Читать книгу Butler Parker Paket 3 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 12
ОглавлениеLady Agatha war äußerst unwirsch.
Die streitbare, alte Dame hatte gerade im Hydepark einige Schwäne gefüttert und wollte nun mit ihrer rei-zenden Gesellschafterin zurück zum Wagen. Eben noch hatte sie sich in einer ungemein friedlichen Stim-mung befunden, doch als sie jetzt die Mündung eines 38ers auf sich gerichtet sah, änderte sich das erheblich.
»Was hat das zu bedeuten, Sie Lümmel?« herrschte sie den jungen, gutaussehenden Mann an, der etwa fünfundzwanzig Jahre alt war. Er trug gut geschnittene, sportliche Kleidung und sah so gar nicht nach einem Gangster aus.
»Ich hoffe, Sie machen keinen Ärger, Mylady«, meinte der junge Mann, der etwas nervös wirkte. »Gehen Sie rüber zu dem Ford! Wir werden einen kleinen Ausflug machen.«
»Soll das etwa ein Überfall sein?« Myladys Stimme klang leicht gereizt und schon etwas kriegerisch.
»Haargenau, Mylady. Und wenn Sie nicht spuren, werde ich auf Ihre Gesellschafterin schießen!«
Lady Agatha Simpson, etwa um die sechzig Jahre alt, groß, von imponierender Gestalt und an eine Büh-nenheroine erinnernd, schaute verächtlich auf die Waffe, die übrigens mit einem modernen Schalldämpfer versehen war.
Kathy Porter, Myladys Gesellschafterin, wußte sofort, daß hier nicht gespaßt wurde. Der junge Mann war zwar nervös, ließ aber sehr genau erkennen, was er wollte.
»Bitte, Mylady«, sagte Kathy Porter schnell zu Agatha Simpson, die angriffslustig wirkte.
»Worum ich auch gebeten haben möchte«, ließ sich in diesem Moment eine männliche Stimme hinter den beiden Damen vernehmen. Lady Simpson drehte sich halb um und sah sich einem Mann gegenüber, der schon wesentlich eindeutiger nach einem Gangster aussah.
Er war etwa fünfunddreißig Jahre alt, untersetzt und muskulös und schien sich in früheren Jahren etwas zu häufig in einem Boxring herumgeprügelt zu haben. Seine Nase saß ein wenig schief im Gesicht, die linke Augenbraue verschwand halb in einer wulstigen Narbe.
Auch er hielt eine schallgedämpfte Schußwaffe in der Hand. Mit dem eckigen Kinn deutete er unmißver-ständlich hinüber auf den wartenden Wagen.
Lady Agatha war zwar bekanntermaßen kriegerisch und streitlustig, doch sah sie ein, daß Widerstand sinnlos war. Zudem sorgte sie sich um Kathy Porter. Einen Schuß auf ihre attraktive Gesellschafterin, die sie wie eine Tochter behandelte, wollte sie auf keinen Fall provozieren.
Mylady marschierte also auf den Wagen zu und zog dabei ein grimmiges Gesicht.
Am Steuer des parkenden Ford saß eine Art Albino.
Dieser Mann war vielleicht dreißig Jahre alt, hatte fast weißes Haar, weiße Augenbrauen und eine Ge-sichtsfarbe, die an frisch angerührten Kalk erinnerte. Die Augen schimmerten rötlich. Von diesem Mann ging eine Kälte aus, die fast körperlich zu spüren war.
*
Parkers hochbeiniges Monstrum – ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen Plänen umgebaut wor-den war – stand in einer Parktasche der Bayswater Road. Der Butler, korrekt gekleidet wie immer, hatte gerade seine unförmige Taschenuhr hervorgezogen und prüfte die Zeit. Lady Simpson war seit gut einer Viertelstunde überfällig.
Parker machte sich nicht gerade Sorgen, doch er wunderte sich ein wenig. Er kannte die Pünktlichkeit sei-ner Herrin, in deren Diensten er seit einigen Monaten stand. Es hatte sich bisher um sehr aufregende Monate gehandelt. Gemeinsam mit Mylady und Kathy Porter war er von einem Abenteuer ins andere getaumelt. Seit seiner Trennung von Mike Rander, seinem früheren Herrn, war Parkers Leben nur noch aufregender gewor-den.
Und genau das hatte Mike Rander ihm prophezeit.
Der junge Anwalt hatte sein Leben als Globetrotter aufgeben müssen. Mike Rander kümmerte sich wieder um seine Anwaltskanzlei und hatte seinen Butler an Lady Simpson weitervermittelt. Parker hatte diesen Tausch nie bedauert, denn an einem Leben in ruhigeren Bahnen war er keineswegs interessiert.
Er stand jetzt also neben seinem Wagen und wartete auf die Rückkehr von Agatha Simpson und Kathy Porter.
»Hallo, Sie …!«
Ein Junge von etwa vierzehn Jahren schlenderte auf den Butler zu und schwenkte einen Brief.
»Meinst du mich, mein Junge?« Parkers Stimme klang distanziert wie immer.
»Heißen Sie zufällig Parker?« erkundigte sich der Vierzehnjährige und blieb etwa zwei Meter vor dem Butler stehen, fluchtbereit und ihn listig abschätzend.
»In der Tat, mein Junge«, gab Parker gemessen zurück. »Sollte dieser Brief für meine Wenigkeit bestimmt sein?«
»Brechen Sie sich bloß keine Verzierung ab«, erwiderte sein Gegenüber spöttisch. »Wieviel ist Ihnen der Wisch hier wert?«
»Das hängt davon ab, wer ihn übermitteln läßt.«
»Irgend so eine Type drüben im Park.«
Parker langte in eine seiner zahlreichen Westentaschen und präsentierte dem Jungen einige Schilling, wo-rauf dieser einen leichten Lachanfall erlitt.
»Davon hab’ ich schon das Doppelte von dem Auftraggeber bekommen«, sagte er dann verächtlich.
Parker erhöhte sein Angebot. Er wußte bereits, daß es um ernste Dinge ging.
»In Ordnung, Sie können den Brief haben«, sagte der hoffnungsvolle Sprößling, »falls Sie noch mal ver-doppeln.«
»Ich möchte fast annehmen, daß du eines Tages Bankier werden wirst«, stellte Parker fest und kam dem Wunsch des Jungen nach, worauf er endlich den Brief erhielt.
Bevor er dem Elfjährigen irgendwelche Fragen stellen konnte, war er bereits in den Randsträuchern des angrenzenden Parks verschwunden. Josuah Parker öffnete den Umschlag und zog einen Notizzettel hervor, auf dem in sehr dürren Worten stand, man habe Lady Simpson und Kathy Porter gekidnappt. Man warnte ihn, die Polizei zu verständigen und kündigte an, ihn im Laufe des Tages im Haus von Mylady Agatha anzu-rufen.
Damit war genau das eingetroffen, was der Butler eigentlich schon befürchtet hatte. Der immense Reich-tum seiner Herrin hatte ja eines Tages zwangsläufig gewisse Leute anziehen müssen, die eine Teilhaberschaft verlangten.
*
Die Fahrt dauerte fast eine Stunde und endete vor dem Tor eines ehemaligen Feldflugplatzes der Royal Air Force.
Dieser Platz machte einen völlig verrotteten Eindruck.
Der ehemalige Tower hatte keine einzige heile Fensterscheibe mehr, die Unterkunftsbaracken standen vor dem Zusammenbruch. Unkraut aller Art überwucherte die betonierten Verbindungsstraßen und die einstige Rollbahn. Um den Platz herum erhob sich ein Wald, weit und breit war kein Haus zu sehen.
»Wollen Sie es etwa wagen, mich hier festzuhalten?« entrüstete sich Lady Agatha grollend, während der untersetzte Boxer ausstieg und das Tor öffnete.
»Aber nein«, erwiderte der Albino vom Steuer her und kicherte, was sich irgendwie ein wenig irr anhörte. »Wir wissen doch, was wir Ihnen schuldig sind. Madam, Sie werden sich noch wundern.«
Der Ford rollte an, passierte das Tor und wartete, bis der Boxer das Tor wieder geschlossen hatte und ein-gestiegen war. Dann ging es in schneller Fahrt über eine der brüchigen Betonstraßen auf einen bunkerähnli-chen Erdhügel zu.
Lady Agatha wußte, auf welchem Flugplatz sie sich befanden, was sie ein wenig beruhigte. Sie befanden sich etwa dreißig Meilen nordwestlich von London, irgendwo in der Gegend von St. Albans.
Der Ford hielt an, Agatha Simpson und Kathy Porter stiegen aus.
Die attraktive Gesellschafterin von Mylady wirkte scheu und ängstlich wie ein verstörtes Reh. Innerlich schien sie vor Angst fast zu beben. Schüchtern schaute sie sich um.
Der sportliche, gut aussehende junge Mann ging bereits zu dem Erdhügel hinüber und öffnete eine Tür, die mit Eisenblech beschlagen war. Die Tür war offensichtlich vorbehandelt worden. Sie öffnete sich leicht, weil gut geölt, und gab den Blick frei in einen Betonbunker.
»Komfort wird später nachgeliefert«, sagte der Albino spöttisch und deutete in die ungastliche Unter-kunft. »Los, Madam! Worauf warten Sie noch?«
Kathy Porter, die innerlich keineswegs vor Angst bebte, schätzte die Chancen für eine blitzschnelle Be-freiungsaktion ab. Sie war in gewissen Künsten der Selbstverteidigung mehr als beschlagen. Zu diesen Küns-ten gehörte auch der Gebrauch der Handkanten und Füße.
Sie kam zu dem Schluß, daß die drei Männer einfach zu clever waren. Sie hielten auf Abstand und schie-nen den beiden Frauen nicht über den Weg zu trauen. Vielleicht hatte es sich schon bis zu ihnen herumge-sprochen, wie aktiv zum Beispiel eine Agatha Simpson werden konnte.
Lady Agathas Gedanken hatten sich in ähnlichen Bahnen bewegt. Auch sie hatte sich gefragt, ob es sinn-voll war, ihren Pompadour samt dem darin befindlichen »Glücksbringer« zu aktivieren. Bei dem »Glücks-bringer« handelte es sich immerhin um ein solides Hufeisen.
Auch die passionierte Detektivin kam zu dem Schluß, vorerst ruhig zu bleiben. Ganz instinkiv mochte sie den Albino nicht. Dieser Mann schien unberechenbar zu sein, rachsüchtig und nachtragend. Es war wohl angebracht, ihn vorerst in Sicherheit zu wiegen.
Lady Agatha marschierte deshalb auf ihren stämmigen Beinen zur Tür des Betonbunkers und erlitt dann plötzlich einen bedauernswerten Herzanfall, der sehr überzeugend wirkte.
Sie blieb plötzlich stehen, faßte nach der linken Hälfte ihres mächtig wogenden Busens und produzierte dazu Laute, die an die eines leicht erkälteten Hirsches erinnerten. Dann verdrehte sie ein wenig die Augen und schielte dabei gekonnt zu den drei Kidnappern hinüber. Sie wollte sich vergewissern, wie ihr Anfall wirkte.
Der junge, sportlich aussehende Mann sprang auf sie zu. Der ehemalige Boxer blieb wie erstarrt stehen, und der Albino kickste beeindruckt auf. Lady Agatha hatte ihm beim Zusammenbrechen ihren linken Ellbo-gen nachdrücklich in die Magengrube gerammt.
Dann lag die Sechzigjährige dekorativ am Boden und genoß den Aufruhr, den sie verursacht hatte.
*
Josuah Parker verhielt sich erstaunlich.
Er war nicht auf dem schnellsten Weg zurück in das Stadthaus von Mylady gefahren, um dort auf den an-gekündigten Telefonanruf der Kidnapper zu warten. Nein, Parker befand sich in der City von London und schien nichts Besseres zu tun zu haben, als dem Stadtteil Soho einen Besuch abzustatten.
Der Butler ließ seinen Wagen in einer kleinen Seitenstraße stehen und bemühte sich nach einem kurzen Fußmarsch in die Lokalitäten einer kleinen Pizzeria.
Der Wirt, ein überraschend magerer, kleiner Italiener, entdeckte den Butler, wieselte um die lange Barthe-ke herum und rannte temperamentvoll seinem Gast entgegen.
»Mister Parker«, stieß er begeistert hervor, »Sie hier in meinem kleinen Lokal! Das ich das noch erleben darf. Sie sind mein Gast, mein Ehrengast. Küche und Keller stehen zu Ihrer Verfügung.«
»Mit einer Auskunft wäre mir eigentlich mehr gedient«, antwortete Parker zurückhaltend. Temperament in dieser hohen Dosierung verwirrte ihn stets ein wenig, was er sich allerdings kaum anmerken ließ.
»Ich bin Ihr Diener«, sagte der Wirt, der sich dem Butler verpflichtet fühlte. Parker hatte diesen Mann, der übrigens ein vorzüglicher Koch war, vor vielen Monaten mal aus einer bösen Situation gerettet. Es han-delte sich um eine Sache mit der Mafia, die den Wirt fast das Leben gekostet hatte.
Parker ließ sich tief nach hinten ins Lokal führen und nahm in der Familiennische Platz. Er legte seine schwarze Melone und seinen altväterlich gebundenen Regenschirm sorgsam ab und entschied sich für einen Espresso.
»Verfügen Sie über mich«, bat Lorenzo Padeste, dessen Familie schon seit einigen Generationen in Lon-don lebte. Die lebhaften Gesten und Reden des Südländers hatte Padeste dennoch nicht vergessen.
»Aus Gründen, die ich nicht näher erläutern möchte, interessiere ich mich für Männer, die sich ganz offen-sichtlich auf Kidnapping spezialisiert haben«, sagte Parker rund heraus. Er wußte, daß er Padeste gegenüber offen reden konnte. Der Italiener verfügte über beste Informationen, die sich auf die Unterwelt von London bezogen. Was vielleicht damit zusammenhing, daß seine Pizzas erstklassig waren und sein Lokal von den Feinschmeckern der Unterwelt stark frequentiert wurde.
»Kidnapping?« Padeste schüttelte spontan den Kopf. »Das ist mir aber wirklich neu, Mister Parker. Wer befaßt sich schon damit?«
»Das eben möchte ich erfahren«, sagte Parker. »Wer käme dafür in Betracht, Mister Padeste? Ich möchte hoffen, daß Ihre Beziehungen immer noch sehr gut sind.«
»Ist denn irgend etwas passiert?« erkundigte sich Padeste neugierig.
»Meine Frage ist hypothetischer Natur«, wich Parker gemessen aus.
»Dann muß ich aber erst mal nachfragen. Darf ich mir die Freude machen und Ihnen noch einen weiteren Espresso servieren?«
Parker schüttelte den Kopf und blieb stocksteif sitzen, als habe er einen Ladestock verschluckt. Er wartete vornehm und gelassen auf die Rückkehr seines Gastgebers. Nach gut zehn Minuten erschien Padeste wieder am Familientisch. Er glühte vor Eifer.
»Fragen Sie mich nicht, Sir, wer mir den Tip gegeben hat und vergessen Sie bei der Madonna, daß ich Sie informiert habe«, schickte er voraus, »aber es scheint, daß Charles Hampton geplant hat, sich auf diese schreckliche Art zu bereichern.«
»Charles Hampton?« Parkers Antwort wirkte neugierig.
»Sie kennen den Gentleman?«
»Flüchtig«, erklärte der Butler. »Immerhin weiß ich, wo ich den besagten Herrn finden kann.«
»Hampton ist gefährlich«, warnte Padeste gestenreich.
»Hat sein Image sich geändert?« wollte Parker weiter wissen.
»Es hat stark gelitten«, berichtete Padeste. »Man wirft ihm vor, er habe einen Spielclub ausräumen lassen. Man stelle sich so etwas vor, Mister Parker. Er bestiehlt Freunde! Dieser Mann kann keine Moral haben.«
»Und so etwas läßt man sich gefallen?« wunderte sich Parker.
»Was soll man tun?« Padeste rang die Hände und zog ein verzweifeltes Gesicht. »Er ist noch zu mächtig, begreifen Sie? Werden Sie sich vielleicht mit ihm befassen?«
»Ich möchte es vermeiden, mich unnötig festzulegen«, erwiderte der Butler zurückhaltend. »Sollten Sie weitere Informationen hinsichtlich eines Kidnapping erhalten, so lassen Sie es mich wissen. Hier, meine Kar-te.«
Parker reichte dem Inhaber der Pizzeria seine neue Visitenkarte, die Padeste achtlos einstecken wollte. Doch im letzten Moment entdeckte er die neue Adresse und begriff sofort.
»Lady Simpson?« fragte er und dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern, »ist sie etwa …?«
»Es hat den Anschein«, entgegnete der Butler gemessen und erhob sich. »Zu keinem Menschen ein Wort, wenn ich darum bitten darf.«
»Ich bin schweigsam wie ein Grab«, versicherte Padeste überzeugend. Dennoch wußte Parker sehr genau, wie schnell die sensationelle Nachricht von der Entführung der Lady in der Unterwelt die Runde machen würde.
Aus diesem Grund hatte er ja Padeste zielsicher aufgesucht.
*
»Mein kleines, dummes Herz«, sagte Agatha Simpson, als sie für die drei Kidnapper wieder zu sich kam. Sie sah sich gekonnt verwirrt um und richtete sich auf.
Mit großer Genugtuung nahm sie zur Kenntnis, daß der Albino noch sichtlich unter Magenschmerzen litt.
Er massierte sich die getroffene Partie und starrte Lady Simpson gereizt und böse an.
Der ehemalige Boxer half Mylady mit starken Armen auf die stämmigen Beine.
»Geht es wieder?« fragte der sportlich aussehende junge Mann, während er Kathy Porter nicht aus den Augen ließ. Sie hatte sich neben Mylady niedergekniet und war sichtbar besorgt. Dem jungen Mann waren dabei die mehr als erfreulichen Linien ihres Körpers nicht entgangen.
»Schluß mit dem Theater«, fauchte der Albino, der dem Braten wegen des verpaßten Magenhakens offen-sichtlich nicht traute. »Rein mit ihr in den Bunker!«
»Mylady ist sehr herzkrank«, sagte Kathy Porter anklagend.
»Sie wird’s schon überleben«, stellte der Albino fest und trat vorsichtshalber zur Seite, als der ehemalige Boxer die Lady zu dem Bunkereingang führte. Der Albino war an einem zweiten Magenhaken nicht interes-siert.
»Was wollen Sie denn von Mylady?« fragte Kathy Porter empört. »Sie werden diese Frau noch umbrin-gen.«
»Worauf sie sich verlassen kann, falls sie nämlich nicht zahlt«, antwortete der Albino gehässig.
»Verlangen Sie etwa ein Lösegeld für mich, Sie Lümmel?« erkundigte sich Agatha Simpson grimmig.
»Sie merken aber auch alles«, erwiderte der Albino, »und wenn die Scheinehen nicht pünktlich angeliefert werden, haben Sie keine Herzschmerzen mehr!«
»Sie Strolch«, stellte die Sechzigjährige sachkundig fest, um sich dann an den ehemaligen Boxer zu wen-den. »Bringen Sie mich nur ja schnell in dieses scheußliche Erdloch, ich möchte dieses Subjekt nicht mehr sehen!«
Das hörte der Albino gar nicht gern.
Schon an sich in Wut, tat er einen schnellen, unbedachten Schritt nach vorn und wollte Lady Agatha ins Gesicht schlagen. Doch es kam alles anders.
Die Detektivin parierte diesen Schlag sehr geschickt. Ihr Pompadour mit dem darin befindlichen »Glücks-bringer« wirbelte blitzschnell hoch und traf das Handgelenk des Mannes, den sie gerade als Subjekt bezeich-net hatte.
Dem Handgelenk bekam dieses Zusammentreffen mit dem »Glücksbringer« überhaupt nicht.
Der Albino heulte auf und vergaß die Ohrfeige.
Weinerlich und dabei undeutliche Weh- und Zischlaute ausstoßend, starrte er auf seine mißhandelte Hand.
Lady Agatha war in Fahrt.
Sie trat dem ehemaligen Boxer kräftig gegen das Knie, worauf der alte Kämpe aufjaulte wie ein Hund und das Gleichgewicht verlor. Er stolperte nach hinten weg und landete auf dem harten Zementboden. Dabei schlug er unglücklich mit dem Hinterkopf auf.
Er blieb benommen wie nach einem Niederschlag liegen und rollte dazu malerisch die Augen.
Kathy Porters Zusammenspiel mit Lady Agatha war einmalig.
Bevor der junge Mann knapp neben ihr überhaupt begriff, was los war, hatte er sich einen Handkanten-schlag eingefangen, der nicht von schlechten Eltern war.
Er litt sofort unter beachtlichem Luftmangel und faßte sich an den Hals. Doch der Mann erwies sich als zäher, als Kathy Porter inzwischen wußte.
Kathy beglückte den Mann mit einem zweiten Schlag, der den Oberarm traf, worauf der junge Mann nicht mehr sportlich wirkte. Ja, er machte sogar einen recht müden und abgeschlafften Eindruck. Seine Absicht, die Schußwaffe zu ziehen, vergaß er.
Lady Agatha befand sich inzwischen bereits auf der Flucht.
Im Vorüberhasten verabreichte sie dem Albino einen Fußtritt, als habe sie einen Fußball vor sich. Der Al-bino keuchte auf und sah der alten, streitbaren Dame fassungslos nach.
Daher übersah er Kathy Porter, die seitlich hinter ihm erschien.
Kathy Porter handelte wie unter einem inneren Zwang. Sie konnte nicht anders. Sie mußte es diesem Fle-gel zeigen.
Getroffen am Ohr, sackte der Albino in sich zusammen und fiel auf den ehemaligen Boxer, der sich gera-de wieder erheben wollte. Der Kopf des Boxers knallte erneut auf den Beton und brachte ihm das endgülti-ge »Aus«.
Agatha Simpson, angetan mit einem an sich sehr teuren, faltenreich wirkenden Kostüm, stürmte inzwi-schen auf den Wagen zu, den sie gerade erst verlassen hatte. Für ihre Jahre bewegte sie sich überraschend sportlich. Ihr eben noch überstrapaziertes, kleines, dummes Herz schien sehr leistungsfähig zu sein.
*
Josuah Parker hatte noch immer keine Eile, das Stadthaus von Mylady aufzusuchen.
Er blieb in Soho und verzichtete auch weiterhin auf seinen hochbeinigen Wagen. In Anbetracht der feh-lenden Parkplätze wollte er nicht das Risiko eingehen, den jetzigen Standplatz seines Wagens leichtsinnig aufzugeben.
Vielleicht riefen die Kidnapper inzwischen an und versuchten den ersten Kontakt herzustellen. Sie mußten sich eben gedulden und es später noch mal versuchen. Lady Simpson und Kathy Porter würde kaum etwas passieren. Vorerst wenigstens nicht. Es ging um Geld, wofür man gesunde Druckmittel brauchte.
Josuah Parker war natürlich innerlich sehr beteiligt.
Er schätzte seine Herrin ungemein und fühlte sich für sie voll und ganz verantwortlich. Wie auch für Ka-thy Porter, für die er fast so etwas wie väterliche Gefühle hegte. Fast, um genau zu sein! Auch ein Butler Parker besaß ein fein abgestuftes Innenleben und war für gewisse Reize durchaus noch sehr empfänglich.
Dennoch fiel es ihm nicht im Traum ein, jetzt durchzudrehen und wie ein aufgescheuchter Hahn herumzu-rennen. Was jetzt vonnöten war, waren starke Nerven und ein kühler Kopf. Und damit konnte Josuah Parker jetzt aufwarten!
Vor einem dreistöckigen Backsteinhaus blieb er stehen, orientierte sich kurz und marschierte dann auf die schwarz lackierte, vollkommen glatte Tür zu. Er läutete.
Es dauerte eine Weile, bis sich eine kleine Sichtklappe in der Tür öffnete. Ein bulliges Gesicht war zu se-hen, eine Visage, die zu einem Schläger gehörte.
»Parker mein Name«, stellte der Butler sich vor. »Josuah Parker. Mister Hampton wird mich empfangen, wenn er meinen Namen hört.«
Der Bullige musterte den Butler und grinste. Ein Butler wirkte vor diesem Privatclub ein wenig deplaziert.
»Moment, ich muß erst nachfragen«, sagte der Mann und schloß die Sichtklappe. Nach etwa einer Minute wurde die Tür von innen geöffnet.
Der Türsteher war genauso bullig wie sein Gesicht. Er mochte gut und gern seine zwei Zentner wiegen und erinnerte entfernt an einen mittelgroßen Gorilla.
»Haben Sie Waffen dabei?« fragte er.
»Selbst wenn …« Parker sah den Massigen kühl und abwehrend an.
»Dann sollten Sie sie rausrücken«, forderte der Bullige ein wenig drohend.
»Versuchen Sie es!« Parkers Augen wurden kalt wie Eis. Der Bullige fuhr ein wenig zurück und streckte dann zögernd seine Hände nach Parker aus. Er machte keinen sehr entschlossenen Eindruck. Sein Instinkt sagte ihm unüberhörbar, daß er es nicht mit einem üblichen Gast zu tun hatte.
»Nun, zu Mister Hampton, wenn ich bitten darf«, sagte Parker.
»Sofort, Sir«, sagte der Bullige und vergaß seine Absicht. Er übernahm die Führung und öffnete einen kleinen Lift, der sich am Ende eines kleinen Korridors befand. Erst hier fiel ihm ein, daß er den Besucher ja noch gar nicht auf Waffen hin untersucht hatte.
Er machte seine Absicht vielleicht nicht deutlich genug klar, aber er bewegte sich auch ein wenig zu unbe-herrscht. Seine Hände schossen nämlich vor und näherten sich dem Butler in einer aufdringlichen Art und Weise, die Josuah Parker überhaupt nicht schätzte.
Bevor Parker von den kräftig ausgebildeten Händen berührt werden konnte, legte er dem Bulligen ein kleines Hindernis in den Weg, das aus dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms be-stand. Als dieser Bambusgriff sich auf die Nasenwurzel des Bulligen setzte, kam der mittelgroße Gorilla aus der Puste, schnaufte bewegt und fiel rücklings in den Lift.
Mit dem Griff seines Regenschirms zog Parker den Schlafenden zu sich in den Fahrstuhl, drückte den Knopf für die dritte Etage und ließ sich mitsamt seinem Begleiter nach oben entführen.
Als sich am Ziel die Tür automatisch öffnete und Parker ausstieg, sah er sich zwei Revolvermündungen gegenüber, die auf ihn gerichtet waren. Sie befanden sich in den markigen Händen zweier junger Männer, die sehr profihaft wirkten.
*
Agatha Simpson erwies sich als eine kundige Geländefahrerin.
Sie saß am Steuer des Ford und achtete kaum auf das angstverzerrte Gesicht ihrer attraktiven Begleiterin. Kathy Porter, die den eigenwilligen Fahrstil von Mylady kannte, ahnte bereits im vorhinein, daß sie wohl nicht weit kommen würden.
Die Detektivin schien den ersten Gang zu bevorzugen.
Der Ford raste mit heulendem Motor über den Betonweg und verließ ihn dann abrupt. Lady Agatha hatte nicht etwa die Gewalt über das Steuer verloren.
Mitnichten!
Lady Agatha hatte so etwas wie eine Abkürzung entdeckt und wollte sie konsequent nutzen.
Sie jagte den Wagen durch ein weites Unkrautfeld und schwang sich dazu auf, nun auch den zweiten Gang zu benutzen, was dem Wagen eindeutig mehr Temperament verlieh.
Das hochwuchernde Unkraut hatte gnädigerweise einen Stoppelacker verdeckt, der sich für die Stoß-dämpfer und Federn des Ford nicht besonders günstig auswirkte. Der Wagen hoppelte in kurzen, fast ent-setzt anmutenden Sätzen über diesen Stoppelacker und entledigte sich dabei erst mal der verchromten Zier-radkappen.
Anschließend prüfte Lady Agatha sehr konsequent die Qualität der Auspuffanlage aus.
