Читать книгу Butler Parker Paket 3 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 29

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Josuah Parker war konsterniert, als er Augenzeuge eines schamlosen Diebstahls wurde.

Die junge Dame griff unverfroren nach dem kleinen, nicht billigen Transistorradio und ließ das Gerät ohne jede Hast in ihrer Manteltasche verschwinden. Wie selbstverständlich ging sie weiter, als sei überhaupt nichts passiert.

Josuah Parker beschloß, die Diebin unter Kontrolle zu halten. Er war gespannt, ob sie noch mehr Beute machen wollte. Vielleicht war das kleine Radio erst der Anfang.

Die junge Frau, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und dezent gekleidet, verließ die Radioabteilung und sah sich gespielt gleichgültig eine Verkaufsecke an, in der Uhren feilgeboten wurden.

Es kam, wie es kommen mußte. Sie konnte einfach nicht widerstehen. Parker sah es genau. Sie langte fast apathisch nach einer Armbanduhr und verstaute sie in ihrer Manteltasche. Anschließend ließ die junge Dame noch einen kleinen Reisewecker mitgehen.

Als sie sich umdrehte, sah sie Parker ins Gesicht.

Sie war nicht eine Sekunde lang unsicher, obwohl sie doch das Gefühl haben mußte, beobachtet worden zu sein. Sie schaute aus dunklen Augen durch den Butler hindurch und begab sich hinüber zur Schreibwa-renabteilung.

Hier langte sie nach einem Füllhalter, nach einem Taschenbuch und schließlich nach bunten Filzstiften. Das alles wanderte in die Taschen ihres Mantels, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt. Ja, sie ließ abschließend noch ein Päckchen billigster Briefmarken verschwinden, Besonders wählerisch war sie sicher nicht.

Josuah Parker brauchte nicht einzuschreiten. Die Angelegenheit erledigte sich durch einen unauffällig ge-kleideten Mann, der sich als Warenhausdetektiv entpuppte. Er tauchte neben der jungen Frau auf, redete ein paar Worte mit ihr und führte sie dann mit sich zu einer Tür.

Parker sah in das Gesicht der Warenhausdiebin. Ihm fiel auf, daß die Augen einen völlig abwesenden und zugleich auch gelassenen Eindruck machten. Der Butler hatte das deutliche Gefühl, daß die junge Frau überhaupt nicht bemerkte, was mit ihr geschah.

*

»Du lieber Himmel, wo haben Sie denn gesteckt?« knurrte Lady Agatha ihren zurückkehrenden Butler ungnädig an. »Hier stürzt die Welt ein, aber Sie müssen völlig unwichtige Dinge einkaufen.«

Agatha Simpson, an eine stämmige Walküre erinnernd, um die sechzig Jahre alt, aber noch ungemein rüstig und aktiv, funkelte Josuah Parker an. Sie machte, was Parker bemerkte, einen äußerst animierten Eindruck. Demnach schienen sich während seiner Abwesenheit interessante Dinge getan zu haben.

Parker ließ sich durch den baritonalen Tonfall ihrer Stimme nicht beeindrucken. In jeder Lebenslage blieb er der stets korrekte und beherrschte Butler. Zudem kannte er Lady Agatha. Sie war eine impulsive Frau, die keinem Abenteuer freiwillig aus dem Weg ging.

»Darf ich mir die Kühnheit herausnehmen, Mylady darauf aufmerksam zu machen, daß Mylady mich zu Wetneys schickten, um dort einige Einkaufe zu tätigen?« gab er gemessen und würdevoll zurück.

»Papperlapapp«, raunzte sie. »Nehmen Sie doch nicht immer alles so wörtlich.«

»Mylady brauchten meine bescheidene Wenigkeit?« erkundigte sich der Butler und legte die kleinen Schachteln ab, die er mitgebracht hatte.

»Unsinn«, fuhr sie ihn prompt an. »Bilden Sie sich nur nichts ein, Mister Parker!«

»Gewiß, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos.

»Nun fragen Sie mich schon endlich«, sagte sie gereizt, als Parker stumm blieb.

»Wünschen Mylady ein bestimmtes Thema abzuhandeln?«

»Man braucht meine Hilfe«, sagte die resolute Detektivin. »Lord Castner hat Probleme.«

»Privater oder geschäftlicher Art, Mylady, wenn mir diese Frage gestattet ist.«

Parker war sofort hellhörig und dachte automatisch an den Vorfall im Warenhaus. Lord Castner war näm-lich der Aufsichtsratsvorsitzende einer großen Warenhauskette in England. Zu dieser Kette gehörte auch das Warenhaus Wetneys, dem er eben erst einen Besuch abgestattet hatte.

»Lord Castner wird bestohlen, daß es nur so eine Art ist«, redete Agatha Simpson weiter. »Die. Diebstäh-le in den Warenhäusern nehmen überhand.«

»Ein weitbekanntes Phänomen, Mylady«, antwortete der Butler. »Die frei zugänglichen Waren dürften la-bile Naturen förmlich herausfordern, einfach zuzugreifen.«

»Wir werden diesen Fall übernehmen«, entschied Parkers Herrin, »vielleicht läßt sich daraus ein guter Kriminalroman machen.«

»Mylady denken an einen bestimmten Fall?« Parker gestattete sich ein leichtes Erstaunen.

»So etwas spürt man. Entweder man hat’s, oder man hat’s nicht in den Fingerspitzen.«

»Ist Lord Castner ebenfalls der Ansicht, daß es sich um einen ganz bestimmten Kriminalfall handelt?«

»Habe ich Ihnen das noch nicht gesagt, Mister Parker?« Sie sah ihren Butler irritiert an.

»Nicht direkt, Mylady.«

»Weil Sie nicht zugehört haben«, raunzte die resolute Dame ihren Butler an. »Ich habe mich doch unmiß-verständlich ausgedrückt.«

»Wie Mylady meinen.« Parker ließ sich nach wie vor nicht aus seiner Ruhe bringen.

»Es handelt sich also um eine Bande«, sagte die Detektivin begeistert, »wenigstens ist Lord Castner dieser Ansicht. Die Bandenmitglieder sind durchweg junge Frauen aus sogenanntem gutem Haus.«

»Das, Mylady, klingt in der Tat einladend.«

»Sage ich doch die ganze Zeit, Mister Parker. Lord Castner hat eine Aufstellung der Warenhausdiebe veranlaßt. Und die werden wir uns jetzt mal genau ansehen.«

»Darf ich mir erlauben, Mylady auf einen wahrscheinlich außerordentlichen glücklichen Zufall hinweisen zu dürfen?«

»Spannen Sie mich doch nicht immer so auf die Folter«, räsonierte die ältere Dame.

»Möglicherweise gibt es bereits so etwas, was man eine heiße Spur nennt.«

»Nun reden Sie doch schon endlich!« Agatha Simpson flammte ihren Butler an.

Josuah Parker faßte sich erstaunlich kürz. Trotz seiner barocken Ausdrucksweise brauchte er nur knapp drei Minuten, bis Lady Simpson wußte, was er im Warenhaus beobachtet hatte.

»Diese junge Frau machte einen geistesabwesenden Eindruck?« vergewisserte sich die Detektivin sicher-heitshalber noch mal.

»Dieses Eindrucks konnte ich mich in der Tat nicht erwehren, Mylady.«

»Dann ist der Fall für mich bereits gelöst«, behauptete Parkers Gesprächspartnerin enttäuscht.

»Mylady sind vollkommen sicher?« Der Butler war ein wenig anderer Meinung.

»Natürlich, Mister Parker. Die Warenhausdiebinnen sind hypnotisiert worden. Das ist doch vollkommen klar.«

»Eine interessante Hypothese«, sagte Parker vorsichtig.

»Eine Tatsache«, erklärte die streitbare Dame. »Lord Castner sagte, daß die ertappten Frauen ohne Aus-nahme nichts von ihren Diebstählen gewußt haben wollten.«

»Das, Mylady, scheinen Diebe gern als Ausrede zu benutzen.«

»Nicht in diesem Fall, Mister Parker. Nein, nein, der Fall ist bereits gelöst!«

»Mylady wissen also, wer die Diebinnen hypnotisiert hat?« erkundigte sich der Butler höflich.

»Treiben Sie gefälligst keine Kümmelspalterei«, raunzte sie daraufhin mit ihrer Adele-Sandrock-Stimme. »Diese Kleinigkeit läßt sich doch im Handumdrehen klären. Ich erwarte dazu Ihre Vorschläge.«

»Sehr wohl, Mylady«, erwiderte Parker und verbiß sich gekonnt ein Lächeln. Er wußte, daß der Fall jetzt eigentlich erst begann. Er war nicht so optimistisch wie Lady Agatha.

*

Der Mann war kaum mittelgroß, rundlich und hatte ein fleischiges Gesicht. Er sah durchschnittlich aus, trug einen wenig eleganten Stadtmantel aus dunklem Stoff und eine helle Hornbrille, die seinem Gesicht ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Sein braunes Haar war voll und leicht gewellt. Ein Kenner hätte sofort be-merkt, daß dieser Mann eine Perücke oder ein Toupet trug. Er schlenderte gelassen durch das große Waren-haus und hatte bereits einige Dinge eingekauft, die er in einer Plastiktasche mit sich führte.

Dieser Typ fiel nicht auf. Er wurde glatt übersehen und ging in der Menge völlig unter. Gefährlich oder hintergründig wirkte er auf keinen Fall, er machte eher einen schüchternen und etwas gehemmten Eindruck.

Das genaue Gegenteil war jedoch der Fall.

Der Rundliche war ein raffinierter Jäger, der nach Beute Ausschau hielt. Das Jagdwild, das ihn interes-sierte, war von ganz besonderer Art. Unauffällig musterte er die Frauen, die im Warenhaus seinen Weg kreuzten. Seine Augen, hinter den getönten Gläsern der Brille verborgen, schätzten die Frauen kühl ab. Die-ser Jäger war wählerisch und anspruchsvoll.

Er hatte sich für ein Opfer entschieden.

Der Rundliche verfolgte unauffällig eine schlanke, etwa fünfundzwanzig Jahre junge Dame. Sie trug ein modisches Jackenkleid und eine kleine Perlenkette, die der Jäger sofort als echt klassifiziert hatte.

Die Frau war natürlich völlig ahnungslos. Sie stieg in den Lift und fuhr hinauf zum Dachgartencafé des Warenhauses. Selbstsicher schritt sie durch den großen, dennoch intim eingerichteten Raum und setzte sich an einen Tisch. Sie sah nicht auf, als der Rundliche an einem Nebentisch Platz nahm.

Sie bestellte Tee und einige Kekse.

Der Mann ließ sich ebenfalls Tee kommen. Er saß der jungen Frau genau gegenüber und konnte ihr Ge-sicht studieren. Als sie den Zucker in den inzwischen servierten Tee gab und dann trank, trafen sich ihre Blicke.

Die junge Frau sah in die Augen des Rundlichen, der inzwischen seine Brille abgenommen hatte. Sie hatte das Teeglas zwar an die Lippen gesetzt, doch sie war plötzlich nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzi-gen Schluck zu nehmen.

Der Rundliche hielt ein silbernes Feuerzeug zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ es leicht hin und her pendeln. Er sah in die Augen der jungen Frau, die abwesend und irgendwie nachdenklich wirkten. Dann ließ er das Feuerzeug wie unabsichtlich fallen. Es landete mit hörbarem Geräusch auf der Tischplatte.

Die junge Frau erwachte aus ihrer Nachdenklichkeit.

Sie trank ein paar Schlucke Tee, setzte das Glas ab und griff nach ihrer Handtasche aus teurem Krokodil-leder. Sie holte eine Packung Zigaretten hervor und zündete sich eine an. Sie wirkte wieder völlig unbefan-gen und schien den Rundlichen nicht zu sehen.

Doch dann reagierte sie plötzlich seltsam.

Sie nahm die kaum angerauchte Zigarette und … tunkte sie in ihrem Teeglas aus.

Dieser erstaunliche Vorfall wurde von den Gästen kaum beobachtet. Doch da war eine attraktiv ausse-hende, junge Frau, die in einer der vielen Nischen saß. Sie wirkte wie ein scheues Reh, hatte rotbraunes Haar und große, ausdrucksvolle Augen, deren Grundfarbe kaum bestimmbar war.

Diese aufmerksam gewordene Frau hieß Kathy Porter und war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson. Darüber hinaus war sie eine mehr als gelehrige Schülerin eines gewissen Butler Par-ker.

Kathy Porter sah leicht irritiert zu der Frau hinüber, die ihre Zigarette in den Aschenbecher warf, aufstand und ging. Kathy Porter beobachtete aber auch den rundlichen, harmlos aussehenden Mann, der ohne zu zö-gern, folgte.

*

Der rundliche Mann bog in eine schmale Seitenstraße ein und ging mit kurzen, schnellen Schritten auf ei-nen nahen Parkplatz. Vor einem alten Morris blieb er stehen und schloß die Tür auf. Er setzte sich ans Steuer und wartete, bis die junge Dame im Jackenkleid neben dem Wagen erschien. Erst dann beugte er sich über den Beifahrersitz, entriegelte die Tür und ließ die Frau einsteigen.

Kathy Porter, die dem Rundlichen und der jungen Dame gefolgt war, wußte nicht, was sie von dieser Entwicklung halten sollte. Sie spürte aber sehr deutlich, daß hier Dinge passierten, die das Tageslicht scheu-en mußten.

Kathy Porter, von Parker auf Neugierde getrimmt, blieb neben einem der geparkten Fahrzeuge stehen und merkte sich die Nummer. Vielleicht war es wichtig, den Besitzer des Morris ausfindig zu machen.

Sie hatte ihren kleinen Mini auf einem anderen Parkplatz abgestellt. An eine Verfolgung des Morris war leider nicht zu denken, da auch weit und breit kein Taxi wartete. Sie blieb also in Deckung und sah tatenlos zu, wie der Morris sich in Bewegung setzte und langsam den Parkplatz verließ.

Eine halbe Stunde später befand sie sich im Haus der Lady Simpson, das sich im Stadtteil Shepherd’s Market befand. Dieses altehrwürdige Fachwerkhaus, das noch aus dem Mittelalter zu stammen schien, ge-hörte zu einem Komplex ähnlicher Häuser, die einen kleinen Platz säumten. Vom Lärm der Millionenstadt London war hier nichts zu verspüren. Es handelte sich um eine Oase der Ruhe und des Friedens, sofern Lady Agatha nicht gerade wieder einen Fall bearbeitete und für Trubel sorgte.

»Gratulation, Kindchen«, sagte die Detektivin wohlwollend, nachdem Kathy Porter ihre Beobachtungen geschildert hatte. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.«

»Sie wirken gar nicht überrascht, Mylady«, wunderte sich Kathy

»Aber nein, Kindchen«, meinte die streitbare Dame. »Was Sie beobachtet haben, paßt genau in meine Theorie.«

»Theorie, Mylady?« Kathy Porter wußte nichts von Lord Castner und dessen Sorgen.

»Klären Sie Miß Porter auf, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, sich an den bisher schweigend zuhö-renden Butler wendend, »aber reichen Sie mir vorher noch einen kleinen Kreislaufbeschleuniger.«

Parker servierte einen sehr alten und guten französischen Cognac. Dann informierte er die aufmerksam zuhörende Sekretärin seiner Herrin und faßte sich erstaunlich kurz.

»Sie haben Miß Porter eine wichtige Tatsache verschwiegen«, grollte Lady Simpson. »Nach meiner Theo-rie, Kindchen, sind die Warenhausdiebinnen hypnotisiert worden.«

»Daß ich daran nicht gedacht habe!« Kathy Porter starrte die Lady überrascht an.

»Ich lasse mich nicht gern auf die Folter spannen«, sagte Agatha Simpson gereizt.

»Die junge Frau, die in den Morris stieg, Mylady, wirkte auf mich wie hypnotisiert. Ja, sie muß unter ei-nem fremden Zwang oder Willen gestanden haben.«

»Na, bitte, Mister Parker!« Agatha Simpson sah den Butler triumphierend an. »Finden Sie sich endlich damit ab, daß ich als Kriminalist eben doch besser bin als Sie! Ich vertrete die moderne Schule!«

»Wie Mylady wünschen«, gab Parker gemessen zurück. »Ich darf aber darauf verweisen, daß Mylady be-reits in jüngster Vergangenheit einen Fall lösten, der ebenfalls mit Suggestion und Hypnose zu tun hatte.«

»Was ändert das an den Tatsachen?« wollte Agatha Simpson wissen. »Stellen Sie doch endlich fest, wer der Besitzer des Morris ist! Wir wollen dieses Subjekt so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen. Wo-rauf warten Sie eigentlich noch?«

Parker war durchaus nicht der Meinung, daß damit der Fall bereits gelöst war, doch er verzichtete auf jede Antwort, um sich nicht den Unwillen seiner Herrin zuzuziehen. Er verließ gemessen den großen Wohnraum und begab sich hinüber in die Diele.

»Der kleine, rundliche Mann macht aber keinen sonderlich unheimlichen Eindruck«, stellte Kathy Porter in Richtung Lady Simpson fest.

»Die wahren Verbrecher sehen immer durchschnittlich aus, Kindchen«, antwortete Lady Agatha grimmig. »Verlassen Sie sich da auf mein Urteil!«

»Sie glauben, er hypnotisiert die Frauen, damit sie für ihn stehlen, Mylady?«

»Natürlich«, erwiderte Agatha Simpson geduldig, »er macht so Beute ohne jedes Risiko.«

»Er fuhr aber mit der jungen Dame im Morris weg, obwohl sie für ihn doch im Warenhaus hätte stehlen können, Mylady.«

»Seien Sie doch nicht immer so rechthaberisch, Kindchen«, antwortete Agatha Simpson unwirsch, da sie im Moment keine passende Antwort fand. Dann kam ihr allerdings schon die rettende Idee. »Er wird sie in ein anderes Warenhaus kutschiert haben, um jedem Verdacht aus dem Weg zu gehen. So einfach ist das al-les.«

Kathy Porter hätte noch einige Einwände und Fragen Vorbringen können, doch auch sie kannte schließlich die skurrilen Wesenszüge der älteren Dame. Zudem machte Agatha Simpson einen äußerst aufgekratzten Eindruck, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie sich in Hochstimmung befand. In solch einer Situation durfte man sie nicht zurück auf die Erde holen.

»Der Besitzer des besagten Morris ist ein gewisser Clay Herberts«, meldete Parker in diesem Augenblick von der Tür her. »Er wohnt in der Nähe des Finsbury Park und betreibt dort eine Blumenhandlung.«

»Alles Tarnung«, stellte die Detektivin fest, stand auf und reckte sich kriegerisch. »Fahren Sie den Wagen vor, Mister Parker. Diesem Mister Clay Herberts werde ich jetzt mal auf die Finger klopfen. Lord Castner wird staunen, wie schnell sein Fall gelöst sein wird.«

»Mister Herberts ist Königlicher Hoflieferant, Mylady.«

»Ich wundere mich immer wieder, womit meine Verwandten sich abgeben«, stellte Agatha Simpson fest, die mit dem gesamten Blut- und Geldadel der Insel verschwägert war. »Ich werde an maßgebender Stelle mal ein ernstes Wort reden müssen.«

Agatha Simpson genehmigte sich noch einen zweiten Kreislaufbeschleuniger und blitzte ihren Butler un-ternehmungslustig an.

»Ich denke, daß ich selbst fahren werde«, sagte sie, »in diesem gräßlichen Nachmittags verkehr braucht man Geschicklichkeit und Entschlußkraft.«

»Ich könnte vielleicht die U-Bahn benutzen, Mylady«, erklärte Kathy Porter daraufhin hastig. Sie kannte die einmalige Geschicklichkeit der Lady Simpson, wenn sie erst mal am Steuer eines Wagens saß. Den Mut der älteren Dame bezweifelte sie ebenfalls nicht. Ein Kamikaze-Flieger wäre in solch einer Situation noch sehr vorsichtig gewesen.

»Papperlapapp«, entschied Lady Agatha wegwerfend, »dieses Fahrgeld werden wir einsparen, Kind-chen.«

»Ich werde den Wagen Vorfahren.« Josuah Parker überlegte verzweifelt, wie er den Tatendrang seiner Herrin ein wenig steuern konnte.

*

»Was ist denn mit diesem Wägen los?« wunderte sich Lady Simpson eine Viertelstunde später, als sie Parkers hochbeiniges Monstrum rasant bewegen wollte. Obwohl sie Vollgas gab, kam Parkers Wagen nicht in Schwung, was seine Gründe hatte.

Josuah Parker, an Selbstmord nicht interessiert, hatte das ehemalige Taxi leicht frisiert und am Vergaser einige schnelle Manipulationen vorgenommen. Da die Zylinder des Motors nicht die gewohnte Menge Ben-zin erhielten, leisteten sie verständlicherweise weniger Arbeit. Parker war mit dieser Lösung vollauf zufrie-den. Kathy Porter hatte dem Butler bereits intensivdankbare Blicke zugeworfen.

»Das ist ja scheußlich«, ärgerte sich Agatha Simpson von Meter zu Meter, »eine Schnecke ist dagegen ein Formel-Rennwagen.«

»Nach der Rückkehr werde ich mich sofort mit dem Motor auseinandersetzen«, versprach Parker gemes-sen.

»Wenn das so weitergeht, werden wir am Picadilly Circus übernachten müssen«, raunte die ältere Dame, »dabei hatte ich mich schon so auf die Ausfahrt gefreut.«

Nun, sie brauchten am Picadilly Circus nicht zu übernachten. Sie überquerten ihn und nahmen dann die nordöstliche Richtung. Es dauerte etwa eine Stunde, bis das Ziel erreicht war. Lady Simpson stieg übelge-launt aus dem Wagen. Sie wußte, daß die Fahrt sie um einen Genuß betrogen hatte. Sie schwor sich insge-heim, sobald wie möglich eine neue zu unternehmen. Sie fuhr leidenschaftlich gern Auto und hielt sich für eine brillante Fahrerin. Anderer Ansicht waren Parker und Kathy Porter, doch sie redeten nicht darüber.

»Ein neutral aussehendes Blumengeschäft«, stellte Parker fest und deutete mit der Spitze seines altväter-lich gebundenen Universal-Regenschirms auf die beiden Schaufenster, die ein Blumenangebot präsentierten.

»Was normal ist, kommt mir stets verdächtig vor«, urteilte Lady Agatha. »Lenken Sie mich nicht unnötig ab, Mister Parker! Wir werden diesen sauberen Herrn Herberts gleich zur Rede stellen. Ich kann mir schon denken, wie das Subjekt aussieht. Kathy hat es uns sehr genau beschrieben.«

Sie kümmerte sich nicht weiter um ihre beiden Begleiter.

Grimmig und entschlossen überquerte sie die Fahrbahn und zuckte mit keiner Wimper, als der hier stark fließende Verkehr prompt in sich zusammenfiel. Die Detektivin schaute weder rechts noch links, überhörte das kreischende Bremsen von Wagen, die zu Notmaßnahmen gezwungen wurden, und übersah souverän einen leichteren Auffahrunfall. Sie hätte ein festes Ziel vor Augen und steuerte es hartnäckig an.

Ein Lastwagenfahrer beging den gravierenden Fehler, Lady Simpson mit dem Ausdruck »Spinatwachtel« zu titulieren. Er hätte es besser nicht getan. Obwohl die streitlustige Dame die Fahrbahn fast halb überquert hatte, wandte sie sich um, maß den Fahrer mit eisigem Blick und … marschierte zu Parkers Bestürzung zu-rück. Sie hielt auf den Fahrer zu, der wohl ahnte, was ihm blühte. Er gab Gas, wollte Lady Agatha bluffen und sie zwingen, den Weg freizugeben.

»Mylady«, stöhnte Parker verhalten, als sie keinen Zoll wich. Sie ging schnurstracks auf den flachen Küh-ler des Lasters zu und zwang den Fahrer, eine Vollbremsung zu vollziehen. Dann winkte sie den jungen, derben Mann aus dem Fahrerhaus zu sich herunter auf die Straße.

Er gehorchte und wirkte ein wenig irritiert.

»Sie sind ein Lümmel«, herrschte Lady Simpson ihn an. »Wie können Sie sich unterstehen, eine etwas an-gejahrte Dame eine alte Spinatwachtel zu nennen?«

»Sind Sie auch, altes Mädchen«, erwiderte der Fahrer ruppig. »Haben Sie denn keine Augen im Kopf?«

»Augen im Kopf und Hände an den Armen«, antwortete Lady Agatha und … verabreichte dem verdutz-ten Mann eine schallende Ohrfeige. Der Fahrer war sicher kein Weichling, doch ging er leicht in die Knie und schnappte nach Luft.

»Haben Sie sonst noch Wünsche?« erkundigte sich Agatha Simpson grimmig. »Ich bin gern bereit, noch mehr für Ihre Erziehung zu tun.«

»Schon gut, Madam«, entschuldigte sich der Mann verlegen und zog sich sicherheitshalber zurück zu sei-nem Wagen. Die letzten Meter absolvierte er im Laufschritt, stieg blitzartig ins Fahrerhaus und verriegelte beide Türen. Er nutzte seine Chance, da Lady Simpson zur Seite getreten war. Er gab Vollgas und preschte los, was das Zeug hielt.

Die Fahrer einiger Personenwagen, die vielleicht mit dem Gedanken gespielt hatten, Lady Simpson eben-falls mit Schmähungen zu belegen, verschluckten schleunigst ihre Bemerkungen und schauten ostentativ zur Seite. Mit dieser kriegerischen Amazone wollten sie nichts zu tun haben.

Lady Agatha sah dem davonjagenden Lastwagen nach und nahm ihre Wanderung quer durch den ruhen-den Verkehr wieder auf. Als sie die andere Straßenseite erreichte, nickte sie ihrem Butler nachdrücklich zu.

»Es geht eben nichts über Rücksichtnahme«, erklärte sie dann, »nur sie allein ermöglicht ein frohes Zu-sammenleben.«

»Wie Mylady meinen«, antwortete Parker neutral, »wenn es genehm ist, melde ich Mylady jetzt bei Mister Herberts an.«

»Dieser Flegel kann sich auf einiges gefaßt machen«, schwor Lady Agatha. »Ich glaube, daß ich in ausge-zeichneter Stimmung bin, diesem Subjekt Manieren beizubringen.«

*

Clay Herberts entpuppte sich als schlanker, großer Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Er besaß flachs-blondes Haar, trug eine grüne Gärtnerschürze und war gerade damit beschäftigt, ein Blumengesteck zu ar-rangieren. Mit sicherem Blick erkannte Herberts, daß die eintretende Dame über Geld verfügte. Er trocknete sich die Hände an seiner Schürze ab und fragte Lady Simpson nach ihren Wünschen.

