fiel, sich mit der Stirn abstützte und dann nicht mehr ansprechbar war.

»Ich sollte sicherheitshalber noch mal zuschlagen«, fand die Detektivin und blickte ihren Butler an.

»Vielleicht später, Mylady, sonst könnte es zu lange dauern, bis Mister Farding Ihnen Rede und Antwort stehen wird.«

»Nun gut, aber erinnern Sie mich daran«, gab sie zurück. »So leicht soll er mir nicht davonkommen. Er hätte Sie ja glatt umgebracht, wenn ich nicht gewesen wäre.«

Parker barg den präparierten Pfeil, dessen Spitze mit einer hochwirksamen Chemikalie bestrichen war. Der Muskelapparat des hünenhaften Mannes war vorerst gelähmt. Um Johnny Farding brauchte man sich nicht weiter zu kümmern.

Dafür aber um die insgesamt vier Streifengardisten, die inzwischen schon nicht mehr so ausdrucksstark husteten. Sie wischten sich dicke Krokodilstränen aus den Augen und leisteten so gut wie keinen Widerstand, als der Butler sich nun ihrer annahm.

Mylady hatte die Forke in die Hände genommen und schritt auf die vier am Boden hockenden Männer zu. Sie trugen Jeans, ärmellose Lederjacken und karierte Arbeitshemden. Ihre Füße steckten in stiefelähnlichen Gebilden.

»Sie sollten möglichst umgehend und wahrheitsgemäß antworten«, sagte Parker zu den vier Streifengardisten. »Gehen Sie davon aus, daß Mylady zustechen wird, falls Sie Schwierigkeiten machen,«

»Mann, was haben wir schon zu erzählen?« fragte einer der vier Männer mühsam und immer wieder nach Luft schnappend. »Sie wissen doch, daß Farding unser Boß ist.«

»Ich will es genauer hören, junger Mann«, forderte Mylady ihn auf. Sie hatte die vier Männer erreicht und stieß mit den Zinken der Forke immer wieder in den weichen Erdboden.

»Farding ist hier unser Boß«, wiederholte der Mann und wischte sich dicke Tränen von den Wangen. »Der hat uns gesagt, daß Sie kommen würden.«

»Und von wem stammt dieses Wissen, junger Mann?« fragte Lady Agatha ungeduldig. Sie stach erneut mit der Forke zu. Die Zinken fuhren dicht neben dem Knie des Mannes ins Erdreich. Der Streifengardist zuckte zusammen, zog die Beine blitzschnell an den Körper und blickte die ältere Dame entsetzt an.

»Lady, passen Sie auf«, hüstelte er. »Woher Farding Bescheid wußte, wissen wir nicht, ehrlich. Der kam zu uns da drüben im Club und sagte, wir sollten uns bereithalten.«

»Und wer ist nun der Saubermann?« Agatha Simpson blickte ihn scharf an.

»Keiner von uns weiß das, Lady«, lautete die Antwort. »Und ich glaube, daß auch Farding keinen blassen Schimmer hat. Der Saubermann ruft immer nur an. Der war noch nie hier, der hat sich uns noch nicht vorgestellt.«

»Wen konnten Sie denn im Lauf der Zeit hier auf der Farm begrüßen?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Meine Wenigkeit möchte Namen hören.«

»Wer eigentlich?« Der hüstelnde Streifengardist runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. »Warten Sie mal ... Wer is’ das alles gewesen? Ja, Doctor Hall war schon mal hier ... dann natürlich Harry Caterling, dem die Farm gehört ...«

»Vance Stratons von Cudlam Castle«, warf ein zweiter Streifengardist ein und nickte nervös in Richtung Mylady, die .wieder mit der Forke spielte, »und dann auch noch Grooner, der da auf Schriftsteller macht.«

»Mister Farding erwähnte eine Brücke und eine Mühle«, sagte Parker und wechselte das Thema. »Ist dort mit weiteren Streifengardisten zu rechnen?«

»Bestimmt nicht«, hüstelte der dritte Gardist. »Mehr sind wir nicht. Die anderen sind ja noch in Cudlam Hill.«

»Sie stammen nicht aus dem gerade erwähnten Ort?« erfragte Parker. »Ihrem Dialekt nach zu urteilen, meine Herren, müßten Sie aus dem Londoner Osten kommen.«

»Stimmt, Sir«, gab der vierte Streifengardist zurück. »Da sind wir auch von Farding angehauen worden. Er hat uns nach Cudlam Hill bestellt und uns sogar ’nen anständigen Vorschuß bar auf die Hand bezahlt.«

»Und wie umriß Mister Farding Ihre kommenden Aufgaben?«

»Wir sollten hier mal aufräumen und für Ordnung sorgen«, gestand der Mann und hüstelte weiter. »Aber der hat uns nichts davon gesagt, daß wir Ärger haben würden.«

»Dieser Ärger beginnt gerade erst«, warf Agatha Simpson grimmig ein. »Sie werden sich noch wundern, nicht wahr, Mister Parker?«

»Mylady sind und bleiben für jede erdenkliche Überraschung gut«, gab Josuah Parker zurück. Er meinte genau das, was er gerade gesagt hatte.

*

Sie rümpfte keineswegs die Nase, als sie die Schweineställe aus nächster Nähe betrachtete. In einem hallenartigen Nebengebäude quiekten und grunzten Borstentiere um die Wette.

Die mehr oder weniger rosigen Mastschweine machten auf Parker allerdings einen leicht neurotischen Eindruck. Zu viele wurden in zu engen Koben gehalten. Die Tiere hatten kaum die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Nach Parkers Schätzung hatte man es mit wenigstens hundert Schweinen zu tun.

»Man sollte den armen Tieren etwas Freiheit gönnen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame mitfühlend,

»Zumal mit baldigem Besuch zu rechnen sein wird, Mylady«, erwiderte der Butler, der in der Tür zum Schweinestall stand. Er hatte weit hinten auf dem Zufahrtsweg einen Wagen ausgemacht, der sich schnell näherte.

»Rechne ich mit dem tatsächlichen Saubermann, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson hoffnungsvoll.