Zuerst blieb das Endrohr auf der Strecke, dann säbelte die Sechzigjährige den eigentlichen Auspufftopf ab. Anschließend testete sie das Differential, das sehr verdächtig knackte, aber vorerst noch hielt.
»Lady Simpson, sollten Sie nicht vielleicht etwas langsamer fahren?« rief Kathy Porter der streitbaren, äl-teren Dame zu und hielt sich verzweifelt fest.
»Papperlapapp, Kindchen«, gab sie mit dunkler, baritonal gefärbter Stimme zurück, die entfernt an die ei-nes Sergeanten der Horse-Guards erinnerte. »Haben Sie etwa Angst? Was war das gerade?«
»Wahrscheinlich die Ölwanne, Mylady«, erläuterte Kathy Porter.
»Brauchen wir sie überhaupt, Kindchen?«
»Auf Dauer schon, Mylady.«
»Dann ist es ja gut.« Lady Agatha fühlte sich am Steuer äußerst wohl. »Die Seitenspiegel sind übrigens nicht notwenig, Kindchen. Trauern Sie ihnen nicht unnötig nach!«
Der Hinweis von Lady Agatha war angebracht, denn soeben hatten die beiden Seitenspiegel es vogezo-gen, vom Wagen abzuspringen.
»Haben wir die Strolche abgehängt?« wollte die Frau am Steuer wissen.
»Es sieht so aus, Mylady.« Kathy Porter drehte sich um und konnte die drei Kidnapper tatsächlich nicht mehr sehen. Die Abkürzung, die Lady Simpson gewählt hatte, schien ihre Vorzüge zu haben.
Leider passierte es genau in diesem Moment!
Das hohe Unkraut hatte nicht nur gewisse Unebenheiten des Stoppelackers verborgen, sondern auch einen Drainagegraben, der für die Entwässerung diente.
Der Ford fetzte in diesen Graben hinein und blieb rettungslos stecken.
Lady Agatha schnaufte ein wenig überrascht, als die Fahrt derart jäh beendet wurde.
»Kommen Sie, Kindchen, weiter«, rief sie ihrer Gesellschafterin zu und wollte aussteigen.
Erst jetzt merkte Agatha Simpson zu ihrem Entsetzen, daß Kathy Porter seltsam verrenkt vor dem Sitz lag und sich nicht rührte. Beim Zurücksehen hatte sie wohl für einen Moment ihren sicheren Halt aufgegeben und war von dem Aufprall in dem Drainagegraben überrascht worden.
*
»Sie scheinen einen ausgeprägten Sinn für Dramatik zu haben«, sagte Josuah Parker zu dem großen, kor-pulenten Mann, der hinter den beiden Revolverträgern stand. »Mister Charles Hampton, wie ich vermuten darf?«
Parker übersah souverän die Schußwaffen und lüftete andeutungsweise seine schwarze Melone.
»Sie sind also Parker!« Der Mann mit der hohen Stirnglatze sah den Butler neugierig an. »Stimmt übri-gens, ich bin Hampton.«
Der Vertreter der Unterwelt trug einen weiten Morgenmantel aus Seide und ein Halstuch. Er hielt sich überstraff wie ein pensionierter Major, obwohl er höchstens fünfundvierzig Jahre alt sein konnte.
Die beiden jungen Männer mit den Schußwaffen kamen sich etwas verloren vor. Natürlich hatten sie den im Lift schlafenden Gorilla längst entdeckt und wunderten sich wohl, daß ihr Herr und Meister sie nicht auf diesen Butler hetzte. Mit dem höflichen, zivilen Ton Hamptons wußten sie ganz eindeutig nichts anzufan-gen.
»Holt ihn raus und bringt ihn wieder auf die Beine«, ordnete Hampton an und nickte dann dem Butler zu. »Ich bin gespannt, was Sie von mir wollen.«
Parker folgte dem Gangsterchef in einen Wohnraum, der von einem exzentrischen Innenarchitekten einge-richtet worden sein mußte. Seinen Augen bot sich eine wahre Orgie in Plexiglas und Chrom. Es gab kaum ein Möbelstück, das nicht aus diesen etwas kühl wirkenden Werkstoffen bestand. Für die Sitzpolster hatte man selbstverständlich schwarzes Leder verwendet, die Bilder an den Wänden waren abstrakt.
»Nun, Mister Parker, was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Hampton.
»Ich möchte Ihnen meine Mißbilligung aussprechen«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Mir war bisher nicht bekannt, daß Ihre Aktivitäten sich auch auf das Kidnapping erstrecken.«
»Kidnapping?« Hampton wirkte überrascht.
»Lady Agatha Simpson, für die als Butler zu arbeiten ich die Ehre und das Vergnügen habe, wurde vor einer guten Stunde ganz eindeutig entführt. In diesem Zusammenhang wurde Ihr Name als der des Initiators genannt, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Das ist doch Unsinn!« Hampton überlegte kurz. »Lady Simpson, sagten Sie? Diese Lady Simpson …?«
»Diese Lady Simpson«, bestätigte Parker, der sehr wohl wußte, welchen Klang dieser Name hatte.
»Ich denke, Sie arbeiten für Mister Rander, den Anwalt.«
»Das liegt bereits Monate zurück«, lautete Parkers Antwort. »Ich ließ mich an Lady Simpson quasi auslei-hen. An jene Mylady, die Ihre Leute nun entführt haben.«
»Das ist und bleibt reiner Unsinn, Parker. Ich habe damit nichts zu tun. Wer behauptet denn das?«
»Ein kleiner Straßenjunge, der mir einen Brief der Kidnapper überbrachte und dabei ausdrücklich den Namen Hampton erwähnte.«
»Wenn schon … Nun hören Sie mal gut zu, Mister Parker, wenn ich das Ding inszeniert hätte, würde ich mich hüten, meinen Namen bekannt werden zu lassen.«
»Möglicherweise verfolgen Sie eine Taktik, die meine bescheidene Wenigkeit nicht zu durchschauen ver-mag.«
»Nun stapeln Sie bloß nicht tief, Parker! Ich weiß verdammt genau, wie clever Sie sind. Wenn ich nur wüßte, was Sie wirklich wollen. Sie verfolgen doch einen Trick, oder?«
»Ich möchte betonen, daß mich die tiefe Sorge um Myladys Wohlergehen zu diesem Schritt bewogen hat.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort.« Charles Hampton sah den Butler mißtrauisch an. »Wollen Sie mich in die Suche nach den tatsächlichen Kidnappern einspannen?«
»Auf diesen Gedanken, Mister Hampton, wäre ich nie gekommen, wenngleich er einige Reize aufweist.«
»Ich werde den Teufel tun und mich einschalten«, stellte Hampton energisch fest und schüttelte dazu nachdrücklich den Kopf. »Sehen Sie zu, wie Sie Ihre Lady finden, Parker! Ich halte mich da raus.«
»Sie werden verstehen, Mister Hampton, daß ich meinen bescheidenen Weg gehen muß«, antwortete Jo-suah Parker höflich. »Mit anderen Worten, ich werde mich notgedrungen mit Ihnen und Ihren Leuten befas-sen müssen. Für mich sind Sie der Mann, der hinter dieser Entführung steht. Gewisse Komplikationen schei-nen mir daher unausweichlich zu sein.«
»Sie wollen sich mit mir anlegen?« Hampton lachte erstaunlicherweise nicht auf.
»Der Not gehorchend, wie es so treffend heißt.«
»Dann sollen Sie Ihre erste Komplikation haben. Nämlich sofort, Parker! Wenn man mir mit Drohungen kommt, reagiere ich verdammt allergisch. In einer halben Stunde werden Sie hoffentlich begriffen haben, wer Charles Hampton ist.«
Während er noch redete, drückte er auf einen auf dem Arbeitstisch angebrachten Klingelknopf, worauf die beiden jungen Männer auf der Bildfläche erschienen und sich im übertragenen Sinn bereits die Ärmel aufkrempelten. Sie freuten sich augenscheinlich darauf, den Butler ein wenig durch die sprichwörtliche Mangel zu drehen.
*
»Los, raus, alter Drachen!«
Der Albino stand ein paar Schritte vor dem Wagen und nahm drohend seine Schußwaffe hoch. Er meinte Lady Agatha Simpson und war sehr gereizt.
Neben ihm baute sich der ehemalige Boxer auf, dessen Augen nach den beiden Bodenkontakten des Hin-terkopfes immer noch einen verschleierten Eindruck machten.
»Sie Monster«, entrüstete sich die Detektivin und deutete auf Kathy Porter.
»Ist sie …?« Der Albino sprach zwar nicht weiter, doch die Art der Betonung deutete zart an, daß er mit dem Tod der jungen Kathy Porter rechnete.
»Sie ist ohnmächtig«, sagte Lady Agatha, »und Sie sollten schleunigst etwas tun, bevor ich ärgerlich wer-de.«
Der ehemalige Boxer fühlte sich sofort angesprochen. Die feldwebelhafte dunkle Stimme Myladys war ei-ne Tonart, die ihn unmittelbar ansprach. Er hob Kathy Porter auf, die von der Detektivin bereits aus dem Wagen geschafft worden war.
»Reichen Sie mir mal diesen komischen Handbeutel rüber«, verlangte der Albino und deutete auf Myladys Handgelenk. Agatha Simpson sah ein, daß Widerstand oder Sträuben sinnlos war. Es ging ihr darum, daß Kathy Porter geholfen wurde.
Sie nestelte also den Pompadour los und warf ihn dem Albino zu. Der perlenbestickte, kleine Handbeutel sah äußerlich harmlos aus, aber er enthielt immerhin ein veritables Hufeisen.
Und da Lady Simpson ihren Pompadour mit sehr viel Schwung und Nachdruck durch die Luft wandern ließ, wurde der Albino erneut beeindruckt. Er wollte den Pompadour mit der linken Hand auffangen und wurde Bruchteile von Sekunden später leicht groggy geschlagen. Der »Glücksbringer« knallte ihm nicht nur die Hand weg, sondern legte sich auch auf seine Herzspitze.
Keuchend wich der Albino zurück und kämpfte gegen leichte Benommenheit. Dann starrte er mißtrauisch auf den Pompadour, der zu seinen Füßen lag.
»Machen Sie das bloß nicht noch mal«, fuhr er Agatha Simpson gereizt an.
»Wie sollte ich?« gab die Sechzigjährige grollend zurück. »Leider besitze ich nur diesen Pompadour.«
»Was machen wir jetzt, Eddy?« wollte der ehemalige Boxer von dem Albino wissen.
»Trag sie rüber zum Bunker«, befahl Eddy, der Albino, seinem Partner und dirigierte Mylady mit der Schußwaffe in die gewünschte Richtung. Dem Boxer folgend, der Kathy Porter trug, marschierte Agatha Simpson auf stämmigen Beinen los. Sie ärgerte sich, daß der Fluchtversuch derart mißlungen war, und sorgte sich selbstverständlich um ihre Gesellschafterin.
Der sportlich aussehende Mann kam ihnen entgegen und wirkte noch immer angeschlagen.
»Wo ist das Miststück«, schimpfte er, um Kathy Porter dann auf den Armen des Boxers zu entdecken.
»Laß sie in Ruhe«, sagte der Boxer zu dem jungen Mann, der Kathy Porters blasses, blutleeres Gesicht aus nächster Nähe studieren wollte. »Hau ab, Ritchie!«
Irgend etwas im Ton des Boxers ließ Ritchie vorsichtig werden. Er trat hastig zurück und gab den Weg frei. Lady Agatha stellte mit innerem Vergnügen fest, daß Kathy Porter in dem vierschrötigen Boxer wahr-scheinlich einen echten Beschützer gefunden hatte. Daraus ließ sich in naher Zukunft vielleicht noch etwas machen, falls ihre Gesellschafterin keine Verletzungen davongetragen hatte.
*
Die beiden jungen Männer in Hamptons Büro sahen keine Schwierigkeiten, was diesen komischen und konservativ aussehenden Butler anbetraf. Fast hatten sie so etwas wie Mitleid mit diesem Mann. Für ihre Schläge und Fäuste war er eine mehr als leichte Beute.
Charles Hampton war zurückgetreten, zündete sich gerade eine Zigarette an und harrte der Dinge, die da kommen mußten. Er dachte an die Worte des Butlers und ließ sie in sich nachwirken. Wenn er mit der Ent-führung der Lady Simpson bisher auch nichts zu tun gehabt hatte, so deutete sich hier doch ein einmaliges Geschäft an. Falls er sich da einschalten konnte, ließ sich leicht ein Vermögen verdienen.
Die Lady war bereits gekidnappt, aber das machte nichts. Mittels seiner sehr gut eingespielten Organisati-on mußte sich doch feststellen lassen, wer die Entführer waren und wo die resolute Frau festgehalten wurde. Mehr Informationen brauchte er nicht, um später abkassieren zu können.
Die beiden jungen Männer schoben sich inzwischen an den Butler heran und fintierten mit ihren herausge-schobenen Rechten. Sie drängten Parker in eine Zimmerecke und achteten dummerweise nicht einen Mo-ment lang auf den altväterlich gebundenen Regenschirm, den der Butler nicht aus der Hand gegeben hatte.
Als sie dann zur Sache kommen wollten, erlebten sie eine herbe Überraschung.
Dieser altväterlich gebundene Regenschirm war eine Waffe, die sie noch nicht kannten.
Josuah Parker handhabte seinen Regenschirm mit der Virtuosität eines Säbelkämpfers. Seine Ausfälle ka-men blitzschnell und konnten von den Augen der beiden Gegner kaum wahrgenommen werden.
Der erste junge Mann erhielt einen harten Treffer in der Herzgegend. Die Spitze des Regenschirms bohrte sich zwischen zwei Rippen und löste hier eine Schmerzexplosion aus.
Der Getroffene jaulte auf und beschäftigte sich intensiv mit seiner internen Luftversorgung. Er vergaß darüber für einen Moment seine ursprünglichen Absichten.
Der zweite junge Mann hatte inzwischen das eindeutige Gefühl, sein Magen sei von der Schirmspitze per-foriert worden.
Er setzte sich auf den nicht gerade billigen Teppich und befleckte ihn nachhaltig mit seinem Mageninhalt. Übrigens glaubte er zu sterben und hielt es daher nicht mehr für notwendig, sich an der Auseinandersetzung weiter zu beteiligen.
Charles Hampton fühlte sich ein wenig bedrückt.
Das, was er sah, war nicht geeignet, ihn in jene Hochstimmmung zu versetzen, die er erwartet hatte. Ge-wiß, er hatte schon von Butler Parker gehört, aber vieles davon für wilde Übertreibungen gehalten. Nun mußte er feststellen, daß Parker gewisse Schilderungen noch weit übertraf.
Hampton, der bisher auf eine Waffe verzichtet hatte, sah sich veranlaßt, eine private Aufrüstung vorzu-nehmen. Er bemühte sich schnell hinüber zu seinem verchromten Schreibtisch und öffnete die Lade. Er woll-te nach seiner darin befindlichen Waffe greifen.
Der Universal-Regenschirm des Butlers aber zeigte erneut, wie vielseitig er in der Hand eines Könners war.
Parker benutzte den bleigefütterten Bambusgriff dieses Schirms als Fang- und Greifhaken. Vor dem Schreibtisch stehend, zog er die halb geöffnete Lade wieder nachdrücklich zu und übersah dabei souverän, daß Hamptons Hand sich bereits in der Schublade befand, die das gar nicht besonders gern hatte.
Sie wurde jäh eingeklemmt und schmerzte.
Charles Hampton brüllte auf und weinte anschließend bittere Tränen.
Er vergaß darüber den Butler, zumal ihm ja auch wegen der Tränen ein wenig die Sicht genommen wurde.
Als er es endlich geschafft hatte, die Hand aus der verklemmten Lade zu ziehen, brüllte er seine beiden Leibwächter an und ließ erkennen, daß seiner Meinung nach ein gewisser Butler Parker nun endlich in der Luft zerrissen werden müßte.
Die beiden jungen Männer hatten sich von dem Ungemach erholt, das Parker ihnen serviert hatte. Sofort, wenn auch etwas zögernd, nahmen sie die Verfolgung Parkers auf.
Sie wickelten an der Tür ein höfliches Zeremoniell ab und ließen erkennen, welch gute Erziehung sie mal genossen hatten. Jeder wollte dem anderen den Vortritt lassen. Daß sie dabei ein wenig übertrieben, fiel ei-gentlich nur Charles Hampton auf.
»Raus endlich!« brüllte er in einem Ton, der sein Mißfallen deutlich erkennen ließ. »Worauf wartet ihr denn noch?«
Zur Unterstreichung seiner Worte und allgemeinen Aufmunterung griff er nach einem schwarzen Aschen-becher und warf ihn durchaus gekonnt nach seinen beiden Höflingen.
Als der Aschenbecher den Türrahmen erreichte und leicht demolierte, beendeten die beiden jungen Män-ner notgedrungen ihr Zeremoniell und stahlen sich hinaus auf den Korridor.
Hier angekommen, stellten sie mit freudiger Erleichterung fest, daß der Lift gerade das Erdgeschoß er-reichte und mit dem Lift wahrscheinlich auch ein gewisser Josuah Parker.
Wogegen sie überhaupt nichts einzuwenden hatten, wie man verstehen kann.
*
Es handelte sich um einen ehemaligen Munitionsbunker, in dem sich Agatha Simpson und Kathy Porter befanden.
Die junge, attraktive Gesellschafterin hatte sich längst von Myladys Geländefahrt erholt. Nur eine kleine Schwellung links oben an der Stirn zeugte noch von der Landung im Drainagegraben.
Der Bunker war fensterlos, feucht und enthielt nur zwei Campingsessel, die die Kidnapper für ihre Opfer herangeschafft hatten. Es roch muffig in dem Gelaß. Durch die Türschwelle sickerte schwaches Licht in die Dunkelheit.
Lady Simpson saß grimmig in ihrem Campingsessel und grollte. »Wenn man ihn braucht, ist er nicht da«, stellte sie fest.
»Sie meinen Mister Parker, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter.
»Wen sonst, Kindchen!? Wie konnte er es zulassen, daß wir entführt wurden?«
»Mister Parker trifft aber wirklich keine Schuld, Mylady.«
»Das weiß ich natürlich, aber ich will mich ärgern!«
»Mister Parker weiß inzwischen längst, was passiert ist.«
»Warum ist er dann nicht hier und setzt diesen Flegeln den Kopf zurecht?«
»Er wird bald auftauchen, Mylady.«
»Ich brauche keinen Trost, Kindchen«, grollte Agatha Simpson. »Ich will Taten sehen! Wer mögen diese Menschen sein, die uns entführt haben? Das Pulver haben sie ganz sicher nicht erfunden, oder?«
»Die drei Männer sind nur Werkzeuge«, pflichtete Kathy Porter der streitbaren älteren Dame bei.
»Glauben Sie, daß man uns noch lange in diesem scheußlichen Loch festhält, Kindchen?«
»Bestimmt nicht, Mylady«, erwiderte Kathy Porter, »das ist nur eine Zwischenstation. Man wird uns wohl noch weiter wegschaffen, wahrscheinlich mit einem Flugzeug.«
»Richtig, wir sind ja auf einem ehemaligen Feldflugplatz. Hören Sie, Kindchen, das wäre dann vielleicht eine Gelegenheit, diese drei Lümmel zu überwältigen.« Agatha Simpsons Stimme nahm einen optimistischen, aber auch sehr unternehmungslustigen Klang an. »Wissen Sie eigentlich, daß ich in jungen Jahren Pilotin war?«
»Oh!« sagte Kathy Porter nur beeindruckt und ahnungsvoll zugleich.
»Ich könnte den Steuerknüppel übernehmen«, redete Lady Simpson weiter. »Ich muß sagen, Kindchen, daß mich der Gedanke sehr anregt.«
»Gewiß, Mylady«, entgegnete Kathy Porter neutral und ausweichend. Sie dachte an die gerade überstan-dene Geländefahrt und an die schier selbstmörderische Geschicklichkeit ihrer Partnerin, die sich an jedem noch so komplizierten technischen Gerät versuchte.
»Sie scheinen mir nicht zuzutrauen, daß ich eine Maschine beherrsche, nicht wahr?«
»Vielleicht sind die heutigen Flugzeuge nicht mehr so einfach zu fliegen wie früher, Mylady.«
»Papperlapapp, Kindchen. Ich werde Sie überzeugen und überraschen. Sie müssen mir nur vertrauen!«
Kathy Porter schloß ergeben die Augen.
Sie ahnte, was da wieder mal auf sie zukam.
*
Parker saß in Lady Simpsons Stadtwohnung in Shepherd’s Market und delektierte sich an einem Cognac. Er rauchte dazu eine seiner berüchtigten Zigarren, deren Duft geeignet war, die Fliegen von den Wänden fallen zu lasssen. Parker war mit sich sehr zufrieden. Er hatte getan, was er konnte. Nun wartete er auf den Anruf der Kidnapper. Übrigens gelassen und ruhig. Er kannte die Praktiken solcher Gangster.
Nach seinem Besuch bei Charles Hampton war fest damit zu rechnen, daß dieser Gangsterboß versuchte, sich in das Geschäft einzuschalten. Ein Charles Hampton ließ sich bei aller Vorsicht solch eine Chance nicht entgehen.
Hamptons privater Spitzeldienst und seine erstklassigen Verbindungen innerhalb der Unterwelt bedeute-ten für den Butler eine wertvolle Hilfe. Er hatte die Absicht, Hampton für sich arbeiten zu lassen. Einen bes-seren und kompetenteren Mann hätte er sich gar nicht denken können. Die Gier nach schnell und leicht ver-dientem Geld war die Peitsche, die Hampton vorantreiben würde.
Doch es gab noch weitere Mitarbeiter, nämlich ein kleines Heer von Ganoven, Einzelgängern und Gangs-tern, die inzwischen wohl von Lorenzo Padeste informiert wurden. Lorenzo war einfach nicht in der Lage, seinen Mund zu halten. Nachrichten mußte er hinaustrompeten. Wer auch immer Lady Simpson und Kathy Porter entführt hatte, dieser Kidnapper und seine wahrscheinlichen Helfer hatten sicherlich kein ruhiges Le-ben mehr.
Josuah Parker verzichtete bisher darauf, die zuständigen Behörden zu informieren. Dabei sollte es vorerst auch bleiben. Er wollte die Sucharbeit der Unterwelt nicht stören.
Als das Telefon läutete, erhob Parker sich und schritt gemessen an den Apparat. Er wußte, daß die Kid-napper sich meldeten.
»Butler Parker«, sagte er, nachdem er abgehoben hatte.
»Wenn Sie Lady Simpson helfen wollen, dann treiben Sie Geld auf«, sagte eine undeutliche Stimme. »Für hunderttausend Pfund lassen wir die beiden Frauen wieder frei. Und das ist verdammt billig, wenn man’s richtig betrachtet!«
»Durchaus!« stellte Parker höflich fest. Dann schwieg er. Er hielt nichts von unnötigen oder hastigen Fra-gen. Die Kidnapper sollten sagen, was sie wollten.
»Sind Sie noch am Apparat?« fragte die undeutliche Stimme, die nervös klang.
»Gewiß«, ließ Parker sich vernehmen, um dann wieder zu schweigen.
»Ich habe von hunderttausend Pfund gesprochen«, stellte die Stimme fest.
»In der Tat«, lautete Parkers Antwort gemessen und höflich.
»Treiben Sie das Geld auf, aber beeilen Sie sich!«
»Ich möchte nicht versäumen, Ihnen zu sagen, daß ich Sie für einen ausgesprochen humorigen Menschen halte«, erwiderte Parker jetzt.
»Was soll das heißen?«
»Mein bisheriges Einkommen ließ es nicht zu, die geforderte Summe anzusparen«, erläuterte der Butler geduldig. »Darüber hinaus befürchte ich, daß mir keine noch so großzügige Bank diesen Betrag kreditieren wird.«
Auf der Gegenseite wurde es nun für einen Moment still. Parkers Hinweis auf seine Kreditfähigkeit schien den Anrufer ein wenig verwirrt zu haben.
»Reden Sie keinen Blödsinn«, kam die Antwort. »Setzen Sie sich mit dem Anwalt von Mylady zusam-men! Der wird die Moneten schon beschaffen.«
»Falls er meiner bescheidenen Wenigkeit glaubt.«
»Dafür werden wir schon sorgen. Verlassen Sie sich darauf!«
»Nun denn, haben Sie sich hinsichtlich der Geldübergabe bereits detaillierte Gedanken gemacht? Mit an-deren Worten, wann und wo soll ich Ihnen die geforderte Summe überbringen?«
»Ich werde Sie wieder anrufen: In ein bis zwei Stunden. Bleiben Sie am Apparat! Und glauben Sie, daß wir nicht bluffen. Die beiden Frauen sind reif, wenn Sie querschießen.«
*
Charles Hampton hielt eine Art Kriegsrat mit seinen beiden Vertrauten. Die jungen Männer, die übrigens Clark und Will hießen, hörten ihrem Herrn und Meister aufmerksam zu.
Im Zimmer befand sich zudem noch Bennie, der Gorilla, der dem gedanklichen Höhenflug der Unterhal-tung aber nicht zu folgen vermochte, was auf keinen Fall mit seiner Spezialbehandlung durch Josuah Parker zusammenhing. Bennie war von Natur aus ein wenig langsam in seiner Denkart und war immer heilfroh, wenn man ihm genau sagte, was er tun sollte.
Hampton wanderte durch sein Büro und entwickelte seine Strategie.
»Es steht also inzwischen fest, daß diese Lady Simpson tatsächlich gekidnappt worden ist«, faßte Hamp-ton zusammen. »Das habt ihr ja ausgiebig aufgeschnappt, oder?«
»Alle sprechen davon«, sagte Clark, der erste junge Mann, eifrig.
»Alle gerade nicht, aber immerhin die, auf die’s ankommt«, schränkte der zweite junge Mann ein.
»Parker will mich als Rammspitze verwenden«, überlegte Hampton laut, »aber so dumm, wie er mich ein-schätzt, bin ich nicht.«
»Nee, wirklich nicht«, sagte der zweite Mann hastig.
»Sie bleiben die Spitze«, fügte der erste hinzu.
»Natürlich«, gab Hampton in aller Bescheidenheit zurück. »Parker will mich also benutzen, aber er wird sich wundern. Haltet jetzt bloß den Rand, Jungens, ich weiß schließlich selbst, wie gut ich bin! Er will mich, also benutzen und baut darauf, daß ich ihn ungewollt zu den Kidnappern führe. Parker weiß verdammt ge-nau, wie gut meine Verbindungen und Möglichkeiten sind.«
Clark und Will hüteten sich, irgend etwas zu sagen. Sie beschränkten sich darauf, zustimmend, aber sehr eifrig zu nicken. Bennie beteiligte sich nicht daran. Der Gorilla saß dumpf und geistesabwesend in einem Sessel und dachte an nichts.
»Ich werde Parker was husten«, sagte Hampton jetzt.
»Sehr gut, Boß«, pflichtete der erste Mann prompt bei.
»Sagenhaft«, kommentierte der andere junge Mann.
»Schnauze!« Charles Hampton sah seine beiden Vertrauten wütend an. »Unterbrecht mich doch nicht im-mer! Wo war ich stehen geblieben?«
»Sie wollten ihm was husten, Boß«, gab Clark das Stichwort.
»Genau«. Will wollte seinem Partner nicht nachstehen.
»Der einzige, der Ärger machen könnte, ist Parker. Und was schließen wir daraus?«
Clark und Will hüteten sich, einen Laut von sich zu geben. Sie wollten sich nicht noch mal anfauchen las-sen.
»Und was folgern wir daraus?« wiederholte Hampton seine Frage.
Schweigen auf der ganzen Linie.
»Könnt ihr nicht den Mund aufmachen?« raunzte Hampton seine beiden Vertrauten wütend an. Er hatte eine Antwort erwartet.
»Wir … Wir nehmen Parker hoch«, sagte der zweite junge Mann.
