Читать книгу Butler Parker Paket 3 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 21

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Widerstand wäre sinnlos gewesen.

Kathy Porter sah in die Mündung einer Waffe, die mit einem modernen Schalldämpfer versehen war. Der Mann, der die Waffe in der Hand hielt, machte einen sehr entschlossenen Eindruck. Er schien nur darauf zu warten, auch abdrücken zu können. In seinen großen, grünlich schimmernden Augen lag so etwas wie frohe Erwartung.

„Mitkommen“, sagte er fast enttäuscht, als Kathy stehenblieb. Die langbeinige junge Frau, groß, schlank und dennoch sehr weiblich aussehend, erinnerte an ein ängstliches und scheues Reh, das sich vor Schreck nicht zu rühren vermag.

Der Mann rückte seinen zusammengelegten Mantel wieder so über den Unterarm und die Waffe, daß selbst der Schalldämpfer verschwand, und deutete mit dem Kinn zum Fahrstuhl.

Kathy Porter gehorchte augenblicklich. Sie wollte den Mann auf keinen Fall provozieren. Sie wußte nicht, wer er war und was er von ihr wollte. Sie wußte nur, daß ihr Leben an einem seidenen Faden hing, deshalb setzte sie sich sofort in Bewegung und ging zum Aufzug, der sich gerade öffnete.

„Vorsicht, Masern“, sagte der schlanke Mann, als weitere Leute zusteigen wollten. „Ansteckungsgefahr.“

Er ließ sie nicht aus den Augen und achtete auf jede ihrer Bewegungen. Mit seinem einfachen Trick erreichte er übrigens genau das, was er wollte. Die Leute sprangen förmlich zurück und hüteten sich in den Aufzug zu steigen.

Zischend schlossen sich die Türen.

„Kellergeschoß drücken“, kommandierte der Mann. Kathy Porter gehorchte erneut und drückte sich dann ängstlich in die Ecke des Aufzugs. Dieser Mann war ein Killer, daran bestand kein Zweifel. Warum er sie hier im Krankenhaus abgefangen hatte, begriff sie nicht. Kathy hatte im Auftrag von Lady Agatha Simpson einen Krankenbesuch gemacht und einem von Myladys Verwaltern einen Frühstückskorb überbracht. Harmloser und selbstverständlicher hätte eine solche Visite überhaupt nicht ausfallen können.

Sie blieb bei ihrer Rolle und spielte weiterhin das scheue und ängstliche Reh. Der Killer durfte noch nicht mal ahnen, daß sie auch ganz anders sein konnte.

„Überrascht, wie?“ fragte der schlanke Mann jetzt amüsiert.

„Natürlich, Sir“, gab Kathy Porter zurück, „hoffentlich verwechseln Sie mich nicht mit einer anderen Person.“

„Dein Haar ist nicht zu verwechseln“, meinte der Killer und spielte damit auf Kathy Porters dunkelrotes, langes Haar an, das in seiner Farbschattierung wirklich einmalig war.

„Ich heiße Kathy Porter“, sagte das scheue Reh.

„Und ich bin Onassis“, gab der Killer zurück. „Hör’ auf mit dem blöden Theater, Puppe. Du weißt, wer ich bin, ich weiß, wer du bist!“

Die Fahrt war beendet, bevor Kathy darauf antworten konnte.

Die Fahrstuhltür öffnete sich, Kathy mußte aussteigen.

Die langbeinige Frau wurde durch eine kurze und energische Bewegung in die neue Richtung gedrängt, ging zögernd einen halbdunklen Gang hinunter und sah sich dann plötzlich einem zweiten Mann gegenüber, der einen weißen Arztkittel trug.

„Umdrehen, mit dem Gesicht zur Wand“, kommandierte der Killer hinter ihr. Kathy Porter kam auch diesem Befehl nach und wehrte sich eine Sekunde später mit dem Mut der Verzweiflung gegen den dicken Wattebausch, der mit Chloroform getränkt war.

Ihr Widerstand dauerte nicht lange.

Kathy schnappte nach Luft, glaubte ersticken zu müssen und wurde dann ohnmächtig. Sie landete in den Armen des Mannes, der den weißen Kittel trug, und merkte nicht mehr, daß die beiden Männer sie hastig zu einer Tür trugen, auf der die Aufschrift „Magazin“ stand.

*

„Ich glaube, Mister Parker, daß ich in ein paar Minuten etwas ärgerlich sein werde“, stellte Lady Agatha Simpson grimmig fest. Die streitbare Sechzigerin saß im Fond von Josuah Parkers hochbeinigem Monstrum und wartete geduldig auf die Rückkehr ihrer Sekretärin. Normalerweise hätte Lady Simpson diesen Krankenbesuch selbst übernommen, aber sie befand sich in Zeitnot, da sie in der City eine wichtige Verabredung hatte. Sie kannte ihr Plaudertalent und hatte sich selbst davor geschützt. Kathy war eingeschärft worden, nicht länger als zehn Minuten zu bleiben. Nun waren schon weit über zwanzig Minuten verstrichen …

Butler Josuah Parker saß vorn am Steuer seines hochbeinigen Wagens, der mal ein echtes Londoner Taxi war. Diesen Wagen hatte er sich nach seinen eigenen Vorstellungen umbauen lassen. Das ehemalige Taxi war inzwischen zu einer raffinierten Trickkiste auf Rädern geworden.

Josuah Parker war untadelig wie stets gekleidet. Zum schwarzen Zweireiher trug er schwarze Handschuhe und eine Melone in ebenfalls schwarzer Farbe. Sein unvermeidlicher Universal-Regenschirm befand sich in einer Haltevorrichtung seitlich neben ihm. Korrektheit war Parkers oberstes Gebot. Hinzu kam eine Höflichkeit, die manchmal schon fast penetrant wirkte. Und Nerven, deren Haltbarkeit an die von besonders starken Schiffstauen erinnerten.

In seiner vornehmen Zurückhaltung war er das krasse Gegenteil von Lady Agatha Simpson, die trotz ihres Alters quirlig wie ein junges Mädchen war. Lady Agatha, mit dem englischen Hochadel verschwistert und verschwägert, war eine immens reiche Frau, die sich Extravaganzen leistete, sofern sie ihr Spaß machten. Sie liebte es, sich mit besonders verzwickten oder aufregenden Kriminalfällen zu befassen und hatte in letzter Zeit den Ehrgeiz entwickelt, eine gewisse Agatha Christie schriftstellerisch zu übertrumpfen. Schon vom gemeinsamen Vornamen her fühlte sie sich dazu berufen und auch verpflichtet.

„Ich glaube, daß ich inzwischen ärgerlich geworden bin“, ließ Lady Agatha sich wieder vernehmen und räusperte sich bedrohlich, „was sagen Sie zu dem Benehmen von Miß Kathy?“

„Miß Kathy dürfte mit einiger Sicherheit aufgehalten worden sein, Mylady“, erklärte Parker gemessen.

„Holen Sie sie aus dem schrecklichen Haus heraus“, entschied Lady Simpson grimmig, „und machen sie ihr klar, wie wütend ich bin!“

„Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen“, versprach Josuah Parker und stieg ohne jede Hast aus dem Wagen. Er blieb neben dem geöffneten hinteren Wagenfenster stehen und lüftete seine schwarze Melone. „Soll ich mich hinsichtlich Ihrer Gemütsverfassung in Einzelheiten ergehen, Mylady?“

„Überlassen Sie das nur mir, Mister Parker! Kathy kann sich auf etwas gefaßt machen.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den Unterarm, prüfte noch mal den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone und lustwandelte anschließend gemessen zur breiten Treppe, die hinauf in die Empfangshalle des Krankenhauses führte.

Natürlich wußte er nur zu genau, warum Mylady den Besuch nicht selbst gemacht hatte. Lady Agatha hatte eine Allergie gegen Krankenhäuser und konnte den typischen Geruch, der in solchen Häusern herrschte, auf den Tod nicht ausstehen.

Josuah Parker machte sich hinsichtlich des Zorns von Mylady keine unnötigen Sorgen. Gewiß, Kathy Porter war zwar offiziell nur die Gesellschafterin und Sekretärin seiner Herrin, doch in Wirklichkeit genoß Kathy Porter den Status einer leiblichen Tochter. Darüber hinaus war Kathy schließlich auch noch Mitglied eines Trios, das sich mit viel Erfolg und Können der Aufklärung von Verbrechen widmete. Sie war Teil dieses Teams und zeichnete sich durch besondere Fähigkeiten aus. Nach außen hin wie ein scheues Reh wirkend, besaß sie in Wirklichkeit die Spannkraft einer Pantherkatze.

In der großen Vorhalle des Krankenhauses angekommen, ließ Parker die Stationsschwester anrufen und erkundigte sich bei ihr mit wohlgesetzten Worten nach dem Verbleib von Miß Porter. Er erfuhr zu seiner ehrlichen Verblüffung, die er allerdings nicht zeigte, daß Kathy das Krankenzimmer schon vor zehn Minuten verlassen hatte.

Parker legte den Hörer auf und entdeckte dann Kathy, die gerade aus dem Aufzug gekommen sein mußte, während er noch mit der Stationsschwester sprach. Sie wandte ihm allerdings den Rücken zu und ging schnell auf eine Glastür zu, die den Zugang zu einer Station im Erdgeschoß bildete. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es mußte sich um Kathy handeln. Das typische, dunkelrote Haar war einfach unverkennbar, ebenso die schlanke Figur.

„Miß Porter?“ Parker machte sich mit höflicher Stimme bemerkbar und ging ihr nach. Die Frau mit dem dunkelroten Haar drehte sich um und sah ihn fragend an.

Erst jetzt merkte Josuah Parker, daß er sich geirrt hatte. Diese Frau war nicht Kathy Porter! Sie glich ihr nur auf eine geradezu irritierende Art und Weise. Nur die Länge ihrer Beine wurde ihm jetzt nachträglich bewußt, sie fehlte bei dieser Frau.

„Ich bitte um Entschuldigung, Madam“, bat Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. „Ich unterlag dem, was man gemeinhin eine Täuschung nennt.“

„Schon gut“, erwiderte die Frau, die vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt war und ein hart geschnittenes Gesicht besaß. „Schon gut, Mann.“

Sie hatte es augenscheinlich sehr eilig, sah zur Treppe und den Fahrstühlen hinüber, drückte die Glastür auf und klapperte dann mit ihren Absätzen schnell über den Korridor. Sie trug, was Parker nebenbei registrierte, eine kleine Schultertasche, die allerdings vollgestopft war.

Parker bemerkte das etwas spöttische Lächeln der diensttuenden Schwester am Empfang. Die ältere Frau dachte wohl, er habe sich eine Abfuhr geholt, schaute dann aber wieder sehr bemüht auf ihr Journal mit der Liste der Patienten.

Parker ignorierte die Schwester, begab sich zum Aufzug und fuhr hinauf in die zweite Etage, wo Kathy Porter sich aufgehalten hatte. Als er ausstieg, stieß er auf drei junge Schwestern, die sich aufgeregt miteinander unterhielten.

„Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, meine Damen“, begann der Butler und grüßte höflich. „Ist Ihnen möglicherweise eine junge, rothaarige Dame aufgefallen?“

„Natürlich“, erwiderte eine der drei Jungschwestern, „darüber unterhalten wir uns ja gerade.“

„Wie anregend, dies zu hören.“

„Sie soll angeblich die Masern gehabt haben“, sagte die zweite Jungschwester.

„Nun sehen Sie meine bescheidene Wenigkeit leicht verblüfft.“

„Behauptete wenigstens der Mann, der zusammen mit ihr in den Fahrstuhl ging“, fügte die dritte Jungschwester hinzu. „Besucher haben uns das eben mitgeteilt. Sie durften nicht mit hinunterfahren.“

„Ein junger Mann also, Masern und eine rothaarige Dame“, memorierte der Butler halblaut, drehte sich um und betrat sofort wieder den Fahrstuhl. Als die Tür sich geschlossen hatte, drückte er den Knopf für das Kellergeschoß.

Ihm war ein schrecklicher Verdacht gekommen!

*

Kathy Porter fühlte sich hundeelend.

In ihrem Mund war ein widerlich-pelziger Geschmack nach süßlichem Chloroform. Sie hatte heftige Kopfschmerzen, wollte sich aufrichten und merkte erst jetzt, daß man sie auf einer Trage festgeschnallt hatte. Sie schaute sich um und brauchte einige Augenblicke, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden.

Die junge Dame befand sich in einem Krankenwagen, der in normaler Fahrt durch die Straßen von London fuhr. Neben ihr saß ein Mann in weißem Arztkittel und rauchte eine Zigarette. Er hatte gemerkt, daß Kathy wach geworden war, beugte sich über sie und blies ihr den Rauch ins Gesicht.

Kathy hustete und fühlte sich noch schlechter.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte sie, einen Brechreiz nur mühsam unterdrückend.

„Weißt du doch, Hübsche“, meinte der Mann. „Spezialoperation.“

Er schien sein Stichwort für einen besonders gelungenen Witz zu halten und lachte ironisch.

„Wohin bringen Sie mich?“ stellte Kathy ihre nächste Frage.

„Weißt du auch, Hübsche.“ Der Mann lehnte sich zurück und rauchte weiter. „Nutz’ die Zeit und laß’ dir ’ne prima Ausrede einfallen!“

Natürlich lag hier eine Verwechslung vor, daran zweifelte Kathy nicht einen Moment. Aber wie sollte sie das diesem Mann beibringen? Er würde ihr ja doch kein Wort glauben. Sie legte den Kopf zur Seite und schaute nach oben. Sie hoffte herauszubekommen, wohin man sie brachte. Die Milchglasscheiben des Krankenwagens hatten am oberen Rand Sichtschlitze.

„Der Boß ist ziemlich sauer auf dich, Süße“, ließ der Mann im Arztkittel sich wieder vernehmen.

„Ich bin mir keiner Schuld bewußt“, erwiderte Kathy Porter automatisch.

„Mach’ ihm das klar, Hübsche. Hoffentlich klappt’s.“

„Ich habe damit nichts zu tun“, stieß Kathy nach. Sie wollte möglichst viel erfahren. Ihr Interesse war verständlicherweise geweckt worden. Diese Entführung bewies, daß es sich um einen keineswegs harmlosen Fall handelte.

„Schieb’s von mir aus auf Harry“, antwortete der Mann neben der Trage und lächelte spöttisch.

„Warum haltet ihr euch nicht an Harry?“ fragte Kathy weiter.

„Der kommt auch noch dran, sobald er transportfähig ist“, beruhigte der Mann sie und nickte nachdrücklich. „Bei uns kommt jeder dran, Hübsche, aber das solltest du doch wissen.“

„Ich bin unschuldig. Ehrlich!“

„Und warum hast du dann nicht Alarm geschlagen?“ erkundigte sich ihr Begleiter. „Zeit genug hattest du doch. Nee, Hübsche, ihr wolltet mit der Ware abhauen. Geschäft auf eigene Rechnung, wie? Und beinahe hätt’ das ja auch hingehauen, wenn der Laster nicht gewesen wäre.“

Kathy hatte keine Ahnung, worum es ging und was sich ereignet hatte, aber sie ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Sie spielte ihre Rolle geschickt weiter, obwohl ihr immer noch schlecht war.

„Harry hat mich gezwungen“, behauptete sie also und war gespannt, wie die Reaktion jetzt ausfallen würde.

„Natürlich hat der Trottel dich gezwungen. Ausgerechnet dich!“ Der Mann im weißen Arztkittel grinste abfällig. „Wenn du auf die Tour reisen willst, seh’ ich schwarz für dich, Hübsche. Jeder weiß doch, was mit euch los ist.“

Kathy Porter hielt es für angebracht, vorerst keine weiteren Fragen zu stellen. Sie befand sich auf sehr dünnem Eis. Jede weitere Frage konnte den vorzeitigen Einbruch bedeuten. Früher oder später würde man natürlich herausfinden, daß sie mit der erwähnten Helen nicht identisch war. Dann aber war immer noch Zeit genug, sich etwas einfallen zu lassen. Kathy Porter war kein ängstliches Mädchen. Sie wußte sich ihrer Haut zu wehren.

Zudem setzte sie natürlich wieder mal auf Lady Agatha und Butler Parker.

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, daß sie bereits vermißt wurde. Hoffentlich fanden Mylady und Parker schnell eine Spur, um ihr beistehen zu können.

Die Fahrt im Krankenwagen war plötzlich beendet.

Nach einer scharfen Rechtskurve rollte der Wagen in eine Halle, von der Kathy nur das Glasdach sehen konnte.

„In deiner Haut möcht’ ich jetzt nicht stecken“, sagte der Mann neben ihr und schob sich auf die Seitentür zu. „Du weißt ja, wie schnell der Boß sich aufregt.“

Der junge Mann, der sie im Krankenhaus mit der schallgedämpften Waffe abgefangen hatte, und der Mann im weißen Arztkittel zogen die Trage aus dem Wagen und trugen Kathy Porter dann tatsächlich durch eine kleine Halle. Bei dieser Gelegenheit verrutschte die Decke, die man über Kathy gebreitet hatte.

Erst jetzt merkte sie, daß man sie während ihrer Ohnmacht ausgezogen hatte.

Sie war bis auf ihre spärliche Unterwäsche nackt.

*

Der Mann stand noch unter einem schweren Schock.

Er war niedergeschossen worden. Das Geschoß hatte ihn an der linken Hüfte getroffen. Nachdem Parker ihm im Kellergeschoß des Spitals entdeckt hatte, wurde der Verwundete hier unten an Ort und Stelle ärztlich versorgt.

Der Angestellte hatte nicht viel zu berichten.

Er blieb in einer Art Trance und erwähnte immer nur die rothaarige Frau auf der Trage, wie er sich ausdrückte. Mehr war im Augenblick nicht aus ihm herauszubekommen. Parker überließ ihn den Ärzten und Krankenschwestern und ging in den Innenhof des Krankenhauses. Nach wenigen Minuten wußte er, daß einer der hier abgestellten Krankenwagen fehlte. Der Leiter des Wagenparks stand vor einem Rätsel, er wußte dazu nichts zu sagen.

Josuah Parker riet dem konsternierten Mann, umgehend die Polizei zu verständigen und begab sich dann zurück zu Lady Agatha. Die resolute Dame marschierte bereits leicht gereizt vor Parkers hochbeinigem Wagen auf und ab und maß ihn mit grimmigen Blicken.

„Sie sind jetzt ebenfalls seit genau zwölfeinhalb Minuten unterwegs“, stellte sie mit gefährlich leiser Stimme fest. „Hoffentlich bekomme ich eine einigermaßen gute Ausrede zu hören, Mister Parker.“

„Miß Porter dürfte nach Lage der Dinge gekidnappt worden sein“, antwortete der Butler. „Sind Mylady mit dieser Erklärung zufrieden?“

„Das ist ja wunderbar!“ Agatha Simpsons Augen glänzten augenblicklich, ihr Gesicht nahm einen unternehmungslustigen Ausdruck an. Sie witterte einen Fall!

„Miß Porter denkt möglicherweise anders darüber, Mylady“, redete der Butler weiter. „Die Kidnapper scheuten sich nicht, einen Angestellten des Spitals niederzuschießen. Demnach dürfte man es mit Gangstern zu tun haben.“

„Das möchte ich aber auch sehr hoffen“, sagte Lady Agatha grimmig und freudig zugleich. „Und wo finden wir diese Strolche? Ich hoffe, Sie haben das inzwischen bereits ermittelt.“

„Ich fürchte, Mylady enttäuschen zu müssen.“

„Was soll das heißen?“

„Nach meinen ersten Ermittlungen, Mylady, wurde Miß Porter in einem Krankenwagen verschleppt. Dessen Standort ließ sich leider noch nicht ausfindig machen.“

„Dann sollten wir uns sofort an die Arbeit begeben, Mister Parker.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Worauf warten wir noch?“ Sie sah ihn flammend an und wirkte wie ein reichlich fülliges und angejahrtes Rennpferd vor dem Start.

„Auf das, Mylady, was man gemeinhin eine Eingebung nennt“, gestand Josuah Parker. „Zu meinem Leidwesen sehe ich mich zur Zeit außerstande zu sagen, wo man den sprichwörtlichen Hebel ansetzen könnte.“

„Kathy befindet sich unter Umständen in Lebensgefahr“, stellte Lady Agatha vorwurfsvoll fest.

„Dieser Tatsache, Mylady, bin ich mir durchaus bewußt.“

„Dann unternehmen Sie endlich etwas!“ Sie sah ihn mehr als vorwurfsvoll an und stampfte mit dem Fuß auf das Pflaster.

„Myladys Wunsch ist meiner bescheidenen Wenigkeit Befehl“, antwortete Josuah Parker, dem plötzlich eine Idee gekommen war. Er besann sich auf die rothaarige Frau, die er in der Empfangshalle des Spitals gesehen und mit Kathy Porter verwechselt hatte. War diese Frau vielleicht der Schlüssel zu Kathys Entführung?

Automatisch lüftete er seine schwarze Melone, bevor er sich umdrehte und noch mal zurück in die Empfangshalle ging. Bei der ältlichen Krankenschwester am Empfang erkundigte Parker sich nach der rothaarigen Dame, die er auf den ersten und zweiten Blick hin mit Kathy Porter verwechselt hatte.

Erfreulicherweise wurde er fündig.

Die Krankenschwester, von Parkers Höflichkeit jetzt sehr beeindruckt und von seinen lauteren Absichten überzeugt’, schickte den Butler hinauf in die zweite Etage. Ihrer Erinnerung nach hatte die rothaarige Dame sich nach einem gewissen Harry Lancing erkundigt.

„Mister Harry Lancing“, bestätigte Parker und nickte bedeutungsschwer, „es handelte sich wahrscheinlich um den Blinddarm, nicht wahr?“

„Um einen Lastwagen“, korrigierte ihn die immer noch beeindruckte Krankenschwester, „er wurde davon nämlich überrollt.“

„Nannte die Besucherin zufälligerweise ihren Namen?“ stellte der Butler seine nächste Frage.

„Jetzt muß ich leider passen“, gab die Schwester bedauernd zurück, „aber der Patient wird ihn ja wahrscheinlich kennen, finden Sie nicht auch, Sir?“

„Ein bemerkenswerter Schluß“, lobte der Butler die Dame hinter dem Auskunftstisch, „zwingender könnte Logik gar nicht sein. Nehmen Sie meinen allerherzlichsten Dank in Empfang!“

Sie errötete sanft und verfolgte den Butler mit ihren Blicken, nachdem sie ihm noch die Zimmernummer Harry Lancings genannt hatte.

Parker beeilte sich, diesem Mann seine Aufwartung zu machen. Er war sicher, auf einer wichtigen und heißen Spur zu sein. Als er dann wenige Minuten später im genannten Zimmer vor dem Bett des Patienten stand, schwand diese Sicherheit.

Harry Lancing war nämlich nicht mehr in der Lage, mit irgendwelchen Auskünften zu dienen. Er war tot und konnte nicht mehr reden.

*

Kathy Porter kam sich sehr hilflos vor.

Nach wie vor angeschnallt auf der Krankentrage, sah sie sich umgeben von etwa zwei Dutzend junger Damen, von denen sie schweigend angestarrt wurde. Diese schlanken Vertreterinnen ihres Geschlechts waren restlos entkleidet und nackt. Bis auf einige Ausnahmen, wie sie dann später entdeckte. Einige der Damen trugen knappe Höschen oder auch nur Schuhe.

Kathy machte sich erst gar nicht die Mühe, diesen Damen Fragen zu stellen, mit Antworten war ohnehin nicht zu rechnen. Die Damen waren Kunststoff-Mannequins, Schaufensterpuppen von aparter Schönheit Sie standen verteilt in dem großen Raum, in dem man Kathy Porter abgestellt hatte.

Schritte waren zu hören.

Kathy sah zu der Eisentür hinüber, durch die die beiden Träger verschwunden waren. Sie wurde jetzt geöffnet, die Träger kehrten zurück. In ihrer Begleitung befand sich ein mittelgroßer, rundlicher Mann von etwa vierzig Jahren, der bereits über eine beachtliche Tonsur verfügte. Sein Haar war oben auf dem Kopf mehr als stark gelichtet und bildete eine Glatze.

Dieser Mann blieb wie angewurzelt stehen, nachdem er auf Kathy einen schnellen und prüfenden Blick geworfen hatte. Dann wandte er sich an die beiden Träger.

„Ihr Idioten!“ Er sagte es in schneidendem Ton.

„Wieso denn?“ wollte der schlanke, junge Mann wissen, dessen Augen grünlich schimmerten.

„Das ist sie nicht!“

„Das ist Helen Winters“, behauptete der Mann im weißen Arztkittel nervös.

„Das ist sie nicht“, wiederholte der Dickliche entschieden. „Ihr hättet euch das Foto besser ansehen sollen.“

„Aber die roten Haare“, wehrte sich der junge Killer.

„Eben“, stieß der Dickliche wütend hervor, „nur daran habt ihr blöden Hunde euch gehalten. Seht zu, wie ihr das wieder hinbekommt!“

„Was denn?“ wollte die Arztimitation wissen.

„Wie ihr die Kleine wieder los werdet“, entschied der Dicke. „Ich rufe inzwischen den Boß an.“

„Moment mal, Melvin“, schaltete der junge Mann sich ein, „die können wir doch nicht wieder raus in den Verkehr schicken.“

„Genau das habe ich gerade gemeint“, entschied der Dickliche erneut nachdrücklich. „Packt sie meinetwegen in den Krankenwagen und stellt die Karre irgendwo ab! Aber mit ’ner Toten auf der Trage, habe ich mich jetzt genau genug ausgedrückt?“

Die beiden Killer sahen sich kurz an und nickten, während der Dickliche wieder das Feld räumte. Er schien ärgerlich zu sein, denn er schmetterte die Eisentür laut hinter sich ins Schloß.

Kathy Porter hatte sich absichtlich ruhig verhalten und wußte nun mit letzter Deutlichkeit, was man mit ihr plante. Sie war zu einer unbequemen Zeugin geworden und sollte aus dem Weg geräumt werden. Der von dem Dicklichen vorgeschlagene Mord schien den beiden Männern überhaupt nichts auszumachen.

Sie bauten sich neben der Trage auf, und sahen zu ihr hinunter. Kathy bückte zu ihnen empor, ängstlich, scheu wie ein Reh, bebend vor Angst. Sie konzentrierte sich instinktiv auf den jungen Mann, der sich nervös die Lippen leckte.

„Bitte“, sagte Kathy zu ihm und produzierte gekonnt einige dicke Tränen.

„Dein Pech, Hübsche“, erwiderte der junge Mann entschlossen.

„Ich werde Ihnen ewig dankbar sein“, behauptet Kathy und versuchte sich aufzurichten. Dabei bemühte sie sich, ihm ihre volle und feste Brust zu zeigen. Sie hoffte, daß er dieses Signal verstand.

„Man braucht ja nicht gerade alles zu überstürzen“, meinte der junge Mann beeindruckt und wandte sich an seinen Begleiter, der nur grinste. „Helen ist uns ohnehin durch die Lappen gegangen. Wir haben also reichlich Zeit.“

„Melvin wird vor Wut schäumen“, mahnte der Mann im weißen Arztkittel.

„Melvin kann mich mal“, brauste der junge Mann auf.

„Okay, ich geh’ zu ihm rüber“, sagte der ältere Mann im weißen Arztkittel. „Zehn Minuten müßten für ihre ewige Dankbarkeit wohl reichen, oder?“

„Ich geb’ dir ’ne Chance, Hübsche“, sagte der junge Mann, als er mit Kathy Porter allein war, „aber dafür erwarte ich was von dir, klar?“

„Alles!“, schluchzte Kathy.

Er beugte sich zu ihr hinunter und löste die stramm gezogenen, breiten Riemen, die ihre Unter- und Oberschenkel auf der schmalen Trage festhielten.