»Mylady erwarten sicher die Rückkehr jener vier Streifengardisten, die von Inspektor Nodd eingesammelt wurden.«

»Aha. Vier weitere Streifengardisten also.« Sie durchforschte eindeutig ihr Gedächtnis.

»Die beiden Männer, die mit ihren Beinen die Buche umspannten, Mylady. Dann die beiden Nudisten vom Gasthof, um sie mal so zu beschreiben.«

»Ich brauche keinen Nachhilfeunterricht, Mister Parker«, entrüstete sie sich. »Ich habe alle Details selbstverständlich abrufbereit im Kopf. Sie sollten das wissen.«

»Man könnte die vier Männer vielleicht gebührend empfangen, Mylady.« Parker ging auf den Vorwurf seiner Herrin erst gar nicht ein. Er wartete auch nicht Lady Simpsons Zustimmung ab, sondern machte sich daran, einige besonders gut gefüllte Schweinekoben zu öffnen.

Die Borstentiere, die sich endlich die Freiheit versprachen, reagierten umgehend und drängten sich quiekend und grunzend in die Stallgasse.

Sie strebten dem ihnen bekannten Ausgang zu, stiegen förmlich übereinander und konnten es nicht erwarten, bis auch diese Tür geöffnet wurde.

Inzwischen war das Taxi näher herangekommen.

Der Wagen fuhr um das Wohnhaus und blieb in Höhe von Parkers Wagen stehen. Und der Butler hatte sich nicht getäuscht. Vier bereits bekannte Streifengardisten fielen förmlich vor Eifer aus dem Taxi, blieben kurz neben Parkers Privatwagen stehen und stürmten dann erst mal auf das Wohnhaus zu, in dem sie wohl das Quartett aus London vermuteten.

Wegen Johnny Farding und der vier anderen Streifengardisten brauchte Parker sich keine Sorgen zu machen.

Diese Mitarbeiter des Saubermannes waren längst sicher untergebracht worden.

Sie hockten in einer Futterkammer und hatten keine Möglichkeit, sich aus eigener Kraft zu befreien. Parker hatte eine Rolle Packband aus Privatbesitz geopfert, um die Schläger und den Schweinemäster ausgiebig zu umwickeln.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Neuankömmlinge wieder vor dem Wohnhaus erschienen. Sie riefen ungeduldig und laut nach Johnny Farding, der aber verständlicherweise nicht antworten konnte.

Parker stand inzwischen vorn an der breiten Tür und wartete auf ein Zeichen seiner Herrin, die die Schläger beobachtete. Früher oder später mußten sie hinüber zu dem stallartigen Gebäude gehen, in dem der sogenannte Sportclub untergebracht war. Dabei kamen sie dann in die unmittelbare Nähe des Schweinestalls.

Und dann war es soweit ...

Die vier Neuankömmlinge waren inzwischen auf das Quieken und Grunzen der Borstentiere aufmerksam geworden, verharrten und überlegten sicher, ob sie einen Blick in den Großstall werfen sollten.

Lady Agatha gab das Zeichen.

Butler Parker stieß die Doppeltür auf und stieg dann sicherheitshalber auf eine Futterbank, um von der Woge der Schweine nicht überschwemmt zu werden.

Seine Vorsichtsmaßnahme zahlte sich aus!

*

Die Männer wurden total überrascht.

Sie sahen sich plötzlich einer Brandungswelle gegenüber, die aus Borstentieren bestand. Die Vierbeiner hetzten in wildem Galopp auf die Männer zu und rannten sie förmlich über den Haufen.

Die vier Streifengardisten versuchten zwar noch ihr Heil in schneller Flucht, doch sie schafften es nicht. Die quiekende und grunzende Masse brachte sie innerhalb weniger Sekunden völlig von den Beinen.

Parker sah zwar noch einige Arme, die sich hilfesuchend gen Himmel streckten, doch dann wurden auch sie von der rosigen Schweinemasse glattgebügelt. Eine Stampede von Rindern im Westen der USA hätte kaum wirkungsvoller ausfallen können.

Der Taxifahrer lieferte sich mit einem besonders schnellen Schwein ein Sprinter-Duell.

Der Mann hetzte um seinen Wagen herum, glitt aus, stützte sich im letzten Moment gerade noch, nahm Kurs auf das Wohnhaus und hätte es wahrscheinlich noch geschafft, wenn nicht zwei andere Borstentiere ihm in die Quere gekommen wären. So sprang er über das erste Schwein, landete dann aber auf dem Rücken des zweiten und klatschte satt zu Boden. Anschließend rannten die munteren Borstentiere über ihn hinweg und strebten dem offenen Gelände zu.

»Herzerfrischend, Mister Parker«, meinte die ältere Dame, die sich neben ihrem Butler aufgebaut hatte. Die Schweine hatten die in den Boden gerammten Schläger inzwischen überlaufen und machten sich ebenfalls daran, noch mehr an Freiheit zu gewinnen.

Die rosige Woge ergoß sich auf eine weite Wiese, die nicht eingezäunt war. Dahinter dehnte sich sanft hügeliges Gelände. Mit etwas Glück und Geschick konnten die Borstentiere sich dort verstreuen und unauffindbar machen.

Die vier Streifengardisten sahen sehr ramponiert aus.

Vom anfänglichen Schwung war an ihnen nichts mehr zu entdecken. Stöhnend und fluchend drückten die vier Männer sich aus dem leicht verunreinigten Boden hoch und blickten dann betreten an sich hinunter. Sie sahen verdreckt aus und fanden sich momentan wohl ausgesprochen widerlich.

»Sie sollten vielleicht etwas für die Hygiene und Sauberkeit tun«, schlug Josuah Parker ihnen in seiner höflichen Art vor. »Dazu bietet sich mit Sicherheit die Duschanlage in Ihrem Sportclub an.«

Sie hätten sich ja liebend gern auf Parker und Lady Agatha gestürzt, doch Mylady hielt eine der vorher sichergestellten Waffen in der Hand und demonstrierte ihr einmaliges Verständnis für Technik.

Sie richtete den Lauf der schallgedämpften Pistole auf die vier Gardisten, die das dumpfe Gefühl nicht los wurden, es könnte sich rein zufällig ein erster Schuß lösen. Sie setzten sich also schleunigst in Bewegung und trabten hinüber zum Sportclub.