»Wir schalten ihn aus«, fügte der erste hinzu.
»Das ist es!« Hampton nickte versöhnt. »Wenn dieser Butler erst mal von der Bildfläche verschwunden ist, können wir ungestört arbeiten. Die Sache wird gleich in Angriff genommen.«
»Und wo finden wir ihn?« Clark stand auf. Er wollte seinem Boß zeigen, wie unternehmungslustig er war.
»Parker ist bereits geliefert«, stellte Will optimistisch fest.
»Er wird sich in der Stadtwohnung der alten Lady aufhalten«, mutmaßte Hampton. »Ich wette, er hockt am Telefon und wartet auf die Anrufe der Kidnapper.«
»Was sollen wir genau mit ihm machen?« erkundigte sich Will.
»Was wohl? Clark, sag du es ihm!«
»Ich schlag’ die Themse vor.« Clark lächelte dünn.
»Einverstanden«, erklärte Hampton und nickte zufrieden. »Laßt den Butler in der Themse schwimmen. Jungens! Ich kann verdammt nachtragend sein.« Während er redete, rieb er sich die immer – noch schmer-zende Hand, die Parker ihm in der Lade eingeklemmt hatte.
»Noch eine Frage, Boß«, ließ Clark sich vorsichtig vernehmen. »Wo ist die Stadtwohnung der Lady?«
»Schon mal was von einem Telefonbuch gehört?« fragte Hampton arrogant und überlegen zurück. »Muß man euch Nieten denn alles sagen? Gebraucht doch endlich euer Hirn!«
*
Die Tür zum Betonbunker öffnete sich.
Agatha Simpson übersah den eintretenden Albino. Dieser Mann war Luft für sie. Kathy Porter entdeckte in der linken Hand des Mannes eine Art Schreibmappe.
Der Albino reichte Lady Simpson die Mappe aus Kunstleder, die sie natürlich nicht annahm.
»Nun machen Sie schon«, sagte der Albino, »betätigen Sie sich mal als Schriftstellerin, Lady!«
»Mit einem Lümmel unterhalte ich mich nicht.«
»Der Lümmel wird Ihnen gleich zeigen, was eine Harke ist«, fauchte der Albino die streitbare ältere Dame an. »Soll ich Sie mal mit meinem Messer kitzeln?«
Kathy Porter, die die Dinge nicht auf die Spitze treiben wollte, griff nach der Kunstledermappe und schlug sie auf. Sie sah einige Bogen Schreibpapier und einen Kugelschreiber. Unter einem Gummiband wa-ren einige Briefumschläge zu sehen.
»Sie werden jetzt einen Brief an Ihren Butler schreiben«, befahl der Albino herrisch. »Teilen Sie ihm mit, daß er hunderttausend Pfund von Ihrem Vermögens Verwalter besorgen soll! Schreiben Sie ihm, daß es für Sie und Ihre Gesellschafterin um Leben und Tod geht! Machen Siebes dringend! Und zwar in Ihrem Interes-se. Haben Sie mich verstanden?«
»Die Moneten in kleinen Scheinen«, ließ sich von der Tür her der junge, sportlich aussehende Mann ver-nehmen. »Sehr kleine Scheine. Und er soll bloß nicht die Bullen verständigen.«
»Dieser Brief ist Unsinn«, grollte Mylady. »Darauf wird mein Vermögensverwalter nie eingehen.«
»Und warum nicht?« Der Albino hörte interessiert zu.
»Ab Summen über zehntausend braucht er meine Gegenzeichnung auf den Schecks.«
»Dann werden Sie eben gegenzeichnen«, antwortete der Albino nach einer kurzen Pause der Überra-schung. »Hoffentlich stimmt das, was Sie da gerade gesagt haben.«
»Sie sind ein Simpel«, fuhr die Detektivin den Albino an. »Glauben Sie, ich würde einem Fremden die volle Verfügungsgewalt über mein Geld einräumen?«
Der Albino machte einen leicht verhaltenen Eindruck. Er schien sich diese Transaktion bedeutend einfa-cher und unkomplizierter vorgestellt zu haben. Er hatte auf keinen Fall damit gerechnet, daß ein Scheck ge-gengezeichnet werden mußte.
»Schreiben Sie erst mal den Wisch an den Vermögensverwalter«, sagte er also ausweichend. »Wir werden dann sehen.«
»Haben Sie bei diesem Kidnapping etwas zu bestellen?« erkundigte sich Agatha Simpson verächtlich.
»O ja. Darauf können Sie sich verlassen.« Der Albino warf sich in die Brust.
»Sie sind doch nur ausführendes Subjekt«, redete die Lady ironisch weiter. »Ich möchte wetten, daß der wahre Drahtzieher dieser Entführung in London sitzt.«
»Sie trauen mir wohl nichts zu, wie?«
»Nichts, Sie Flegel!« Agatha Simpson nickte nachdrücklich. »Von Ihnen dürfte noch nicht mal der Plan stammen.«
Der Albino ließ sich tatsächlich dazu hinreißen, obwohl er doch genau wissen mußte, daß mit dieser streit-baren Dame nicht gut Kirschen essen war.
Er holte zu einer Ohrfeige aus.
Doch er kam nicht dazu, sie auch wunschgemäß zu plazieren. Lady Agatha besaß zwar nicht mehr ihren Pompadour samt darin befindlichem
»Glücksbringer«, doch sie war keineswegs hilflos.
Sie hatte während der angeregten Unterhaltung an ihrer Brosche herumgenestelt und hielt sie inzwischen in ihrer rechten Hand. Listigerweise befand sich die Schließnadel zwischen Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand.
Ohne jede Vorwarnung stach sie dem Albino diese Nadel in den linken Oberschenkel. Das heißt, um ge-nau zu sein, sie rammte ihm diese Nadelspitze in die Epidermis.
Worauf der Albino einen entsetzten Schrei ausstieß und von seiner Ohrfeige Abstand nahm. Er produzier-te sich vor den kritischen Augen seiner beiden weiblichen Gäste als Solotänzer und hopste auf dem unbe-handelten Bein herum. Dazu lieferte er Heultöne, die an die eines Nebelhornes erinnerten.
Dann blieb er stehen und zupfte sich mit zitternder Hand die Nadel aus dem zuckenden Muskelfleisch. Anklagend hielt er sie hoch, und das genetisch bedingte Rot in seinen Augäpfeln vertiefte sich vor Rach-sucht und Wut. Er warf die Brosche zu Boden und trampelte auf ihr herum. Er wirkte ein wenig außer sich. Plötzlich hielt er dann ein Klappmesser in der Hand, dessen Klinge er aus dem Schaft hervorschnellen ließ.
Seine Absicht war unverkennbar.
Er wollte Agatha Simpson ein wenig anschneiden.
Doch die kriegerische Dame reagierte hervorragend und geistesgegenwärtig.
Sie ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen und deutete auf das Hosenbein über der Stichwunde. Der Stoff hatte sich leicht rot gefärbt.
»Sie haben zwei Möglichkeiten, Sie Lümmel«, stellte sie dann mit baritonal gefärbter Stimme fest. »Ent-weder werden Sie an einer Blutvergiftung sterben oder an dem Gift, das an der Nadelspitze war … Suchen Sie sich die bessere Möglichkeit aus!«
Der Albino starrte die Lady entgeistert an und schluckte.
»Vergiftet!?« fragte er dann mit einer Stimme, die sich in Sekundenbruchteilen sichtlich erkältete, denn sie klang immer belegter und heiserer.
»Ich scherze nicht, Sie Lümmel!«
»Ver… Vergiftet …!?«
»Sie müßten es eigentlich schon spüren.« Lady Agatha nickte ernst.
»Dafür bring’ ich Sie um!«
»Schneiden Sie die Wunde auf und lassen Sie sie aussaugen«, redete die Sechzigjährige ungerührt weiter. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen diesen Tip gebe, aber vielleicht bin ich ein Menschenfreund.«
Der Albino warf sich herum und spurtete auf den Ausgang zu. Die Tür knallte hinter ihm zu und wurde verriegelt, was aber wohl nicht auf das Konto des sehr eiligen Albino ging.
»So macht man das, Kindchen«, sagte Lady Agatha, sich triumphierend an ihre Gesellschafterin wendend. »Sie müssen doch zugeben, daß ich sehr überzeugend war, nicht wahr?«
»Das schon, Mylady, aber die Gangster …«
»Kommen Sie mir nicht immer wieder mit Ihrem Pessimismus, Kindchen«, meinte die Detektivin. »Wenn man mich schon entführt und in diesem unwürdigen Bunker einsperrt, will ich wenigstens meine Freude ha-ben.«
»Früher oder später werden Sie den verlangten Brief schreiben müssen, Mylady …«
»Das hat noch Zeit. Wir werden diese Strolche solange hinhalten, wie es sich eben machen läßt. Es geht nicht um das Geld, Miß Porter. Hoffentlich wissen Sie das!«
»Natürlich, Mylady.« Kathy Porter nickte, sie wußte, worauf Lady Agatha anspielte.
»Man wird uns beide umbringen, sobald das Geld seinen Besitzer gewechselt hat«, führte die Detektivin weiter aus. »Wir kennen schließlich die drei Handlanger. Hoffentlich denkt Parker ebenso? Er muß die Geldübergabe hinauszögern. Jede Stunde ist kostbar … Oh, hören Sie doch, Kindchen! Das ist wahre Musik in meine Ohren.«
Agatha Simpson spielte eindeutig auf ein Stöhnen und Ächzen an, das durch die Tür in den Erdbunker drang. Man war offensichtlich dabei, den Albino zu behandeln, ihm die Wunde aufzuschneiden und das vermutete Gift auszusaugen.
Der Albino heulte jetzt wie ein Steppenwolf, der sich ein wenig verloren wähnt …
*
Im Öffnen von Türen waren sie Klasse.
Da sie aber von Parker nur wenig wußten, wunderten sie sich auch nicht sonderlich, daß die Türen zu Lady Simpsons Stadtwohnung nur normal verschlossen waren. Mit einem Spezialnachschlüssel schafften sie das Hindernis innerhalb weniger Sekunden und pirschten sich äußerst zufrieden in den Korridor des Hauses.
Für den geplanten Mord an dem Butler hatten sie sich entsprechend ausgerüstet.
Parker sollte weder erschossen noch erdolcht werden. Clark und Will bevorzugten für solche Fälle eine Drahtschlinge, um ihren Opfern damit nachhaltig und endgültig die Luft abzuschnüren.
Sie hatten Erfahrung darin, denn sie waren schließlich Killer und nicht umsonst von Hampton angestellt worden. Er hatte zwei junge, durchtrainierte Männer gesucht und gefunden, die bedenkenlos mordeten und die von ihm ganz nach Belieben gesteuert werden konnten. Im Grund waren Clark und Will zwei menschlich aussehende Roboter, die auf Knopfdruck reagierten.
Diese beiden Roboter hatten längst gemerkt, daß im Erdgeschoß Licht brannte. Logischerweise mußte Parker sich also dort in dem sonst dunklen Haus befinden. Es war später Nachmittag, und die üblichen Re-genwolken machten im Innern der Häuser bereits Licht erforderlich.
Dann sahen sie den Butler ….
Er saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, vor dem wuchtigen Schreibtisch, der aus einer alten Kapitänskajüte zu stammen schien.
Parker bewachte den Telefonapparat, der seitlich vor ihm stand. Er rauchte, wie eine deutlich sichtbar qualmende Zigarre auswies, die auf dem Rand eines Aschenbechers lag.
Clark und Will waren guter Dinge.
So einfach hatten sie sich den Besuch wirklich nicht vorgestellt. Parker war vollkommen ahnungslos. Der Mann war demnach doch nicht so gefährlich wie sein Image in der Unterwelt.
Clark hielt die Drahtschlinge arbeitsbereit in den Händen und schlich sich an Parker heran.
Und dann geschah alles mit unglaublicher Schnelligkeit und mörderischer Routine.
Clark warf die Schlinge über den Kopf des Butlers und zog sie sofort zu.
Spätestens in diesem Moment merkte er, daß er einem Phantom aufgesessen war.
Gewiß, die Drahtschlinge saß korrekt um den Hals des Opfers, doch dieses Opfer war nur eine geschickt gebastelte Puppe, die zudem noch ruckartig in sich zusammensank. Parker hatte eine aufblasbare, menschen-große Gummipuppe verwendet, die unter dieser brutalen Behandlung verständlicherweise ihren Luftgeist aufgab.
Was Clark ein wenig schockierte!
Will, der hinter seinem Partner stand, hatte die Verwandlung des Opfers nicht ganz mitbekommen. Er prallte jetzt mit dem zurückweichenden Clark zusammen …
»Ihren Besuch kann ich nur als einen ausgesprochen unfreundlichen Akt bezeichnen«, ließ Parker sich plötzlich vernehmen. Er trat aus einer Nische, die von einem Schrank und der Wand gebildet wurde, und hielt sicherheitshalber eine Schußwaffe in der Hand, einen vorsintflutlich aussehenden Vorderlader mit Doppellauf.
Die beiden Mordspezialisten sahen Parker, die Waffe und bekamen Oberwasser. Sie wollten nach ihren ei-genen Schußwaffen greifen.
»Was sie planen, empfiehlt sich nicht«, warnte der Butler in seiner höflichen, korrekten Art. »Die Läufe dieser Pistole sind mit Bleischrot gefüllt. Die Wirkung ist verheerend, wie ich Ihnen versichern darf …«
Das sahen Clark und Will schnell ein.
Wie angewurzelt blieben sie stehen und starrten auf den Butler. Die Waffen blieben in den Schulterhalf-tern.
»Sie sollten sich vielleicht bäuchlings auf den Boden legen und ein wenig ausruhen«, redete Parker gemes-sen weiter. »Ich hoffe, Sie wissen meine Rücksicht zu schätzen.«
Clark und Will übergingen diese Selbstpreisung des Butlers, kamen seinem Wunsch jedoch nach. Die dop-pelläufige, uralte Pistole machte sie nervös. Die Mündungen der beiden Läufe waren so groß wie Kanonen-rohre. Sie wollten auf keinen Fall ausprobieren, ob die Waffe überhaupt noch funktionierte.
Als sie auf dem Teppich lagen und die Arme weit von sich streckten, benutzte Parker den hammerartigen Kolben der Waffe, um die beiden Mordspezialisten ins Land der Träume zu schicken.
Auch Josuah Parker ließ sich auf kein Risiko ein.
*
Anwalt Arthur B. Collins seufzte innerlich auf, als er die Stimme am Telefon erkannte. Er wußte sofort, daß ihm wieder mal eine strapaziöse Reise bevorstand.
»Ja, Mister Parker?« fragte er, sich zusammenreißend.
»Ich erlaube mir, im Auftrag von Lady Simpson anzurufen«, sagte Parker am anderen Ende der Leitung. »Mylady wünscht Ihre Anwesenheit in New York, Sir. Sie erwartet Sie umgehend im Clinton-Hotel. Ich darf mir die Freiheit nehmen, Ihnen eine gute Reise zu wünschen.«
»Um was geht es denn diesmal?« wollte der Anwalt wissen. Arthur B. Collins arbeitete ausschließlich für Lady Simpson und überwachte deren Beteiligungen, über die die Klientin nach dem frühen Tod ihres Man-nes reichhaltig verfügte. Agatha Simpson, besaß Brauereien, Reedereien und Fabrikanteile, die in eine Stif-tung umgewandelt worden waren. Aus dem Erlös dieser Stiftung finanzierte sie die Ausbildung begabter junger Menschen aller sozialen Schichten. Für sie blieb dennoch genug übrig, um sich ein völlig sorgenfreies Leben mit allerlei Eskapaden zu leisten.
In der Vergangenheit war Arthur B. Collins schon sehr oft unterwegs gewesen.
Agatha Simpson beorderte ihn in alle Teile der Welt, wenn sie es für erforderlich hielt. Obwohl Anwalt Collins wirklich nicht gern reiste, war er fast zu einem Globetrotter geworden.
»Mylady interessiert sich für die Finanzierung eines Colleges«, beantwortete Parker die Frage. »Mehr weiß ich auch nicht zu diesem Thema zu sagen.«
»Von wo aus rufen Sie an, Mister Parker?«
»Aus dem Apartment Lady Simpsons«, antwortete Parker fast ziemlich wahrheitsgemäß. »Wenn ich mir einen bescheidenen Rat erlauben darf, so sollten Sie die nächste Maschine nehmen.«
Arthur B. Collins legte seufzend auf und kümmerte sich anschließend um eine Flugverbindung nach New York. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, etwa düpiert worden zu sein.
Anderthalb Stunden später befand er sich auf dem Flugplatz von Heathrow und betrat den Jumbo-Jet.
Ein gewisser Josuah Parker sah der bald startenden und davonfliegenden Maschine nach. Er hatte sich ebenfalls zum Flugplatz begeben, um ganz sicher zu sein, daß der Anwalt auch tatsächlich die Reise antrat. Arthur B. Collins, der Mann, der dank seiner Tätigkeit für Mylady Zugang zu Geld hatte, war erst mal nicht zu sprechen. Das verschaffte kostbare Zeit, die der Butler für die Befreiung der beiden entführten Damen nutzen wollte.
*
»Nun, junger Mann?«
Lady Agatha sah den eintretenden Kidnapper grollend an. Ritchie, der gut aussehende Sportstyp, blieb vorsichtig an der Tür stehen. Er hielt eine Schußwaffe in der Hand.
»Haben Sie den Brief geschrieben?« fragte er drohend.
»Keine einzige Zeile«, antwortete Agatha Simpson.
»Sie scheinen sich über den Ernst Ihrer Lage nicht im klaren zu sein«, schnauzte der junge Mann.
»Und Sie scheinen nicht zu wissen, daß hier in diesem Bunker kein Licht ist«, reagierte die Detektivin ge-nauso. »Bin ich ein Uhu!?«
»Verdammt!« erwiderte Ritchie. An Licht hatten er und seine beiden Partner nicht gedacht. Er drehte sich halb um und rief laut und ungeduldig nach einem gewissen Paul.
Der ehemalige Boxer entpuppte sich als Paul und bekam den Auftrag, sofort für Licht zu sorgen.
»Was macht Ihr Freund?« erkundigte sich Lady Agatha gespielt harmlos.
»War die Nadel wirklich vergiftet?« wollte Ritchie wissen.
»Sehr wahrscheinlich, junger Mann«, gab die kriegerische Lady zurück. »Es handelte sich um eine Anti-quität. Die Brosche befand sich mal im Besitz der Borgia, und deren Nadeln waren durchweg vergiftet …«
»Sie haben Eddy auf den Arm genommen!«
»Vorsicht ist besser als Nachsicht«, stellte Agatha Simpson fest. »Ich will mich nicht unnötig schuldig ma-chen.«
Paul, der Boxer, erschien mit einer Warnleuchte, deren Lichtkegel auf die Schreibmappe gerichtet wurde.
»Worauf warten Sie noch?« fragte Ritchie. »Schreiben Sie endlich! Den Text kennen Sie ja.«
»Ein Scheck ohne meine Unterschrift ist wertlos«, stellte Lady Agatha noch mal ausdrücklich fest.
»Sie werden den Scheck schon unterschreiben«, meinte Ritchie und lächelte. »Hauptsache, Ihr Vermö-gensverwalter rückt erst mal das betreffende Papier heraus. Nun machen Sie schon, oder soll ich Sie mal auf meine Art antreiben!?«
Er drohte nicht nur, sondern er handelte auch.
Aus seiner Waffe, die mit einem modernen Schalldämpfer versehen war, »ploppte« ein Schuß.
Das Geschoß jagte knapp vor Agatha Simpson in den morschen Zementboden und ließ eine Fontäne von Dreck und Staub hochspritzen. Ritchie war ein offensichtlich bedenkenloser Typ, denn er kam wohl gar nicht auf den Gedanken, einen Querschläger provozieren zu können.
»Sie Monster!« stellte Lady Simpson fest, die sich nicht hatte beeindrucken lassen. »Sie Flegel! Wollen Sie eine alte Frau zu Tode erschrecken?«
»Der nächste Schuß schmort Ihre Schuhspitzen an«, verkündete Ritchie animiert. »Schreiben Sie endlich!«
Die Detektivin sah ein, daß sie die Kontroverse nicht auf die Spitze treiben durfte. Sie traute diesem Rit-chie ohne Zweifel einen weiteren Schuß zu. Deshalb schlug sie die Kunstledermappe auf und betätigte sich als Autorin.
Kathy Porter hielt sich wie üblich zurück und wirkte scheu und ängstlich. Sie hatte die Lage eingeschätzt und war zu dem Schluß gekommen, daß ein Angriff sinnlos war. Sie hielt Ritchie für einen Mann, der im Grund nur darauf wartete, andere Menschen zu quälen. Typen dieser Art durfte man keine Gelegenheit ge-ben, sich aufzuspielen.
Agatha Simpson hielt mit der linken Hand ihre Lorgnette, die an einer soliden Silberkette um ihren Hals hing. Mit der rechten Hand fertigte sie den Text für ihren Vermögensverwalter an.
Sie teilte Arthur B. Collins mit dürren Worten mit, man habe sie und Kathy Porter gekidnappt und wün-sche als Lösegeld hunderttausend Pfund in kleinen Noten. Sie wies Collins an, diesen Betrag umgehend zu beschaffen und bereit zu halten.
»Hab’ ich mir’s doch gedacht«, sagte Ritchie, als er den Text überlas. »Das ist doch reine Hinhalterei! Schreiben Sie ihm, daß Sie einen Barscheck über die betreffende Summe haben wollen. Sie werden dann unterschreiben, Lady. Und Ihre Gesellschafterin wird anschließend die Piepen von der Bank holen. So ein-fach geht das, verstanden?«
»So einfach geht das …!« Agatha Simpson lachte grimmig auf. »Und wohin soll der Scheck gebracht werden?«
»Alles genau geplant«, gab Ritchie zurück und lächelte dünn und siegessicher. »Wir haben uns auf die neuen Dinge eingestellt. Das wird Ihr Butler erledigen. Der Bursche soll ja ziemlich tüchtig sein, oder?«
»Übertreiben Sie nur nicht«, erwiderte Lady Agatha grimmig und grollend. »Ich bin mir da seit einigen Stunden nicht mehr so sicher, junger Mann. Mein Butler verhält sich ungewöhnlich passiv …«
*
Charles Hampton wartete ungeduldig auf den Anruf seiner beiden Mordspezialisten.
Hampton befand sich in seinem Büro und vertrieb sich die Zeit damit, Pläne zu schmieden. Natürlich hatte er bereits per Telefon seine Fühler ausgestreckt und sich diskret nach Leuten erkundigt, die ein Kidnapping durchgeführt hatten.
Erfahrungsgemäß blieb so etwas in der Unterwelt nie geheim. Irgend etwas von solchen Plänen sickerte durch. Zudem wußte Hampton, wer das Format besaß, solch ein Kidnapping mit Erfolg durchzuführen. Geldträchtige Menschen zu fangen, schien ihm immer ein großes Risiko, denn wenn die Polizei erst mal ein-geschaltet wurde, begann in der Regel ein Kesseltreiben, gegen das die meisten Gangster machtlos waren.
Hampton wußte, wie gut die Polizei im Grunde war.
Er machte sich da keine Illusionen. Mochte man über die Behörde auch lästern und spotten, im Endeffekt waren die Polizisten stets die Sieger. Darum hatte Hampton bisher auch immer äußerst vorsichtig gearbeitet und sich nie eine persönliche Blöße gegeben. Wenn die Polizei Verhaftungen vornahm, dann hatte er bisher immer noch verstanden, im günstigen Licht zu stehen.
Die Resonanz auf seine diskreten Fragen hinsichtlich der Entführung war nicht sehr ermutigend gewesen. Hampton hatte instinktiv das Gefühl, daß hier Außenseiter am Werk waren, die mit der Unterwelt nur am Rande etwas zu tun hatten. Das erschwerte natürlich seinen Plan, sich in diese Affäre einzuschalten.
Er sah hoch, als Bennie, der Gorilla, das Büro betrat.
»Da is’ eben ’ne Kiste angeliefert worden«, sagte der Massige. »Ich brauch’ zwei Pfund für den Spedi-teur.«
»Eine Kiste? Ich habe nichts bestellt!«
»Is’ aber für Sie, Boß.«
»Ausgeschlossen!« Hampton stand auf und sah zum Fenster hinaus. Vor seinem Club stand der Lastwa-gen eines Spediteurs, wie die Aufschrift auf der Abdeckplane zeigte.
Hampton konnte sich zwar nicht erinnern, irgend etwas bestellt zu haben, doch er reichte Bennie die zwei Pfund und schickte ihn wieder nach unten.
Dann, von Neugier getrieben, fuhr Hampton ebenfalls nach unten.
Die Kiste besaß eine ansehnliche Größe und wurde gerade mittels einer Sackkarre durch den unteren Kor-ridor in das Lager des Clubs gerollt. Die Kiste war schwer, denn der Mann der Spedition mühte sich ab.
Dann waren Hampton und Bennie mit der Kiste allein.
»Nun schnapp’ dir schon das Stemmeisen und mach’ den Deckel auf«, kommandierte Hampton erwar-tungsfroh, aber auch ein wenig mißtrauisch. Wie gesagt, er hatte nichts bestellt. Schon gar nichts von der Größe dieser Kiste …
Er schaute sich den Absender an, dessen Adresse auf dem Deckel festgenagelt war. Der Mann hieß Miller, ein Dutzendname, mit der der Gangsterboß nichts anzufangen wußte. Bennie tauchte inzwischen mit dem Stemmeisen auf und machte sich daran, den Deckel zu öffnen.
Charles Hampton, von Natur aus sehr vorsichtig, war bis zur Tür des kleinen Lagerraums zurückgetreten und wartete ungeduldig ab. Bennie besaß zwar viel Kraft, war aber recht ungeschickt. Und dennoch schaffte er es nach drei bis vier Minuten.
»Holzwolle …« stellte er unnötigerweise fest, denn das angesprochene Verpackungsmaterial quoll fast über den Rand der Kiste.
»Beeil’ dich doch!« Hampton zündete sich eine Zigarette an und sah zu, wie Bennie kraftvoll in die Holzwolle langte und sie dann dekorativ im Raum herumwarf und verteilte.
»Donnerwetter!« sagte Bennie dann und schaute in die Kiste hinein. »Das hätt’ ich nun wirklich nich’ ge-dacht, Boß …«
»Was ist denn?« Hampton trat näher, schielte über den Rand der Kiste und erhielt im gleichen Moment fast einen elektrischen Schlag. Er schnappte nach Luft und schluckte.
»Soll ich sie rausholen?« erkundigte sich Bennie strahlend.
»Natürlich, du Pfeife!«
Charles Hampton rauchte hastig und nervös. Er verfolgte die Arbeit seines Gorillas, der nacheinander Clark und Will aus der Holzwolle herausschälte und sie dann neben der Kiste auf dem Boden ablegte.
Die beiden Mordspezialisten schliefen fest. Sie glichen Riesensäuglingen, die man aus dem warmen Nest geholt hat. Clark produzierte plötzlich gurgelnde Schnarchtöne, zog die Beine an den Körper und schien angenehm zu träumen. Sein Gesicht nahm einen glücklichen Ausdruck an, den Hampton verärgert bemerkte.
»Hier is’ auch noch ’n Brief, Boß«, verkündete Bennie, »bestimmt für Sie …«
Hampton nahm das Schreiben entgegen.
Josuah Parker teilte ihm höflich mit, er bedanke sich zwar für die Übersendung der Flaschen, doch im Moment habe er leider keine Verwendung dafür. Er erlaube sich, diese Sendung zu retournieren und hoffe auf eine weitere ersprießliche Zusammenarbeit.
Nach Kenntnisnahme der Zeilen war Hampton einem Erstickungsanfall nahe. Was Bennie natürlich miß-verstand.
Er beeilte sich, seinem Boß auf den Rücken zu klopfen. Allerdings derart nachdrücklich und massiv, daß Hampton von den Beinen kam und gegen die Kiste flog.
