Читать книгу Butler Parker Staffel 12 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
ОглавлениеIn dieser Nacht wollten sie den endgültigen Beweis herbeischaffen.
Tom Haley und Peter Ward hockten seit Stunden in den Steilklippen der Küste und sahen immer wieder hinunter in die Brandung. Dort beobachteten sie vor ein paar Tagen die beiden Seejungfrauen. Sie hatten sich ganz bestimmt nicht getäuscht, aber leider etwas vorschnell in der Dorfkneipe davon erzählt. Sie waren von ihren Freunden und Bekannten nach allen Regeln der Kunst durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen worden.
Doch jetzt wollten sie es wissen.
Sie hatten sich mit einem großen, grobmaschigen Fischernetz bewaffnet, mit dem sie wenigstens eine der Seejungfrauen an Land ziehen konnten. Sie freuten sich schon jetzt auf die Sensation, die ihr Fang hervorrief. Es war für
sie klar, daß die geheimnisvollen Wesen auch in dieser Nacht wieder aus der See auftauchten.
»Ob das noch was wird?« fragte Tom Haley skeptisch, als sich auch nach Stunden immer noch nichts tat.
»Die kommen«, behauptete Peter Ward hartnäckig, »die Brandung hat sich beruhigt. Sie werden bestimmt auftauchen.«
Tom Haley wollte antworten, doch genau in diesem Augenblick machte er eine Entdeckung, die ihn förmlich elektrisierte. Im Wasser trieb ein Gegenstand, den man auf den ersten Blick für ein Stück Treibholz halten konnte. Doch es war kein Treibholz, es handelte sich um einen Menschen, dessen Arme jetzt deutlich auszumachen waren. Die Gestalt wurde um einen mächtigen Felsklotz gespült, der wie ein Turm in der Brandung stand. Sie arbeitete sich dann mit kraftvollen Kraulschlägen an den schmalen Sandstreifen heran, der unten zwischen den Steilklippen zu sehen war.
»Da ist eine«, stieß Tom Haley hervor. »Mann, Peter, da ist eine!«
»Schon gesehen«, erwiderte Peter Ward, »komm’, wir steigen weiter runter!«
Sie kannten sich in den Klippen aus und fürchteten nicht die Dunkelheit. Zudem gab der Mond ausreichend Licht. Auf dem Wasser lag ein silbriger Schein, der bis hinauf in die Klippen wirkte. Schnell und geschmeidig stiegen die beiden jungen Männer weiter nach unten. Das Jagdfieber hatte sie erfaßt.
Das seltsame Wesen brauchte einige Minuten, bis es die Brandung endgültig überwunden hatte. Zu dieser Zeit standen Tom Haley und Peter Ward bereits neben dem »Nußknacker«, einem bizarr geformten Felsen, der von der See tief ausgewaschen worden war. Die Höhlungen in diesem Felsen hatten eine Art Gesicht geformt, das an das eines riesigen Nußknackers erinnerte.
Das Wesen aus der See hatte das relativ stille Wasser hinter dem Nußknacker erreicht. Es saß auf einem tischartigen Felsen und war im Mondlicht deutlich zu erkennen.
Nein, sie hatten sich wirklich nicht getäuscht!
Das dort war eine Seejungfrau. Ihr Oberkörper war nackt und zeigte feste Brüste. Das triefend nasse Haar fiel über die Schultern und war mit Seetang vermischt. Der Unterleib ging in einen schuppenartigen Fischkörper über, der in einer kräftigen Schwanzflosse endete. Dieses unheimliche Wesen strähnte sich das Haar mit seinen gespreizten Fingern, bewegte den fischartigen Leib und zog ihn noch weiter hoch auf den Felsen.
»Sagenhaft«, flüsterte Tom Haley.