Von der Eingangstür dirigierte der Butler die vier Schlammfiguren in den Waschraum. Einer der Gardisten, der nur darauf gewartet hatte, den Butler im Eßraum abfangen zu können, duckte sich schleunigst, als Parker einen Schuß abgefeuert hatte, der dicht neben ihm in der Wand landete. Auch der Butler hatte sich mit einer Beutewaffe ausgerüstet und demonstrierte bei dieser Gelegenheit, daß er ein erstklassiger Schütze war.

Als die vier Gardisten im Waschraum waren, der übrigens nur einige schmale Lüftungsschlitze aufwies, schloß er die Tür und verließ den Eßraum. Er begab sich zu Lady Simpson zurück, die ihn ungeduldig-freudig anblickte.

»Und jetzt, Mister Parker?« fragte sie. »Reicht das hier endlich für eine Massenverhaftung?«

»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, bedauerte Parker. »Aussage würde gegen Aussage stehen, wie zu befürchten ist.«

»Diese Subjekte wissen doch ganz sicher nicht, wer dieser Saubermann ist.«

»In der Tat, Mylady. Die Gardisten an sich sind unwichtig.«

»Dann sollte ich warten, ob der Saubermann nicht hier erscheint«, redete sie weiter. »Er erwartet doch schließlich, daß man mich abgefangen hat, nicht wahr?«

»Davon dürfte der erwähnte Saubermann mit einiger Sicherheit ausgegangen sein, Mylady.«

»Dann werde ich etwas Tee nehmen«, entschied sie und deutete auf das Wohnhaus, »und ich werde ...«

»Das Telefon, Mylady«, meinte der Butler. Im Wohnhaus war das Läuten des Telefons klar zu vernehmen. Parker deutete eine höfliche Entschuldigung an, begab sich ins Haus und entdeckte einen Wandapparat neben dem Kamin. Er hob ab und meldete sieh mit seinem Namen.

Auf der Gegenseite blieb erst mal alles ruhig, nur scharfes Durchatmen war zu hören.

»Meine Wenigkeit geht davon aus, daß sie mit dem sogenannten Saubermann spricht«, sagte Parker. »Ihre Streifengardisten handelten sich erneut eine Niederlage ein, wie Sie inzwischen wohl vermuten oder gar wissen.«

»Von diesen Strolchen bekomme ich jederzeit Ersatz, Parker«, antwortete eine sehr undeutliche Stimme. »Kein Problem also. Aber Sie werden mich nicht daran hindern, für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Ich werde meinen Weg gehen.«

»Und schließlich nachhaltig stolpern, Mister Saubermann«, prophezeite der Butler. »Eine Person von Ihrer grenzenlosen Dummheit, Arroganz und Selbstüberhebung hat sich bereits überlebt ...«

Josuah Parker hängte auf, bevor der Saubermann antworten konnte. Er war daran interessiert, den Saubermann zu reizen. Daraus erwuchsen schließlich Fehler, die man positiv nutzen konnte.

*

Chief-Superintendent McWarden war ein untersetzter, bullig aussehender Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens befaßte. McWarden war dem Innenministerium direkt unterstellt, ein sehr fähiger Kriminalist und im Haus der älteren Dame in London ein oft und im Grund gern gesehener Gast.

Er nahm es ohne weiteres hin, daß Agatha Simpson sich liebend gern an ihm rieb, denn McWarden schätzte in erster Linie die Fähigkeiten des Butlers. Nur zu oft hatte Parker in der Vergangenheit für ihn komplizierte Fälle gelöst.

»Während Sie hier Urlaub machen, bin ich bereits tätig gewesen, mein lieber McWarden«, stichelte Lady Agatha, nachdem man sich begrüßt hatte. »Ich habe die Streifengardisten außer Gefecht gesetzt. Und Mister Parker hat mir dabei ein wenig geholfen.«

Die ältere Dame und Parker waren auf Cudlam Castle eingetroffen. Zusammen mit McWarden hielt man sich in der Eingangshalle des schloßähnlichen Hauses auf.

Man war übrigens nicht allein. Die von Sir Alfred zur Treibjagd geladenen Gäste hatten sich versammelt, nahmen einen letzten Imbiß und bereiteten sich auf das Unternehmen vor. Angestellte trugen Platten mit kleinen und großen Appetithappen herum.

Agatha Simpson winkte einen Angestellten heran und deutete auf die Platte, die der ahnungslose Mann gerade hereingetragen hatte.

»Setzen Sie die Platte hier ab, mein Bester«, meinte sie überaus freundlich, »und besorgen Sie mir umgehend eine Flasche Sherry. Und etwas Tee, wenn ich bitten darf!«

Der Angestellte gehorchte augenblicklich. Agatha Simpson strahlte schließlich Autorität aus. Die ältere Dame lächelte zufrieden und widmete sich dann den Happen.

Josuah Parker nutzte die Gelegenheit, dem Chief-Superintendent ein Bild der Lage zu vermitteln. McWarden hörte aufmerksam zu und lächelte flüchtig, als Parker auf die diversen Kontakte mit den sogenannten Streifengardisten zu sprechen kam.

»Die Herren dürften die Biggin-Farm inzwischen längst geräumt haben«, schloß der Butler seine kurze Schilderung.

»Und sind austauschbar, wie dieser Saubermann am Telefon sagte«, meinte McWarden. »Schläger dieser Art findet man überall, Mister Parker. Und in diesem Fall umgeben diese Personen sich sogar noch mit einem nationalen Mäntelchen.«

»Ihnen sind ähnliche Bestrebungen aus London bekannt, Sir?«

»Nur zu bekannt, Mister Parker.« McWarden nickte und seufzte leise. »Dieser Saubermänner gibt es überall. Haben Sie bereits einen vagen Verdacht, wer der Saubermann hier sein könnte?«

»Besonders interessant dürften die Herren Dennis Hall und Graham Grooner sein, Sir.«

»Und wie kommen Sie gerade auf diese Personen, Mister Parker?« fragte der Chief-Superintendent. Er hatte sich vom Butler bereits die diversen Namen nennen lassen und wußte sie einzuordnen.