„Ich könnte Sie umarmen“, schlug Kathy vor. Sie schluchzte vor Dankbarkeit auf, war hilflos und wehrlos. Dicke Tränen schimmerten in ihren Augen.

„Tu’s doch“, sagte der Killer, der sich sicher fühlte und mit leichter Beute rechnete. Er schnallte den breiten Riemen los, der über Kathys Leib gespannt war, und löste die beiden schmäleren Riemen an ihren Handgelenken.

Kathy beging nun keineswegs den Fehler, sofort aktiv zu werden. Dazu waren ihre Glieder zu sehr abgestorben. Sie brauchte noch einige Minuten, bis sie tätig werden konnte.

Diese Minuten nutzte der Killer.

Er kam sofort nachdrücklich zur Sache, riß Kathys Büstenhalter von ihrem Oberkörper und warf sich auf sie. Er rechnete fest mit ihrer grenzenlosen Dankbarkeit und erlebte eine grausame Enttäuschung. Kathy hatte nämlich etwas dagegen, von ihm bedrängt zu werden und schätzte es überhaupt nicht, daß er nach ihren Brüsten griff und dann noch zudringlicher werden wollte. Zuerst umschlang sie ihn zwar mit ihren Armen und schien seine Nähe zu suchen, dann jedoch schlug sie mit beiden Handkanten kurz und energisch zu.

Der Killer blieb unbeweglich auf ihr liegen, zeigte aber kein Temperament mehr. Von einem plötzlichen Schlafbedürfnis erfaßt, sank er in einen Zustand, der einer echten Ohnmacht glich.

Kathy stieß den Killer von sich, richtete sich auf und suchte erst mal nach der Waffe des Mannes. Sie fand sie in seinem Schulterhalfter. Der Schalldämpfer war abgeschraubt worden und nicht zu entdecken, worüber Kathy aber nicht in Panik geriet. Hauptsache, die Waffe war geladen und schußbereit.

Sie hob horchend den Kopf und sah zur Tür hinüber, hinter der jetzt schnelle Schritte zu hören waren.

Die Arztimitation und der dickliche Mann kehrten zurück. Wahrscheinlich wollten sie das zärtliche Zusammensein empfindlich stören. Kathy schaute sich um, huschte dann hinüber zu den Schaufensterpuppen und ging hier erst mal in Deckung.

Eine Flucht zurück in die glasüberdachte Halle hätte zu viel Zeit gekostet und die Gangster nur animiert, aus allen Rohren auf sie zu schießen.

Die Eisentür öffnete sich, die beiden Männer stürmten herein, blieben kurz stehen und rannten dann auf den ohnmächtigen Killer zu, der seitlich neben der Trage lag.

„Das verdammte Miststück“, schimpfte der dickliche Melvin. „Los, Richie, lauf rüber in die Halle, weit kann sie noch nicht sein! Das Tor ist immerhin abgeschlossen.“

Der Mann im weißen Kittel rannte los, während Melvin sich um den jungen Killer kümmerte. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß sein Opfer sich noch in dem großen Raum aufhielt.

Kathy hätte keine Schwierigkeiten gehabt, den Dicklichen niederzuschießen. Er hockte neben der Trage und bot sich an wie auf einem Präsentierteller. Doch Kathy brachte es nicht über sich, die Waffe in ihrer Hand abzudrücken. Kaltblütiger Mord war nicht ihr Metier. Wenn es sein mußte, wußte sie sich zu verteidigen, das durchaus, aber hier brauchte sie einen Anlaß unmittelbarer Art.

Hinzu kam Richie, der jeden Augenblick wieder auftauchen konnte. Hörte er einen Schuß, wußte er mit Sicherheit, was sich hier abspielte. Dann war dieser Killer vorgewarnt und würde sich keine Blöße geben. Nein, Kathy entschloß sich, bis zur Rückkehr dieses Mann zu warten. Erst dann konnte sie etwas unternehmen.

Er kam sehr schnell zurück.

„Nicht zu sehen“, meldete er nervös.

„Die Kleine muß doch hier sein, Melvin.“

Während der Mann noch redete und seinen Verdacht äußerte, drehte er sich um und musterte die Schaufensterpuppen. Sie sahen ihn schweigend an, unbeteiligt und graziös aussehend. Sie hatten ihre Arme angewinkelt und posierten auf eine unwirkliche Art und Weise.

Kathy posierte übrigens mit.

Den Arm mit der Schußwaffe auf den Rücken gedreht, hatte sie die linke Hand vorgestreckt, den rechten Fuß elegant vorgeschoben. Sie war von den leblosen Schaufensterpuppen einfach nicht zu unterscheiden. Was für die biegsame Schlankheit und Grazie ihrer Körperlinien sprach. Sie hatte nur Angst, daß ihre Brust sie verraten würde, selbst wenn sie die Atmung für einige Sekunden einstellte. Da waren doch ein paar sehr ausgeprägte Unterschiede. Sie konnte nur hoffen, daß die beiden Gangster nicht zu schnell stutzig wurden.

*

„Die Todesursache des Mister Harry Lancing, Mylady, ließ sich aus Zeitgründen leider nicht eruieren“, berichtete der Butler, als er wieder vor seiner Herrin stand. „Ich nahm mir allerdings die Freiheit, ein wenig in den Habseligkeiten des Verblichenen zu suchen.“

„Ich will doch sehr hoffen, daß Sie etwas gefunden haben, Mister Parker.“

„Mylady könnten in etwa zwanzig Minuten in der Wohnung des verstorbenen Mister Lancing sein. Seine Adresse ist mir bekannt.“

„Und was sollen wir dort? Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Haben Sie vergessen, daß Kathy entführt worden ist?“

„Keineswegs, Mylady“, gab der Butler gemessen zurück und öffnete den hinteren Wagenschlag, damit Lady Simpson einsteigen konnte, „aber der erwähnte und verblichene Mister Lancing ist im Moment die einzig greifbare Spur, die ich Mylady anbieten kann. Einzelheiten werde ich Mylady während der Fahrt unterbreiten.“

Was der Butler dann auch ausreichend besorgte, während er sein hochbeiniges Monstrum durch die City bugsierte. Parker berichtete seiner kriegerischen Chefin von der Doppelgängerin Kathy Porters, von deren Besuch bei Harry Lancing, und gab seiner Vermutung Ausdruck, Kathy sei statt dieser anderen, rothaarigen Dame entführt worden.

„Dann ist Harry Lancing von den beiden Kidnappern ermordet worden“, entschied Lady Agatha mit letzter Sicherheit. „Ich spüre das in meinen Fingerspitzen, Mister Parker.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker vertrat ebenfalls diese Ansicht, ließ sich darüber aber nicht weiter aus, um Myladys Phantasie nicht unnötig anzuheizen.

„Ein sehr guter Anfang für meinen nächsten Kriminalroman“, stellte Agatha Simpson fest. „Merken Sie sich die Einzelheiten, Mister Parker!“

„Sehr wohl, Mylady“, gab Parker zurück und unterdrückte einen Seufzer.

Die schriftstellernde Detektivin hatte ihren ersten Roman noch nicht verkauft, aber schon dachte sie an den zweiten. Sie schien ihr jüngstes Hobby sehr ernst zu nehmen. Und was das bedeutete, hatte Parker bereits erfahren. Das Haus der Lady Simpson in Shepherd’s Market glich seit einigen Wochen einer Zweigstelle der kommunalen Bücherei. Die Hausherrin hatte sich tonnenweise Fach- und Sachliteratur ins Haus kommen lassen und dachte nicht im Traum daran, diese Bücher zu lesen. Das übertrug sie ihrem Butler, den sie übrigens stets mit Mister Parker anredete. Ihr tiefer Respekt vor den Fähigkeiten ihres Butlers ließ keine andere Anrede zu.

„Haben Sie schon eine Vorstellung, um was es in diesem Fall gehen könnte?“ fragte sie über die Bordsprechanlage nach vorn.

„Ich bedaure, Mylady, verneinen zu müssen.“

„Sehr enttäuschend, Mister Parker“, grollte die ältere Dame. „Warum ermordet man einen Patienten im Krankenhaus und entführt seine Besucherin? Kathy war ja für die beiden Strolche nur ein Mißgriff.“

„Hoffentlich, Mylady, wenn ich es so ausdrücken darf, hoffentlich hat Kathy Porter sich inzwischen tatsächlich als ein arger Mißgriff für die beiden Gangster herausgestellt.“

„Lenken Sie nicht vom Thema ab“, erwiderte sie grimmig. „Warum könnten die beiden Killer gemordet und entführt haben? Rauschgift?“

„Ein Motiv, Mylady, das für eine Ermordung stark genug sein dürfte. Falls es sich um Mord handelt.“

„Mord oder nicht, Mister Parker, die Entführung bleibt. Hören wir, was Kathy zu sagen hat“, meinte Lady Simpson, als sei es für sie selbstverständlich, daß ihre Gesellschafterin und Sekretärin es wieder mal schaffen würde, sich ihrer Haut zu wehren. „Wohin fahren wir eigentlich, Mister Parker?“

„In die Lambeth Road, Mylady. Der verblichene Mister Lancing betrieb dort nach seinen Papieren, die ich vorfand, eine kleine Zoohandlung.“

„Sehr interessant“, gab Lady Agatha zurück, wobei ihre Stimme allerdings leicht enttäuscht klang. „Eine Tierhandlung, also?“

„In der Tat, Mylady.“

„Finden Sie wirklich, Mister Parker?“ wunderte sich Lady Agatha. „Was könnte man als Schriftsteller daraus machen?“

„Ich würde mich niemals erfrechen, Mylady, mit Vorschlägen aufzuwarten, dazu reicht meine bescheidene Vorstellungskraft nicht aus.“

„Das stimmt allerdings“, räumte Lady Agatha selbstzufrieden ein. „Ich glaube, daß diese Tierhandlung die Zentrale einer Gangsterorganisation ist. Wie finden Sie das?“

„Bemerkenswert, Mylady.“

„Nicht wahr?“ Agatha Simpson nickte zufrieden. „Und dort werden wir auch Kathy finden. Mein Gefühl sagt mir das deutlich. Als Schriftstellerin hat man eben eine bestimmte Sensibilität, aber davon verstehen Sie ja nichts.“

„Wie Mylady meinen“, murmelte der Butler und hoffte, daß Lady Agathas Optimismus sich erfüllte. Er sorgte sich nämlich um Kathy Porter und war keineswegs der Ansicht, sie in der Tierhandlung zu finden.

*

Der dickliche Gangster Melvin hatte zur Kenntnis genommen, daß sein Opfer sich noch im Raum befand. Er blickte hinüber zu den Schaufensterpuppen und hatte eine Eingebung.

„War die Kleine nicht so gut wie nackt?“ fragte er Richie, den Killer im weißen Arztkittel.

„Klar, war sie.“

„Dann muß sie dort sein, Richie, sieh’ nach!“ Er deutete auf die Mannequins aus Kunststoff und lächelte verkniffen.

„Klar, das ist es, Melvin“, sagte Richie, „genau das ist es!“

Er näherte sich den Schaufensterpuppen und begann mit seiner Inspektion, die er sich recht einfach machte. Er ging die lebensgroßen Puppen der Reihe nach ab und faßte an ihre Brüste. Dabei lächelte er.

Kathy hatte den richtigen Moment verpaßt, zum Angriff überzugehen. Melvin sah zu ihr herüber. Sie wagte kaum zu atmen und hatte das Gefühl, bereits durchschaut worden zu sein. Der Gangster wollte mit ihr nur Katz’ und Maus spielen.

Dennoch steckte sie nicht auf. Da war immer noch ein Funke Hoffnung, obwohl Richie bereits die erste Reihe der Schaufensterpuppen abgetastet hatte. Er näherte sich der zweiten Reihe, hinter der Kathy stand.

„Ich komm’ mir vor wie in ’nem Harem“, rief Richie seinem Partner Melvin zu. Er stand vor einer Puppe, tätschelte deren Brüste und Po und arbeitete sich dann weiter durch die Reihe. Er schien diese Suche auf die leichte Schulter zu nehmen. Wahrscheinlich traute er der entführten jungen Dame nicht viel an Gegenwehr zu. Beide Gangster hatten bisher übersehen, daß der noch immer ohnmächtige junge Killer keine Waffe mehr besaß.

Kathy wurde es heiß und kalt unter der nackten Haut, als Richie mit ihrer Reihe begann.

Sie verdrehte die Augen nach oben zur Decke und hörte das Näherkommen seiner Schritte, dann seinen schnaufenden Atem. Er war nur noch wenige Puppen von ihr entfernt. Kathy konzentrierte sich auf ihre Pose, stellte die Atmung ein und wurde starr wie eine Statue. In den nächsten Sekunden mußte es zum Kontakt kommen.

Er stand seitlich neben ihr, streckte seine Hand nach ihrer nackten Brust aus und … nahm dann den Kopf herum. Sein junger Partner war gerade zu sich gekommen und hatte sich aufgerichtet. Dieses Geräusch hatte Richie abgelenkt.

Kathy fackelte nicht lange.

Sie schlug blitzschnell mit dem Lauf der Schußwaffe zu, traf die Schläfe des Gangsters und erstarrte dann wieder zur Unbeweglichkeit. Richie fiel zur Seite, stöhnte auf und rammte die erste Schaufensterpuppe, die prompt umkippte.

Eine Kettenreaktion setzte ein.

Die erste Puppe brachte die nächste aus dem Gleichgewicht. Und diese wiederum die beiden anderen rechts von ihr. Zuerst geschah das in einer Art Zeitlupentempo, doch dann kippten die künstlichen Mannequins reihenweise um und landeten krachend auf dem Boden.

Der dickliche Melvin war zur Seite gesprungen und starrte auf den Massensturz der künstlichen Damen, war sichtlich irritiert und vermißte seinen Freund Richie, der unter einigen Mannequins lag und sich verständlicherweise nicht rührte.

Kathy schwitzte Blut und Wasser.

Richie hatte ungewollt all jene Puppen niedergestreckt, die ihr eine Art Sichtschutz gewährt hatten. Nun war sie den Blicken des Gangsters ausgeliefert, der seine Waffe – einen kurzläufigen Revolver – schußbereit in der linken Hand hielt. Die Augen des Gangsters blieben an ihr haften, Kathy fühlte sich durchschaut und erwartete, daß der Mann abdrückte.

Sie behielt die Nerven, zuckte mit keiner Wimper, hielt ihre Position durch und ließ es darauf ankommen.

Melvin marschierte um die gefallenen Mädchen herum und näherte sich Kathy. Er mußte sie erkannt haben, ein böses und auch erwartungsvolles Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Zudem hob er die Schußwaffe Zentimeter um Zentimeter und richtete den kurzen Lauf auf ihren Leib. Kathy durfte ihn nicht direkt ansehen, zu ihrer Pose gehörte es, die Decke wie hypnotisiert anzustarren.

„Steck’ endlich auf, Süße“, sagte Melvin und kam immer näher. „Ich hab’ dich erkannt.“

Er stand jetzt knapp vor ihr und streckte seine freie Hand nach ihrer Brust aus.

Kathy hatte noch mal vorsichtig eingeatmet, hielt dann die Luft an und brauchte noch einige wertvolle Sekunden, um ihren Plan durchzuführen.

Die schwitzende Hand des Gangsters legte sich auf ihre Brust. Jetzt mußte der Mann wissen, daß er es mit einer sehr lebendigen Frau zu tun hatte.

Genau in diesem Moment trat Kathy geschickt nach hinten aus, ohne dabei ihre Position aufzugeben. Durchtrainiert wie sie war, schaffte sie es.

Ihr Fuß traf eine hinter ihr aufgestellte Schaufensterpuppe, die sofort umkippte.

Das irritierte den dicklichen Gangster.

Er fühlte sich überlistet, sprang zur Seite und sah auf die umstürzende Puppe.

Kathy war plötzlich nicht mehr das sanfte und scheue Reh. Sie warf sich zur Seite, entging einem Schuß und schlug mit ihrem hochschnellenden Fuß unter den Arm des Mannes, der daraufhin die Waffe verlor.

Melvin brüllte vor Wut auf, stürzte sich auf Kathy, hechtete förmlich auf sie und landete auf dem Boden. Kathy hatte sich blitzschnell seitlich weggerollt und verlor dabei leider ihre Beutewaffe. Sie hielt sich nicht mit der Suche nach dieser Waffe auf, sondern ergriff eine Schaufensterpuppe und benutzte sie als Schlaginstrument.

Als Melvin wieder hochkam, landete sie ihren ersten Treffer.

Es kam zu einem intensiven Kuß. Die Puppe berührte mit ihren harten Kunststofflippen den vollen Mund des Mannes, der diesem Kuß nicht gewachsen war. Melvin heulte auf, faßte nach dem schmerzenden Mund, sackte zurück und kassierte den nächsten Treffer.

Kathy legte ihm die Puppe vor die Brust. Melvin keuchte, schnappte nach Luft, rutschte zurück auf den Boden und wurde dann von der Puppe innig umarmt. Kathy hatte dafür gesorgt und setzte den Gangster endgültig außer Gefecht. Melvin blieb ruhig auf dem Boden liegen.

Dafür schaltete sich jetzt der junge Gangster ein. Gewiß, er verfügte nicht über eine Schußwaffe, aber er war erfahren in der Kunst des Karate, wie sich zeigte. Er sprang über einige gefallene Mädchen und ging sofort zum Angriff über. Mit angewinkelten und vorgestreckten Armen pirschte er sich an Kathy heran. Seine grünlich schimmernden Augen bestanden nur noch aus Haß und Vernichtungswillen.

Kathy brachte sich erst mal in Sicherheit und flüchtete zurück zu den noch stehenden Puppen.

Der junge Gangster war dicht hinter ihr, hechtete sich auf sie und landete zwischen einigen Mannequins, die von Kathy umgeworfen worden waren. Der Mann verhedderte sich in Beinen und Armen aus Kunststoff, verlor ein wenig die Übersicht und war frustriert, als er plötzlich einen einsamen Frauenkopf in Händen hielt. Dieser Kopf hatte sich vom Rumpf einer Kunststoffdame gelöst.

Kathy hatte bereits die Tür erreicht, durch die Melvin gekommen war.

Sie riß sie auf, donnerte sie hinter sich zu und entdeckte den Schlüssel im Schloß.

Sie schaffte es in letzter Sekunde.

Als auf der anderen Seite der Tür die Klinke heruntergeschmettert wurde, war die Tür gesichert. Der Mann rammte in hilfloser Wut gegen das Eisenblech, vermochte jedoch nichts auszurichten. Kathy orientierte sich und rannte dann durch einen langen Gang, der vor einer Betontreppe endete.

Sie hastete über die Stufen nach oben und stand in einer großen Halle, die mit Kisten vollgestopft war. Zögernd ging sie weiter, unsicher, welchen Weg sie wählen sollte. Sie rechnete mit neuen Überraschungen und sollte prompt auf ihre Rechnung kommen.

Sie fand eine Tür, öffnete sie zögernd und trat hinaus auf einen Dachgarten.

Irritiert fuhr sie herum, als Sekunden später ein begeistertes Pfeifen zu hören war.

Nur einen Sprung vom Rand des Dachgartens entfernt befand sich ein Baugerüst, auf dem Anstreicher standen, die mit Sandstrahlgebläsen eine Fassade säuberten.

Die Arbeiter waren mit der unverhofften Abwechslung durchaus einverstanden, denn Kathy sah in ihrer mehr als sparsamen Bekleidung attraktiv und einladend aus. Die Männer winkten ihr und hatten berechtigten Spaß an dieser unverhofften Einlage.

Kathy zögerte nicht lange, winkte zurück und deutete auf eine der vielen Bohlen, die auf dem Gerüst lagen.

Zwei Arbeiter verstanden augenblicklich, packten die Bohle und schoben sie vom Gerüst aus hinüber auf den Rand des Dachgartens. Kathy breitete die Arme aus, balancierte sich aus und schritt dann über die Bohle hinüber auf das Baugerüst. Dabei vermied sie es, hinunter in den schmalen Innenhof zu sehen. Es interessierte sie überhaupt nicht, wie tief dieser Hof war.

„Wie kommt denn dieser Glanz in unsere Hütte?“, fragte einer der stämmigen Bauarbeiter, als Kathy das Gerüst erreichte. Er maß sie ungeniert mit seinen Blicken und zwinkerte ihr zu. Es war ein freundliches Zwinkern ohne Hintergedanken.

„Ich glaube, ich habe mich verlaufen“, sagte Kathy ausweichend.

„Macht ja nichts“, meinte ein zweiter Bauarbeiter. „Wenn du willst, bringen wir dich auf den rechten Weg zurück.“

„Aber nur, wenn du willst“, sagte der erste Bauarbeiter schnell. „Tu’ deinen Gefühlen bloß keinen Zwang an!“

*

Die Tür zur Tierhandlung war verschlossen.

Josuah Parker hatte keine Bedenken, sein kleines Spezialbesteck zu bemühen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das einfache Schloß den Widerstand aufgab. Parker öffnete die Tür und fuhr zurück, als ohrenbetäubendes Schnattern und Krächzen ihm entgegenschlug.

„Worauf warten Sie noch, Mister Parker?“ raunzte Agatha Simpson ihren Butler an.

„Vielleicht möchten Mylady den Vortritt haben“, fragte Josuah Parker höflich.

„Kommen Sie!“ Die Detektivin fürchtete sich nicht, schob den Butler recht resolut zur Seite und betrat den Laden. Das ohrenbetäubende Kreischen schien sie überhaupt nicht zu stören.

Es handelte sich um ein gutes Dutzend großer und kleiner Papageien, die auf Querstangen hockten und Protest einlegten.

„Ruhe!“ donnerte Lady Simpson mit ihrer Feldwebelstimme. Und das Wunder geschah! Die Papageien hielten sofort den Mund, beziehungsweise ihre Schnäbel, legten ihre Köpfe schief und sahen die Frau beeindruckt an. Eine Lautstärke dieser Art kannten sie nicht.

Parker war nachgekommen, schloß die Ladentür und schaute sich interessiert um.

Abgesehen von den Papageien und anderen exotischen Vögeln, die in großen und kleinen Käfigen gehalten wurden, gab es Aquarien, Terrarien und Regale, die mit Futtermitteln und Kleinbedarf für Tierfreunde vollgepackt waren.

„Sehr geheimnisvoll“, stellte Lady Agatha ohne jede Überzeugung fest und wirkte ein wenig ratlos. Sie sah fragend zu ihrem Butler hinüber und schien von ihm einen Tip zu erwarten, doch Josuah Parker nahm sich Zeit, sah sich alles sehr eingehend an und blieb schließlich vor einer Sonderabteilung stehen. In einer Ecke der Tierhandlung waren afrikanische Masken ausgestellt, Speere, Töpferwaren und Flechtwerk aller Art.

Einige dieser Masken sahen sehr unheimlich und sogar abstoßend aus. Die in Holz geschnitzten Fratzen waren übersät mit kleinen weißen Muscheln, die den Masken ein pokennarbiges Aussehen verliehen. Passend zu dieser Abteilung waren die kleinen Äffchen, die in einem großen Käfig gehalten wurden. Die Tierchen machten einen verängstigten Eindruck. Ganz im Gegensatz übrigens zu den Kleinechsen und Schlangen, die in zwei Terrarien ihr Dasein fristeten.

„Sehr geheimnisvoll“, stellte Lady Agatha sicherheitshalber noch mal fest, diesmal aber mit wesentlich lauterer Stimme.

„Billiger Tand, Mylady“, erwiderte der Butler und wies auf die Masken, Flecht- und Töpferwaren. „Massenproduktion der einfachsten Sorte.“

„Scheint aber gekauft zu werden, Mister Parker, sonst hätte dieser Harry Lancing das Zeug nicht ausgestellt.“

„Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit einen Moment entschuldigen würden“, bat Parker und drückte vorsichtig die Tür zu einem Hinterraum auf. Er sah in ein kleines Büro, hinter dem sich ein Vorratslager befand.

Der verstorbene Harry Lancing schien sich tatsächlich auf afrikanischen Massentand spezialisiert zu haben. Auch hier lagen auf einfachen Stellagen Masken aller Art, muschelübersät, abstoßend und unheimlich. Es handelte sich um sehr viele Masken, wie Parker herausfand. Die Nachfrage danach mußte ungewöhnlich sein. Vielleicht aber hatte Lancing damit auch eine Art Großhandel betrieben. Doch das mußte sich feststellen lassen.

Josuah Parker ging zurück in das kleine Büro. Lady Agatha hatte auf einem Stuhl Platz genommen und wirkte sehr mißmutig. Sie hatte sich von diesem Besuch augenscheinlich mehr versprochen. Sie war von ihrer Sensibilität enttäuscht worden. Von Kathy war weit und breit nichts zu sehen, obwohl sie laut ihrer Theorie hier sein mußte.

„Mylady dürften sicher schon bemerkt haben, daß die Geschäftsunterlagen verschwunden sind“, sagte Parker und deutete auf die leeren Aktenregale.

„Natürlich“, grollte sie gereizt, „ich bin ja nicht blind, Mister Parker.“

Sie hatte überhaupt nichts bemerkt, wollte sich aber keine Blöße geben, stand auf und besichtigte die Regale, auf die ihr Butler deutete. An Staubspuren war zu erkennen, daß hier Aktenordner gestanden haben mußten. Auf dem einfachen Schreibtisch fehlten zudem Rechnungen oder Quittungen, Notizen oder Bestellungen. Hier war einwandfrei sehr gründlich abgeräumt worden.

Auch die Seitenfächer und Schubladen des Schreibtisches waren leer bis auf ein paar Heftklammern.

Agatha Simpson wollte gerade etwas sagen, als Parker warnend den Arm hob und hinüber in das Ladenlokal deutete.

Jetzt hörte auch Lady Agatha Schritte.

Erleichtert seufzte sie auf und fingerte nach ihrem Pompadour, in dem sich ihr Glücksbringer befand, ein echtes Hufeisen, mit dem sie ausgewachsene Ochsen zu fällen vermochte. Ein bereits glückliches Lächeln verklärte das Gesicht der kriegerischen Dame. Sie hoffte auf einen Zwischenfall, den sie die ganze Zeit über so schmerzlich vermißt hatte. Lady Agatha huschte seitlich zur Tür und baute sich hier erwartungsvoll auf.

Sie sehnte sich geradezu nach Gangstern.

Die Schritte näherten sich der Tür zum Büro, verharrten, waren dann wieder zu hören und kamen noch näher.

Die nur halb geöffnete Tür quietschte in den Angeln, als sie vollends aufgestoßen wurde.

Die Detektivin hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits erhoben, um ihn auf den Eintretenden niederdonnern zu lassen. Ihre Augen funkelten vor Freude. Sie schien doch noch auf ihre Kosten zu kommen!

Sekunden später erschien der von Lady Agatha so sehnsüchtig erwartete Gangster.

Es handelte sich um einen Jungen von etwa zehn Jahren, der eine Schildkröte in der Hand hielt und neugierig ins Büro schaute.

*

Kathy Porter fühlte sich sehr wohl.

Sie saß in der Baubude der Arbeiter und ließ sich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen. Die Männer kümmerten sich intensiv um die langbeinige junge Frau und hatten ihr selbstverständlich Kleidung zur Verfügung gestellt.

Kathy trug einen mehr als knapp sitzenden Overall, der ihre Brust nur unvollkommen bedeckte, was die Männer nicht ungern sahen. Sie hatten sich um sie geschart und wollten wissen, wer sie herumgehetzt hatte.

Kathy war vorsichtig und sagte nicht die ganze Wahrheit. Sie gab sich als Mannequin aus, das sich auf eine Zeitungsannonce hin gemeldet habe.

„Man sucht ein Modell für Schaufensterpuppen“, schwindelte sie, „und dann geriet ich an diese schrecklichen Typen da drüben im Haus. Was die wollten, können Sie sich ja vorstellen.“

Und ob sie das konnten! Sie hatten Kathy ja vor sich und genossen ihre Figur und ihren Charme.