»Ich kann’s kaum glauben«, gab Peter Ward fast andächtig zurück, »’ne echte Seejungfrau. Mann, werden die im Dorf Augen machen!«
»Warten wir noch auf die zweite?«
»Eine reicht vollkommen, Tom. Los, wir müssen sie erwischen, bevor sie wieder abhaut!«
Die beiden jungen Männer hatten sich vorher alles genau überlegt. Einzelheiten brauchten sie nicht mehr zu besprechen. Sie nickten sich zu und rannten aus ihrem Versteck, hielten das flatternde Netz zwischen sich und hetzten ins seichte Wasser. Die Beute war ihnen so gut wie sicher.
Sie hatten wirklich eine echte Chance, die Seejungfrau ins Netz zu ziehen, denn sie drehte ihnen den Rücken zu, sah auf die See hinaus und schien keine Ahnung zu haben, in welcher Gefahr sie schwebte. Von der drohenden Nähe der beiden Männer hatte sie nichts bemerkt.
Sie war jetzt in allen Einzelheiten genau zu erkennen. Es handelte sich tatsächlich um ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch. Die seltsame, faszinierende Gestalt, die aus den unergründlichen Tiefen des Meeres stammte, wandte sich plötzlich langsam um, sah die beiden heranjagenden Männer und … lächelte auf geheimnisvolle Weise. Erschrecken zeigte dieses Fabelwesen überhaupt nicht. Das Lächeln war lockend und vielleicht auch ein wenig melancholisch.
Tom Haley und Peter Ward waren bereits bis zu den Oberschenkeln im Wasser der auslaufenden Brandung. Sie ahnten nicht, daß der Tod bereits nach ihnen griff.
*
Lady Agatha Simpson saß vor ihrer elektrischen Schreibmaschine und sah das weiße, unbeschriebene Blatt beschwörend an. Sie wartete schon seit gut einer halben Stunde darauf, von der Muse geküßt zu werden. Bisher hatte ihr die Muse diese Gunstbezeigung allerdings hartnäckig verweigert.
Die große, etwas zu Fülle neigende Dame arbeitete bereits seit einigen Monaten an dem Bestseller, den sie schreiben wollte. Lady Agatha hatte die feste Absicht, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Sie hielt es für selbstverständlich, daß ihr das gelang.
Hinderlich an diesem Vorhaben war vielleicht die Tatsache, daß sie sich nicht auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren vermochte. Zu viele Ideen befanden sich in ihrem Kopf.
Lady Agatha Simpson war schon eine recht bemerkenswerte Dame. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel Englands, immens reich und Witwe, konnte sie sich jede gewünschte Extravaganz leisten. Auf dem glatten Parkett der Gesellschaft bewegte sie sich ebenso sicher wie in der Unterwelt. Bissig meinte sie ungeniert, daß es da kaum Unterschiede gab.
Ihre oft ruppige Offenheit paßte ausgezeichnet zu ihrem Aussehen.
Lady Agatha erinnerte an die Walküre einer Wagneroper. Sie war eine stattliche Erscheinung und bewegte sich auf großen Füßen, die meist in bequemen und ausgetretenen Wanderschuhen steckten. Mit Vorliebe trug sie Chanel-Kostüme, die durchweg recht ausgebeult wirkten.
Ihr weißes Haar war meist in neckische Locken gelegt, die keineswegs zu den kühl dreinschauenden Augen paßten. Unter einer Art Adlernase befand sich ein auffallend großer Mund, der gefährlich schmal werden konnte.
Die Dame, die auf die sechzig Jahre zuging, war noch ungewöhnlich rüstig und unternehmungslustig. Und kriegerisch dazu war sie ebenfalls. Man konnte sie leicht reizen und in Schwung bringen. War das mal geschehen, ließ sie sich kaum noch aufhalten oder gar bremsen. Der kleine, perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk konnte dann zu einer beeindruckenden Waffe werden.