»Sie sind Mister Herberts?« wunderte sich Lady Simpson nun doch etwas, da Kathy Porter ihr eine andere Schilderung des Mannes gab, den sie im Warenhaus beobachtet hatte.

»Clay Herberts, Madam«, antwortete der Blumenhändler.

»Sind Sie sicher?« herrschte sie ihn sofort an, »mit faulen Tricks dürfen Sie mir nicht kommen.«

»Ich bin Clay Herberts, Madam«, versicherte der Blumenfreund.

»Und wem haben Sie Ihren Morris geliehen?« lautete die nächste Frage der älteren Dame.

»Mein Morris, Madam? Er ist gestohlen worden. Aber das habe ich bereits der Polizei gemeldet.«

»Lügen kann ich nicht ausstehen«, verkündete Lady Simpson gereizt.

»Ich weiß nicht, was das alles soll«, meinte der Blumenarrangeur. »Wer, bitte, sind Sie, Madam?«

»Mister Parker, sorgen Sie für die notwendigen Erklärungen«, antwortete Lady Simpson und sah ihren Butler streng an, »aber fassen Sie sich kurz!«

Parker reagierte nach Wunsch, schwindelte ein wenig und sprach vage von einem leichten Unfall mit Blechschaden, den der Morris des Mister Herberts angeblich verursacht haben sollte.

»Dann sind Sie an den Dieb meines Wagens geraten«, sagte der Blumenhändler aufgeregt, »wann und wo ist das passiert?«

»Wann und wo wurde Ihr Morris gestohlen?« verlangte Agatha Simpson zu wissen! Durch das Schau-fenster links vom Eingang hatte sie bereits das verneinende Kopfschütteln von Kathy Porter beobachtet. Daraus ging leider hervor, daß sie es nicht mit jenem Mann zu tun hatten, den Lady Simpson zu sehen ge-wünscht hatte. Kathy war absichtlich draußen vor dem Geschäft geblieben. Sie sollte vorerst nicht in Er-scheinung treten.

»Das muß gegen Mittag gewesen sein«, beantwortete der bereits eingeschüchterte Mann die Frage von Lady Simpson. »Die genaue Uhrzeit weiß ich natürlich nicht. Ich habe den Diebstahl aber sofort der Polizei gemeldet.«

»Dann sind Sie noch mal davongekommen«, stellte Lady Agatha fest. »Ihr Glück, Mister Herberts!«

Sie nickte ihm desinteressiert zu und stampfte auf ihren stämmigen Beinen aus dem Ladenlokal, während Parker noch blieb.

»Die Frau ist ja direkt zum Fürchten«, sagte der Blumenfreund aufatmend.

»Mylady sind ein wenig exaltiert«, erklärte nun Parker. »Ich hätte abschließend gern noch eine Auskunft, Mister Herberts. Kennen Sie in Ihrer Nachbarschaft einen mittelgroßen, rundlichen Herrn, der etwa vierzig Jahre alt ist und eine große Brille trägt?«

»Bert Dolgan«, war die spontane Antwort.

»Richtig, so lautete der Name«, bluffte Parker, »er wohnt drüben in der nächsten Straße, nicht wahr?«

»In der Stow Street«, widersprach der Blumenhändler. »Bert hat dort ’nen Zooladen. Er kann Ihnen erst-klassige Zuchthunde und Katzen besorgen.«

»Ein Freund von Ihnen, wie ich unterstellen darf?«

»Wir kennen uns sehr gut«, antwortete Clay Herberts, »und nehmen oft einen drüben bei Filmore an der Ecke.«

»Lassen Sie mir die Überraschung«, bat Parker höflich. »Rufen Sie ihn nicht an! Wir haben uns seit vielen! Jahren nicht mehr gesehen.«

*

Gleich neben dem Eingang zu der kleinen Zoohandlung hockte ein grasgrüner Papagei auf der Stange.

Er kreischte, als Lady Agatha eintrat, plusterte sich auf und maß die vermeintliche Kundin mit mißtraui-schen Blicken. Der Papagei, ansonsten auf ausgesuchte Schimpfwörter spezialisiert, legte erst mal eine Sen-depause ein. Er wollte die Frau genau studieren, bevor er sie schockierte.

»Das könnte er sein«, raunte Kathy Porter Lady Simpson zu und deutete unauffällig auf den Mann hinter der Verkaufstheke. Es handelte sich um einen untersetzten, rundlichen Mann von etwa vierzig Jahren. Er trug eine Hornbrille, die ihm ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Dieser Mann verhandelte gerade mit einem Kunden und zählte ihm die Vorzüge der Konservennahrung für Hunde auf. Er verstieg sich dabei zu der Behauptung, es sei dem Gulasch ebenbürtig, das in Supermärkten für den menschlichen Verzehr angeboten würde.

Der Kunde war ehrlich begeistert und nahm gleich fünf Hundefutterkonserven mit. Agatha Simpson sah diesem Mann aus mißtrauisch zusammengekniffenen Augen nach, als er mit seinen Konserven einen kleinen Lieferwagen bestieg, auf dem die Reklameschrift einer Schnellgaststätte zu lesen war.

»Was kann ich für Sie tun, meine Damen?« fragte der Zoohändler und widmete sich höflich Lady Simp-son und Kathy Porter.

»Sie sind Mister Bert Dolgan?« schnarrte die Detektivin den Rundlichen an.

»Zu dienen, Madam«, erwiderte der Zoohändler respektvoll und beeindruckt.

»Geben Sie Ihr Spiel auf, Mister Dolgan«, fuhr Lady Simpson fort, »Sie sind durchschaut, Mister Dolgan!«

Agatha Simpson liebte es, ihr Ziel stets direkt anzusteuern. Sie hielt nicht sonderlich viel von Parkers Me-thoden, der wesentlich zurückhaltender war.

»Nicht so laut«, flüsterte Bert Dolgan prompt und schaute sich ängstlich nach einer halb geöffneten Tür im Hintergrund um. »Meine Frau, Madam. Sie verstehen!«

»Ich erwarte ein volles Geständnis von Ihnen«, herrschte Lady Simpson den Verwirrten an. »Ich hoffe, das alles wird sich außergerichtlich regeln lassen.«

»Nicht so laut«, beschwor der Rundliche die Lady. Er drehte sich um und lief zur Tür. Agatha Simpson mißverstand das gründlich und glaubte an einen Fluchtversuch. Bevor Kathy Porter sie daran hindern konn-te, schickte die Detektivin bereits ihren Pompadour auf die Luftreise. Es handelte sich um einen kleinen, perlenbestickten Handbeutel, in dem ältere Damen noch heute einige Gegenstände ihres persönlichen Be-darfs verwahren, wie zum Beispiel Taschentuch, Puderdose, ein wenig Kleingeld und vielleicht auch Pillen-dosen.

Im Falle der Lady Agatha war das jedoch erheblich anders. Ihr Pompadour enthielt den berüchtigten Glücksbringer, der aus einem normalen Hufeisen bestand. Aus Gründen der Humanität hatte Lady Simpson dieses Hufeisen allerdings mit Schaumstoff umwickelt. Dennoch war der Pompadour mitsamt seinem Glücksbringer eine geradezu vernichtende Waffe.

Der Pompadour sauste also durch die Luft und landete auf dem Hinterkopf des Mannes.

Der Erfolg war niederschmetternd, was den Zoohändler anbetraf. Es war, als hätte man ihm die Beine un-ter dem Leib weggezogen. Er blieb für Sekunden wie angewurzelt stehen, schnappte nach Luft und breitete sich anschließend auf dem Fußboden aus. Hier blieb er völlig entspannt und benommen liegen.

»Schwächling«, stellte Agatha Simpson kopfschüttelnd fest, »die Jugend von heute hat kein Stehvermö-gen mehr.«

»Verständlich, Mylady«, gab Kathy Porter besorgt zurück. Sie war zu dem rundlichen Zoohändler geeilt und hatte den Pompadour aufgehoben. Sie wog ihn respektvoll in der Hand.

»Dieser Lümmel wollte sich einer Vernehmung durch Flucht entziehen«, behauptete die Detektivin grim-mig.

»Vielleicht wollte er wirklich nur die Tür schließen, Mylady«, sagte Kathy Porter.

»Schnickschnack, Kindchen«, widersprach ihre Chefin. »Ist das nun dieser Lümmel aus dem Waren-haus?«

»Die Ähnlichkeit ist zumindest verblüffend, Mylady.«

»Dann ist er es! So etwas spüre ich. Sehen Sie sich nur das Gaunergesicht dieses Individuums an. Durch-suchen wir seine Räuberhöhle!«

Der grasgrüne Papagei hatte sich inzwischen entschieden, etwas für Bert Dolgan zu tun. Er plusterte sich auf, krächzte versuchsweise, schrie dann gellend nach der Polizei und sprach deutlich von einem Überfall. Wer ihm diese Worte beigebracht hatte, war im Moment nicht zu klären, doch seine Stimme war laut und gut zu verstehen.

Lady Simpson sah den Papagei streng an, marschierte auf ihren stämmigen Beinen auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. Der Papagei war ein kluger Vogel mit ausgebildeten Instinkten. Seine Stimme wurde sofort erheblich leiser, weil er um seinen Hals fürchtete. Er flüsterte noch ein unfeines Wort, zog den Kopf ein und sah zur Seite. Dann vergrub er seinen Kopf in den Federn und schwieg.

»Dein Glück«, sagte Lady Agatha, »ich will kein Wort mehr hören!«

»Mister Dolgan kommt zu sich«, rief Kathy, die bei dem Zoohändler zurückgeblieben war.

»Dann kann er sich jetzt auf etwas gefaßt machen!« Die Detektivin fixierte den Rundlichen, der sich ge-rade aufsetzte und vorsichtig nach seinem Hinterkopf fingerte.

»Was … Was war denn?« erkundigte sich Dolgan unsicher.

»Sie haben sich den Kopf am Regal gestoßen«, erklärte Lady Agatha wegwerfend, »aber lassen wir das. Zurück zur Sache! Ich erwarte endlich Ihr Geständnis!«

»Meine Frau«, stöhnte Bert Dolgan.

»Soll meine Sekretärin sie holen?«

»Nein, nur das nicht! Ich sage ja alles!«

»Keine leeren Versprechungen! Ich warte und höre!«

»Ja, Madam, ich bin’s gewesen«, gab Bert Dolgan zu.

»Und was haben Sie sich dabei gedacht, Sie Lümmel?«

»Eigentlich nichts, Madam.«

»Seit wann tun Sie das?« Lady Agatha ließ sich nicht mehr vom Thema abbringen. Sie triumphierte inner-lich. Hiermit konnte sie ihrem stets skeptischen Butler wieder mal beweisen, wie gut sie als Kriminalistin war.

»Wann ich damit angefangen habe, weiß ich nicht mehr genau, Madam«, stöhnte Bert Dolgan und erhob sich vorsichtig. »Es kam eines Tages einfach über mich.«

»Sie Lümmel!«

»Ich weiß, daß ich es nicht hätte tun dürfen, Madam.« Er sah beschämt zu Boden.

»Also, die Einzelheiten«, verlangte Lady Agatha streng.

»Wie sind Sie denn dahinter gekommen, Madam?«

»Sie wurden beobachtet.«

»Daher …« Bert Dolgan ließ den Kopf hängen und schnaufte. »Ich werde es aber nie wieder tun. Ehr-lich!«

»Was werden Sie nie wieder tun?« Lady Agatha wurde unsicher.

»Ich werde alles noch heute verbrennen.«

»Wie war das?« Die Detektivin glaubte eine Ungeheuerlichkeit gehört zu haben.

»Ich werfe heute noch alles ins Feuer«, wiederholte Bert Dolgan hastig. »Heft für Heft.«

»Wovon reden Sie eigentlich?« Die resolute Sechzigerin wurde ärgerlich.

»Die Pornohefte«, antwortete Bert Dolgan. »Das Risiko ist einfach zu groß. Wenn meine Frau das erfährt, bekomme ich einen Riesenkrach.«

»Ich möchte sie sehen.«

»Meine Frau?« Er starrte sie entsetzt an.

»Die Hefte«, schaltete Kathy sich ein, die sich nur mit letzter Mühe vor einem Lachkrampf bewahren konnte.

»Ich weiß nicht, ob ich die den Damen zeigen darf.«

»Her damit, Sie Flegel!«

Bert Dolgan seufzte, bekam einen roten Kopf und bückte sich nach einem überdachten Hundekorb aus Weidengeflecht. Dann holte er eine Sammlung von billigen, ausgiebig bebilderten Pornoheften hervor und zeigte sie.

»Sie werden mich nicht anzeigen, Madam?« fragte er nervös.

»Und seit wann hypnotisieren Sie junge Frauen?«

»Ich … Ich verstehe kein Wort, Madam.«

»Verstellen Sie sich nicht, Sie Individuum!«

»Man sollte vielleicht gehen, Mylady«, flüsterte Kathy Porter, um deren Augen sich Lachfalten bildeten. »Das scheint nicht der Mann zu sein, den Sie suchen.«

»Ich werf’ sie sofort ins Feuer«, sagte Bert Dolgan noch mal, »ich werd’ mich nie wieder damit abgeben.«

»Sie sind noch mal davongekommen«, raunzte Lady Simpson grimmig. »Daß mir keine Klagen mehr kommen, haben Sie mich verstanden?«

Während sie ihre Warnung noch ausstieß, marschierte sie bereits zur Tür und maß den grasgrünen Papagei mit einem vernichtenden Blick. Der Vogel zwinkerte nervös mit den Augen und verneigte sich dann am lau-fenden Band. Auch er schien zu wissen, daß er einem Naturereignis begegnet war.

»Sehr ärgerlich, das alles«, meinte Lady Simpson, als sie mit Kathy Porter zu Parkers Wagen marschierte. »Ich kann mir schon jetzt vorstellen, wer sich wieder mal überlegen fühlt.«

»Mister Parker ist ja gar nicht im Wagen«, wunderte sich Kathy. »Ob er vielleicht eine heiße Spur entdeckt hat, Mylady?«

»Das will ich nicht hoffen«, antwortete die ältere Dame grimmig. »Das wäre ungerecht, Kindchen!«

*

Die Kneipe war gerade geöffnet worden.

Josuah Parker wunderte sich nicht, daß der hufeisenförmige Tresen des Pub dicht belagert war. Die beiden Barkeeper hatten alle Hände voll zu tun, die alkoholischen Wünsche der Gäste zu befriedigen, die in der Mehrzahl bereits seit gut einer halben Stunde auf die Öffnung gewartet hatten. Nach geheiligter englischer Tradition wurde in diesen Pubs erst am späten Nachmittag ausgeschenkt, zu spät für viele durstige Kehlen.

Filmores Pub stammte noch aus der guten alten Zeit. Die Wandvertäfelung aus Holz war im Lauf der Jahrzehnte nachgedunkelt und sah fast schwarz aus. Die Sandsteinplatten auf dem Boden wiesen tiefe Tritt-flächen auf, die Decke war niedrig und mit Balkenwerk durchzogen.

Josuah Parker wußte um seine Wirkung.

Als er eintrat, wurde es für einen Augenblick ruhig im Pub. Die meisten Gäste drehten sich zu ihm um und musterten ihn neugierig. Er war hier offensichtlich ein Fremdkörper, mit dem man nichts anzufangen wußte.

Josuah Parker ließ sich an einem Wandtisch nieder und wartete darauf, daß man sich um ihn kümmerte. Er sah durch die neugierigen Gäste hindurch und ignorierte gekonnt deren Interesse.

Seine Rechnung ging natürlich auf.

Um einen Fremden, der so gekleidet war wie er, mußte man sich einfach kümmern. Aus dem Hintergrund des Pub kam ein schnauzbärtiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Er trug einen dunkelbraunen Sportanzug.

»Joe Filmore«, stellte er sich vor. »Kann ich was für Sie tun?«

»Sie sind der Besitzer dieses bemerkenswerten Etablissements«? fragte der Butler.

»Mein Vater, ich helfe hier nur aus.« Während Joe Filmore antwortete, maß er den Butler mit aufmerksa-men Augen. Er wußte offensichtlich nicht, was er von diesem Gast halten sollte.

»Sehr schön.« Parker nickte. »Ich verspüre Appetit auf ein Glas Lagerbier.«

»Ist das alles?« Joe Filmore schien von der Antwort enttäuscht zu sein.

»Über andere Dinge können wir vielleicht später reden«, schlug der Butler vor. Parker spürte deutlich, daß er nicht konkreter werden durfte.

»Warum kommen Sie nicht ’rüber ins Hinterzimmer?« fragte Joe Filmore und deutete mit einer Kopfbe-wegung auf eine Tür, die weit hinten im Raum zu sehen war.

»Ihrer wirklich freundlichen Einladung möchte ich auf keinen Fall widersprechen.« Parker erhob sich und schritt gemessen auf die Tür zu. Joe Filmore folgte dichtauf und öffnete die Tür, nachdem Parker abwartend zur Seite getreten war.

Der Raum war klein und niedrig. Gute, alte Möbel standen an den Wänden und schufen eine harmonische Atmosphäre. Nach Unterwelt sah dieser Raum gewiß nicht aus, dennoch spürte Parker immer deutlicher, daß es um zwielichtige Dinge gehen mußte. Joe Filmore schien ihn für eine Art Nachrichtenüberbringer zu halten, den er nur unter vier Augen sprechen wollte.

»Also, zur Sache«, sagte er prompt, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Lassen Sie es mich so ausdrücken«, schickte Parker gemessen voraus und sah sein Gegenüber kühl und distanziert an. »Gewisse Dinge werden zu offensichtlich getrieben.«

»Wie … Wie soll ich das verstehen?«

»Man ist aufmerksam geworden«, tastete Parker sich weiter vor.

»Ausgeschlossen«, entgegnete Joe Filmore, »vorsichtiger als ich kann niemand sein.«

»Dann muß geplaudert worden sein«, stellte Parker fest, ohne den Irrtum klarzustellen. Er wußte inzwi-schen, daß er fündig geworden war. Hier in dem Pub spielten sich mit Sicherheit Dinge ab, die das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen hatten.

»Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen«, wunderte sich Joe Filmore, »unsere Gäste sind vollkommen in Ordnung. Wer hier mitmacht, ist wenigstens dreimal durchleuchtet worden. Dafür leg’ ich meine Hand ins Feuer.«

Es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen verbotenen Spielclub, soviel hatte der Butler be-reits herausgehört. Er wunderte sich nur, daß Joe Filmore so ohne weiteres die Katze aus dem Sack ließ. Be-sonders mißtrauisch schien der junge Schnauzbart nicht zu sein.

Bevor Parker seinen kleinen Bluff weiter ausdehnen konnte, wurde die Tür aufgestoßen.

Zwei Männer traten ein, die recht unterschiedlich aussahen. Einer von ihnen war mittelgroß, schlank und sah aus wie ein überkorrekter Buchhalter. Er trug, und das war recht pikant, einen schwarzen Bowler wie Parker. Und er war auch mit einem Regenschirm ausgestattet, der an seinem linken Unterarm hing.

Sein Begleiter war ein Schrank von einem Mann, etwa dreißig Jahre alt, dessen Nase die typischen Merk-male eines Boxers aufwies. Das Nasenbein war eingedrückt und hing schief im Gesicht. Die kleinen Augen verrieten Härte und Tücke.

»Ich bin Harold Steeple«, stellte der Buchhalter sich vor.

»Hallo, Max«, redete Joe Filmore den Boxer an, um sich dann verblüfft dem Butler zuzuwenden. »Und wer, zum Teufel, sind Sie?«

»Parker mein Name.« Der Butler lüftete höflich seine schwarze Melone. »Josuah Parker, um genau zu sein.«

»Verdammt«, stieß Joe Filmore hervor, um dann blitzschnell zu schalten. »Max, schnapp’ ihn dir! Der Vogel hat sich unter ’nem falschen Vorwand eingeschlichen!«

Max machte sich daran, den fremden Vogel einzufangen …

*

Josuah Parker ließ sich nicht einen Moment lang aus der Ruhe bringen.

Natürlich war Max ihm bei weitem körperlich überlegen, doch das focht einen Josuah Parker nicht an. Von rohen Kräften hielt er nichts. Seiner stets bescheidenen Ansicht nach kam es auf den Geist an, der Berge versetzen konnte. Und in diesem Fall auch einen gewissen Max …

»Sie haben etwas übersehen«, sagte er zu dem Kleiderschrank und zeigte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand, die übrigens in schwarzen Handschuhen steckten, steil hinauf zur Zimmerdecke. Max fiel auf diesen Trick herein. Er blieb stehen und sah nach oben.

So entging ihm leider die blitzschnelle Bewegung, die der Butler ausführte. Mit dem Unterarm warf er seinen Universal-Regenschirm nach oben, um ihn dann mit beiden Händen unten an der Stahlzwinge zu er-fassen. Dann holte er äußerst elegant aus und betätigte sich als perfekter Golfspieler. Da ihm der Ball fehlte, begnügte er sich mit der breiten und eckigen Kinnspitze des Kleiderschranks.

An dieser Stelle muß wohl gesagt werden, daß Parkers Schirm einige Überraschungen barg. So war zum Beispiel der Bambusgriff mit Blei ausgegossen. Und genau diesen Griff benutzte Parker jetzt als Waffe. Er ließ sie durch die Luft zischen und setzte sie auf der Kinnspitze des Mannes ab.

Die Wirkung war geradezu verheerend, denn Max wurde kalt erwischt, um bei der Fachsprache der Boxer zu bleiben. Es knackte diskret in der Kinnlade. Max schielte zu Parker herüber, rollte die Augen, schielte intensiv und gab dann einen Laut von sich, den Parker nicht zu identifizieren vermochte.

Dann riß es ihm die Beine unter dem Leib weg.

Max warf sie hoch und landete krachend auf dem Boden. Er benutzte dabei seinen Rücken als Auflage und rollte sich schnaufend auf die Seite. Er scharrte noch ein wenig mit den Beinen, blieb dann aber ruhig und entspannt liegen.

Joe Filmore war zu keiner Reaktion fähig.

Er starrte auf Parker und öffnete vor Staunen weit den Mund. Anders Harold Steeple, der mehr war als nur ein gewöhnlicher Buchhalter, wie es den Anschein hatte. Steeple griff in seine Manteltasche und zerrte schnell einen Browning hervor, auf dem ein kurzer Schalldämpfer saß.

Parkers improvisierter Poloschläger fand augenblicklich ein neues Ziel.

Daraufhin schluchzte Harold Steeple trocken auf, stierte auf seine Hand, die ihm nicht mehr gehorchen wollte, schüttelte ratlos den Kopf und ließ sich in einen Sessel fallen. Mit der linken Hand nahm er die rechte hoch und fingerte an ihr herum.

»Ich glaube, daß ich mich jetzt entschuldigen sollte«, ließ Parker sich in seiner höflichen und gemessenen Art vernehmen. »Ich darf Ihnen versichern, daß meine Absichten nach wie vor friedlich sind.«

»Wer … Wer sind Sie?« fragte Joe Filmore, der nicht im Traum daran dachte, aggressiv zu werden.

»Meinen Namen nannte ich Ihnen bereits«, antwortete Parker. »Ich habe nicht die Absicht, störend in Ihre privaten Geschäfte einzugreifen. Gehe ich recht in der Annahme, daß man bei Ihnen zu bestimmten Stunden sich dem zweifelhaften Genuß des Glücksspiels hingeben kann?«

Filmore nickte leicht, Steeple stöhnte, Max schlief.

»Hoffentlich werden Ihre Gäste und Sie in Zukunft die Ruhe finden, die solch einem Spiel wohl zuträg-lich ist«, redete Parker weiter, »bis gewisse, andere Dinge geklärt sind, könnte es hier in dieser Gegend ein wenig unruhig werden.«

»Ich … Ich verstehe kein Wort«, sagte Joe Filmore.

»Lassen Sie die Katze aus dem Sack«, verlangte Steeple, der hellhörig geworden war.

»Ich suche einen Mann, der Frauen hypnotisiert«, erklärte der Butler, der gerade in diesem Moment die beiden Männer scharf beobachtete. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte er hier in diesem Wohnbezirk beheimatet sein.«

»Die Satanstöchter«, erwiderte Joe Filmore spontan und nickte. »Die müssen damit was zu tun haben!«

*

»Die Satanstöchter?« Lady Simpson sah ihren Butler animiert an und strahlte.

»So wurden sie bezeichnet«, antwortete Parker, der zu Agatha Simpson und Kathy Porter zurückgefunden hatte. Er saß inzwischen am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr die beiden Damen zurück nach Shepherd’s Market.

»Ist das etwa alles, was Sie herausgefunden haben?« grollte Lady Simpson. »Dafür haben Sie so lange Zeit benötigt?«

»Ich vergaß zu erwähnen, Mylady, daß man in den Hinterräumen eines Pub dem verbotenen Glücksspiel frönt. Man verwechselte mich freundlicherweise mit einem neuen Kassierer dieser wohl weitverzweigten Organisation. Es kam zu einem Zwischenfall, der aber zur Zufriedenheit aller Beteiligter geregelt wurde.«

»Schweifen Sie nicht vom Thema ab, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson streng. »Bleiben wir bei den Satanstöchtern! Dahinter scheint sich ein aufregender Fall zu verbergen.«

»Mit weiteren Einzelheiten vermag ich zu meinem Leidwesen kaum zu dienen, Mylady«, gab Parker wür-devoll zurück, »aber die Herren Filmore und Steeple wollen sich freundlicherweise einschalten und ihrerseits ein wenig nachforschen.«

»Glauben Sie wirklich, daß Falschspieler uns helfen werden?« meinte die Detektivin skeptisch.

»Schon aus Gründen der Selbsterhaltung, Mylady«, sagte Parker. »Sie möchten nämlich auch in Zukunft ungestört arbeiten können.«

»Sie werden versuchen, uns bei nächstbester Gelegenheit übers Ohr zu hauen, Mister Parker.«

»Mit letzter Sicherheit, Mylady.«

»Und dennoch setzen Sie auf diese Subjekte?« wunderte sich Agatha Simpson.