„Es war schrecklich“, erinnerte sich Kathy gekonnt und senkte züchtig die Augen. „Sie rissen mir die Kleider vom Leib und wurden zudringlich. Ich konnte mich gerade noch im letzten Moment retten. Und wenn Sie nicht gewesen wären, ich weiß nicht, was die mit mir gemacht hätten.“

Die Arbeiter, die Kathy mit Brandy und Bier erfrischten, kamen schnell zu dem Schluß, diesen elenden Burschen eine Lektion zu erteilen. Sie schauten sich bereits nach handlichen Schlaginstrumenten um.

„Wer wohnt denn nun wirklich drüben in dem Haus?“ lenkte Kathy sie schleunigst mit ihrer Frage ab.

„Das is’ ’n Lagerhaus von irgendeinem Supermarkt“, hörte Kathy die erste Version.

„Supermarkt? Nee, das ist ein Lager von einem Warenhaus in der City“, bekam sie danach zu hören. „Harrod’s heißt das Kaufhaus, weiß ich ganz genau. Ich hab’ vor ein paar Monaten da mal gearbeitet.“

„Sind Sie sicher? Harrod’s?“ Kathy staunte, denn dieser Name hatte einen guten Klang. Sie kannte das Unternehmen, in dem es von Lebensmitteln bis zum Einfamilienhaus alles zu kaufen gab. Dieses Warenhaus konnte ihrer Ansicht nach niemals der Deckmantel für irgendwelche Gangstergeschäfte sein.

Die Arbeiter hatten sich inzwischen verständigt und wollten mit den Sittenstrolchen, von denen Kathy ausgiebig berichtet hatte, abrechnen. Sie waren nicht mehr zu halten. Fünf Männer, mit Schraubenschlüsseln und Rohrteilen bewaffnet, machten sich sofort auf den Weg, um die Ehre ihres Gastes zu rächen. Kathy dachte an die Schußwaffen der Gangster und versuchte die Männer zu stoppen, doch sie konnte ihre Kampfeslust nicht mehr bremsen. Sie verließen die Baubude und erschienen kurz danach oben auf der Planke und stürmten den Dachgarten. Dann konnte Kathy sie nicht mehr sehen.

Sie kamen schneller zurück als erwartet, erfreulicherweise unversehrt. Kathy ahnte, was passiert war.

„Ausgeflogen“, berichtete der stämmige Anführer des Stroßtrupps enttäuscht, „weit und breit von den Kerlen nichts zu sehen. Wir hätten uns früher auf die Socken machen sollen.“

„Der ganze Laden ist leer“, sagte ein zweiter Mann verärgert, „nichts als Kisten und Schaufensterpuppen.“

„Das Lager gehört zu Harrod’s Warenhaus“, sagte der Anführer. „Ich hab’ mich da drüben in ein paar Räumen mal umgesehen. Vielleicht sollten wir die Polizei verständigen.“

„Lieber nicht“, erwiderte Kathy schnell, die an einen gewissen Chefinspektor Sounders dachte, „mein Bedarf an Aufregungen ist gedeckt. Hauptsache, ich bin den Kerlen gerade noch entwischt. Wenn Sie mir jetzt ein Taxi besorgen könnten, wäre alles in bester Ordnung.“

Sie wollten sie natürlich noch nicht gehen lassen. Kathy mußte noch einige ordentliche Drinks zu sich nehmen, bevor sie endlich in einem Taxi saß. Sie merkte, daß sie einen leichten bis mittelschweren Schwips hatte, und fühlte sich sehr wohl und war gespannt, was Mister Parker und Lady Agatha zu ihrem aufregenden Abenteuer zu sagen hatten. Leider merkte sie nicht, daß ihr Taxi beschattet wurde.

Der Alkohol hatte ihre sonstige Vorsicht nachhaltig gedämpft.

*

„Wo sie aussteigt, wird sie ja auch wohl wohnen“, sagte der dickliche Melvin. Er saß neben dem schlanken Killer, der den Morris steuerte. Auf dem Hintersitz befand sich Richie, der sich den weißen Arztkittel längst abgestreift hatte.

„Und dann?“ wollte Richie wissen.

„Die Kleine weiß zu viel“, stellte Melvin fest. „Die ziehen wir aus dem Verkehr.“

„Unbedingt“, sagte Paul, der junge Killer. „Das Biest hat’s faustdick hinter den Ohren.“

„Die hat sich wie’n Profi benommen“, erinnerte sich Melvin. „Wir müssen wissen, wer sie ist.“

„Müssen wir nicht endlich den Chef informieren?“ fragte Paul.

„Sobald wir wissen, wer die Frau ist, Paul“, pflichtete Melvin dem Killer bei, „danach wird der Chef uns in jedem Fall fragen.“

„Erst schießen, dann fragen“, schlug Richie vor. „Ich weiß schon jetzt, daß sie uns Ärger machen wird.“

„Wohl wahnsinnig geworden, wie?“ Melvin drehte sich zu seinem Partner um und maß ihn mit verächtlichem Blick. „Als ob wir nicht schon genug Blödsinn gemacht hätten.“

„Halt dich an Paul, nicht an mich“, widersprach Richie, „er hat schließlich das kleine Biest im Spital abgefangen.“

„Hast du nicht mitgemacht?“ wehrte sich Paul ärgerlich. „Du hast sie doch unten im Keller betäubt. Warum hast denn du nichts gemerkt, du Wunderknabe?“

„Streiten könnt ihr euch immer noch“, dämpfte Melvin die Auseinandersetzung. „Hauptsache, wir fangen die Kleine wieder ein.“

„Während Helen Winters längst über alle Berge ist“, meckerte Richie weiter.

„Auch die bekommen wir noch“, sagte Melvin optimistisch. „Achtung, Paul, ich glaube, wir sind soweit.“

Das Taxi befand sich bereits in Shepherd’s Market und bog in einem kleinen quadratischen Platz ein, der von ehrwürdigen Fachwerkhäusern umsäumt war, und hielt dann vor einem besonders schönen und alten Haus.

Das Opfer der drei Killer stieg aus, redete kurz mit dem Taxifahrer und ging dann zur Haustür.

„Jetzt können wir sie abknipsen“, sagte Paul eifrig, „die steht wie auf ’nem Schießstand.“

„Finger weg von den Kanonen, ihr Idioten“, fuhr Melvin die beiden Killer an. „Fahr doch weiter, Paul, sie schöpft sonst Verdacht!“

„Wieso wohnt die Puppe in solch ’ner Bleibe?“ wunderte sich Richie ehrlich. „Dahinter scheint ’ne Menge Kies zu sein.“

Paul gab vorsichtig Gas und fuhr langsam weiter. Richie verrenkte sich fast den Kopf, bis er nichts mehr sah.

„Stop“, kommandierte Melvin, „sobald das Taxi abgehauen ist, fahren wir zurück, du kannst schon mal wenden, Paul.“

Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Taxi wieder auf der Hauptstraße erschien. Paul setzte den Morris in Bewegung, bog in den kleinen Platz ein und hielt vor einem der Häuser. Von hier aus beobachteten die Gangster das altehrwürdige Haus, vor dessen Tür Kathy gestanden hatte.

Sie war nicht mehr zu sehen.

„Sie ist auf keinen Fall allein in der Bude“, mutmaßte Melvin, der Kopf der drei Gangster, „’n Schlüssel hat sie ja schließlich nicht bei sich gehabt.“

„Nee, bestimmt nicht“, kicherte Paul in Erinnerung an den nackten Körper der jungen Frau.

„Was kann uns schon passieren?“ meinte Richie, „steigen wir endlich aus und räumen wir auf. Wißt ihr, wie lange der Chef schon auf Nachricht wartet?“

„Uns kann eine ganze Menge passieren, wenn wir jetzt Blödsinn machen“, überlegte Melvin laut und schüttelte dann nachdrücklich den Kopf. „Daß die Kleine hier in Shepherd’s Market wohnt, ändert die Lage. Wir sprechen erst mal mit dem Chef. Zurück zur nächsten Telefonzelle, Paul!“

„Wir hätten sie noch vor der Tür umlegen sollen“, ärgerte sich der junge Killer. „War ’ne einmalige Gelegenheit.“

„Mach schon, Paul!“ Melvin beknabberte den Fingernagel des linken kleinen Fingers und dachte nach. Er wollte die Verantwortung nicht mehr allein tragen. Der Fall war ihm aus dem Ruder gelaufen.

„Wollen wir denn nicht wenigstens feststellen, wer in dem Bau wohnt?“ ließ Richie sich vernehmen.

„Steig aus und sieh nach, Richie“, befahl Melvin, „komm aber sofort wieder zurück und unternimm bloß nichts auf eigene Faust!“

Richie verließ den Wagen und schlenderte betont unauffällig zu dem großen Fachwerkhaus. Als er die Haustür erreicht hatte, studierte er das Namensschild unter dem Klingelknopf. Er wußte nicht, daß er zu diesem Zeitpunkt bereits beobachtet wurde.

*

Der Junge war überglücklich.

Parker hatte ihm noch einige Hamster, Schildkröten und ein Meerschweinchen geschenkt, denn die Auskünfte des kleinen Mannes hatten sich als sehr wertvoll erwiesen. Durch ihn hatten Lady Agatha und Josuah Parker von einer gewissen Helen Winters erfahren, die ganz in der Nähe wohnte. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang war die Tatsache, daß diese Helen Winters rothaarig war. Eine gezielte Frage danach war von dem Jungen einwandfrei und positiv beantwortet worden.

Parker war ein korrekter Mensch.

Er legte den Gegenwert der geschenkten Tiere in Banknoten auf den Tisch und übersah das Kopfschütteln von Mylady, die das für unnötig hielt.

„Somit dürfte die Existenz von Miß Kathys Doppelgängerin gesichert sein, Mylady“, sagte Parker.

„Sehen wir uns diese Helen Winters an“, forderte Agatha Simpson energisch. „Aber bringt uns das im Moment überhaupt weiter?“

„Sicher nicht, Mylady“, räumte der Butler gemessen ein. „Miß Winters dürfte längst das sein, was man über alle Berge nennt, wenn ich mich so vulgär ausdrücken darf. Da sie entführt werden sollte, ist zu vermuten, daß sie in Dinge verwickelt ist, von deren Gefährlichkeit sie weiß. Daraus wieder ergibt sich der Schluß, Mylady, daß Miß Winters sich auf keinen Fall’ in ihrer Wohnung aufhält.“

„Wir suchen Kathy, Mister Parker, nicht diese Winters! Und sagen Sie mir endlich, wo wir Kathy finden können. Das arme Ding befindet sich wahrscheinlich in Lebensgefahr.“

„Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos.“

„Dann werde ich jetzt mal die Dinge in die Hand nehmen“, entschied Agatha Simpson energisch. „Hier muß es doch Kellerräume geben. Inspizieren wir sie, Mister Parker. Sie wird wahrscheinlich in einem gräßlichen Loch festgehalten.“

Parker suchte und fand den Zugang. Von dem kleinen Lager aus führte eine schmale Treppe hinunter in zwei Kellerräume, die zimmergroß waren und keineswegs geheimnisvoll wirkten. Es waren auf keinen Fall gräßliche Löcher, wie Mylady vermutet hatte. Durch breite Schächte fiel Licht in die Räume, deren Wände ebenfalls mit Stellagen bedeckt waren. Auch hier stapelte sich billiger, afrikanischer Tand in Massen. Vorherrschend waren erstaunlicherweise wieder die Dämonenmasken, die mit einer Unzahl weißer kleiner Muscheln übersät waren.

Diese Muscheln schienen selbst den Besitzer der Tierhandlung gestört zu haben. In einer Ecke des zweiten Kellers entdeckte der Butler einen kleinen Berg abgelöster Muscheln, die teilweise zerbrochen oder zertreten waren. Die muschellosen Masken lagen gestapelt in einer anderen Ecke.

Mylady hatte es sich in den Kopf gesetzt, Kathy Porter hier zu finden. Verbissen klopfte sie alle erreichbaren Kellerwände nach Hohlräumen oder versteckten Geheimtüren ab. Dazu benutzte sie ihren Pompadour und den darin befindlichen Glücksbringer.

„Sehr enttäuschend“, meinte sie schließlich grimmig. „Sehen wir uns also die Wohnung dieser Maskenliebhaber an, Mister Parker. Ich weiß, daß Kathy ganz in der Nähe ist, ich spüre es.“

„Sehr wohl, Mylady“, gab der Butler höflich zurück und hütete sich zu widersprechen. Seiner Ansicht nach wurde Kathy leider nicht in diesem Haus festgehalten. So einfach war dieser Fall nicht. Hier schien es um wichtige Dinge zu gehen, die möglicherweise sogar schon einen Mord ausgelöst hatten. Er dachte in diesem Zusammenhang an Harry Lancing im Spital.

Lancings Wohnung bestand aus zwei Räumen und einer kleinen Pantry. Lady Agatha und Butler Parker erreichten sie auf dem Umweg über das Treppenhaus und sahen sich einem Chaos gegenüber. Ein Tornado schien durch die kleine Wohnung gerast zu sein, alles war verwüstet und auf den Kopf gestellt worden. Hier schien man mit verzweifelter Wut nach ganz bestimmten Dingen gesucht zu haben, was Parker auch diskret äußerte.

„Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus“, raunte Lady Agatha ihren Butler an, „nach welchen Dingen?“

„Es muß sich um einen mehr oder weniger kleinen Gegenstand handeln“, antwortete Parker und deutete, auf die zerschnittenen Sitzpolster und Matratzen.

„Also Rauschgift!“ Agatha Simpson wußte es wieder mal ganz genau.

„Unter Umständen, Mylady.“

„Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht“, meinte sie und sah den Butler triumphierend an. „Denken Sie doch mal an die vielen kleinen zerbrochenen Muscheln unten im Keller.“

„Sofort, Mylady.“

„Warum sind sie von den Masken wohl gelöst worden?“

„Mylady haben eine bestimmte Theorie?“

„Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker.“ Sie nickte grimmig und stolz zugleich. „Diese Muscheln enthielten Rauschgift.“

„Ein erstaunlicher Aspekt, Mylady.“

„Nicht wahr?“ Agatha Simpson freute sich über die Anerkennung. „Lancing ließ sich diesen billigen afrikanischen Tand hierher nach London schicken. Die Muscheln auf den Masken waren gefüllt mit, sagen wir, Heroin oder einem anderen Rauschgift. Glauben Sie, die Zollbeamten hätten sich jede Maske und Muschel einzeln angesehen? Ausgeschlossen! Lancing nahm diese Masken in Empfang, löste die Muscheln und dann aus ihnen das Rauschgift. Können Sie sich einen raffinierteren Trick vorstellen, Mister Parker? Ich nicht!“

„Das oft zitierte Ei des Kolumbus, Mylady“, antwortete der Butler zurückhaltend.

„Man muß eben Phantasie haben, Mister Parker“, stellte die Detektivin selbstzufrieden fest. „Und diesen Trick werde ich in meinem nächsten Kriminalroman verwenden. Das Leben schreibt eben doch die besten und unglaublichsten Geschichten.“

„Wie wahr, Mylady.“ Parker hatte sich die Behauptungen seiner Herrin durch den Kopf gehen lassen und gestand sich ein, daß er sich die von den Dämonenmasken abgelösten Muscheln nicht genau genug angesehen hatte. Das mußte so schnell wie möglich nachgeholt werden.

Da sie Kathy immer noch nicht aufgespürt hatten, verließen sie die Wohnung des Zoohändlers Harry Lancing. Während Lady Simpson bereits zu Parkers hochbeinigem Wagen ging, schritt der Butler gemessen hinunter in den Lagerkeller und versorgte sich hier mit einem ausgiebigen Vorrat von bereits abgelösten Muscheln. Für seine späteren privaten Untersuchungen brauchte er darüber hinaus noch intakte Muscheln. Die fand er auf den Dämonenmasken oder im Laden. Aus Gründen der Einfachheit nahm er gleich drei dieser Masken mit, die er in eine große Tasche steckte.

Je mehr er darüber nachdachte, desto brauchbarer schien ihm die Theorie von Lady Simpson. Sollte sie vielleicht auf Anhieb herausgefunden haben, worum es in diesem Fall ging?

Parker hatte seinen Wagen erreicht und sah sich nach Lady Agatha um.

Sie war nicht zu sehen.

Parker kam ein schrecklicher Verdacht. Sollte sie etwa abgefangen worden sein? War auch sie entführt worden? Waren er und seine Herrin die ganze Zeit über beobachtet worden?

Parker sah sich unauffällig nach allen Seiten um und hoffte immer noch, Lady Agatha würde im nächsten Moment auftauchen, hoffte dann aber, daß auch er gekidnappt würde. Doch nichts ereignete sich.

Lady Agatha war und blieb, wie vom Erdboden verschluckt.

Butler Parker hielt es für angebracht, Panik zu zeigen. Falls man ihn noch beobachtete, sollte der Eindruck entstehen, daß er jetzt schleunigst die Flucht ergriff.

Er setzte sich für seine Begriffe schnell ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr rasant an. Dabei drehte und wendete er auffällig den Kopf, als fürchte er einen Angriff. Er fuhr auf die nächste Seitenstraße zu und riß den Wagen herum. Er täuschte ein Absetzungsmanöver vor und wartete darauf, daß sich im Rückspiegel endlich ein Verfolger zeigte.

Es schien zu klappen.

Als er in der Seitenstraße war, bog ein Ford um die Straßenecke und schloß zu ihm auf. Am Steuer saß ein Mann, der eine Sonnenbrille trug.

War der erwartete Kontakt hergestellt?

Leider war dem nicht so, wie sich Sekunden später herausstellte. Der Ford blieb vor einem Haus stehen und der Fahrer stieg aus. Parker fuhr weiter, entdeckte im Rückspiegel einen Motorradfahrer und schöpfte neue Hoffnung.

Nun, der Motorradfahrer blieb ein paar Minuten lang hinter ihm, bog dann aber in eine schmale Seitenstraße ab. Wieder nichts. Man schien an seiner Verfolgung überhaupt nicht interessiert zu sein, man begnügte sich wohl mit Lady Simpson.

Doch dann erschien wieder der Motorradfahrer im Rückspiegel. Er hatte wohl eine Abkürzung gewählt, um nicht aufzufallen. Der Fahrer sorgte jetzt für Abstand und blieb hinter dem Butler.

Josuah Parker war zufrieden.

Endlich war es doch noch zu einem ersten Kontakt gekommen. Jetzt galt es, diesen Motorradfahrer abzufangen und ihn zu befragen. Der Mann konnte sicher mit einigen wertvollen Auskünften dienen. Parker nahm sich vor, den Mann nach Shepherd’s Market zu locken. Im Haus der Lady Simpson konnte das geplante Interview in aller Ruhe und Intensität über die Bühne gehen.

Um seine Herrin machte der Butler sich kaum Sorgen.

Er kannte die Energie der Sechzigjährigen, aber auch ihre Listigkeit. Wer immer sie auch entführt haben mochte, ahnte nicht, was ihn an Überraschungen erwartete.

*

Zwei noch recht jung aussehende Männer hatten sich der Lady angenommen. Es handelte sich um Schlägertypen, die im Grund mit der älteren Dame recht wenig anzufangen wußten. Sie hatten Lady Agatha mit vorgehaltenen und schwingenden Fahrradketten gebeten, ihnen in einen Hausflur zu folgen.

Normalerweise hätte die Detektivin sich widersetzt und es darauf ankommen lassen. Doch in diesem Fall suchte sie ja Kontakt mit der Gegenseite. Sie war bereit, dafür ein Risiko einzugehen. Natürlich gab Lady Simpson sich nicht kriegerisch, sondern spielte die leicht Vertrottelte, die überhaupt nicht begreift, was um sie herum vorgeht.

Parker war mit dem Wagen bereits davongefahren.

Agatha Simpson mimte einen leichten Schwächeanfall und taumelte gekonnt. Sie ließ sich schwer auf den größeren der beiden jungen Männer fallen und drückte ihn mit ihren nicht zu übersehenden Konturen gegen die Wand des Hausflurs. Ihr wogender Busen, der an den einer Wagner-Sängerin der alten Schule erinnerte, nagelte den Unglücklichen fest.

„Lemmy, Hilfe“, keuchte der Schläger verzweifelt und versuchte, Lady Simpson von sich zu drücken.

„Das hat uns gerade noch gefehlt“, meinte der angesprochene Lemmy, der nietenübersäte Lederkleidung trug. „Warte, Gus, ich wuchte sie hoch.“

Lemmy und Gus mühten sich redlich und verzweifelt ab, die gewichtige Dame wieder auf die stämmigen Beine zu bringen. Da Lady Simpson sich besonders schwer machte, schufteten die beiden Schläger wie Schwerarbeiter.

„Mein kleines dummes Herz“, keuchte Lady Agatha und verdrehte die Augen.

„Hilfe“, gurgelte Gus und wuchtete die Frau zurück. Er litt unter Luftnot, denn sein Gesicht war unter Myladys Busen geraten. Lemmy zog und zerrte an Agatha Simpsons Schultern, bis sie es endlich geschafft hatten.

Die ältere Dame stand wieder auf ihren Beinen, wirkte aber sehr unsicher und hilflos. Sie war gespannt, wie es weitergehen würde.

„Endlich“, stieß Lemmy hervor und wies nach draußen auf die Straße. Ein alter Ford erschien vor dem Haus und wartete auf seine Fahrgäste. Agatha Simpson gab sich willenlos, als man sie zu diesem Wagen schob und dann auf den Rücksitz bugsierte. Sie keuchte wie unter einer Riesenanstrengung, als sie endlich saß.

Sie sah sich den Mann am Steuer genau an.

Er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein, trug einen seriösen und gut geschnittenen Anzug und eine randlose Brille. Die beiden jungen Schläger behandelten ihn respektvoll.

„Was ist denn mit ihr los?“ fragte der Mann am Steuer irritiert, als die beiden Schläger in den Wagen stiegen.

„Herzanfall“, behauptete Lemmy.

„Die ist klapprig wie’n Oldtimer“, fügte Gus grinsend hinzu und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wenn wir nicht aufpassen, kratzt sie uns ab.“

Er hatte neben Lady Agatha Platz genommen und musterte sie kritisch. Er schöpfte verständlicherweise keinen Verdacht, als sie ihren Topfhut abnahm und nach dem Losfahren schon in der nächsten Kurve gegen ihn fiel.

„Autsch“, sagte er allerdings, als er einen Stich über seiner Hüfte verspürte. Er rückte von der Frau ab und rieb sich die nur schwach schmerzende Stelle. Dann sah er, daß er von der großen Hutnadel gepiekt worden war, was ihn im Augenblick aber nicht sonderlich nervös machte.

Innerhalb der nächsten Minuten fühlte er sich sogar recht wohl. Ihn erfaßte eine stille Heiterkeit und Gelassenheit. Ein recht freundliches Lächeln umspielte seine Lippen. Er schloß die Augen, um sich den bunten Farben hinzugeben, die er jetzt deutlich sah, und räkelte sich in seiner Sitzecke zusammen.

Er konnte selbstverständlich nicht ahnen, daß die Spitze der Hutnadel präpariert war und diese Hutnadel eine gefährliche Waffe seiner Gegnerin darstellte. Parker hatte sich dieses unauffällig aussehende Verteidigungsmittel für Lady Simpson ausgedacht und sich von Chemikern und Ärzten beraten lassen. Die präparierte Hutnadelspitze enthielt eine Art Lähmungsmittel von größter Wirkungsbreite.

„He, Gus, was is’ denn mit dir los?“ fragte Lemmy überrascht. Er saß vorn neben dem seriös gekleideten Fahrer und hatte sich gerade nach seinem Freund umgedreht. Lady Simpson drückte sich bereits wieder in ihre Wagenecke und hechelte wie ein Hund. Sie schien ihren Herzanfall noch immer nicht überstanden zu haben und reagierte nicht, als Lemmy seinen Partner erneut anrief, diesmal schärfer und drängender.

Gus konnte gar nicht antworten, denn das Gift der Hutnadel kreiste bereits in seiner Blutbahn.

„Da stimmt doch was nicht“, stellte Lemmy scharfsinnig fest, drehte sich vollends herum, kniete hoch und beugte sich über die vordere Sitzlehne nach hinten. Seine beiden Hände rüttelten an Gus’ Schultern.

In diesem Moment mußte der Fahrer scharf bremsen.

Prompt nutzte die listige Dame ihre Chance. Sie verlor erneut das Gleichgewicht, wurde aus ihrer Wagenecke nach vorn geworfen und fiel dann seitlich gegen die ausgestreckten Arme des zweiten Schlägers. Keine Frage, daß ihr Topfhut samt Nadel wieder in die Nähe des Schlägers geriet.

Auch Lemmy sagte leise Autsch, achtete nicht weiter auf den Einstich, drückte Lady Agatha zurück in ihre Ecke und kümmerte sich weiter um seinen Partner Gus. Dies geschah nicht mehr so nachdrücklich wie noch vor wenigen Sekunden. Auch Lemmy war nämlich dem Gift der Hutnadel nicht gewachsen. Er wurde weich und schlaff und legte sich dann wie ein nasses Handtuch über die Rücklehne.

„Was soll denn das, Lemmy?“ fuhr der seriös Gekleidete ihn wütend an, doch Lemmy lächelte nur glücklich wie ein Kleinkind, das gerade ausgiebig gefüttert, worden war, schloß die Augen und rührte sich nicht mehr.

Der Fahrer war inzwischen nervös geworden.

Er kam sich vorn am Steuer ziemlich allein vor und schien sich in den Praktiken einer Entführung überhaupt nicht auszukennen. Damm hatte er wohl die beiden Schlägertypen engagiert, die aber jetzt nicht mehr mitspielten.

Hinzu kam die plötzliche Gesundung der älteren Dame.

Von Herzbeschwerden war keine Rede mehr. Lady Agatha saß jetzt unternehmungslustig und straff auf dem Rücksitz und hielt ihre Lorgnette in der Hand. Sie hatte den Perlmuttgriff der Stielbrille abgezogen und verfügte über ein Stilett, daß sehr gefährlich aussah. Aus dem Griff war eine überzeugende Waffe geworden.

„Nach Shepherd’s Market“, entschied sie mit grollender Stimme, „und gnade Ihnen Gott, wenn Sie Dummheiten machen, Sie Lümmel! Ich schneide Sie dann in handliche Streifen.“

Der Fahrer spielte nervös.

„Wird’s bald?“ fauchte Lady Simpson den Fahrer an und durchtrennte die Rückennaht des gutgeschnittenen Anzugs. Das rasiermesserscharfe Stilett zerschnitt allerdings auch das Oberhemd und die Unterwäsche, ja, es kitzelte sogar noch anschließend ein wenig die Haut des Fahrers.

Der Seriöse stieß einen unterdrückten Schrei aus und warf sich nach vorn gegen das Steuerrad. Er rechnete fest damit, im nächsten Moment tatsächlich in Streifen aufgelöst zu werden.

„Ich wiederhole mich nicht gern, Sie Flegel“, ließ Lady Simpson sich vernehmen. „Das habe ich besonders gern, eine alte und hilflose Frau zu erschrecken! Über dieses Thema werden wir uns noch ausführlich unterhalten!“

Der Seriöse war wirklich nicht vom Fach.

Er gehorchte und nutzte die nächstbeste Gelegenheit, Shepherd’s Market anzusteuern.

„Nehmen Sie doch dieses schreckliche Messer weg“, bat er mit heiserer Stimme. „Sie werden mich ja noch umbringen, Madam.“

„Dazu hätte ich wirklich die größte Lust“, gestand Lady Agatha grimmig. „Reizen Sie mich also nicht unnötig, sonst vergesse ich mich!“

*

Kathy Porter stand auf der anderen Seite der Tür und unterdrückte ein beschwipstes Kichern.