Lady Agatha kämpfte vor der Schreibmaschine mit ihrer Unlust. Sie hatte die Suche nach dem ersten Satz ihres Romans bereits aufgegeben und sehnte sich nach Abwechslung. Ihr stand im Moment wieder mal der Sinn nach einem netten, komplizierten Kriminalfall. Sie war nämlich Detektiv aus Leidenschaft und auf diesem Gebiet recht erfolgreich. Was wohl mit einem Mann zusammenhing, der sich Josuah Parker nannte.
Der Butler erschien wie auf ein Stichwort hin im Arbeitszimmer der Lady, nachdem er vorher diskret angeklopft hatte.
»Du lieber Himmel, Mister Parker, müssen Sie denn immer stören?« fragte Agatha Simpson gereizt. »Gerade wollte ich den ersten Satz schreiben.«
»Mylady mögen die kleine Störung gütigst entschuldigen«, schickte Parker gemessen voraus, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Sir Edwards vom Geheimdienst Ihrer Majestät bittet um eine Unterredung.«
»Aber doch nicht jetzt«, erregte sich Parkers Herrin. »Ich stecke mitten in meinem ersten Kapitel.«
»Es scheint sich offensichtlich um einen Fall zu handeln, der Myladys Hilfe bedarf.«
»Papperlapapp, Mr. Parker, mein Roman ist wichtiger.«
»Sehr wohl, Mylady. Sir Edwards sollte sich demnach allein mit den Seejungfrauen befassen.«
»Natürlich«, grollte Agatha Simpson, »machen Sie ihm klar, daß ich keine weiteren Fälle mehr übernehme. Mein Roman ist wichtiger als der interessanteste Kriminalfall.«
»Wie Mylady befehlen.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an und wollte das Zimmer verlassen. In diesem Augenblick erst zündete es in der kriegerischen Dame.
»Seejungfrauen?« fragte sie und stieg aus ihrem Arbeitssessel. In ihren Augen glitzerte es.
»Besagte Fabelwesen, Mylady, scheinen sich an Schottlands Ostküste ein Stelldichein zu geben, wie Sir Edward meint.«
»Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Agatha Simpson sah ihren Butler strafend an. »Seejungfrauen ändern natürlich die allgemeine Sachlage.«
»Dennoch scheint es sich nur um einen Kriminalfall zu handeln, Mylady.«
»Ausnahmen bestätigen die Regel«, schickte die ältere Dame voraus, »ich trenne mich zwar nur sehr ungern von meinem Roman. Aber wenn Elizabeth meine Hilfe braucht, kann ich sie schlecht verweigern.«
»Ihre Majestät werden das zu schätzen wissen«, antwortete der Butler. Er hatte den Vornamen sofort richtig interpretiert. Lady Simpson war selbstverständlich auch mit dem britischen Königshaus verschwägert.
»Ich weiß doch, wie schlecht ihr Geheimdienst ist«, fügte die Detektivin grimmig hinzu. Die Dame machte plötzlich einen sehr animierten Eindruck. Sie hatte sich innerlich bereits fest entschlossen, den geplanten Bestseller noch etwas hinauszuschieben. Man merkte es daran, daß sie die Abdeckhaube über die Maschine spannte, nachdrücklich und erleichtert.
Damit war für Parker bereits alles gelaufen. Die Seejungfrauen in Schottland konnten sich auf etwas gefaßt machen. Lady Simpson nahte!
*
»Ich hab’ doch Augen im Kopf«, sagte Buddy Frazer gereizt. »Ich hab’ sie ganz deutlich gesehen. Die paddelten in der Brandung wie Robben.«
»Wieviel hattest du denn vorher inhaliert?« erkundigte sich der Wirt der Hafenkneipe. Herb Malone war ein untersetzter, stämmiger Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Spottlust war in seinen Augen. Er zwinkerte jetzt den übrigen Männern zu, die am Tresen standen und ihr Bier tranken. Es ging auf die nächtliche Sperrstunde zu, und die Männer am Tresen beeilten sich, in möglichst kurzer Zeit noch möglichst viel Alkohol zu vertilgen. Malone schloß seit einiger Zeit überpünktlich. In jüngster Vergangenheit hatte er bereits einige Male Ärger mit der Polizei gehabt. Er wollte seine Lizenz nicht aufs Spiel setzen.