Es war durchaus verständlich, daß dieser Zwischenfall keineswegs geeignet war, Hamptons Laune zu he-ben …
*
Eine Stunde später, nachdem Parker im Besitz des Briefes von Agatha Simpson war, läutete wieder das Telefon.
Der Butler meldete sich gemessen.
»Hier spricht der Kidnapper«, sagte die bereits bekannte, undeutliche Stimme. »Sie haben den Brief in-zwischen bekommen?«
»Er wurde in den Briefkasten geschoben«, erklärte Parker.
»Natürlich«, sagte die undeutliche Stimme, »haben Sie sich mit dem Vermögensverwalter bereits in Ver-bindung gesetzt?«
»In der Tat, ich war so frei.«
»Na und?«
»Ich fürchte, ich habe eine etwas schlechte Nachricht für Sie.«
»Schlechte Nachricht? Was soll das heißen?«
»Ich fürchte …«
»Zum Henker mit Ihrer verdammten Fürchterei, Parker! Fürchten Sie um Lady Simpson und Miß Porter, wenn Sie nicht spuren! Was ist mit der schlechten Nachricht?«
»Mister B. Collins ist im Augenblick leider nicht erreichbar, wenn ich es so ausdrücken darf?«
»Was soll das heißen?«
»Mister Collins ist laut Auskunft seiner Kanzlei vor einigen Stunden nach New York gefahren … Geflo-gen, um völlig genau zu sein.«
Auf der Gegenseite wurde es still.
Dann ein Schnaufen.
»Wenn das ein Trick ist, Parker, dann …«
»Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie in Mister Collins’ Kanzlei nachfragen werden.«
»Dann sieht’s aber gar nicht gut für Ihre alte Lady aus, Parker.«
»Falls Sie umgehend Geld brauchen, würde ich gern aushelfen«, erklärte der Butler sich höflich bereit. »Allerdings möchte ich versichern, daß meine Barmittel beschränkt sind!«
»Wann kommt der Vermögensverwalter zurück?«
»Dies entzieht sich leider meiner Kenntnis. Darüber wußte man mir in seinem Büro nichts zu sagen.«
»Kümmern Sie sich darum! Und zwar schnell, Parker … Wir rufen in einer halben Stunde noch mal an.«
»Ich fürchte, diese Zeit wird kaum ausreichen, um mit Tatsachen aufwarten zu können.«
»Und wieso nicht?«
»Mister Collins dürfte sich meiner bescheidenen Schätzung nach bereits über dem Atlantik befinden, ist demnach also unerreichbar.«
»Rufen Sie in seinem Büro an! Oder nein, warten Sie, bis wir uns wieder melden …«
Es klickte in der Leitung. Parker legte auf und machte einen zufriedenen Eindruck. Sein kleiner Trick, den Vermögens Verwalter nach New York zu locken, zahlte sich bereits aus. Die Kidnapper wußten im Moment nicht weiter und waren blockiert.
Die Gefahr, daß man Lady Simpson und Kathy Porter zu Leibe rückte, war recht gering. Die Aussicht hingegen, daß das Interesse der Kidnapper sich auf ihn, Josuah Parker, konzentrierte, stieg von Minute zu Minute. Und genau darauf spekulierte der Butler. Er wollte aktiv eingeschaltet werden …
*
Lady Agatha besaß große Ausdauer.
Unentwegt hämmerte sie mit dem Campingsessel gegen die Tür des Betonbunkers. Sie entwickelte dabei musikalische Phantasie und brachte recht interessante und vielleicht auch anregende Klopfmuster zustande. Ein wildes Stakkato wechselte ab mit gedämpftem Trommelklang. Dann wieder wechselte sie zu hämmern-dem Beatrhythmus über, um sich anschließend im Morsealphabet zu versuchen.
Nach etwa zehn Minuten wurde die Tür geöffnet.
Bennie und der Albino erschienen im Türrahmen und zeigten selbstverständlich ihre Schußwaffen. Der Albino machte einen recht entnervten Eindruck und sah zudem etwas komisch aus.
Seine Partner hatten ihm das linke Hosenbein aufgeschnitten, um die Stichwunde besser verarzten zu kön-nen. Den Oberschenkel zierte ein dicker Verband.
»Ich bring’ Sie um, wenn Sie so weitermachen«, schrie der Albino die kriegerische ältere Dame an.
»Dann werden Sie nicht einen einzigen Penny bekommen«, gab Lady Simpson wütend zurück. »Eine tote Frau kann keinen Scheck unterzeichnen, Sie Gimpel!«
»Was wollen Sie?«
»Was wohl!«
»Sie wollen …!?«
»Natürlich …!«
Die beiden Kidnapper kamen ein wenig aus der Fassung. Sie wußten nicht, was sie machen sollten. Die Detektivin wußte es hingegen sehr genau. Auf ihren stämmigen Beinen marschierte sie auf die beiden Män-ner zu. Der Albino wich sofort zurück und riß seine Waffe hoch. Bennie lächelte verlegen.
»Sie können mich ja bewachen, junger Mann«, sagte Agatha Simpson zu dem untersetzten, muskulösen Boxer, »aber ich bitte mir aus, daß Sie diskret sind …«
Sie überfuhr die Kidnapper durch ihr selbstverständliches Auftreten. Mit einer Frau wie Lady Agatha hat-ten es die beiden Gangster noch nie zu tun gehabt.
Paul, der ehemalige Boxer, blieb der Sechzigjährigen hart auf den Fersen, als sie um den Erdhügel mar-schierte. Der Albino verhielt an der Tür und starrte Kathy Porter an.
»Endlich!« seufzte die junge Dame auf und reckte sich. Das mitgebrachte Licht des Gangsters fiel auf sie und unterstrich magisch ihre Linien.
»Endlich …!?«
»Ich kann diese Frau bald nicht mehr ertragen«, beschwerte sich Kathy Porter, »sie macht mich noch wahnsinnig!«
»Kann ich sehr gut verstehen.« Eddy, der Albino, nickte. »Sie mögen die Lady nicht?«
»Ich hasse dieses Frauenzimmer«, gab Kathy Porter wütend zurück. »Manchmal könnte ich sie umbrin-gen.«
»Und trotzdem arbeiten Sie für sie?«
»Sie zahlt gut. Und …«
»Na, sagen Sie’s schon!«
»Sie hat mich in der Hand«, gestand Kathy Porter. »Ich dummes Schaf habe mal ein Schuldeingeständnis unterschrieben, das sie jetzt aufbewahrt. Irgendeine harmlose Geldgeschichte.«
»Und seitdem müssen Sie spuren, wie?« Der Albino nickte verständnisvoll.
»Wie ein Kettensträfling«, seufzte Kathy Porter. »Wann werden Sie sie umbringen?«
»Umbringen?« Der Albino stutzte. Eine derartige Offenheit und solch einen Haß hatte er nicht erwartet. Er sah die rothaarige, attraktive Frau aufmerksam und prüfend an. Wollte sie ihm etwas vormachen?
»Ja, umbringen«, antwortete Kathy Porter heftig.
»Warten wir’s ab«, reagierte der Albino ausweichend.
»Dann bringen Sie mich wenigstens hier heraus.«
»Kommt auch noch.« Der Albino zog den Schluß, daß der Haß echt war. Er wollte noch mehr sagen, doch in diesem Moment war draußen vor dem Erdbunker ein Schuß zu hören …
*
Der Albino erschrak sichtlich und drehte sich halb um. Darüber vergaß er für einen Moment die Anwesen-heit der jungen Kathy Porter, aber vielleicht sah das auch nur so aus. Möglicherweise wollte der Albino nur testen, ob die junge, rothaarige Frau nun zum Angriff auf ihn übergehen würde.
Kathy Porter rührte sich jedoch kaum.
Sie schob nur ihren Oberkörper etwas nach vorn und starrte fast gierig auf die Tür und in die dahinter lie-gende Dämmerung. Sie schien gespannt darauf zu warten, daß man Agatha Simpson erledigt hatte.
Eddy hatte sich wieder Kathy Porter zugewendet, die ihn überhaupt nicht beachtete. Der Albino hatte Zeit und Gelegenheit, die junge Frau genau zu beobachten.
Eddy hörte Schritte und drehte sich wieder halb um.
Vor der Tür erschien Paul, der ehemalige Boxer.
Kathy Porter atmete tief durch und entspannte sich.
»Die alte Lady wollte mich reinlegen«, meldete Paul.
»Und!?« Kathy Porter hielt es vor Spannung nicht mehr aus. Sie sprang auf und sah den ehemaligen Boxer gespannt an.
»Ich hab’ ihr klargemacht, daß sie das mit mir nicht machen kann«, antwortete Paul.
»Nun sagen Sie doch endlich, was geschehen ist!« Kathy Porters Stimme klang scharf.
»Ich hab’ ihr eine gelangt«, redete Paul weiter und wirkte etwas verlegen. »Ich glaub’ nicht, daß sie noch mal verrückt spielen wird.«
Agatha Simpson trat in den Lichtkreis der Warnlampe.
Sie sah ein wenig derangiert aus, ihr Haar hatte sich verschoben. Sie baute sich vor Paul auf und maß ihn mit flammenden Blicken.
»Sie abgrundloser Flegel«, fauchte sie. »Wie konnten Sie es wagen, mich zu schlagen! Sie Lümmel! Sie Monster! Sie Individuum …!«
»Gern hab’ ich’s nicht getan«, entschuldigte sich Paul.
»Los, gehen wir wieder rein in den Bunker«, entschied der Albino und grinste. Er deutete mit dem Lauf seiner Waffe in den betonierten Raum.
Agatha Simpson marschierte an den beiden Gangstern vorbei in den Bunker und mußte wohl etwas in Ka-thy Porters Gesicht entdeckt haben, denn sie begriff augenblicklich.
»Zu früh gefreut, Kindchen«, stellte sie ironisch fest, »sehr enttäuscht, wie? Noch lebe ich …«
Kathy Porter wendete sich ab und setzte sich wieder.
»Ich weiß genau, worauf Sie gewartet haben«, fuhr Lady Simpson ihre reizende Gesellschafterin an. »Ich weiß, was in Ihrem hübschen Köpfchen vorgeht, aber so leicht mache ich es Ihnen nicht, Miß Porter!«
Kathy Porter verzichtete auf eine Antwort und sah angestrengt zu Boden.
»Mach’ die Tür zu«, rief der Albino dem ehemaligen Boxer zu. »Wir wollen nicht länger stören …«
Als die Tür ins Schloß gedrückt wurde, war immer noch die dunkel gefärbte Feldwebelstimme der Lady zu hören, die sich mit ihrer Gesellschafterin auseinandersetzte. Der Albino blieb einen Moment vor der Tür stehen und lauschte. Dann langweilte ihn die Wiederholung, die Agatha Simpson von sich gab. Er nickte seinem Partner zu und ging mit ihm zurück zu der Stelle, von wo aus sie den Betonbunker bewachten.
»Die mögen sich nicht, wie?« fragte Paul.
»Die hassen sich wie die Pest«, gab Eddy, der Albino amüsiert zurück. »Was hat die Alte denn ange-stellt?«
»Na, die sprang mich plötzlich an … Verdammt schnell sogar. Ich mußte ihr ’nen Schuß vor die Füße set-zen. Und dann mal kurz zulangen, als sie keine Ruhe gab …«
»Hoffentlich werden wir die bald los«, seufzte Eddy.
»Die beiden Frauen?«
»Zumindest die alte Lady«, präzisierte Eddy, »um die jüngere wär’s eigentlich verdammt schade.«
Der Albino zündete sich eine Zigarette an und träumte von Kathy Porter, die ihm ausnehmend gut gefiel.
*
Das Telefon meldete sich.
Josuah Parker stellte den Cognacschwenker gemessen ab und begab sich an den Apparat. Er meldete sich und hörte die vertraute undeutliche Stimme.
»Collins kommt erst in zwei oder drei Tagen aus New York zurück«, sagte Parkers Gesprächspartner.
»Eine Zeitspanne, die übersehbar sein dürfte«, stellte Parker höflich fest.
»Das dauert mir zu lange, Parker! Und jetzt hören Sie verdammt genau zu … Sie kennen sich ja bei der Lady aus. Besorgen Sie sich ein Scheckbuch und halten Sie sich bereit!«
»Scheckbücher pflegt Mylady nicht in ihrer Wohnung aufzubewahren.«
»Wo denn?«
»In … In …« Parker stammelte gekonnt.
»Sie besorgen sich also ein Scheckbuch«, befahl die undeutliche Stimme, »und kommen Sie mir bloß nicht mehr mit Ausreden! Und wenn das nicht klappt, pumpen Sie die Verwandten oder Bankiers der Lady an. Lassen Sie sich was einfallen!«
»Darf ich mir die Freiheit nehmen, einen Vorschlag zu unterbreiten?«
»Los! Zieren Sie sich nicht!«
»Lady Simpson sollte sich mit Mister Geoffrey von der City Bank in Verbindung setzen. Mister Geoffrey genießt Myladys Vertrauen. Ich möchte meiner Gewißheit Ausdruck verleihen, daß die Beschaffung der gewünschten Summe dann keine Schwierigkeiten mehr machen wird. Es empfiehlt sich weiter, daß Mylady mit Mister Geoffrey spricht. Mittels eines Telefons ließe sich das ja möglicherweise bewerkstelligen …«
»Gar nicht schlecht«, sagte die undeutliche Stimme.
»Ich möchte ausdrücklich betonen, daß Sie der Kidnapper sind«, baute Parker vor.
»Warum haben wir Sie nicht engagiert?« frotzelte die undeutliche Stimme sichtlich erleichtert. »Verstän-digen Sie diesen Geoffrey schon mal, damit der alte Knabe weiß, was auf ihn zukommen wird! Ich melde mich wieder gegen 20.00 Uhr. Ende!«
Parker legte auf und war ein wenig überrascht.
Der soeben geäußerte Ausdruck »alter Knabe« war zwar typisch englisch, aber er deutete gerade deshalb darauf hin, daß der Kidnapper den Bankier näher kennen mußte. Der liebevollspöttische Ausdruck »alter Knabe« wurde immer dann verwendet, wenn man damit einen bestimmten Grad enger, persönlicher Bezie-hungen andeuten wollte.
Josuah Parker fand es an der Zeit, sich mit dem Bankier George Geoffrey zu befassen. Genauer gesagt, mit dessen näheren Umgebung. Wer, so fragte sich der Butler, durfte sich die Freiheit nehmen, den Bankier derart vertraulich anzureden?
*
»Nun, Kindchen, haben Sie mich auch richtig schlecht gemacht?« erkundigte sich Agatha Simpson mit gedämpfter Stimme.
»Ich habe mich scheußlich dabei gefühlt, Mylady.«
»Macht ja nichts, Kindchen.« Die beiden Frauen saßen im dunklen Betonbunker und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Auf Lady Simpsons Wunsch hin hatten die beiden Frauen ein ausgezeichnetes Spiel inszeniert.
Die Detektivin hatte sich absichtlich hinausführen lassen, um ihrer Gesellschafterin Gelegenheit zu geben, ausgiebig zu schimpfen.
»Ich glaube, Mylady, daß ich den Albino überzeugt habe.«
»Genau darauf kommt es an«, antwortete ihre Gesprächspartnerin zufrieden. »Die Kidnapper müssen fest davon überzeugt sein, daß Sie mich hassen. Dann können Sie auch nicht als Druckmittel gegen mich ange-setzt werden.«
»Ich habe schrecklich auf Sie geschimpft.«
»Sehr schön, Kindchen. War es schwer, ruhig sitzen zu bleiben, als der Schuß fiel?«
»Um ein Haar hätte ich mich verraten. Der Albino forderte mich geradezu heraus, einen Fluchtversuch zu unternehmen.«
»Ich hatte auch meine Schwierigkeiten«, gestand Agatha Simpson und lachte leise. »Dieser Boxer war doch einfach nicht dazu zu bewegen, den Schuß abzufeuern. Er scheint einen großen Respekt vor mir zu haben.«
»Glauben Sie, Mylady, daß man uns noch wegschaffen wird?«
»Aber ganz gewiß, Kindchen. Das hier ist nur eine Zwischenstation. Eigentlich freue ich mich schon auf den gemeinsamen Flug. Der Gedanke daran regt mich bereits an.«
»Wer könnte hinter diesen drei Kidnappern stehen, Mylady? Das frage ich mich die ganze Zeit.«
»Das werden wir noch früh genug erfahren«, antwortete Agatha Simpson grimmig, »und dann kann dieser Gangster sich auf etwas gefaßt machen. Ich werde ihn dann wahrscheinlich in der Luft zerreißen.«
Agatha Simpson kam nicht mehr dazu, weitere Drohungen auszustoßen, denn vor der Bunkertür waren Schritte zu hören. Wenig später öffnete sich die Tür.
Ritchie, der junge, sportlich aussehende Mann, erschien mit der Warnleuchte und strahlte die beiden Frau-en an.
»Ich lade Sie zu einem kleinen Ausflug ein, Lady«, sagte Ritchie ironisch. »Was halten Sie denn davon, mit Ihrem Bankier Geoffrey zu sprechen?«
»Was versprechen Sie sich davon?« erkundigte sich die Detektivin, die mit dieser Entwicklung nicht ein-verstanden war. Im Grund hatte sie solch einen Vorschlag befürchtet. Ihr war klar, daß sie nicht mehr lange zu leben hatte, sobald die Kidnapper erst mal das geforderte Geld besaßen.
»Hunderttausend Pfund. Oder vielleicht auch noch mehr …«, beantwortete der junge Mann leichten Sin-nes die Frage der älteren Dame. »Warum sollten wir die Summe eigentlich nicht erhöhen. Sie haben doch schließlich Geld genug …«
Agatha Simpson schwieg.
Ihr war klar, daß die Kidnapper sich jetzt auf dem richtigen Weg befanden, um schnell an das geforderte Geld heranzukommen. Geoffrey würde selbstverständlich jede Summe akzeptieren, die sie von ihm verlang-te. Schließlich gehörte ihr ja die City Bank. Geoffrey würde keine Fragen stellen. Er wußte ja aus der Ver-gangenheit, daß Lady Simpson ohne lange Vorankündigung Geldbeträge anforderte, wenn sie es für richtig hielt.
»Und jetzt habe ich noch ’nen kleinen Gag für Sie auf Lager, Lady«, ließ Ritchie sich wieder vernehmen. »Raten Sie mal, wer mir diesen Tip gegeben hat, als sich heraus stellte, daß Ihr Vermögensverwalter Collins nach New York unterwegs ist? Na, kommen Sie nicht drauf? Ist ja auch verdammt schwer … Also, Ihr But-ler ist das gewesen. Von ihm stammt der Tip mit Geoffrey … Gut, was? Der Mann ist begabt. Ein Wunder, daß er immer noch als Butler arbeitet. Er könnte steinreich sein, wenn er nur etwas cleverer wäre …«
Agatha Simpson schnappte ein wenig nach Luft.
Wollte dieser Flegel von einem jungen Mann sie nur ärgern oder verunsichern? Konnte Butler Parker die-sen wertvollen Tip geliefert haben? Wertvoll nämlich für die Kidnapper, tödlich aber für sie und Kathy Por-ter? Das konnte doch unmöglich stimmen!
»Sie glauben mir nicht, wie?« Ritchie hatte die Unsicherheit der älteren Dame sofort erkannt.
»Nicht ein einziges Wort, Sie Strolch!« Sie musterte ihn grimmig und spielte mit dem Gedanken, ihm eine Ohrfeige zu verabreichen. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.
»Wie hätte ich denn auf diesen Geoffrey und auf die City Bank kommen sollen?« fragte Ritchie amüsiert. »So was konnte ich doch nur aus erster Hand erfahren.«
»Wie soll es nach dem Telefonanruf weitergehen?« erkundigte sich Agatha Simpson, das Thema wech-selnd.
»Sehr einfach, Lady. Sobald die Piepen bereitliegen, werden sie ganz regulär abgeholt.«
»Durch wen?«
»Lassen Sie sich mal überraschen! Wir haben da ’ne ganz nette Idee und vielleicht auch ’nen interessierten neuen Mitarbeiter. Kommen Sie jetzt! Der Anruf bei Geoffrey ist fällig. Lassen Sie sich bloß nicht einfallen, unterwegs Mätzchen zu machen! Sie würden verdammt wenig Spaß daran haben …«
Die Detektivin kam zu dem Schluß, die geplante Ohrfeige plazieren zu müssen. Jetzt kam es nur auf den richtigen Zeitpunkt an …
*
George Geoffrey zögerte nicht eine Sekunde, Josuah Parker zu empfangen.
Als der Butler dem etwa fünfzigjährigen, kleinen und leicht gebeugten Mann gegenüberstand, merkte Par-ker sofort, daß die Kidnapper sich bereits bei ihm gemeldet haben mußten.
Der Mann mit der Raubvogelnase und den klugen Eulenaugen machte einen ungewöhnlich nervösen Ein-druck. Ganz im Gegensatz zu Josuah Parker, der gemessen wie immer auftrat.
»Ich habe da einen sehr eigenartigen Anruf erhalten«, sagte Geoffrey. »Wenn mich nicht alles täuscht, müssen es Kidnapper gewesen sein.«
»Hat sich auch Lady Simpson gemeldet?« wollte Parker wissen.
»Nur sehr kurz«, erwiderte Geoffrey und nickte bestätigend. »Sie verlangte, daß ich sofort hunderttau-send Pfund bereitstellen soll. Sie sagte ferner, es ginge um ihr Leben.«
»Dies deckt sich mit meinen Informationen, Sir«, bestätigte der Butler. »Hoffentlich haben Sie die Polizei nicht verständigt!?«
»Natürlich nicht, daß hat mir dieser Kidnapper ausdrücklich verboten.«
»Man würde sonst das Leben Myladys unnötig gefährden«, erläuterte Parker. »Bestehen hinsichtlich der Überbringung der Banknoten spezielle Wünsche der Kidnapper?«
»Man will gleich wieder anrufen«, sagte Geoffrey. »Sie wissen also von der Entführung?«
»Sie ist eine Tatsache, Sir. Daran ist nicht zu zweifeln.«
»Du lieber Himmel«, entsetzte sich der Bankier. »Woher soll ich jetzt um diese Zeit das Geld hernehmen? Die Bank hat längst geschlossen.«
»Ich bin sicher, Sir, daß Sie einen Weg finden werden.«
»Ohne die beiden Hauptkassierer kann ich den Tresor unmöglich öffnen«, redete Geoffrey weiter. »Sie besitzen die übrigen Hauptschlüssel. Aus Sicherheitsgründen, verstehen Sie?«
»In der Tat, Sir! Könnte man die beiden Herren verständigen?«
»Natürlich, aber das kostet Zeit. Sie wohnen draußen im Westen der Stadt. Glauben Sie wirklich, daß Lady Simpsons Leben gefährdet ist?«
»Mit letzter Sicherheit, Sir.«
George Geoffrey wanderte unruhig durch sein Büro, das sich über den eigentlichen Bankräumen befand. Als Junggeselle war er nicht an feste Zeiten gebunden. Er pflegte nach dem Schließen der Bankschalter im-mer noch für ein bis zwei Stunden im Geschäft zu bleiben.
»Hunderttausend Pfund sind es!« Geoffrey blieb stehen und schüttelte den Kopf.
»Vergleichsweise wenig, Sir, wenn ich mich dazu äußern darf.«
»Ein Vermögen, Mister Parker?« Geoffrey sah den Butler verweisend und streng an.
»Eine Frage der Relation, Sir.«
Bevor die beiden Männer sich näher über die Relativität des Geldes an sich äußern konnten, schlug das Telefon an. Geoffrey zuckte zusammen, als er abgenommen hatte und deutete auf den Zweithörer des Appa-rates.
»So, Geoffrey, und jetzt zu den Details«, sagte eine Stimme, die zwar undeutlich klang, die dem Butler aber irgendwie fremd erschien. »Drücken Sie Parker die Scheine in die Hand und verhalten Sie sich voll-kommen still!«
»Wohin soll Mister Parker denn das Geld bringen?« wollte Geoffrey wissen.
»Das werden wir ihm schon rechtzeitig sagen, Geoffrey. Hoffentlich haben Sie das Geld schon zusam-men.«
»Das … Das wird noch einige Zeit dauern«, gab Geoffrey hastig zurück. »Ich muß erst den Tresor öffnen. Und dazu brauche ich …«
»Was Sie dazu brauchen, interessiert mich überhaupt nicht! Halten Sie sich ran! Sie wollen doch hoffent-lich nicht, daß Lady Simpson unnötig leidet, oder?«
»Nein, nein, natürlich nicht … Sie dürfen ihr nichts antun. Ich werde mich beeilen.«
»Bis wann haben Sie den Zaster beisammen?«
»In etwa einer Stunde könnte ich es geschafft haben. Ja, in einer Stunde …«
»Einverstanden. Geben Sie mir jetzt mal den Butler! Ich hoffe, daß er inzwischen bei Ihnen eingetroffen ist.«
Parker übernahm den Hörer und meldete sich gemessen.
»Sobald Sie das Geld haben, Parker, fahren Sie zurück in die Stadtwohnung und warten auf weitere An-weisungen, klar?«
»Ihre Anweisungen zeichnen sich sowohl durch Klarheit als auch durch Kürze aus.«
»Sie werden warten und keine Tricks ausbrüten, Parker. Die Lady wäre sonst geliefert …«
»Haben Sie noch weitere Wünsche?«
»Ja, reichen Sie mir noch mal diesen Bankier rüber an die Leitung.«
Parker kam dem Wunsch des Kidnappers nach und übernahm jetzt wieder den Zweithörer.
»Hören Sie, Geoffrey, da Sie ja ohnehin den Tresor öffnen, könnten Sie eigentlich kräftig hinlangen … Packen Sie gleich zweihunderttausend Pfund ein! Ist ja ein Aufwaschen.«
George schnaufte bewegt. »Zwei … Zweihunderttausend Pfund?«
»Zweihunderttausend Pfund«, bestätigte die Stimme, die zwar undeutlich klang, sich in Parkers Ohr aber nach wie vor fremd anhörte. »Für Lady Simpson ist das dann immer noch ein Taschengeld. Haben wir uns verstanden?«
»Gewiß, gewiß.«
»Und hier haben Sie noch mal die Lady am Rohr«, sagte der Kidnapper, worauf Parker dem Bankier fast den Hörer aus der Hand riß und sich sofort meldete.
Der erste echte Kontakt mit seiner Herrin …
»Darf ich mich nach Myladys Befinden erkundigen?« fragte der Butler sofort.
»Ich bin von Flegeln umgeben«, ließ Agatha Simpson sich grollend vernehmen. »Aber man lebt. Noch …«
»Ich werde umgehend die geforderte Summe bereithalten, Mylady.«
»Worum ich auch gebeten haben möchte. Und lassen Sie sich nicht etwa einfallen, mit dem Geld durchzu-brennen, Mister Parker!«
»Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit fest verlassen.«
Als Parker auflegte, unterdrückte er ein feines Schmunzeln. Er hatte Agatha Simpson außerordentlich gut verstanden. Ihre Absichten deckten sich haargenau mit seinen Plänen.
*
Lady Agatha stand zusammen mit Ritchie in einer engen Telefonzelle in der Nähe einer Tankstelle und schätzte ihre Möglichkeit ab.
Ritchie, der junge, sportliche Mann, hatte sie noch mal während der Fahrt bisher zur Telefonzelle eindring-lich verwarnt und auf sein Schießeisen hingewiesen. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, daß er gna-denlos schießen würde, falls sie Ärger machte.
Sie hatte gerade mit Josuah Parker gesprochen und konnte nur hoffen, daß er sie richtig verstanden hatte. Auch Lady Agatha wollte die Übergabe der verlangten Summe solange wie möglich hinausschieben. Sobald die Kidnapper erst mal das Geld in Händen hatten, war es um sie und Kathy Porter geschehen. Daran war überhaupt nicht zu zweifeln.
Agatha Simpson hielt den Telefonhörer noch in der Hand.