Sie hatte den Mann vor der Tür genau erkannt. Es war dieser schreckliche Richie, dem sie doch gerade erst entwischt war. Der Gangster hatte keine Ahnung, daß er beobachtet wurde, wußte er doch nichts von den technischen Raffinessen dieses Hauses, die alle auf Kosten eines gewissen Josuah Parker gingen, der für sein Leben gern bastelte.

Er wurde nicht müde, immer neue Konstruktionen zu ersinnen, die der Sicherheit der Hausbewohner dienten. Dazu gehörte in diesem Fall die versteckt angebrachte Fernsehkamera, die ein genaues Bild von dem Besucher lieferte. Trotz ihres Schwipses hatte Kathy sich an die Weisung Butler Parkers gehalten, vor Öffnen der Tür erst nachzusehen, wer Einlaß begehrte.

Sie stand vor dem kleinen Fernsehapparat, der in einem Wandschrank in der Hausdiele installiert war. Kathy Porter kicherte und hatte überhaupt keine Angst. In diesem Haus fühlte sie sich so sicher wie in einer Festung. Sie dachte allerdings daran, diesem Killer eine derbe Lektion zu erteilen und zögerte keinen Moment.

Die junge, langbeinige Sekretärin griff nach dem Schaltbrett neben dem Fernsehgerät und legte einen Kipphebel herum. Sie wußte, daß der Messingknopf jetzt unter Strom stand, wie er in Weidezäunen mit elektrischer Sicherung vorhanden ist. Und Kathy wartete voller Spannung darauf, daß dieser Killer Richie erneut seinen ungeschützten Zeigefinger auf den Knopf legte. Er tat ihr freundlicherweise diesen Gefallen.

Im gleichen Moment hüpfte Richie senkrecht hoch und befand sich für Bruchteile von Sekunden etwa zwanzig Zentimeter über dem Steinboden. Dazu verzog sich sein Gesicht, und er stieß unverständliche Laute aus. Er riß den Finger vom Klingelknopf und landete dann wieder auf den Schuhsohlen. Jetzt sah sein Gesicht maßlos verblüfft und dumm aus.

Kathy freute sich riesig. Die kleine Überraschung war also geglückt. Sie beobachtete weiter. Würde Richie noch mal den Klingelknopf betätigen?

Neugierig war der Killer ohne Zweifel.

Er sah sich den Messingknopf eingehend an, doch er riskierte es nicht, ihn noch mal zu berühren. Sein Bedarf an Aufmunterung war offensichtlich reichlich gedeckt. Er wandte sich ab und winkte aus dem Bild hinaus. Wenig später erschien neben ihm der zweite Killer, der junge Mann mit den grünlich schillernden Augen. Da Kathy auch die Sprechanlage eingeschaltet hatte, bekam sie jedes Wort der Unterhaltung genau mit.

„Mach bloß nicht so ’n Theater“, sagte der junge Mann gereizt. „Was war denn los? Machst du neuerdings auf Grashüpfer?“

„Blöder Hund!“ gab Richie gereizt zurück. „Drück doch du mal auf den Klingelknopf!“

„Und wozu soll das gut sein?“ Der junge Gangster wartete die Erklärung seines Partners erfreulicherweise nicht ab, sondern läutete nachdrücklich.

Worauf auch er einen elektrischen Schlag bekam. Er übertraf seinen Partner Richie in der Sprunghöhe um schätzungsweise drei Zentimeter, was Kathy als Rekord registrierte. Bisher war noch kein ungebetener Gast derart hoch gesprungen.

„Weißt du jetzt, wozu das gut ist, Paul?“ erkundigte sich Richie schadenfroh, als der Killer wieder auf seinen Füßen stand.

„Was war denn das?“ fragte Paul und rieb sich die noch schmerzende und prickelnde Hand.

„Strom, was sonst?“

„Das wird die Kleine büßen“, regte sich Paul auf und trat wütend gegen die Tür. „Dafür dreh ich die durch den Wolf.“

„Erst mal haben, Paul! Schaffst du die Tür?“

„Kleinigkeit“, behauptete Paul optimistisch und kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß auch das Türschloß vielleicht unter Strom stehen könnte. Er griff in seine Hosentasche und holte einen flachen Dietrich hervor, mit dem er sich dem sehr einfach aussehenden Türschloß näherte.

Einen Augenblick später bemühte er sich, den eben erst aufgestellten Sprungrekord zu brechen. Er hüpfte noch höher und schaffte es tatsächlich. Dann fiel er gegen Richie und schnappte verzweifelt nach Luft.

„Strom, wie?“ fragte Richie interessiert, nachdem Paul sich von seinem Rekordhüpfer etwas erholt hatte.

„Saudumme Frage!“ knurrte Paul, „ich glaube, wir sollten abschieben, die da im Haus wissen doch längst, was hier läuft.“

„Seid ihr eigentlich noch zu retten?“ mischte sich jetzt eine dritte Stimme ein. Melvin war nachgekommen und erschien auf dem Bildschirm. „Was soll denn die Springerei? Trainiert ihr für die Olympiade?“

„Der Bau hier ist wie verhext“, sagte Richie.

„Steht unter Strom“, fügte Paul hinzu.

„Quatsch“, entschied Melvin. „Was soll denn hier unter Strom stehen?“

„Der Klingelknopf“, sagte Richie.

„Das Türschloß“, erklärte Paul und rieb sich die Hand.

„So was gibt’s doch nicht!“ Melvin legte spontan seinen Finger auf den Messingknopf, worauf hinter der Haustür das Klingeln deutlich zu hören war. Mehr passierte nicht! Melvin erhielt zum sichtlichen Bedauern der beiden Killer keinen elektrischen Schlag, konnte ihn auch nicht bekommen, weil Kathy den bewußten Kipphebel wieder umgelegt hatte.

„Ihr spinnt wohl“, sagte Melvin gereizt. „Wo ist hier Strom?“

Um seine Erfahrung zu demonstrieren, drückte er noch mal auf den Klingelknopf – und fuhr gleichzeitig senkrecht hoch, als sei er von einer starken Feder nach oben geschleudert worden. Er quiekte dabei, landete wieder und starrte ausgiebig auf seine Fingerkuppe.

„Da muß es wieder gewesen sein“, erklärte Richie vorsichtig.

„Zieht ganz schön, wie?“ erkundigte sich Paul und grinste.

„Verdammtes Luder“, schimpfte Melvin. „Los, nichts wie weg, Jungens, bevor noch mehr passiert!“

Er hätte es nicht beschwören sollen.

Bevor die drei Männer die Haustür und das Vordach verlassen konnten, klatschte eine Art Tropenregen auf sie herunter. Kathy hatte ihn ausgelöst, um den drei Gangstern einen letzten Denkzettel zu verpassen, um sie aber auch zu reizen, ins Haus einzudringen. Sie hielt noch weitere Überraschungen bereit.

Die drei Gangster waren bis auf die Haut durchnäßt, starrten nach oben und entdeckten erst jetzt unter dem Vordach den geöffneten Wasserbehälter.

„Jetzt reicht’s mir aber“, wütete Paul los und warf sich mit der Schulter gegen die Tür, unterstützt von Richie, der sich ebenfalls nach Kräften anstrengte.

Sie trugen Eulen nach Athen, wie es in einem Zitat so treffend heißt. Die Tür war plötzlich gar nicht mehr verschlossen, sondern schwang weich und gut geölt auf. Die beiden Killer zischten förmlich in den Vorflur des Hauses und landeten ziemlich unsanft auf dem Boden.

Nun beging Kathy einen Fehler, der mit ihrem kleinen Schwips zusammenhing, und über den sie sich später noch ärgerte. Sie fand nicht sofort den Hebel, der den Boden falltürartig in zwei Hälften teilte und nach unten aufklappen ließ.

Bevor sie es schaffte, waren Richie und Paul bereits wieder in Sicherheit, ohne es allerdings zu ahnen. Sie standen vor und neben Melvin und rannten dann eilig zurück zu ihrem Wagen. Dieses Haus war ihnen doch unheimlich geworden. Sie wollten die Dinge nicht auf die Spitze treiben.

Kathy lief zur Zwischentür und sah dem davonpreschenden Auto nach, das nach ein paar Sekunden auf der Hauptstraße verschwand. Dafür aber erschien ein Ford auf dem kleinen quadratischen Platz, der bald darauf vor dem Haus hielt.

Lady Simpson stieg aus und machte einen sehr unternehmungslustigen Eindruck. In ihrer Begleitung befand sich ein Mann mit randloser Brille und einem Anzug, der nur noch aus langen Stoffetzen bestand. Dieser Mann schielte nervös auf die Lorgnette der Lady und schien die Stielbrille ein wenig zu fürchten.

*

Es war vielleicht nicht die feine englische Art, wie Parker den ihn verfolgenden Motorradfahrer nachhaltig stoppte.

Als der kleine Platz in Sicht kam, an dem Lady Simpsons. Haus stand, trat der Butler auf das Gaspedal und veranlaßte seinen Verfolger, ebenfalls Gas zu geben und aufzuschließen.

Dann – der Platz war bereits dicht vor ihm – bog der Butler scharf ab und hielt unvermittelt hinter der unübersichtlichen Kurve.

Es kam, wie es kommen mußte.

Schwungvoll legte der Fahrer sich in die Kurve, brauste in sie hinein und – sah sich dann zu seinem wahrscheinlich jähen Entsetzen dem nahen Kofferraum von Parkers schwarzem Wagen gegenüber. Um dem fast unvermeidlichen Zusammenstoß zu entgehen, riß der Mann auf dem Motorrad hart den Lenker herum und trudelte im hohen Bogen in den Vorgarten eines Hauses. Der Fahrer schrammte in dichtes Strauchwerk und blieb mit zappelnden Beinen in dem dornigen Hartholzgewächs hängen.

„Wenn Sie erlauben, biete ich Ihnen gern meine bescheidene Hilfe an“, sagte Parker, als der Mann sich aufrichtete.

Der Verunglückte war schlecht erzogen und antwortete mit einer wahren Serie von ausgesuchten Flüchen.

„Ihr Benehmen zeugt nicht gerade von einer guten Kinderstube“, stellte Parker fest, ließ den Mann aber nicht aus den Augen. Mit Überraschungen war stets zu rechnen.

„Scheren Sie sich zum Teufel, Sie blöder Anfänger!“, brüllte der Motorradfahrer wütend und arbeitete sich aus dem sperrigen Hartholzgewächs heraus.

„Wenn Sie darauf bestehen, informiere ich selbstverständlich sofort die zuständigen Behörden und lasse den Unfall aufnehmen“, tippte Parker an.

„Los, machen Sie schon, rufen Sie an! Telefone wird’s in dieser Gegend ja schließlich geben“, stimmte der Mann sofort zu. Er war offensichtlich daran interessiert, daß der Butler erst einmal wegging. Wahrscheinlich wollte der Fahrer sich dann wenig später aus dem Staub machen.

„Ich wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie mich begleiten würden“, sagte Parker und deutete auf Myladys Haus. „Sie sollten auf jeden Fall Zeuge meines korrekten Vorgehens sein.“

Der Fahrer, ein noch junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, klopfte vorsichtig seine Beine ab und vergewisserte sich, daß noch alles heil war. Dann ging er auf seine am Boden liegende Maschine zu und begutachtete sie.

Das Motorrad sah nicht mehr sehr gut aus, das Vorderrad war eingedrückt und hing recht unglücklich in der Vordergabel, der Lenker stand schief.

„Wohnen Sie da etwa?“ fragte er dann und zeigte auf Myladys Haus.

„In der Tat“, erwiderte der Butler und nickte freundlich. „Dort werden Sie sich ein wenig herrichten können, wie ich denke. Darf ich Sie einladen mitzukommen?“

Der junge Mann wollte zwar nicht, doch dann griff Parker nach dem linken Oberarm und brachte den Zwanzigjährigen in Bewegung. Der Motorradfahrer merkte schon nach der ersten Sekunde, daß ein Entkommen nicht mehr möglich war. Er hatte das Gefühl, von einer Stahlklaue festgehalten zu werden, so nachdrücklich hatte der Butler zugegriffen. Ein wenig humpelnd kam der junge Mann also der höflichen Einladung des Butlers nach und staunte nicht wenig, als er an einem Ford vorbeikam, in dem zwei junge Schläger sich dem Tiefschlaf hingaben.

Er schien diese beiden Männer zu kennen, ahnte wohl, was ihm bevorstand, und wollte sich losreißen, doch Parkers Finger hielten ihn eisern fest.

„Aber nicht doch“, bat Parker höflich und gemessen. „Sie sind mein Gast, wenn ich es so umschreiben darf. Ich lasse es nicht zu, daß Sie so einfach gehen.“

Auch Lady Simpson hatte etwas dagegen, denn sie erschien in der geöffneten Haustür und sah den Butler strafend an.

„Wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?“ wunderte sie sich grollend. „Immer dann, wenn man Sie mal braucht, sind Sie unterwegs, Mister Parker. Ich denke, wir haben jetzt eine Menge zu tun.“

„Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit sehr glücklich“, gestand Josuah Parker. „Mylady haben ebenfalls Gäste mitgebracht?“

„Drei“, gab die Detektivin lakonisch zurück, „einer ist bereits im Haus und nimmt übel, die beiden Strolche dort im Wagen können Sie gleich noch hereinschaffen. Und wen haben wir denn da?“

Sie baute sich vor dem eingeschüchterten Motorradfahrer auf und musterte ihn eingehend. Unter dem Blick der älteren Dame rutschte der junge Mann förmlich in sich zusammen und fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut.

*

Parker servierte den Tee.

Agatha Simpson saß vor dem großen Kamin in ihrem Wohnsalon und ermunterte sich zusätzlich noch mit einem Kognak. Kathy hatte die Phase ihres leichten Schwipses bereits hinter sich und fühlte sich nicht sehr gut. Sie hatte Kopfschmerzen und ärgerte sich immer noch über den Kardinalfehler, den sie begangen hatte. Mit etwas mehr Konzentration hätte man jetzt auch die restlichen drei Gangster zur Verfügung gehabt.

„Nehmen Sie einen Kognak, Kindchen“, ermunterte die Lady ihre Sekretärin. „Jeder macht mal einen Fehler. Nehmen Sie sich das nicht so sehr zu Herzen!“

„Ich könnte mich schwarz ärgern“, gestand Kathy unglücklich.

„Trinken Sie den Kognak“, verlangte Lady Simpson. „Glauben Sie denn wirklich, die drei Lümmel würden wir nicht Wiedersehen?“

„Sie werden sich gleich wohler fühlen, Miß Porter.“ Parker bedachte seine Schülerin mit einem gut gefüllten Kognakschwenker und wartete geduldig, bis Kathy ihn leer getrunken hatte. Sie schüttelte sich ausgiebig, nickte dankbar und verdrängte ihren Schuldkomplex.

„Ich möchte mich ebenfalls wohler fühlen“, machte Agatha Simpson sich bemerkbar. „Ich glaube, daß mein Kreislauf noch recht angegriffen ist, Mister Parker.“ Während sie sprach, reichte sie Parker ihr Glas, der sofort nachschenkte.

„Nun setzen Sie sich endlich“, raunzte sie dann den Butler an. „Wir müssen Bilanz ziehen.“

„Wenn Mylady erlauben, möchte ich dem lieber stehend beiwohnen“, widersprach der Butler höflich. Obwohl gleichberechtigtes Mitglied in diesem Team, hielt er auf Distanz.

„Ich habe andere Sorgen, als mich mit Ihnen herumzustreiten“, grollte Lady Simpson, „also, fassen Sie zusammen, Mister Parker, aber in Stichworten, wenn ich bitten darf!“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker stellte die Teekanne ab und baute sich vor seiner Herrin auf, als habe er einen Ladestock verschluckt. Haltung ging ihm über vieles. „Ihre Erlaubnis, Mylady, voraussetzend, darf ich die Erlebnisse der vergangenen Stunden in drei Phasen aufteilen. Miß Porter wurde eindeutig das Opfer einer Verwechslung und entführt. Man brachte sie in eine Art Lagerhaus, wo der Irrtum durch einen gewissen Melvin entdeckt wurde. Dank der Geistesgegenwart Miß Porters gelang die Flucht.“

„Und dank meiner Dummheit konnten dann Paul, Richie und Melvin entwischen“, erinnerte sich Kathy Porter ärgerlich.

„Dennoch sollten Sie sich nicht beklagen, Miß Porter“, beruhigte Parker die junge Frau. „Durch Ihre Kontakte steht einwandfrei fest, welche Person entführt werden sollte, und zwar eine gewisse Helen Winters, die ihrerseits mit dem im Krankenhaus verblichenen Harry Lancing Kontakte unterhielt.“

„Verblichen? Das war ein Mord!“ Lady Simpson nickte nachdrücklich. „Die Frage ist nur noch, von wem Harry Lancing ermordet wurde? Von dieser Helen Winters oder von den drei Individuen Melvin, Paul und Richie.“

„Sehr wohl, Mylady“, pflichtete Parker Lady Simpson bei. „Diese Frage wäre tatsächlich noch zu klären, womit ich zur Phase zwei überleiten möchte, wenn ich mir diese Freiheit herausnehmen darf.“

„Machen Sie mich mit Ihrer Höflichkeit nicht wahnsinnig“, fuhr Lady Simpson ihren Butler an.

„Wie Mylady wünschen“, schickte Parker ungerührt voraus. „Der möglicherweise ermordete Mister Lancing entpuppte sich als Inhaber einer kleinen Tierhandlung, der darüber hinaus afrikanische Dutzendware in Form billiger Dämonenmasken verkaufte.“

„Die mit kleinen, weißen Muscheln übersät sind“, warf Lady Simpson ein.

„Ein Umstand, den man in der Tat nicht verschweigen sollte“, berichtete Parker weiter, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. „Diese Tierhandlung war vor Myladys Ankunft bereits ausgiebig durchsucht worden. Man schien nach wichtigen Dingen geforscht zu haben.“

„Nach Heroin, das ist doch klar“, unterbrach Agatha Simpson ihn sofort und nickte Kathy Porter triumphierend zu. „Das Thema für meinen nächsten Kriminalroman, Kindchen, haben Sie begriffen?“

„Gewiß, Mylady“, erwiderte Kathy und hütete sich, Kritik an dieser Absicht zu äußern.

„Beim Verlassen der Tierhandlung, beziehungsweise der Wohnung des erwähnten Mister Lancing wurde Mylady auf rohe Art und Weise ebenfalls entführt“, faßte der Butler weiter zusammen und sprach jetzt ein wenig schneller, um nicht wieder unterbrochen zu werden. „Mylady waren erfolgreich und konnten ihre drei Entführer gleich mitbringen.“

„Lemmy und Gus“, unterbrach sie ihn dennoch. „Wie das dritte Subjekt heißt, werde ich gleich erfahren.“

„Gewiß, Mylady“, sagte Parker höflich. „Wenn Sie gestatten, möchte ich noch die dritte Phase erwähnen. Meine bescheidene Wenigkeit wurde nach Myladys Entführung ebenfalls verfolgt und zwar durch einen Motorradfahrer, der sich inzwischen auch als Gast des Hauses betrachten kann.“

„Das wären also die Tatsachen.“ Lady Simpson stand auf und nippte an ihrem Tee. „Fügen wir noch hinzu, daß dieses Lager, in dem Kathy festgehalten wurde, wahrscheinlich im Besitz von Harrod’s ist.“

„Die Frage wäre zu entscheiden, Mylady, ob man die Polizei verständigt oder nicht“, gab Parker zu überlegen.

„Natürlich werden wir die Behörden verständigen“, antwortete Agatha Simpson, „aber nicht sofort, Mister Parker. Noch ist das unser Fall.“

„Darf ich auf Mister Lancing verweisen, der möglicherweise das Opfer des Mordes geworden ist?“

„Das ist ja nur eine Vermutung von mir“, korrigierte Agatha Simpson sich schnell und lächelte grimmig. „Wenn ich es weiß, Mister Parker, erst dann fühle ich mich verpflichtet, die Polizei zu alarmieren.“

„In Myladys Haus halten sich zur Zeit vier Männer gegen ihren Willen auf.“

„Gäste, Mister Parker, Gäste! Und Gastfreundschaft ist mir heilig, das sollten Sie doch wissen! Beschäftigen Sie sich jetzt erst mal mit den Muscheln! Ich werde mich mit diesen Individuen unterhalten, aber Sie können schon jetzt sicher sein, daß in diesen kleinen Muscheln Rauschgift geschmuggelt wurde. Ich fühle das.“

Nach einer halben Stunde wußte der Butler wesentlich mehr. Agatha Simpson hatte sich getäuscht, ihr Verdacht nicht bestätigt. In keiner der untersuchten Muscheln hatte sich auch nur die Spur von irgendwelchen Rauschgiften finden lassen. Parker hatte diese eingehenden Untersuchungen in seinen privaten Räumen vorgenommen, die auch seine Bastelstube enthielten. In diesem Raum, eine Mischung aus moderner Werkstatt und Labor, war er sehr gründlich vorgegangen. In den Muscheln allerdings, die Lancing wohl schon von den Masken abgelöst hatte, entdeckte Josuah Parker deutliche Spuren eines zähen Klebemittels. Insofern schien Lady Simpson recht gehabt zu haben. Die Muscheln waren das Versteck für irgendwelche geheimnisvollen Dinge gewesen, die mit Klebstoff angeheftet worden sein mußten.

„Na bitte“, meinte die Detektivin und nickte zufrieden, als Parker seinen Bericht erstattet hatte. „Kleine Rauschgiftkapseln, davon lasse ich mich nicht abbringen.“

„Wie Mylady meinen“, erwiderte Parker zurückhaltend.

„Ich höre schon, Sie glauben mir wieder mal nicht“, raunzte sie ihn an. „Können Sie sich ein raffinierteres Transportmittel als diese Dämonenmasken vorstellen, die mit Muscheln übersät sind? Kein Zollbeamter käme auf die Idee, jede dieser vielen Muscheln zu untersuchen.“

„Eine Theorie, Mylady, die frappierend klingt“, räumte der Butler ein.

„Selbst Suchhunde, deren Nasen auf Rauschgifte fixiert sind, müßten kapitulieren“, redete Lady Simpson sich weiter in Schwung hinein, „und wenn diese Masken dann noch von Harrod’s bestellt wurden, wird kein Mensch Verdacht schöpfen.“

„Sie glauben an eine Verbindung zwischen Harrod’s und Mister Lancings Tierhandlung, Mylady?“

„Diese Verbindung hegt doch auf der Hand, Mister Parker.“ Sie sah ihn kopfschüttelnd und fast mitleidig an. „Merken Sie das denn nicht?“

„Nicht direkt, Mylady.“

„In meinem nächsten Kriminalroman wird es auf jeden Fall so sein“, stellte Lady Simpson kategorisch fest. „Ein großes Warenhaus wird darin der Sitz einer Rauschgiftorganisation sein. Ich sehe schon jede Einzelheit vor meinem geistigen Auge, ja, ich müßte mich eigentlich sofort an die Maschine setzen und schreiben.“

„Konnten Mylady von den Gästen des Hauses Informationen erlangen?“ wechselte der Butler schnell das Thema.

„Noch nicht“, gab sie zurück, „aber ich war wohl etwas zu höflich. Diese Individuen schweigen sich aus, doch nicht mehr lange. Ich werde andere Saiten aufziehen.“

„Erlauben Mylady meiner bescheidenen Wenigkeit eine Bemerkung?“

„Dumme Frage, reden Sie schon endlich!“ Sie sah ihn strafend an.

„Die drei jungen Männer, Mylady, dürften an Informationen kaum etwas zu bieten haben. Interessant scheint mir nur jener Mann zu sein, dessen Anzug Mylady in Streifen zu schneiden geruhten.“

„Sagte ich ja“, behauptete sie wieder mal. „Und diesem Lümmel werde ich gleich ein paar Ohrfeigen anbieten, wenn er nicht endlich redet.“

*

Der erwähnte Gast, dessen Anzug nur aus Streifen und Fetzen bestand, wanderte unruhig in seinem Zimmer auf und ab.

Ein Entkommen war für ihn unmöglich. Er befand sich in einem mittelgroßen Raum, der wie ein echtes Gästezimmer eingerichtet war und wirklich nicht an eine Privatzelle erinnerte. Es gab hier eine komfortable Bettcouch, einen Kleiderschrank, zwei Sessel und einen Clubtisch. Auf dem Boden lag ein Teppich und selbst an den Wänden hingen reizvolle Fotos, die als Bilder dienten.

Er hätte sich als Gast fühlen können, wenn da nicht die verschlossene Tür und die Ziergitter vor dem Fenster gewesen wären. Der Gast des Hauses hatte längst herausgefunden, daß die Fensterscheibe aus dickem Panzerglas bestand. Zudem hätte er sich auch kaum mit etwaigen Nachbarn in Verbindung setzen können, denn das Fenster führte nur in einen schmalen Lichtschacht.

Der Mann mit der randlosen Brille hörte plötzlich Schritte vor der Tür, Stimmen, dann Geräusche, die an einen leichten Zweikampf erinnerten. Er lief also zur Tür und preßte sein linkes Ohr gegen das Türblatt. Er wollte herausfinden, was sich jetzt tat.

„Geben Sie den Weg frei, Mister Parker“, hörte er die Stimme der kriegerischen Dame, „sofort oder ich werde mich vergessen!“

„Mylady“, antwortete der Butler beschwörend. „Sie können doch nicht schon wieder das machen, was man reinen Tisch nennt.“

„Und warum nicht?“ Die Dame des Hauses machte einen sehr erregten Eindruck, ihre Stimme klang schrill.

„Ich weiß wirklich nicht mehr, wo ich die vielen Leichen hinschaffen soll“, war nun wieder die Stimme des Butlers zu hören, den der Mann natürlich schon gesehen hatte. „Mylady, eines Tages wird die Polizei stutzig werden.“

„Papperlapapp“, herrschte die Detektivin ihren Butler an. „Wenn dieser Flegel nicht endlich redet, geht auch seine Haut in Streifen. Ich will Blut sehen!“

„Bitte, Mylady, nicht schon wieder!“ beschwor der Butler seine Herrin eindringlich. „Ich halte das auf die Dauer nicht mehr aus.“

„Aus dem Weg, Lakai!“ Die Stimme der älteren Dame überschlug sich jetzt förmlich, die Klinke der Tür wurde heruntergeschmettert. Der Gast des Hauses wußte jetzt, daß er es mit einer blutrünstigen und wahrscheinlich auch irrsinnigen Frau zu tun hatte. Entsetzt wich er zurück, drückte sich in die Ecke neben dem Fenster und sah sich nach einer geeigneten Waffe um.

„Mylady!“ Der Butler schrie das Wort beschwörend und bittend zugleich.

„Sklavenseele!“ herrschte die erregte Dame ihren Butler an. Dann hörte der Gast des Hauses einen dumpfen Schlag, ein ersticktes Röcheln und einen harten Fall, der den Boden erzittern ließ.

Aus hervorquellenden Augen starrte der Mann auf die Tür, die sich langsam öffnete. Er hoffte inständig, daß es dem Butler gelungen war, die Verrückte niederzuschlagen.

Dann hielt er allerdings den Atem an, denn die resolute Dame kam herein. In ihrer Hand befand sich ein langer Dolch, dessen Spitze blutbefleckt war. In den Augen der Verrückten stand ein irres Leuchten.

„Jetzt will ich die Wahrheit hören“, sagte sie und leckte sich die Lippen. „Warum haben Sie mich entführt, mich, Lady Agatha Simpson?“

„Nein, nein“, bat der Gast des Hauses mit versagender Stimme. Er hatte ein auf dem Boden liegendes Beinpaar vor der Tür entdeckt. Die Verrückte mußte ihren eigenen Butler niedergestochen haben!

„Nein?“ fragte die erregte Frau gedehnt.