»Man wird den bewußten Herrn klarmachen, daß ihr Vorteil in einer Zusammenarbeit liegt.«

»Ich hoffe, daß Sie darüber hinaus mit einer Theorie dienen können, Mister Parker.«

»In der Tat, Mylady.«

»Lassen Sie sich nicht wieder jedes Wort aus der Nase ziehen!«

»Es gibt da zwei Hinweise, Mylady, die einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollten.«

»Aha«, war die ganze Antwort der Detektivin.

»Da ist mal der Diebstahl des Morris«, führte Parker weiter aus, »dieser Wagen führte uns über den Be-sitzer zu einem Mr. Dolgan, der dem Mann aus dem Warenhaus erstaunlich ähnlich sieht.«

»Das stimmt«, schaltete Kathy Porter sich ein und nickte nachdrücklich. »Die Ähnlichkeit ist verblüf-fend.«

»Es kann sich selbstverständlich nur um einen Zufall handeln«, führte Parker weiter aus, »der Mann aus dem Warenhaus kann aber auch ganz bewußt das Aussehen des erwähnten Mr. Dolgan angenommen ha-ben.«

»Weil er ihn kennt und weil er, was seine Figur anbetrifft, ihm sehr ähnelt. Meinen Sie etwa das, Mister Parker?«

»Solch eine Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, Mylady.«

»Dann müßte dieser Hypnotiseur in diesem Vorort wohnen.«

»Gewiß, Mylady, zumal in diesem Vorort der Ausdruck Satanstöchter fiel.«

»Ich sehe bereits alles genau vor mir«, begeisterte sich Lady Agatha und wurde noch munterer als sonst. »Dieser Satan, den Kathy im Warenhaus beobachtete, umgibt sich mit seinen sogenannten Töchtern, die er sich in Warenhäusern oder sonstwo besorgt.«

»Auszuschließen wäre das nicht«, antwortete der Butler zurückhaltend. Er kannte die Phantasie seiner Herrin.

»Ich wittere Orgien«, begeisterte Lady Simpson sich weiter. »Die unschuldigen Opfer dieses Satans wer-den von diesem Lümmel mißbraucht.«

»Und zu Diebstählen angestiftet«, warf Kathy Porter ein.

»Die sich aber kaum lohnen«, schränkte Parker vorsichtig ein.

»Ich möchte gern herausfinden, was wirklich dahintersteckt«, sagte Kathy Porter.

»Sehr gut«, schwärmte, die ältere Dame sofort und nickte wohlwollend.

»Sie begeben sich in eine Gefahr, die nicht kalkulierbar ist«, warnte Josuah Parker die Gesellschafterin der Lady.

»Was kann mir denn schon passieren?« fragte Kathy lächelnd. »Sie wissen doch, Mister Parker, daß ich gegen Hypnose immun bin.«

»Das ist sie wirklich«, stellte Agatha Simpson fest. »Erinnern Sie sich an einen unserer letzten Fälle, Mister Parker! Sie und ich hatten in der Hinsicht weniger Glück.«

Parker gestattete sich ein andeutungsweises Lächeln. Er wußte, worauf Lady Simpson anspielte. Erst vor wenigen Monaten hatten sie es mit einem sogenannten Dämon zu tun gehabt, den sie nur schwer aus dem Sattel heben konnten. Auch dieser Mann hatte mit Autosuggestion und Hypnose gearbeitet. Dabei hatte es sich gezeigt, daß Kathy Porter von diesen Phänomenen nicht erreicht werden konnte.

»Und wie wollen Sie sich diesem Satan anbieten?« fragte Parker die junge, attraktive Frau.

»Selbst wenn dieser Hypnotiseur in der Gegend von Finsbury Park wohnen sollte, hat es wenig Sinn, sich dort zu zeigen«, schickte Kathy voraus. »Er scheint seine Opfer vorzugsweise in Warenhäusern zu suchen.«

»Also werden Sie sich ab sofort in solchen Warenhäusern herumtreiben, Kindchen«, sagte Lady Agatha begeistert. »Bei Ihrem Aussehen muß dieser Lümmel ja zupacken.«

»Die Geduld von Mylady könnte auf eine harte Probe gestellt werden«, meinte Parker.

»Geduld ist eine meiner Stärken«, behauptete die Detektivin wie selbstverständlich und merkte gar nicht, wie maßlos sie übertrieb. »Kathy wird es schon schaffen.«

»Vielleicht sollte man sich vorher noch mit Lord Castner in Verbindung setzen«, schlug Parker vor. »Der Hypnotiseur könnte sich möglicherweise auf einen bestimmten Frauentyp spezialisiert haben.«

»Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete Agatha Simpson erneut, »aber auf mich will man ja nicht hören. Kathy wird genau die Frau kopieren, die Sie im Wetneys gesehen haben, Mister Parker. Schmackhaf-ter kann dann kein Speck in irgendeiner Falle sein.«

Parker war innerlich nicht ganz einverstanden mit dieser Entwicklung. Sein stets wacher Instinkt warnte ihn.

Hier hatte man es mit einem Fall zu tun, der nicht wie üblich zu lösen war. Der Ausdruck »Satanstöchter« allein schon deutete darauf hin.

Doch er wußte auf der anderen Seite nicht, wie man an diesen geheimnisvollen Mann herankam. Kathys Vorschlag war im Moment die einzige Möglichkeit, mehr über diesen Mann zu erfahren.

Parker dachte an den Zoohändler Bert Dolgan.

War dieser Mann, der dem Hypnotiseur so ähnlich sein sollte, vielleicht doch nicht so harmlos, wie Lady Agatha und Kathy annahmen? Verkaufte dieser Mann nur Pornohefte, die er unter seiner Ladentheke ver-steckt hielt?

Parker wurde abgelenkt.

Er mußte äußerst nachdrücklich aufs Bremspedal treten, da ein alter Landrover ihn überholt und geschnit-ten hatte. Dank seiner Fahrtechnik schaffte Parker es, dem drohenden Auffahrunfall gerade noch zu entge-hen.

Aus dem Rover stiegen zwei junge, in Overalls gekleidete Männer, die einen sehr handfesten Eindruck machten. Parker wußte in diesem Moment genau, was die Glocke schlug. Er langte nach dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett und legte einen der vielen kleinen Kipphebel herum. Mehr konnte er im Au-genblick nicht für die Sicherheit der beiden Damen tun.

*

Sie hatten sich den richtigen Ort für ihren Überfall ausgesucht.

Parkers hochbeiniges Monstrum befand sich in einer stillen Seitenstraße, die er als Abkürzung für die Fahrt zurück in die City gewählt hatte. Der Verkehr war hier gering, zu beiden Seiten der Straße befanden sich lange und hohe Fabrikmauern, die Fassaden von Bürohäusern und kleineren Betrieben. Mit einer schnellen Hilfe brauchten Lady Agatha, Kathy Porter und Josuah Parker nicht zu rechnen.

Nun, die beiden Damen im Fond des hochbeinigen Monstrums machten keinen ängstlichen Eindruck. Wozu sie allen Grund hatten, denn einmal befanden sie sich in Parkers Nähe, zum anderen auch noch in sei-nem hochbeinigen Wagen, der im Grund eine Trickkiste auf Rädern war. Parker hatte das ehemalige Taxi nach seinen Vorstellungen und Wünschen umbauen lassen. Es enthielt Überraschungen am laufenden Band – wenn er es wollte.

Und Parker wollte!

Die beiden in Overalls gekleideten Männer hatten inzwischen den hochbeinigen Wagen des Butlers er-reicht und griffen nach der Vorder- und Hintertür. Sie wollten die Türen aufreißen und sich näher mit den Insassen befassen.

Sie hätten es besser nicht versucht.

Sie wußten nicht, daß Parker durch das schnelle Umlegen des Kipphebels die Türklinken unter Strom ge-setzt hatte. Es handelte sich selbstverständlich nicht um Starkstrom, doch die Ladung entsprach der, die in einem elektrischen Weidezaun anzutreffen ist. Die beiden jungen Männer jauchzten Bruchteile von Sekun-den später auf und zuckten zurück. Danach sahen sie sich verblüfft an.

»Dieser Wagen ist gesichert«, war Parkers Stimme zu vernehmen, die über einen kleinen, fast unsichtbar angebrachten Lautsprecher nach draußen getragen wurde. »Ersparen Sie sich weiteren und wahrscheinlich auch unnötigen Ärger, meine Herren!«

Nun, sie waren nicht einsichtig.

Genau das Gegenteil schien der Fall zu sein. Die beiden jungen Männer waren wütend geworden und langten noch mal nach den Türgriffen. Sie wollten sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen lassen. Aber sie wußten nicht, daß Parker das Stromangebot in den Türgriffen inzwischen verstärkt hatte.

Diesmal jaulten die beiden Männer nicht mehr. Sie heulten!

Sie rissen nur mühsam ihre Hände von den Griffen und betätigten sich anschließend als Stepptänzer, wo-bei sie durchaus Begabung verrieten, wenngleich ihre Technik auch noch nicht ausgefeilt war. Sie hüpften von einem Bein auf das andere und wieder zurück.« Dann setzten sie sich auf die Straße und rieben sich die immer noch schmerzenden Hände.

Josuah Parker baute seinen momentanen Vorteil weiter aus.

Er bediente einen neuen Hebel, worauf unter dem Wagen eine dichte Nebelwolke hervorschoß, die die nähere Umgebung wirkungsvoll einhüllte. Dieser Vorgang dauerte nur wenige Sekunden und reichte aus, den beiden Männern die Orientierung zu nehmen.

Verwirrt schlugen sie um sich, wollten sich wieder klare Sicht verschaffen und sorgten ungewollt dafür, daß die Nebelschwaden sich noch intensiver mischten und undurchdringlicher wurden. In Sekundenschnelle befanden sie sich in einer dicken Suppe.

In dieser Nebelbrühe tauchte ein äußerst korrekt gekleideter Mann auf, der den Bambusgriff seines Re-genschirms dazu benutzte, einen der beiden jungen Männer ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Nach-dem dieser Bursche am Hinterkopf getroffen worden war, langte Parker zu und schleifte ihn am Kragen sei-nes karierten Hemdes hinüber zum hochbeinigen Wagen.

»Begnügen Mylady sich mit einem der beiden Herren?« erkundigte sich Parker respektvoll.

»Einer dieser Flegel dürfte reichen«, entschied die Detektivin. »Das andere Subjekt soll melden, was pas-siert ist. So verlieren wir wenigstens keine Zeit!«

*

Er kam zu sich und griff automatisch nach seinem schmerzenden Hinterkopf. Dann sah er hoch, gewahrte den Butler vor sich und blitzte ihn aus grauen Augen wütend an.

»Mann, dafür brechen wir Ihnen die Knochen«, sagte er wütend.

»Ich hoffe, Sie fühlen sich einigermaßen wohl«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Sollten Sie diverse Wünsche haben, werde ich mich ehrlich bemühen, Ihnen zu Diensten zu sein.«

»Wo … Wo bin ich hier?« Der junge Mann stand langsam auf und tat so, als sei er immer noch außer Form. Daß das nur gespielt war, konnte Parker leicht feststellen. Die Augen des jungen Mannes redeten nämlich eine wesentlich andere Sprache.

»Sie sind im Haus Lady Simpsons«, gab Parker zurück. »Wer Mylady ist, dürfte man Ihnen ja gesagt ha-ben, nicht wahr?«

»Mann, fühl’ ich mich schlecht!« Der junge Mann war ein schlechter Schauspieler. Er rieb sich den Kopf und belauerte dabei den Butler, der einen ahnungslosen Eindruck machte. Dann, ohne jeden Übergang, hechtete der junge Mann sich auf Parker. Er war nur noch ein Bündel wütender Energie.

Josuah Parker hatte diesen Angriff erwartet und war nicht aus der Fassung zu bringen.

Er hielt ein Serviertablett in Händen, auf dem ein Wasserglas stand. Als der junge Mann seine rechte Faust vorschnellen ließ, um Parker einen Magenhaken zu verpassen, handelte der Butler nur folgerichtig, denn er nahm das Tablett blitzschnell herunter, kippte es hoch und benutzte es als Schild.

Die Faust des Schlägers knallte mit voller Wucht gegen das Tablett und beulte es sichtlich aus. Gleichzei-tig aber brüllte der junge Mann, stierte auf seine Faust und war nicht in der Lage, die Finger zu öffnen. Die Wucht des gebremsten Schlages hatte seine Finger zusammengeschweißt.

»Sollten Sie sich verletzt haben?« erkundigte sich Parker besorgt, »das würde mir peinlich sein.«

»Meine Hand«, stöhnte der junge Mann.

»Die Zeit heilt manche Wunde«, beruhigte ihn Parker. »Wenn Sie Großvater sind, werden Sie sich nur noch vage an diesen Zwischenfall erinnern.«

»Die … Die Finger sind gebrochen«, klagte der junge Mann.

»Dann werde ich Sie sofort einem Arzt überantworten«, sagte Parker. »Vorher sollten sie mir allerdings noch einige Fragen beantworten.«

»Schaffen Sie mich zu ’nem Arzt«, stöhnte der Schläger.

»Wir sind eigentlich schon unterwegs«, erwiderte Parker in seinem wie üblich angemessenen Ton. »Vorher noch einige Fragen, die ich zu beantworten bitte.«

»Los, fragen Sie doch endlich!« Das Gesicht des Schlägers war weiß geworden. Er war in der Stimmung, um ehrliche Antworten zu geben. Er konnte es kaum erwarten, endlich etwas zu sagen.

*

»Es handelt sich um einen gewissen Mr. Bernie Alton«, berichtete Josuah Parker eine halbe Stunde später, nachdem er den jungen Mann entlassen hatte.

»Bernie Alton?« wunderte sich Agatha Simpson erfreut. »Meinen Sie diesen Bernie Alton?« Sie betonte das Wort »diesen«, denn der Name sagte ihr etwas.

»Eine zwielichtige Gestalt der Unterwelt«, bestätigte der Butler steif und würdevoll. »Nach der Aussage des jungen Mannes, der übrigens Lem heißt, kontrolliert Mr. Alton mehr als zwei Dutzend kleiner Spielclubs.«

»Und weshalb hat er die beiden Subjekte auf uns gehetzt?« wollte Lady Simpson wissen.

»Er ist der irrigen Meinung, Mylady, daß man sich um seine Geschäfte kümmert.«

»Alton ist mir völlig gleichgültig«, entschied die Detektivin. »Mit diesem Individuum werden wir uns zu einem späteren Zeitpunkt befassen. Im Augenblick interessieren mich nur die Satanstöchter.«

»Dies, Mylady, unterschlug ich dem jungen Mann«, berichtete der Butler weiter. »Um genau zu sein, Mylady, ich ließ ihn im Glauben, daß Mylady sich um die unehrenwerten Geschäfte des Mr. Alton küm-mert.«

»Gut, manchmal haben Sie ganz passable Ideen«, räumte Lady Agatha widerwillig ein. »Sie wollen diesen Lümmel Alton vor unseren Karren spannen, nicht wahr?«

»Ich möchte ihn, Myladys Erlaubnis vorausgesetzt, dazu einladen.«

»Glauben Sie, daß er darauf eingehen wird?«

»Mr. Bernie Alton wird kaum eine andere Wahl haben, Mylady. In seiner Meinung wird ihn noch sein Kassierer Harold Steeple unterstützen.«

»Dieser Flegel aus dem Pub?«

»In der Tat, Mylady. Laut Lern alarmierte er Mr. Alton, der dann seinerseits die beiden jungen Männer auf Myladys Spur hetzte.«

»Eine schöne Entwicklung«, freute sich Agatha Simpson sichtlich. »Die Dinge geraten in Fluß.«

»Ich möchte nicht verhehlen, Mylady, daß diese Taktik ungemein gefährlich ist«

»Glauben Sie etwa, ich hätte Angst?« Lady Agatha flammte ihren Butler an. »Dieser Bernie Alton soll mir nur kommen. Und wenn er nicht kommt, werde ich zu ihm gehen. Sie wissen hoffentlich, Mister Parker, wo dieses verkommene Subjekt zu finden ist!«

»Nicht direkt«, gab Parker ausweichend zurück. Er wollte die Tatkraft seiner Herrin nicht unnötig stei-gern.

»Darf ich etwas sagen, Mylady?« schaltete sich Kathy Porter schnell ein. Auch ihr war daran gelegen, Lady Simpson abzulenken.

»Aber natürlich, Kindchen«, sagte die Detektivin freundlich und nickte gewährend.

»Sollte man sich nicht mit der jungen Dame befassen, die von Mister Parker im Warenhaus Wetneys beo-bachtet wurde?«

»Warum ist Ihnen das nicht eingefallen?« erzürnte sich Lady Agatha und schüttelte verweisend den Kopf in Richtung ihres Butlers. »Sie lassen sich zu leicht ablenken, Mister Parker.«

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady daran zu erinnern, daß gewisse Ereignisse meine bescheidene Wenigkeit daran hinderten, effektiv zu werden?«

»Übertreiben Sie nicht«, wies die resolute Dame ihn ab. »Man kann schließlich auch zwei Dinge gleichzei-tig tun.«

Parker wurde einer Antwort enthoben, da das Telefon sich meldete. Er hob ab und hörte einen Namen, der ihm nicht gerade unbekannt war.

»Ich habe Ihren Anruf erwartet, Mr. Alton«, sagte er und reichte Lady Agatha den zweiten, am Apparat angeschlossenen Hörer. »Hat sich Ihr Mitarbeiter Lern schon gemeldet?«

»Hören Sie, Parker, was wird eigentlich gespielt?« erkundigte sich Bernie Alton in gespieltem Plauderton. »Sind Sie scharf darauf, mit mir in den Ring zu steigen?«

»Grundsätzlich ja, Mister Alton«, antwortete Parker, wozu Lady Simpson kriegerisch nickte. »In diesem speziellen Fall hingegen stehen junge Damen zur Debatte, die die Töchter des Satans genannt werden.«

»Ist das ein fauler Trick?« Bernie Alton war mißtrauisch.

»Es ist die Wahrheit, Mr. Alton«, gab Parker zurück. »Lady Simpson ist an einer gewissen Zusammenar-beit im Rahmen der Legalität äußerst interessiert.«

»Darüber läßt sich reden, Parker.«

»Ich wußte, Mr. Alton, daß Ihre Mitarbeiter ab sofort davon Abstand nehmen, Mylady weiter zu belästi-gen?«

»Geht klar, Parker.«

»Darf man ferner davon ausgehen, daß Sie und Ihre Mitarbeiter sich ebenfalls mit diesen Satanstöchtern befassen werden?«

»Wir tun, was wir können.«

»Dann bleibt mir abschließend nur noch die Frage, wie es Ihrem Mitarbeiter Lern geht. Der hoffnungsvolle junge Mann scheint Schwierigkeiten mit seiner Hand zu haben.«

»So was läßt sich reparieren, Mister Parker.«

»Es war mir fast ein Vergnügen, mit Ihnen plaudern zu können.«

»Hören Sie genau zu, Parker, wenn Sie mir mit Tricks kommen sollten, fallen Sie gründlich rein.«

»Diese Warnung möchte ich unbedingt an Sie zurückgeben«, schloß der Butler. »Ich hoffe, schon bald von Ihnen hören zu können, Mister Alton.«

»Bis dahin, Parker.« Es klickte in der Leitung, und Parker legte langsam auf. Er drehte sich gemessen zu Lady Simpson um, die ihm den Zweithörer reichte.

»Kann man sich auf diesen Strolch verlassen?« fragte sie.

»Das, Mylady, wird bereits die nahe Zukunft erweisen«, gab Parker vorsichtig zurück. »Mr. Bernie Alton ist für seine Tücke selbst in der sogenannten Unterwelt berüchtigt. Für bösartige Überraschungen dürfte er jederzeit gut sein, wenn ich mich so ausdrücken darf.«

*

Sie hieß Joy Farber, wie Parker festgestellt hatte, und wohnte in einem kleinen Landhaus in Wimbledon, das auf einen guten finanziellen Hintergrund schließen ließ. Vor der Doppelgarage standen ein VW und ein neuer Ford. Im Erdgeschoß des Hauses brannte Licht.

Parker hatte sich die Adresse der von ihm beobachteten Warenhausdiebin leicht verschaffen können. Lady Simpson hatte ihre weitreichenden Beziehungen wieder mal ausgespielt. Hinzu kam die Tatsache, daß das Geschäft, in dem die Diebin festgenommen worden war, genau zu der Warenhauskette gehörte, die von Lord Castner betreut wurde.

»Sind Sie sicher, daß wir die richtige Adresse bekommen haben?« fragte Agatha Simpson, die im Fond von Parkers Wagen saß.

»Ein Irrtum ist so gut wie ausgeschlossen«, meldete Parker vom Steuer her.

»Es muß trotzdem ein Irrtum sein«, sagte die ältere Dame kopfschüttelnd. »Aus diesem Haus kann doch niemals eine Warenhausdiebin stammen.«

»Mylady gestatten, daß ich mir die Freiheit nehme, ein wenig anderer Meinung zu sein. Warenhausdie-binnen kommen aus allen sozialen Schichten, wie die Kriminalstatistiken ausweisen.«

»Wem sagen Sie das?« grollte Lady Simpson sofort. »Wollen Sie mich etwa belehren?«

»Das, Mylady, liegt mir fern.«

»Dann klingeln Sie und finden Sie heraus, ob diese Mrs. Joy Farber mit Ihrer Diebin identisch ist.«

Parker stieg aus dem Wagen, legte sich den Universal-Regenschirm korrekt über den linken Unterarm und schritt fast feierlich auf das hübsche Haus zu. Nachdem er geklingelt hatte, waren Schritte hinter der Tür zu hören, die wenig später geöffnet wurde.

Von einem Irrtum konnte keine Rede sein!

Die Frau, die ihm gegenüberstand, war mit jener jungen Dame identisch, die Parker im Warenhaus beo-bachtet hatte. Sie kannte ihn natürlich nicht und sah ihn interessiert-abwartend an. Einen nervösen Eindruck machte sie überhaupt nicht. Sie wirkte kühl und selbstbeherrscht.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Madam, mich vorzustellen?« schickte der Butler voraus. »Parker mein bescheidener Name, Josuah Parker.«

»Und was kann ich für Sie tun, Mister Parker?« Sie lächelte den Butler jetzt freundlich an.

»Ich erlaube mir wegen eines Vorfalls zu kommen, Madam, der nicht gerade erfreulich zu nennen ist.«

In diesem Augenblick begriff sie, wurde rot und weiß im Gesicht und schluckte nervös.

»Läßt es sich ermöglichen, ein ungestörtes Gespräch zu führen, Madam?«

»Bitte, nicht hier und nicht jetzt«, stieß sie ängstlich hervor. »Mein Mann kann jeden Moment zurück-kommen. Er besucht einen Bekannten in der Nachbarschaft.«

»Ich erlaube mir, Madam, auf Ihre Vorschläge zu warten.«

»Kommen Sie von …« Sie führte den Satz nicht zu Ende und ließ ihn in der Luft hängen.

»Woher, bitte, könnte ich kommen, Madam?« Parker hatte das Gefühl, daß ihm diese junge, nun verwirrte Frau einen ersten wichtigen Hinweis liefern konnte.

»Vom, äh, Großen Meister?« Die Bezeichnung »Großer Meister« schien sie anzuekeln.

»Über all diese Dinge wird man gleich reden müssen, Madam.«

»Das Geld kann ich wirklich erst morgen beschaffen«, redete sie hastig weiter.

»Sie kennen die Summe, Madam?« Parker frohlockte innerlich. Diese junge Frau war ergiebig, was Infor-mationen anbetraf. Parker wurde erneut verwechselt. Sie hielt ihn wahrscheinlich für einen Sendboten jenes Mannes, den sie »Großer Meister« nannte. Noch tat der Butler nichts, um diesen Irrtum aufzuklären.

»Natürlich weiß ich, was ich zu zahlen habe«, seufzte sie, »tausend Pfund vergißt man nicht.«

»Diese Summe scheint Ihnen gewisse Schwierigkeiten zu bereiten.«

»Ich werde es schaffen, bestimmt. Aber sagen Sie nur nichts meinem Mann, er muß aus dem Spiel blei-ben.«

»Sollten Sie ihn nicht vielleicht doch besser informieren, Madam?« fragte Parker eindringlich.

»Sind Sie verrückt?« Sie sah ihn entsetzt an. »Mein Mann ist bei der Regierung angestellt. Es würde ihn völlig verunsichern, wenn er von dieser Sache im Kaufhaus erführe.«

»Mr. Farber arbeitet, wie ich vermuten darf, im höheren Dienst?«

»Natürlich! Und es würde seine Karriere kosten, wenn diese Geschichte herauskommt.«

»Darum wollen Sie die tausend Pfund auch zahlen, nicht wahr?«

»Wieso fragen Sie so komisch?« Sie sah ihn jetzt mißtrauisch an und konnte sich das menschliche Interes-se dieses vermeintlichen Erpressers nicht erklären.

»Ihr Verdacht ist vollkommen richtig, Madam«, erklärte der Butler, der ihre Frage und ihren Blick richtig gedeutet hatte, »ich bin nicht der, für den Sie mich halten.«

»Ja, wer sind Sie denn?«

»Ich war so frei, mich bereits vorzustellen. Parker mein Name, Josuah Parker. Allerdings habe ich mit dem von Ihnen erwähnten ›Großen Meistern‹ nichts zu tun, wie ich versichern darf.«

»Dann … dann begreife ich nicht, woher Sie das alles wissen.« Es war ihr wohl nicht ganz klar, daß alles aus ihrem Mund stammte.

»Lady Simpson, für die zu arbeiten ich die Ehre habe, möchte Ihnen helfen, Madam.«

»Lady Simpson?« Sie wußte mit diesem Namen wohl etwas anzufangen, denn sie stutzte.