»Doctor Halls Geländewagen wurde von meiner Wenigkeit signiert, Sir, als damit Streifengardisten die Flucht ergriffen«, sagte der Butler. »Und Mister Graham Grooner, der sich Schriftsteller nennt, passierte Mylady und meine Wenigkeit auf einer recht einsamen Landstraße, ohne sich um einen Ford zu kümmern, der von der Straße abgekommen war.«

»Und was ist mit diesem echten Saubermann aus Cudlam Hill?«

»Er vermietete immerhin seine Farm an Mister Farding, der seinerseits den Streifengardisten Unterschlupf gewährte.«

»Dieser Saubermann soll etwas, nun, skurril sein, oder?«

»Was durchaus täuschen kann, Sir. Eine zielgerichtete Persönlichkeit ist er in jedem Fall, um es mal so auszudrücken.«

»Ich habe mich um Pitnay gekümmert«, sagte McWarden. »Ein armer Teufel ist das, wenn Sie mich fragen. Er führte im letzten Krieg eine Einheit, machte ein paar große Fehler und betätigte sich dann im Nachschub. Aber das werden Sie ja alles längst wissen. Was tatsächlich in seinem Kopf vorgeht, weiß man natürlich nicht.«

Mylady räusperte sich explosionsartig und lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sich. Sie hielt ein Sandwich in der rechten Hand und deutete sehr ungeniert auf Vance Stratons, der gerade aus einem Nebenraum kam und sich mit Sir Alfred unterhielt.

»Vergessen Sie diesen Verwalter nicht«, meinte sie ungeniert laut. »Er gibt sich besonders harmlos. Und so etwas erregt stets meinen Verdacht. Sie werden noch an mich denken.«

*

Die Detektivin schien sich für eine Invasion gerüstet zu haben.

Selbstverständlich wollte sie an der Treibjagd teilnehmen. Sie schulterte eine doppelläufige Schrotflinte und hatte sich zwei vollgespickte Patronengurte über die Schulter gelegt.

Agatha Simpson trug eines ihrer viel zu weiten Tweed-Kostüme und hatte sich kniehohe Gummistiefel angezogen. Auf ihrem Kopf saß ein bemerkenswert aussehender Jagdhut, der an einen oberflächlich ausgestopften Fasan erinnerte. Die wippenden Schwanzfedern eines exotischen Vogels verliehen Mylady ein erstaunlich kokettes Aussehen.

»Ich werde Ihnen gleich mal demonstrieren, Mister Parker, wie man schießt«, kündigte sie an. »Übrigens, was darf eigentlich geschossen werden?«

»Es geht um Hasen, Mylady«, erläuterte Parker, der übrigens wie gewöhnlich gekleidet war und auf jede Jagdausstattung verzichtet hatte.

»Nun, ich betrachte mich bereits jetzt als Jagdkönigin«, meinte die ältere Dame optimistisch wie stets. »Ist Ihnen aufgefallen, daß dieser Arzt sich an der Treibjagd beteiligt?«

»Und Mister Pitnay, der Sammler von Militaria, Mylady, sowie die Herren Grooner und Nodd.«

»Grooner und Nodd.« Sie nickte und wirkte leicht desorientiert.

»Mister Grooner ist der Schriftsteller, wie Mylady sich natürlich längst erinnern«, meinte der Butler. »Mister Nodd leitete die Polizei von Cudlam Hill.«

»Ist auch dieser Verwalter unterwegs?« wollte sie wissen.

»Selbstverständlich, Mylady. Mister Stratons beteiligt sich ebenfalls an der Jagd.«

»Und der gute McWarden?« Sie lächelte etwas geringschätzig. »Ich fürchte, er ist dieser Strapaze natürlich nicht gewachsen.«

»Mister McWarden hat sich in der Nähe aufgebaut, Mylady.«

»Dann werde ich rechtzeitig in Deckung gehen«, gab die ältere Dame anzüglich zurück. »Ich traue seinen Schießkünsten nicht besonders, Mister Parker. Was ist das übrigens für ein scheußlicher Lärm?«

»Die Treiberkette, Mylady, dürfte sich in Bewegung gesetzt haben.«

»Dann lenken Sie mich nicht weiter ab, Mister Parker. Es geht also um Hasen! Gut zu wissen ... Ich denke, ich habe mir hier einen besonderen Platz ausgesucht.«

»So wird auch der gesuchte Saubermann denken, Mylady, wenn meine Wenigkeit sich diesen Hinweis erlauben darf.«

»Der Saubermann, Mister Parker?«

»Falls er anwesend ist, wovon man ausgehen sollte, wird er den Lärm der Schützen nutzen, um Mylady unter Feuer zu nehmen.«

»Unsinn, Mister Parker.« Sie schüttelte den Kopf und blickte grimmig nach allen Seiten. Um sie herum gab es mannshohes Gebüsch, Gras und unbeschnittene Hecken.

Aus dieser dichten Deckung hatte man gute Sicht auf Wiesen und Äcker, die zu einer sanften Hügelgruppe anstiegen. Und auf dieser erschienen jetzt die ersten Treiber, die das Wild scheuchten, um es den Schützen zuzutreiben.

Agatha Simpson nahm ihre Schrotflinte sofort in Anschlag.

»Mylady sollten vielleicht noch ein wenig warten und sich möglicherweise für einen wesentlich besseren Standort entscheiden«, schlug Parker höflich vor. »Die Jagdstrecke dürfte dann erheblich größer ausfallen.«

»Ein besserer Platz für mich?« Sie wurde sofort hellhörig.

»Wenn meine Wenigkeit vielleicht vorausgehen darf«, meinte der Butler und setzte sich sofort in Bewegung. Er wußte aus Erfahrung, daß seine Herrin ihm umgehend folgen würde.

*

»Meine Wenigkeit muß gestehen, sich verlaufen zu haben, Mylady«, sagte Josuah Parker, als die ältere Dame ihn streng musterte. Auch Agatha Simpson hörte natürlich die Schüsse der Jagdteilnehmer, aber sie waren weit weg.

»Sie haben sich verlaufen?« grollte sie.

»Im unübersichtlichen Gelände, Mylady.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos, obwohl er sich freute, seine Herrin aus der Gefahrenzone unauffällig herausgeschafft zu haben.