„Das heißt ja!“ korrigierte sich der Mann entsetzt, „ich heiße James Gatson und bin Privatdetektiv, Mylady, mein Ehrenwort! Sie können das nachprüfen. Ich bin Privatdetektiv, ich stehe auf Ihrer Seite. Tun Sie das Messer bitte weg! Ich werde Ihnen alles erzählen.“

„Sie wollen eine alte Frau belügen?“ Agatha Simpson kicherte animiert. „Dafür werde ich Sie bestrafen!“

„Mein Ehrenwort“, versicherte der verwirrte Mann noch mal und riß dann den Sessel als Schutz und Schild hoch. Er wollte seine Gegnerin überraschen und außer Gefecht setzen.

„Wir sollten tunlichst nicht übertreiben, Mister Gatson“, ließ sich in diesem Moment die Stimme des vermeintlich niedergestochenen Butlers von der Tür her vernehmen. „Stellen Sie den Sessel wieder zurück!“

„Darum möchte ich auch gebeten haben“, fuhr Lady Simpson ihren jetzt völlig verwirrten Gast an. „Benehmen Sie sich wie ein halbwegs zivilisierter Mensch, Mister Gatson!“

Agatha Simpson, eben noch an eine blutrünstige Irre erinnernd, gab sich ohne jeden Übergang wieder völlig normal. Ja, sie lächelte jetzt sogar, wenn auch ein wenig grimmig.

„Darf ich davon ausgehen, daß Sie Ihren wirklichen Namen genannt haben?“ erkundigte sich Parker.

„Was Sie hier mit mir getrieben haben, ist seelische Grausamkeit“, beschwerte sich der Mann jetzt.

„Und was Sie mit mir trieben, war eine kriminelle Entführung“, fuhr Lady Simpson ihn an. „Ich leide noch jetzt darunter.“

Nun, sehr leidend sah Agatha Simpson nicht aus. Sie baute sich vor James Gatson auf und stieß einen knurrenden Laut aus.

„Reden Sie endlich“, sagte sie dann, „ich werde leicht ungeduldig.“ Während sie noch redete, sah sie sehr betont auf den blutigen Dolch.

*

Nach der Dauerpanne mit der langbeinigen Rothaarigen und der Dusche vor Lady Simpsons Haus in Sepherd’s Market rief Melvin den tatsächlichen Chef an, der die Fäden in der Hand hielt. Melvin befand sich in der Wohnung der beiden Killer, die in Soho lag. Hier hatten Paul und Richie sich eingerichtet und fungierten nach außen hin als junge Unternehmer. Sie betrieben ein Inkasso-Büro und bezahlten sogar Steuern. In diesen Zeiten war es sehr wichtig, den Behörden gegenüber eine legale Tätigkeit nachweisen zu können.

Paul und Richie beschäftigten sich mit zahlungswilligen oder sogar faulen Kunden und kassierten bei diesen Leuten fällige Raten. Die bisherige Erfolgsquote der beiden Killer konnte sich durchaus sehen lassen. Übernahmen sie einen Fall, dann brachten es die beiden Männer fertig, die ausstehenden Gelder herbeizuschaffen. Ihre Methoden waren hart, wenngleich sie sich auch hüteten, brutal zu werden. Ärger mit der Polizei wollten sie nicht haben.

Von diesem Inkasso-Büro aus rief Melvin seinen Chef an. Er teilte dem Mann mit, was sich ereignet hatte, und ließ die fällige Kopfwäsche über sich ergehen. Nur Melvin allein kannte diesen Drahtzieher, Paul und Richie waren lediglich von ihm gemietete Killer, die ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen hatten.

Das Gespräch mit diesem Mann im Hintergrund war recht kurz. Melvin erhielt die Anweisung, Einzelheiten mündlich zu überbringen. Er wurde in einer halben Stunde am Picadilly Circus erwartet und sollte dann dort weitere Anordnungen entgegennehmen.

Als er zurück in den Wohnraum kam, der den beiden Inkasso-Männern als Büro diente, hatten Paul und Richie sich inzwischen umgezogen und sahen ihn erwartungsvoll an. Auch die beiden Killer machten einen wütend-zerknirschten Eindruck. Sie litten seelisch und hatten die Mißerfolge immer noch nicht verdaut.

„Ich verschwinde mal für ’ne knappe Stunde“, sagte Melvin und sah auf seine Armbanduhr. „Der Chef erwartet mich.“

„Uns“, korrigierte Paul, der schlanke Killer mit den grünlichen Augen wie selbstverständlich. Er und Richie hatten sich einen Plan einfallen lassen.

„Wir kommen natürlich mit“, bestätigte Richie, „ein Mann wie du, Melvin, braucht Schutz.“

„Ich gehe allein“, antwortete Melvin unsicher.

„Allein mit uns“, präzisierte Paul.

„Wir möchten den wirklichen Chef endlich mal kennenlernen“, sagte Richie.

„Ich hab’ direkt Sehnsucht nach ihm“, behauptete Paul.

„Auf Genies bin ich schon immer scharf gewesen“, fügte Richie hinzu.

Melvin sah die beiden Killer nachdenklich an und überlegte krampfhaft, was er machen sollte. Im Grund hatte er Angst vor diesen beiden Männern, denen es auf einen Mord überhaupt nicht ankam. Wie sollte er sich jetzt verhalten?

Bisher hatten Paul und Richie sich herumkommandieren lassen, doch nun war das plötzlich anders geworfen. Mit der Dusche vor dem Haus dieser Lady Simpson allein konnte das unmöglich zusammenhängen, hatten sie ihm bisher nur etwas vorgespielt?

„Nun paß mal genau auf, Melvin“, begann Paul, „nur du allein kennst den Mann, der das ganze Geschäft aufgezogen hat und leitet, oder?“

„Und dieser Mann will, daß sich das auf keinen Fall ändert“, sagte Melvin nachdrücklich.

„Er bleibt im Hintergrund, läßt uns die Kastanien aus dem Feuer holen, steckt den Hauptgewinn ein und weiß überhaupt nicht, was Risiko ist.“ Richie hatte gesprochen und sah Melvin tragend an.

„So ungefähr ist das tatsächlich“, räumte Melvin ein, „aber dafür hat er schließlich die Verbindungen, ohne die wir überhaupt keinen Penny verdienen.“

„So was läßt sich doch ändern, Melvin“, schlug Paul vor.

„Wozu brauchen drei fixe Jungens wie wir überhaupt einen Chef?“ erkundigte sich Richie und lächelte dünn.

„Einen Chef, der dich nur aus dem Weg räumen will“, unkte Paul. „Nach den Pannen der vergangenen Stunden bist du nicht mehr gefragt, Melvin. Siehst du das nicht ein?“

„Ihr glaubt, er will mich umlegen?“ An diese Möglichkeit hatte Melvin tatsächlich vage gedacht.

„Was denn sonst, Sportsfreund?“ prophezeite Richie, „die Type muß irgendein hohes Tier bei Harrod’s sein, nein, antworte jetzt nicht, ist überhaupt nicht wichtig. Diese Type läuft da mit ’ner sauberen Weste rum und mimt den Ehrenmann. Nach der Panne mit der Verwechslung kann er sich an fünf Fingern ausrechnen, daß man ihm früher oder später mal auf die Schliche kommen wird, oder?“

„Tatsächlich“, murmelte Melvin beeindruckt.

„Also baut er vor und legt dich um“, schlußfolgerte Paul jetzt weiter, „würde ich ja auch so machen, du bist der einzige, der ihn kennt, also baut er dieses Risiko ab.“

„Verdammt“, antwortete Melvin nur. Das, was die beiden Killer ihm da sagten, waren auch seine eigenen Sorgen und Befürchtungen.

„Wir sind fair bis auf die Knochen“, ließ Richie sich wieder vernehmen, „wir könnten dich ja unter Druck setzen und anzapfen. Mit unseren Methoden wüßten wir in ’ner knappen Stunde, wer der Chef ist.“

„Aber wir sind eben fair“, stellte Paul freundlich und gewinnend fest. „Wir brauchen ’nen Kopf der denkt.“

„Darum unser Angebot, Melvin“, schloß Richie. „Wir kommen heimlich mit, schirmen dich gegen den geplanten Mord ab und drehen den Spieß einfach um.“

„Und in Zukunft machen wir das dicke Geschäft allein“, verhieß Paul eifrig. „Wie’s gemacht wird, ist dein Bier, Melvin. Wir drei sind unschlagbar, wenn wir Zusammenhalten.“

Diesen Eindruck hatte nun auch Melvin.

„In Ordnung“, sagte er. „Kommt mit!“

In seiner Angst, eventuell ermordet zu werden, setzte er auf die Karte Paul und Richie. Er hätte wissen müssen, daß gerade diese Karte gezinkt sein konnte.

*

„Ich dachte wirklich, ich hätte es mit einer Wahnsinnigen zu tun“, gestand James Gatson und lächelte verlegen. Er befand sich zusammen mit Agatha Simpson, Kathy Porter und Josuah Parker im großen Wohnraum des Hauses und genoß einen Kognak. James Gatson hatte eine Art offenes Geständnis abgelegt und war froh, es mit völlig normalen Menschen zu tun zu haben.

„Ich glaube wirklich, daß ich schauspielerisches Talent habe“, meinte Lady Simpson versponnen. „Eines Tages werde ich vielleicht zur Bühne gehen und mir meinen Kindheitstraum erfüllen.“

„Sie sind eine echte Begabung, Mylady“, sagte Gatson, „das blutige Messer in Ihrer Hand war sehr überzeugend.“

„Erdbeermarmelade“, erklärte Josuah Parker beiläufig und höflich, um sich dann an seine Herrin zu wenden. „Darf ich nach diesem Hinweis so kühn sein, Mylady, die bisher bekannten Tatsachen noch einmal zusammenzufassen?“

„Aber fassen Sie sich kurz“, ordnete Lady Simpson an. „Reichen Sie mir vorher noch schnell eine kleine Herzstärkung, ich fühle mich schwach und angegriffen.“

Parker versorgte seine Herrin mit einem doppelten Kognak, trat dann einen Schritt zurück und sah Gatson an.

„Ihren Ausführungen zufolge, Mister Gatson, sind Sie, Privatdetektiv, der von einem Londoner Diamantensyndikat beauftragt worden ist, illegale Einfuhrkanäle zu verstopfen.“

„Richtig, Mister Parker. Das kann ich beweisen.“

„Ihr Verdacht richtete sich auf Mister Harry Lancing?“

„Das ist ebenfalls richtig“, bestätigte Gatson. „Lancing arbeitete vor Jahren in Südafrika in einer großen Diamantenmine. Er war dort Aufseher und machte sich verdächtig. Man konnte ihm den Diebstahl zwar niemals nachweisen, doch er scheint bis in die vergangenen Tage hinein Diamanten geschmuggelt zu haben.“

„Woher bekamen Sie diesen Hinweis auf Mister Lancing?“ wollte der Butler wissen.

„Von meiner Auftraggeberin, dem Diamantensyndikat.“

„Sie ließen die Tierhandlung des Mister Lancing also beschatten?“

„Tag und Nacht. Und dazu engagierte ich einige junge Leute, die ich hin und wieder als Hilfskräfte beschäftige.“

„Lemmy, Gus und …?“ Agatha Simpson kostete von dem Kognak und machte einen erfrischten Eindruck.

„Lemmy, Gus und Artie, der Mann mit dem Motorrad“, bestätigte der Privatdetektiv. „Ich weiß, daß sie sich nicht ganz korrekt verhalten haben, und möchte mich für dieses Benehmen entschuldigen.“

„Papperlapapp“, schnitt Lady Simpson ihm das Wort ab. „Ersparen wir uns unnötige Höflichkeiten! Sie waren also hinter Lancing her.“

„Tag und Nacht“, bekräftigte Gatson.

„Das sagten Sie bereits“, schaltete Parker sich gemessen ein. „Und was an Details fanden Sie heraus?“

„Er wird mit afrikanischen Masken beliefert“, antwortete der Privatdetektiv, „und das fiel mir auf.“

„Sie sind ein Genie“, sagte Agatha Simpson, ohne eine Miene zu verziehen.

„Mylady übertreiben vielleicht ein wenig“, schränkte Gatson bescheiden ein, „aber die Masken ließen mich tatsächlich stutzig werden.“

„Wurden diese Masken direkt aus Südafrika geliefert?“ fragte Parker sicherheitshalber noch mal.

„Aus Rhodesien“, präzisierte der Privatdetektiv. „Sie wurden an die Adresse von Harrod’s geliefert. Erst von dort aus gingen sie dann zu Lancing.“

„Nun sagen Sie schon, warum?“ Die Detektivin beugte sich vor und wartete auf die Bestätigung ihrer privaten Theorie.

„Aus Gründen der Tarnung, Mylady“, sagte Gatson. „Warensendungen für ein Haus wie Harrod’s werden vom Zoll großzügiger abgefertigt. Sie verstehen, solch ein großes Warenhaus ist renommiert.“

„Bitte, was ich gesagt habe, Mister Parker!“ Agatha Simpson sah ihren Butler triumphierend an. „Für mich war das von Beginn an vollkommen klar. Nun, man hat’s oder man hat’s eben nicht.“

„In der Tat, Mylady“, räumte der Butler ein, um sich dann wieder Gatson zuzuwenden. „Wer dirigierte nun die Waren von Harrod’s um und schickte sie weiter an Lancing?“

„Allem Anschein nach ein gewisser Melvin Roots, Mister Parker. Er ist Leiter der Einkaufsabteilung und des Warenlagers.“

„Ich kenne ihn“, schaltete sich jetzt Kathy Porter ein, „ein widerlicher Kerl, etwa vierzig Jahre alt, Glatze, mittelgroß und dicklich, nicht wahr?“

„Genau getroffen, Miß Porter.“ Der Privatdetektiv nickte.

„Kennen Sie auch Melvin Roots’ Mitarbeiter Paul und Richie?“ wollte Kathy wissen.

„Jetzt bin ich etwas überfragt“, gestand James Gatson unsicher. „Was sind das für Leute?“

„Darüber später mehr“, lenkte Parker schnell ab. „Sie kennen also die Verbindung zwischen Lancing und diesem Roots. Warum schlugen Sie nicht zu, wie es in ihrer Fachsprache wohl heißt?“

„Weil mir erstens die Beweise fehlen, zweitens, weil ich die gesamte Schmugglerorganisation lahmlegen will.“

„Gibt es denn noch weitere Diamantenschmuggler?“ wunderte sich Lady Simpson.

„Zumindest noch eine Person“, antwortete Gatson. „Sehen Sie, Mylady, die Masken kommen von Rhodesien, treffen hier in London bei Harrod’s ein und werden an Lancing weitergeleitet. Nach meinen Informationen schafft Lancing nun die Rohdiamanten an eine Person weiter, die die Steine tatsächlich verkauft und in den Handel bringt. Ich muß gestehen, daß ich Sie, Mylady, für diese Person hielt. Daher auch die bedauerliche Entgleisung meiner Mitarbeiter.“

„Macht ja nichts“, wehrte Agatha Simpson ab. „Ich habe mich köstlich amüsiert.“

„Ich eigentlich weniger“, gestand Gatson und sah an seinem zerfetzten Anzug hinunter. „Zudem muß ich jetzt weiter nach dem Chef dieses Schmugglerrings suchen. Das wird nicht einfach sein, denn die Gangster sind inzwischen gewarnt.“

„Haben Sie nicht Lust, Kindchen, zusammen mit mir bei Harrod’s einzukaufen?“ Agatha Simpson erhob sich und sah ihre Gesellschafterin unternehmungslustig an. „Wollten wir in der Diele nicht schon immer einige afrikanische Dämonenmasken aufhängen?“

*

Harrod’s war ein großes Warenhaus, in dem hin und wieder auch die Mitglieder der Königsfamilie einzukaufen pflegten. Das Haus zeichnete sich durch ein mehr als reichhaltiges Warenangebot aus. Einem Werbespruch zufolge konnte man hier alles, wonach das Herz sich sehnte, kaufen. Was nicht vorhanden war, wurde umgehend besorgt.

Das Warenhaus lag in der City und zeichnete sich durch distinguierte Atmosphäre aus. Als Agatha Simpson heranrauschte, riß ein uniformierter Wächter weit die Glastür auf. Er sah auf den ersten Blick, daß er es mit einem Mitglied einer hochgestellten Familie zu tun hatte.

Agatha Simpson, gefolgt von ihrer Gesellschafterin Kathy, wurde hinter der Glastür von einem Empfangschef erwartet, der sie überhöflich nach ihren speziellen Wünschen fragte.

„Wo finde ich Exotika?“ raunzte sie den Mann an.

„Erotika?“ Der Mann mißverstand, faßte sich und besann sich auf den Ruf des Hauses. Bei Harrod’s war schließlich alles zu erhalten, selbst Erotika.

„Haben Madam besondere Wünsche?“ fragte er, sich um ein glattes und ausdrucksloses Gesicht bemühend.

„Spezialitäten aus Afrika“, antwortete Agatha Simpson, die das Mißverständnis nicht ganz mitbekommen hatte, während Kathy Porter allerdings ein Lächeln nur mühsam unterdrücken konnte.

„Afrikanische Erotika, Madam, sehr wohl!“ Der Empfangschef überlegte krampfhaft, wie er dieser eigenwilligen und sicher auch zahlungskräftigen Kundin helfen konnte.

„Sie Lüstling!“ Lady Simpson hatte inzwischen genauer hingehört und sah den verwirrten Mann flammend an. „Ich wünsche Exotika zu sehen. Sie scheinen ein wüstes Innenleben zu haben, junger Mann, sonst hätten Sie mich nicht mißverstehen können.“

„Sie sehen mich zerknirscht, Madam.“ Der Mann schickte sich an, im Fußboden zu versinken.

„Welche Etage?“ schaltete sich Kathy Porter ein.

„Drittes Stockwerk“, hüstelte der Mann verwirrt. „Ich bedaure außerordentlich, die Damen mißverstanden zu haben.“

„Schon gut, junger Mann“, antwortete Lady Simpson. „Senken Sie Ihren Hormonspiegel, dann werden Sie sich wohler fühlen! Kommen Sie, Kindchen, bevor man uns hier anfällt!“

Ein Liftboy brachte die beiden Frauen in die dritte Etage. Hier kam Lady Simpson voll auf ihre Kosten. Es gab eine ganze Abteilung, die geschmackvoll arrangiert war und in der Geschenkartikel aus südlichen Breiten angeboten wurden. Die Detektivin marschierte auf ihren stämmigen Beinen hinüber in die afrikanische Abteilung und fand hier ohne langes Suchen tatsächlich afrikanische Masken.

Ein seriös aussehender Verkäufer näherte sich respektvoll und erkundigte sich nach den Wünschen der Damen.

„Miß Porter, das Muster, bitte.“ Die ältere Dame hatte sich zu ihrer Gesellschafterin umgewandt und nickte Kathy zu. Kathy öffnete den kleinen Hutkoffer, den sie in der Hand hielt, und holte eine jener Masken hervor, die Parker aus Lancings Tierhandlung mitgenommen hatte.

„Ich brauche davon noch einige Gegenstücke“, sagte Agatha Simpson. „Sputen Sie sich, junger Mann, ich habe nicht viel Zeit.“

Der Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, kannte sich mit skurrilen Kunden aus. Er ließ sich nichts anmerken, als er die afrikanische Dämonenmaske sah. Und dennoch! Seine Mundwinkel zeigten irgendwie an, daß er sich ein wenig mokierte.

„Ein sehr interessantes Stück“, log er.

„Billiger Schund“, herrschte die ältere Dame ihn an. „Verzichten Sie auf unnötige Höflichkeiten, junger Mann! Haben Sie nun so etwas oder nicht?“

„Nicht hier in unserer Ausstellung, Madam, aber ich werde mich sofort um die gewünschten Duplikate kümmern.“

„Worum ich auch gebeten haben möchte.“

„Wenn die Damen sich inzwischen setzen wollen?“ Er deutete auf eine altehrwürdige Polstergruppe.

„Wollen Sie mich etwa zur Übernachtung überreden, junger Mann?“

„Ich muß nur schnell im Lager nachfragen“, erwiderte der Verkäufer nervös. „Es wird einige Minuten dauern.“

Er verschwand und nahm die billige Maske mit. Lady Simpson wanderte an den Ausstellungsstücken vorüber und schüttelte immer wieder den Kopf. Die ausgestellten Masken waren echt, sie erinnerten noch nicht mal entfernt an den billigen Schund in Lancings Tierhandlung. Mylady war gespannt, ob man sie dennoch bedienen konnte. Daraus ließen sich wichtige Schlüsse ziehen.

„Die Damen werden bereits bedient?“

Geräuschlos war hinter Agatha Simpson und Kathy Porter ein Mann aufgetaucht, der wohl eine Art Abteilungsleiter darstellte. Er trug, diskret gestreifte Cuthosen, eine graue Weste und einen schwarten Zweireiher. Der Mann war etwa fünfzig Jahre alt, besaß ein volles Gesicht, einen weichen Mund mit vollen Lippen und dunklen, etwas stechenden Augen.

„Sie sind?“ Lady Simpson konnte sehr unvermittelt sein.

„Der Abteilungsleiter“, stellte der Mann sich vor.

„Ich suche afrikanische Masken“, erklärte die Kundin. „Das Musterstück hat Ihr Verkäufer mitgenommen, Masken, die mit kleinen weißen Muscheln übersät sind.“

Der Mann zuckte mit keiner Wimper.

„Muscheln, die es in sich haben“, redete Lady Simpson weiter, sehr deutlich werdend. Sie ließ den glatten Mann nicht aus den Augen.

„Damit können wir sicher dienen, Madam“, erwiderte der Abteilungsleiter. „Zur Not stellen wir sie Ihnen zu.“

„Ich will sie jetzt und hier haben“, entschied Lady Simpson. Sie war ein wenig enttäuscht, denn der Mann zeigte nach wie vor keine Reaktion. Entweder wußte er wirklich nichts von muschelübersäten Dämonenmasken, oder aber er war ein erstklassiger Schauspieler.

„Mylady sollten sich vielleicht in unserem Großlager ein wenig Umsehen“, sagte der Abteilungsleiter jetzt verbindlich. „Wenn ich vorausgehen darf?“

Agatha Simpson nickte Kathy Porter grimmig und überzeugt zu. Sie waren auf der richtigen Spur. Der Mann hatte sich verraten und sie gerade mit Mylady angeredet. Der Ausdruck Madam hätte nach wie vor vollkommen genügt.

Kathy schüttelte betont den Kopf.

Sie war dagegen, diesem Mann zu folgen. Ihr Instinkt sagte ihr, daß dieser Mann brandgefährlich war. Er wollte sie offensichtlich weglocken und dann außer Gefecht setzen.

Agatha Simpson dachte nicht im Traum daran, auf diese Warnung zu achten. In ihren Augen glühte das Feuer des Eifers. Sie wirkte wieder mal sehr animiert und unternehmungslustig. In solchen Fällen war die kriegerische Dame nicht zu halten.

Kathy folgte ihr also ergeben und überlegte krampfhaft, daß sie zumindest eine Spur hinterlassen mußten. Butler Parker, der nachkommen wollte, brauchte einen Anhaltspunkt.

„Nun kommen Sie schon, Kindchen?“ Agatha Simpson drehte sich nach ihrer Sekretärin um, die gerade einen Lippenstift aus ihrer Handtasche hervorholte.

Lady Simpson verstand.

Sie prallte gegen den Abteilungsleiter, der am Fahrstuhl stand und sich wartend nach den Damen umdrehte. Sie brachte den Mann sehr nachhaltig aus dem Gleichgewicht und preßte ihn mit ihrer Walkürenfigur gegen die Holzvertäfelung neben dem Aufzug. Dadurch nahm sie dem Mann die Sicht, zumal sie dafür sorgte, daß ihr Kopfhut auf seinem Gesicht landete.

Wenig später war Kathy bereits bei ihnen.

„Maßlos ungeschickt“, raunzte die alte Dame den Abteilungsleiter an, als sie im Aufzug waren, der sich bereits nach unten absenkte.

„Sagen Sie das nicht“, erwiderte der Abteilungsleiter und ließ die beiden Damen in die Mündung eines Revolvers sehen. „Sagen Sie das nicht! Urteilen Sie erst später!“

*

Der Personalleiter des Warenhauses war ein elegant aussehender Mann von vierzig Jahren, der einen strammen und militärischen Eindruck auf den Butler machte. Zuerst gab dieser Mann sich sehr zurückhaltend und wußte mit dem vor ihm sitzenden Butler überhaupt nichts anzufangen, doch als Parker dann den Namen Lady Simpson erwähnte, taute der Mann sichtlich auf. Er kannte Lady Agatha und ihren Einfluß.

„Ich werde Ihre sicher kostbare Zeitraum in Anspruch nehmen“, schickte der Butler voraus. „Zudem wird Lady Simpson gleich ebenfalls hier erscheinen.“

„Ich stehe zu Ihrer Verfügung“, schnarrte der Mann militärisch.

„Mylady interessiert sich für einen gewissen Melvin Roots“, erläuterte der Butler. „Nach Myladys Informationen arbeitet er in Ihren Haus als Abteilungsleiter des Warenlagers.“

„Melvin Roots, natürlich.“ Der Personalleiter nickte zustimmend. Dann allerdings zog sich ein Schatten über ein Gesicht. Er beugte sich vor. „Will Lady Simpson sich über Roots beschweren?“

„Mylady ist sich noch nicht vollkommen sicher“, wich der Butler aus. „Mylady möchte ihn allerdings hier in ihrem Büro sprechen. Darf man davon ausgehen, daß Sie das arrangieren werden, Sir?“

Und ob Parker davon ausgehen durfte!

Der Personalleiter klemmte sich augenblicklich an das Telefon, rief die Hausvermittlung an und verlangte eine Verbindung mit Melvin Roots.

„Er arbeitet nicht hier in unserem Haus“, erläuterte der Personalleiter, während er auf das Durchstellen wartete. „Roots ist im Warenlager und Magazin, nur ein paar Straßen weiter.“

Parker ahnte, daß aus dieser Telefonverbindung nichts wurde. Seiner Ansicht nach hatte Melvin Roots sich nach dem verunglückten Abenteuer mit Kathy Porter längst abgesetzt. Er konnte das Risiko nicht eingehen, bei der Polizei angezeigt und dann von ihr befragt zu werden.

Das Telefon läutete, der Personalleiter fragte nach Roots, erhielt eine Antwort und bekam einen leicht roten Kopf.

„Nicht da?“ fragte er dann gereizt zurück, „Ohne sich abzumelden? So was gibt es doch überhaupt nicht, das ist unerhört, das war noch nie da!“

„Ersparen Sie sich weiteren Ärger, Sir“, warf der Butler ein, „nach Lage der Dinge dürfte Mister Roots ohne Angabe von Gründen gekündigt haben.“

„Wie soll ich das verstehen?“ Der Mann knallte den Telefonhörer in die Gabel und sah den Butler fragend an.

„Mister Roots dürfte ab sofort die Öffentlichkeit scheuen“, antwortete Josuah Parker vorsichtig. „Möglicherweise befürchtet er, von der Polizei Fragen gestellt zu bekommen, die ihm unangenehm sind.“

„Roots ein Krimineller?“ Der Personalleiter verfärbte sich.

„So kann man es natürlich auch ausdrücken, Sir, aber dann klingt es nicht mehr so gut.“

„Was hat dieser Mensch angestellt?

Sie müssen mir alles sagen. Das ist ja ungeheuerlich!“

„Gestatten Sie, Sir, daß ich einige Fragen vorausschicke? Danke! Seit wann ist Mister Roots in Ihrem Haus beschäftigt?“

Der Personalleiter hatte schnell die betreffende Akte zur Hand, blätterte kurz und konnte dann mit allen gewünschten Auskünften dienen.