»Lady Agatha Simpson«, präzisierte der Butler. »Mylady wartet dort drüben im Wagen und möchte sich gern mit Ihnen unterhalten. Aber Ihr Mann muß ja jeden Moment zurückkehren, nicht wahr?«

»Vor Mitternacht bestimmt nicht«, räumte Joy Farber jetzt ein. »Mein Mann schneidet mit seinem Freund einen Urlaubsfilm. Er ist leidenschaftlicher Amateurfilmer.«

»Demnach wären Sie zu einer kleinen Unterhaltung mit Lady Simpson bereit?«

»Es hat wohl keinen Sinn, das abzulehnen.« Joy Farber machte jetzt einen müden und abgespannten Ein-druck.

»Es würde sich nicht empfehlen, Madam«, gab der Butler zurück. »Ich darf noch mal wiederholen, daß Mylady helfen will.«

»Wenn das der ›Große Meister‹ erfährt bin ich geliefert«, seufzte die junge Frau. »Er hat mir verboten, über die ganze Sache auch nur eine Silbe zu erzählen. Er läßt mich überwachen!«

»Ob dem so ist, Madam, wird sich schnell erweisen«, meinte Parker beruhigend, »im übrigen sollten Sie davon ausgehen, daß dieser ›Große Meister‹ auf die Angst seiner Opfer setzt Haben Sie das, was man Ver-trauen nennt!«

Joy Farber hätte diese Unterhaltung gar nicht mehr ablehnen können, denn Agatha Simpson stampfte be-reits recht unwillig heran. Sie hatte ihrer Ansicht nach bereits zu lange gewartet und darüber den letzten Rest ihrer Geduld verloren.

*

»Sie haben also noch nie in Ihrem Leben einen Ladendiebstahl begangen?« vergewisserte sich Lady Simpson noch mal, nachdem Joy Farber ihre Geschichte erzählt hatte.

»Noch nie, Mylady«, gab die junge Frau eingeschüchtert zurück.

»Und Sie können sich an nichts erinnern, als Sie plötzlich im Büro des Warenhausdetektivs so quasi zu sich kamen?«

»Ich konnte mich wirklich an nichts erinnern«, bekräftigte die junge Frau. »Für mich war es wie ein böser Traum, als ich die Armbanduhr, diese dummen Filzschreiber und den Füllhalter vor mir auf dem Tisch sah. Das alles sollte ich angeblich gestohlen haben«

»Was leider den Tatsachen entsprach, Madam«, schaltete der Butler sich ein. »Ich war Augenzeuge jener Vorgänge.«

»Schrecklich«, hauchte die junge Frau und schlug beschämt die Hände vors Gesicht. Sie wollte weinen, doch Agatha Simpson war energisch dagegen.

»Haben Sie sich nicht so, dummes Ding«, sagte sie gereizt. »Was geschehen ist, ist eben geschehen. Sie glaubten also an einen bösen Traum, nicht wahr?«

»So war es, Mylady.« Joy Farber riß sich zusammen, um Lady Simpsons Zorn nicht noch zu steigern.

»Hatten Sie Kopfschmerzen?«

»Kopfschmerzen?« Joy Farber sah die ältere Dame erstaunt an, um dann zu nicken.

»Was geschah im Büro des Detektivs?« stellte Lady Simpson ihre nächste Frage.

»Ich mußte ein Geständnis unterschreiben, eine Art Protokoll.«

»Wurde die Polizei verständigt?«

»Darauf wurde verzichtet, aber ich bekam strenges Haus verbot.«

»Nach diesem Vorfall fuhren Sie zurück nach Hause und wurden wenig später angerufen?«

»Richtig«, bestätigte Joy Farber. »Eine Männerstimme meldete sich. Sie klang sehr undeutlich. Ich erfuhr zu meinem Entsetzen, daß ich tausend Pfund zu zahlen habe, falls mein Mann nicht informiert werden sollte. Ich sagte natürlich sofort zu.«

»Wie kam es zu dem Ausdruck ›Großer Meister‹, Madam«, wollte der Butler wissen.

»So nannte der Mann sich am Telefon. Mehr weiß ich nicht darüber.«

»Sind Sie vollkommen sicher, Madam?« Parker hatte das Gefühl, daß die junge Frau ihm ein Detail ver-schwieg.

»Vollkommen sicher«, wiederholte sie und sah betreten zu Boden.

»Werden Sie die tausend Pfund aufbringen können?« vergewisserte sich Lady Simpson sicherheitshalber.

»Ich werde sie mir leihen müssen«, sagte Joy Farber, froh darüber, daß das Gespräch eine andere Richtung nahm. »Ich werde den Schmuck meiner Mutter beleihen, Mylady.«

»Und wie sollen Sie dieses Geld an den ›Großen Meister‹ weiterreichen?« wollte Parker wissen.

»Ich soll es ihm … Das heißt, es wird hier abgeholt werden. Irgendwann.«

»Sie verschweigen uns etwas, Mrs. Farber«, grollte Lady Simpson, die wie Parker das Gefühl nicht los wurde, daß Joy Farber nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte.

»Aber nein«, versicherte sie hastig, »wirklich nicht. Was ich weiß, habe ich Ihnen gesagt. Mein Ehren-wort!«

»Nun gut, Mrs. Farber, wir werden versuchen, Ihnen zu helfen, ohne daß Ihr Mann etwas erfährt.«

»Ich weiß nicht, ob man überhaupt helfen kann«, gab Joy Farber skeptisch und unglücklich zurück. »Ich bin doch in der Hand dieses Mannes.«

»Nur so lange, wie er noch frei herumläuft.«

»Ihn werden Sie nie erwischen«, prophezeite die junge Frau.

»So gut kennen Sie ihn bereits, Kindchen?« Agatha Simpson sah Joy Farber wieder mißtrauisch und for-schend an.

»Ich habe ihn noch nie gesehen«, lautete die zu hastige Antwort.

»Mister Parker, geben Sie Mrs. Farber Ihre Karte«, sagte die Detektivin zu ihrem Butler, um sich dann an Joy Farber zu wenden. »Unter dieser Telefonnummer erreichen Sie uns jederzeit. Rufen Sie sofort an, falls die Dinge eine hoffentlich dramatische Wendung genommen haben!«

»Glauben Sie denn, es wird noch mehr passieren?« fragte Joy Farber nervös.

»Das können Sie doch besser beurteilen als wir«, grollte die resolute Dame. »Sie allein wissen doch, was Sie verschwiegen haben, oder? Nein, nein darauf sollten Sie jetzt nicht antworten. Ein Anruf später genügt durchaus.«

Sie stampfte grimmig aus dem Haus und war verärgert.

»Was soll denn das?« fauchte sie Minuten später, als Parker in die nächste Seitenstraße einbog, stoppte und den Wagen wendete.

»Mylady sollten damit rechnen, beobachtet und verfolgt worden zu sein«, sagte Parker gelassen. »Falls es sich um Mitarbeiter Mr. Altons handelt, werden sie jetzt wissen wollen, warum Mylady sich mit Mrs. Farber unterhielt. Das wenigstens ist die Annahme, von der auszugehen ich mir erlaube.«

»Manchmal haben Sie sogar ganz passable Ideen«, räumte Lady Simpson ein und vergaß ihren Groll. Sie machte schlagartig einen äußerst unternehmungslustigen Eindruck. »Bilden Sie sich darauf aber nur nichts ein! Ein blindes Huhn findet sogar manchmal ein Korn.«

*

Er brauchte nicht lange zu warten.

Nach etwa drei bis vier Minuten erschien ein junger Mann vor dem Haus, der von einem Kleiderschrank begleitet wurde, den Parker als die Boxertype aus dem Filmore Pub identifizierte. Parkers Rechnung ging also auf. Mylady und er waren von Altons Leuten beobachtet und verfolgt worden.

Der junge Mann läutete an der Haustür und winkte dem massigen Kerl zu, seitlich neben dem Eingang zu verschwinden. Er wollte wohl nicht, daß Joy Farber zu Tode erschrak.

Sie öffnete und hatte, wie Parker erkennen konnte, erfreulicherweise die Sicherheitskette vorgelegt. Der Boxertyp schob sich inzwischen vorsichtig an die Haustür heran und wollte sie wahrscheinlich schon in den nächsten Sekunden im Sturm nehmen.

Parker mußte schnell handeln. Und er tat es!

Gemessen, ohne jede Hast, aber auch nicht gerade langsam, holte Parker eine seiner ›Wunderwaffen‹ aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers. Es handelte sich um eine zusammenlegbare Gabelschleuder oder Zwille, die mit äußerst kräftigen Zugbändern versehen war, die ihrerseits eine hohe Anfangsgeschwin-digkeit garantierten.

Natürlich verfügte Parker auch über die richtige »Munition«. Sie bestand in diesem Fall aus einer hart ge-brannten Tonkugel, die an eine Murmel erinnerte. Er legte dieses Geschoß geübt in die Lederschlaufe der Gabelschleuder, visierte kurz seinen Gegner an und … schickte das Geschoß auf die Reise.

Diese Waffe hatte den Vorteil, völlig geräuschlos zu arbeiten. Hinzu kam noch, daß sie auf keinen Fall tödlich sein konnte. Sie garantierte dem Getroffenen nur ein blitzschnelles Hinübergleiten in eine zeitlich begrenzte Ohnmacht.

So auch in diesem Fall.

Die Tonmurmel zischte durch die Luft, landete seitlich auf dem Hinterkopf des jungen Mannes und platz-te hier auseinander. Der Junggangster zeigte sich sehr beeindruckt, fiel gegen die Tür, wollte sich verzweifelt an ihr festhalten und rutschte dann haltlos hinunter auf die Matte. Hier blieb er in durchaus entspannter Hal-tung liegen und gab sich seinem Tiefschlaf hin.

Der massige Bursche wußte nicht, was er von den Dingen zu halten hatte. Er machte einen leicht verwirr-ten Eindruck, sprang aus der Deckung und beugte sich zu seinem Partner hinunter. Die junge Frau, die ihn erst jetzt sah, schlug hastig die Tür zu und verschwand von der Bildfläche.

Parker maß das kräftige Gesäß des Boxers, das an das eines mittelgroßen Elefanten erinnerte. Er konnte nicht widerstehen und hob die Spitze seines Universal-Regenschirms. Es handelte sich um einen Schirm, der es in sich hatte. Mit ihm konnte er stricknadelgroße Pfeile verschießen, die denen der Amazonas-Indios ver-blüffend ähnelten. Preßluft bewirkte den Antrieb, der bis auf ein leises Zischen beim Auslösen ebenfalls ge-räuschlos war.

Der Pfeil schwirrte durch die Luft und bohrte sich in das Gesäß des Boxers, der sich blitzschnell aufrich-tete und bestürzt nach der getroffenen Körperstelle langte. Als seine Finger den Pfeil fühlten, blieb der Ko-loß wie versteinert stehen und machte einen verwirrten Eindruck. Er wußte im ersten Moment mit diesem Geschoß nichts anzufangen. Dann zerrte er es jedoch entschlossen aus der Gesäßhälfte und stierte es entsetzt an.

Was durchaus verständlich war, wie eingeräumt werden muß!

Dieser Boxer kannte Schußwaffen aller Art, Schlagringe und sonstige Gebrauchsdinge des täglichen Be-darfs, doch mit einem bunt gefiederten Pfeil wußte er nichts anzufangen. Er dachte nur automatisch an Gift.

Dieser Gedanke löste bei dem Gorilla Aktivitäten aus.

Da die kleine Wunde höllisch brannte – der Pfeil war selbstverständlich chemisch präpariert – begann der Massige mit einem kleinen Tanzsolo, hüpfte fast neckisch herum und zeigte dabei eine erstaunliche Bega-bung. Als das höllische Brennen knapp unter der Haut noch stärker wurde, hüpfte der Gorilla hinüber zum Rasen und setzte sich für Bruchteile von Sekunden. Anschließend rutschte er mit seinem Gesäß über das gepflegte Grün und stieß dabei heulende Töne aus, die nicht unbedingt melodisch zu nennen waren.

Der Boxer fand schnell heraus, daß die Herumrutscherei keine wesentliche Linderung brachte, sprang wieder hoch und jagte quiekend davon, um irgendwo in der Dunkelheit dieser Wohngegend zu verschwin-den. Er schien vergessen zu haben, daß er und sein Partner mit dem Wagen gekommen waren.

»Sie hätten diesem Strolch zwei Pfeile verpassen sollen«, stellte Lady Simpson grimmig fest. Sie stand neben ihrem Butler und hatte dem Schauspiel mit großer Freude zugesehen. Die resolute Dame war maßlos wie immer. »Sie und Ihre Gefühlsduseligkeit, Mister Parker. Das wird noch mal böse enden!«

*

Bernie Alton, der Gangsterboß, der selbst in Kreisen der Unterwelt als tückisch und brutal galt, wohnte in einem ansehnlichen Backsteinhaus, dessen überdachter Eingang von zwei großen Porzellanhunden bewacht wurde.

Der Mann hatte sich eine gute Wohngegend ausgesucht, in der man gewiß nicht wußte, welchem Beruf er nachging. Die Ziergitter vor den Fenstern entsprachen seinem Schutzbedürfnis. Josuah Parker ging davon aus, daß dies nicht der ganze Schutz dieses mißtrauischen Mannes war. Hinter der Haustür warteten mit Si-cherheit einige handfeste Männer, die Dienst rund um die Uhr machten und ihren Boß bewachten.

Josuah Parker hatte vor, dem Gangsterboß eine Art Höflichkeitsbesuch abzustatten. Es drängte ihn, sich mit diesem Mann mal ausführlich zu unterhalten. Zu seinem Leidwesen allerdings beteiligte Agatha Simpson sich an dieser Ausfahrt. Sie hatte gerade zusammen mit ihm den Wagen verlassen und bebte vor Eifer und Aktivität. Die Detektivin freute sich bereits darauf, Bernie Alton einige Argumente unter die Nase zu reiben.

Der Butler klingelte diskret und beobachtete dann das kleine Quadrat in der Tür. Es war geschnitten wor-den, damit die Türwache einen Blick auf die Besucher werfen konnte. Wie gesagt, Bernie Alton war ein mißtrauischer Mensch, der nicht jeden ins Haus ließ.

Prompt öffnete sich die kleine Tür. Das Gesicht eines energisch und wachsam aussehenden Mannes war zu sehen. Er bewegte den Mund, um eine Frage zu stellen, doch er brachte sie nicht mehr heraus.

Er gurgelte …

Und das hing ursächlich mit der Riesenportion Senf zusammen, die Parker diesem Mund verpaßt hatte. Sie stammte aus einer jener scheußlichen Plastikdruckflaschen, wie sie leider immer häufiger selbst in guten Lokalen anzutreffen sind. Praktisch waren diese Behälter durchaus. Nachdem man den Verschluß entfernt hatte, brauchte man nur mehr oder weniger energisch auf die Weichplastik zu drücken, um den Senfstrom auf den Teller zu befördern.

Parker hatte hart und jäh zugedrückt.

Die Riesenportion Senf schoß blitzschnell hervor, klatschte durch das Guckloch in der Tür und füllte den Mund des Fragenden. Er gurgelte inzwischen nicht mehr, hustete aber und weinte dicke Krokodilstränen, da Parker sich für einen besonders scharf gewürzten Spezialsenf entschieden hatte.

Die Türwache wurde derart überrascht, daß sie vergaß, das kleine Quadrat in der Tür zu schließen.

Ein zweites Gesicht erschien …

Josuah Parker bemühte erneut die »Druckschleuder« und füllte die Augenpartien des zweiten Mannes großzügig mit dem gelben, halbflüssigen Würzmittel. Der Getroffene belohnte Parkers Freigebigkeit mit lau-tem Aufschrei, griff nach seinen Augen und rieb sie in völliger Verkennung der Situation.

Was ihnen überhaupt nicht bekam!

Die gelbe Paste drang nur noch tiefer ein, reizte die Schleimhäute und sorgte, was die Menge anbetraf, für einen Tränensturz, der fast an einen Mini-Niagara erinnerte.

Die kleine quadratische Klappe in der sonst glatten Tür blieb immer noch geöffnet. Parker konnte nicht widerstehen. Er warf eine Glasampulle durch die Klappe und verließ dann den überdachten Treppenaufgang. Er war noch auf den letzten Stufen, als weißgelber Qualm durch die quadratische Klappe nach außen wallte. Die Glasampulle, die er einer Art Pillendose entnommen hatte, war auf dem Boden zersplittert. Der wäßrige Inhalt hatte sich mit dem Sauerstoff der Luft vermischt und entsprechend reagiert. Die Nebelwolken, die daraufhin hochstiegen, sorgten für zusätzliche Belustigung der Türwache.

Die beiden Männer waren verständlicherweise leicht gereizt, nachdem sie sich von ihrer ersten Pein und Überraschung erholt hatten. Sie gaben sich voll und ganz dem Wunsch hin, den Störenfried durch ihre pri-vate Mangel zu drehen. Sie entriegelten die schwere Sicherheitstür, entfernten die Ketten und ließen einen soliden Querbalken hochfahren. Dann rannten sie nach draußen und schauten sich aus entzündeten Augen nach dem nächtlichen Besucher um.

Sie sahen ihn knapp vor sich und verzichteten darauf, ihre Schußwaffen einzusetzen. Einmal geschah das, weil Bernie Alton die Ruhe dieser Straße nicht unnötig stören wollte, zum anderen auch, weil ihnen dieser Mann so gut wie sicher war. Der Vorsprung des Besuchers betrug höchstens zehn Meter.

Die beiden Männer nahmen die Verfolgung auf, fest entschlossen, sich für diesen Überfall zu rächen.

*

Sie kamen nicht weit, denn sie mußten an Agatha Simpson vorbei, die sich listigerweise knapp neben der Tür erwartungsvoll und grimmig aufgebaut hatte. Wie eine Walküre stand sie dort und schwang unterneh-mungslustig ihren Pompadour samt dem darin befindlichen »Glücksbringer«.

Der war ein echtes Hufeisen, andeutungsweise mit Schaumgummi umwickelt, eine Waffe, die sich sowohl durch Einfachheit als auch durch Wirkung auszeichnete. In der Hand der resoluten Lady war der harmlos aussehende Glücksbringer, ein Narkosegerät von überragender Qualität.

Die Detektivin zeigte sofort ihr wahres Können.

Als der erste Mann sie passierte, langte sie mit ihrem Handbeutel energisch zu. Der Türwächter wurde über dem Ohr getroffen, hob ab, segelte anderthalb bis zwei Meter durch die Luft und landete dann etwas un-glücklich auf den Steinplatten des Gehwegs.

Der zweite Mann bekam diesen Zwischenfall wegen der wallenden Nebelschwaden nicht ganz mit. Er stutzte allerdings, weil sein Partner ohne jede Vorankündigung diesen völlig sinnlosen Flug ausführte. Als ihm dann der Gedanke kam, daß das einen Grund haben müsse, war es für ihn bereits zu spät. Agatha Simpson legte ihm ihren »Glücksbringer« nachdrücklich auf den Schädel.

Nun, der Mann landete ganz sicher nicht ungespitzt im Boden. Das zu behaupten wäre sinnlos und über-trieben gewesen. Doch er schrumpfte sichtlich und verlor einige Zentimeter an Wuchs und Größe. Er ächzte und legte sich dann wie ein nasses Handtuch über einen der beiden Porzellanhunde. Lady Simpson trat aus der Deckung hervor und vergewisserte sich gründlich, daß dieser Mann sich nicht nur kurzfristig ausruhte.

Während ihr Butler zur Haustür zurückkehrte, betrat die ältere Dame den Hausflur, aus dem die dicksten Nebelschwaden inzwischen abgezogen waren. Sie sah mit einem schnellen und erfahrenen Blick, daß es lei-der noch eine zweite Tür gab, die den Vorflur zum eigentlichen Treppenhaus hin abtrennte. Diese Tür, zwar mit Glasscheiben versehen, war sehr solide. Agatha Simpson prüfte das mit ihrem »Glücksbringer«, den sie gegen die Glasscheiben warf. Der Pompadour prallte daran wirkungslos ab. Es mußte sich also um Panzer-glas handeln.

Die Detektivin wußte dennoch, wie auch diese zweite Tür zu schaffen war.

Sie stieß einen ungemein schrillen und spitzen Schrei aus, legte sich dann ausgesprochen dekorativ auf den Boden und harrte der Dinge, die mit Sicherheit kommen mußten.

Sie brauchte nicht lange zu warten.

Schon wenige Sekunden später erschienen zwei weitere Männer. Sie tauchten vor der zweiten Tür auf, sa-hen die stattliche Dame am Boden und entriegelten auch diese Tür. Ob es nur der Drang war, sich karitativ zu betätigen, ob es Mißtrauen war, das ließ sich im Moment nicht feststellen. Sie preschten auf jeden Fall auf Lady Simpson zu und unterschätzten die scheinbar hilflose Frau. Sie griffen noch nicht mal nach ihren Waf-fen, denn diese etwas angejahrte Frau konnte ihrer Ansicht nach keine Gegnerin sein.

Doch darin sollten sie sich ungemein täuschen.

Der bewußte Pompadour lag aktionsbereit in Myladys Hand. Als der erste Mann sich über sie beugte, fuhr ihr rechter Arm blitzschnell hoch. Der »Glücksbringer« landete leicht krachend auf der Kinnlade des Man-nes, der sofort zusammenbrach und keinen Ton mehr von sich gab.

Der zweite Mann wollte nun doch nach seiner Schußwaffe greifen. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß mit dieser alten Dame nicht gut Kirschenessen war.

Er hatte die Absicht, doch er konnte sie nicht in die Tat umsetzen. Parker schaltete sich ein und benutzte seinen Universal-Regenschirm als Golfschläger. Der zweite Mann hüstelte beeindruckt und legte sich dann quer über seinen Partner.

»Darf ich mir erlauben, Mylady aufzuhelfen?« fragte Parker und lieh der älteren Dame seine Hand.

»War ich gut?« fragte sie und schnaufte ein wenig.

»Normalerweise, Mylady, würde ich mir niemals ein Urteil erlauben«, stellte Parker fest, gemessen und würdevoll. »In diesem speziellen Fall jedoch bin ich fast versucht, in vorsichtige Ovationen auszubrechen.«

»Mäßigen Sie sich, Mister Parker«, sagte sie streng, aber doch etwas geschmeichelt. »Verwirren Sie nicht unnötig eine Dame, die völlig hilflos ist!«

*

»Echt verwirrt war ein gewisser Berdicken Banktresor, oder?«

Der Gangsterboß mochte etwa fünfundvierzig Jahre alt sein, war mittelgroß, schlank und trug einen Ba-demantel. Die Tür zum Bad war noch geöffnet, sein Haar naß. Er starrte ungläubig auf die eintretende Aga-tha Simpson, dann auf Parker.

»Wo … Wo kommen denn Sie her?« fragte er dann mit belegter Stimme.

»Können Sie nicht intelligenter fragen?« herrschte die Detektivin ihn an.

»Lady Simpson und meine bescheidene Wenigkeit benutzten diverse Türen«, erläuterte der Butler höflich.

»Wieso denn, was denn?« Bernie Alton wollte es einfach nicht glauben, daß hier zwei völlig fremde Be-sucher im Zimmer standen, obwohl sein Hauseingang immerhin von vier ausgesuchten Leibgardisten be-wacht wurden.

»Ziehen Sie sich gefälligst was über, junger Mann«, raunzte Lady Agatha den verwirrten Gangsterboß an. »So schön sind Sie auch wieder nicht.«

»Wer sind Sie?« Endlich hatte Bernie Alton sich gefangen. Er schob sich wie ungewollt hinüber zum Schreibtisch, der an der Wand zwischen seinem Schlafzimmer und dem Salon stand. Was er dort wollte, konnte der Butler sich leicht vorstellen. Bernie Alton hatte wahrscheinlich in der Schublade eine Schußwaf-fe, an die er jetzt heranzukommen versuchte.

»Lady Simpson«, stellte Parker vor, »meine Name ist Parker, Josuah Parker, wir sprachen am Telefon mit-einander.«

»Und vereinbarten Zusammenarbeit«, stellte Agatha Simpson fest, »und was tun Sie wirklich, Sie Lüm-mel? Sie hetzen uns da einen Fleischkoloß auf den Hals und so eine kleine Ratte. Sie haben mich sehr er-zürnt, junger Mann!«

»Ich weiß überhaupt nicht, Wovon Sie eigentlich reden.« Bernie Alton schlug den Bademantel züchtig über seine Beine und hatte endlich den Schreibtisch erreicht. Nun brauchte er nur noch die Schublade vor-sichtig zu öffnen.

»Wenn Sie mich anlügen wollen, junger Mann, werde ich unbeherrscht«, prophezeite die ältere Dame grimmig. »Sie haben nichts anderes zu tun, als diesen Flegel zu suchen, der die ›Satanstöchter‹ rekrutiert. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

»Ach, jetzt verstehe ich, Mylady.« Bernie Alton schaltete auf gespielte Liebenswürdigkeit um und nickte verstehend. »Sie sind Lady Simpson.«

»Ein Schnelldenker scheinen Sie nicht gerade zu sein, junger Mann«, meinte die Detektivin abfällig. »Was versprechen Sie sich davon, gegen unsere Abmachung zu verstoßen?«

»Ein Irrtum, Mylady, glauben Sie mir.« Er ließ den Bademantel ein wenig auffallen, schien es erst nach-träglich zu bemerken und wollte den Sitz seines einzigen Bekleidungsstückes sofort korrigieren. Es war klar, daß er dazu nach unten greifen mußte. Er nestelte am Bademantel herum und … griff dann blitzschnell nach der Schublade.

Er hätte es besser erst gar nicht versucht!

Butler Parker reagierte augenblicklich. Er hatte eine schwarze Melone längst vom Kopf genommen und hielt sie höflich in der Hand. Nun aber, als Alton alles auf seine Karte setzte, schleuderte er seine Kopfbe-deckung als eine Art Diskus auf den Gangsterboß.

Die Melone zischte durch das Zimmer und setzte sich mit ihrer steifen und harten Kante auf die Oberlippe des Mannes, der daraufhin aufbrüllte, nach seinem Munde griff und die Schußwaffe vorübergehend vergaß. Der Schmerz war derart intensiv, daß Bernie Alton zurück gegen die Wand taumelte und schluchzte.

»Ungezogener Junge«, sagte Lady Simpson grimmig, »wer wollte denn da böse werden?«

Josuah Parker war bereits in Altons Nähe und hob mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Univer-sal-Regenschirms seine schwarze Melone auf. In seiner Hand befand sich plötzlich eine kleine schmale Bürs-te, mit der er seine Kopfbedeckung wieder staubfrei machte. Dann setzte er sich auf, öffnete die Schreib-tischlade und holte einen kurzläufigen 38er hervor.