Sie sah durch die kleinen viereckigen Scheiben der Tür hinaus auf die Straße.
Neben dem wartenden Wagen hatte sich Paul, der ehemalige Boxer, aufgebaut. Er tat sehr harmlos und machte sich allein dadurch schon wieder verdächtig. So harmlos, wie er wirkte, gab sich kein normaler Mensch. Er schaute hoch in den inzwischen dunkel gewordenen Himmel und pfiff reichlich verlegen ein Lied. Dabei schielte er ängstlich hinüber zur Telefonzelle. Er ließ seinen Partner Ritchie und Lady Simpson nicht einen Moment lang aus den Augen.
»Na, los, worauf warten Sie noch? Wollen Sie hier anwachsen?« Ritchie gab sich frech und arrogant. Dadurch zündete in Mylady eine Bombe, die bereits die ganze Zeit über getickt hatte.
Nein, sie konnte nicht anders.
Lady Agatha war schließlich keine müde, alte Frau, die vor Angst bebte. Wer sie nur ein wenig kannte, wußte sehr genau, wie streitlustig, aktiv und kriegerisch sie war. Mochte sie auch um die sechzig herum sein, in ihr loderte das Feuer eines mittelgroßen Vulkans.
Vulkan und Bombe gingen gleichzeitig hoch …
Lady Agatha sah sich Veranlaßt, die dumme und freche Arroganz dieses Lümmels zu ahnden.
Sie klopfte ihm den Telefonhörer sehr nachdrücklich auf die Nase, worauf Ritchie sofort Wirkung zeigte.
Er brüllte auf und wollte Lady Agatha schlagen.
Doch er hatte seine Rechnung ohne die resolute Detektivin gemacht.
Sie langte mit dem Telefonhörer noch mal zu und behandelte jetzt das linke Auge des Flegels, das sich so-fort schloß und Tränen produzierte.
Doch damit nicht genug …
Lady Agatha, mal in Fahrt geraten, war nur schwer zu bremsen, wie Ritchie zu seinem Leidwesen erlebte. Sie verabreichte dem Mann eine Ohrfeige, und zwar mit dem Handrücken. Der Ring an ihrem rechten Mit-telfinger furchte über die Lippen des Gegners und trennte sie am Mundwinkel auf.
Ritchie heulte auf und wußte sich nicht zu wehren. Wegen der Enge in der Telefonzelle sah er sich außer-stande, nach seiner Schußwaffe zu greifen. Zudem beförderte Lady Agatha ihn gerade mit einem Fußtritt aus der Zelle.
Ritchie flog mit der sich öffnenden Tür nach draußen, stolperte und schlug zu Boden. Lady Agathas Ge-sicht zeigte einen triumphierenden Ausdruck. Sie war mit sich äußerst zufrieden.
»Wagen Sie es nur ja nicht, unhöflich zu sein«, grollte sie den ehemaligen Boxer an, der sie völlig entgeis-tert anstarrte. Paul, der Boxer, wußte nicht, was er machen sollte. Es kam ihm allerdings nicht in den Sinn, etwa auf Mylady zu schießen. Dinge dieser Art hatten in seinem Kopf erfreulicherweise keinen Platz.
Lady Agathas ausgeprägter Busen wogte.
Sie wollte Paul einen Vermittlungsvorschlag machen, in dem eine Art Belohnungsgeld eine wichtige Rolle spielte, doch Ritchie erhob sich bereits wieder und hielt sein Schießeisen in der Hand. Seine Augen hatten einen tückischen, mordlustigen Ausdruck angenommen. Was er tatsächlich wollte, war nicht zu ergründen, denn Paul schaltete sich ein. Er schien Ritchie zu kennen und wollte einen Mord verhindern. Er schlug sei-nem Partner hart die Waffe aus der Hand.
»Nicht, wenn ich dabei bin«, stellte Paul dann fest.
»Bravo, junger Mann«, lobte Lady Agatha den ehemaligen Boxer, »aus Ihnen kann vielleicht noch etwas werden.«
»Bist du wahnsinnig, Paul?« fauchte Ritchie seinen Partner an und bückte sich nach der Waffe.
»Du wirst sie in Ruhe lassen«, befahl Paul, »oder du bekommst es mit mir zu tun!«
»Wir sprechen uns noch«, drohte Ritchie nachgebend. »Daß der Chef das erfahren wird, dürfte ja wohl klar sein.«
»Halt die Klappe, Ritchie, oder ich hau’ dir eine rein!«
»Warum tun Sie’s nicht sofort?« erkundigte sich Lady Agatha. »Worauf warten Sie noch, junger Mann?«
»Steigen Sie zurück in den Wagen«, befahl Paul, der sich nicht aus dem Konzept bringen ließ.
»Ich könnte Ihnen ein Angebot machen«, redete Agatha Simpson verheißungsvoll weiter.
»Steigen Sie ein, Lady«, wiederholte Paul ruhig und gelassen. »Ich lade Sie nicht zweimal ein!«
Agatha Simpson war Realistin. Sie gehorchte.
Der Ton des ehemaligen Boxers hatte ihr deutlich gesagt, daß der Mann an einem Privatgeschäft nicht in-teressiert war.
*
Parker hatte die beiden Koffer geschlossen und prüfte sie.
Zweihunderttausend Pfund waren nicht gerade leicht, aber sie ließen sich tragen. Bankier George Geoff-rey und seine beiden Hauptkassierer hatten das verlangte Geld aus dem Tresor geholt und zwar in kleinen Scheinen, wie die Kidnapper es gewünscht hatten.
Die beiden Hauptkassierer waren notgedrungen eingeweiht worden. Sie kannten Agatha Simpson und schätzten deren Eskapaden. Es war offensichtlich, daß sie die eigentliche Chefin der Bank mochten.
Parker hatte sich die beiden Männer genau angesehen.
Einer von ihnen hieß Morris Hantel, war etwa fünfzig Jahre alt und machte einen soliden Eindruck.
Der zweite Hauptkassierer hieß Norman Stilford, war vielleicht fünfundvierzig Jahre alt und sah noch so-lider aus.
Keinem von beiden war zuzutrauen, daß sie sich jemals an einem Kidnapping beteiligen würden. Die reine Anständigkeit nistete in jeder ihrer Poren, und ihre Westen schienen weißer als weiß.
»Passen Sie nur ja auf das Geld auf«, bat Geoffrey nervös. »Sollen wir sie begleiten, Mister Parker?«
»Ich erlaube mir, mich für dieses Angebot zu bedanken«, gab der Butler zurück, »aber ich möchte mich streng an die Anweisungen der Kidnapper halten.«
»Hoffentlich überfällt man Sie nicht, Mister Parker«, unkte der Bankier, als sie alle zusammen die Tresor-halle verließen.
»Dies, Sir, ist ein Hinweis, den ich beherzigen werde«, sagte der Butler, »zumal die Welt ja so ungemein schlecht ist.«
Parker blieb stehen, als er auf der breiten Treppe, die von der unteren Tresorhalle hinauf in den Schalter-raum der Bank führte, schnelle Schritte hörte.
»Hallo, alter Knabe! Was ist denn hier los?«
Ein junger, stutzerhaft gekleideter Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, erschien oben auf dem Treppen-absatz und winkte nach unten.
»Wollt ihr die Bank ausnehmen?« fragte der junge Mann munter weiter, »falls ja, werde ich mich beteili-gen …«
»Mein Sohn Charles«, sagte der Bankier Geoffrey ärgerlich, »und nenne mich bitte nicht immer ›alter Knabe‹!«
»In Ordnung, alter Knabe«, sagte Charles munter wie zuvor. »Wie ist das nun mit dem Bankraub? Habt ihr noch einen Platz frei?«
»Ein sehr geschmackloser Scherz«, stellte Geoffrey senior fest. »Wie bist du hier hereingekommen?«
»Ich war oben in deinem Büro und kam dann über die Hintertreppe. Ist das etwa verboten? Wolltet ihr Halunken unter euch bleiben?«
Charles Geoffrey war offensichtlich angeheitert und amüsierte sich königlich. Eine deutlich wahrnehmbare Alkoholfahne flatterte ihm munter voran.
»Ich erlaube mir, einen guten Abend zu wünschen«, sagte Parker in seiner zurückhaltenden, höflichen Art.
»Moment mal, sind Sie nicht Myladys Butler?« stellte Charles fest.
»In der Tat«, antwortete Parker.
»Und was schleppen Sie da fort, Parker?«
»Das von Ihnen vermutete Vermögen.«
»Guter Witz!« Charles lachte und wendete sich seinem völlig verärgerten Vater zu. »Wie wär’s denn, alter Knabe, wenn du mir aus der Patsche helfen würdest? Ich brauche sofort zehn Pfund. Bekommst sie unter Garantie zurück. Ehrenwort!«
»Geh’ schon zurück ins Büro«, fuhr Geoffrey senior den jungen Mann an. »Geh’, oder ich werde dir kei-nen einzigen Penny geben!«
»Und schon ist der gute Charles nicht mehr zu sehen«, verabschiedete sich der junge Mann, grüßte über-trieben und verließ den oberen Treppenabsatz.
Die beiden Hauptkassierer waren gut geschult. Sie taten so, als hätten sie weder etwas gesehen noch ge-hört. Sie übergingen gentlemanlike diesen peinlichen Vorfall.
Auch Parker verzichtete auf einen Kommentar.
Er trug die beiden Koffer in die Schalterhalle und setzte sie hier ab, um sich von den drei Bankleuten zu verabschieden.
»Entschuldigen Sie die schlechten Manieren meines Sohnes«, sagte George Geoffrey dann mit gedrückter Stimme.
»Ich erlaube mir zu fragen, Sir, wovon Sie eigentlich reden«, gab der Butler gemessen zurück. »Zudem be-schäftigt mich Lady Simpsons Schicksal zu sehr, um von anderen Dingen Kenntnis zu nehmen.«
»Hoffentlich sehen wir sie bald wieder«, meinte Geoffrey, »rufen Sie mich sofort an, sobald Lady Simp-son sich wieder auf freiem Fuß befindet!«
Parker wurde durch eine Seitentür aus der Bank gelassen und trug die beiden Koffer hinüber zu seinem in der Seitenstraße wartenden Wagen.
Er ahnte, daß er bereits schon jetzt sehr intensiv belauert wurde …
*
Parkers Vermutung war richtig.
Im Fahrerhaus eines kleinen Kasten-Ford saßen die beiden Spezialisten Clark und Will, die nach ihrer Plei-te in der Kiste darauf brannten, sich ihrem Boß Hampton gegenüber zu rehabilitieren.
Sie hatten das Stadthaus von Lady Simpson beobachtet und waren dann später dem Butler gefolgt. Dabei hatten sie echte Geschicklichkeit entwickelt und dafür gesorgt, nicht als Verfolger erkannt zu werden. Der Kastenwagen hatte dabei gute Dienste geleistet. Ein Wagen, wie sie ihn benutzten, fiel in Londons Straßen nicht auf. Davon gab es tausende, die durch die Straßen fuhren.
Sie standen über Sprechfunk mit Hampton in Verbindung.
Der Gangsterboß bediente sich moderner technischer Einrichtungen, um seine Leute stets richtig dirigieren zu können. Will, der neben Clark saß, redete gerade mit seinem Boß im Nachtclub und teilte ihm mit, daß das Objekt mit zwei Koffern aus der Bank gekommen sei.
Hamptons Stimme klang wie elektrisiert, als er antwortete. Er teilte seinen beiden Assen mit, Parker weiter zu folgen und vorerst nichts zu unternehmen.
Clark und Will hielten sich genau an die Anweisung.
Als Verfolger waren sie gut, wie sich erneut zeigte.
Sie sorgten stets für einen großen Abstand zwischen sich und Parkers hochbeinigem Wagen, aber auch da-für, daß dieser Abstand nie zu groß wurde. Im übrigen waren sie gespannt, wohin die Fahrt wohl ging.
Nach zehn Minuten ahnten sie, daß Parker ganz offensichtlich Soho ansteuerte, eine Gegend also, die sie wie ihre Westentasche kannten. Sie gaben ihren Standort an Hampton durch, der sehr zufrieden erwiderte, die Verfolgung solle so wie bisher fortgesetzt werden.
»Glaubst du, daß er den Zaster bei sich hat?« fragte Will, nachdem er das Funksprechgerät abgeschaltet hatte.
»Natürlich!« Clark nickte überzeugt. »Was sonst sollte er aus der Bank geholt haben? Das Lösegeld natür-lich …«
»Moment mal, er fährt ja in unsere Straße ein …!« Will wunderte sich ein wenig.
»Tatsächlich!« Clark beeilte sich, ebenfalls Bauklötze zu staunen. »Will der mit dem Geld etwa zum Boß?«
»Ausgeschlossen!« Will grinste, »das wäre zu schön, um wahr zu sein. Was hast du denn?«
»’ne Panne!« fluchte Clark und hopste auf seinem Fahrersitz herum, da der Wagen bereits auf einer Felge fuhr.
»Das darf doch nicht wahr sein!« Will schnaufte wütend. »Fahr’ weiter, vielleicht hält der Butler irgend-wo … Was ist denn?«
»Der zweite Reifen im Eimer!« Clark heulte vor Wut. »Das gibt’s doch überhaupt nicht!«
»Das … Das kann nie Zufall sein«, behauptete Will prophetisch.
»Nee … Der dritte Reifen ist nämlich auch schon platt.«
Der Kastenlieferwagen hoppelte in ungemütlichen Stößen über den an sich glatten Asphalt der Straße. Er ließ sich nicht mehr auf Geschwindigkeit bringen und torkelte auf seinen Felgen und gequetschten Pneus wie betrunken herum.
Clark mußte bremsen und dann halten.
»Genau vor unserem Club«, freute sich Will.
»Und Parker ist futsch!« fügte Clark hinzu, öffnete die Tür und sprang hinaus auf die Straße. Er ging um den Wagen herum und untersuchte die luftleeren und bereits in Fetzen herunterhängenden Reifen.
»Ich habe gerade den Boß angerufen«, sagte Will, der nun ebenfalls ausgestiegen war.
»Und!?«
»Der scheint nicht gerade begeistert zu sein, Clark.«
Will glaubte, die Stimmung des Boß richtig beschrieben zu haben, doch er hatte sehr untertrieben.
Hampton kam aus dem Club und warf die glatte, schwarz lackierte Tür wütend wieder hinter sich ins Schloß. Er lief über die Fahrbahn und baute sich vor seinen beiden Profis auf. Wenig später begann er wie ein Waschmittel zu schäumen, das im geöffneten Paket von einem Platzregen überrascht wurde.
»Ihr Riesenkamele«, schnauzte er los, »ihr Anfänger! Ihr Riesentrottel! Wie konnte denn das passieren?«
»Das hier hat uns geschafft, Boß.« Clark präsentierte Hampton drei sogenannte Krähenfüße, über Kreuz zusammengeschweißte, nadelspitze Stahldorne, die jeden Reifen erleichterten, den sie erwischten.
»Er hat die ganze Zeit über gewußt, daß er verfolgt wurde«, sagte Hampton sich zur Ruhe zwingend, »und er hat euch hier vor dem Club verladen. Genau vor dem Club! Verschwindet, oder ich bringe euch um!«
Charles Hampton war ein sichtlich gebrochener Mann, als er langsam zurück zum Club ging. Wenn er jetzt noch an das große Geld kommen wollte, mußte er sich etwas einfallen lassen. Er wußte nur noch nicht was …
*
Josuah Parker, der die totale Panne des Kastenlieferwagens sehr genau im Rückspiegel verfolgt hatte, war mit sich zufrieden. Er hatte sich nämlich leicht ausgerechnet, daß Hampton sich an ihn hängen würde. Dies war nun nicht mehr der Fall, wie sich gezeigt hatte.
Parker hatte die Krähenfüße auf den Asphalt fallen lassen. Der Druck auf einen der vielen Knöpfe seines reichhaltig ausgestatteten Armaturenbretts hatte einen Blechkasten unter dem Wagen geöffnet und die scharfdornigen Kleinsthindernisse freigegeben. Damit waren Hampton und seine Mitarbeiter erst mal außer Gefecht gesetzt worden.
Jetzt mußte nach Parkers Berechnung auch der Gangsterboß aktiv werden und seine Verbindungen nut-zen. Auf leichte Art und Weise konnte Hampton das Lösegeld nicht mehr verdienen. Er mußte sich an die eigentlichen Kidnapper heranmachen, und gerade das wollte der Butler. Er brauchte immer noch die unfrei-willige Mitarbeit dieses Gangsters.
Parker befand sich auf dem Weg zur Stadtwohnung der Lady Simpson.
Unterwegs vergewisserte er sich immer wieder, ob ihm weitere Verfolger auf den Fersen waren. Andere Mitglieder der Unterwelt konnten unterwegs sein, für ausreichende Publizität hatte er ja über Lorenzo Pades-te gesorgt.
Shepherd’s Market kam in Sicht, jenes idyllische Fleckchen Erde inmitten von London, das noch deutlich einen dörflichen Charakter auswies. Altehrwürdige Fachwerkhäuser kontrastierten ungemein reizvoll mit modernen Bauten. Hier war noch eine Oase relativer Ruhe inmitten der hektischen Millionenstadt.
Parker erreichte das Haus der Lady Simpson, hielt an und stieg aus. Dabei sah er sich verstohlen nach allen Seiten um. Er konnte sich gut vorstellen, daß die Kidnapper ihn hier bereits erwarteten. Er unterschätzte sei-ne Gegner nie und lebte daher noch.
Der kleine quadratische Platz, an dem das Stadthaus lag, war nur sparsam beleuchtet. Vor den Häusern gab es Hecken und Sträucher, Verstecke also genug für Leute, die auf ein ganz bestimmtes Ereignis warte-ten.
Parker holte die beiden Koffer aus dem Fond des Wagens, schloß die Türen sorgfältig ab und marschierte aufrecht und gemessen auf die Haustür zu. Den unvermeidlichen Regenschirm, auf den er fast nie verzichte-te, hatte er sich unter den linken Arm geklemmt.
Es tat sich nichts …, worüber der Butler sich bereits leicht wunderte. Die Kidnapper wußten doch mit letzter Sicherheit, welch ein Vermögen er in Händen hielt. Warum versuchten sie nicht jetzt und hier an das große Geld heranzukommen?
Oder saß diesen Gangstern das permanente Mißtrauen im Nacken? Fürchteten sie eine Falle? Rechneten sie vielleicht damit, daß die Polizei verständigt worden war?
Doch dann passierte es plötzlich …!
Der Butler hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als er hinter sich schnelle, leichte Schritte hörte.
Er drehte sich um und sah sich zwei Männern gegenüber, die auf ihn einen sehr harten und entschlossenen Eindruck machten. Parker erkannte sofort, daß es sich um üble Typen handelte, die aus der tiefsten Unter-welt stammten. Sie trugen übrigens keine Schußwaffen, sondern hatten sich mit Fahrradketten ausgerüstet.
Einer von ihnen hatte eine hüftlange Lederjacke an, der zweite eine dunkle Lederkombination, wie sie von Motorradfahrern verwendet wird. Die beiden waren etwa 25 Jahre alt.
»Rück? die Koffer schon raus«, sagte der Mann in der Lederjacke.
»Und dabei ganz schön ruhig bleiben«, verlangte der Mann in der Kombination. Sie schwangen die Fahr-radketten und kamen auf den Butler zu. Beide Männer trugen kräftige Schnauzbärte, die offensichtlich falsch waren.
»Ihr Wunsch ist mir selbstverständlich Befehl«, gab der Butler höflich zurück und ließ die beiden kleinen Koffer aus der Hand fallen. Sie landeten neben seinen Füßen auf dem Boden und … spuckten in Sekunden-bruchteilen dichte Nebelwolken aus, die jede Sicht nahmen. Parker und die Koffer verschwanden hinter ei-ner undurchdringlichen Wand, die keine Personenortung mehr zuließ.
Die beiden Rockertypen waren irritiert.
Mit solch einem Ereignis hatten sie wirklich nicht gerechnet. Sie wußten nicht, was sie mit ihren Fahrrad-ketten anfangen sollten, droschen aber sicherheitshalber in den dichten Nebel hinein. Dabei gerieten sie na-türlich in einen gewissen Dunstkreis und verloren sich aus den Augen.
Hart waren sie tatsächlich, wie sich zeigte.
Die langen, ungemein gefährlichen Fahrradketten zischten durch die Nebelschwaden und suchten ein Ziel.
Sie suchten und fanden!
Die beiden Männer verdroschen sich gegenseitig und knallten sich kraftvoll ihre Totschläger um die Oh-ren. Sie schonten sich nicht, brüllten, wenn sie getroffen wurden, und gaben nach einem Treffer doppelt und dreifach zurück.
Dieser Kampf im Nebel dauerte etwa drei Minuten.
Dann waren die beiden Typen restlos groggy.
Keuchend und aus Rißwunden blutend, fielen sie sich entkräftet in die Arme, verabreichten sich noch ei-nige Boxhiebe und gingen dann fast gleichzeitig zu Boden.
Parker, der sich im Schutz der Nebelwand samt Koffern in das Haus zurückgezogen hatte, schloß die klei-ne Sichtklappe in der Tür, durch die er den Zweikampf beobachtet hatte. Er öffnete die Tür, trat hinaus ins Freie und befaßte sich mit den beiden Schlägern.
Widerstandslos und vielleicht auch ein wenig erleichtert ließen sie sich von Parker in das Land der sprich-wörtlichen Träume schicken. Der Butler bemühte dazu den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes.
Mit dem Schirmgriff schleifte er die beiden Burschen ins Haus, barg die Ketten und schloß die Tür. Er op-ferte zwei seiner privaten Handschellen und kettete seine Gegner aneinander. Sobald sie wieder in der Lage waren, sich auf den Beinen zu halten, standen sie sich sehr eng Auge in Auge gegenüber. Die Handschellen sorgten dafür. Zur Zeit lagen die zwei Kerle aber noch auf den Fliesen des Vorkorridors und wurden von Parker durchsucht.
Butler Parker fand zwei Dolche in ihren Taschen, Schlagringe und zwei Rasiermesser. Er hatte seine Kon-trahenten also richtig eingeschätzt. Es handelte sich um billige Schläger, die man in der Stellenvermittlung der Unterwelt leicht mieten konnte.
*
»Sie haben mit Mister Parker gesprochen?« fragte Kathy Porter, als Lady Simpson sich wieder im Beton-bunker einfand.
»Hoffentlich hat er mich verstanden«, erwiderte die Detektivin und sah zur Tür des Bunkers hinüber, die gerade wieder geschlossen wurde. »Er soll die Übergabe des Lösegeldes verhindern.«
»Und wie?« Kathy Porter war fast froh, daß Mylady wieder zurückgekehrt war. Sie hatte tausend Ängste ausgestanden, kannte sie doch das wilde Temperament der streitbaren Dame.
»Falls Parker nur einen Funken Verstand hat, wird er mit den zweihundertausend Pfund durchbrennen«, meinte Agatha Simpson grimmig, »und dafür sorgen, daß diese Flegel nicht ein zweites Mal abkassieren können.«
»Ob die Kidnapper sich das gefallen lassen werden, Mylady?«
»Das wird sich noch früh genug herausstellen, Kindchen. Aber solange sie kein Geld haben, werden wir leben. Und darauf allein kommt es an.«
»Hatten Sie Schwierigkeiten, Mylady?« Kathy Porter sah die alte Dame forschend an. Im Licht der Warn-lampe, die man den Frauen gelassen hatte, sah Lady Simpson allerdings leicht angeregt aus. Kathy Porter hatte dafür einen erfahreren Blick.
»Ich würde es so sagen, Kindchen, ich hatte keine Schwierigkeiten.« Lady Simpson schmunzelte nach-drücklich.
»Sondern?«
»Dieser glatte Lümmel, der Ritchie genannt wird … Ich habe versucht, ihm meinen Standpunkt klarzuma-chen.«
»Nein, Mylady!«
»Er wird ein blaues Auge bekommen«, prophezeite die Detektivin fachkundig. »Ich kann es nun mal nicht ausstehen, wenn man sich mir gegenüber schlecht benimmt.«
»Und dieser Boxer, Mylady? Ließ er das zu?«
»Ein recht ordentlicher Mann«, stellte Agatha Simpson nachdenklich fest. »Er muß nur mit Nachdruck auf den rechten Weg gebracht werden. Wie haben denn Sie die Zeit hier verbracht, Kindchen?«
»Der Albino scheint sich für mich zu interessieren.«
»Das möchte ich ihm auch geraten haben«, grollte Agatha Simpson und schmunzelte dann. »Daraus läßt sich hoffentlich etwas machen, oder?«
»Bestimmt, Mylady.«
»Aber nicht übertreiben«, warnte die Detektivin. »Lassen Sie dieses Früchtchen an der langen Leine zap-peln. So, und jetzt möchte ich mein Abendessen und ein Bett haben. Reichen Sie mir noch mal den Cam-pingsessel herüber. Diesen Strolchen muß man klar machen, wer man ist!«
Nachdem die Lady den verlangten Sessel erhalten hatte, begann sie mit einer gekonnten Zweitauflage ih-rer Trommelwirbel, wobei ein kritisches Ohr leicht feststellen konnte, daß ihre Auffassung von Rhythmus an Tiefe und Reife eindeutig zugenommen hatte.
*
Bevor die beiden Hauptkassierer Morris Hantel und Norman Stilford sich von Bankier Geoffrey verab-schiedeten, faßten sie ganz automatisch nach ihren Tresorschlüsseln … und waren leicht bis mittelschwer bestürzt.
»Wo … ist … denn … mein Schlüssel«, fragte Morris Hantel in Raten und begann verzweifelt in sämtli-chen Taschen seines Anzugs zu suchen.
»Meiner … ist … auch weg!« stellte Norman Stilford ebenfalls ratenweise fest und schüttelte dazu un-gläubig den Kopf. »Ich weiß genau, daß ich ihn wieder eingesteckt habe.«
»Meine Herren, meine Herren!« Geoffreys Stimme klnag scharf. »Sehen Sie gründlich nach! Die Schlüssel können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.«
»Hast du denn deinen Schlüssel noch, alter Knabe?« erkundigte sich Geoffreys Sohn und grinste.
Worauf George Geoffrey seinen Schlüssel hervorziehen wollte, aber ins Leere griff.
Die mittelschwere Bestürzung der drei Männer verwandelte sich in gelinde Panik.
»Verschwunden«, sagte Geoffrey jetzt überflüssigerweise. »Das begreife ich nicht!«
»Aber ich, alter Knabe«, erwiderte Charles Geoffrey. »Ich sage nur Parker, Josuah Parker!«
»Parker?« Geoffrey senior sah seinen Sohn ungläubig an.
»Natürlich«, redete Charles Geoffrey munter weiter, »er hat euch die Tresorschlüssel aus der Tasche ge-luchst. Für mich ist das ein ganz klarer Fall.«
»Unmöglich«, sagte Morris Hantel.
»Ausgeschlossen«, stellte Stilford fest.
»Völlig unmöglich«, flüsterte George Geoffrey mit bereits heiserer Stimme vor Entsetzen. »Ich kenne doch Mister Parker. Er genießt das volle Vertrauen von Lady Simpson.«
»Na und?« Charles Geoffrey lachte spöttisch auf. »Geld verdirbt den Charakter, heißt es nicht so? Und kennst du diesen Parker wirklich richtig? Vielleicht hat er ein ganz bestimmtes Privatleben und hat euch allen nur etwas vorgemacht, um eines Tages an das große Geld heranzukommen.«
»Zweihunderttausend Pfund!« stöhnte George Geoffrey.
»Da kann man schon schwach werden«, redete Charles weiter, »aber wie hat er es denn geschafft, euch um diese Zeit zusammenzutrommeln?«
George Geoffrey sah sich nun gezwungen, seinen Sohn in die Geschichte einzuweihen.
»Und auf solch einen billigen Trick seid ihr hereingefallen?« spottete Charles Geoffrey, als er die Einzel-heiten kannte. »Daraufhin rückt ihr bereits die zweihunderttausend Pfund heraus?«
»In kleinen Noten«, fügte Morris Hantel hinzu.