„Er wurde vor anderthalb Jahren angestellt“, sagte er, immer wieder schnell einen Blick in die Personalakte werfend. „Seine Zeugnisse sind ausgezeichnet, seine Empfehlungen ebenfalls. Er erledigte bisher, und ich lege Wert darauf, das zu betonen, er arbeitete bisher zu unserer vollsten Zufriedenheit.“

„Bewarb Mister Roots sich auf ein Stellenangebot hin?“

„Nein, als die Stelle frei wurde, erhielt ich einen Hinweis von Mister Gardena.“

„Der auch hier im Haus arbeitet?“

„Mister Gardena ist der Leiter unserer Exotika-Abteilung, Mister Parker.“

„Was darf ich darunter verstehen, Sir?“

„Kunstgewerbe und Antiquitäten aus exotischen Ländern der Erde, eine Spezialität unseres Hauses.“

„Ein Fachmann, wie ich unterstellen darf?“

„Ein erstklassiger Fachmann sogar, der lange Zeit in Südafrika gelebt hat.“

„Mister Gardena kauft selbständig ein, Sir?“

„Einen besseren Fachmann könnten wir uns überhaupt nicht vorstellen, Mister Parker. Sein Geschmack ist sicher, seine Kenntnisse in Antiquitäten beachtenswert.“

„Sie würden meine bescheidene Wenigkeit glücklich machen, wenn ich mit Mister Gardena umgehend sprechen könnte.“

Josuah Parker hatte es sehr eilig, stand auf und marschierte zur Tür. Er dachte an Agatha Simpson und Kathy Porter, die sich gerade in der Abteilung dieses Mister Gardena aufhielten. Dieser Kontakt konnte unter gewissen Umständen gefährlich werden.

Und zwar sicher nicht für Mister Gardena!

*

„Sie wissen hoffentlich, daß ich Sie niederschießen könnte“, sagte der Abteilungsleiter und Fachmann für Exotika. Der Aufzug war im Keller des Warenhauses gelandet, und die beiden Frauen mußten aussteigen. Lady Simpson kochte vor Zorn und stand sichtlich unter Dampf, spürte aber instinktiv, daß sie sich in Lebensgefahr befand. Kathy Porter hatte ebenfalls gesehen, daß dieser Mann mit einer Waffe umzugehen verstand, Mylady und sie hatten es ganz sicher nicht mit einem ungeschickten und verzweifelten Anfänger zu tun.

„Sagen Sie endlich, was Sie mit uns Vorhaben?“, raunzte die ältere Dame ihn dennoch kriegerisch an.

„Ich werde Ihnen eine Chance geben. Und mir natürlich ebenfalls“, erwiderte Gardena lächelnd. „Wir werden zusammen eine kleine Fahrt durch London unternehmen.“

„Schon wieder eine Entführung!“, donnerte Lady Simpson los. „Langsam steht mir das zum Hals heraus, junger Mann!“

„Sie werden sich noch an manches gewöhnen müssen, falls Sie weiterhin leben wollen.“ Gardena lächelte süffisant und deutete auf eine Tür, die weit geöffnet war. Sie gab den Blick frei in eine Tiefgarage, die leider einen sehr unbelebten Eindruck machte.

„Wollen Sie dieses kleine, unschuldige Ding und mich etwa als Geisel nehmen?“

„Sie sind eine intelligente Frau, Lady Agatha.“

„Pfui über Sie, Sie Lümmel!“

„Gehen Sie dort auf den Rover zu“, befahl Gardena kühl, „das kleine und unschuldige Ding wird fahren, Sie werden sich neben sie setzen. Auf den Todessitz, um genau zu sein. Sie werden sich nicht anschnallen, Mylady, das für den Fall, daß Ihre Sekretärin einen absichtlichen Unfall bauen sollte! Haben wir uns verstanden?“

Sein Ton war nicht mehr höflich oder verbindlich, sondern kalt und drohend. Die beiden Frauen hielten sich also an die Kommandos des Mannes und stiegen in den Rover. Gardena nahm auf dem Rücksitz Platz, wo er sehr sicher untergebracht war. Er schien seinen Gefangenen nicht zu trauen.

Kathy Porter setzte den eleganten Rover in Bewegung und fuhr aus der Tiefgarage auf die schmale Straße hinter dem Warenhaus. Von dort aus ging es auf die Hauptstraße und dann in den Verkehr der nachmittäglichen City.

„Wohin soll ich fahren?“, fragte Kathy ruhig.

„Richtung Airport“, sagte Gardena, „unterwegs sage ich Ihnen dann schon, wo Sie abbiegen müssen.“

„Sie also sind der Mann, der den Muscheltrick erfunden hat“, stellte Agatha Simpson fest und wandte sich abrupt zu ihrem Entführer um.

„Ein guter Trick, finden Sie nicht auch?“ Jetzt lächelte er wieder.

„Bis auf den ermordeten Mister Harry Lancing“, antwortete Lady Simpson scharf. Sie war gespannt, wie er auf diese Anschuldigung reagieren würde.

„Irrtum, Mylady, Lancing geht nicht auf mein Konto.“ Er schüttelte gelassen den Kopf.

„Dann dürfte Mister Roots dafür verantwortlich zeichnen. Er muß in Ihrem Auftrag gehandelt haben!“

„Können Sie sich eine dritte Möglichkeit vorstellen?“ tippte Gardena ironisch an.

„Eine dritte Möglichkeit?“ Die Detektivin war ein wenig irritiert.

„Miß Helen Winters, meine Doppelgängerin“, warf Kathy Porter ein.

„Das trifft haargenau den Punkt, Miß Porter“, sagte Gardena, „Lancing ist von seiner eigenen Freundin ermordet worden. Aus Geldgier!“

„Dann besitzt also sie jetzt die Rohdiamanten?“ fragte Lady Simpson.

„So ist es, aber sie wird damit nicht weit kommen.“

„Sind Ihre Leute ihr bereits auf der Spur?“

„Warum soll ich nicht auch darauf antworten?“ meinte Gardena geduldig und ironisch zugleich. „Sie geben ja sonst doch keine Ruhe, Lady Simpson. Was will Helen Winters mit den Rohdiamanten anfangen? Man braucht spezielle Adressen, um solch eine kostbare Ware loszuwerden, doch die besitzt sie nicht. Sie wird mir früher oder später ein Angebot machen“

„Im Warenhaus, wie? Dort können Sie sich nicht mehr blicken lassen, Mister Gardena.“

„Es gibt noch andere Möglichkeiten, über die wir uns nicht zu unterhalten brauchen. Sonst noch Fragen?“

„Keine Fragen mehr“, erwiderte Agatha Simpson gereizt. „Auf welchem Weg die Rohdiamanten ins Land geschmuggelt wurden, ist ja klar.“

„Wirklich?“

„Sie als Abteilungsleiter haben afrikanische Dämonenmasken bestellt, deren Muschelschmuck das Versteck der Steine gewesen ist. Nachdem die Masken in London eintrafen, sortierte Roots die bewußten Masken aus und schickte sie an Lancing. Der holte sie nun aus den Muscheln heraus und übergab sie Ihnen, war es nicht so?“

„Treffend wiedergegeben, Mylady“, spottete Gardena und nickte gespielt anerkennend, „einfacher kann man es nicht beschreiben.“

„Warum dieser Umweg über Lancing?“ ließ Kathy Porter sich ruhig vernehmen.

„Eine gute Frage, Kindchen“, lobte Agatha Simpson.

„Sehr gute Frage sogar“, spottete Gardena erneut. „Lancing und ich kannten uns von Südafrika her, Lancing hatte dort genau die Verbindungen, die ich brauchte, nämlich Diamantenschmuggler, die für die Ware sorgten. Ich arbeitete das Transportproblem aus. So einfach war das alles.“

„Hat es sich gelohnt?“ wollte die Detektivin wissen.

„Sehr, Mylady“, freute sich Gardena sichtlich. „Wir haben ein Vermögen gemacht.“

„Sie, Mister Gardena!“ korrigierte Agatha Simpson, die den Namen des Mannes im Aufzug erfahren hatte. „Harry Lancing scheidet als Teilnehmer jetzt aus.“

„Der Ärmste“, bedauerte Gardena ironisch.

„Wie ich Sie einschätze, werden auch Roots und dessen Killer das Nachsehen haben, oder?“

„Unnötig soll man nicht teilen“, meinte Gardena, „aber noch ist es nicht soweit. Sind Sie mit meinen Auskünften jetzt zufrieden?“

„Wissen Sie, was Pest ist?“ wechselte die Detektivin abrupt das Thema.

„Natürlich.“ Gardena verstand nicht recht.

„Die wünsche ich Ihnen an den Hals“, ärgerte sich Lady Simpson.

„Nur noch etwas Geduld, Mylady, dann werden Sie bedeutend liebenswürdiger sein“, verhieß Gardena ihr, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. „Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Miß Porter. Direkt vorbildlich, die junge Dame.“

„Wie viele Transporte haben Sie bisher geschafft?“ fragte Kathy prompt.

„Wie war das?“

„Wie oft haben Sie Diamanten en gros einschmuggeln können?“ wollte Kathy wissen.

„Gut ein Dutzend Transporte. Ihrer nächsten Frage vorzubeugen, Miß Porter, die eingeschmuggelten Steine dürften einen Gesamtwert von etwa hundertzwanzigtausend Pfund haben.“

„Donnerwetter“, reagierte Lady Simpson beeindruckt.

„Mit kleinen Fischen haben Lancing und ich uns nicht abgegeben“, sagte Gardena stolz.

„Und welchen Betrag vermissen Sie nach der letzten Sendung?“ Kathy Porter ließ nicht locker.

„Gut und gern dreißigtausend Pfund“, lautete die Antwort, die verärgert klang. „Dafür wird mir diese Winters noch büßen. Schnappt mir doch glatt den fettesten Brocken vor der Nase weg.“

„Wie mich das freut“, gestand Agatha Simpson animiert. „Das gönne ich Ihnen von Herzen!“

*

Natürlich war der Abteilungsleiter Walter Gardena nicht mehr aufzutreiben.

Parker hatte sich so etwas fast schon gedacht, dennoch war er betroffen. Zusammen mit Gardena schienen sich auch Lady Simpson und Kathy Porter außer Haus begeben zu haben. Was das zu bedeuten hatte, lag für den Butler auf der Hand: Kidnapping!

Während der Personalleiter rotierte und im ganzen Warenhaus nach Gardena suchen ließ, sah der Butler sich in der Exotika-Abteilung näher um. Er hoffte auf Spuren, die seine beiden Damen vielleicht geschickt als Nachricht hinterlassen hatten. Zwischen ihnen gab es da bestimmte Spielregeln.

Der Butler fand, wonach er suchte.

Es handelte sich um einen kleinen roten Pfeil auf einem Wandspiegel. Dieser Pfeil deutete in Richtung Aufzug und war mit dem Lippenstift aufgemalt worden.

Parker betrat den Aufzug und untersuchte die Fahrgastkabine. Aus einem weiteren Pfeil, diesmal allerdings nur flüchtig hingekritzelt, ließen sich gewisse Schlüsse ziehen. Kathy Porter schien dieses Zeichen nur unter Wahrung aller Vorsicht angebracht zu haben. Demnach mußten sie und Lady Simpson unter Druck und Zwang gestanden haben. Parker ahnte, was passiert war. Die beiden Frauen hatten sich wieder mal zu weit vorgewagt und Gardena herausgefordert, bewußt oder unbewußt. Und dieser Gardena hatte nicht lange gezögert, sondern war zum Angriff übergegangen.

In der Tiefgarage entdeckte Parker Kathy Porters Lippenstift. Er lag auf einem freien Platz einer Abstellbox. Deutlicher hätte Kathy es gar nicht sagen können. Sie und Lady Simpson waren in einem Auto weggeschafft worden.

Mit dieser Entführung hatte der Fall eine jähe und neue Wendung genommen. Die Diamantenschmuggler hatten ihre Tarnung notgedrungen aufgegeben und waren zum Angriff übergegangen.

Normalerweise hätte der Butler sich zu diesem Zeitpunkt mit der Polizei in Verbindung gesetzt, doch dazu war jetzt keine Zeit. Er selbst mußte die Dinge in die Hand nehmen, denn die Zeit drängte. Er war immerhin erleichtert, daß Lady Simpson und Kathy Porter nicht einfach niedergeschossen worden waren. Die Entführung zeigte ihm deutlich, daß Gardena die beiden Frauen wahrscheinlich als Geiseln benutzen wollte, um seine Flucht von der Insel zu decken.

Wo sollte er sie finden?

Der Butler fuhr mit dem Aufzug wieder hinauf in die dritte Etage und traf hier auf den Personalleiter, der sich das Verschwinden seines Abteilungsleiters nicht erklären konnte. Parker hütete sich, dem Mann irgendwelche Hinweise zu geben, sondern verabschiedete sich von ihm und begab sich zurück zu seinem hochbeinigen Wagen. Wo sollte er welchen Hebel ansetzen, so fragte er sich. Eine etwaige Durchsuchung von Gardenas Wohnung bedeutete nur unnötigen Zeitverlust. Ein Gangster wie dieser Mann hinterließ gerade in seiner Wohnung sicher keinen Hinweis auf etwaige Verstecke.

Wenn einer etwas darüber gewußt haben mochte, dann höchstens der leider verblichene Harry Lancing.

Und Helen Winters, die Freundin dieses Mannes!

Das war das Stichwort, wie Parker meinte. Nach Lage der Dinge hatte sie die letzte Schmuggelpartie von Rohdiamanten an sich gebracht und konnte Lancing vielleicht mit ihr über seinen wirklichen Chef Gardena gesprochen haben. Verfügte diese geheimnisvolle Frau über die Informationen, die er jetzt so dringend brauchte?

Der Butler setzte sich in seinen Wagen und fuhr hinüber nach Lambeth, wo sich die Tierhandlung von Harry Lancing befand. Vor dem Ladenlokal entdeckte der Butler zwei Fahrzeuge der Polizei. Nach dem Tod von Harry Lancing, vielleicht sogar nach dessen Ermordung, beschäftigten die Behörden sich jetzt mit dem privaten Hintergrund dieses Mannes. Dazu gehörte natürlich auch die Durchsuchung der Wohnung. Für die Tiere in der Zoohandlung war also bestens gesorgt, darüber brauchte der Butler sich keine Gedanken mehr zu machen.

Er fuhr weiter und hielt vor dem Haus, in dem laut Auskunft des kleinen Jungen mit der Schildkröte Helen Winters wohnte. Diese Auskunft erwies sich als richtig. Parker fand ein Klingelschild mit dem Namen der Frau.

Das Haus war vier Stockwerke hoch, sah leicht verkommen aus und schien in viele Klein-Apartments aufgeteilt. Parker stieg aus dem Wagen und über die Treppe hinauf in die zweite Etage. Am Ende eines langen Korridors befand sich das Apartment Helen Winters. Die verschlossene Tür gab ihren Widerstand schon nach wenigen Sekunden auf. Parker trat ein und … sah sich drei Männern gegenüber, die ganz einwandfrei auf ihn gewartet hatten.

„Ich erlaube mir, Ihnen einen besonders schönen Nachmittag zu wünschen“, sagte der Butler und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er schätzte kühl seine Chancen ab und sah ein, daß sie sehr schlecht ständen. Zwei der drei Männer waren eindeutig Profis. Sie hielten schallgedämpfte Schußwaffen in Händen und nahmen ihn sofort in die Zange. Der dritte Mann nickte.

„Da sind Sie ja endlich“, sagte er.

„Haben Sie sehr lange warten müssen, meine Herren?“ fragte der Butler gemessen. „Mister Roots, wenn ich nicht irre? Und die Herren dürften Paul und Richie heißen, nicht wahr?“

Parker hatte die Beschreibung noch im Kopf, die Kathy von den drei Gangstern geliefert hatte. Um sie mußte es sich handeln.

„Melvin Roots“, antwortete der glatzköpfige, dickliche Mann und nickte bestätigend. „Mit uns haben Sie wohl nicht gerechnet, wie?“

„In der Tat nicht.“

„Aber wir mit Ihnen.“ Roots griff nach dem Telefonhörer und wählte versteckt eine Nummer, während er dazu laut hustete. Dadurch machte er es dem Butler unmöglich, sich die Nummer zu merken, wenn die jeweils gewählte Nummer samt der Wählscheibe zurückschnurrte. Normalerweise schaffte Parker das in den meisten Fällen.

„Er ist da“, sagte Roots, als die Verbindung hergestellt war. Dann hörte er einen Moment zu, nickte und legte wieder auf.

„Sie sprachen gerade mit Mister Gardena?“ erkundigte sich Parker.

„Halten Sie den Mund“, fuhr Melvin Roots ihn an. „Los, Jungens, durchsucht ihn gründlich, ich werde ihn gleich mitnehmen!“

„Und was ist mit uns?“ fragte Richie scharf.

„Ihr wartet auf Helen Winters“, entschied Melvin Roots. „Hier, ruft diese Nummer an, sobald ihr sie erwischt habt!“ Er kritzelte eine Nummer auf ein Stück Papier und reichte es Richie, der aufbrausen wollte.

Parker sah deutlich, daß der andere Gangster seinem Partner einen schnellen, warnenden Blick zuwarf, worauf der Mann schwieg und den Fetzen Papier achtlos in die Tasche seines Jacketts steckte.

Parker wurde nach Waffen durchsucht. Sehr gründlich und eingehend sogar, doch die beiden jungen Gangster entdeckten nichts, was sie hätte mißtrauisch werden lassen. Josuah Parker war ihnen unbekannt, daher ahnten sie auch nichts von den vielen verborgenen Waffen, die der Butler mit sich führte, Waffen, die als solche nicht zu erkennen waren.

„Ich knalle Sie nieder, Parker, wenn Sie Dummheiten machen“, verhieß Melvin Roots dem Butler. „Wir werden Ihren Wagen nehmen, klar?“

„Sie sehen einen Mann vor sich, der ein wenig verunsichert ist“, behauptete der Butler, der im Grund froh über diese Begegnung war.

Alles sah danach aus, daß er Lady Simpson und Kathy Porter schon recht bald wiedersehen würde. Gardena, der Drahtzieher der Diamantenschmuggler und Entführer der beiden Damen, war dabei, sein Konto weit zu überziehen.

*

Agatha Simpson war übelster Laune.

Sie befand sich in einem engen und feuchten Loch von einem fensterlosen Keller und kam sich sehr hilflos vor. Nach der Fahrt in Richtung Airport waren sie dicht vor dem Flugplatz nach Norden abgebogen und hatten dann ein kleines Cottage erreicht, das an einem Fluß lag, der River Colne hieß.

Das einstöckige Haus, das eindeutig aus einem früheren Jahrhundert stammte, war üppig möbliert und erinnerte an ein Liebesnest. Gardena schien hier private Besuche zu empfangen.

Leider aber nicht in dem Keller, in den Lady Agatha sich hatte begeben müssen. Hier fehlte jeglicher Komfort, sie verfügte nur über einen alten Sessel, dessen Sprungfedern durch die Bespannung kamen, und über einen dreiarmigen Kerzenleuchter. Aus Gründen der Sparsamkeit brannte nur eine Kerze, die übrigen beiden waren von Lady Simpson gelöscht worden.

Die Detektivin dachte natürlich an ihre Sekretärin und Gesellschafterin Kathy Porter.

Es paßte ihr überhaupt nicht, daß Gardena sie oben im Haus zurückbehalten hatte.

Dieser Gardena hatte schließlich auf sie den Eindruck eines Mannes gemacht, der eine hübsche und attraktive Frau nicht ungeschoren ließ. Sie fragte sich voller Unruhe, wie es Kathy inzwischen wohl erging.

*

Er setzte sie auf einfache Art und Weise außer Gefecht.

Walter Gardena spürte insgeheim, wie gefährlich die langbeinige junge Frau war. Er traute sich nicht nahe an sie heran und gab ihr keine Gelegenheit, irgendeinen Karateschlag anzubringen. Er wußte von seinen Mitarbeitern Melvin, Paul und Richie, wie pantherhaft dieses scheue Reh sein konnte.

Er machte sich die Sache sehr einfach, nachdem Lady Simpson im Keller Quartier hatte beziehen müssen.

„So trinken Sie doch, Kathy“, sagte er lächelnd. Er stand neben einem schwarz lackierten Holzpfeiler, der die Decke trug, und hielt seine Schußwaffe einsatzbereit in der Hand. „Genieren Sie sich nicht, Mädchen, ist ja alles da, was Sie sich nur wünschen.“

Kathy wünschte sich überhaupt nichts, obwohl Gardena nicht zu viel versprochen hatte. Sie stand neben der Hausbar, einem kleinen Wandtisch, der mit Flaschen gut bestückt war, hielt ein Glas Whisky in der Hand und schüttelte angewidert den Kopf. Sie hatte ein fast volles Glas leer getrunken und spürte bereits den Alkohol, und zwar sehr deutlich. Die junge Dame machte einen erhitzten Eindruck, ihr Gesicht war gerötet.

„Wird’s bald?“ fuhr er sie an und nahm den Lauf der Waffe etwas hoch.

Dann schoß er.

Nur ein leichtes „Plopp“ war zu hören, doch sie spürte den Luftzug des Geschosses, das dicht an ihrem Kopf vorbeizischte. Hastig nahm Kathy das Glas hoch und nippte an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit.

„Leertrinken“, befahl er und grinste.

„Ich kann nicht mehr“, sagte sie mit bereits schwerer Zunge.

„Wetten, daß?“ Er hob die Waffe wieder an. „Bist du auf einen ordentlichen Streifschuß scharf?“

Kathy Porter wußte, daß das keine leere Drohungen waren. Sie setzte das Glas wieder an die Lippen und trank dann, möglichst schnell, um gegen die aufsteigende Übelkeit anzukommen. Aufatmend setzte sie das Glas ab und wollte sich in den Sessel neben dem Wandtisch fallen lassen.

„Stehenbleiben“, kommandierte er aus sicherer Entfernung und sah sie forschend an. „Wie wär’s denn jetzt mit etwas Abwechslung?“

„Ich kann nicht mehr“, stöhnte sie. Der Alkohol überschwemmte ihr Blut, ihr drehte sich alles vor Augen.

„Kommt auf einen Versuch an“, meinte Gardena, „etwas Süßes vielleicht, Hübsche?“

Er hatte sie völlig in der Hand.

Kathy mußte sich ein halbes Glas voll Portwein füllen und es ebenfalls in einem Zug leertrinken. Sie merkte, daß sie die Selbstkontrolle verlor, und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Kathy fiel zurück gegen die Wand und schloß die Augen. Sie kam sich wie auf einer riesigen und rasend schnellen Achterbahn vor, taumelte und rutschte dann an der Wand langsam zu Boden. Wie durch Watte hörte sie die scharfe Stimme des Mannes, hörte wieder ein „Plopp“.

Sie riß sich zusammen, stemmte sich hoch, schwankte und öffnete mühsam die Augen.

„Noch einen anständigen Kognak“, verlangte er ohne Erbarmen. „Mir soll keiner nachsagen, daß ich ein schlechter Gastgeber bin.“

Sie verschüttete eine gehörige Portion von dem Kognak, als sie sich damit das Glas füllte, trank, schluckte verzweifelt und hatte dann plötzlich einen Aussetzer. Ihr war alles gleichgültig. Sie haßte diesen widerlichen Kerl und schleuderte ihm die Flasche ins Gesicht. Doch der Schwung war zu harmlos, und die Flasche beschrieb nur eine flache Kurve und landete auf dem Teppich knapp vor ihren Füßen. Kathy verdrehte die Augen, fiel förmlich in sich zusammen und blieb in verkrümmter Haltung auf dem Boden liegen. Gardena traute ihr immer noch nicht über den Weg.

Vorsichtig pirschte er sich an die junge Frau heran, bereit, sofort zu schießen. Er hatte vor diesem scheinbar so scheuen Reh einen ungeheuren Respekt. Er warf einige Kissen von der breiten Couch auf sie hinunter und wartete auf weitere Reaktionen. Doch Kathy Porter reagierte nicht mehr. Sie war vom Alkohol überwältigt worden.

Walter Gardena trat gegen ihre Schuhsohlen, wagte sich noch ein wenig näher an die langbeinige Frau heran und genoß den Anblick ihrer langen und schlanken Beine. Das Kleid hatte sich verschoben und gab den Blick frei auf ihre Oberschenkel und einen Teil des knappen Slips. Der Mann mit den weichen Lippen starrte wie hypnotisiert auf die Blöße und mußte sich förmlich zur Ordnung rufen. Noch hatte er sie nicht vollends wehrlos gemacht.

Sich immer wieder nach ihr umdrehend, öffnete er einen antiken, gotischen Schrank und holte aus einem Fach neben den Jagdgewehren ein Hundehalsband und eine lange Führleine. Dann machte er sich daran, Kathy Porter zu fesseln. Er dachte sich etwas aus, was sie nie wieder vergessen sollte.

*

Melvin Roots hatte keine Ahnung, daß er in einer Trickkiste auf Rädern saß.

Er hatte im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen Platz genommen und die Trennscheibe hinuntergedrückt. Parker steuerte das Monstrum durch die City in westlicher Richtung. Er hätte Melvin Roots jederzeit überlisten können, doch dazu bestand seiner Ansicht nach kein Anlaß. Er wollte ja zu Gardena gebracht werden. Einen schnelleren und direkteren Weg gab es überhaupt nicht, Kontakt mit Lady Simpson und Kathy Porter aufzunehmen.

Es war bereits dunkel geworden.

Was hatte sich alles in den wenigen Stunden vom Vormittag bis jetzt zugetragen? Durch Zufall auf einen Kriminalfall gestoßen, befand das Team Lady Simpson – Butler Parker – Kathy Porter sich in bösen Schwierigkeiten. Parker hoffte dies bald ändern zu können.

Roots gab sich schweigsam.

Auch er hing seinen Gedanken nach. Innerhalb weniger Stunden hatte sich das von Gardena ausgeklügelte System des Diamantenschmuggels als ziemlich anfällig und brüchig erwiesen. Dort, wo man angefangen hatte, konnte man nicht wieder anknüpfen. Wahrscheinlich war Gardena bereits dabei, seine Organisation aufzulösen. Dabei galt es für ihn, Melvin Roots, fuchsschlau zu sein. Er mußte immer wieder an die Warnungen der beiden Killer Paul und Richie denken. Ein toter Melvin Roots konnte für Gardena nur ein bequemer Roots sein. Er brauchte dann nicht mehr die Prämien zu zahlen und keinen Verrat zu fürchten.

Melvin Roots hatte Gardena am Picadilly Circus getroffen und dort die Anweisung erhalten, in Helen Winters’ Wohnung auf die etwaige Ankunft des Butlers zu warten. Paul und Richie waren zwar ganz in der Nähe gewesen, hatten sich aber im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Absicht vornehm im Hintergrund gehalten. Sie mußten inzwischen wissen, wer der wahre Chef des Schmugglerrings war, doch ob sie damit noch etwas anfangen konnten, bezweifelte Melvin Roots sehr. Seiner Ansicht nach wollte Gardena sich absetzen und das Land verlassen.

In diesem Zusammenhang dachte Melvin Roots automatisch an das große Geld, das Gardena verdient haben mußte. Es mußte sich um ein Vermögen handeln. Befand dieses Vermögen sich in Gardenas Landhaus oder hatte er es bereits außer Landes geschafft? Würde Gardena ihn überhaupt mitnehmen? Wartete nicht eine Kugel auf ihn?

„Sie machen einen ungemein nachdenklichen Eindruck, Mister Roots, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf“, ließ Josuah Parker sich plötzlich vernehmen.

„Das geht Sie einen Dreck an, Parier!“ Roots war böse, daß er abgelenkt wurde.

„Ich bin gewiß kein Telepath“, schickte der Butler voraus, „aber ich möchte annehmen, daß Sie sich Gedanken über Ihre nähere Zukunft machen.“

„Sie wollen wohl auf den Busch klopfen, wie?“ Roots ging ungewollt auf das Fragespiel ein.