Alton sah die Waffe in Parkers Hand und verfärbte sich sichtlich. Als tückischer und brutaler Gangsterboß konnte er sich nur vorstellen, daß man ihn jetzt umbringen würde. Er wich von der Wand, schob sich hinüber zur Badezimmertür und sah den Butler aus stieren Augen an.

»Haben Mylady möglicherweise bestimmte Vorstellungen, was mit Mr. Alton geschehen soll?« erkundigte sich Parker bei seiner Herrin.

»Und ob ich bestimmte Vorstellungen habe!« Sie nickte nachdrücklich. »Dieser Hitzkopf braucht unbe-dingt eine anständige Abkühlung, Mister Parker.«

»Wie Mylady befehlen!«

»Das übernehme ich«, redete die kriegerische Dame weiter. »Sie sind mir zu halbherzig, Mister Parker.«

»Wie Mylady meinen.«

»Los, junger Mann, zieren Sie sich nicht! ’runter mit dem Bademantel!«

»Aber Mylady«, protestierte Parker schwach.

»Papperlapapp«, hauchte sie ihn gereizt an, um sich dann wieder dem Gangsterboß zuzuwenden. »Können Sie nicht hören, Sie Lümmel? runter mit dem Bademantel!«

»Mylady«, flehte Alton, der nicht wußte, was sein Gegenüber plante. Als er das gereizte Funkeln in den Augen der Frau sah, verzichtete er freiwillig auf alle Einwände und stieg aus dem Bademantel. Schamhaft nahm er dann blitzschnell seine Hände herunter und trat von einem Bein auf das andere.

»Unter die Dusche, Sie Flegel«, donnerte die Lady. »Haben Sie sich nicht so! Eine Frau in meinem Alter weiß inzwischen ungefähr, wie Männer aussehen.«

Alton huschte unter die Dusche und zitterte leicht. Er war mit den Nerven restlos fertig und leistete keinen weiteren Widerstand, als Lady Simpson ihm befahl, das Wasser anzustellen.

»Wagen Sie es nicht, warmes Wasser zuzumischen«, sagte sie. »Darauf würde ich allergisch reagieren!«

Bernie Alton beeilte sich, dem Wunsch der Dame nachzukommen. Gehorsam stellte er das Wasser an und sprang entsetzt zur Seite, als der erste kalte Strahl ihn erreichte.

»Aufdrehen«, kommandierte die Detektivin, »eine kalte Dusche hat noch nie geschadet, junger Mann. Sie werden sich danach erstaunlich wohl fühlen.«

*

Kathy Porter lächelte, als Agatha Simpson diesen Punkt in ihrer Erzählung erreicht hatte. Sie konnte sich den Gangsterboß unter der Dusche sehr gut vorstellen.

»Und wie ging die Sache aus?« fragte Kathy.

»Mr. Alton holte sich zumindest einen ausgiebigen Schnupfen«, schaltete der Butler sich gemessen ein. »Ich sah mich aus humanitären Gründen veranlaßt, Mr. Alton ein Glas Whisky zu reichen.«

»Untertreiben Sie nicht«, erwiderte Lady Simpson vergnügt. »Sie trichterten ihm fast eine halbe Flasche ein, diesem wehleidigen Waschlappen.«

»Könnt er danach überhaupt noch reden, Mylady?«

»Er redet wahrscheinlich noch jetzt«, antwortete Agatha Simpson, »und zwar mit seinen vier Leibwäch-tern.«

»Richtig, was wurde aus diesen Männern?« Kathy amüsierte sich.

»Auf meine Bitte hin holte Mr. Alton sie zurück ins Haus«, berichtete der Butler. »Er besorgte das vom Fenster seines Schlafzimmers aus.«

»Sie landeten im Keller des Hauses«, freute sich Lady Simpson noch nachträglich. »Wir wollen diese vier Jammergestalten nicht länger auf der Straße herumstehen lassen.«

»Inzwischen verhörte Mylady Mr. Alton«, redete der Butler weiter, »das Ergebnis dieser Unterhaltung ist recht bemerkenswert.«

»In der Londoner Unterwelt ist seit einigen Wochen der Begriff ›Satanstöchter‹ bekannt«, nahm Agatha Simpson den Bericht wieder auf, »wer dahintersteckt, weiß die Unterwelt nicht, nur so viel, daß ein Einzel-gänger diesen Club aufgezogen haben muß, ein Einzelgänger, der branchenfremd sein soll.«

»Und welche Rolle spielen diese ›Satanstöchter‹, Mylady?«

»Sie sollen für diesen Einzelgänger in irgendeiner Form arbeiten«, sagte Lady Simpson. »Alton und seine Freunde möchten das auch liebend gern herausbekommen. Sie wittern da ein Bombengeschäft.«

»Er läßt für sich stehlen, Mylady.«

»Armbanduhren, Filzschreiber und Briefmarken?« Lady Simpson schüttelte energisch den Kopf.

»Erpressung«, sagte Parker, das Stichwort liefernd. »Ich darf auf Mrs. Joy Farber verweisen, ich räume durchaus ein, daß Myladys Hypothese gut klingt. Dieser Einzelgänger hypnotisiert seine Opfer und bringt sie dazu, an sich harmlose Warenhausdiebstähle auszuführen, und erpreßt die unglücklichen Damen anschlie-ßend.«

»Das klingt mir alles zu schwach«, fuhr Agatha Simpson dazwischen. »Denken Sie doch an den Ausdruck ›Satanstöchter‹! Das ist doch etwas! Nein, nein, Mister Parker, ich bleibe dabei, es handelt sich um Orgien. Diese ›Satanstöchter‹ werden nicht nur zu Diebstählen verleitet.«

»Wie Mylady meinen.« Parker gab sich zurückhaltend.

»Wie Mylady meinen, wie Mylady meinen!« Sie sah ihren Butler gereizt und flammend an. »Denken Sie gefälligst daran, daß Mrs. Farber uns mit Sicherheit einiges verschwiegen hat. Oder wollen Sie das etwa be-streiten?«

»Das, Mylady, würde ich niemals wagen.«

»Ihr Glück«, meinte sie lakonisch, »und ich sage Ihnen schon jetzt, daß das endlich der Kriminalstoff ist, nach dem ich seit Monaten suche. Ich werde mir gleich Notizen machen. Nein, ich werde sogar mit der Nie-derschrift des ersten Kapitels beginnen. Ich fühle, daß ich in der richtigen Stimmung bin.«

»Mylady befürchten nicht, von Mr. Alton daran gehindert zu werden? Er machte einen, wenn ich es so ausdrücken darf, recht rachedurstigen Eindruck, als man ihn verließ.«

»Er wird einige Tage brauchen, bis er seinen Schnupfen auskuriert hat«, sagte Agatha Simpson. »Sollte er danach wieder frech werden, wird er mich kennenlernen. Lenken Sie übrigens nicht vom Thema ab und richten Sie meine Schreibmaschine her!«

Parker verbeugte sich stumm und verließ den großen Wohnraum im Erdgeschoß des Hauses. Er kannte das Ritual, das Mylady jetzt durchzuführen wünschte. Agatha Simpson hatte es sich nämlich in den Kopf ge-setzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Sie wollte diese erfolgreiche Kriminalschrift-stellerin noch übertrumpfen und einen Roman schreiben, von dem die Welt noch nach Jahrhunderten sprach.

Bisher suchte Agatha Simpson allerdings noch nach einem passenden Stoff. Sie konnte sich nur schwer entscheiden und wartete im Grunde immer auf ein noch besseres Thema. Sie besaß allerdings schon eine moderne elektrische Kugelkopfschreibmaschine, tonnenweise Manuskriptpapier und stapelweise Notizen. Sie besaß nur nicht das Sitzfleisch und die Konzentration, endlich mal mit ihrer Arbeit zu beginnen. Lady Simpson ließ sich nur zu gern ablenken.

Parker gingen ihre Worte durch den Kopf. Mylady sprach von einer Orgie, für die die ›Satanstöchter‹ von diesem unbekannten Einzelgänger rekrutiert wurden. Lag Lady Simpson mit ihrer Annahme wieder mal rich-tig?

*

Kathy Porter stellte ihren Mini auf dem Parkplatz ab und ging dann zum Seiteneingang des Warenhauses. Sie hatte sich entsprechend ihrer Rolle geschickt zurechtgemacht.

Kathy trug ein dezentes Kostüm, hatte eine schicke Frisur und hielt eine teure Handtasche aus Krokodil-leder unter dem Arm. Auch ihre Schuhe sagten dem Kenner, daß sie nicht gerade billig gewesen sein konn-ten. Die kleine echte Perlenkette unterstrich den Eindruck der soliden Herkunft. Kathy schien die junge Frau eines gut verdienenden Selbständigen, die Frau eines Bankiers oder eines Regierungsangestellten zu sein. Nach Parkers Meinung entsprach Kathy Porter dem Typ Frau, für den der Unbekannte sich interessierte.

Kathy wanderte durch die Abteilungen des Warenhauses, tätigte einige Einkäufe, die auf ihren Wohlstand schließen ließen und verstaute später alles in ihrem Mini. Sie hatte scharf aufgepaßt, kam aber zu dem Schluß, daß man sie nicht zu hypnotisieren versucht hatte. Sicher konnte sie in dieser Hinsicht allerdings nicht sein, denn sie war immun gegen solche Fremdbeeinflussung, wie die Vergangenheit bewies.

Kathy Porter hatte sich innerlich auf eine lange Geduldsprobe eingestellt. Sie setzte sich also in ihren Mini und suchte das nächste Warenhaus auf.

Hier präsentierte sie sich erneut, machte einige Einkäufe und verschwand anschließend in der Cafeteria des Hauses, um eine Tasse Tee zu trinken. Sie peilte eine relativ stille Ecke an und zog sich diskret ihre Lip-pen nach. Anschließend entflammte sie eine Zigarette.

Als sie das Glas halb leergetrunken hatte, setzte sich ein unauffällig aussehender Mann an einen benach-barten Tisch und sah Kathy immer wieder verstohlen an. Er war nicht mit jenem Rundlichen identisch, den Kathy kannte, denn dieser Mann war jünger, schlanker und besaß eine ausgeprägte Stirnglatze.

Sollte das dennoch der Hypnotiseur sein?

Kathy übersah die Blicke des jungen Mannes, konzentrierte sich auf ihre Zigarette und hörte in sich hinein. Sie hoffte ein Zeichen oder Stechen im Kopf zu verspüren, falls versucht wurde, sie unter einen fremden Willen zu zwingen. War es soweit, dann mußte sie improvisieren und mehr oder weniger erraten, was man von ihr wollte.

Nun, der Mann stand bald auf und ging einer jungen Frau entgegen, die die Cafeteria betrat. Sie nickte ihm lächelnd zu und ließ sich an seinem Tisch nieder. Kathys Aufmerksamkeit erlosch. Dieser Mann kam als Hypnotiseur bestimmt nicht in Frage.

Sie wollte schon der Bedienung winken und zahlen, als sie dann doch noch das erwartete Ziehen und Stechen in ihren Schläfen spürte. Das konnte unmöglich ein Zufall sein. Sie schaute hoch und traf den Blick eines Mannes, der sie unentwegt musterte. Der Mann lächelte nicht und war ernst. Sein Blick verriet höchste Intensität und Konzentration. Seine Augen hatten einen leicht stechenden Ausdruck.

Der Schmerz in Kathys Schläfen war bereits verschwunden.

Was sollte sie tun? Wie sollte sie jetzt improvisieren? Hatte sie bereits einen bestimmten Befehl erhalten, den sie ausführen mußte? Kathy tunkte ihre Zigarette kurz entschlossen in die Teetasse, als sei das selbstver-ständlich für sie. Dann stand sie auf und sah flüchtig zu dem Mann hinüber.

Er unterhielt sich gerade mit seiner Begleiterin und lachte. Kathy wurde unsicher. Hatte sie auf das falsche Pferd gesetzt? War dieser Mann harmlos?

Sie verließ die Cafeteria und ging zurück ins eigentliche Warenhaus, schlenderte langsam an den Theken und Verkaufsgondeln entlang und sorgte dafür, daß sie sich immer wieder scheinbar unabsichtlich umwen-den konnte.

Von dem jungen Mann war weit und breit nichts mehr zu sehen. Er folgte ihr auf keinen Fall.

Kathy fuhr aber dann doch zusammen, als sie sich plötzlich einem kleinen, rundlichen Mann gegenübersah, auf den sie es abgesehen hatte. Und es war ohne jeden Zweifel Bert Dolgan, der Inhaber der Zoohandlung!

Er lächelte Kathy neutral an, schob sich neben sie, als sie vor einer Verkaufsgondel stehenblieb und flüs-terte ihr einen Befehl ins Ohr.

Kathy wußte jetzt, was sie zu tun hatte …

*

Lord Castner war groß, schlank bis hager und hatte den Kopf eines Pferdes. Die kräftigen Zähne paßten wunderbar dazu. Wenn er sie zeigte, schien ein Pferd zu grinsen. Der Lord hatte Lady Simpson und Butler Parker in seinem Büro in der City empfangen und konnte mit allen erforderlichen Einzelheiten dienen. Er hatte sich diese Aufstellung vom Chefdetektiv der Warenhausgruppe anfertigen lassen.

»Es handelt sich insgesamt um weit über dreißig Personen«, schickte er voraus. »Sie alle wurden in einem Zeitraum der vergangenen drei Monate erwischt, Lady Agatha.«

»Mich interessieren die Frauen«, erwiderte die Detektivin, »aus welchen Familien stammen sie und welche Dinge stahlen sie.«

Lord Castner hatte sich eine Spezialliste anfertigen lassen und brauchte einige Zeit, bis er diese Aufstel-lung verlesen hatte. Josuah Parker machte sich inzwischen geistige Notizen. Er verfügte über ein sagenhaft gutes Gedächtnis und war in der Lage, die wichtigen Dinge in seinem Kopf zu speichern.

»Es handelt sich um dreizehn Damen, die für Mylady in Betracht kommen«, faßte Parker zusammen. »Sie stammen aus sogenannten guten Familien und sind finanziell entsprechend abgesichert. Die Damen sind oh-ne Ausnahme verheiratet, wie ich weiter hinzufügen möchte. Die Ehemänner müßten alle mit gesellschaftli-chen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten rechnen, falls bekannt würde, daß ihre Frauen als Warenhausdie-binnen entlarvt wurden.«

»Das kann man wohl sagen«, schaltete Lord Castner sich ein. »Ich war entsetzt, als ich die Liste überlas. Es ist mir ein Rätsel, wieso diese Damen einem solchen Tun frönen.«

»Hypnose«, stellte Lady Agatha wie selbstverständlich fest. »Die betreffenden Opfer wurden und werden anschließend erpreßt. Der unbekannte Täter hat sich seine Opfer sorgfältig ausgesucht.«

»Die gestohlenen Gegenstände zeichnen sich durch Banalität aus«, führte der Butler weiter aus. »Es han-delt sich um Dinge, die in keinem Verhältnis zum Risiko stehen.«

»Armbanduhren, Hüte, ein paar Blusen, Füllhalter und Lederwaren«, meinte Lord Castner und nickte zu-stimmend, »wirklich wertvolle Dinge befinden sich nicht darunter.«

»Das spricht für meine Hypothese«, freute sich Agatha Simpson. »Vor dem Diebstahl solcher Dinge wä-ren die Damen wohl automatisch zurückgewichen, Kleinigkeiten aber nahmen sie praktisch im Vorübergehen mit.«

»Diesem Hypnotiseur kommt es also gar nicht auf die Ware an?«

»Natürlich nicht.« Sie sah ihn verweisend an. »Diesem Satan kommt es doch nur darauf an, daß seine Op-fer als Diebinnen entlarvt werden! Damit hat er sie bereits in der Hand und kann sie unter Druck setzen …«

»… um sie dann zu erpressen. Teuflisch und genial!« Lord Castner war beeindruckt.

»Ob es sich wirklich nur um Erpressung handelt, steht auf einem anderen Blatt«, redete die ältere Dame weiter. »Er scheint sie noch für ganz andere Dinge zu benutzen.«

»Ich verstehe nicht, Lady Agatha.«

»Die Opfer dieses Satans sind durchweg recht gut aussehende, junge Frauen«, schickte Agatha Simpson voraus. »Muß ich noch deutlicher werden?«

»Bitte«, sagte Lord Castner interessiert.

»Sie haben kaum mehr Phantasie als Mister Parker«, tadelte die Detektivin ihn prompt und sah ihn mißbil-ligend an. »Gehen wir davon aus, daß dieser Satan in Menschengestalt seine Opfer nach Belieben beherrscht. Er wird gewissen Versuchungen kaum widerstehen können. Habe ich mich jetzt deutlich genug ausge-drückt?«

»Sie meinen, er würde seine Opfer, äh, mißbrauchen?«

»Das sage ich doch die ganze Zeit«, antwortete die ältere Dame. »Die jungen Frauen haben doch keine andere Wahl, als sich seinen Wünschen zu beugen.«

»In Hypnose, ich verstehe.«

»Ob in Hypnose oder nicht, das spielt keine Rolle«, behauptete Agatha Simpson weiter. »Sind Sie erst mal in diesen Teufelskreis geraten, müssen sie mitmachen, ob sie es nun wollen oder nicht.«

»Dagegen muß man doch etwas tun«, entsetzte sich Lord Castner.

»Dagegen geschieht bereits etwas«, stellte Lady Agatha fest. »Dieser Satan wird sich bald sehr wundern!«

*

Kathy Porter war heilfroh, daß der Mann ihr deutliche Anweisungen erteilte.

Erstaunlicherweise verlangte er nicht, daß sie irgend etwas stahl. Er flüsterte ihr nur fast beiläufig zu, zu ihrem Wagen zu gehen und dort auf ihn zu warten. Auf dem Weg dorthin sollte sie völlig regulär ein Paar Herrensocken in gelber Farbe kaufen. Sogar die Größenangabe flüsterte der Mann.

Kathy bemühte sich um eine vergleichsweise somnambule Haltung und wollte damit zeigen, daß sie unter einem fremden Willen stand, von dem sie erfreulicherweise aber überhaupt nichts spürte.

Dennoch fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut.

Wenn es sich wirklich um den Besitzer der Zoohandlung handelte, dann mußte Bert Dolgan sie längst er-kannt haben. Sie war ja zusammen mit Lady Simpson bei ihm im Geschäft gewesen. Warum, so fragte sich Kathy, wollte Dolgan sich dann mit ihr beschäftigen? Was führt dieser Mann im Schilde?

Oder hatte sie es doch mit einem Doppelgänger zu tun, der sie nicht kannte? War sie für diesen Mann dann eines seiner normalen Opfer? Wenn das so war, warum verleitete er sie dann nicht zum Warendieb-stahl? Warum wich der Mann von seiner üblichen Arbeitsweise ab?

Natürlich wußte sie auf all diese Fragen nicht zu antworten. Sie mußte improvisieren und mitspielen. Angst hatte Kathy nicht, denn sie war schließlich nicht hilflos. Vor ihrer Fahrt in die City war sie von ihrem Lehrer Parker entsprechend instruiert und ausgestattet worden. Man sah die Waffen nicht, doch sie waren vorhanden.

Kathy folgte den Anweisungen, schritt ein wenig starr zur Verkaufsabteilung, wo Herrensocken angebo-ten wurden, und suchte wie in Trance nach den gelben Strümpfen. Sie kümmerte sich nicht weiter um die erstaunten Blicke der Verkäuferin, als sie besonders grellgelbe Socken wählte. Kathy zahlte an der Kasse und begab sich dann hinunter zu ihrem Wagen.

Unterwegs kam sie an einigen Spiegeln vorüber, in denen sie nach dem rundlichen Mann suchte, der die eulenartige Brille trug. Überraschenderweise konnte sie ihn nicht ausmachen. Er schien sich sicherheitshalber im Hintergrund zu halten und wollte wohl herausfinden, ob sie wirklich völlig unter seinem Willen stand.

Sie hatte den Mini erreicht, schloß die Wagentür auf und setzte sich ans Steuer. Sie schaute starr durch die Windschutzscheibe und wartete, daß Bert Dolgan auftauchte. Je länger sie darüber nachdachte, desto siche-rer wurde sie, daß sie es mit dem Zoohändler zu tun hatte. Dieser Mann spielte eine Doppelrolle und hatte sie mit dem Verkauf der Pornohefte geschickt getäuscht.

Er erschien plötzlich ein paar Meter vor dem Wagen, warf einen Blick auf sie und ging weiter, als habe er sich nie mit ihr unterhalten. Kathy fragte sich, ob er ihr bereits einen neuen Befehl erteilt hatte. Leider konnte sie das nicht feststellen, da sie auf Hypnose nicht ansprach.

Nein, er kam zurück und glich jetzt einem Tier, das besonders vorsichtig ist. Er kurvte um den Mini herum, erschien neben der nur angelehnten Wagentür und beugte sich dann zu ihr hinunter.

»Fahren wir«, sagte er. »Wie heißen Sie?«

»Kathy Porter«, erwiderte sie wahrheitsgemäß, denn der Zoohändler, falls es sich um ihn handelte, mußte ihren Namen längst kennen.

»Und mit wem sind Sie verheiratet?« wollte er weiter wissen.

»Ich bin unverheiratet«, antwortete Kathy mit gespielt monotoner Stimme.

»Wirklich?« Er stutzte ein wenig und hatte damit wohl nicht gerechnet.

»Wirklich«, sagte sie.

»Öffnen Sie die Beifahrertür«, befahl er ihr. »Sie könnten mich freundlicherweise nach Hause bringen, ja? Sie werden es tun, haben Sie mich verstanden?«

»Ich werde Sie nach Hause bringen.« Kathy war eine gute Schauspielerin. Sie sprach nicht zu hastig und nicht zu devot. Sie stellte nur eine Tatsache fest.

Er nahm neben ihr Platz, nachdem sie die Seitentür geöffnet hatte.

»Sie sind also unverheiratet?« erkundigte er sich und zündete eine Zigarette an, die recht billig schien. Sie roch ein wenig nach Kartoffelkraut und Heide.

»Jawohl, Sir«, erwiderte Kathy mechanisch, als er seine Frage noch mal beiläufig wiederholte.

»Sagen Sie Henry zu mir, Kathy!«

»Jawohl, Henry.«

»Und was tun Sie so, Kathy? Erzählen Sie etwas über sich.«

Wollte er sie testen und dabei herausfinden, ob sie log? Wenn er Bert Dolgan war, mußte er doch wissen, welchen Beruf sie ausübte.

»Ich bin Sekretärin und Gesellschafterin«, lautete ihre richtige Antwort. »Ich arbeite für Lady Agatha Simpson.«

»Aha, das klingt aber recht gut, wie?«

»Mylady ist wunderbar.«

»Übertreiben Sie jetzt nicht ein wenig, Kathy? Sie ist eine Arbeitgeberin, nicht mehr und nicht weniger.«

»Sie hält mich wie ihr eigenes Kind, Henry.«

»Hat die Lady Schmuck?«

»Wunderbare Stücke sogar«, gab Kathy begeistert und schwärmerisch zurück. »Lady Simpson besitzt eine kostbare Sammlung.«

»Sie verwahrt sie sicher in einem dicken Banktresor, oder?«

»Aber nein, Henry«, antwortete Kathy protestierend. »Sie will diese Stücke jeden Tag sehen.«

»Sie wissen, wo der Schmuck untergebracht ist?«

»Aber natürlich. Lady Simpson hat vor mir keine Geheimnisse.«

»Dann füllen Sie als Sekretärin doch sicher auch ihre Schecks aus, wie?«

»Natürlich«, lautete ihre etwas stereotype Antwort, »ich bin sogar zeichnungsberechtigt, Henry.«

»Zu einer Frau wie Ihnen muß man einfach Vertrauen haben«, lobte er sie.

»Fahren Sie jetzt übrigens die Kingsley Road hinauf, Kathy. Weit ist es nicht mehr. Sie werden übrigens etwas Zeit für mich haben, Kathy, ist das klar?«

»Lady Simpson erwartet mich, Henry.« Sie gab ihrer Stimme einen verwirrten und fragenden Ausdruck.

»Sie werden Zeit für mich haben, Kathy! Und Sie werden sich später nicht mehr erinnern, wo Sie gewesen sind. Wiederholen Sie das, Kathy, wiederholen Sie das!«

»Ich werde mich später an nichts mehr erinnern, Henry.«

»Sie werden auch mich vergessen!«

»Ich werde auch Sie vergessen, Henry.«

»Aber sie werden sofort wissen, daß ich es bin, wenn Sie das Stichwort ›Satanstochter‹ hören. Wiederho-len Sie!«

»Ich werde sofort wissen, daß Sie es sind, Henry, wenn ich das Stichwort ›Satanstochter‹ höre.«

»Sehr schön, Kathy«, lobte er sie erneut, »das alles geschieht wegen Lady Simpson. Wir müssen ihr hel-fen, Kathy. Sie wird von Gaunern und Gangstern bedroht, die ihren Schmuck rauben wollen.«

»Es geschieht alles wegen Lady Simpson«, lautete ihre monoton klingende Antwort.

»Ich wußte doch, daß wir uns verstehen, Kathy«, meinte der Hypnotiseur zufrieden und lehnte sich zu-rück. »Ich denke, wir werden noch viel Spaß miteinander haben.«

Kathy hätte ihn am liebsten geohrfeigt, doch sie durfte im wahrsten Sinn des Wortes nicht aus der Rolle fallen. Sie ahnte aber in etwa, was da auf sie zukam. Sie wußte es wenig später, als er seine rechte Hand auf ihren linken Oberschenkel legte und den Rock ein wenig höher schob.

*

»Ich habe keine Lust, sämtliche Frauen aufzusuchen, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, nachdem sie Lord Castner verlassen hatten.

»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich der grundsätzlichen Einstellung Myladys anschließen zu dür-fen.«

»Sie wollen also auch nicht?« Sie sah ihn zweifelnd an.