»Das nehme ich Ihnen nicht ab, Mister Parker«, raunzte sie. »Sie haben mich absichtlich in die Irre geführt. Ich bin weitab von der Jagd ... Die Schüsse sind ja kaum zu hören.«

»Mylady sollten meiner Wenigkeit eine gute Absicht unterstellen.«

»Und was mache ich jetzt?« grollte sie. »Warum habe ich eigentlich die ganze Munition mit mir herumgeschleppt?«

»Mylady hätten es ohnehin kaum übers Herz gebracht, auf hilflose Hasen zu schießen.«

»Ich wollte auf diesen Saubermann warten«, räumte sie gereizt ein. »Ich hatte natürlich damit gerechnet, daß er auf mich schießen würde. Ich wollte mich als Ziel anbieten und ...«

Sie zuckte zusammen, als ein Geschoß dicht an ihr vorbeizischte und im Stamm einer Buche landete.

Dann schrie sie empört auf.

Der Butler hatte sich entschlossen gegen ihre majestätische Fülle geworfen und brachte Agatha Simpson zu Fall. Während sie einen empörten Schrei ausstieß, rutschte sie in eine Hecke und entging einem zweiten Geschoß, das ebenfalls in einem Baumstamm landete.

»Das ... Das haben Sie absichtlich getan«, empörte sich die ältere Dame, nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte.

»In der Tat, Mylady«, erwiderte Josuah Parker und griff nach der doppelläufigen Schrotflinte, doch Mylady war schneller. Sie raffte das Gewehr an sich.

»Ich wurde beschossen?« fragte sie sicherheitshalber.

»Es handelte sich eindeutig um zwei Schüsse, Mylady.«

»Die aus welcher Richtung kamen?« Sie entsicherte die Waffe und machte sich bereit, eine Art Sperrfeuer zu legen.

Parker deutete mit seiner Schirmspitze auf einen hohen, dichten Wall, der aus Hecken und Sträuchern gebildet wurde. Damit beantwortete er Myladys Frage.

Nun war Agatha Simpson nicht mehr zu halten.

Sie feuerte die beiden Ladungen in den Läufen ab und entlaubte damit einen ersten Strauch. Die Blätter und Zweige wirbelten durch die Luft. Feine Schrotkugeln aus den Patronen schlugen eine Bresche in das Grün.

Doch damit nicht genug ...

Mylady legte wirklich eine Art Sperrfeuer und dezimierte ihren Vorrat an Schrotpatronen. Parker sah dieser Verschwendung schweigend und durchaus gelassen zu. Solange Mylady den grünen Wall unter Beschuß nahm, konnte eigentlich nicht viel passieren. Seiner Schätzung nach hatte der heimtückische Schütze längst das Weite gesucht.

Doch dann wäre es beinahe zu einem durchaus peinlichen Zwischenfall gekommen. Parker hörte von der Wiesenseite her einen Ruf und sah wenig später eine sich vorsichtig nähernde Gestalt. Auch Lady Agatha war aufmerksam geworden und witterte eine Möglichkeit, endlich einen Treffer anbringen zu können. Parker aber verstand es geschickt und taktvoll, mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes die Schrotflinte zur Seite zu drücken.

Erneut flogen Schrotkörner durch die Luft. Die sich nähernde Gestalt warf sich geistesgegenwärtig zu Boden und stieß dabei einen entsetzten Schrei aus.

»Ich dürfte den Saubermann erwischt haben«, freute sich die ältere Dame.

»Falls er mit Mister Pitnay identisch sein sollte«, gab der Butler zurück. Er hatte den Deckungssuchenden bereits identifiziert. Es handelte sich um den Freizeit-Schlachtenlenker und Sammler von Militaria.

»Feuer einstellen ... Sofort Feuer einstellen«, brüllte Paul Pitnay. »Zum Teufel, wollen Sie mich umbringen?«

»Ich traue diesem Subjekt nicht über den Weg«, sagte Lady Agatha ungeniert laut zu ihrem Butler und lud nach.

»Mylady nehmen an, daß Mister Pitnay sich erfrechte, auf Mylady zu schießen?« fragte Josuah Parker.

»Natürlich hat er auf mich geschossen«, behauptete sie umgehend. »Für mich gibt es da überhaupt keinen Zweifel, Mister Parker. Er wollte mich ermorden!«

*

»Nun drehen Sie nur nicht gleich durch, alter Knabe«, sagte Sir Alfred zu Paul Pitnay, der einen krebsroten Kopf hatte. Seine Ordonnanz hatte bisher vergebens versucht, den ehemaligen Brigadier ruhigzustellen.

»Nur dank meiner Geistesgegenwart lebe ich noch«, übertrieb Pitnay. »Lady Simpson hätte mich glatt weggepustet.«

»Haben Sie sich gefälligst nicht so wegen der paar Schrotkugeln«, raunzte die ältere Dame. »Konnten Sie sich nicht rechtzeitig bemerkbar machen? Haben nicht auch Sie auf mich geschossen?«

Sir Alfred wandte sich an seinen Verwalter und flüsterte ihm etwas zu. Daraufhin drängte Vance Stratons den pensionierten Offizier vorsichtig ab.

»Vielleicht sollte man den Vorgang genau analysieren, Sir«, sagte Stratons zu Pitnay. »Würden Sie das vielleicht in die Hand nehmen? Sie haben darin ja die größte Erfahrung, Mister Pitnay.«

»Eine gute Idee«, fand Paul Pitnay und nickte. »Man müßte allerdings erst mal eine genaue Geländeskizze anfertigen. Fulson, ich brauche meine Kartentasche.«

Fulson, Pitnays Ordonnanz, konnte umgehend mit dieser verlangten Kartentasche dienen, und Pitnay ließ sich ablenken. Er schien den Zwischenfall schon wieder vergessen zu haben und studierte eine Karte.

»Irgendwas passiert?« ließ sich Graham Grooner vernehmen. Der Schriftsteller erschien zusammen mit Doc Hall auf dem Schauplatz.

»Überhaupt nichts«, meinte Verwalter Stratons, der sich nur mit Mühe ein Lächeln verbiß.