„An Ihrer Stelle, Mister Roots, wäre ich ungemein vorsichtig“, stichelte Josuah Parker höflich weiter. „Glauben Sie wirklich, für Mister Gardena noch interessant zu sein?“

„Halten Sie das Maul, Parker!“

„Wahrscheinlich unternehmen Sie die letzte Ausfahrt Ihres Lebens“, prophezeite der Butler, „wenn ich mal von der Fahrt zum Grab absehe!“

„Sie wollen mich wohl nervös machen, wie?“ Melvin Roots bemühte sich um ein ironisches Lächeln.

„Sie sind es doch bereits, Mister Roots“, stellte der Butler fest. „Sobald Sie mich bei Mister Gardena abgeliefert haben, wird er Sie niederschießen.

Das ist für meine bescheidene Person bereits ein Faktum, wenn ich es so umschreiben darf.“

„Wenn Sie sich nur nicht in den Finger schneiden.“ Melvin Roots’ Stimme klang bereits ein wenig heiser. Dieser Parker sagte das laut und deutlich, was er, Roots, dachte.

„Mister Gardena bereitet doch offensichtlich seine Flucht von der Insel vor“, fügte der Butler hinzu, „allein reist es sich unbeschwerter, finden Sie nicht auch?“

„Sie sollen den Rand halten, Parker!“

„Darf ich denn abschließend wenigstens noch bemerken, daß ich nicht in Ihrer Haut stecken möchte?“ fragte Parker geschickt.

„Noch ein Wort, Parker, und ich werde unangenehm“, brauste Roots auf. Doch er brauchte nicht weiter in die Luft zu gehen. Parker schwieg sich jetzt aus und gab Roots so Gelegenheit, über die düsteren Prophezeiungen nachzudenken.

„Was … Was würden denn Sie an meiner Stelle tun?“ ließ Roots sich nach einigen Minuten vernehmen.

„Ich möchte meinen bescheidenen Rat nicht aufdrängen und Sie auf diese Art und Weise echauffieren.“

„Sagen Sie’s schon!“

„Ich ließe Vorsicht walten.“

„Das ist verdammt wenig.“

„Vorsicht gepaart mit List könnte zu einem Erfolg führen, Mister Roots.“

„List klingt schon besser. Was schlagen Sie denn vor?“

„Eine Frage im vorhinein, Mister Roots, sind Sie an dem Mord an Harry Lancing beteiligt gewesen?“

„Niemals!“ Roots’ Stimme klang fast beleidigt. „Den hat die Winters auf dem Gewissen.“

„Demnach dürften Sie sich doch nur des Schmuggelns schuldig gemacht haben, nicht wahr?“

„Soll ich mich etwa der Polizei stellen?“ Roots lachte auf.

„Demnach möchten Sie die Beute Mister Gardenas an sich bringen, oder sollte ich mich sehr irren?“

„Der Kerl besitzt ein tolles Vermögen.“

„Sie denken an ein unbeschwertes Leben in der Schweiz, um nur ein Land zu nennen?“

„Das klingt schon besser, Parker.“ Roots grinste versonnen.

„Dann müßten Sie Mister Gardena schon sehr nachhaltig überrumpeln, Mister Roots. Vergessen Sie nicht, daß er die Absicht hat, Sie ins Jenseits zu befördern, wie es in einer Umschreibung so relativ harmlos und freundlich klingt!“

„Ich werde schneller sein!“ Roots schien einen wichtigen Entschluß gefaßt zu haben. Er merkte nicht, daß er von Josuah Parker umgedreht worden war.

„Sie haben eine durchaus reelle Chance“, erklärte der Butler, „aber was wird aus Lady Simpson, Miß Porter und meiner bescheidenen Wenigkeit? Denken Sie an einen Massenmord?“

„Unsinn, so was liegt mir überhaupt nicht.“ Roots schien die Wahrheit zu sagen. „Ich brauche nur einen kleinen Vorsprung. Sagen Sie, können Sie mit einem Flugzeug umgehen?“

Parker ließ sich nicht anmerken, für wie wichtig er diese Frage hielt.

„Ich besitze erfreulicherweise die PPL“, antwortete er, „die Private-Pilot-License, um es noch deutlicher zu sagen. Sie berechtigt mich zum Führen sportlicher Maschinen. Wie groß ist das Flugzeug des Mister Gardena? Darauf allein kommt es an.“

Parker unterstellte einfach, daß solch eine Maschine existierte, und er lag richtig mit seiner Vermutung.

„Er hat eine Piper, einmotorig, wie das Ding genau heißt, weiß ich nicht. Können Sie so was fliegen?“

„Ein Start vom Airport aus wird sehr große Schwierigkeiten bereiten“, tippte der Butler weiter geschickt an.

„Die Maschine steht auf einem kleinen Sportflugplatz ganz in der Nähe von Gardenas Cottage“, verriet sich Roots ungewollt, „sind nur ein paar Minuten.“

„Daraus ließe sich Kapital schlagen“, meinte der Butler, ohne zu sagen, was er genau meinte. Was er jedoch wollte, daß wußte er sehr genau.

*

Ihre anfänglich Lethargie hatte sich in entschlossenen Zorn verwandelt.

Die kriegerische Dame dachte unentwegt an Kathy und an Gardena, dem sie einfach alles zutraute, selbst eine Vergewaltigung. Dazu durfte es nicht kommen! Lady Simpson fühlte sich für Kathy verantwortlich und machte Kräfte in sich frei, die sie normalerweise nicht kannte.

Sie besann sich auf ihren Pompadour und den darin befindlichen „Glücksbringer“.

Sie packte dieses Instrument aus und wog das echte Hufeisen nachdenklich in der rechten Hand. Dann marschierte sie auf ihren stämmigen Beinen zur Tür und untersuchte sie ausgiebig. Lady Agatha nickte schon recht bald zufrieden. Ihre kühnsten Erwartungen wurden sogar noch ein wenig übertroffen.

Die Tür erwies sich zwar als einigermaßen solide, doch die Türangeln waren verrostet und morsch. Der Zahn der Zeit hatte gute Arbeit geleistet. Mit etwas Energie mußten die beiden Türangeln sich bezwingen lassen.

Das richtige Instrument dazu besaß sie ja erfreulicherweise. Sie benutzte das echte Hufeisen als leicht verkürzte Brechstange und machte sich an die Arbeit. Ihre Apfelbäckchen glühten schon bald vor Eifer. Lady Agatha Simpson hatte eine echte Aufgabe gefunden.

Sie widmete sich dieser Aufgabe mit sehr viel Hingabe, einigem Geschick und erstaunlich viel Kraft. Die Detektivin, körperlich wohltrainiert und erstaunlich fit, war in jungen Jahren eine erfolgreiche Sportlerin in vielen Disziplinen gewesen, was sich nun auszahlte. Die beiden angerosteten Türangeln leisteten nur hinhaltenden Widerstand und gaben schließlich auf.

Agatha Simpson brauchte nur knapp zwanzig Minuten, bis sie es endlich geschafft hatte, eine Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam. Nachdem sie die beiden Türangeln demontiert hatte, legte sie sich mit Kraft und Schwung in die so entstandene Lücke und zerrte die Tür zum Schloß hin zur Seite. Sie verpackte das glückbringende Hufeisen zurück in ihren Pompadour und machte sich auf den Weg nach oben. Sie war bereit, diesem Gardena eine Lektion zu erteilen.

*

Der Chef des Schmugglerringes hatte sich vor Kathy aufgebaut und maß sie mit amüsierten Blicken. Es gefiel ihm außerordentlich, wie wehrlos diese langbeinige, attraktive Frau war. Er konnte mit ihr machen, was immer er wollte, sie war ihm hilflos ausgeliefert.

Er hatte sie auf eine raffiniert-sadistische Art und Weise an dem schwarzlackierten Pfeiler festgebunden. Um ihren Hals spannte sich das Hundehalsband, das er hinter dem schmalen Stützpfeiler festgezogen hatte.

Ihre Arme waren ebenfalls um diesen Pfeiler geschlungen und dann festgezurrt worden wie ihre Beine, die leicht gespreizt waren. Gardena wartete darauf, daß Kathy wieder zu sich kam. Er hatte ihr ein paar Glas Wasser ins Gesicht geschüttet und wartete nun auf den Erfolg seiner Bemühungen.

Kathy hustete leicht, öffnete mühsam die Augen, schloß sie wieder trunken, riß sie dann weit auf und kämpfte gegen ihre gewaltsam erzwungene Trunkenheit an.

„Es wird ja“, sagte er gönnerhaft und überlegen, „kommen Sie endlich zu sich, Mädchen, oder brauchen Sie noch einen Guß Wasser?“

„Mein Hals“, stöhnte Kathy, um die sich das breite Halsband spannte.

„Daran gewöhnt man sich schon“, tröstete er sie höhnisch. „Wie fühlt man sich denn jetzt als hilflose Schnüfflerin?“

„Ich … Ich bekomme keine Luft mehr“, stöhnte Kathy, die erst jetzt voll erkannte, auf welche Weise dieser Mann sie am Pfeiler festgebunden hatte.

„Wir werden es auf einen Versuch ankommen lassen, meine Hübsche“, gab Gardena zurück und zeigte ihr die lange Hundepeitsche, die er bisher hinter seinem Rücken verborgen hielt. „Gleich wirst du in allen Tonarten singen.“

„Warum tun Sie das?“ fragte Kathy verzweifelt.

„Weil du mir mein Geschäft vermiest hast, darum!“ Er wanderte wütend vor ihr auf und ab. Kathy konnte inzwischen bedeutend besser denken und wieder klarer sehen. Der Alkohol hatte sie ein wenig aus seinen Fesseln freigegeben. Dieser Gardena war hinter seiner glatten Maske nichts anderes als ein brutaler Gangster, der seine billige Rache haben wollte.

„Du allein bist dafür verantwortlich“, sagte Gardena und blieb nun vor ihr stehen. „Warum hast du Schwierigkeiten gemacht im Lager? Dafür wirst du büßen, grausam büßen.“

„Was haben Sie mit mir vor?“ Kathy Porter konnte nur gequält sprechen, denn das breite Hundehalsband saß sehr stramm.

„Ich werde dich durchpeitschen“, sagte Gardena, „man wird dich danach niemals wieder verwechseln.“

Seine linke Hand schoß vor und zerrte ihr das Kleid vom Oberkörper, riß den Büstenhalter ab und weiter an dem Kleid herum, bis es in langen Fetzen herunterhing. Er trat einen halben Schritt zurück und leckte sich lüstern die Lippen. Die nackte junge Frau beeindruckte ihn außerordentlich, das war deutlich zu erkennen.

Kathy kämpfte gegen den Alkohol in ihrem Blut und rang um Kühle und Übersicht.

„Warum strafen Sie mich nicht anders?“ fragte sie und bemühte sich, kokett zu wirken.

„Kein schlechter Vorschlag.“ Er ließ die wippende Hundepeitsche vorschnellen und kitzelte damit ihre Brüste. Kathy verkrampfte sich augenblicklich und wollte die Berührung abschütteln, doch die Fesseln hielten sie eisern fest.

„Sie werden sehen, wie dankbar ich sein kann“, flüsterte sie heiser.

„Ich werde mir das überlegen“, antwortete Gardena und ließ die Spitze der Hundepeitsche über ihren nackten Oberkörper weiter nach unten gleiten. Kathy bekam eine Gänsehaut, sie hatte das Gefühl, ein Insekt bewege sich über ihren Körper.

Die Spitze der Peitsche hatte den oberen Rand des knappen Slips erreicht und tastete sich tiefer. Kathy wehrte sich ruckartig gegen diese weitere Berührung, vermochte aber nichts dagegen auszurichten. Wie festgeschmiedet hing sie an dem hölzernen Stützpfeiler, um den sich auch ihre Beine schlangen.

„Bitte, ich halte das nicht mehr aus“, flüsterte sie ergeben, als die Peitsche wieder hinauf zu ihren Brüsten glitt.

„Laß doch die Tour“, herrschte er sie plötzlich an, „komm mir bloß nicht mit gespielter Sinnlichkeit, Kleine! Ich weiß genau, wie du meine Mitarbeiter im Lager hereingelegt hast. Nicht mit mir! Von mir wirst du die Peitsche bekommen, sonst nichts!“

Er entdeckte plötzlich in ihren Augen grenzenlose Überraschung, reagierte augenblicklich, fuhr herum und … sah sich Lady Simpson gegenüber, die vor der Tür stand, die hinunter in den Keller führte.

Die ältere Dame erinnerte gerade jetzt an eine streitbare Walküre, schwang ihren perlenbestickten Pompadour wie einen Wurfhammer auf dem Sportfeld und schickte ihn dann auf die Reise.

Gardena hatte keine Chance.

Er begriff wahrscheinlich auch nicht, was seine Gegnerin mit dem Handbeutel wollte.

Er kapierte erst, als der im Pompadour befindliche Glücksbringer gegen seine Nasenwurzel knallte.

Gardena sah viele bunte Sterne, hatte das Gefühl, von einem Pferdehuf geküßt worden zu sein und schlug der Länge nach hin! Er trat geistig weg und machte nicht mehr mit.

„Aber Kindchen“, sagte Lady Simpson fast vorwurfsvoll, als sie vor Kathy stand, „wie sehen denn Sie aus? In diesem Aufzug unterhält man sich doch normalerweise nicht mit einem Mann. Mir scheint, Sie haben etwas zu sehr getrunken.“

Kathy schluchzte vor Erleichterung auf und wartete ungeduldig, bis sie von dem Holzpfeiler losgebunden war. Sie ließ sich danach völlig erschöpft in einen Sessel sinken und massierte sich den Hals.

„Mir ist schlecht“, sagte sie kläglich, „er hat mich gezwungen, schrecklich viel Alkohol zu trinken.“

„Was für eine sinnlose Vergeudung“, tadelte Lady Agatha und maß den besinnungslosen Gardena mit einem verächtlichen Blick. „Aber so etwas ist solchen Strolchen ja zuzutrauen. Sie brauchen also keinen Kognak zur Ermunterung?“

Das Wort Kognak löste eine Kettenreaktion aus.

Kathy fuhr hoch, hielt sich den Mund zu und lief dann taumelnd und schwankend hinüber ins Badezimmer. Ihr Magen revoltierte.

„Sehr anfällig, diese Jugend von heute“, stellte die resolute Dame fest und lächelte dazu fast mütterlich. Dann begab sie sich vor die Hausbar und stärkte ausgiebig ihren Kreislauf. Zwischendurch sah sie immer wieder zu Gardena hinunter, der aber das Land der Träume noch nicht verlassen hatte.

Lady Simpson wollte sich gerade mit ihm befassen und ihn fesseln, als sie empfindlich gestört wurde.

„Hände hoch!“ kommandierte eine schrille Stimme, die eindeutig einer Frau gehörte.

Agatha Simpson wandte sich schnell um und sah sich einer rothaarigen Frau von vielleicht fünfundzwanzig Jahren gegenüber, die einen kurzläufigen Revolver in der linken Hand hielt.

„Miß Helen Winters, nicht wahr?“ fragte die Detektivin, ohne die Hände wunschgemäß auch nur um einen einzigen Zentimeter anzuheben. „Sie haben mir in meiner Sammlung gerade noch gefehlt, Sie Flittchen!“

*

„Helen Winters“, bestätigte die Rothaarige und lächelte mokant. „Mit mir haben Sie wohl nicht gerechnet, wie?“

„Ein Unglück kommt selten allein“, stellte Lady Simpson fest.

„Finde ich nicht“, erwiderte Helen Winters, deren Gesicht ein wenig aufgeschwemmt und ungesund aussah, und deutete mit dem Lauf der Waffe hinunter auf Gardena. „Ich bin immerhin noch rechtzeitig gekommen, bevor dieser Gauner sich verdrücken konnte.“

„Was diesen Ausdruck angeht, bin ich vollkommen Ihrer Meinung, Miß Winters.“

„Bleiben Sie, wo Sie sind!“ Helen Winters war sehr vorsichtig und mißtrauisch. „Ich schieße, wenn Sie eine falsche Bewegung machen!“

„Auf einen Mord mehr oder weniger kommt es Ihnen nicht an, das hatte ich glatt vergessen.“

„Mord?“

„Ich denke an Ihren Freund Harry Lancing.“

„Ach, der arme Harry.“ Sie lachte dünn. „Er wäre ja ohnehin von ihm reingelegt worden.“

„Von Gardena?“

„Was dachten denn Sie?“ Helen Winters lächelte wieder dünn. „Er hat nie begriffen, wie raffiniert Gardena ist. Harry war immer schon der geborene zweite Mann.“

„Sie haben ihn tatsächlich ermordet?“ Lady Simpson schüttelte verweisend den Kopf.

„Mit einer luftgefüllten Spritze“, präzisierte die Rothaarige, „er hat überhaupt nichts gemerkt.“

„Aber vorher verriet er Ihnen noch dieses Versteck, war es nicht so?“

„Natürlich, wie hätte ich sonst seinen Fuchsbau finden sollen?“ Helen Winters nickte wie selbstverständlich. „Der arme dumme Harry war schon immer sehr vertrauensselig.“

„Sie haben ihm vorgegaukelt, die gesamte Beute zu sichern, nicht wahr?“

„Er nahm mir Wort für Wort ab“, gab Helen Winters zurück, „jetzt braucht er sich darum nicht mehr zu kümmern, der Gute.“

„Sie sind ja geradezu widerlich“, äußerte sich Lady Simpson aufgebracht.

„Ihre Meinung interessiert mich nicht“, meinte sie wegwerfend, „aber sagen Sie mal, was treiben Sie denn hier? Wer sind Sie? Seit wann gibt Gardena sich mit solch alten Wracks ab?“

Agatha Simpson hörte heraus, daß Helen Winters keine Ahnung hatte, was sich bisher abgespielt hatte. Und sie dachte gleichzeitig auch an Kathy Porter in der Toilette, hoffentlich war Kathy inzwischen wieder so nüchtern geworden, daß sie mitbekam, wer sich hier als überraschender Besuch eingefunden hatte.

„Ich bin Lady Simpson“, stellte die ältere Dame sich vor.

„Und ich die Königin von England“, erwiderte Helen Winters verächtlich. „Sind Sie seine Geschäftspartnerin?“

„In etwa“, war die vorsichtige Antwort.

„Haben Sie bisher die Rohsteine aufgekauft?“

„Ich liebe Diamanten“, sagte Lady Simpson und brauchte noch nicht mal zu lügen.

„Das ist gar nicht so schlecht“, dachte Helen Winters laut. „Dann könnten auch wir vielleicht ins Geschäft kommen.“

„Es müßte sich aber schon lohnen.“

„Ich habe Rohsteine im Wert von fast dreißigtausend Pfund.“

„Sind es die Steine, die Harry Lancing an Gardena weiterleiten sollte?“ Lady Simpson war an einem Gespräch interessiert, redete sehr laut und hoffte, daß Kathy aufmerksam wurde. Sie wollte wertvolle Zeit gewinnen.

„Das sind die bewußten Steine, stimmt.“

„Warum fing Gardena sie nicht gleich selbst ab?“

„Nach der Ankunft in London?“ Helen Winters schöpfte keinen Verdacht. „Das ist doch sehr einfach. Wo hätten er oder Roots die Muscheln von den Masken lösen sollen? Etwa im Warenhaus oder im Lager? Nein, nein, dazu war das Risiko doch zu groß. Gardena verkaufte sie als überzählige Ware oder als unwichtigen Ausschuß weiter an Kleinhändler. Er besorgte das völlig regulär über die Geschäftsbücher. Außer Harry bekamen noch weitere Andenkenhändler afrikanische Masken oder anderen Kram, doch nur Harry erhielt die wirklich echten Masken.“

„In deren Muscheln die Rohsteine versteckt waren.“

„Natürlich, was denn sonst!“ Helen Winters sah Lady Simpson kopfschüttelnd an. „Hat’s je eine perfektere Methode gegeben?“

„Reden wir von den Steinen, die sich in Ihrem Besitz befinden“, wechselte Agatha Simpson das Thema. „Wann und wo kann ich sie sehen?“

„Wir können zusammen zurück in die Stadt fahren“, schlug Helen Winters vor, „aber erst habe ich hier noch was zu erledigen.“

„Sie wollen Gardena ausplündern?“

„Ich weiß, daß sein Anteil an der bisherigen Beute hier im Haus sein muß. Gehen Sie ruhig schon vor das Haus, Madam, wenn ich Gardena gleich danach frage, könnten Sie sich vielleicht erschrecken!“

„Sie wollen doch nicht etwa Gewalt anwenden?“ entsetzte sich Lady Simpson gespielt.

„Aber nein“, heuchelte Helen Winters, „höflich fragen werde ich ihn, was dachten Sie denn?“

Agatha Simpson setzte sich in Bewegung. Ihr kam es darauf an, sowohl aus der Schußlinie als auch in die Nähe dieser Frau zu kommen. Sie hatte die feste Absicht, Helen Winters zu überwältigen. Solch eine Frau durfte ihrer Ansicht nach nicht länger frei herumlaufen.

Die Dinge kamen jedoch ganz anders.

Sie war dabei überrascht worden, als sie Gardena hatte fesseln wollen. Um seine auf dem Rücken liegenden Handgelenke schlang sich die lange Hundeführleine. Helen Winters mußte die ganze Zeit den völlig falschen Eindruck gehabt haben, Gardena sei bereits gefesselt.

Inzwischen aber war der Gangster wieder zu sich gekommen, hatte sich aber nicht gerührt und nur auf seine Chance gewartet. Er wußte längst, daß er seine Hände durchaus noch bewegen konnte.

Während Lady Simpson um den Pfeiler herumging, langte Gardena blitzschnell nach seiner Schußwaffe, riß sie aus der Rocktasche und feuerte auf Helen Winters.

Sie schoß zurück, aber sie traf nicht genau.

Ganz im Gegensatz zu Gardena.

Helen Winters blieb für Bruchteile von Sekunden starr stehen, fiel dann auf die Knie, verlor die Waffe und rutschte seitlich auf den Boden.

Gardena hielt sich den linken Unterarm, stöhnte, sprang dabei aber hoch und schnitt der älteren Dame den Weg in die Freiheit ab.

„Nicht mit mir“, sagte er und starrte sie haßerfüllt an. „Nicht mit mir, Mylady!“

„Sie bluten“, stellte die Detektivin sachlich fest und übersah die drohend auf sie gerichtete Waffe.

„Wenn schon, das bringt mich nicht um. Schnappen Sie sich die Reisetasche dort neben dem Schrank, los, beeilen Sie sich!“

„Was haben Sie vor?“

„Wir setzen uns ab“, sagte er nervös, „machen Sie schon, oder Sie liegen gleich neben der Winters!“

*

„Anhalten!“

Melvin Roots beugte sich vor, um besser sehen zu können. Sie hatten die Ausfallstraße längst hinter sich gelassen und waren auf dem Weg zu Gardenas Cottage.

„Sollten wir das Ziel schon erreicht haben?“ erkundigte sich Josuah Parker.

„Dort hinter der hohen Hecke liegt das Cottage.“ Melvin Roots wirkte unentschlossen.

„Der Tod dürfte dort bereits mehr als sehnsüchtig auf Sie warten“, stellte Parker gelassen fest. „Sie müssen sich jetzt entscheiden, Mister Roots.“

Nun, Parker machte es Roots leicht. Parker übernahm nämlich die Initiative, nachdem ihm jetzt bekannt war, wo er Gardena finden konnte. Er spielte einige der Tricks aus, die sein hochbeiniger Wagen enthielt. Ohne seine Haltung vor dem Steuer zu verändern, drückte er mit dem linken Fuß auf einen neben den Pedalen versteckt angebrachten Knopf. Bruchteile von Sekunden später jaulte Roots auf und schoß mit seinem Kopf hoch gegen das Wagendach.

Er tat es nicht freiwillig.

Aus dem Sitz, auf dem er saß, war eine spitze und kräftige Nadel hervorgeschossen, die sich in seine rechte Gesäßbacke gebohrt hatte. Während Roots Kontakt mit dem Wagendach erhielt, fuhr die mittlere Trennscheibe blitzschnell hoch und sperrte den hinteren Teil des Wagens schußdicht ab. Roots warf sich zur Seite, langte hastig nach dem Türgriff und wollte sich aus dem Wagen rollen.

Er handelte mit Zitronen.

Beide hinteren Wagentüren waren längst elektrisch verriegelt worden. Roots saß in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Er hatte den Butler vollkommen unterschätzt.

„Die Scheiben bestehen aus schußsicherem Panzerglas“, hörte er die Stimme des Butlers über die Bordsprechanlage. „Schießen Sie also, falls Sie an unberechenbaren Querschlägern interessiert sein sollten!“

Melvin Roots ließ es erst gar nicht darauf ankommen. Zudem fühlte er sich plötzlich recht entspannt und schläfrig. Er vergaß den stechenden Schmerz in seinem Gesäß und schloß die Augen. Er wußte nicht, daß sein Gastgeber eine gehörige Dosis Schlafgas in den Fahrgastraum hatte hineinströmen lassen.

Parker setzte sein hochbeiniges Monstrum wieder in Bewegung, steuerte es von der schmalen Straße hinunter und entschied sich für einen improvisierten Parkplatz hinter einer Straßenhecke. Er stieg aus und verschloß die Wagentür.

Bevor er zum Cottage ging, gab es noch etwas für ihn zu tun. Parker wollte sich auf jeden Fall den Rücken freihalten und nicht überrascht werden.

*

Paul und Richie, die beiden Killer, hatten nicht im Traum daran gedacht, in ihrer Wohnung auf die etwaige Rückkehr von Melvin Roots zu warten. Die beiden Killer kannten sich in den Praktiken der Branche aus und wußten, daß jeder jeden hereinlegt, sofern sich dazu nur eine schwache Möglichkeit bot.

Sie hatten Roots und Parker gehen lassen, aber sie hatten sich umgehend an die Verfolgung gemacht. Auch sie interessierten sich für Gardena und dessen bisher gemachte Beute. Die beiden Killer rechneten sich echte Chancen aus, im wahrsten Sinne des Wortes steinreich zu werden.

Sie befanden sich in einem VW, den sie sich „ausgeliehen“ hatten, und fuhren langsam über die schmale Straße, in die Parkers hochbeiniger Wagen eingebogen war.

„Weit kann’s nicht mehr sein“, meinte Richie, der den VW steuerte.

„Und dann wird abgesahnt“, freute sich Paul, der junge Killer mit den grünen Augen.

„Legen wir sie alle um?“ fragte Richie.

„Roots ist uninteressant“, stellte Paul fest, „der wird nicht mehr gebraucht.“

„Und Gardena?“

„Stört nur, sobald wir die Beute haben.“

„Ist auch meine Ansicht“, sagte Richie, „die Rohsteine können wir auch ohne ihn an den Mann bringen. Stop! Was ist das?“

Während er den Warnruf noch ausstieß, trat er voll auf das Bremspedal. Der VW schleuderte, wurde von ihm jedoch geschickt abgefangen und hielt dann vor der dünnen Nebelwand, die sich vor ihnen erhob. In diesem Nebel war eine quer auf der Straße liegende Gestalt zu erkennen, auf deren Kopf eine schwarze Melone saß. Neben diesem Mann lag ein altväterlich gebundener Regenschirm.

„Der Butler“, sagte Paul überrascht.

„Roots hat ihn umgelegt“, fügte Richie hinzu, klinkte die Wagentür auf, rannte dann – gefolgt von Paul – auf den am Boden liegenden Butler zu. Beide Killer beugten sich über das Opfer und … zuckten eine Sekunde später zusammen, faßten gleichzeitig nach ihrem Gesäß und hielten dann kleine, bunt gefiederte Blasrohrpfeile in Händen.

Sie sahen sich verdutzt und unsicher an.

„Was ist denn das?“ fragte Richie und wurde nervös. Er hielt seine Schußwaffe bereits in der Hand.