»In gebrauchten kleinen Noten«, korrigierte Norman Stilford.
»Das Geld werdet ihr nie Wiedersehen«, behauptete Charles Geoffrey. »Diese ganze Sache war doch nur eine raffinierte Finte.«
»Ich habe schließlich mit Lady Simpson gesprochen«, wehrte sich der Vater des jungen Mannes.
»Stimmen am Telefon lassen sich leicht imitieren, alter Knabe«, sagte Charles Geoffrey, »geradezu genial, wie der Butler euch hereingelegt hat! Dafür verdient er fast schon einen Orden …«
»Ich … Ich werde sofort die Polizei verständigen«, sagte George Geoffrey, »das heißt, vorher werde ich noch mal in der Stadtwohnung anrufen.«
»Wenn du glaubst, alter Knabe, daß der Butler sich melden wird, gehst du in die falsche Richtung.«
George Geoffrey griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer, die er natürlich in- und auswendig kannte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde und Parker sich meldete. Da Charles Geoffrey die Verstärker- und Mithöranlage eingeschaltet hatte, war seine Stimme im Büro gut zu hören.
Sie klang gemessen und förmlich wie immer.
»Selbstverständlich werde ich das Geld den Kidnappern überbringen«, sagte er auf die entsprechende Frage hin. »Ich wundere mich ein wenig, falls mir das erlaubt ist, daß Sie daran zweifeln, Sir!«
»Und … Und die Tresorschlüssel! Ich weiß, daß Sie sie an sich genommen haben!«
»In der Tat, Sir!«
»Wie bitte? Und das sagen Sie so einfach?«
»Eine reine Vorsichtsmaßnahme, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf. Ich möchte es im allgemeinen Inte-resse unmöglich machen, daß die Entführer sich mit weiteren Forderungen an Sie wenden können. Sie wer-den entschuldigen, wenn ich Sie ein wenig getäuscht haben sollte.«
»Ich werde mich bei Lady Simpson beschweren! Sie haben sich aufgeführt wie ein Taschendieb!«
»Ein trefflicher Vergleich, Sir. Darf ich Sie erneut darauf aufmerksam machen, daß Sie Myladys Leben gefährden werden, wenn Sie die Polizei verständigen sollten!«
»Wer … wer sagt mir denn, daß Sie nicht mit dem Geld abhauen?«
»Dies, Sir, wird die Zukunft lehren«, lautete Parkers Antwort. »Wenn Sie gestatten, möchte ich mich nun der verlangten Geldübergabe widmen. Wünschen Sie Lady Simpson viel Glück, meine Herren!«
George Geoffrey legte den Hörer langsam zurück in die Gabel und sah seine beiden Hauptkassierer ratlos an.
»Der Bursche ist geradezu genial«, ließ Charles Geoffrey sich vernehmen, »mit diesem Trick hat er alles blockiert. Könnt ihr wirklich nicht mehr an den Tresor heran?«
»Aber das weißt du doch«, brauste George Geoffrey gereizt auf. »Schließlich bist du doch hier in der Bank angestellt und kennst die Gepflogenheiten. Die Ersatzschlüssel liegen in einem Safe der Bank of Eng-land und sind nur gegen Code zu bekommen.
Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht einen einzigen Cent aus dem Tresor holen.«
»Dann viel Spaß für morgen«, spöttelte Charles ironisch. »Ihr werdet einigen Ärger mit den Bankkunden haben. Aber das ist nicht mein Bier, alter Knabe. Du bist ja schließlich der Chef!«
»Moment, Junge, wohin willst du?«
»Ich brauche jetzt einen doppelten Whisky«, stellte Charles Geoffrey fest, »und wenn du klug bist, alter Knabe, spendierst du ihn mir. Solltest du knapp bei Kasse sein, wird man uns schon Kredit geben, oder?«
George Geoffrey und seine beiden Hauptkassierer Hantel und Stilford verzichteten auf das Angebot und kamen überein, hier im Büro auf die weitere Entwicklung der Dinge zu warten. Zudem hatte George Geoff-rey in seinem Wandschrank einen ausgezeichneten Portwein, mit dem man sich die schreckliche Wartezeit vertreiben konnte.
Charles Geoffrey verließ das Büro der Bank und schien nur an seinen doppelten Whisky im Club zu den-ken …
*
Parker sah auf seine beiden Gäste hinunter, die gerade aus der leichten Betäubung erwachten.
Sie sahen sich zuerst ein wenig verständnislos an, produzierten dann einige Töne der Überraschung und wollten sich erheben. Die Handschellen, mit denen sie eng verbunden waren, machten das etwas schwierig. Als sie dann endlich auf ihren Beinen standen, merkten sie erst, was der Butler mit ihnen gemacht hatte.
»Ich möchte sehr hoffen, daß Sie Ihre augenblickliche Situation nicht mißverstehen«, sagte Parker höflich, wie es seiner Art nun mal entsprach, »aber ich hatte draußen vor dem Haus den eindeutigen Eindruck, daß Sie Übles wollten.«
Die beiden Strolche sahen sich leicht fassungslos an. Eine barocke Ausdrucksweise dieser Art kannten sie nicht.
Parker widmete sich wieder den beiden Koffern, die er ins Haus getragen hatte.
Er hatte sie inzwischen wieder neu präpariert.
Mittels Klebeband hatte er auf der Stellfläche der beiden Koffer je zwei kleine Ampullen aus Glas befes-tigt. Wurden die Koffer nun hart abgestellt oder fielen sie gar aus der Hand, dann mußten diese Ampullen mit Sicherheit zerplatzen. Die darin gespeicherte Flüssigkeit ging dann eine ungemein schnelle Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft ein und sorgte für Nebelwolken, die sich sehen lassen konnten. Wie gut diese kleine, beiläufige Erfindung des Butlers war, hatten die beiden Schläger ja bereits erlebt.
»Ihr Auftraggeber wird nicht zufrieden mit Ihnen sein«, redete der Butler weiter, »ja, ich möchte fast be-haupten, daß er Ihnen bereits ein wenig grollt. Hoffentlich haben Sie nur per Telefon mit ihm verhandelt, sonst leben Sie ab sofort sehr gefährlich.«
Die beiden Schläger sahen sich an, verarbeiteten das Gehörte und musterten den Butler dann irritiert.
»Ich könnte mir vorstellen, daß er Ihren Verrat fürchtet«, redete der Butler weiter, »ein Mann wie Ihr Auftraggeber muß mit letzter Sicherheit Indiskretionen fürchten … Mit anderen Worten, er wird sicher ver-suchen, Sie ins Jenseits zu befördern.«
Die beiden Ganoven verhielten sich schweigend, aber ihnen war deutlich anzusehen, daß sie sich Parkers Worte durch den Kopf gehen ließen.
»Wenn Sie allerdings nichts zu befürchten haben, steht Ihrem Weggang nichts im Weg«, führte der Butler weiter aus und ging zur Zimmertür. »Wenn Sie gestatten, werde ich Sie an die Tür geleiten …«
Sie gingen sofort mit und zeigten, daß sie tatsächlich keine Angst hatten, das Haus zu verlassen. Daraus schloß Parker, daß sie ihren Auftraggeber nicht kannten. Sie hatten sich also per Telefon engagieren lassen.
»Dort ist die Tür«, sagte Parker und deutete in den Vorflur. »Ich wünsche Ihnen noch einen weiteren gu-ten Verlauf des Abends!«
Sie marschierten aus dem Haus und glichen einem senkrecht stehenden Sandwich ohne Belag. Die beiden Handschellen erwiesen sich als hinderlich.
Parker benutzte die Spitze seines Universal-Regenschirmes, um die Tür hinter den beiden Ganoven ins Schloß zu drücken. Von einem Seitenfenster des Vorflurs aus beobachtete er die beiden Ganoven, die es sehr eilig hatten. Wahrscheinlich hatten sie den Eindruck, es mit einem gefährlichen Verrückten zu tun zu haben. Einem Mann wie Parker waren sie bestimmt noch nie in ihrem Leben begegnet.
Parker ging zurück in den großen Wohnraum und betrachtete die beiden präparierten Koffer.
Es wurde Zeit, sie zum Fang der Kidnapper einzusetzen. Seiner Ansicht nach befand sich zumindest einer der Entführer immer noch in der Nähe des Hauses.
Parkers Überlegung ging von der Tatsache aus, daß der Kidnapper schließlich den wertvollen Inhalt der beiden Koffer kannte. Er hatte versucht, sie von den beiden Ganoven abholen zu lassen. Vornehm ausge-drückt übrigens. Dieser Kidnapper hätte zwei Ganoven dieser Sorte aber nie im Leben die beiden Koffer für länger als nur wenige Minuten anvertraut. Wahrscheinlich war es seine Absicht gewesen, die beiden Schläger zu erschießen, sobald sie die Koffer in ihren Händen hatte. Logischerweise mußte der Mann also ganz in der Nähe sein.
Und zwar noch immer …
Er sah jetzt die beiden abziehenden Ganoven ohne Koffer und wußte also, daß Parker sich noch im Besitz der zweihunderttausend Pfund befand. Der Kidnapper brauchte jetzt nur zu warten, bis Parker das Haus verließ.
Mit einem gezielten Schuß aus dem Hinterhalt konnte er dann sein Problem lösen und das Geld an sich nehmen.
Dieser Kidnapper arbeitete mit doppelter Sicherheit und ging kein Risiko ein …
Nach Parkers Einschätzung der Lage war bald mit einem Anruf der Kidnapper zu rechnen. Sie hatten ihm ja schließlich befohlen, hier im Stadthaus der Lady Simpson auf weitere Anweisungen zu warten, sobald er sich das Geld verschafft hatte. Von diesem Haus sollte er die Fahrt zur Übergabe des Lösegeldes antreten.
Parker dachte natürlich an Lady Simpson und Kathy Porter. Er hoffte, daß es den beiden Frauen gutging. Er bedauerte es ungemein, im Moment nicht mehr für sie tun zu können.
Es dauerte etwa fünf Minuten, bis der erwartete Anruf tatsächlich erfolgte.
*
Parker dachte nicht im Traum daran, den Hörer abzunehmen.
Doch er löschte das Licht im Wohnzimmer, ging gemessen durch den Korridor hinüber in die Küche und von dort aus über eine Treppe hinunter zu den Garagen im Hinterhof des Hauses.
Er öffnete das Tor, dann ein zweites Tor, durch das man hinaus in eine schmale Quergasse fahren konnte, ging zurück zur Garage und startete dort den Rolls-Royce seiner Herrin. Da die Nacht in diesem Viertel aus-gesprochen ruhig war, durfte er sicher sein, daß der Motor gehört wurde. Um etwa lauschenden Ohren aber restlos auf die Sprünge zu helfen, trat er einige Male auf das Gaspedal, damit der Motor aufrauschte. An-schließend begab der Butler sich zurück in das dunkle Haus und wartete auf Besuch.
Der vor dem Gebäude wartende Kidnapper mußte jetzt seiner Schätzung nach von einer gelinden Panik erfaßt werden. Er mußte annehmen, daß Parker das Weite gesucht hatte, und zwar in Begleitung von zwei-hunderttausend Pfund.
Dieser Kidnapper – wahrscheinlich handelte es sich sogar um den eigentlichen Drahtzieher – mußte sich nun vergewissern, ob seine Vermutung richtig war. Also war damit zu rechnen, daß er früher oder später hier im Haus erschien.
Parker hatte sich im Wohnzimmer am Fenster aufgebaut. Von hier aus konnte er den Vorplatz gut überbli-cken. Es konnte doch nur eine Frage von Sekunden sein, bis dieser Mann erschien. Zweihunderttausend Pfund waren schließlich ein Anreiz, dem man kaum widerstand.
Und da tat sich auch schon etwas …
In der Höhe der Sträucher und Hecken sah man eine Gestalt, die sich vorsichtig an das Haus heranpirsch-te. Die Falle funktionierte also. Der Fuchs suchte die süßen Trauben. Parker beglückwünschte sich dazu, die Gegner psychologisch richtig eingeschätzt zu haben.
Doch dann tauchte plötzlich eine zweite Gestalt auf, die der ersten hartnäckig folgte.
Parkers Hochgefühl verwandelte sich in eine dumpfe Ahnung. Sollte seine Rechnung durch einen wirklich dummen Zufall durchkreuzt werden? Er nahm das lichtstarke Nachtglas zur Hand, das er mit ans Fenster genommen hatte und sah sich die Gesichter der beiden Gestalten an.
Bruchteile von Sekunden später hatte der Butler alle Mühe, einen recht ordinären Fluch zu unterdrücken. Es kostete ihn einige Anstrengung, gemessen und stoisch zu bleiben. Und er war sogar ein wenig stolz auf sich, daß er es schaffte.
Dabei wäre ein Gefühlsausbruch durchaus am Platz gewesen, denn in der Optik des Nachtglases hatte er zwei sehr bekannte Gesichter erkannt. Bei den Gestalten handelte es sich um die beiden Profis aus dem Hau-se Hampton. Der Gangsterboß hatte seine engsten Mitarbeiter vor das Haus geschickt, um den Kontakt zu Parker herzustellen. Diese beiden Männer waren durch das Geräusch des Wagenmotors getäuscht und aus ihrem Versteck hervorgelockt worden.
Parker, der sie erst vor wenigen Stunden per Kiste zurück zu Charles Hampton geschickt hatte, nahm sich vor, diesen beiden Männern sehr nachdrücklich seine Meinung zu sagen. Doch es kam alles anders …
Die beiden Gestalten hatten sich gerade von der schützenden Hecke gelöst und liefen zum Haus, als es diskret ploppte.
Sie kamen sofort aus dem Laufrhythmus und gingen zu Boden, wobei sie sich sogar noch überschlugen.
Im ersten Moment dachte der Butler an Treffer, doch dann bemerkte er, daß die beiden Männer auf seinen hochbeinigen Wagen zukrochen und hinter ihm Stellung bezogen.
Natürlich waren sie völlig überrascht worden. Mit Schüssen, die dazu noch schallgedämpft und von der Straße her auf sie abgefeuert worden waren, hatten sie sicher nicht gerechnet.
Sie beratschlagten miteinander, was unter diesen Umständen durchaus zu verstehen war.
Parker konnte sie jetzt ohne Glas erkennen, denn sie befanden sich zwischen Haus und Wagen. Es handel-te sich einwandfrei um die beiden jungen Männer Hamptons. Sie hatten Schußwaffen aus ihren Schulterhalf-tern gezogen, schossen aber nicht zurück. Da sie kein Ziel vor Augen hatten, war das nur als klug zu be-zeichnen.
Weniger klug war ihr Entschluß, es mit Parkers hochbeinigem Monstrum zu versuchen. Sie wollten ihn wohl dazu benutzen, schleunigst diesen Platz zu verlassen, zumal es hinter den Fenstern benachbarter Häuser hell wurde. Die Aufschläge der beiden abgefeuerten Schüsse hörten sich nämlich keineswegs gedämpft im Mauerwerk der Häuser an.
Der erste junge Mann richtete sich auf und faßte leichtsinnigerweise nach dem Türgriff von Parkers Wa-gen.
Im gleichen Moment handelte er sich einen elektrischen Schlag ein, der nicht von schlechten Eltern war. Parker hatte vor dem Verlassen seines Privatwagens die Alarm- und Schutzeinrichtung eingeschaltet. Die Türklinken des Wagens standen unter Strom, wie er durch Weidezäune zu fließen pflegt, die elektrisch gesi-chert sind.
Der geschockte junge Mann rieb sich verdutzt die Hand und redete auf seinen Partner ein, der das wohl nicht ganz verstand oder sogar für Blödsinn hielt. Fest entschlossen griff jetzt er zur Klinke und … ging so-fort in die Knie.
Parker gestattete sich daraufhin den Luxus eines feinen Schmunzelns, denn schließlich war auch er nur ein Mensch, dem eine gewisse, wenn auch sublimierte Schadenfreude nicht ganz abging.
Die beiden jungen Gangster waren inzwischen zu einem neuen Entschluß gekommen.
Nachdem sie sich durch Kopfnicken verständigt hatten, hechteten sie hinter Parkers hochbeinigem Wagen hervor und hetzten hinüber zu der rettenden Hecke.
Weitere Schüsse blieben aus.
Die beiden jungen Männer verschwanden zwischen den Sträuchern und wurden von Parker nicht mehr ge-sehen.
Josuah Parker faßte sich wieder mal in Geduld.
War damit zu rechnen, daß der Kidnapper doch noch erschien, nachdem er seine Konkurrenten aus dem Feld geschlagen hatte? Die Wahrscheinlichkeit war nicht sonderlich groß.
Nach einer halben Stunde wurde die Vermutung zur Gewißheit. Der Kidnapper hatte sich abgesetzt und wollte sicher keinen erneuten Kontakt mit Konkurrenten heraufbeschwören. Zudem erschien, alarmiert durch ahnungslose Nachbarn, ein Streifenwagen der Polizei, dem zwei uniformierte Beamte entstiegen.
Sie machten die Runde, leuchteten mit Suchscheinwerfern den kleinen Platz ab und studierten die beiden rätselhaften Geschoßeinschläge in einer benachbarten Hauswand.
Damit war für den Butler der Fall gelaufen.
Die so geschickt aufgestellte Falle war von dem gesuchten Wild leider nicht angenommen worden.
Wichtig aber blieb die Tatsache, daß die Kidnapper immer noch nicht an das große Geld herangekommen waren, mit dem sie wohl vor dieser halben Stunde noch fest gerechnet hatten. Damit blieb das Leben von Mylady und Kathy Porter vorerst gesichert.
*
Das wilde Stakkato der resoluten Sechzigerin gegen die Tür des Erdbunkers hatte Erfolg.
Die beiden Frauen bekamen ein paar alte Decken, mit denen sie sich gegen die Feuchtigkeit und Kälte schützen konnten. Agatha Simpson saß grollend und grimmig in dem leicht lädierten Campingsessel und zeigte nicht die Spur einer Konditionsschwäche.
Kathy Porter war in ihrem Sessel eingeschlafen und schreckte zusammen, als die Tür geöffnet wurde.
Der untersetzte, stämmige Mann mit dem Boxergesicht erschien und streckte den Frauen zwei Flaschen Mineralwasser und ein paar Sandwiches entgegen. Hinter ihm war Ritchie zu sehen, dessen Gesicht leicht angeschwollen war. Er hielt seine Schußwaffe in der Hand.
»’ne kleine Erfrischung«, sagte Paul und wirkte verlegen.
»Sie haben noch immer nicht das Lösegeld?« wunderte sich Lady Simpson prompt und lachte dann spöt-tisch. »Da sind wir ja in die Hände von erstklassigen Fachleuten gefallen. Ich habe es nicht nur mit Flegeln zu tun, sondern auch mit Dummköpfen!«
»Halten Sie den Rand, Lady!« Ritchie war auf die Detektivin verständlicherweise nicht gut zu sprechen. Er nahm ihr wohl immer noch übel, daß sie ihn mit dem Telefonhörer traktiert hatte.
»Mit Dumm- und Schwachköpfen«, wiederholte Agatha Simpson, ohne auf den jungen sportlichen Mann zu achten. »Wo ist denn das Geld? Sollten es nicht zweihunderttausend Pfund sein? Verlangten Sie sie nicht am Telefon, junger Mann?«
»Die werden schon noch kommen«, erwiderte Ritchie gereizt.
»Sie müßten doch längst übergeben worden sein«, redete Agatha Simpson weiter. »Haben Sie von mei-nem Butler nicht verlangt, mit dem Geld in meiner Stadtwohnung zu warten?«
»Na und?«
»Worauf soll er denn warten?« stichelte Lady Simpson gekonnt weiter, »auf weitere Anweisungen, nicht wahr?«
Paul, der ehemalige Boxer, drehte sich halb zu Ritchie um und sah ihn fragend an. Ritchie nickte und fuhr ein wenig zusammen, als hinter ihm Eddy auftauchte.
»Was ist denn jetzt schon wieder los?« erkundigte sich der Albino nervös. »Kann diese verdammte Frau denn niemals Ruhe geben?«
»Ich bitte mir einen anderen Ton aus«, fuhr Lady Simpson ihn sofort in feldwebelhaftem Ton an. »Im üb-rigen sind Sie ein Dummkopf! Haben denn auch Sie noch nicht begriffen, daß man Sie alle hereingelegt hat?«
Die drei Kidnapper sahen aus wie gescholtene Schuljungen.
»Das … Das versteh’ ich nicht«, sagte Paul schließlich vorsichtig.
»Hören Sie zu, Sie Einfaltspinsel!« kanzelte Mylady die drei Männer ab, hielt sich aber ausschließlich an Paul. »Mein Butler ist mit zweihunderttausend Pfund in meine Stadtwohnung geschickt worden. Auf Ver-anlassung dieses Subjekts dort …« Agatha Simpson deutete auf Ritchie.
»Weiter, Lady«, bat Paul, der ehemalige Boxer.
»Das liegt inzwischen schon einige Stunden zurück«, erklärte Agatha Simpson und zwang sich zur Ge-duld. »In meinem Stadthaus sollte mein Butler auf weitere Anweisungen warten.«
»Klar«, schaltete sich Ritchie ein.
»Keiner von Ihnen hat bisher diese Anweisungen gegeben. Also müssen Sie doch für einen Auftraggeber arbeiten. Wo ist er denn? Wo ist er bisher geblieben? Hätte er nicht längst hier sein müssen? Das Geld müßte er inzwischen doch längst haben.«
Lady Simpson setzte sich in ihrem Campingsessel zurecht und musterte grimmig die drei Kidnapper. Ka-thy Porter, die sich absichtlich nicht eingeschaltet hatte, bewunderte wieder mal ihre Leidensgenossin. Die streitbare Dame war überzeugend in ihrer Argumentation. Sie hatte den wunden Punkt der drei Männer haargenau getroffen.
Was deutlich zu sehen war.
Ritchie, Paul und Eddy flüsterten miteinander. Es war offensichtlich, daß Ritchie sich bemühte, seine bei-den anderen Partner zu beruhigen.
»Warum setzt sich nicht einer von Ihnen in den Landrover, mit dem wir zur Telefonzelle gefahren sind?« ließ Lady Simpson sich wieder vernehmen. »Warum wird dieser Auftraggeber nicht angerufen? Unter ir-gendeiner Nummer wird er ja bestimmt zu erreichen sein. Warum erkundigen Sie sich nicht endlich nach dem Verbleib der zweihunderttausend Pfund?«
Agatha Simpson hatte auf den Ersatzwagen angespielt, den die drei Kidnapper gegen den immer noch im Drainagegraben liegenden Ford ausgewechselt hatten.
Ritchies Gegenargumente wurden flauer. Paul und Eddy drangen mit ihrer Skepsis immer mehr durch.
»Ich würde mich gar nicht wundern, wenn man Ihnen nun ein hübsches Märchen auftischte«, schaltete Agatha Simpson sich erneut ein, ironisch und abfällig im Ton. »Ich als Auftraggeber würde zum Beispiel behaupten, der Butler sei mit dem Lösegeld durchgebrannt. Wer könnte schon das Gegenteil beweisen?«
Es dauerte genau anderthalb Sekunden, bis die drei Männer das Feld geräumt hatten.
Die Tür klatschte energisch ins Schloß, dann entfernten sich die Schritte. Wenig später war das Aufheulen eines Motors zu vernehmen. Die Kidnapper wollten sich tatsächlich vergewissern, warum das Geld bisher noch nicht eingetroffen war.
»Sehen Sie, Kindchen, so macht man das!« Lady Simpson nickte zufrieden. »Sobald wir wieder frei sind, wird Mister Parker mir Schnellunterricht im Öffnen von Türen geben. Man kann doch einfach nie genug wis-sen. Wie schön, wenn wir das Schloß jetzt knacken könnten!«
*
Das Telefon läutete unermüdlich.
Josuah Parker reagierte nicht.
Er stand am Fenster und beobachtete geduldig den kleinen, quadratischen Platz. Die Polizei war vor etwa zehn Minuten endlich weggefahren, die Gegend wirkte wieder einsam und verlassen.
Suchten die Kidnapper Kontakt mit ihm?
Parker unterstellte das und dachte daher auch nicht daran, den Hörer abzunehmen. Noch bestand eine va-ge Chance, daß der Kidnapper sich an Lady Simpsons Haus herantraute.
Stille!
Die Gegenseite hatte aufgegeben. Würde sie dem Haus nun den längst fälligen Besuch abstatten?
Die Minuten vertropften, doch es rührte sich nichts. Bis plötzlich ein kleiner Morris von der Straße abbog und Kurs auf den Platz nahm. Der Wagen führ ungeniert bis vor das Haus. Dann stieg ein Mann aus dem Wagen, den der Butler schon mal gesehen hatte.
Es handelte sich um Charles Geoffrey, den Sohn des Bankiers, der seinen Vater mit alter Knabe anzure-den pflegte.
Parker war beeindruckt.
Mit diesem ungenierten Besuch hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Entweder hatte dieser Charles Ge-offrey mit dem Kidnapping überhaupt nichts zu tun, oder aber er besaß sehr viel Frechheit.
Charles Geoffrey trat unter das kleine Vordach des Hauses und läutete.
Parker rührte sich nicht. Er war gespannt, was dieser Bankierssohn noch alles unternehmen würde.
Es war nicht gerade wenig …
Als Charles Geoffreys Klingeln ohne Ergebnis blieb, machte er sich am Türschloß zu schaffen und … öff-nete es mit irgendeinem Hilfsmittel in erstaunlich kurzer Zeit. Er war Experte auf diesem Gebiet, was man dem jungen Mann wirklich nicht zugetraut hätte.
Parker hatte inzwischen seinen Standort gewechselt und befand sich im Korridor. Er baute sich in einer Nische auf, die von einer alten Standuhr und der Wand gebildet wurde. Den Universal-Regenschirm hielt er schlagbereit in der Hand. An einer Unterhaltung mit Charles Geoffrey war er nicht interessiert.
Gehörte der Sohn des Bankiers nämlich zu den Kidnappern, würde er kein Wort sagen und natürlich, wenn überhaupt, alles abstreiten. War er aber unschuldig, dann störte er nur und brauchte nicht zu wissen, daß der Butler sich im Haus aufhielt.
Inzwischen hatte Charles Geoffrey die Diele betreten und schaltete eine Taschenlampe an. Er ging vor-sichtig durch den Vorflur, drückte die Glastür zum Hauptkorridor auf und leuchtete alles sorgfältig ab.
Er übersah nur die Nische gleich hinter der Glastür, da sie sich bereits in seiner Höhe befand.
Parker seufzte innerlich ergeben auf, bevor er mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms ein wenig zulangte.
Gewalt jeder Art war ihm verhaßt …
*
»Kennen Sie denn überhaupt keine Rücksicht?« beschwerte sich Agatha Simpson grollend, als sich die Tür zum Erdbunker wieder mal öffnete. Sie blinzelte in das Licht der starken Taschenlampe, mit der sich der Albino ausgerüstet hatte.
»Sie haben sich da vielleicht einen Butler angelacht«, sagte Eddy, dessen Stimme gereizt und enttäuscht klang.
»Sie wollen sich über Mister Parker beschweren?«
»Er ist mit den zweihunderttausend Pfund durchgebrannt!« Es war Ritchie, der junge Mann mit dem blauen Auge, der diese Feststellung traf. »Durchgebrannt, begreifen Sie? Er hat sich selbst versorgt!«
Lady Simpson ließ sich ihre Erleichterung natürlich nicht anmerken, doch sie wußte jetzt, daß Parker sie gut verstanden hatte.
»Und jetzt wollen Sie meine Bank erneut anzapfen, nicht wahr?« fragte sie mit forscher Stimme.