»Nun untertreiben Sie nicht so schamlos, junger Mann«, empörte sich Agatha Simpson. »Schließlich sollte ich ermordet werden.«

»Man hat auf Sie geschossen?« fragte der Schriftsteller.

»Wo waren Sie in den vergangenen fünfzehn Minuten?« wollte Agatha Simpson wissen. Sie musterte Graham Grooner mit mißtrauischem Blick.

»Ich war drüben in der Schützenkette«, gab Grooner zurück. »Zusammen mit Doc Hall.«

»Aber wir haben uns doch erst vor knapp fünf Minuten getroffen«, wandte Dennis Hall ein.

»Und wo waren Sie während dieser Zeit, mein Bester?« forschte die ältere Dame weiter nach. Auch Hall wurde von ihr mit mißtrauischem Blick bedacht.

»Ich stand drüben am kleinen Hohlweg«, erklärte der Arzt. »Inspektor Nodd müßte mich eigentlich gesehen haben.«

»Und wo steckt dieser Inspektor?« Agatha Simpson runzelte die Stirn.

»Keine Ahnung, Mylady«, entschuldigte sich der Arzt und zuckte die Achseln. »Ich habe ihn dann aus den Augen verloren.«

»Wie wäre es denn mit einem Jagdumtrunk?« machte sich Sir Alfred lärmend bemerkbar und deutete auf einen schmalen Feldweg. »Ich denke, wir alle haben jetzt eine kleine Erfrischung verdient.«

»Nun gut, wenn ich so gebeten werde.« Agatha Simpson nickte und setzte sich in Bewegung. Ihr schlossen sich die übrigen Jagdteilnehmer an. Nur Paul Pitnay blieb mit seiner Ordonnanz Jack Fulson zurück. Der ehemalige Brigadier hatte nach wie vor mit seiner Geländeskizze zu tun.

»Wen haben wir denn da?« staunte die Detektivin plötzlich und blieb jäh stehen.

»Mister Harry Caterling, Mylady, der bekannte Saubermann aus Cudlam Hill«, beantwortete Parker die Frage. Der ehemalige Polizist stand neben seinem kleinen Morris und beobachtete aufmerksam die Näherkommenden.

»Es kann kein Zufall sein, daß er hier ist, Mister Parker«, stellte die ältere Dame umgehend fest.

»Möglicherweise achtet Mister Caterling auf die Einhaltung der einschlägigen Jagdgesetze, Mylady.«

»Um bei Gelegenheit auf mich zu schießen«, fügte Agatha Simpson wissend hinzu. »Seine Schußwaffe wird er inzwischen längst versteckt haben.«

Der selbsternannte Saubermann aus Cudlam Hill stakste auf Mylady und Parker zu und salutierte militärisch.

»Man hat sich bei der Biggin-Farm aus den Augen verloren«, sagte er dann im vertraulichen Ton und gab sich als Verschwörer. »Schade eigentlich, Mylady. Dort hat sich sehr viel getan.«

»Könnten Mylady Einzelheiten erfahren, Mister Caterling?« fragte Josuah Parker.

»Farding und die Streifengardisten sind noch immer dabei, die Mastschweine zu suchen«, sagte Caterling. »Und dann habe ich vor etwa einer Viertelstunde Inspektor Nodd gesehen,«

»Man muß wohl davon ausgehen, daß Sie ihn nicht zufällig beobachteten, Mister Caterling.«

»Naja, er humpelte etwas. Ich hatte den Eindruck, daß er von einigen Schrotkörnern getroffen wurde, aber ich will nichts gesagt haben.«

Butler Parker dachte automatisch an Myladys Sperrfeuer.

*

»Eine verdammt peinliche Geschichte, Mister Parker«, sagte der Inspektor und blickte sich verstohlen um. Er saß in der Küche von Cudlam Castle, deutete auf den linken Oberschenkel und zeigte anschließend seine Kehrseite.

»Ich bin von einigen Schrotkugeln erwischt worden.«

»Sie wurden bereits verbunden, Sir?« forschte der Butler nach.

»Deveter hat das erledigt. Aber keine Sorge, es handelt sich nur um eine Kleinigkeit.«

Deveter, wie der Koch hieß, erschien in der Nische und winkte ab. Er hatte die Worte des Inspektors mitbekommen.

»Nicht der Rede wert, Mister Parker«, sagte er. »Der Inspektor hat Glück gehabt.«

»Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, Sir, wer Sie angeschossen haben könnte?« erkundigte sieb der Butler.

»Keine Ahnung. Ich wollte zu Ihnen und Lady Simpson. Und dann pfiffen mir auch schon zwei Schrotladungen um die Ohren. Ich konnte gerade noch Deckung nehmen.«

»Man versuchte, Mylady zu ermorden, Sir.«

»Guter Gott.« Nodd war beeindruckt. »Es ist aber doch wohl nichts passiert, oder?«

»Mylady nahm den heimtückischen Schützen unter Dauerfeuer, Sir.«

»Aber Sie haben keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«

»Mylady erwartet jederzeit einen Anruf, der Aufklärung bringen dürfte.«

»Aha. Sie haben einen Informanten, Mister Parker?«

»In der Tat, Sir«, gab Josuah Parker zurück. »Darf man im Vertrauen an das pakistanische Ehepaar erinnern, das zusammen mit seinem Sohn Cudlam Hill verließ?«

»Natürlich, Sie erzählten mir ja davon, Mister Parker.«

»Der Ehemann hat sich nach langem Zögern bereit erklärt, Sir, einen Namen zu nennen.«

»Dann muß ich aber sofort verständigt werden, damit ich dienstlich einschreiten kann, Mister Parker.« Nodd war wie elektrisiert.

»Man wird Sie umgehend verständigen, Sir«, versprach der Butler. »Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit sich jetzt zurückziehen. Mylady erwartet mich.«

Josuah Parker begab sich zurück in die große Halle von Cudlam Castle und mischte sich unter die vielen Jagdgäste. Man sprach noch immer über das Sperrfeuer, das Mylady draußen in freier Natur gelegt hatte. Man amüsierte sich, tauschte Jägerlatein aus und sprach den Getränken mehr als herzhaft zu.