»Keineswegs, Mylady.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich und einfacher?« grollte sie. »Ihre Höflichkeit bringt mich eines Tages noch um.«

»Das, Mylady, wäre meiner bescheidenen Wenigkeit außerordentlich peinlich.«

»Schnickschnack«, sagte die resolute Dame. »Wie gehen wir weiter vor? Ich erwarte Vorschläge.«

»Haben Mylady spezielle Wünsche?«

»Ich wünsche, daß Sie endlich etwas sagen.«

»Man sollte Missis Joy Farber vielleicht einen Höflichkeitsbesuch abstatten, Mylady.«

»Das wollte ich gerade auch sagen«, pflichtete sie ihm sofort und ungeniert bei. »Vielleicht hat sie die tausend Dollar bereits bezahlt.«

Parker wußte also, was zu tun war. Er kurvte mit seinem hochbeinigen Monstrum durch die Stadt und schaute dabei immer wieder in den Rückspiegel. Natürlich war der Gangsterboß Bernie Alton nachdrücklich verwarnt worden, wahrscheinlich litt der Mann noch unter den Nachwirkungen der mehr als kalten Dusche, doch der Butler konnte sich kaum vorstellen, daß Alton die Segel strich. Ein Mann wie er sann bestimmt auf Rache. Bernie Alton war im Grund sogar gezwungen, etwas zu unternehmen, wenn er seinen Leuten gegen-über nicht für immer das Gesicht verlieren wollte.

Im Augenblick tat sich nichts auf der Straße, was den Butler hätte mißtrauisch werden lassen. Parker konnte weit und breit keine Verfolger entdecken. Er fragte sich daher, ob Bernie Altons Handlanger nicht vor Myladys Haus darauf warteten, die Retourkutsche zu fahren.

»Warum sagen Sie denn nichts?« grollte Lady Simpson, die im Fond des Wagens saß. »Sie sind überra-schend Trappist geworden?«

Parker teilte ihr wohlgesetzt seine Befürchtungen mit, woraus die Lady sich aber überhaupt nichts machte. Genau das Gegenteil war der Fall. Sie schien sich auf kommenden Ärger zu freuen.

»Hoffentlich behalten Sie recht«, sagte sie animiert, »eine kleine Abwechslung kann niemals schaden, Mister Parker.«

»Man sollte Mister Alton und seine Mitarbeiter nicht auf die sprichwörtliche leichte Schulter nehmen, Mylady.«

»Papperlapapp, Mister Parker. Ich verlasse mich da ganz auf Sie. Ich bestehe darauf, daß Sie diese Lüm-mel austricksen.«

»Mylady dürfen versichert sein, daß die aufgewendete Mühe sich lohnen wird.«

Parker sah wieder in den Rückspiegel und interessierte sich für einen Morris, der später aber wegkurvte und in einer Seitenstraße verschwand, Dennoch blieb der Butler auf der Hut, auch dann, als sie das Haus erreicht, hatten, in dem Missis Joy Farber wohnte.

Natürlich hielt der Butler nicht vor dem Gebäude. Er stellte sein hochbeiniges Monstrum in der bewußten Seitenstraße ab, die er schon mal dafür benutzt hatte.

Vor der Garage stand der VW. Joy Farber schien also zu Hause zu sein.

Butler Parker näherte sich gemessen dem Haus, betrat das Grundstück und übersah die Eingangstür. Er ging ums Haus herum und sorgte dafür, daß seine Schritte nicht gehört wurden. Er wollte einen ungestörten Blick auf die junge Frau werfen.

Das Glück stand ihm zur Seite.

Die beiden Terrassentüren zum Garten waren weit geöffnet. Er hörte leise Tanzmusik und entdeckte dann Joy Farber, die nervös durch den Wohnraum schlenderte und innerhalb weniger Sekunden mehrmals auf ihre Armbanduhr schaute. Sie schien offensichtlich auf einen Anruf zu warten, vielleicht aber auch auf Besuch.

Parker wollte sich noch näher an die Terrasse heranschieben, doch in diesem Moment hörte er hinter sich ein schwaches, knirschendes Geräusch. Er fuhr herum und gleichzeitig zur Seite und wollte einem Schlag entgehen, mit dem er fest rechnete.

Diesmal stand das Glück nicht auf seiner Seite.

Er fiel direkt in den ihm zugedachten Schlag, spürte einen stechenden Schmerz im Nacken und verlor dann das Bewußtsein.

*

Agatha Simpson wurde ungeduldig.

Nach ihrer Uhr war schon eine Viertelstunde vergangen, seitdem ihr Butler sich von ihr verabschiedet hat-te. Sie fand es äußerst ungehörig, daß er noch nicht zurückgekehrt war und argwöhnte, daß er Ermittlungen auf eigene Faust betrieb. Doch damit war sie überhaupt nicht einverstanden. Das war schließlich ihr Fall und ihr Kriminalstoff!

Wenig später wurde sie leicht abgelenkt.

Eine junge Frau, die einen Trenchcoat trug, kam um die Ecke, humpelte, war unsicher auf den Beinen und rutschte dann nicht weit vom Wagen entfernt hilflos zu Boden. Sie griff nach ihrem Hals, als würde sie er-sticken und strampelte mit den Beinen.

Agatha Simpson fühlte sich angesprochen. Die Kreatur, gleich in welcher Form, erweckte in ihr prompt überströmende Hilfsbereitschaft, aber auch, wie eingeräumt werden muß, ein wenig Neugierde. Die Detekti-vin entriegelte also die Tür und begab sich nach draußen ins feindliche Leben. Auf strammen Beinen mar-schierte sie auf die junge Frau zu und beugte sich hilfsbereit über sie. Bevor die Lady allerdings eine Frage stellen konnte, landete eine ansehnliche Portion Pfeffer in ihren Augen.

Und damit hatte die kriegerische Dame überhaupt nicht gerechnet.

Sie prustete, richtete sich auf, ärgerte sich ungemein und spürte, wie ihr die Tränen kamen. Sekunden spä-ter fühlte sie einen äußerst harten Gegenstand, den man ihr gegen das Rückgrat drückte.

»Keine Dummheiten, Mädchen«, sagte eine drohende Stimme. »Kommt mir gar nicht drauf an, einfach abzudrücken!«

»Sie Flegel«, grollte Lady Simpson.

»Schnauze«, sagte die Stimme.

»Sie unflätiger Lümmel«, stellte Lady Simpson grimmig fest.

»Soll ich ihr eins verpassen?« fragte die Stimme, die Lady Simpson mit Sicherheit nicht meinte.

»Wollen Sie Ihren Butler umbringen?« schaltete sich eine zweite Stimme ein.

»Was ist mit Mister Parker?«

»Der ist hin, wenn Sie nicht spuren, altes Mädchen. Kommen Sie jetzt mit! In einer Stunde sind Sie wie-der frei.«

Der Gedanke an Parker schwächte ihren Widerstand. Hilflos, da sie nichts sehen konnte, mußte sie sich führen lassen und saß nach wenigen Sekunden bereits in einem Wagen, der wie eine Rakete abzischte.

Langsam vermochte die Detektivin wieder etwas zu erkennen. Durch einen Tränenschleier machte sie den Boxer aus und den jungen Mann, den sie von der Haustür der Missis Farber her kannte. Sie hatten sie in die Mitte genommen und ihr sicherheitshalber den Pompadour entführt. In Bernie Altons Mitarbeiterkreisen hatte sich wohl herumgesprochen, was dieser Handbeutel enthielt.

»Sie sollten sich schämen«, sagte Agatha Simpson zu dem menschlichen Gorilla. »Wie können Sie sich nur mit einer alten und hilflosen Frau anlegen.«

»Alt stimmt, aber das zweite nicht«, sagte der Boxer leichtsinnigerweise. Bruchteile von Sekunden stöhnte er auf und verdrehte die Augen. Lady Agatha hatte ihm ohne jede Vorwarnung ihren Ellbogen in die kurzen Rippen gerammt. Der Gorilla schnappte verzweifelt nach Luft.

»Finger weg«, brüllte der junge Mann, als der Massige zurückschlagen wollte. »Der Chef will sie heil se-hen, du Trottel!«

»Meinen Sie diesen Alton?« erkundigte sich Lady Simpson abfällig im Ton.

»Aus mir kriegen Sie überhaupt nichts raus«, sagte der junge Mann. »Warten Sie’s doch ab!«

»Und wo steckt Mister Parker?«

»In der nächsten Kutsche.« Der junge Mann deutete mit seinem Daumen über die Schulter. »So was wie euch muß man aus dem Verkehr ziehen, sonst gibt’s nur Ärger.«

»Ich verbitte mir diesen plump-vertraulichen Ton«, grollte die ältere Dame den jungen Mann an. »Reizen Sie mich nicht unnötig!«

*

Die Fahrt endete vor einem großen Holztor.

Kathy Porter stoppte ihren Mini und sah ihren Begleiter abwartend an. Der Mann nickte, stieg aus und öffnete das Tor, nachdem er es aufgeschlossen hatte. Anschließend winkte er Kathy in den weiten Hof, der zu einer kleinen Fabrik gehörte.

Es handelte sich Um, einen Bau, der in L-Form angelegt war und zweistöckig war. Die Mehrzahl der Fenster existierte nicht mehr, denn entweder fehlten die Scheiben, oder aber die Rahmen waren aus den Fensterhöhlen herausgerissen worden. Das alles sah sehr verwahrlost aus. Berge von Schutt und Unrat brei-teten sich vor dem Gebäude und auf dem Hof aus. Kathy wußte nicht, was sie von dieser Umgebung halten sollte. Damit hatte sie allerdings nicht gerechnet.

Das Versteck des Mannes war recht gut gewählt, wie sie einräumen mußte. Der Innenhof war überhaupt nicht einzusehen, dazu waren die Mauern zur Straße hin einfach zu hoch, zudem fehlten auf der anderen Seite die Häuser.

Auf ein Fingerzeichen hin steuerten sie den Mini nach links und begriff langsam.

Sie machte zwei Wohnungen aus, wie man sie beim Zirkus benutzt. Es handelte sich um alte Wagen, deren Farbe bereits abgeblättert war. Im Hintergrund rechts sah Kathy einen schweren Traktor, mit dem die beiden Wagen wohl gezogen worden waren.

Hatte sie es mit einem ehemaligen Artisten zu tun?

Er hieß sie aussteigen und deutete hinüber auf den ersten Wohnwagen, der eine Art überdachte Veranda aufwies. Eine breite Holztreppe führte dort hinauf.

Gewiß, Kathy wäre es sicher nicht schwergefallen, diesen kleinen, rundlichen Mann zu überwältigen. Obwohl sie rein äußerlich fast wie ein scheues Reh aussah, konnte sie in Bruchteilen von Sekunden zu einer gefährlich zuschlagenden Pantherkatze werden Kathy kannte sich in Judo, Karate und anderen Spezialitäten gut aus. Doch sie blieb in ihrer Rolle, denn sie wußte noch nicht genug über diesen eigenartigen Mann. Sie mußte dahinterkommen, wie er arbeitete und was er mit den Frauen anstellte, die er in seinen Besitz brachte. Sie wollte herausfinden, ob es sich wirklich nur um einen Einzelgänger handelte oder um einen Handlanger, der nur die Schmutzarbeit zu erledigen hatte.

Der Wohnwagen war spärlich eingerichtet und wirkte schmuddelig. Kathy blieb gleich hinter der Tür ste-hen und sah dem Mann zu, der sie immer mehr an den Zoohändler Bert Dolgan erinnerte. Die Ähnlichkeit war frappierend.

»Trinken wir erst einen Schluck«, sagte der Mann, der sich Henry nannte.

»Ich … Ich trinke nicht«, widersprach Kathy, um ein wenig Widerstand zu leisten. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob der Mann nur mit ihr spielte.

»Du wirst trinken, und es wird dir schmecken«, sagte er lächelnd. »Du hast zu gehorchen, nicht wahr?«

»Ich … Ich habe zu gehorchen!« Sie senkte ergeben den Kopf und schien ihm hilflos ausgeliefert zu sein.

Henry öffnete einen Wandschrank und holte Flasche und Wassergläser. Er goß Kathys Glas halbvoll mit Brandy, begnügte sich mit einem winzigen Schluck und prostete ihr zu.

»Trink’ es aus, Kathy«, befahl er, »du wirst gehorsam sein, nicht wahr?«

Sie nickte und kippte den Inhalt hinunter. Es war billigster Fusel, der sie durchschüttelte. Er grinste, als sie das Gesicht verzog.

»Es schmeckt gut, ja?« wollte er wissen.

»Es schmeckt gut«, sagte sie.

»Dann möchtest du noch einen. Schluck?«

»Ich … Ich weiß nicht.« Kathy wurde sicher. Wollte er sie jetzt betrunken machen und in eine scheinbar noch tiefere Abhängigkeit stürzen?

Er nickte und wartete, bis sie ihr Glas reichte. Er goß es noch mal halbvoll und lächelte, als sie es dann gehorsam leer trank.

Als er die Flasche wegstellte, sah Kathy verstohlen zu den Fotos hinüber, die er an die Wand geheftet hatte. Es handelte sich um Bühnenaufnahmen, auf denen ein kleiner, schlanker Mann zu sehen war, der einen Frack und einen Turban trug. Augenscheinlich handelte es sich um diesen Mann, der sich Henry nannte. Es wurde Kathy klar, daß er vor Jahren mal ein Varietékünstler gewesen sein mußte.

»Komm’ jetzt«, forderte er sie auf und deutete auf den Vorhang, der den Wohnwagen in zwei Hälften teilte. Kathy folgte willig, als sie das die selbstverständlichste Sache der Welt und schluckte, als sie erkannte, daß er sie in eine Art Schlafgemach führte. Hier gab es ein breites Bett, auf dem die Decken unordentlich herumlagen, einen kleinen Waschtisch und auf einem Hocker einen Fernseher. Zwei schmale Türen des lan-gen Wandschranks waren geöffnet.

Kathy war sich klar darüber, daß dieses Spiel seine Grenzen hatte, die sie niemals überschreiten würde. Henry widerte sie an, der Mann kam ihr schmierig vor.

Er ging jedoch weiter und öffnete eine Tür, die den Blick auf einen schmalen Verbindungsgang freigab. Hinter diesem Gang befand sich eine weitere Tür, der Zugang zum zweiten Wohnwagen.

Kathy staunte.

Sie stand plötzlich in einem üppig und leicht schwül eingerichteten Salon. Auf dem Boden lagen dicke Teppiche, es gab tiefe und bequeme Polstersessel, eine große Couch und ein, supermodernes Wasserbett.

Die Fenster waren durch rote Vorhänge dicht verschlossen. Im Salonwagen herrschte Dämmerlicht. Henry grinste zufrieden. Er öffnete die Tür zu einem kleinen Kabinett und winkte Kathy heran. Sie sah in ein Ba-dezimmer, in dem statt der Wanne eine Dusche installiert war.

»Du bist sehr müde«, sagte Henry zu Kathy eindringlich und irgendwie beschwörend. »Du willst dich jetzt ausziehen, duschen und schlafen. Du wirst erst wieder erwachen, wenn ich dir den Befehl dazu erteile. Und du siehst mich ab sofort nicht mehr. Du bist völlig allein und müde. Du wirst dich ausziehen, duschen und hinlegen! Du bist allein und kannst dich frei bewegen! Zieh’ dich aus!«

Kathy nickte, um Zeit zu gewinnen.

Sollte sie auf diesen Befehl eingehen? War die Grenze des Spiels nicht bereits erreicht? Sie hatte es doch eindeutig mit dem Mann zu tun, der die »Satanstöchter« rekrutierte. Mußte sie da noch mehr wissen?

Unwillkürlich dachte Kathy an Lady Simpson, die immer wieder behauptet hatte, der Hintergrund dieser ganzen Manöver seien handfeste Orgien. Sollte Lady Agatha richtig vermutet haben? Worin bestanden dann diese Orgien? Worum ging es diesem Mann tatsächlich? Arbeitete er nur auf eigene Rechnung?

Kathy tat so, als sei sie allein.

Sie begann sich zu entkleiden …

*

»Du lieber Himmel, sind Sie ein wehleidiger Mensch«, mokierte sich Agatha Simpson, als Parker die Au-gen aufschlug. »Ich habe den Verdacht, daß Sie sich nur in aller Ruhe ausschlafen wollten.«

»Mylady wollen meine momentane Indisposition gütigst verzeihen«, entschuldigte sich der Butler und rieb sich vorsichtig den Nacken. »Mir scheint, daß ich nicht vorsichtig genug gewesen bin.«

»Sie haben sich benommen wie ein blutiger Anfänger«, grollte seine Herrin. »Mir wäre das nicht passiert.«

»Mylady sind freiwillig mitgekommen?« fragte der Butler höflich, aber auch eine Spur anzüglich.

»Nicht direkt«, meinte sie unwillig, »aber im Grund ist das wohl so gewesen. Wissen Sie, wo wir hier sind?«

Parker schaute sich um und stellte ohne Schwierigkeiten fest, daß man Mylady und ihn in einen Keller gesperrt hatte, der fensterlos war. Die Tür machte einen widerstandsfähigen Eindruck.

»Die Räumlichkeiten lassen auf einen Keller schließen«, sagte der Butler also höflich. »Konnten Mylady es bei Ihrem Eintreffen nicht genauer feststellen?«

»Die Flegel hatten mir die Augen verbunden.«

»Mylady kennen die Entführer?«

»Richtig, beinahe hätte ich vergessen, Ihnen das zu sagen. Es waren dieser unsympathische Gorilla und der junge Mann, die wir vor Mrs. Farbers Haus sahen.«

»Also dürfte man sich in der Gewalt Mr. Altons befinden.«

»Um das zu wissen, braucht man kein Prophet zu sein, Mister Parker. Verschonen Sie mich mit Ihren Ge-meinplätzen!«

»Sehr wohl, Mylady.«

»Wieso konnte man uns bei Mrs. Farber abfangen?« fragte die Detektivin. »Ich erinnere daran, daß diese Idee von Ihnen stammte. Ich wollte nicht ’raus zu dieser Frau.«

»Natürlich nicht, Mylady, ich bekenne mich schuldig.«

»Papperlapapp, Mister Parker. Sorgen Sie dafür, daß wir hier heraus kommen!«

Bevor Josuah Parker sich mit diesem Problem auch nur andeutungsweise befassen konnte, war hinter der Tür das Öffnen eines Riegels zu hören, Die Tür ging auf. Bernie Alton erschien und sah seine beiden Zwangsgäste tückisch an.

»Wie geht es Ihrem Schnupfen, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson überflüssigerweise und lei-der auch ironisch. Die resolute Dame konnte es einfach nicht lassen. Sie mußte sich mit jedem anlegen, der ihr nicht paßte, und den sie nicht mochte.

»Darüber unterhalten wir uns noch, verlassen Sie sich darauf«, schnaubte der Gangsterboß, der tatsächlich ziemlich verschnupft wirkte.

»Spielen Sie sich nicht auf, junger Mann«, grollte Agatha Simpson sofort und ziemlich ungehemmt. »Was haben Sie sich dabei gedacht, uns so einfach kidnappen zu lassen? Ich mag das überhaupt nicht.«

»Sie werden bald noch sehr viel weniger mögen«, prophezeite Bernie Alton gereizt. »Wann werden Sie endlich Ihren Schnabel halten?«

»Sie ungehobelter Lümmel«, hauchte Agatha Simpson ihn daraufhin an. »Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie elender Tropf?«

Parker kam sich vor wie auf glühenden Kohlen. Ihm war bekannt, daß Bernie Alton brutal war. Agatha Simpson spielte mit einer nur noch schwach gesicherten Sprengladung, doch dafür hatte sie noch nie Sinn bewiesen.

»Darf ich davon ausgehen, Mister Alton, daß Sie sich in das Geschäft dieses unbekannten Hypnotiseurs einzuschalten gedenken?« erkundigte sich Parker schnell, um Alton erst mal von Lady Simpson abzulenken.

»Scheint sich um ein interessantes Geschäft zu handeln«, meinte Alton und nickte. »Und Sie haben mich erst darauf gebracht!«

»Notgedrungen, Mister Alton, nachdem man meine bescheidene Wenigkeit mit einem Ihrer Kassierer verwechselte. Ich darf in diesem Zusammenhang den Namen Harold Steeple nennen, wenn es gestattet ist.«

»Ich will wissen, was Sie über diese Satanstöchter inzwischen ausgegraben haben«, sagte der Gangs-terboß. »Von Ihrer Mitarbeit hängt es ab, ob Sie noch mal mit dem Leben davonkommen.«

»Sie haben sich noch nicht mit Mrs. Joy Farber in Verbindung gesetzt?« wunderte Parker sich gespielt.

»Die Kleine laß’ ich überwachen, so bekomme ich mehr über sie heraus, als sie mir vielleicht erzählen würden.«

»Ein kluger, taktischer Zug, Mister Alton.«

»Was also ist mit diesen Satanstöchtern los?« erkundigte sich der Gangsterboß. »Wollen Sie freiwillig re-den, oder soll etwas nachgeholfen werden? Sie entscheiden!«

Er schnipste mit den Fingern und trat zur Seite. Auf der Bildfläche erschienen der Gorilla, aber auch noch zwei handfest aussehende Männer, die Parker von der Tür des Gangsterhauses her kannte. Ihre entzündeten Augen sagten ihm, daß sie die Senfportionen noch nicht ganz vergessen hatten. Alle drei Männer machten einen sehr unternehmungslustigen Eindruck und schienen nur darauf zu warten, um sich mit Lady Simpson und Parker zu befassen.

»Wir werden sie einzeln befragen«, entschied der Gangsterboß und deutete auf die ältere Dame. »Sie zu-erst! Und ich sage Ihnen gleich, daß Sie uns mit Mätzchen nicht mehr imponieren können. Vielleicht laß‹ ich Sie sogar auch unter ’ne Dusche stellen. Ich hätte größte Lust dazu!«

*

Er rührte sie nicht an, doch er hatte plötzlich einen teuren Fotoapparat in Händen und befahl ihr, sich auf das Bett zu legen.

Kathy, die nur noch ihren Slip und einen knappen BH trug, kam diesem Befehl sofort nach. Sie wußte inzwischen, was dieser Mann beabsichtigte. Er wollte eine Reihe pikanter Fotos von ihr machen und sie spä-ter damit unter Druck setzen. So etwas hatte sie in der Vergangenheit schon einige Male erlebt. Dieses uralte Druckmittel schien sich in gewissen Kreisen immer noch größter Beliebtheit zu erfreuen, es schien aber auch nach wie vor noch ein übles Mittel für eine Erpressung darzustellen.

Kathy ließ sich also fotografieren, nahm auf seinen Befehl hin einige neckisch gedachte Posen ein und entledigte sich schließlich auch noch des Restes ihrer Kleidung, bevor sie unter die Decke schlüpfen durfte.

Der Mann hatte fast einen ganzen Film gedreht und beugte sich nun über sie.

»Du wirst jetzt schlafen«, sagte er eindringlich, »du wirst erst wieder erwachen, wenn ich es dir befehle, Kathy.«

Diesmal verzichtete sie auf eine Wiederholung dieses Befehls, schloß die Augen und bemühte sich um ei-nen ruhigen, tiefen Atem. Ihr Hypnotiseur sollte den Eindruck gewinnen, daß sie bereits ohne jeden Über-gang tief und fest eingeschlafen war. So blieb sie auch noch liegen, als sie das Geräusch einer sich schlie-ßenden Tür hörte. Kathy war sich nicht sicher, ob er nur einen Trick angewendet hatte, um ihren Schlaf zu kontrollieren.

Wie richtig ihre Vorsicht war, sollte sich bald zeigen. Nach qualvoll langen Sekunden, als sie bereits mit dem Gedanken spielte, nun doch die Augen zu öffnen, hörte sie schnelle, leise und schleichende Schritte. Sie spürte, daß der Mann dicht neben dem Wasserbett stand, sich über sie beugte und sie aus nächster Nähe be-obachtete. Erst danach ging er wirklich.

Kathy öffnete die Augen und schaute sich um.

Sie wußte nicht recht, was sie von diesem so üppig eingerichteten Salon-Wohnwagen halten sollte. Wieder ging ihr Lady Simpsons Behauptung durch den Kopf, wonach der Unbekannte die Frauen fing, um an-schließend mit seinen willenlosen Opfern Orgien zu veranstalten.

Sie dachte an den Mann, der diesem Zoohändler Bert Dolgan zum Verwechseln ähnlich sah.

Dieser Mann, der die Satanstöchter rekrutierte, schien nicht an Orgien großen Stils interessiert zu sein. Diesem Mann ging es wohl nur darum, seine Opfer später in aller Ruhe ausnehmen zu können. Sein Wissen um diverse Warenhausdiebstähle und um die Existenz der pikanten Fotos reichte ihm sicher. Mehr brauchte er ja wirklich nicht, um in aller Ruhe später abzukassieren.

Kathy schlüpfte aus dem Bett, dessen durchsichtige Oberfläche waberte und wackelte wie ein riesiger Pudding. Sie hatte ernstlich Mühe, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Dann huschte sie zu einem der zugehängten Fenster und sah verstohlen nach draußen. Sie beobachtete gerade noch, wie der rundliche, kleine Mann mit der Eulenbrille vor den Augen in der Fabrikruine verschwand. Was er dort such-te, wußte sie natürlich nicht, doch die Gelegenheit war günstig, sich ein wenig umzusehen.

Sie wollte die Fotos im ersten Wagen noch mal aus nächster Nähe betrachten und herausfinden, mit wem sie es nun tatsächlich zu tun hatte.

Die Verbindungstür war leider verschlossen. Kathy untersuchte kurz das Schloß, das ihrer Ansicht, nach leicht zu knacken war. Doch dann dachte sie an das Mißtrauen dieses Mannes. Vielleicht hatte er auf der anderen Seite der Tür ein Markierungszeichen angebracht, das sie beim heimlichen Öffnen mit Sicherheit zerstören mußte.

Nein, es war wohl besser, erst mal abzuwarten.

Sie stieg zurück in das Pudding-Bett und dachte über den Hypnotiseur nach. Stammte die Idee, Frauen zu erpressen, von ihm allein? Oder arbeitete er für eine Organisation und einen Drahtzieher im Hintergrund?

Erneut fragte Kathy sich, ob sie es mit diesem Bert Dolgan zu tun hatte. Wenn das nicht der Fall war, so lautete die nächste Frage, warum der Hypnotiseur sich das Aussehen des Zoohändlers zugelegt hatte. Er mußte Dolgan dann sehr gut kennen, sonst wäre die Maske niemals so perfekt ausgefallen.