»Können vor Lachen«, schaltete sich Paul, der ehemalige Boxer, ein. »Ihr Butler hat die Tresorschlüssel geklaut!«
»Und das glauben Sie?« gab die Detektivin geistesgegenwärtig zurück und schüttelte den Kopf. »Wes-halb sollte er die Tresorschlüssel gestohlen haben? Wer behauptet das?«
»Ihr Bankier … George Geoffrey! Unser Chef hat bereits mit ihm gesprochen.«
»Papperlapapp«, meinte die streitbare Dame und lachte auf. »Das sind doch alles Märchen. Wenn einer mit dem Geld durchgebrannt ist, dann doch nur Ihr Auftraggeber!«
»Ich habe auch in Ihrem Stadthaus angerufen«, sagte Ritchie schnell. »Kein Aas hat sich gemeldet.«
»Womit feststehen dürfte, daß Ihr Butler abgehauen ist«, fügte Eddy hinzu.
»Dummköpfe!« schnauzte die Lady die drei Männer an. »Ist das ein Beweis? Vielleicht hat Ihr Auftrag-geber meinen Butler verschwinden lassen. Und das würde ich ihm sehr übel nehmen!«
Die drei Kidnapper hatten wieder Grund, miteinander zu tuscheln. Lady Simpsons Worte ließen echte Zweifel aufkommen. Sie wußten nicht, wem sie glauben sollten.
»Ich werde Ihnen ein sicheres Geschäft vorschlagen«, fuhr Agatha Simpson fort. »Jeder von Ihnen erhält tausend Pfund. Dafür werden Sie mich und meine Gesellschafterin zurück in die Stadt bringen.«
»Sie halten uns wohl für idiotisch, wie?« Ritchie stellte diese Gewissensfrage.
»Sehr richtig«, bestätigte Agatha Simpson die Vermutung des jungen Mannes. »Ihr Auftraggeber ist doch längst über alle Berge. Mit zweihunderttausend Pfund! Ein schnelleres und besseres Geschäft hätte er nicht machen können. Wenn Dummheit schmerzen würde, könnte man es hier vor lauter Gebrüll nicht mehr aus-halten.«
Die drei Kidnapper hatten erneut Grund, miteinander ausgiebig zu tuscheln.
Lady Simpson griff nach ihrer Lorgnette und beobachtete die verwirrten Männer mit strengen Blicken.
»Eintausend Pfund«, wiederholte sie ihr Angebot, »und damit sind Sie schon überbezahlt …«
Auch Kathy Porter beobachtete die drei frustrierten Kidnapper. Sie spürte, daß die Dinge vor einer wich-tigen Entscheidung standen. Die verunsicherten Männer fühlten sich tatsächlich von ihrem Chef betrogen und suchten nach einem Ausweg, um doch noch an das große Geld zu kommen.
Wie würden sie sich entscheiden?
In diesem Moment war das Näherkommen eines Autos zu hören.
Die drei Männer zuckten zusammen, sahen sich kurz an und stürzten dann hinaus vor den Bunker.
»Parker?« fragte Kathy Porter leise und sah ihre Mitgefangene hoffnungsvoll an.
»Unsinn, Kindchen«, polterte Agatha Simpson. »Das wäre gegen jede Logik. Ich glaube, daß der Auf-traggeber der drei Lümmel auf der Bildfläche erscheint. Und das paßt mir nun überhaupt nicht!«
*
Lorenzo Padeste, der Inhaber der Pizzeria in Soho, wollte gerade sein Geschäft schließen, als Josuah Par-ker vor der Tür des Lokals erschien und höflich seine schwarze Melone lüftete.
»Dem Himmel sei Dank, Mister Parker«, begrüßte der Italiener ihn überschwenglich. »Wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt? Ich habe versucht, Sie zu erreichen.«
»Per Telefon?«
»Im Stadthaus der Agatha Simpson«, bestätigte Padeste und zog den Butler förmlich in sein Ladenlokal. »Aber es wurde nicht abgehoben.«
»Darf ich demnach unterstellen, daß Sie Nachrichten für mich haben?« fragte Parker gemessen.
»Und ob, Mister Parker! Gute Nachrichten! Aber warten Sie, ich schließe erst ab …«
Lorenzo Padeste ließ das Rollgitter herunter und führte seinen mitternächtlichen Gast in das kleine, voll-gestopfte Büro, das einem Warenmagazin glich.
»Ich muß gestehen, daß ich ein wenig neugierig bin«, stellte der Butler fest.
»Ich weiß inzwischen, wer einer der drei Kidnapper ist«, sagte Padeste wie selbstverständlich. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen.«
»Ich erlaube mir zu hören.«
»Kennen Sie einen gewissen Eddy Falness?«
»Ich muß bedauern, Mister Padeste.«
»Ein Albino«, berichtete Padeste weiter, »ein Aufschneider und Angeber, wie er im Buch steht. Wissen Sie, daß er mit Mary Plant befreundet ist?«
»Wie aufschlußreich«, bemerkte Parker, ohne die Geduld zu verlieren. Er wußte noch sehr gut, wie schnell und gern Lorenzo Padeste redete.
»Dieser Mary Plant habe ich mal auf den Zahn gefühlt, als sie vor ein paar Stunden hier aufkreuzte. Sie hat bei mir ’ne Menge Schulden, und ich habe vorsichtig angedeutet, daß sie mal ’ne kleine Abschlagszahlung auf den Tisch legen müßte … Was glauben Sie, Mister Parker, hat sie da gesagt?«
»Sie werden mich überraschen«, antwortete Parker.
»Worauf Sie sich verlassen können!« Lorenzo Padeste nickte nachdrücklich. »Sie sagte nämlich, sie und Eddy würden bald in Geld schwimmen und könnten dann meinen ganzen Laden aufkaufen. Ist das nicht toll?«
»Bemerkenswert!«
»Ich wurde natürlich sofort hellhörig«, redete Padeste ungehemmt weiter, »und fühlte ihr auf den Zahn.«
»Dies, Mister Padeste, deuteten Sie bereits an.«
»Ich hab’ also rausbekommen, daß Marys Freund eine Riesensache gestartet haben soll … Als ich neugie-rig wurde, hielt sie plötzlich den Mund und verdrückte sich.«
»Wohin?«
»Sie wohnt nicht weit von hier. Über einer Boutique.«
»Sie sollten mir die genaue Adresse geben.«
Lorenzo Padeste beschrieb wortreich, wo sich dieser kleine Modeladen befand. Er brauchte dazu fast zwei Minuten, weil er sich wieder mal in Einzelheiten erging.
»Hat besagter Mister Eddy Falness Freunde, und welchem Beruf geht er nach?« wollte Parker wissen.
»Eddy hat keinen Beruf. Er klaut und gaunert sich so durch das Leben.« Padeste schmunzelte. »Bei mir wollte er mal in die Ladenkasse langen, aber da hab’ ich ihm was erzählt … Er konnte für ein paar Tage nicht mehr das Bett verlassen. Und ob er Freunde hat? Ja, einen gewissen Ritchie … Trickdieb und so. Sie verste-hen sicher, Mister Parker … Ritchie Cloud.«
»Gehören diese beiden Herren irgendeiner Organisation an?«
»Nein, nein, dafür haben sie nicht genug Format. Das sind Schmalspurganoven, die ’ner Bande nichts zu bieten haben. Glauben Sie, daß ich die richtigen Tips geliefert habe?«
»Ich werde es Sie bald wissen lassen«, erwiderte der Butler gemessen. »Noch eine abschließende Frage: Wo ist es möglich, sich kurzfristig bedenkenlose Schläger zu mieten?«
»Wie, das wissen Sie nicht?« wunderte sich Padeste. »Bei Hampton natürlich, Charles Hampton … In sei-nem Nachtclub bekommt man alles, was man so braucht.«
»Interessant«, stellte Parker nachdenklich fest. »Ich habe das deutliche Gefühl, daß der Rest dieser Nacht noch einige Überraschungen bringen wird.«
*
Josuah Parker brauchte nur wenige Minuten, bis er die von Padeste beschriebene Boutique erreicht hatte.
Bis auf zwei kleine Dekorationslichter war das Geschäft dunkel. Hinter den beiden Fenstern in der Woh-nung über dem Ladenlokal brannte nur eine Stehlampe, die hart am linken Fenster stand. Die Haustür links von der Boutique war verschlossen.
Doch nicht lange …
Parker benutzte sein kleines Spezialbesteck, um das Türschloß zur Aufgabe zu zwingen. Dann betrat er ei-nen engen und langen Korridor, der vor einer steilen Treppe endete. Als er diese Treppe erreicht hatte, hörte er Stimmen, unterdrücktes Stöhnen und Weinen.
Was dem Butler überhaupt nicht paßte.
Probeweise stellte er seinen linken Fuß auf die erste Stufe.
Das Quietschen und Knarren klang in seinen Ohren wie eine Folge von Explosionen. Die Holzstufen wa-ren völlig ausgetrocknet und produzierten lästige Geräusche.
Parker bediente sich einer Methode, die allerdings recht ungewöhnlich aussah.
Er legte sich auf das Treppengeländer, zog sich dann mit den Händen kraftvoll nach oben und glich einem großen Kind, das ein neues Spiel entdeckt hat. Doch er schaffte es auf diese Art und Weise, geräuschlos seinen Standort zu verändern.
Oben angekommen, sah er sich einigen Türen gegenüber.
Er hielt sich an diejenige, hinter der das Schluchzen zu hören war. Und jetzt auch das Klatschen von Ohr-feigen.
Parker pirschte sich unendlich geduldig an diese Tür heran und blickte durch das Schlüsselloch.
In einem schäbigen Sessel saß eine mehr als üppige Blondine, die schon ein wenig aus der Grundform ge-raten war. Sie trug ein neckisches Negligé und sonst nichts. Darunter bot sie Reize an, auf die die beiden Männer seitlich neben ihr überhaupt nicht eingingen.
Diese Männer waren Parker nicht gerade unbekannt.
Es handelte sich um die Profis, die er erst vor einigen Stunden in einer großen Holzkiste an Charles Hamp-ton zurückgeschickt hatte.
Sie ließen ihre wahrscheinlich immer noch schlechte Laune an der üppigen Blondine aus und benahmen sich nebenbei wie sexhungrige Anfänger.
Was Josuah Parker mißbilligte.
»Also, noch mal und zum mitschreiben«, sagte der erste junge Profi gerade. »Dein komischer Albino will zusammen mit Ritchie Cloud das ganz große Geschäft machen. Nun sag’ schon endlich, Süße, daß sie ’ne Lady entführen wollten!«
»Oder ich lange jetzt mit ’nem Messerchen zu«, stellte der zweite junge Profi in Aussicht und präsentierte dem Anatomie-Juwel ein Klappmesser, dessen Klinge er hervorschnellen ließ.
Mary Plant, um die es sich handelte, wie Parker verständlicherweise unterstellte, starrte entsetzt auf das Messer und schluchzte trocken auf.
»Sag’s schon«, forderte der erste junge Mann sie auf.
Sie nickte zögernd.
»Sag’s!« lautete die erneute Aufforderung.
»Ja, sie wollen eine Frau entführen, ’ne Millionärin«, gestand Mary Plant dann zögernd, »aber mehr weiß ich nicht …«
»Das ist doch schon etwas«, freute sich der Mann mit dem Messer, »und wohin soll die geldschwere Tan-te gebracht werden?«
»Das hat Eddy mir nicht gesagt. Ehrenwort! Ich weiß es nicht.«
Die Frau hatte einen Zusammenbruch und weinte hemmungslos. Parker erkannte, daß sie es wirklich nicht wußte. Was ja auch verständlich war. Eddy, wie ihr Freund hieß, mochte wohl gewisse Andeutungen ge-macht haben, aber er hatte sich wohl gehütet, Details zu verraten.
Die beiden Profis waren jedoch anderer Meinung.
Sie wollten die Folter der Frau weiter fortsetzen, wie deutlich zu sehen war, damit erklärte sich Josuah Parker aber auf keinen Fall einverstanden.
Er öffnete leise die Tür und schritt auf die beiden jungen Profis zu, die ihm den Rücken zudrehten. Parker räusperte sich diskret und donnerte ihnen den bleigefüllten Bambusgriff seines Regenschirms auf den Hin-terkopf.
Sie gingen sofort zu Boden und nahmen den »Überfall« derart übel, daß sie ab sofort nicht mehr aktiv mitmachten.
Mary Plant starrte den Butler völlig entgeistert an. Sie wußte die Erscheinung dieses Mannes nicht einzu-ordnen. Sie merkte natürlich vom Aussehen her, daß sie es mit einem hochherrschaftlichen Butler zu tun hat-te, aber so etwas kannte sie nur von Filmen.
»Ich gestatte mir, einen relativ guten Abend zu wünschen«, sagte der Butler und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Sie hatten gewisse Schwierigkeiten mit den beiden Herren?«
»Diese Schweine«, sagte Mary Plant wenig vornehm, »aber jetzt sollen die mich mal kennenlernen!«
Sie sprang hoch und kümmerte sich herzlich wenig darum, daß ihr Negligé flatterte und Einblicke offen-barte, die Parker allerdings wenig ästhetisch fand. Sie griff nach einer schweren Vase und wollte die ange-kündigte Behandlung in die Tat umsetzen.
Parker stoppte die Resolute mit der Spitze seines Regenschirms.
»Denken Sie lieber an Eddy Falness«, sagte er höflich. »Nach meinen Informationen befindet er sich in ei-ner gewissen Lebensgefahr …«
»Lebensgefahr?« Sie vergaß ihre Absicht und sah den Butler aus großen Augen an. »Wer sind Sie über-haupt?«
»Ein Einzelgänger, wenn ich es so umschreiben darf.« Parker blieb zurückhaltend und höflich. »Wo kann ich Ihren Freund finden, Madam?«
»Keine Ahnung«, ärgerte sie sich. »Dieser blöde Hund hat mir kein Sterbenswörtchen gesagt.«
»Mit Ihrer etwas ungewöhnlichen Umschreibung meinen Sie sicher Mister Eddy Falness, nicht wahr?«
»Klar doch.« Sie nickte. »Eddy hat fürchterlich geheimnisvoll getan … Als ob ich je etwas verraten wür-de!«
»Sicher nicht«, pflichtete Parker ihr bei. »Aber das ändert nichts an den Tatsachen, daß er sich in Gefahr befindet … Sein Auftraggeber versucht, ihn und seinen Freund Ritchie Cloud hereinzulegen, wie es wohl in einschlägigen Kreisen so herzerfrischend deutlich heißt.«
»Sie kennen auch Ritchie Cloud?« Mary Plant faßte Vertrauen zu Parker.
»Per Distanz«, antwortete Parker, was sie zwar nicht so recht verstand, aber akzeptierte.
»Dann kennen Sie sicher auch Paul Sanders, oder?«
»Alle drei Männer befinden sich in Gefahr«, steigerte der Butler seine Warnung. »Sie sollen um ihren Geldanteil betrogen werden.«
»Dieses Schwein!« stieß Mary Plant wütend hervor.
»Wen, bitte, meinen Sie jetzt?« wollte Parker wissen.
»Den Boß, den sie sich da angelacht haben«, antwortete Mary Plant, »ich war ja gleich mißtrauisch …«
»Sie kennen ihn?« Parkers Frage klang beiläufig und desinteressiert.
»Leider nicht, aber ich war von Anfang an mißtrauisch.«
»Sie haben den richtigen Instinkt, Madam«, lobte Parker die üppige, naive Blondine. »Wie konnte Eddy sich auch mit ihm einlassen! Das begreife ich einfach nicht.«
»Er muß ihn von früher her kennen«, lieferte die Frau das nächste Stichwort, »als Eddy draußen in Ben-wood Castle gearbeitet hat …«
»Richtig, als Chauffeur«, sagte Parker und tat so, als wüßte er über diese Einzelheit Bescheid.
»Nein, als Gärtner«, kam prompt die Korrektur. »Danach ging Eddy doch für ein paar Monate in den Bau.«
»Eine schreckliche Zeit«, meinte Parker mitfühlend und mußte sich dann um die beiden jungen Profis kümmern, die sich anschickten, das Land der Träume zu verlassen.
Während er sich über die beiden Männer beugte, dachte er über das Stichwort Benwood Castle nach. Er Var sicher, von diesem Landsitz schon mal gehört zu haben, doch er wußte im Moment nicht, wo er ihn su-chen sollte.
*
Charles Hampton hatte sein Büro verlassen und befand sich in den hinteren Räumen seines Clubs.
Bennie, der Gorilla, hatte ihn alarmiert und auf die beiden Ganoven aufmerksam gemacht, die durch zwei Handschellen scheinbar unzertrennbar miteinander verbunden waren.
Hampton sah zu, wie Bennie sich redlich mühte, die Handschellen aufzusägen. Es zeigte sich allerdings, daß er es mit einem Stahl zu tun hatte, der den Sägezähnen bisher spottete.
»Ihr solltet euch also einen Butler schnappen«, wiederholte Hampton gerade, nachdem er sich die Ge-schichte der beiden Männer angehört hatte, »und ihr seid von hier aus vermittelt worden?«
»Vom Clubmanager«, erwiderte der größere der beiden mißmutig. »Aber wenn wir gewußt hätten, wie faul das Ei ist, hätten wir auf die Piepen verzichtet …«
Hampton überhörte diesen Vorwurf.
Ihm war natürlich bekannt, daß sein Club eine Art Börse der Unterwelt war, in der Geschäfte aller Art vermittelt wurden. Hier konnte man Tips ein- und verkaufen, sich Kredit oder Werkzeuge für bestimmte Eigentumsübertragungen leihen und mieten, und hier konnten Spezialisten auch gesucht und an den Mann gebracht werden.
Hampton kümmerte sich zwar offiziell nicht um diesen Zweig seines Clubs, doch er schätzte die Vorzüge dieser nicht angemeldeten Börse. Für ihn stellte sie einen ausgezeichneten Nachrichtendienst dar. Hier erfuhr er stets aus ersten Hand, was in der Unterwelt lief.
Der Clubmanager, ein freundlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, der wie ein seriöser Bürger aussah, konnte die Worte des Ganoven und Schlägers nur bestätigen.
»Ich bekam den Anruf am frühen Abend«, sagte Les Lommers. »Ein Mann suchte zwei Kettenspezialis-ten. Ich dachte sofort an die beiden dort.«
Er deutete auf die Rockertypen, die ihrerseits bestätigend nickten.
»Und ihr solltet was erledigen?« wollte Charles Hampton noch mal hören.
»Einem Butler zwei Koffer abjagen«, sagte der Wortführer der beiden Männer, »draußen in Shepherd’s Market … Aber wir hatten Pech!«
Hampton wußte natürlich, um welchen Butler es sich handelte. Parker hieß dieses Opfer, das nun wirklich kein Opfer war. Er wunderte sich nicht, daß die beiden gemieteten Rocker hereingefallen waren. Hampton erinnerte sich nur sehr ungern an seine Unterhaltung mit Josuah Parker.
»Und was weiter?« fragte er.
»Der Butler ließ die Koffer fallen, und schon waren wir die Dummen«, schaltete sich jetzt der zweite Ro-cker ein. »Wir waren plötzlich in ’ner dichten Nebelwolke und bekamen eins über den Kopf gezogen … Als wir wieder an Deck waren, hatte er uns die Handschellen verpaßt und schickte uns raus vor die Tür …«
Charles Hampton sah ein, daß es sinnlos war, diese beiden Rocker weiter zu befragen. Sie waren tatsäch-lich nur Mietschläger und konnten in keinem Fall wissen, wer sie angemietet hatte. Auch der Clubmanager mußte passen. Er hatte das Gespräch des Anrufers nur weitergeleitet und vermittelt.
Zudem wurde Hampton leicht abgelenkt, als zwei angeschlagen aussehende Männer in den Raum wank-ten.
Es handelte sich um Will und Clark.
Ihre Augen wirkten noch leicht glasig. Sie fingerten an ihren Köpfen herum und ließen sich ausgepumpt auf zwei Stühle fallen.
Hampton, der sie zu Mary Plant geschickt hatte, witterte Unrat.
»Das darf doch nicht wahr sein?« sagte er daher.
»Stimmt aber«, antwortete Clark wütend.
»Der verdammte Butler«, fügte Will hinzu. »Wir hatten die Blondine gerade so richtig in der Mangel, als dieses Miststück von einem Butler aufkreuzte …«
»Weiter …!« drängte Hampton.
»Da gibt’s nicht mehr viel zu erzählen«, erklärte Clark mißmutig. »Er knallte uns irgendwas auf den Kopf, und schon waren wir weggetreten …«
»Wird höchste Zeit, daß dieser Knilch abserviert wird«, ärgerte sich Will, »so was darf nicht länger frei herumlaufen.«
»Richtig«, bestätigte Hampton und nickte. »Wißt ihr wenigstens, wo er jetzt steckt?«
»Die Bude der Plant war leer, als wir wieder hochkamen«, sagte Clark. »Der Bursche scheint von der Puppe den richtigen Tip bekommen zu haben, wo der Zaster ist.«
Hampton sah sich im Kreis seiner Lieben um und hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen.
Doch da war eine gewisse freudige Schläfrigkeit, die sich langsam, aber unaufhaltsam in ihm breitmachte. Eben noch sorgenvoll und wütend, sah er nun keine Probleme mehr. Das Leben war schön, sagte er sich, ist schön …
Er setzte sich in einen Sessel und gähnte ungeniert.
Bennie, der Gorilla, hatte inzwischen seine Bemühungen um die Befreiung der beiden Mietrocker aufge-geben und ließ die Stahlsäge aus der Hand fallen. Er setzte sich auf dem Boden zurecht, lehnte sich gegen die Wand und schloß die Augen. Ein glückliches Lächeln umspielte seine breiten Lippen.
Die Mietrocker hatten jedes Interesse an den hinderlichen Handschellen verloren. Sie waren zu Boden ge-rutscht und streckten sich auf dem Teppich aus.
Clark und Will grinsten ein wenig töricht in die Gegend und brabbelten vor sich hin. Genaues war nicht zu verstehen. Sie schlossen die Augen und seufzten wohlig.
Les Lommers, der Manager des Hampton-Clubs, schlief bereits fest.
Charles Hampton riß sich noch mal zusammen.
Das hier ging doch nie mit rechten Dingen zu. Die allgemeine Müdigkeit war nicht natürlich.
Parker …!
Er wollte aufstehen und sich gegen die wohlige Müdigkeit anstemmen, doch er verlor diesen Kampf, be-vor er überhaupt erst richtig begann. Seine Augenlider fielen zu, dann schnarchte er leise. Wenn er ausatme-te, spitzten seine Lippen sich und produzierten leise Pfiffe, die nicht unmelodisch waren.
Die Vertreter der Unterwelt waren nicht mehr ansprechbar. Allgemeine Ruhe hatte sich ausgebreitet. Es herrschte ein geradezu paradiesischer Friede, den ein gewisser Josuah Parker sich aus allernächster Nähe an-sah.
Die Tür öffnete sich spaltbreit, das Gesicht des Butlers war für einen Moment zu erkennen. Er hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase, denn er kannte schließlich die unheimliche Wirksamkeit des hochkon-zentrierten Lachgases, das er in diesen Raum hatte einströmen lassen. Parker wollte sich an der allgemeinen Schlaforgie keineswegs beteiligen. Ex hatte noch einiges vor.
Nachdem er sich vergewissert hatte, daß das Lachgas seine Wirkung zeitigte, schloß Parker die Tür und löste dann den Stahlzylinder von der Türklinke. Er rollte den dünnen Gummischlauch zusammen, der das Lachgas aus dem Zylinder durch das Schlüsselloch in den Raum befördert hatte.
Gemessen und würdevoll begab sich Parker nun in den Hinterhof des Hampton-Clubs.
Er benutzte genau den Weg, den die beiden Profis eben erst genommen hatten. Er hatte sie von der Woh-nung der üppigen Blondine aus verfolgt und dann später den Stahlzylinder aus dem Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums geholt. Alles weitere war für ihn dann nur noch eine Kleinigkeit gewesen.
Parker war sicher, jetzt ungestört an einem gewissen Problem arbeiten zu können.
Und dieses Problem hieß Benwood-Castle. Er wußte leider immer noch nicht, wo er diesen Landsitz un-terbringen sollte.
*
Nur noch wenige Stunden waren es bis zum Morgen.
Agatha Simpson saß groß und grimmig im Fond eines Vauxhall und ärgerte sich wieder mal.
Man hatte sie und Kathy Porter aus dem Bunker geholt und in diesen Wagen gesetzt. Ihre Hoffnung, den wirklichen Kidnapper dabei zu sehen, hatte sich nicht erfüllt. Der Auftraggeber der drei Ganoven hatte sich im Hintergrund gehalten. Er fürchtete wohl um seine Identität.
Dieser Auftraggeber mußte es geschafft haben, den Verdacht seiner drei Mitarbeiter zu zerstreuen. Die drei Ganoven schienen wieder davon überzeugt zu sein, daß an ein ehrliches Teilen gedacht war.
Am Steuer des Vauxhall, mit dem der Auftraggeber gekommen war, saß Paul Sanders, der ehemalige Bo-xer. Neben ihm auf dem Beifahrersitz hatte Ritchie Cloud Platz genommen. Er hielt seine Schußwaffe ein-satzbereit in der Hand und ließ vor allen Dingen Lady Simpson nicht aus den Augen.
Hinter dem Vauxhall fuhr der Landrover mit dem Albino und dem Drahtzieher der Kidnapper. Wer dieser Mann war, konnte Mylady nicht herausfinden, obwohl sie sich wiederholt umschaute.
»Neugierig, wie?« erkundigte sich Ritchie, als Agatha Simpson es gerade wieder mal versucht hatte.
»Sie Schwachkopf«, antwortete die Sechzigjährige verärgert. »Fragen Sie lieber nach den zweihunderttau-send Pfund …«
»Keine Sorge, die werden wir schon bekommen.«
»Wann? Ich wette, daß sie bereits ausgezahlt wurden.«
»An Ihren Butler … Stimmt haargenau! Aber dieser Typ ist mit dem Geld durchgebrannt.«
»Genau die faule Ausrede, die auch ich mir zurechtlegen würde«, stellte Agatha Simpson fest. »Und wo-hin bringt man uns jetzt?«
»Sie bekommen ’ne standesgemäße Unterkunft«, sagte Ritchie und grinste. »Ein Schloß für die Lady … Sie müssen doch zugeben, daß wir uns was einfallen lassen.«
Das Rededuell zwischen Lady Simpson und Ritchie Cloud dauerte an. Kathy Porter, Myladys Gesell-schafterin, hielt sich vollkommen zurück. Sie konzentrierte sich auf die Strecke, die sie hinter sich brachten. Da sie sich in London und Umgebung sehr gut auskannte, merkte sie bald, daß die Fahrt nach Harrow ging, jener ehrwürdigen Universitätsstadt, die in aller Welt bekannt ist.
Worüber Kathy Porter sich ein wenig wunderte.
Harrow on the Hill war ihr schließlich nicht gerade unbekannt. Sie war erst vor wenigen Tagen noch im Auftrag von Lady Simpson dorthin gefahren und hatte einige geschäftliche Dinge erledigt.
*
»Na, Sie alter Gauner?«
Charles Geoffrey schien bester Laune zu sein, als Parker den Kellerraum betrat, in dem er den Sohn des Bankiers untergebracht hatte. Um es gleich zu sagen, dieser Keller war erfreulich eingerichtet und enthielt einige alte, aber immer noch recht bequeme Möbel.
Nachdem Parker den Sohn des Bankiers außer Gefecht gesetzt hatte, war der junge Mann von ihm hierher verfrachtet worden. Parker hielt es nun für an der Zeit, sich mit ihm ein wenig zu unterhalten …
Charles Geoffrey trug Handschellen, die Parker löste.
Im ersten Moment sah es so aus, als wollte Charles sich auf ihn stürzen, doch dann erinnerte er sich wohl der Fitness des Butlers und nahm davon Abstand. Er rieb sich die Handgelenke.