Lady Agatha war umringt von Sir Alfred, Doc Hall und dem Schriftsteller Graham Grooner.

»Wo haben Sie denn gesteckt, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame leicht grollend.

»Es ging um den Austausch einiger Gedanken mit Inspektor Nodd, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Meine Wenigkeit wurde von Miß Porter und Mister Rander aus London angerufen, die sich übrigens erlauben, Mylady die besten Grüße ausrichten zu lassen.«

»Schade, daß sie nicht mitgekommen sind«, bedauerte Sir Alfred.

»Miß Porter und Mister Rander?« fragte Doc Hall interessiert.

»Myladys Gesellschafterin«, erläuterte der Butler in seiner höflichen Art. »Mister Rander berät Mylady in Vermögensdingen. Die jungen Herrschaften blieben in London zurück, um sich einer bedrohten pakistanischen Familie anzunehmen, die von dem hiesigen Saubermann belästigt wurde.«

»Nun, Mister Parker?« wollte die Detektivin wissen.

»Es bestehen noch gewisse Vorbehalte, Mylady.« Parker blickte zu Boden und schien peinlich berührt zu sein.

»Namen, Mister Parker?« fragte Dennis Hall.

»Es geht um diesen Saubermann, mein Bester«, redete die ältere Dame in ihrer sehr ungenierten und offenen Art weiter. »Diese Pakistani müssen den Mann kennen. Sie haben bisher nur aus Angst geschwiegen.«

»Der Saubermann ist bekannt?« rief Paul Pitnay, der zur Gruppe gestoßen war. Er sprach nicht gerade leise. Der ehemalige Brigadier warf sich in die Brust. »Dann sollte man aber sofort zuschlagen und diesem Spuk ein Ende bereiten.«

»Sir, man sollte die Dinge vielleicht vertraulich behandeln«, bat Josuah Parker eindringlich.

»Papperlapapp, Mister Parker«, rief die energische Dame aus. »Warum sollte nicht jeder hier wissen, daß dieser Fall sich eigentlich bereits erledigt hat? Die Stunden dieses Subjektes sind gezählt.«

*

Horace Pickett hatte in jüngeren Jahren mal als Taschendieb gearbeitet und war ein »Meister seines Fachs« gewesen. Längst aber stand er auf der richtigen Seite des Gesetzes und war echter Mitarbeiter der Lady Agatha und des Butlers.

Pickett erinnerte, was sein Äußeres betraf, an einen ehemaligen Offizier. Er war groß, schlank, hatte einen gepflegten Schnurrbart und trug mit Vorliebe einen Trenchcoat.

»Wir haben alles unter Kontrolle, Mylady«, sagte er, nachdem er Butler Parker und die ältere Dame begrüßt hatte. »Gleich nach Ihrem Anruf, Mister Parker, bin ich mit Bekannten losgefahren.«

»Sie konnten bereits einige Streifengardisten ausschalten, Mister Pickett?« fragte der Butler und deutete auf den Küchentisch. Auf der Platte lagen Fahrradketten, Stahlruten und zwei kurzläufige Maschinenpistolen.

»Zwei Schläger tauchten hier auf, Mister Parker«, berichtete Horace Pickett weiter. »Sie hatten keine Chance. Meine Bekannten haben sich sofort mit ihnen befaßt. Wenn Sie vielleicht mal einen Blick auf die beiden Männer werfen wollen?«

»Diese Subjekte werde ich mir ansehen«, verlangte die Detektivin umgehend.

»Wir haben sie in den Anbau gesteckt, Mylady.« Pickett ging voraus. Man hatte sich in einem etwas schäbig wirkenden Reihenhaus getroffen, das zu einem monotonen Wohnviertel im Südwesten von London gehörte.

In diesem einfachen Reihenhaus war die pakistanische Familie aus Cudlam Hill vorerst untergebracht worden. Inzwischen hatten die Flüchtlinge aus der kleinen Provinzstadt längst das Quartier gewechselt.

Parker aber konnte davon ausgehen, daß der Saubermann von Cudlam Hill auf diese Adresse fixiert war, falls er das Taxi hatte verfolgen können, das die Familie nach London gebracht hatte.

Agatha Simpson war sehr angetan, als sie die beiden Streifengardisten des Saubermannes erblickte. Sie saßen in einem sehr altmodischen und hochbeinigen Kinderwagen, waren natürlich gefesselt und fühlten sich nicht wohl.

»Womit bewiesen sein dürfte, daß eine Verfolgung der Familie stattfand«, sagte der Butler. »Nun, auch der Saubermann wird nicht lange auf sich warten lassen. Ihm steht natürlich kein Hubschrauber zur Verfügung.«

»Dieser Hubschrauber war unnötig, Mister Parker«, tadelte die ältere Dame, als man zurück in das Vorderhaus ging. »Ich hätte die Strecke nach London in Rekordzeit geschafft.«

»Mylady brauchen den Hubschrauber nicht zu bezahlen«, erinnerte der Butler. »Mister McWarden stellte ihn zur Verfügung.«

»Sie sind mit einem Polizei-Hubschrauber von Cudlam Hill gekommen?« erkundigte sich Pickett.

»Um den Saubermann hier abzufangen«, bestätigte Josuah Parker. »Alle Personen, die mit dem Saubermann in einen Bezug zu bringen sind, wissen sehr genau, daß die pakistanische Familie der Schlüssel zu diesem Geheimnis ist.«

»Dann dürfte Ihr Saubermann also bereits unterwegs sein?«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, lautete die Antwort des Butlers. »Meiner bescheidenen Ansicht nach wird er sich sehr beeilen.«

»Sie haben eine Ahnung, wer der Saubermann sein könnte?« tippte der ehemalige Eigentumsübertrager an.

»Mylady traf bereits eine Entscheidung«, sagte Parker.

»Natürlich weiß ich, wer der Täter ist, mein lieber Pickett«, behauptete die ältere Dame. »Ich wußte es bereits wenige Stunden nach meiner Ankunft in der kleinen Stadt.«

»Darf man vielleicht erfahren, wer ...«

»Mylady denkt an Mister Graham Grooner«, sagte Josuah Parker.