„Blasrohrpfeile“, sagte Paul und trat gegen den am Boden liegenden Parker.

Es war die reinste Zauberei.

Fast schwerelos erhob Parker sich vom Schotter der schmalen, unbefestigten Straße, tat einen weiten Sprung nach oben, richtete sich voll auf, torkelte schwebend in der Luft wie ein Ballon und kam dann im Zeitlupentempo wieder zurück auf den Straßenbelag.

„’ne Gummipuppe“, stellte Richie fassungslos fest.

„’ne Falle!“ präzisierte Paul.

„Nichts wie weg“, schrie Richie und rannte zurück zum VW.

„Dieser listige Hund“, beschwerte sich Paul, während er seinem Partner folgte. Sie erreichten fast gleichzeitig den VW, Richie klemmte sich hinters Steuer und schob den Gang ein. Er fühlte eine seltsame Lähmung und Schwäche in sich aufsteigen. Er sah plötzlich zwei, dann drei und schließlich vier Straßen vor sich und wußte nicht, auf welcher er sich befand.

Das Gift der Blasrohrpfeile tat bereits seine Wirkung.

Paul brabbelte Worte ohne Sinn und Verstand vor sich her, lachte unvermittelt auf und wollte aussteigen.

Richie entschied sich für die Straße, die genau vor seinen Augen lag, womit er sich prompt falsch entschied. Er steuerte den VW zielgerecht in den Graben, worauf Paul aussteigen konnte. Nach ein paar Schritten blieb der junge Killer mit den grünen Augen regungslos im Gras liegen.

Richie beschwerte mit dem Oberkörper das Steuerrad und schnarchte bereits. Parkers Spezialgifte waren eben das Beste, was auf diesem Gebiet zu bekommen war. Seine listenreichen Täuschungsmanöver ließen sich ohnehin kaum nachahmen. Darin war er einsame Klasse.

Dieser Josuah Parker erschien jetzt aus den Nebelschwaden, die sich bereits verflüchtigten, und untersuchte die beiden Killer. Er trug bereits wieder Melone und Universal-Regenschirm. Wohlgefällig betrachtete er die beiden außer Gefecht gesetzten Gangster, von deren Verfolgung er natürlich gewußt hatte. Der VW war ihm in der vergangenen halben Stunde nachdrücklich aufgefallen. Darauf hatte der Butler sich dann seinen Reim gemacht.

Er entwaffnete die Burschen und trug sie hinüber in das kleine Wäldchen jenseits des Straßengrabens. Dabei zeigte sich wieder mal recht deutlich, wie stark und fit Parker war, dem so etwas überhaupt nichts ausmachte.

Er opferte zwei seiner privaten Handschellen, setzte die beiden Killer um einen ansehnlichen Baumstamm herum und ließ sie diesen Stamm umarmen. Dann kettete er die Handgelenke aneinander und war sicher, daß die Kerle ohne die Verwendung einer Baumsäge nicht mehr loskamen. Nach getaner Arbeit machte der Butler sich auf den Weg, seinen beiden Damen einen Besuch abzustatten.

Er wußte nicht, was sich im Cottage bisher ereignet hatte, und war noch recht guter Dinge.

*

Der Zaun aus starkem Maschendraht besaß ein schmales Tor, durch das man den privaten Flugplatz betreten konnte.

Es war zwar dunkel, doch das Streulicht reichte aus, um Einzelheiten zu erkennen. Das kleine Städtchen in der Nähe von Gardenas Cottage lieferte genug Helligkeit.

Agatha Simpson marschierte voraus, stets bedroht von der schallgedämpften Waffe Gardenas. Sie trug die an sich leichte Reisetasche, in der sich die Beute des Bandenchefs befand. Lady Simpson hatte unterwegs immer wieder mit dem Gedanken gespielt, Gardena anzugreifen, doch das Risiko war einfach zu groß. Dieser Mann würde schießen, das wußte sie.

Also trabte die resolute Dame grimmig weiter und steigerte sich in Rage hinein. Es paßte ihr überhaupt nicht, den Kofferträger dieses Gangsters zu spielen. Sie hätte ihm die Reisetasche am liebsten um die Ohren geschlagen.

Der private Sportflugplatz bestand aus einer weiten Rasenfläche, deren Grenzen sich in der Dunkelheit verliefen. Die einfache Befeuerung war natürlich nicht eingeschaltet. Nur über dem Hangartor brannte ein einsames Licht.

Neben dem Hangar standen einige Sportmaschinen.

Mit dem Schalldämpfer stieß Gardena nachdrücklich gegen Lady Simpsons Rücken und bugsierte seine Gefangene auf eine einmotorige Maschine zu.

„Wollen Sie damit etwa fliegen?“ fragte sie entsetzt.

„Los, steigen Sie schon ein!“ Er führte sie an die Maschine heran und zwang sie auf den Sitz. Prustend und keuchend ließ die ältere Dame sich nieder und betrachtete mißtrauisch das kleine, halbkreisförmige Ruder, das aus dem Instrumentenbrett auf ihrer Seite hervorragte.

Schnell und geschickt schwang Gardena sich auf den Pilotensitz und betätigte den Anlasser.

Hustend und spuckend setzte der Motor sich in Bewegung. Die Schraube drehte sich und wurde zu einer flimmernden Scheibe.

Lady Agatha starrte in die Dunkelheit und fühlte sich gar nicht wohl.

„Wohin fliegen wir?“ fragte sie kleinlaut, was bei ihr höchst selten vorkam. Dann aber raffte sie sich zusammen. Sie hatte nicht die geringste Lust, in diesem für ihre Begriffe zerbrechlichen Etwas in die Lüfte zu steigen. Sie fingerte nach ihrer Lorgnette, die an einer Silberkette um ihren Hals hing und klappte sie auf. Der Stiel dieser Brille konnte zu einem sehr scharfen Stilett werden, wie sie schon häufig demonstriert hatte.

Es war bereits zu spät …

Die Maschine setzte sich in Bewegung und rollte auf die Startpiste. Gardena machte einen sehr konzentrierten Eindruck, beugte sich vor, um besser sehen zu können, korrigierte das Anrollen und richtete den großen Vogel dann aus.

Er gab Gas.

Der Motor donnerte auf, ein nervöses Vibrieren ging durch die Maschine, die noch von den Bremsen gehalten wurde. Dann aber löste Gardena die Bremsen und ließ den Vogel losmarschieren.

Agatha Simpson schloß die Augen und holte tief Luft. Sie hielt sich krampfhaft fest und stemmte sich mit ihren stämmigen Beinen gegen den Boden.

Dabei stellten sich ihre nicht gerade kleinen Schuhe auf die Seitenruderpedale.

Und das sollte Folgen haben!

Die Maschine kam aus dem geplanten Kurs, denn Gardena hatte mit diesem Gegendruck nicht gerechnet. Die Piper brach nach rechts aus und wollte sich um ihre Längsachse drehen.

„Füße weg!“ schrie Gardena wütend. Lady Simpson gehorchte augenblicklich, zog die Beine an und wurde hart in den Sitz zurückgedrängt.

Gardena brachte die Piper wieder auf Kurs, steigerte die Geschwindigkeit und donnerte in die Dunkelheit hinein. Lady Simpson schloß sicherheitshalber wieder die Augen und hielt die Luft an.

Und dann waren sie auch schon in der Luft.

Gardena lachte schallend auf und wandte sich abrupt an seine ältere Kopilotin.

„Na, wer sagt’s denn?“ rief er ihr zu, „alles in bester Ordnung!“

„Ich weiß nicht recht“, erwiderte Lady Simpson.

„Wieso, was soll sein?“

„Ich habe die Reisetasche vergessen“, bekannte die Detektivin. „Hoffentlich macht Ihnen das nichts aus!“

*

Josuah Parker war sehr betroffen.

Er schaute durch eines der kleinen Fenster in den Wohnraum des Cottage und entdeckte zuerst eine rothaarige Frau am Boden, die ganz eindeutig schwer verletzt war.

Kathy Porter?

Nein, sie lag rücklings auf der breiten Couch. Doch war auch sie verletzt worden?

Von Gardena und Agatha Simpson war nichts zu sehen.

Wartete der Chef der Schmugglerbande mit gezogener Waffe auf ihn? Hatte Gardena mitbekommen, daß er Besuch erhielt?

Die Sorge um seine beiden Damen trieb den Butler an.

Mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms schlug er die Fensterscheibe ein, um Gardena zu provozieren.

Keine Reaktion erfolgte.

Parker öffnete deshalb die Tür zum Cottage, stieß sie mit der Spitze seines Regenschirms auf und betrat den Wohnraum. Nach wenigen Sekunden wußte er, daß der Gangsterchef sich abgesetzt hatte.

Zuerst kümmerte Parker sich um Kathy.

Sie war unverletzt, aber stark betrunken. Parker konnte sich in etwa vorstellen, wer sie dazu gebracht hatte, denn normalerweise trank Kathy kaum. Gardena hatte sie mit Alkohol außer Gefecht gesetzt.

Die rothaarige Frau am Boden mußte Helen Winters sein, die Freundin des im Spital wahrscheinlich ermordeten Harry Lancing. Sie lebte, und ihre Verletzung erwies sich nicht als besonders gefährlich. Sie hatte eine starke Fleischwunde davongetragen, die der Butler erst mal versorgte.

Sie kam zu sich, war noch benommen, starrte ihn an und murmelte Worte, die der Butler zuerst nicht verstand. Dann aber formten ihre Lippen das Stichwort Flugzeug. Dem Butler ging ein Licht auf, er begriff, was sie sagen wollte. Von Melvin Roots wußte der Butler ja von der Existenz einer Piper, die Gardena als Fluchtwerkzeug benutzen wollte.

„Miß Porter, wie fühlen Sie sich?“ rief er Kathy an, die sich aufgerichtet hatte und ihn jetzt betrunken anlächelte.

„Wunderbar“, erwiderte sie mit schwerer Zunge.

„Kommen Sie!“ Er zog sie hoch und sah sie prüfend an. Er wollte sie mit Helen Winters nicht allein im Cottage zurücklassen. Die Freundin von Harry Lancing war unberechenbar und offensichtlich eine Mörderin.

„Sind Sie wieder einigermaßen klar, Miß Porter?“

„Wunderbar“, sagte sie und lächelte versonnen. Sie war sich ihrer Nacktheit überhaupt nicht bewußt, fiel dem Butler um den Hals und kuschelte sich dicht an ihn.

„Miß Porter, aber nicht doch“, sagte der Butler streng. „Seit wann sind Gardena und Agatha Simpson gegangen?“

Sie wußte es nicht und schlief an seiner Brust fast wieder ein. Parker stand unter Zeitdruck und überlegte, was er machen sollte. Nahm er Kathy mit hinüber zum Flugplatz, von dem Roots gesprochen hatte, dann verlor er vielleicht wertvolle Minuten. Aber durfte er sie allein im Cottage lassen?

Er nahm Kathy auf seine Arme und beförderte sie zurück ins Bad. Er stellte sie unter die Dusche und betätigte sich als Bademeister. Er sprühte sie mit kaltem Wasser ab, bis sie sich schüttelte. Dabei hatte der Butler ausgiebig Gelegenheit, die Schönheit ihrer Körperlinien wieder mal zu bewundern. Kathy Porter konnte es wirklich mit jedem Top-Mannequin aufnehmen.

„Kommen Sie jetzt allein zurecht?“ fragte er Kathy, die aus der Duschkabine herausdrängte.

„Natürlich.“ Ihre Stimme klang bereits bedeutend klarer und konzentrierter.

„Ich werde mich jetzt um Lady Simpson kümmern“, erklärte Parker ihr. „Warten Sie hier auf mich, Miß Porter! Lassen Sie sich von Helen Winters nicht überraschen, ich weiß nicht, wie aktiv sie in Wirklichkeit ist!“

„Ich werde schon aufpassen“, versprach Kathy und sah an sich herunter, entdeckte ihre Nacktheit und griff nach einem Handtuch.

„Ich habe selbstverständlich überhaupt nichts gesehen“, sagte Parker, lüftete seine schwarze Melone und beeilte sich, zum Flugplatz zu kommen.

Er hatte den Zaun aus Maschendraht noch nicht ganz erreicht, als starkes Motorengeräusch ihn hellhörig werden ließ. Er sah zum nächtlichen Himmel hoch, suchte nach einer Maschine und zog dann unwillkürlich den Kopf ein, als ein Hochdecker aus der Dunkelheit heraus direkt auf ihn herunterstieß.

Ein Sturzflug war dagegen nur ein sanftes Schweben. Die Maschine schien abzustürzen!

Parker fühlte instinktiv, daß seine Herrin sich in diesem großen Vogel befand und an diesem rasanten Absturz nicht ganz unbeteiligt war.

Ihm brach daher, was sehr selten war, der kalte Schweiß aus.

*

Lady Agatha, die kriegerische Dame, hatte sich des Flugapparates bemächtigt.

Walter Gardena hing ohnmächtig in seinen Haltegurten und litt deutlich unter den Nachwirkungen von Myladys „Glücksbringer“. Sie hatte ihm zuerst das Stilett in die Seite gedrückt, seine Haut geritzt und dann den Pompadour über den Schädel geschlagen. Der Bandenchef beteiligte sich seit einigen Minuten nicht mehr an der Führung der Piper.

Das hatte nun Lady Agatha in die Hand genommen.

Sie hatte Minuten gebraucht, um die Funktion des Steuerruders und der beiden Pedale zu erkennen. Danach aber begeisterte die Sechzigjährige sich an der Fliegerei, zog den Steuerknüppel dicht an ihren Leib heran und ließ die Piper fast senkrecht hinauf in den nächtlichen Himmel steigen.

Sie absolvierte daraufhin eine raffinierte Kunstflugfigur, die in keinem Wettbewerb bisher gezeigt worden war. Mylady trat freudig mal auf das linke, dann wieder auf das rechte Seitenruderpedal, Die an sich gutmütige Piper geriet daraufhin in echte Verwirrung und Schwierigkeiten. Die Maschine wußte nicht, was sie tun sollte. Sie entschied sich fürs Trudeln, kippte über die linke Fläche ab und schoß nach unten.

Mylady fand das ungemein anregend.

Sie sah die Lichter auf dem Boden rasend schnell näher kommen, stieß und zerrte am Höhenruder herum, als rühre sie einen Pizzateig und erreichte es tatsächlich und ungewollt, daß die Piper in einen steilen Gleitflug überging.

Lady Agatha schoß mit der Maschine dicht über einen Zaun hinweg und donnerte dann auf den Hangar zu.

Sie hatte im Grunde keine Ahnung, in welcher Lebensgefahr sie sich befand, und nur den Eindruck gewonnen, daß diese Maschine sich leichter steuern ließ als ein Auto. Sie sah den Hangar, der in Sekundenschnelle größer wurde, riß das Höhenruder wieder an ihren fülligen Leib heran und hüpfte elegant über das Dach hinweg. Mylady spürte den harten Schlag, der durch die Maschine ging, achtete jedoch nicht weiter auf ihn.

*

Josuah Parker war fassungslos.

Er hatte gegen den hellen Hintergrund genau gesehen, daß die Maschine das Dach des Hangars gestreift hatte. Das linke Bein des Fahrgestells wirbelte durch die Luft und schlug krachend nicht weit von Parker entfernt auf den Boden.

Lady Simpson war wohl kaum noch zu retten.

Parker kam sich ungemein hilflos vor. Wie sollte er seiner Herrin helfen? Sie hatte doch keine Ahnung, wie man ein Flugzeug steuerte. Früher oder später mußte es zur Katastrophe kommen. Hinzu kam noch die Dunkelheit, die es Mylady unmöglich machte, sich wenigstens einigermaßen zu orientieren.

Da war sie schon wieder …

Diesmal hatte die ältere Dame sich eindeutig für den Tiefflug entschieden.

Sie kam wieder aus der Dunkelheit angerast und donnerte an Parker vorbei. Dazu schien sie noch triumphierend oder grüßend mit den Tragflächen der Piper zu wackeln. Der Abstand zwischen Flugzeug und Piste betrug nur knapp zwei Meter.

Und schon war sie vorüber und zog steil zum Himmel empor. Josuah Parker verhüllte im übertragenen Sinn sein Haupt. Plötzlich erinnerte er sich eines Fernsehspiels, in dem der Held, der von der Fliegerei keine Ahnung hatte, per Sprechfunk sicher zu Boden gebracht worden war. Ließ sich das in der Realität nachvollziehen?

Parker sah zu dem kleinen Miniatur-Tower hinüber, setzte auf diese Karte und rannte mit flatterndem Zweireiher quer über die Piste zum Leitturm, um plötzlich wie angewurzelt stehen zu bleiben.

Das eben noch regelmäßige Motorengeräusch ging in ein Husten und Spucken über, dann herrschte unheimliche Stille …

Aus!

Jetzt mußte von irgendwo aus der Dunkelheit heraus der zuckende Feuerschein einer explodierenden Maschine zu sehen sein.

Doch nichts war zu sehen und zu hören.

Dann folgte ein Rumpeln, ein blechernes Klappern.

Parker drehte sich etwas um und hechtete zu Boden, worunter die Korrektheit seines Zweireihers sichtlich litt. Er entwischte gerade noch der Piper, die auf ihn zukam.

Aber sie befand sich auf dem Boden!

Sie rollte auf dem noch intakten rechten Bein des Fahrgestells dicht an Parker vorüber und hielt direkt auf den Hangar zu. Parker sah der Piper fasziniert nach, schüttelte immer wieder den Kopf und glaubte an eine Halluzination.

Diese Halluzination wirbelte plötzlich herum, kippte seitlich zu Boden, drehte sich im Kreis und blieb dann unbeweglich und schräg auf der Grasfläche stehen.

Parker pfiff unter diesen Umständen auf alle Vornehmheit. Er rannte los wie ein junger Hüpfer und entwickelte dabei eine erstaunliche Geschwindigkeit. Er erreichte die Piper und sah, wie Lady Agatha Simpson ausstieg, unternehmungslustig und sehr zufrieden.

„Mylady!“ rief Parker.

„Hallo, Mister Parker“, antwortete sie und kam auf ihn zu. „Haben Sie etwa gesehen, wie ich geflogen bin?“

„Es war äußerst beeindruckend“, gestand der Butler und unterdrückte einige Seufzer. Er hatte sich bereits wieder unter Kontrolle.

„Es war direkt eine Lust, Mister Parker“, freute sich Agatha Simpson. „Besorgen Sie gleich morgen eine Maschine. Ich glaube, ich kenne jetzt mein wirkliches Hobby!“

„Mylady sollten vielleicht vorher den Flugschein machen.“

„Papperlapapp, Mister Parker, mit solchen Lappalien gebe ich mich erst gar nicht ab. Sie haben doch mit eigenen Augen gesehen, daß ich fliegen kann.“

„In der Tat, Mylady, aber haben Mylady auch bemerkt, daß die Maschine den linken Teil des Fahrgestells verlor?“

„Tatsächlich!“ Agatha Simpson drehte sich zur Piper um. „Ich wunderte mich schon, warum sie so schief landete.“

„Auf einem Bein, sozusagen, Mylady.“

„Na und, es reichte doch! Ich frage mich, warum man überhaupt zwei Beine einbaut? Sinnlose Verschwendung in meinen Augen.“

Parker bedeckte innerlich sein Gesicht. Wieder mal! Gegen die Logik seiner unternehmungslustigen Herrin kam er einfach nicht an. Sie war ein Naturereignis, das man über sich ergehen lassen mußte. Still, bescheiden und möglichst ohne Gegenwehr.

*

Kathy stand nackt unter der kalten Dusche und vertrieb den letzten Rest des Alkohols aus ihrem Körper. Sie hatte eben noch nach Helen Winters gesehen und sich vergewissert, daß sie nicht aktiv werden konnte. Die rothaarige Freundin des ermordeten Harry Lancing dämmerte vor sich hin und war keine Gefahr.

Wohlig streckte Kathy die Arme aus und genoß das kalte Wasser. Wegen Lady Simpson und Butler Parker machte sie sich keine Sorgen. Sie wußte aus Erfahrung, daß nichts passieren würde.

Sie sah nicht den Mann, der hinter ihr auftauchte und eine Maschinenpistole in Händen hielt.

Dieser Mann hatte gerade Helen Winters brutal getötet. Die rothaarige Frau lag in verkrümmter Haltung auf dem Boden. Sie war mit dem Kolben der MP erschlagen worden.

Jetzt sollte Kathy an die Reihe kommen.

Der Mörder war fest entschlossen, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Er gierte nach der Beute von Walter Gardena und war schon seit Wochen hinter dem bereits erlösten Geld und den noch vorhandenen Rohdiamanten her.

Einen Moment lang ließ er sich von dem schlanken, nackten Körper ablenken. Doch dann nahm sein Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an. Der Mann hob den Lauf der Maschinenpistole.

Er sah nicht, was sich hinter seinem Rücken tat.

Parker war auf der Bildfläche erschienen und reagierte augenblicklich.

Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms schlug er nachdrücklich zu. Der Mörder schrie auf, als seine rechte Hand getroffen wurde, wirbelte herum und sah sich Josuah Parker gegenüber. Parker stellte sich nicht noch mal besonders vor, sondern schlug gekonnt zu und schickte den Mann zu Boden. Dann nickte er Kathy zu, die sich umgedreht hatte und entgeistert auf den am Boden liegenden Mann schaute. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, was hinter ihrem Rücken geschah.

„Mister James Gatson, der Privatdetektiv“, sagte Parker und deutete auf den wiederum seriös gekleideten Mann mit der randlosen Brille. James Gatson rührte sich nicht.

„Ich … Ich verstehe überhaupt nichts mehr“, sagte Kathy.

„Ich werde gern mit einer Erklärung dienen, Miß Porter“, antwortete der Butler, „aber vielleicht bedienen Sie sich eines möglichst großen Handtuchs. Ich möchte gestehen, daß selbst ich nicht gegen gewisse menschliche Schwächen gefeit bin.“

Kathy errötete sanft, lächelte und hüllte sich in ein Badetuch. Sie wollte ihren Lehrmeister nicht verführen, stieg über Gatson hinweg und lief hinter Parker her, der sich um Helen Winters kümmerte.

„Tot“, diagnostizierte der Butler und richtete sich auf. „Miß Winters dürfte einen äußerst hohen Preis für ihre Zusammenarbeit mit Gatson gezahlt haben.“

*

Parkers hochbeiniges Monstrum rollte vor Lady Simpsons Stadthaus in Shepherd’s Market aus. Er verließ den Wagen, schritt gemessen um den eckigen Kühler herum und ließ die beiden Damen aussteigen. Er ignorierte die Anwesenheit eines Mannes, der unter dem Vordach stand und sich bemerkbar machte.

„Ach, Sie sind es, Sounders“, meinte Lady Simpson.

„Ich erlaube mir, Sie zu begrüßen, Chefinspektor“, sagte Parker gemessen.

„Ich muß mit Ihnen reden“, schnarrte Sounders, der ein wenig aufgebracht zu sein schien.

„Und worüber?“ fragte Lady Simpson erfreut, „kommen Sie mit ins Haus, Chefinspektor, beteiligen Sie sich an einem kleinen Kreislaufbeschleuniger!“

„Ich bin dienstlich hier.“

„Was Sie nicht sagen, Sounders!“ spottete die Detektivin und betrat das Haus, dicht gefolgt von Sounders, der vor Eifer fast hechelte. Sie gingen sofort in den großen Wohnsalon, wo Parker umgehend eine kleine Erfrischung für Lady Simpson servierte.

„Wollen Sie nicht doch einen Kognak nehmen?“ erkundigte sich die Hausherrin leutselig. „Ich bin sicher, daß Sie ihn gleich brauchen werden.“

„Im Verlauf gewisser Ermittlungen sind meine Leute darauf gestoßen, daß Sie, Mister Parker, in einem Spital waren, in dessen Keller ein Angestellter des Hauses niedergeschossen wurde. Und Sie, Miß Porter, wurden dort ebenfalls gesehen. Gewisse Umstände lassen vermuten, daß auch Sie …“

„Papperlapapp, Sounders“, unterbrach Lady Simpson den Chefinspektor, den sie natürlich sehr gut kannte. „Versuchen Sie nicht, meinen Butler zu kopieren! Hören Sie sich lieber unsere Geschichte an! Und dazu werden Sie einen Kognak brauchen, glauben Sie mir!“

Sounders trank insgesamt vier Kognak, bis Parker seinen Bericht beendet hatte. Dann bat Sounders um eine fünfte Erfrischung und seufzte.

„Und wir rennen uns die Hacken ab“, meinte er dann geknickt, „konnten Sie uns nicht einen Tip geben?“

„Wann, lieber Sounders, wann?“ wollte die Lady wissen. „Wir hatten dazu überhaupt keine Zeit.“

„Die Ereignisse überstürzten sich geradezu“, entschuldigte sich auch Parker.

„Und ich war ziemlich betrunken“, gestand Kathy lächelnd.

„Wo, sagten Sie, kann ich die Täter finden?“ vergewisserte Sounders sich noch mal.

„Die Herren Melvin Roots, Walter Gardena, Richie und Paul sitzen zusammen mit dem Privatdetektiv James Gatson gemeinsam um einen ansehnlichen Baumstamm herum“, wiederholte der Butler noch mal. „Tragen Sie bitte Sorge dafür, Sir, daß ich meine Handschellen zurückerhalte! Sie werden möglicherweise in der Zukunft noch gebraucht.“

„Es ist nicht zu glauben.“ Sounders war beeindruckt und bat um eine sechste Erfrischung. „Ich brauche die Bande nur abholen zu lassen.“

„Wobei ich betonen möchte, daß Gatson bereits ein Geständnis abgelegt hat“, sagte Parker, „von den übrigen Herren mal ganz zu schweigen. Er tat sich mit Helen Winters zusammen, um die gesamte Beute der Diamantenschmuggler an sich zu bringen. Sie nannte ihm im Endstadium schließlich sogar das Versteck von Gardena und lud ihren Mörder förmlich zu sich ein.“

„Und die Beute?“ wollte Sounders wissen.

„Kathy, Kindchen, holen Sie die Tasche“, bat Agatha Simpson. „Sie ist vollgestopft mit Banknoten und Rohsteinen.“

„Und sie enthält zusätzlich noch die Ware, die diesen Fall auslöste“, fügte der Butler hinzu. „Rohdiamanten im Wert von fast dreißigtausend Pfund. Miß Winters gab sie nach ihrem Mord an Lancing an Gatson weiter. Und Mister Gatson wiederum war so freundlich, sie in seinem Wagen mit an den Tatort zu bringen. Von Mister Gardenas Cottage aus wollte er die Flucht allein und ganz bestimmt ohne Helen Winters fortsetzen.“

„Die Tasche, Kindchen“, erinnerte Lady Simpson ihre Sekretärin.

„Welche Tasche, Mylady?“ erkundigte sich Kathy Porter erstaunt.

„Die mit der Beute und den Steinen, ich stellte sie neben Mister Parkers Wagen.“

„Davon haben Sie mir aber nichts gesagt“, gab Kathy achselzuckend zurück.

„Richtig, Kindchen, richtig“, erinnerte sich Lady Agatha und schlug sich ungeniert mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Du lieber Himmel, ich werde vergeßlich. Mein dummer, kleiner Kopf! Was soll man dazu sagen?“

„Sie … Sie haben die Tasche draußen im Gelände gelassen?“ fragte Sounders und rang sichtlich nach Luft.

„Tatsächlich“, bestätigte die Detektivin. „Ist das nicht lustig? Schon Mister Gardena war der Ansicht, als er sie im Flugzeug vermißte.“

Josuah Parker schätzte die Situation wieder mal vollkommen richtig ein und servierte Chefinspektor Sounders ungebeten eine siebte Erfrischung. Er war eben ein untadeliger Butler, den nichts aus der Fassung brachte.

ENDE

Butler Parker Paket 3 – Kriminalroman

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