»Ich möchte keineswegs versäumen, mich in aller Form bei Ihnen zu entschuldigen«, sagte Parker und trat zurück. »Gewisse Umstände zwangen meine bescheidene Wenigkeit, Sie zu …«
»Schon gut, schon gut«, wehrte Charles Geoffrey ab. »Verrenken Sie sich bloß nicht die Zunge!«
»Es steht Ihnen selbstverständlich frei, sich später bei Mylady zu beschweren oder Anzeige bei der Polizei zu erstatten.«
»Drücken Sie doch nicht so auf die Tube«, sagte Charles, der Sohn des Bankiers. »Schließlich habe ich ja so was wie ’nen kleinen Einbruch hinter mir. Vergessen wir den Zwischenfall!«
»Ich bin außerordentlich erfreut, daß Sie die Dinge so und nicht anders sehen«, gestand Parker. »Sie wa-ren der Ansicht, ich hätte mich mit den zweihunderttausend Pfund aus dem Staub gemacht?«
»Und ob, Mister Parker! Ich war der Meinung, Sie hätten da ein kleines Privatgeschäft aufgezogen. Sie besitzen doch noch das Geld, oder?«
»Wie darf ich Ihre Frage verstehen, Mister Geoffrey?«
»Haben Sie das Geld den Kidnappern inzwischen übergeben?«
»Ich muß bedauern.«
»Mann, Sie bringen Lady Simpson und Kathy Porter noch in des Teufels Küche!«
»Möglicherweise, Mister Geoffrey, aber leider ließen die Kidnapper mich bisher nicht wissen, wo ich das Lösegeld abliefern soll. Die Verständigung scheint erheblich gelitten zu haben.«
»Hoffentlich geht das gut.« Der junge Geoffrey und Parker gingen zurück ins Erdgeschoß, wo Charles sich im Wohnzimmer von Parker einen Erfrischungsdrink servieren ließ.
»Warten wir also, bis sie sich melden«, meinte der Bankierssohn und deutete auf das Telefon.
»Darf ich mir erlauben, einige Fragen an Sie zu richten?«
»Sie trauen mir also immer noch nicht, wie?« Charles Geoffrey lächelte amüsiert.
»Sie pflegen Mister Geoffrey mit ›alter Knabe‹ anzureden, wenn ich richtig gehört habe?«
»Ziemlich respektlos, wie?« Charles nickte. »Ist aber nicht so gemeint, er reizt mich allerdings permanent mit seiner Korrektheit. Und ich weiß, daß ihn die Bezeichnung ›alter Knabe‹ ärgert. Wir bleiben uns gegen-seitig also nichts schuldig …«
»Als ich mit einem der Kidnapper per Telefon sprach, nannte er Ihren Vater einen alten Knaben.«
»Ach so! Jetzt begreife ich erst …« Charles Geoffrey stellte das Glas ab. »Sie glauben, daß ich mit den Kidnappern unter einer Decke stecke, nicht wahr?«
»Dieser Verdacht bot sich geradezu an, wenn ich mir diese Unterstellung erlauben darf.«
»Aber das ist doch Unsinn!« Charles Geoffrey goß sich einen weiteren Drink ein und schüttelte den Kopf zu Parkers Feststellung. »Angenommen, ich wäre einer der Kidnapper, würde ich so dumm und leichtsinnig sein, mich durch diese Bemerkung zu verraten?«
»Hoffentlich nicht, Mister Geoffrey!«
»Dieser Ausdruck ›alter Knabe‹ wurde mit Sicherheit gebraucht, um den Verdacht auf mich zu lenken, Mister Parker. Begreifen Sie das denn nicht?«
»Ich bin erfreut, daß auch Sie diese Möglichkeit sehen«, gab der Butler gemessen zurück.
»Hier will einer ganz bewußt den Verdacht auf meine Person lenken«, wiederholte Charles sinngemäß. »Und zwar einer, der genau weiß, wie ich meinen alten Herrn anrede. Begreifen Sie?«
»Durchaus, Mister Geoffrey.«
»Der Kidnapper muß meinen Vater und mich also recht gut kennen«, schlußfolgerte Charles eifrig weiter und vergaß darüber sogar seinen Drink, was schon etwas bedeutete. »Den Ausdruck ›alter Knabe‹ verwende ich natürlich nur dann, wenn gute Bekannte in der Nähe sind. Offiziell ist mein Vater schließlich mein Vor-gesetzter. Ich arbeite ja in der Bank.«
»Auch in Gegenwart der Herren Hantel und Stilford?«
»Die beiden Hauptkassierer? Natürlich! Das sind Vertraute meines Vaters. Moment, jetzt begreife ich. Sie fragen sich, ob Hantel oder Stilford als Täter in Betracht kommen könnten? Schlagen Sie sich das schleu-nigst aus dem Kopf, Mister Parker! Die würden nicht einen einzigen Penny an sich bringen. Die würden eher noch einen dazu legen, falls die Kasse nicht stimmt. Nein, nein, Hantel und Stilford sind sauber.«
»Wer, Mister Geoffrey, kennt Sie derart gut, daß er versuchen würde, Sie als Täter vorzuschieben?«
»Lassen Sie mich nachdenken!« Charles besann sich wieder auf den Drink und nahm einen ausgiebigen Schluck. »Wer könnte mich reinlegen wollen?«
»Einer, der Sie sehr gut kennt, Mister Geoffrey, und vor allen Dingen Ihre permanente Geldverlegenheit!«
»Die ist doch stadtbekannt«, gab Charles Geoffrey ironisch zurück. »Nein, nein, bleiben wir bei dem ›al-ten Knaben‹, hier liegt der Schlüssel zu der Entführung.«
»Ich erlaube mir, mich Ihrer Ansicht anzuschließen, Mister Geoffrey. Wissen Sie mit dem Begriff Ben-wood-Castle etwas anzufangen?«
Parker fragte sehr beiläufig, doch er ließ gerade jetzt den jungen Mann nicht aus den Augen.
»Benwood-Castle?« Charles Geoffrey reagierte prompt. »Natürlich kenne ich das Schloß. Schlößchen, um genau zu sein. Es liegt draußen in Harrow.«
Parker hatte plötzlich seine Erleuchtung und erinnerte sich. Doch er hütete sich, etwas davon laut werden zu lassen. Er sah den Bankierssohn weiterhin gespannt und abwartend an.
»Dieser kleine Landsitz gehörte doch mal zu den Liegenschaften Ihrer Lady Simpson und wurde vor etwa einem halben Jahr an eine amerikanische Firma verkauft. Die wollen dort so eine Art Managerschule aufzie-hen.«
»Darf ich Sie zu einer kleinen nächtlichen Ausfahrt einladen, Mister Geoffrey?« bat Parker würdevoll.
»Schon genehmigt«, erwiderte Charles Geoffrey spontan. »Hauptsache, es geht rund. Aber warum wollen Sie nach Benwood-Castle? Was versprechen Sie sich davon?«
»Den längst fälligen Kontakt zu den Kidnappern«, gab der Butler gemessen zurück. »Gewisse Dinge scheinen in ihr entscheidendes Stadium einzutreten!«
Charles Geoffrey warf dem Butler einen nachdenklich-prüfenden Blick zu.
*
Nun wußte auch Lady Simpson Bescheid.
Die Fahrt durch die nächtliche Landschaft neigte sich ihrem Ende zu, der Vauxhall war von der Western Avenue abgebogen, hatte den Flugplatz Northolt passiert und näherte sich Harrow.
Agatha Simpson knuffte ihre Gesellschafterin in die Seite und deutete mit der Lorgnette auf das Orts-schild.
Kathy Porter nickte nur.
»Das ist doch die Höhe«, murmelte die Detektivin grimmig. »Sollte ich es die ganze Zeit über mit einem Schuft zu tun gehabt haben?«
»Sagten Sie was, Lady?« erkundigte sich Ritchie Cloud von vorn.
»Nichts, Sie Flegel«, raunzte sie ihn grimmig an. »Was wollen wir in Harrow?«
»Ich hab’ Ihnen doch ’ne standesgemäße Unterkunft versprochen«, meinte Eddy Falness und gab sich ironisch. »Sie werden Augen machen.«
»Das habe ich bereits hinter mir«, sagte Agatha Simpson.
»Ihnen ist also endlich ein Licht aufgegangen?«
»Dieser Schuft«, murmelte Lady Simpson und preßte dann die sonst so wortreichen Lippen fest aufeinan-der. Natürlich kannte sie sich hier aus, und ihr war klar, wo die Fahrt ihr Ende fand.
Sie sollte sich nicht getäuscht haben.
Nach etwa zwanzig Minuten bogen sie von einer Landstraße nach rechts ab und fuhren durch eine Allee, die in der Dunkelheit wie ein riesiger Tunnel wirkte. Nach weiteren Minuten waren sie auf der Auffahrt, die vor einem schloßähnlichen Landsitz endete.
Ritchie war sehr vorsichtig, als Lady Simpson ausstieg.
Er wußte, wie gefährlich diese Frau war und sorgte für Abstand. Selbst Paul Sanders, der ehemalige Bo-xer, hütete sich in die Nähe von Mylady zu kommen.
Agatha Simpson sah sich nach dem Landrover um, der ihnen die ganze Zeit gefolgt war. Sie wollte end-lich sehen, wer der Drahtzieher der Kidnapper war, doch dieser Mann ließ sich nicht blicken. Er blieb neben dem Albino im Wagen sitzen, was zusätzlich noch den Nachteil hatte, daß die Detektivin und Kathy Porter nichts unternehmen konnten. Die beiden Männer im Rover bildeten eine Art Nachhut, die man nicht überse-hen durfte.
Agatha Simpson schritt über die Stufen hinauf zum Portal des Schlosses und wartete, bis Ritchie Cloud aufgesperrt hatte. Abgestandene, kühle Luft wehte ihnen entgegen, ein sicheres Zeichen dafür, daß dieser schloßähnliche Landsitz seit einiger Zeit nicht mehr bewohnt wurde.
Die Möbel in der großen Halle waren mit Überzügen bedeckt worden und sahen in ihrer grauweißen Un-förmigkeit unheimlich aus. Der große Kamin gähnte die Eintretenden wie ein Höllenrachen an. Die Ritterrüs-tungen an den Wänden mit ihren Lanzen erinnerten an ein Panoptikum.
Agatha Simpson befand sich in sehr vertrauter Umgebung.
Dieser Landsitz hatte ihr noch vor wenigen Monaten gehört. Auf ihren Wunsch hin war dieses schloßähn-liche Gebäude verkauft worden, denn sie hatte dafür einfach keine Verwendung. Der Unterhalt dieses gro-ßen Kastens, wie sie das Castle nannte, verschlang nur unnötig Geld und brachte nichts ein. In diesen Din-gen kalkulierte Mylady sehr gut, man konnte ihr nichts vormachen.
Erst vor wenigen Tagen war sie noch mit Kathy Porter hier im Landsitz gewesen, um den Abtransport ge-wisser Möbel in die Wege zu leiten. Es handelte sich um ausgesuchte, alte Stücke, auf die sie nicht verzich-ten wollte. Lady Simpson hatte nicht geahnt, so schnell wieder hier zu sein.
Sie blieb stehen, als sie hinter sich Schritte hörte.
Agatha Simpson drehte sich um und sah sich dem Mann gegenüber, an den sie eben erst intensiv gedacht hatte.
»Sie widerliches Subjekt«, sagte sie dann verächtlich. »Und von so etwas habe ich mich die ganze Zeit über täuschen lassen!«
Der Mann, den sie angesprochen hatte, machte ein verkniffenes Gesicht. Im Schein der Taschenlampe des Albinos sah dieses Gesicht plötzlich wie das eines Teufels aus, abstoßend, triumphierend und gefährlich …
*
Parker stieg aus dem Wagen und lüftete höflich seine schwarze Melone.
»Entschuldigen Sie meine bescheidene Wenigkeit für nur wenige Minuten«, bat er Charles Geoffrey.
»Ich möchte bloß wissen, was Sie hier am Flugplatz wollen«, sagte der junge Bankierssohn. »Hoffentlich können wir uns den Umweg zeitlich leisten.«
»Das, Mister Geoffrey, wird sich herausstellen«, erwiderte Parker und schritt auf die Glastüren der Emp-fangshalle des Flughafens zu. Gemessen und ohne Hast begab er sich hinüber zu den Abfertigungsschaltern einer amerikanischen Fluglinie und zog hier jene Erkundigungen ein, auf die es ihm ankam. Telefonisch hatte sich das leider nicht machen lassen, man hätte ihm wohl die Auskunft verweigert.
Parker baute auf seine Erscheinung. Und er hatte nicht auf Sand gebaut!
Die Würde und Gemessenheit, die er ausstrahlte, erstickten jedes Mißtrauen. Parker stellte sich vor, nannte den Namen der Lady Simpson und erhielt seine Auskunft. Innerhalb weniger Minuten wußte er Bescheid. Ein Irrtum war jetzt ausgeschlossen Er wußte, wer der Drahtzieher der Kidnapper war!
Charles Geoffrey sah den Butler neugierig an, als sie wieder unterwegs waren, um jetzt endlich Harrow anzusteuern.
»Machen Sie’s nicht so spannend«, sagte Charles schließlich gereizt, »was haben Sie erfahren?«
»Wer der Drahtzieher der Kidnapper ist!«
»Ach nee … Am Flugplatz?«
»In der Tat, Mister Geoffrey! Es handelt sich um Mister Arthur B. Collins!«
»Um Collins?«
»Um Arthur B. Collins«, bestätigte der Butler würdevoll, »um den Vermögensverwalter von Mylady!«
»Ich … ich kann’s einfach nicht glauben!«
»Die nahe Zukunft wird das mit Sicherheit erweisen«, antwortete der Butler. »Mister Collins ist laut Aus-kunft der Fluggesellschaft keineswegs nach New York geflogen. Er hat im letzten Moment von seinem Flug Abstand genommen, wie man mir mitteilte. Er ist kurz vor dem Start wieder aus der Maschine ausgestie-gen.«
»So ein Idiot!« schimpfte Charles Geoffrey. »Was verspricht er sich denn von der Entführung?«
»Zweihunderttausend Pfund!«
»Aber er verdiente doch sagenhaft gut als Vermögensverwalter.«
»Es reichte ihm wohl nicht«, mutmaßte Parker. »Zudem bin ich davon überzeugt, daß er sich mit zwei-hunderttausend Pfund niemals begnügt hätte. Das war die erste Rate und nur der Anfang …«
»Und wie sind Sie auf diesen Collins gekommen?«
»Durch eine Blondine«, lautete Parkers vage Antwort, »oder noch besser gesagt, durch einen Pizzabä-cker … Aber davon später mehr! Sie kennen Mister Collins?«
»Natürlich, wir haben doch laufend mit ihm zu tun. Das heißt, mehr mein Vater als ich … Ich bin ja nur ein kleiner Volontär in der Bank.«
»Er legte es offensichtlich darauf an, Sie in Mißkredit zu bringen, Mister Geoffrey.«
»Dafür werde ich Collins auf die Nase klopfen«, versprach der junge Bankierssohn drohend. »Aber wie ist er an die Kidnapper gekommen? Collins hat doch keine Verbindung zur Unterwelt …?«
»Es gibt Gaunerbörsen, wo man sich Spezialisten mieten kann«, erläuterte der Butler. »Eine dieser Börsen habe ich erst vor kurzem aufgesucht.«
»Aber, selbst davon muß man wissen.«
»Mister Collins kennt einen gewissen Eddy Falness, der auf Benwood-Castle als Gärtner gearbeitet hat. Und dieser Falness ist einer seiner Handlanger.«
»Diesen Falness kenne ich ebenfalls«, sagte Charles Geoffrey überrascht, »nicht persönlich, aber seine Af-färe. Er war als Gärtner angestellt, klaute Silbergeschirr, wurde erwischt und gefeuert. Ich glaube, er wander-te deswegen für ein paar Monate hinter Gitter.«
»Um diesen besagten Mann handelt es sich«, stimmte Parker höflich zu, »und dank einer redseligen Blon-dine wurden auch mir diese Zusammenhänge klarer.«
Die beiden Männer schwiegen sich aus.
Parker, weil er an sich schweigsam war, Charles Geoffrey, weil er den rasanten Fahrstil des Butlers nicht kannte und eindeutig unter ihm litt.
Parker scheute sich nämlich keineswegs, den hochbeinigen Wagen auf zwei Rädern durch die Kurve zu jagen, falls er es für angebracht hielt. Schon nach knapp drei Minuten Fahrt auf offener Landstraße schloß Geoffrey die Augen und betete seit langer Zeit intensiv und gläubig um die Erhaltung seines Lebens …
*
»Damit haben Sie nicht gerechnet, wie?«
Lady Simpsons Vermögensverwalter lächelte spöttisch und zündete sich eine Zigarette an.
»Sie kleine Wanze«, sagte Agatha Simpson wütend. »Wie konnte ich nur auf Sie hereinfallen!«
»Sie werden’s vielleicht überleben«, gab Collins zurück. »Aber das hängt davon ab, wie brav und zah-lungskräftig Sie sind.«
»Sie werden keinen einzigen Penny bekommen.«
»Ich werde ein Vermögen aus Ihnen herausholen«, versprach der Verwalter, »wie Ihr Butler übrigens … Der ist nämlich mit den ersten zweihunderttausend Pfund bereits durchgebrannt. Hätten Sie wohl nicht ge-dacht, wie?«
»Was sagen Sie dazu, Kindchen?« Die Detektivin wandte sich ihrer jungen attraktiven Gesellschafterin zu.
»Sie haben das nicht anders verdient«, sagte Kathy Porter schneidend und ging auf Eddy Falness zu, als sei das selbstverständlich. Sie schien die Schußwaffe in seiner Hand vergessen zu haben. »Sie haben doch genug Geld … Auch ich will endlich meinen Anteil.«
»Ist denn das zu glauben?« ächzte Agatha Simpson und faßte nach ihrem wogenden Busen. »Bin ich denn nur von Gangstern umgeben?«
Sie sank förmlich in sich zusammen und wäre zu Boden gefallen, wenn sie sich nicht am Griff eines kräf-tigen Jagdspießes festgehalten hätte.
Collins wieherte boshaft. Es tat ihm gut, daß die Lady allein und verlassen war. Sein Haß auf die ältere Dame mußte übermächtig sein.
Doch Sekunden später wieherte er schon nicht mehr vor Heiterkeit …
Agatha Simpson war plötzlich erstarkt und knallte ihm den oberen Teil des Jagdspießes an den Kopf. Sie hatte den Spieß aus der Wandhalterung gerissen und wütete wie eine Walküre.
Collins wollte schießen, doch der Jagdspieß knallte ihm gerade gegen die Brust.
Eddy Falness wollte sich einschalten und auf die Lady werfen. Der Albino vergaß über seinem Eifer aber Kathy Porter. Die junge und scheu wie ein Reh wirkende Gesellschafterin zeigte eine Klasse, die kaum noch zu überbieten war.
Kathy Porter war ausgebildete Judo- und Karatekämpferin, worunter der Albino litt.
Er bekam einen Handkantenschlag verpaßt, der ihn von den Beinen warf Eddy landete krachend auf dem Parkett und verlor das Bewußtsein.
Paul Sanders, der ehemalige Boxer griff in das Geschehen ein. Er riß Kathy zurück und wollte ihr einen Hieb verpassen. Doch im letzten Moment zuckte er zurück. Er scheute sich wohl, eine Frau zu schlagen, Ka-thy Porter hingegen nicht.
Paul Sanders keuchte vor Anstrengung und Luftmangel, als Kathy ihr einen harten Schwinger in die Herzgrube verpaßte. Mit einem zweiten Schlag, der den Hals traf, war es dann mit Paul Sanders Kraft zu Ende. Er beeilte sich, neben dem Albino auf dem Boden Quartier zu beziehen.
Ritchie Cloud war zurückgewichen und wußte nicht, wie er seinen Schuß anbringen sollte.
Er hielt die Waffe schußbereit in der Hand und hatte sicher keine Bedenken, gezielt zu schießen. Sein Ge-sichtsausdruck war geradezu wölfisch.
Bevor er sich jedoch entschlossen hatte, handelte Lady Simpson.
Die streitbare Dame, in jungen Jahren einer erstklassige Allroundsportlerin, wußte mit dem Jagdspieß eini-ges anzufangen. Sie schleuderte ihn wie einen Wurfspeer auf Ritchie Cloud, der sich einem ihm entgegenzi-schenden Ungeheuer gegenübersah.
Er brüllte auf, als die Saufeder in seiner Schulter landete, verlor die Waffe aus der Hand und stöhnte wei-nerlich. Er setzte sich neben seine beiden schlafenden Partner und kümmerte sich auch nicht weiter um Col-lins.
Der Vermögensverwalter hatte sich leicht erholt und wollte die Situation im letzten Moment noch mal wenden.
Da er seinen geprellten Arm nur schwer hochbekam, war er nicht schnell genug.
»Nein«, stammelte er und wich zurück. »Nein. Tun Sie’s nicht, Mylady, tun Sie’s nicht!«
Agatha Simpson war grimmig wie eine Rachegöttin.
Sie hatte sich mit einem mächtigen Schild ausgerüstet, den sie von der Wand gerissen hatte.
Ihn, hin- und herschwingend marschierte sie hinter Collins her, der schließlich mit dem Rücken an der Wand landete und sinnlose Worte der Angst stammelte.
Dann stammelte er nicht mehr …
Lady Simpson hatte zugelangt …
Der mächtige Schild schmetterte den ungetreuen Angestellten der vermögenden Dame gegen das Mauer-werk und deformierte außer der Nase noch andere hervorstehende Körperteile. Als Lady Simpson den Schild zurücknahm, rutschte Collins langsam und zäh an der Wand herunter, um dann regungslos auf dem Boden liegen zu bleiben.
»So, Kindchen, das wär’s gewesen«, sagte die erregte Sechzigjährige, sich ihrer Gesellschafterin zuwen-dend. »Mit was für Waschlappen hatten wir es doch zu tun!«
Beide Frauen drehten sich um, als plötzlich ein diskretes Räuspern zu hören war, das vom Eingang der Halle zu ihnen drang.
»Mylady waren überzeugend, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, sagte Josuah Parker gemes-sen und höflich. »Ich bitte, meine kleine Verspätung entschuldigen zu wollen.«
»Wieviel Zeit brauchen Sie eigentlich, um solch einen harmlosen Fall zu lösen?« fragte die Detektivin grol-lend. »Das hat ja eine Ewigkeit gedauert.«
»Etwas mehr als zehn Stunden«, korrigierte der Butler.
»Trotzdem«, beharrte Lady Simpson, »mir kam es wie eine Ewigkeit vor, Mister Parker! Ist das nicht der junge Geoffrey?« Sie wies auf Charles, der hinter dem Butler stand.
»Mister Charles Geoffrey«, sagte Parker, »er war so freundlich, mir zu helfen.«
»Was ich ihm auch geraten haben möchte!« Sie sah ihn grimmig an. »Tun Sie etwas, junger Mann! Sam-meln Sie diese Individuen ein!«
Der junge Geoffrey stand sofort unter dem Einfluß der alten Lady. Er lächelte nicht mehr amüsiert und gab sich nicht überheblich, sondern beugte sich der Autorität, die Lady Simpson ausgiebig verstrahlte.
»Collins«, sagte Agatha Simpson und deutete auf den Vermögens Verwalter.
»Ich weiß es seit etwa vierzig Minuten ganz genau«, erwiderte der Butler. »Mylady fühlen sich wohl?«
»Sogar ausgezeichnet«, stellte sie fest. »Ich fühle mich sehr angeregt. Haben wir mit weiteren Zwischen-fällen zu rechnen? Dann werde ich mir einen Morgenstern von der Wand holen.«
»Mylady können davon Abstand nehmen«, erklärte der Butler. »Andere Beteiligte sind nicht in der Lage, noch störend einzugreifen.«
»Andere?«
»Ein kleines Heer von Ganoven und Gangstern, die alle an den zweihunderttausend Pfund interessiert wa-ren und deren Mitarbeit ich benötigte, Mylady.«
»Einzelheiten später«, knurrte Mylady, »fahren wir zurück in die Stadt. Ich brauche jetzt einen starken Tee, ich bin nicht mehr die Jüngste!«
*
Parker saß am Steuer des Landrover, in dem sich die vier Kidnapper befanden.
Sie waren restlos außer Gefecht gesetzt worden und an Händen und Füßen gebunden. Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß Charles Geoffrey, der die vier Burschen dennoch aufmerksam bewachte und sich hütete, nach vorn durch die Windschutzscheibe zu sehen.
Parker folgte nämlich Lady Simpson, die des Butlers hochbeiniges Monstrum übernommen hatte.
Obwohl Lady Simpson eben noch behauptet hatte, nicht mehr die Jüngste zu sein, fuhr sie recht tempera-mentvoll. Das heißt, sie steuerte verwegen und versuchte wieder mal, den Fahrstil des Butlers zu kopieren.
Sie schnitt jede Kurve und schien sich auf einer geschlossenen Rennpiste zu fühlen.
Wenig später aber mußte Parker hart und nachdrücklich in die Bremsen steigen.
Agatha Simpson schien nämlich die Gewalt über das Steuer des hochbeinigen Wagens verloren zu haben. Das Monstrum des Butlers schlingerte von einer Straßenseite zur anderen und landete dann dicht vor dem Geländer einer Brücke.
Geoffrey starrte fasziniert nach vorn.
Im Licht der Scheinwerfer des Landrover war alles genau zu sehen. Die Tür auf der Fahrerseite wurde jäh aufgestoßen.
Dann quoll zuerst eine weißlich-gelbe Wolke aus dem Wagen, in der die Lady nur undeutlich zu sehen war. Sie schlug mit den Händen um sich und hustete derart dröhnend, daß es im Landrover gut zu hören war.
Kathy Porter jumpte ebenfalls ins Freie und kümmerte sich hustend um die ältere Dame.
»Was … Was hat das zu bedeuten«, fragte Charles Geoffrey und wandte sich an den Butler.
»Ich fürchte«, sagte Parker gemessen und ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Ich fürchte, daß die Glasampullen an den falschen Geldkoffern entzwei gegangen sind …«
»Falsche Geldkoffer?«
»Die zweihunderttausend Pfund befinden sich in ähnlich aussehenden Koffern, die ihrerseits im Koffer-raum meines Wagens deponiert sind.«
»Ich verstehe kein Wort«, sagt Charles Geoffrey, der von Parkers Trickkiste natürlich nichts ahnte.
»Aber ich sehe, daß Lady Simpson ziemlich wütend ist.«
»Setzen Sie doch den Wagen lieber zurück«, schlug Charles Geoffrey vor. »Sie scheint sogar verdammt wütend zu sein.«
»Flucht wäre sinnlos«, meinte Parker seufzend. »Sie kennen Mylady nicht, Mister Geoffrey!«
Während er noch sprach, öffnete er die Wagentür und stieg aus. Mannhaft schritt er seiner Herrin entge-gen, würdevoll und gemessen.
»Darf ich mir erlauben, Mylady, meine bescheidene Hilfe anzubieten?« erkundigte er sich.
»Ich … Ich bringe Sie um!« keuchte Lady Simpson kriegerisch und aufgebracht.
»Wie Mylady meinen«, sagte der Butler ergeben, denn er wußte aus Erfahrung, daß selbst das schwerste Gewitter sich irgendwann mal wieder verzog.
Als geschulter Butler hatte er jedoch in jeder Lebenslage echte Hilfen anzubieten.
Wie in diesem Fall eine Erfrischung.
Er hielt plötzlich eine Taschenflasche in der Hand, die mit Samtleder verkleidet war. Parker schraubte den Verschluß ab und bot Mylady einen Cognac an.
»Papperlapapp«, herrschte sie ihn an und riß ihm förmlich die Taschenflasche aus der Hand. »Was soll der kleine Becher? Ich brauche keinen Fingerhut!«
Sie setzte die Flasche an den Mund und erfrischte sich ausgiebig und zwar so lange, bis die Flasche leer war. Dann reichte sie ihrem Butler die Flasche zurück und nickte versöhnt.
»Sie haben Ihre Verzüge, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson fest, »aber das könnte alles noch viel besser werden …!«
ENDE