Kathy hörte Stimmen und Schritte neben dem Salonwagen. Sie blieb auf dem wabbeligen Pudding liegen, weil sie wußte, daß sie den Begleiter des Hypnotiseurs ohnehin bald zu sehen bekam.

Und es dauerte tatsächlich nicht lange!

*

Sie ließen die ältere Dame nicht aus den Augen und trauten ihr nicht über den Weg.

Lady Simpson mußte vorausgehen und marschierte auf ihren stämmigen Beinen energisch durch den lan-gen Korridor, der nur unvollkommen beleuchtet war. Dagegen hatte sie aber nichts einzuwenden, denn es ergab sich die Gelegenheit, nach ihrer Geheimwaffe zu greifen.

Es handelte sich dabei um einige Nadeln, von denen nur die kleinen, fast winzigen Porzellanköpfe zu se-hen waren. Diese Nadeln befanden sich im Saum ihres weiten Kostüms und wurden sogar von mißtrauisch prüfenden Augen glatt übersehen.

Diese Nadeln hatten es in sich, denn sie stammten aus Josuah Parkers Bastelstube, die er sich im Haus der Lady Simpson eingerichtet hatte. Sie waren von Butler Parker natürlich präpariert worden, wie man sich vor-stellen kann. Die Nadelspitzen waren mit einer giftähnlichen Paste versehen, die selbst einen ausgewachse-nen Ochsen in wilde Zuckungen geraten ließ. Diese Paste verursachte an der Einstichstelle einen höllischen Schmerz, der den Opfern für wichtige Minuten jede Übersicht raubte.

Lady Simpson hielt also eine dieser Nadeln bereits einstichbereit in der linken Hand und wartete nur da-rauf, blitzschnell zuzustoßen.

Der Boxer war ihr erstes Opfer.

Der Mann fühlte sich völlig überlegen und beging die Frechheit, nach Lady Simpsons Schulter zu greifen, um sie so in einen anderen Keller hineinzudirigieren.

Er zuckte zusammen, als Agatha Simpson ihm die Nadel in den Handrücken rammte, brüllte vor Schreck und Überraschung auf und heulte dann wie ein Präriewolf in einer Vollmondnacht. Er starrte auf die Nadel in seinem Handrücken und wollte sie herausziehen, wurde aber schon von einer Schmerzwelle erfaßt, die ihn fast verrückt werden ließ. Der Boxer tobte los, ohne sich weiter um die Verursacherin zu kümmern. Der Mann krümmte sich, warf sich auf den Boden und schnappte verzweifelt nach Luft.

»Was soll denn das?« fragte Lady Simpson gespielt erstaunt und wandte sich zu ihrem Opfer um. Die beiden jungen Männer waren wie erstarrt und wußten nicht, was sie von ihrem Boxer halten sollten. Sie hat-ten schließlich genau gesehen, daß die Detektivin nichts, aber auch rein gar nichts getan hatte.

»Ich bitte um Ihren Schutz, junger Mann«, sagte Lady Simpson und flüchtete sich an die etwas schmale Brust ihres nächsten Opfers. Ihm rammte sie die zweite Nadel tief in die Hüfte.

Das Resultat war bemerkenswert …

Der Mann sprang gut und gern einen halben Meter hoch, und zwar aus dem Stand. Er vollführte eine Art Pirouette und kam ziemlich unglücklich auf den Boden zurück. Dann begann der junge Bursche einen fast echt wirkenden Striptease und riß sich die Kleider vom Leib. Er wollte so schnell wie möglich an die schmerzende Stelle heran. Er hatte das Gefühl, als habe ein glühendes Eisen seine Hüfte bearbeitet.

»Können Sie das verstehen?« erkundigte sich die Detektivin bei dem dritten Bewacher und schüttelte rat-los den Kopf. »Ich will weg von hier! Mir ist alles unheimlich. Hilfe!«

Der junge Mann fuhr zusammen, als Lady Simpson um Hilfe schrie. Eine Feuersirene hätte kaum durch-dringender sein können. Lady Simpson hielt sich an der Wand fest, keuchte, schnappte nach Luft und ver-drehte gekonnt die Augen. Sie schien einen mittelschweren Herzanfall durchzustehen.

Der junge Mann rannte förmlich in die dritte Nadel.

Agatha Simpson rammte sie ihm in den Bauch. Und das tat augenscheinlich weh. Der Getroffene brüllte auf, hielt sich den Leib, verbeugte sich tief vor der älteren Dame und ging sogar vor ihr auf die Knie. An-schließend wälzte er sich ein wenig herum und blieb dann, nach Luft schnappend, hart vor der Tür liegen.

»Waschlappen«, stellte Lady Simpson grimmig fest. »Zu meiner Zeit war man aus härterem Holz ge-schnitzt.«

Sie langte in die Schulterhalfter des jungen Mannes, zog dessen Automatik hervor, und machte sich grim-mig auf den Weg, um sich noch mal mit dem Gangsterboß Bernie Alton zu unterhalten. Sie befand sich da-bei in bester Laune und Stimmung, obwohl man es ihr nicht ansah.

*

Er kam in den Salonwagen und nickte seinem Begleiter triumphierend zu. Er platzte fast vor Stolz und Wichtigtuerei.

»Das Beste was ich bisher eingefangen habe«, sagte der Hypnotiseur, »sie sieht aus wie ’n Mannequin erster Klasse und kann an Ware ’ran, von der wir nur geträumt haben.«

Kathy konnte leider nicht sehen, wer der Begleiter dieses Satans war, sie mußte die Augen geschlossen halten, denn laut seiner hypnotischen Anweisung befand sie sich ja noch im Tiefschlaf.

»Verschwinde jetzt«, sagte der ihr unbekannte Begleiter, »wird sie Schwierigkeiten machen?«

»Natürlich nicht«, erwiderte der Hypnotiseur, »aber ich muß sie erst mal neu impfen.«

»Beeil’ dich!« Der Begleiter schien nicht irgendein Mann zu sein, sondern er befahl. Er schien derjenige zu sein, für den der Hypnotiseur arbeitete.

»Du schläfst nicht mehr«, hörte Kathy wenig später eindringlich und fühlte sich angesprochen. »Du bist jetzt wach, Kathy. Hast du einen Freund?«

»Ich habe einen Freund«, bestätigte sie und unterdrückte ein Auflachen. Die ganze Beschwörung kam ihr mehr als albern vor, doch was half es, sie mußte weiter mitmachen.

»Liebst du ihn, Kathy?« wollte der Hypnotiseur wissen.

»Ich liebe ihn«, antwortete Kathy.

»Er ist jetzt hier«, schloß der Hypnotiseur, »ihr seid ganz allein und ungestört. Freu’ dich auf ihn!«

Kathy nickte und räkelte sich gekonnt im Bett herum. Sie hörte, wie die beiden Männer miteinander flüs-terten. Dann hörte sie schnelle Schritte, das Öffnen und Schließen einer Tür und dann eine bemüht weiche und zärtliche Stimme.

»Ich bin’s, Kathy«, sagte diese Stimme.

Sie öffnete die Augen, bemühte sich, einen verträumt-sehnsüchtigen Blick zu produzieren und sah sich ei-nem Mann gegenüber, der etwa fünfunddreißig Jahre alt sein mochte und einen sorgfältig gestutzten Schnauzbart trug. Dieser Mann hatte sich bereits sein Jackett abgestreift und lockerte gerade seine Krawatte. Seine Absichten waren eindeutig.

»Harry«, flüsterte Kathy sehnsüchtig und streckte ihre Arme nach dem Mann aus. Er wollte die Situation nutzen und sie küssen. Er mußte den Eindruck haben, daß sie ihn für Harry hielt, ihren angeblichen Freund.

Er beugte sich über sie und zerrte ungeduldig an der Schlafdecke. Er schnaufte vor Eifer und Ungeduld. Plötzlich allerdings schnaufte er nicht mehr.

Kathy hatte kurz und nachhaltig zugelangt.

Sie dachte nicht im Traum daran, das Spiel bis zum häßlichen Ende durchzuspielen. Der Bursche widerte sie an. Er wollte die Wehrlosigkeit einer Frau ausnutzen und sie demütigen.

Der Schnauzbart kiekste überrascht auf, als Kathys Handkante irgendwo an seinem Hals landete. Dann verdrehte er die Augen und rollte haltlos vom Wasserbett herunter. Er landete recht unsanft auf dem Boden.

Kathy stieg von dem wackligen Pudding herunter und griff nach ihren Kleidern. Bevor sie sich mit dem schäbigen Hypnotiseur befaßte, wollte sie sich ankleiden. Vielleicht wurde es nämlich notwendig, diesen Burschen zu verfolgen. Dabei hätte sich ihre Nacktheit nur als störend erwiesen.

Leider schaffte Kathy es nicht, den kleinen und rundlichen Mann zu stellen. Als sie vorsichtig die Tür öffnete, rannte er bereits davon und auf die Tür zu, die hinaus zur überdachten Veranda führte.

Kathy sah sofort, daß sein Vorsprung groß war. Sie schmetterte einen schweren Aschenbecher hinter ihm her, der leider an der Wand des Wohnwagens landete. In diesem Moment wischte der Hypnotiseur bereits nach draußen und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Kathy lief weiter, wollte die Tür aufdrücken und merkte zu ihrer Überraschung, daß sie verkeilt war. Der Bursche hatte einen Gartenstuhl unter die Klinke gestemmt und den Ausgang blockiert.

Kathy wandte sich um, lief zum Fenster und beobachtete den Rundlichen, der schnell wie ein Ball zur Fabrikruine hinüberrannte und bereits in den Trümmern verschwand. Nein, es war aussichtslos, sie konnte ihn nicht mehr einholen und stellen.

Blieb der Schnauzbart im Salonwagen.

Kathy machte kehrt und lief zurück in die üppig eingerichtete Lasterhöhle auf Rädern. Dabei bemerkte sie im Verbindungsgang ein kleines Fenster, dessen Rolladen hochgeschoben war. Sie blieb kurz stehen, baute sich vor diesem Fenster auf und … konnte in den Salonwagen hineinsehen.

Damit war alles klar!

Der Hypnotiseur benutzte dieses Fenster, um heimlich Aufnahmen zu machen. Und die wiederum ver-wendete er später wohl für seine Erpressungen. Raffinierter und einfacher zugleich konnte das Verfahren nicht sein. Der Rundliche war tatsächlich ein Satan.

Kathy sah aber auch noch mehr.

Der Schnauzbart war bereits wieder zu sich gekommen, richtete sich auf und hatte plötzlich einen kurzläu-figen Revolver in der Hand. Der Schnauzbart machte einen entschlossenen Eindruck und schob sich langsam zur Tür, die in den ersten Wohnwagen führte.

Kathys Situation wurde damit äußerst brenzlig.

*

»Nein«, stöhnte Gangsterboß Bernie Alton, als Lady Simpson mit einer herrischen Geste ins Badezimmer deutete, »nein, nicht schon wieder!«

»Muß ich etwa nachhelfen?« grollte die Sechzigjährige. »Ich weiß nicht, wie man mit Schußwaffen um-geht, also kann dieses schreckliche Ding leicht losgehen.«

»Schon gut«, seufzte Bernie Alton und entkleidete sich langsam. Er warf dem Butler einen flehenden Blick zu, doch der Butler ignorierte die unausgesprochene Bitte. Ja, er war mit dem Vorgehen von Lady Simpson diesmal sogar voll und ganz einverstanden. Bernie Alton brauchte eine derbe Lektion, um endlich zur Vernunft zu kommen.

Nachdem Agatha Simpson den Kleiderschrank und die beiden anderen Männer so geschickt außer Ge-fecht gesetzt hatte, war es für sie und Parker leicht gewesen, das Haus des Gangsters wieder voll in Besitz zu nehmen. Die Bewohner saßen wieder mal im Keller und fühlten sich mit Sicherheit nicht wohl in ihrer Haut. Bernie Alton stand inzwischen vor der Dusche und zierte sich.

»Kaltwasserhahn«, befahl die resolute Dame, »voll aufdrehen, wenn ich bitten darf!«

»Kaltes Wasser vertrage ich aber gar nicht gut«, stöhnte Alton.

»Sie werden sich daran gewöhnen! Wird’s bald?«

Er huschte unter die Dusche und drehte den Kaltwasserhahn weit auf.

»Ich werde mir eine Lungenentzündung holen«, prustete er zwischen spitzen Schreien, als das Wasser sei-ne Haut traf.

»Englands Ärzte sind hervorragend«, beruhigte die ältere Dame ihn.

»Ich … Ich bekomme einen Herzschlag«, behauptete der Gangsterboß.

»Hoffentlich«, lautete die herzlose Antwort Agatha Simpsons.

Bernie Alton sah ein, daß ihr Herz nicht zu rühren war. Er duckte sich, stöhnte, klapperte mit den Zähnen und ließ die Kaltwasserkur über sich ergehen. Der Revolver in Ladys Simpsons Hand hinderte ihn daran, die Dusche zu verlassen.

Seine Haut färbte sich zuerst zart rot und wurde dann violett-blau. Bernie Alton nieste bereits ausgiebig, fror.

»Mylady sollten vielleicht die Kur beenden«, schlug Parker nach knapp fünf Minuten vor.

»Schon?« fragte sie unwillig.

»Mr. Alton dürfte sich inzwischen gründlich abgekühlt haben, Mylady.«

»Sie nehmen mir aber auch jeden kleinen Spaß«, beschwerte sich die ältere Dame, ging aber auf Parkers Vorschlag ein und nickte Alton zu.

Der Gangsterboß zitterte wie Espenlaub, klapperte mit den Zähnen und griff hastig nach einem Badetuch, in das er sich wickelte. Er ließ sich vorsichtig auf einem Hocker nieder und nieste.

»Damit dürften die Fronten hoffentlich geklärt sein«, stellte Lady Simpson fest. »Sollten Sie noch mal Ihre Hunde auf mich hetzen, wandern Sie in meine Tiefkühltruhe!«

»Nein«, schrie Alton auf. Entsetzen trat in seine Augen.

»Es liegt bei Ihnen, Sie Lümmel«, schloß die resolute Dame grimmig. »Wagen Sie es nicht noch mal, mich zu belästigen.«

»Niemals«, versprach Bernie Alton.

»Dann dürfen Sie sich jetzt ins Bett legen«, meinte Lady Simpson gnädig. »Man soll mir nicht nachsagen, daß ich herzlos wäre.«

Bernie Alton schleppte seine erstarrten Glieder ins Bett, deckte sich bis zum Hals zu und zitterte derart, daß das ganze Gestell wackelte.

»Befassen wir uns mit diesen Frechlingen im Keller«, sagte Lady Simpson dann zu ihrem Butler. »Auch sie haben eine Lektion verdient, denke ich.«

»Haben Mylady in dieser Hinsicht bereits bestimmte Vorstellungen?« erkundigte sich Parker höflich.

»Mir wird schon was einfallen«, gab sie animiert zurück, wobei ihre Augen funkelten. »Sagen Sie, Mister Parker, habe ich da unten im Keller nicht einen Kanaleinstieg gesehen?«

»Wie Mylady meinen«, antwortete Parker zurückhaltend.

»Natürlich habe ich ihn gesehen«, sagte sie nachdrücklich, »versuchen Sie nur ja nicht, mich vom Thema abzulenken!«

*

Es war zu spät für Kathy, durch eines der Wohnwagenfenster ins Freie zu steigen. Dazu reichte die Zeit nicht mehr. Sie mußte versuchen, diesen Schnauzbart abzufangen und auszutricksen. Daß sie es mit einem Profi zu tun hatte, wußte sie inzwischen. Er hielt die Schußwaffe fachmännisch in der Hand und wußte be-stimmt mit ihr umzugehen.

Kathy reagierte augenblicklich.

Sie griff nach dem Gestänge, das das Dach des kleinen Zwischenkorridors hielt und … schwang sich ge-schickt wie eine Katze nach oben. Sie hatte es gerade geschafft und drückte sich gegen das Dach, als die Tür des Salonwagens sich öffnete.

Der Schnauzbart erschien.

Natürlich sah der Mann nicht nach oben. Er interessierte sich ausschließlich für den ersten Wagen, denn dort vermutete er seine Gegnerin.

Ahnungslos stahl er sich weiter vor und stand Sekunden später genau unter Kathy, die aber noch auf den richtigen Zeitpunkt wartete, um ihn außer Gefecht zu setzen. Dieser Zeitpunkt war innerhalb der nächsten zwei, drei Sekunden erreicht.

Der Schnauzbart war ein wenig vorgegangen und befand sich mit dem Kopf genau unterhalb von Kathys linker Ferse, die in einem Schuh steckte.

Sie ließ diese schuhbewehrte Ferse kraftvoll nach unten fallen und traf den Hinterkopf des Schnauzbarts, der völlig überrascht wurde. Mit diesem Angriff aus der Luft hatte er nicht gerechnet. Er ging benommen in die Knie und … brach zusammen, als Kathy sich einfach auf ihn fallen ließ.

Der Schnauzbart grunzte unwillig und zappelte noch ein wenig herum, blieb dann aber regungslos liegen. Kathy stand längst auf ihren Beinen und stellte erst mal die Schußwaffe sicher. Dann schleifte sie den Mann zurück in den Salonwagen und rollte ihn auf das Wasserbett. Da die Gelegenheit günstig war, wollte sie ihn nach seinem Erwachen kurz befragen. Sie interessierte sich dafür, wer er war und wo er wohnte.

Nach knapp einer Minute war der Mann geistig wieder an Deck, schlug die Augen auf, sah ein wenig ver-wirrt um sich und erkannte Kathy, die an der Verbindungstür stand. Der Mann wollte sich aufrichten und hochspringen, doch der wacklige Pudding, auf dem er lag, ließ das nicht zu. Der Mann schaukelte auf den gebändigten Wogen des Wasserbetts und kam aus dem Gleichgewicht.

»Wer sind Sie?« fragte Kathy.

»Hör’ zu, Mädchen«, antwortete der Mann gereizt, »du willst doch keinen Ärger haben, wie?«

»Den dürften doch bereits Sie haben«, erwiderte Kathy lächelnd.

»Schneid’ dich mal nur nicht in die Finger«, drohte er, »ich bin schließlich nicht allein gekommen.«

»Dieser Trick ist uralt«, stellte Kathy fest.

»Einigen wir uns doch«, schlug der Mann vermittelnd vor und änderte seine Tonart. »Zugegeben, ich habe Pech gehabt, aber das wird nicht so bleiben.«

»Und was sollte ich Ihrer Meinung nach tun?«

»Reich’ mir die Kanone ’rüber, und wir vergessen den kleinen Spaß!«

»Und was wird dann aus mir?«

»Ich laß’ dich laufen, Mädchen, auch wenn’s mir schwerfällt.«

»Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?« spöttelte Kathy Porter. »Ich kenne jetzt das Geheimnis, also werden Sie mich nie laufen lassen.«

Er richtete sich erneut auf und schüttelte den Kopf. Er ließ sich wieder zurückfallen, als sie die Mündung der Waffe auf ihn richtete.

»Wer sind Sie?« wiederholte Kathy ihre Frage, »oder muß ich deutlicher werden?«

Um ihn zu ermuntern, schoß Kathy Porter in das Wasserbett. Sie hatte den Mann wirklich nur erschrecken wollen, doch sie hatte nicht geahnt, was sich danach abspielen würde.

Es war schon gewaltig und beeindruckend.

Das Geschoß bohrte sich durch die zähe Haut, die das Wasser zusammenhielt. Eine Fontäne schoß hoch bis zur Decke des Salonwagens, dann war ein häßliches Knirschen zu hören und später ein Rauschen, als sei ein Wildbach durch den Salonwagen geleitet worden. Die zähe Haut riß ein und gab das Wasser frei.

Ein Sturzbach fegte durch den Salonwagen und spülte alles durcheinander. Der Schnauzbart lag wie ein Wellenreiter auf einer der Wogen und segelte auf den Wandschrank zu, in den er hineingespült wurde.

Kathy stieß einen leisen Schrei aus, als eine knietiefe Wasserwoge auf sie zurauschte. Sie verlor das Gleichgewicht und rutschte gegen die Tür. Um sie herum gurgelte und schmatzte es, die Wassermassen strudelten durcheinander und schwemmten die Einrichtung herum.

Es waren sensationelle Wasserspiele, die sich ihren Augen boten. Die Fluten hielten sich erstaunlich lange in dem Salonwagen, bis sie wegsickerten und irgendwo unter dem Wagen verschwanden.

Mit dem Ablaufen des Wassers erschien auch wieder der Schnauzbart. Er segelte aus dem Wandschrank und lief vor einen Sessel auf Grund. Der Mann machte einen total verwirrten Eindruck, schnappte nach Luft und spuckte gleichzeitig Wasser.

»Also noch mal«, sagte Kathy gelassen. »Wie heißen Sie? Der nächste Schuß trifft noch besser.«

»Steve Hussler«, sagte der Mann spontan. »Stecken Sie das verdammte Ding weg, Miß!«

»Und wer ist …?« Kathy fuhr blitzschnell herum und war auf der Hut. Sie hatte vorn im Wohnwagen ein irreguläres Geräusch gehört. Sollte der Hypnotiseur zurückgekehrt sein?

Er war es und stand bereits dicht vor ihr. Er schlug ihr die Waffe aus der Hand, und bevor Kathy reagie-ren konnte, klebte der Schnauzbart an ihr und zerrte ihre Arme nach hinten. Sekunden später starrte Kathy in die Mündung des kurzläufigen Revolvers.

Sie war überrumpelt worden und gab für ihr Leben keinen Pfifferling mehr.

*

»War das nun eine gute Idee oder nicht?« fragte Lady Simpson und sah ihren Butler mißtrauisch an.

»Originell, wenn ich mich so ausdrücken darf, Mylady.«

»Sie sind nur futterneidisch«, raunzte sie. »Sie wären doch nie auf diesen Einfall gekommen.«

»In der Tat, Mylady!« Parker stocherte mit der Spitze seines Universal-Regenschirms in dem Kleiderhau-fen, der neben dem Kanaleinstieg lag. Lady Simpson hatte die Bewohner des Gangsterhauses gezwungen, sich ihrer Sachen zu entledigen. Dann hatten die Burschen nacheinander hinunter in die Finsternis des Ka-nals steigen müssen. Sie befanden sich inzwischen auf dem mühevollen und beschwerlichen Fußmarsch durch die Unterwelt.

Parker schob den schweren, gußeisernen Kanaldeckel wieder in die Fassung und kam dann Lady Simp-sons weiteren Wünschen nach. Er sorgte dafür, daß einige schwere Wein- und Whiskykisten über dem De-ckel es unmöglich machten, ihn wieder anzuliften. Die Gangster hatten nur die Wahl, irgendwo nach einem anderen Ausschlupf zu fahnden. Das konnte unter Umständen recht lange dauern.

»Das wär’s, Mister Parker«, sagte sie zufrieden, als die Arbeit beendet war. »Ich denke, wir fahren zurück zu Mrs. Farber. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«

»Man sollte sich vielleicht ein wenig um Miß Porter kümmern, Mylady.«

»Schön, rufen Sie in der Wohnung an«, räumte sie ein. »Vielleicht hat Kathy sich inzwischen gemeldet. Der Anrufbeantworter wird das ja festgehalten haben.«

Sie hatte sich leider nicht gemeldet, wie Parker wenig später berichten müßte. Er hatte vom Wohnraum des Gangsterhauses aus angerufen. Parker war beunruhigt. Er fragte sich, ob Kathy Porter vielleicht schon Kontakt mit diesem Satan hergestellt hatte.

»Sie hat sich also nicht gemeldet?« Auch Agatha Simpson war ein wenig unruhig, denn sie hing an Kathy. »Dann bleibt uns nur Joy Farber, Mister Parker. Sie muß wissen, wo Kathy sein könnte. Sie weiß bestimmt, wo dieser Satan seine Orgien veranstaltet.«

»Mrs. Farber wird von Bernie Altons Mitarbeitern beschattet«, sagte Parker warnend, »man wird also sehr vorsichtig sein müssen, Mylady.«

»Papperlapapp, Mister Parker, diese Strolche heben wir im Handstreich aus«, erklärte sie unternehmungs-lustig. »Darauf freue ich mich sogar. Und Sie sollten es auch tun!«

Parker freute sich also, als er zusammen mit seiner Herrin zum Haus der Mrs. Joy Farber fuhr. Besonders viel versprach er sich von dieser geplanten Unterhaltung nicht, denn Joy Farber stand bestimmt unter hypno-tischer Sperre und hatte keine Ahnung, was wirklich gespielt wurde.

Zuerst, beschäftigte der Butler sich mit den beiden Männern, die er im Vorbeifahren in einem VW aus-machte. Sie parkten auf der gegenüberliegenden Straßenseite und taten derart unbeteiligt, daß sie direkt auf-fielen. Es waren die Beschatter, von denen der Gangsterboß Alton gesprochen hatte. Sie sollten Joy Farber nicht aus den Augen lassen.

Es war beruhigend, sie hier vor dem Haus zu sehen, demnach war die junge Frau noch nicht weggefahren. Zudem stand auch noch ihr VW vor der Garage.

Parker fuhr in die Seitenstraße hinein, bremste und machte kehrt. Bevor er seinen Cup landete, holte er seine »Pillendose« aus einer der vielen Westentaschen und entnahm ihr eine der berüchtigten Glasampullen. Dann ließ er sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen, fuhr zurück auf die Straße und kurvte nahe an den parkenden VW heran.

In Höhe der Seitenscheibe hielt Parker, griff höflich nach seiner schwarzen Melone und gab durch ein Handzeichen zu verstehen, daß er den Fahrer des VW sprechen wolle. Der Mann fiel auf diesen Trick arglos herein und kurbelte sein Wagenfenster herunter und sah den Butler fragend an.

Der Butler hatte sein Wagenfenster ebenfalls heruntergedreht und streckte seine Hand nach dem Fahrer aus.

»Das hier soll ich Ihnen freundlilicherweise von Mr. Alton überreichen«? schwindelte er und … warf die Glasampulle in den Wagen. Dann gab er Vollgas und schoß förmlich nach vorn. Der Spezialmotor unter der eckigen Haube seines hochbeinigen Monstrums besaß die Beschleunigung eines echten Tourenwagens. Bevor die beiden Männer im VW überhaupt zu reagieren vermochten, war Parkers Wagen schon dreißig bis vierzig Meter weiter vorn.