»Tatsächlich?« wunderte sich Lady Agatha sichtlich und war überrascht. »Graham Grooner? Ist das nicht dieser ...«

»... Schriftsteller, Mylady«, redete Parker weiter. »Mylady fielen sofort auf, daß Mister Grooner in seinem Austin jene Stelle passierte, an der Mylady von der Straße abgedrängt wurden.«

»Das machte mich tatsächlich sofort hellhörig und mißtrauisch«, sagte sie nun. »Normalerweise hätte dieses Subjekt anhalten und nachsehen müssen.«

»Nur dies wäre eine normale Reaktion gewesen, wie Mylady gleich wußten und deuteten«, erklärte Parker weiter. »Mister Grooner aber wollte um jeden Preis anonym bleiben, um auf keinen Fall mit den Streifengardisten in Zusammenhang gebracht zu werden.«

»Demnach müßte dann ja wohl dieser Schriftsteller hier auftauchen«, sagte Horace Pickett.

»Selbstverständlich, mein lieber Pickett, wer sonst?« Sie lächelte wissend. »Eine Lady Simpson kann man nicht hintergehen.«

*

Er ließ sich von einem Taxi bringen, stieg aus und näherte sich vorsichtig dem Reihenhaus, das oben auf einem Hügel stand. Er schien mißtrauisch zu sein, doch dann gab er sich einen Ruck und schob sich blitzschnell in den schmalen Korridor. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat Josuah Parker in Erscheinung.

»Man wünscht einen guten Abend«, sagte der Butler und lüftete die schwarze Melone. »Offen gestanden, Mister Grooner, Mylady wurde bereits ein wenig ungeduldig.«

Der Schriftsteller wollte unter sein Jackett greifen, doch Parker hob den Universal-Regenschirm an.

»Falls Sie Wert auf einen präparierten Pfeil legen, Mister Grooner, sollten Sie durchaus versuchen, an Ihre Schußwaffe zu gelangen.«

»Wieso Schußwaffe?« Grooner schaltete blitzschnell um. »Was wollen Sie eigentlich? Ich will die pakistanische Familie besuchen. Ich kenne diese Leute schließlich und ...«

»Nur Sie als Saubermann können die Adresse gekannt haben«, antwortete der Butler gemessen. »Ihre Streifengardisten verfolgten das Taxi, das die Familie hierher nach London brachte.«

»Seit ... Seit wann wußten Sie Bescheid?« fragte Grooner und schien aufgeben zu wollen.

»Seitdem Mylady weiß, für welche Magazine Sie speziell schreiben, Mister Grooner«, erwiderte der Butler und dirigierte den Mann in den kleinen Wohnraum, wo Mylady bereits auf ihn wartete.

»Und seitdem Sie Lümmel draußen auf der Landstraße an mir vorüberfuhren«, warf die Detektivin ein. »Daraus zog ich natürlich meine Schlüsse.

»Ich hasse dieses ausländische Pack«, brauste Grooner auf. Sein Gesicht verzerrte sich. »Ich werde ...«

»Sie werden mit Sicherheit erst mal einem Richter Rede und Antwort stehen müssen«, fiel Parker ihm in die Rede. »Rechnen Sie bereits jetzt mit einem längeren Aufenthalt in einem Gefängnis.«

»Aber ich werde auch mal wieder rauskommen«, brüllte Grooner. »Und dann mache ich mit Typen wie euch kurzen Prozeß und werde ...«

Danach redete er nicht mehr.

Lady Agatha hatte ihm eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen versetzt, worauf Grooner prompt unter einer Verschiebung der Kinnlade nach rechts litt.

*

»Ist das nicht wunderschön, Mister Parker?«

Die ältere Dame stand neben dem vollbepackten, hochrädrigen Kinderwagen und blickte die steile Straße hinunter.

»Was ... Was haben Sie vor?« fragte einer der beiden Streifengardisten aus dem Kinderwagen.

»Was wohl, junger Mann?« wunderte sich Lady Agatha. »Ich werde dem Kinderwagen gleich aus Versehen einen kräftigen Stoß versetzen. Ich bin gespannt, wie weit Sie kommen.«

»Lady! Das ist Körperverletzung«, brüllte der zweite Schläger.

»Ein dummes Versehen, junger Mann«, korrigierte Agatha Simpson ihn genußvoll. »Und haben Sie sich gefälligst nicht so! Wie sind Sie denn mit den farbigen Mitbürgern umgesprungen?«

»Wir ... Wir brechen uns das Genick«, prophezeite der erste Streifengardist entsetzt.

»Man wird sehen«, lautete Myladys Antwort. Dann nickte sie dem Butler zu, der den Kinderwagen aus dem Haus geschoben hatte.

Parker und Lady Agatha richteten ihn noch ein wenig aus, blickten sich dann wechselseitig kurz an und versetzten dem Kinderwagen einen mehr als kräftigen Stoß.

Der Wagen schlingerte und klapperte hügelabwärts. Lustvolle Schreie der

Insassen waren weithin zu vernehmen. Entgegenkommende Fahrzeuge wichen freundlich aus und schufen freie Bahn für das Gefährt. An den Straßenrändern baute sich ein erwartungsfrohes Publikum auf.

»Halten Sie mich eigentlich für schadenfroh?«

»Falls ja, Mylady, dann nur in normalem Rahmen«, erwiderte Josuah Parker. »Wenn Sie gestatten, möchte meine bescheidene Wenigkeit sich Ihrer Erwartung anschließen, was das Ziel des Kinderwagens betrifft.«

»Und wo endet diese Straße?« fragte sie.

»Auf einer Müllhalde, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Ein angemesseneres Ende der Fahrt kann man nicht anstreben.«

»Und was ist mit diesem Grooner? Hätte ich ihn nicht auch noch in den Kinderwagen verfrachten sollen?«

»Die Beschäftigung mit seiner verrutschten Kinnlade, Mylady, nimmt Mister Grooner voll und ganz in Anspruch«, beruhigte Parker seine Herrin und konzentrierte sich dann wieder auf den schlingernden Kinderwagen, der bereits die Hälfte der Straße hinter sich gebracht hatte.

Die spitzen Schreie der Mitfahrer waren laut und deutlich zu vernehmen.

Der exzellente Butler Parker Staffel 1 – Kriminalroman

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