Die Glasampulle zerbrach wie vorgesehen.

In Sekunden füllte sich der kleine Wagen mit einer graugelben Rauchwolke, die aus allen Fugen nach au-ßen drang. Parker wendete erneut und fuhr zum VW zurück.

»Haben Mylady besondere Pläne, was die beiden Herren im VW betrifft?« fragte der Butler höflich bei Agatha Simpson an.

»Warten Sie’s doch ab«, antwortete sie unwirsch, »hetzen Sie mich doch nicht immer so, Mister Parker! Man wird doch wohl noch nachdenken dürfen, oder?«

*

Kathy sagte die Wahrheit.

Sie ließ den Hypnotiseur und den Schnauzbart wissen, daß sie sich nur als Köder angeboten hatte. Sie sagte ihnen, daß sie zusammen mit Lady Simpson und Butler Parker an der Aufklärung der seltsamen Wa-renhausdiebstähle arbeite. Kathy sah in der Wahrheit ihre einzige Rettung. Zumindest schob sie damit ihre Ermordung hinaus. Die beiden Verbrecher mußten und sollten wissen, daß ein Mord mehr als riskant war.

Sie schwiegen auch beeindruckt, als Kathy ihre Geschichte beendet hatte. Es war vor allen Dingen der Rundliche, der einen recht nervösen Eindruck machte, was bestimmt nicht mit der Zerstörung seines Salon-wagens zusammenhing.

»Jetzt haben wir den Salat«, sagte er, sich an den Schnauzbart wendend. »Sie sind uns auf der Spur. Ich habe ja immer davor gewarnt, die ganze Geschichte zu überziehen. Jetzt haben wir den Salat!«

»Unsinn«, fuhr der Schnauzbart ihn wütend an. »Sie ist doch die einzige, die weiß, was hier gelaufen ist.«

Der Schnauzbart deutete auf Kathy und sah sie nachdenklich an. Es war deutlich, daß er mit Mordgedan-ken spielte. Besondere Hemmungen schien es in dieser Hinsicht für ihn nicht zu geben.

»Du willst sie doch nicht etwa umbringen, oder?« Der Hypnotiseur schluckte vor Aufregung.

»Nicht unbedingt«, erwiderte der Schnauzbart, »aber du könntest etwas tun.«

»Was denn?«

»Blockier’ sie so, daß sie sich nie wieder an etwas erinnert. Das muß doch einfach sein.«

»Bestimmt«, pflichtete der Hypnotiseur ihm sofort hastig bei. »Wenn ich es ihr befehle, ist jede Erinne-rung für immer ausgelöscht.«

»Na also«, sagte der Schnauzbart. »Ich frage mich allerdings, wieso sie mich überfallen konnte?«

»Die Blockade war nicht intensiv genug«, erwiderte der Rundliche. »Ich hatte nicht genug Zeit. Jetzt ist das anders.«

Kathy sagte nichts, aber sie wunderte sich.

Der Hypnotiseur mußte doch inzwischen längst wissen, daß sie auf Hypnose überhaupt nicht ansprach. Warum schwindelte er seinem Partner etwas vor? Wollte er mit seiner Behauptung einen Mord verhindern? Waren diesem Mann endlich Bedenken gekommen?

»Versucht«, sagte der Schnauzbart und sah Kathy ironisch an, »aber bevor ich’s glaube, werde ich die Hypnose ausprobieren, klar?«

»Wie … Wie denn?« fragte der Rundliche nervös.

»Ich werd’ ihr noch mal als ihr Freund kommen. Dann wird’s sich ja erweisen.«

Kathy ging ein Licht auf.

Der Schnauzbart war und blieb mißtrauisch. Er wollte kein Risiko eingehen. Seine Logik war direkt schon bösartig. Kathy mußte sich so oder so seinen Wünschen beugen, die eindeutig waren. Geschah das in echter Hypnose, nun, dann rechnete er fest damit, daß sie aus ihrer Rolle fiel. Der Schnauzbart konnte sich nicht vorstellen, daß eine Frau sich soweit demütigte, ihm zu Willen zu sein.

Der Rundliche hatte schnell begriffen und sah Kathy beschwörend an. Er wollte sie damit überreden, das Spiel bis zum bitteren Ende mitzumachen. Er kannte die Bedenkenlosigkeit seines Begleiters und wußte, daß ein Mord in der Luft lag.

»Einen Augenblick noch«, bat Kathy hastig, »mit mir allein ist das Problem nicht gelöst.«

»Aha, und warum nicht?« Der Schnauzbart lachte spöttisch.

»Lady Simpson und Mr. Parker haben bereits eine Menge ausgeforscht«, behauptete Kathy schnell. »Sie wissen, daß sie es mit einem Hypnotiseur zu tun haben, der für einen Hintermann arbeitet.«

»In London gibt es viele Hypnotiseure«, meinte der Schnauzbart, »und dieser hier wird ohnehin von der Bildfläche verschwinden.«

»Was … Was soll denn das?« Der Rundliche hob abwehrend-entsetzt die Arme und wich zurück. Er sah, daß der Schnauzbart die Waffe auf ihn gerichtet hatte. Der Rundliche stolperte über einen umgestürzten Sessel und landete auf dem Boden.

Genau in diesem Moment schoß der Schnauzbart.

*

Zwei etwas ältliche Damen saßen auf der Bank eines kleinen Parks und tauschten Neuigkeiten aus. Zwi-schendurch fütterten sie Tauben und streichelten ihre kleinen Schoßhunde. Es handelte sich dabei um einen trägen, etwas verfetteten Pekinesen und um einen dicken Mops.

Die beiden Damen waren mit sich und der Welt zufrieden, bis sich ein gußeiserner Kanaldeckel hob, der nicht weit von ihnen entfernt war.

Der träge Pekinese reagierte kaum, doch der Mops spitzte erwartungsvoll die Ohren.

Die ältere der beiden Damen sah den Kanaldeckel, der sich vorsichig aus dem runden Rahmen hob. Sie öffnete weit ihre Augen und war gespannt, was sich da tat. Die andere Dame wurde aufmerksam und nickte wohlwollend.

»Sicher wieder so ein Jux von Kindern«, stellte sie arglos fest. Sie spielte damit auf den nahen Kinder-spielplatz an, der nur durch eine Buschreihe von den Sitzbänken getrennt war.

»Sehen Sie doch, ein Mann!« Die ältere der beiden Frauen bekam einen spitzen Mund und runde Augen. Sie schnaufte ein wenig, als der Deckel den nackten Oberkörper eines stämmigen Mannes freigab.

»Finden Sie nicht auch, daß das etwas zu weit geht?« erkundigte sich die jüngere der beiden Damen.

»In etwa schon.« Sie nickte und beobachtete den Mann, der sich verstohlen umschaute, die beiden Damen jedoch übersehen mußte, da sie von einer kleinen Hecke verborgen wurden.

Der Mann verließ den Kanaleinstieg und fühlte sich sichtlich unbehaglich. Er kam sich, was auch den Tat-sachen entsprach, ziemlich nackt vor.

»Was sagen Sie denn dazu?« wunderte sich die ältere Dame, als ein zweiter nackter Mann aus der Erde stieg.

»Was soll ich dazu sagen?« stellte die erste Dame fest, als ein dritter nackter Mann zu sehen war, dann ein vierter und ein fünfter.

»Man sollle sich vielleicht beleidigt fühlen«, antwortete die zweite Dame.

»Tatsächlich«, räumte die erste Dame ein. Dann zuckte sie zusammen, als ihr Peinkese gar nicht mehr schläfrig war, sondern verblüfft bellte.

Der Mops war ausgesprochen aggressiv.

Er sprang von der Sitzbank herunter und rannte auf die fünf nackten Männer zu, die zusammenfuhren und dem kleinen Hund nervös entgegenschauten. Der Mops kläffte sie ausgiebig an und schnappte nach ihren nackten Waden.

Da wollte der Pekinese nicht länger zurückstehen.

Er folgte dem Mops und … sprang jetzt an den eingeschüchterten Männern hoch, schnappte ebenfalls nach ihnen und brachte sie dadurch in einige Verlegenheit.

Das freudige Bellen und Kläffen rief andere Vierbeiner auf den Plan.

Zuerst erschien ein Neufundländer, dann ein Terrier und schließlich eine interessante Kreuzung aus Collie und Schäferhund. Diese Vierbeiner trieben die fünf Männer zusammen, die sich eng aneinanderschoben und nicht trauten, die Flucht zu ergreifen.

Das änderte sich allerdings schlagartig, als ein sechster nackter Mann aus dem Kanalschacht kam. Dieser noch recht junge Mann, verschmiert wie seine Vorgänger, beging den Leichtsinn, nach einem der Vierbeiner zu treten.

Daraufhin waren die Hunde sich völlig einig und gingen zum konzentrierten Angriff über. Die Männer brüllten auf und jagten in langen Sätzen aus dem Park, verfolgt von der kläffenden Meute. Auf ihrer Flucht kamen sie an der Bank vorüber, auf der die beiden älteren Damen saßen, die die Sportler interessiert muster-ten.

»Was soll man dazu sagen?« wunderte sich die erste Dame.

»Ich weiß es nicht«, antwortete die zweite Dame, »aber es wird wohl Zeit, etwas Entrüstung zu zeigen, meine Liebe, sonst könnte man uns mißverstehen.«

Sie zeigten also Entrüstung und stießen ein paar spitze Schreie aus. Es waren Schreie, die die Männer aus-brechen ließ. Sie änderten die Fluchtrichtung, brachen durch ein dichtes Gestrüpp und … standen plötzlich auf einer recht belebten Durchgangsstraße.

Ein Zurück gab es für sie nicht mehr.

Die Hundemeute blieb ihnen auf den Fersen. Die Männer hetzten die Straße hinunter und warteten beim Rotzeichen einer Ampel nicht gehorsam wie es sich für brave Staatsbürger geziemt. Sie überquerten die Straße, machten einige Autofahrer unsicher und sorgten für drei Auffahrunfälle.

Womit die Zahl ihrer Verfolger sich noch vergrößerte.

Zwei Streifenpolizisten wurden aufmerksam, trauten zuerst ihren Augen nicht, trillerten und pfiffen dann auf ihren Signalpeifen und schlossen sich den Verfolgern an.

Die sechs nackten Männer aber rannten über die Straße, als würden sie von Furien gehetzt. Dadurch entgingen ihnen leider die mehr oder weniger anzüglichen Kommentare, die ihrer sportlichen Leistung gal-ten.

*

Kathy Porter setzte alles auf eine Karte.

Aus dem Stand heraus sprang sie den Schnauzbart an, der sich herumwarf und gnadenlos auf sie schießen wollte. Doch er kam nicht mehr dazu, denn Kathys linker Fuß knallte unter seine linke Hand und schlug ihm den Revolver aus den Fingern. Bruchteile von Sekunden später sackte der Gangster haltlos wie eine Glie-derpuppe in sich zusammen. Es zeigte sich, daß er dem Karateschlag Kathys nicht gewachsen war.

Kathy nahm blitzschnell die Waffe hoch und kniete dann neben dem Rundlichen, der nur noch schwach stöhnte. Kathy sah, daß das Geschoß seine Brust getroffen hatte. Ob die Verletzung lebensgefährlich war oder nicht, konnte sie nicht beurteilen, sie sah nur, daß der Mann schnelle ärztliche Hilfe brauchte.

Kathy war diesmal auf der Hut. Sie riß einige Vorhangschnüre von den Fenstern und verschnürte damit den jungen Schnauzbart wie ein Wertpaket. Sie wollte von ihm nicht noch mal überrascht werden. Dann rannte sie hinüber in den ersten Wohnwagen und suchte hier nach einem Telefon.

Nichts!

Kathy verließ den Wohnwagen und erinnerte sich, daß der Rundliche wahrscheinlich auf dem Umweg durch die Fabrikruine den Schnauzbart geholt hatte. In der Ruine mußte sich demnach so etwas wie ein Trampelpfad befinden, der auf eine Straße hinausführte. Kathy lief also auf die Fabrik zu, atmete auf, als sie solch eine deutliche Spur fand, arbeitete sich durch ein Gewirr von Schutt und Trümmern und stand plötz-lich auf einem weiten, mit Unkraut bewachsenen Schuttplatz, von dem aus sie in eine Straße sehen konnte. Sie bemerkte auch den Pub an der Ecke, in dem es mit Sicherheit ein Telefon gab.

›Filmores Pub‹ las sie, ohne sich dabei etwas zu denken. Sie betrat die Kneipe und scherte sich den Dreck um die Blicke der Männer, die hier fast ausnahmslos vertreten waren. Sie fragte nach dem Telefon und wählte die Nummer der Polizei.

Als sie aus der Telefonzelle kam, blieb sie wie versteinert stehen.

Der Rundliche!

Er stand an der langen Theke, hielt sein Glas Bier in der Hand und musterte sie durch seine eulenartige Brille.

Bert Dolgan, der Hypnotiseur?

Nein, das konnte doch unmöglich wahr sein. Sie ging auf den Mann zu, der sie jetzt wieder erkannte und zögernd nickte.

»Mr. Dolgan?« erkundigte sie sich.

»Richtig, Miß«, sagte er und wirkte dabei leicht verkniffen. Er erinnerte sich wohl der Szene, als er die Pornohefte auf den Tisch seiner kleinen Zoohandlung gelegt hatte und von Lady Simpson recht unsanft zu-sammengestaucht worden war.

»Kommen Sie mit«, sagte sie energisch, »stellen Sie keine Fragen, kommen Sie mit!«

Es war der Unterton in ihrer Stimme, der ihn daran hinderte, sich störrisch zu zeigen oder Fragen zu stel-len. Er stellte sein Bierglas hastig ab und folgte Kathy Porter, während die übrigen Gäste ihnen nachstarrten.

»Wer ist denn das?« wunderte er sich Minuten später, als er im Salonwagen sich dem Rundlichen gegen-übersah.

»Kennen Sie ihn?« fragte Kathy streng.

»Keine Ahnung, Miß, das heißt …«

»Das heißt was?«

»Das könnte Will Blossom sein«, meinte der Zoohändler. »Natürlich, das ist er mit Sicherheit. Das ist Will Blossom.«

»Und wer ist der Mann?«

»Ein Artist. Sie sehen ja seine beiden Wohnwagen. Er ist vor ein paar Monaten hier aufgekreuzt und hat sich das alte Fabrikgelände gemietet. Miß, was ist hier vorgegangen? Der Mann ist ja angeschossen worden.«

»Die Polizei wird gleich eintreffen«, sagte Kathy, »kennen Sie diesen Blossom näher?«

»Kaum«, antwortete der Zoohändler verwirrt, »ich möchte nur wissen, warum er sich so zurechtgemacht hat, wie ich aussehe. Das muß doch einen Grund haben.«

»Den werden Sie noch rechtzeitig erfahren, Mister Dolgan, verlassen Sie sich darauf! Und kennen Sie den jungen Mann dort?«

Sie führte ihn um einige umgestürzte Sessel herum und zeigte ihm den jungen Schnauzbart.

»Joe Filmore!«

»Und wer ist das nun wieder?«

»Der Sohn vom alten Filmore«, antwortete Dolgan verblüfft, »er hilft seinem Daddy manchmal in der Kneipe.«

»In der wir gerade waren?«

»In der wir gerade waren«, bestätigte der Zoohändler Dolgan und schüttelte den Kopf. »Haben Sie ihn etwa verschnürt, Miß?«

»Er wird sich wegen Mordversuch verantworten müssen«, sagte Kathy Porter ernst, »und wahrscheinlich auch noch wegen einiger anderer Delikte!«

*

»Das ist Ihr Fall, Kindchen«, stellte Lady Simpson fest. Sie befand sich zusammen mit Kathy und Butler Parker im großen Wohnraum ihres Stadthauses und machte einen leicht mißmutigen Eindruck. Sie ärgerte sich ein wenig darüber, daß sie die Täter nicht fangen und entlarven konnte.

»Nun, die Vorgeschichte ist schnell erzählt«, sagte Kathy lächelnd, »Joe Filmore war der Mann, der die Idee hatte, Blossoms Künste kriminell zu verwenden. Er wurde auf den beschäftigungslosen Artisten und Hypnotiseur aufmerksam, als Blossom Stammgast in der Keipe wurde und von seiner Artistenzeit erzählte. Joe Filmore witterte sofort eine Möglichkeit, endlich an das große Geld zu kommen.«

»Obwohl dieser Lümmel schon für Altons Glücksspielgang arbeitete, nicht wahr?«

»Diese Einkünfte reichten Filmore nicht, er wollte sich selbständig machen. Er überredete also Blossom, mitzumachen und dachte sich den Trick mit den Warenhausdiebstählen aus.«

»Eine geradezu satanische Idee«, warf der Butler ein.

»Die sich leider auch lohnte«, erzählte Kathy weiter. »Blossom suchte sich mit sicherem Instinkt die Frauen aus, die er später dann erpressen konnte. Die Warenhausdiebstähle waren für ihn gleichzeitig der Prüfstein dafür, ob die betreffenden Frauen sich leicht unter hypnotische Kontrolle bringen ließen.«

»Also keine Orgien«, warf Parker etwas anzüglich ein, wofür er einen leicht giftigen Blick von Lady Simpson erntete.

»Das möchte ich nicht sagen«, widersprach Kathy und lächelte ungeniert. »Besonders hübsche Frauen be-stellte er zu sich in den Salonwagen und lieferte sie Filmore aus. Blossom fotografierte heimlich pikante Szenen, die er später für weitere schamlose Erpressungen benutzte. Das System funktionierte perfekt. Alle Frauen zahlten ohne Ausnahme.«

»Und warum legte er sich das Aussehen des Zoohändlers Dolgan zu?« wollte Agatha Simpson wissen. Sie warf ihrem Butler einen triumphierenden Blick zu.

»Das bot sich schon allein wegen der gemeinsamen Figur an«, berichtete Kathy weiter. »Dolgan und Clay Herberts, der Blumenhändler, verkehrten in Filmores Pub. Dabei konnte Blossom, der normalerweise kahl-köpfig und schlanker ist, den Zoohändler genau studieren. Er legte sich für seine Streifzüge durch die Wa-renhäuser Dolgans Aussehen zu und stahl eines Tages sogar den Wagen von Herberts, weil er grundsätzlich nur mit Fremdwagen arbeitete, um eventuelle Spuren zu verwischen.«

»Das war sein Fehler«, freute sich die Detektivin. »Dadurch lenkte er mich auf die richtige Spur.« Lady Simpson vergaß ihren Butler zu erwähnen, aber das war schon üblich bei ihr.

»Konnten Sie in Erfahrung bringen, Miß Porter, warum Joe Filmore mir gegenüber den Begriff ›Satans-töchter‹ verwendete?« schaltete der Butler sich ein.

»Danach habe ich ihn natürlich gefragt«, gab sie zurück, »er wollte damit von etwaigen Spuren ablenken und den Eindruck erwecken, es handele sich um eine gemeine Organisation der Unterwelt. Vielleicht hatte er sogar die Absicht, Mylady und Sie auf seinen Boß Alton zu hetzen, von dem er sich ja früher oder später trennen wollte.«

»Und wie viele Frauen hat dieses Untier einfangen lassen?« wollte Lady Simpson wissen.

»Über zwei Dutzend Frauen«, antwortete Kathy Porter. »Joe Filmore bekam den Hals nicht voll genug, als er einmal Blut geleckt hatte. Blossom wehrte sich zwar dagegen, doch er konnte gegen Filmore nichts aus-richten.«

»Wollen Sie diesen Blossom etwa in Schutz nehmen?« wunderte sich die resolute Dame.

»Gewiß, Mylady«, erwiderte Kathy lächelnd. »Ihm habe ich es zu verdanken, daß ich noch lebe. Und das werde ich auch vor Gericht aussagen. Er war auf jeden Fall gegen meine Ermordung.«

»Dann sollten Sie tun, was Sie tun müssen«, stellte Lady Simpson fest.

»Gibt es Unterlagen über die Frauen, die erpreßt wurden?« fragte Parker jetzt.

Kathy Porter schüttelte den Kopf.

»Ich habe Blossom eindringlich danach gefragt«, sagte sie. »Das war noch vor dem Eintreffen der Polizei. Blossom will keine schriftlichen Unterlagen besitzen. Und man sollte ihm das abnehmen.«

»Besitzt Joe Filmore vielleicht eine Art Adressenliste, Miß Porter?«

»Er schon gar nicht, er tat nichts, als das Geld von Blossom in Empfang zu nehmen, denn Blossom mußte auch das Einkassieren der Erpressungsgelder vornehmen. Filmore blieb stets im Hintergrund.«

»Dann müssen die betreffenden Frauen auch weiterhin in Angst leben«, stellte Parker bedauernd fest.

»Sie werden sicher nicht wieder belästigt«, sagte Kathy.

»Aber sie stehen doch nach wie vor unter hypnotischem Zwang«, meinte Lady Simpson.

»Sie würden auf das Stichwort reagieren, wenn sie es zu hören bekämen, Mylady.«

»Unerträglich«, ärgerte sich die Sechzigjährige.

»Ein Zwang, der sich beenden läßt«, sagte Parker. »Man wird mit den zuständigen Behörden sprechen müssen, Mylady, wenn ich mir diesen Vorschlag erlauben darf.«

»Und weiter, Mister Parker?«

»Man könnte zu einem geeigneten Zeitpunkt zusammen mit Mr. Blossom eine private Rundfahrt unter-nehmen, Mylady. Er könnte seine früheren Opfer nacheinander aus der Hypnose entlassen. Ich bin sicher, daß besagter Mr. Blossom auf diesen Vorschlag eingehen wird.«

»Wie geht es ihm eigentlich?« wollte Lady Simpson in Richtung Kathy Porter wissen.

»Er wird in wenigen Wochen wieder vollkommen gesund sein, Mylady. Und was Mr. Parkers Vorschlag betrifft, so glaube ich fest, daß Mr. Blossom darauf eingehen wird.«

»Dieser Frechling scheint Sie ja geradezu hypnotisiert zu haben«, grollte die Lady ihre Gesellschafterin an. »Warum verwenden Sie sich so für ihn, Kindchen?«

»Weil er wirklich helfen wollte, Mylady. Ohne Mr. Blossom hätte Filmore mich mit Sicherheit erschos-sen.«

»Nun gut, Kindchen, bleiben Sie ihm gegenüber dankbar«, sagte die ältere Dame grollend. »Ja, und damit dürfte dieser Fall erledigt sein, nicht wahr?«

»Mylady brauchen diesen Stoff nur noch zu Papier zu bringen«, ließ der Butler sich leicht anzüglich ver-nehmen. »Darf ich mir die Freiheit nehmen, die Schreibmaschine zu richten?«

»Schnickschnack«, gab Lady temperamentvoll zurück. »Vielleicht warte ich doch besser auf den nächsten Fall, Mister Parker. Man soll nichts überhasten.«

»Wie Mylady meinen.«

»Der nächste Fall kommt bestimmt«, sagte die Dame mit der detektivischen Ader.

»Mit Sicherheit, Mylady.«

»Lassen wir uns also überraschen«, schloß Lady Simpson das Thema etwas hastig ab, denn sie hatte keine Lust, sich an die Schreibmaschine zu setzen. »Unterlassen Sie das impertinente Grinsen, Mister Parker!«

»Sehr wohl, Mylady.«

»Denken Sie lieber an diesen Lümmel Alton. Wird dieser Gangster noch irgendwelche Schwierigkeiten machen? Ich hoffe doch sehr, daß er nicht den Kopf in den Sand steckt.«

»Er und seine Mitarbeiter, Mylady, sind der Lächerlichkeit preisgegeben worden«, erwiderte der Butler und leistete sich den schwachen Anflug eines Lächelns. »Mr. Alton dürfte in der Unterwelt nicht mehr ernstgenommen werden, nachdem seine Leute nackt und bloß aus dem Kanalschacht gestiegen und durch einen Teil der Stadt gehetzt wurden.«

»Wir wollen doch nicht vergessen, daß das meine Idee war«, stellte Agatha Simpson fest.

»In der Tat, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei.

»Es war eine sehr gute Idee«, steigerte Lady Simpson.

»Sie war äußerst gut, Mylady«, warf Parker ein.

»Das sage ich doch die ganze Zeit«, grollte sie schon wieder, um dann nachdenklich hinzuzufügen. »Viel-leicht schreibe ich darüber eine Kurzgeschichte. Was meinen Sie dazu, Mister Parker?«

»Ich werde mir erlauben, das notwendige Manuskriptpapier zurechtzulegen, Mylady.«

»Gut, Mister Parker, irgendwann in den nächsten Tagen«, wehrte die ältere Dame hastig ab. »Der Stoff muß sich noch setzen, aber davon verstehen Sie eben nichts, Sie sind ja kein Schriftsteller.«

»In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler gemessen und würdevoll. »Ich würde mir auch niemals er-lauben, Mylady ins Handwerk zu pfuschen.«

Parker verließ den großen Wohnraum, um den Tee zuzubereiten. Lady Simpson sah ihm leicht verkniffen nach.

»Dieser Mann steckt voller Widerspruchsgeist«, sagte sie dann zu Kathy.

»Erfreulicherweise«, meinte die Gesellschafterin und Sekretärin lächelnd.

»Er glaubt einfach nicht daran, daß ich eines Tages meinen Bestseller schreibe.«

»Ich weiß es nicht, Mylady«, sagte Kathy vorsichtig.

»Glauben Sie wenigstens daran, Kindchen?«

»Ich glaube an Bestseller, Mylady«, antwortete Kathy diplomatisch und ausweichend, ohne genau auf die Frage einzugehen. »Ich bin sofort wieder zurück, ich möchte Mr. Parker helfen.«

Sie beeilte sich, aus Myladys Reichweite zu kommen und lächelte amüsiert, als sie sich in die Wohnhalle geflüchtet hatte. Die junge Dame nahm sich vor, sich vorerst nicht mehr blicken zu lassen. Wenn Mylady von Künstlerruhm träumte, ging man ihr sicherheitshalber aus dem Weg, das hatte die Erfahrung gelehrt. Mylady war dann noch unberechenbarer als sonst, und das wollte schon etwas heißen.

ENDE

Butler Parker Paket 3 – Kriminalroman

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