Sein Umsatz im Pub steigerte sich von Woche zu Woche. Trinkfeste Männer waren hierher nach Panrose gekommen, die ihr Geld springen ließen. Seitdem in der Nordsee Öl und Erdgas gefunden wurden, erlebte die nordöstliche Region Schottlands einen geradezu erregenden Aufschwung. Draußen auf dem Meer standen die Bohrinseln, die mit Material versorgt werden mußten. Pipelines wurden unter Wasser verlegt, Öltanks und Raffinerien schossen aus dem Boden.
Das kleine Fischernest Panrose war bis vor wenigen Monaten noch völlig unbekannt gewesen. Wenn man von Aberdeen hinauf nach Fraserburgh fuhr, hatte man hier kaum angehalten. Jetzt aber war das anders. Hinter der Steilküste wurde eine Raffinerie gebaut. Es herrschte eine wahre Goldgräberatmosphäre. Barackenstädte waren aus dem Boden gestampft worden, die die Raffineriearbeiter aufnahmen. Viel Abwechslung gab es in dieser kargen Gegend nicht, und man war froh, sich in einem Pub treffen zu können.
Buddy Frazer merkte natürlich, daß man ihm nicht glaubte und ihn sogar auf den Arm nehmen wollte. Der kleine zähe Mann mit dem vom Wetter gegerbten Gesicht winkte ab. Es war zu erkennen, daß er über dieses Thema nicht weiter sprechen wollte. Frazer war Fischer geblieben und tuckerte mit seinem kleinen Kutter Tag für Tag hinaus auf die See. Er hatte keine Lust, seine Freiheit aufzugeben, auch wenn er weniger verdiente.
»Du hast also auch Seejungfrauen gesehen«, wiederholte Malone und sah Buddy gespielt ernst an.
»Nee, war ein Irrtum«, antwortete Buddy Frazer.
»Nun hab’ dich nicht, so«, meinte Herb Malone, »aber du mußt doch zugeben, daß das ziemlich unwahrscheinlich klingt. So was gibt’s doch nur in Märchen.«
»Ich sag’ doch schon, daß ich mich getäuscht habe.« Frazer war nicht bereit, sich über dieses Thema noch mal zu verbreiten. Er trank sein Bier aus und verließ die Kneipe. Er war verärgert. Warum hatte Malone ihn durch den Kakao ziehen wollen? Herb wußte doch verdammt genau, was mit Tom Haley und Peter Ward passiert war. Die beiden armen Teufel hatte man doch erst vor knapp einer Woche aus der Brandung gefischt. Gut hatten sie wirklich nicht mehr ausgesehen.
Und warum waren sie raus zum Nußknacker gegangen?
Die Seejungfrauen hatten sie sich ansehen wollen, davon sprachen hier alle Fischer. Es gab sie, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Und Buddy Frazer hatte sie schließlich auch gesehen. Das war in der vergangenen Nacht gewesen, als er mit seinem Kutter zurück nach Panrose geschippert war. In der Brandung waren zwei Seejungfrauen gewesen, wie sie in alten Märchenbüchern abgebildet sind …
Buddy Frazer hatte an diesem Abend leider eine Menge getrunken. Die Sticheleien ärgerten ihn maßlos. Er ließ sich nicht gern für einen abergläubischen Trottel halten. Er nahm sich vor, sofort zum Nußknacker zu fahren. Vielleicht hatte er Glück und konnte die beiden Seejungfrauen noch mal sehen. Und vielleicht klappte es auch, eine davon zu erwischen.
Würden die Burschen in Malones Kneipe Augen machen, wenn er mit einer Seejungfrau anrauschte!
Buddy Frazer machte sich sofort auf den Weg – und ging seinem Tod entgegen …
*
»Mylady hätten sich vielleicht nicht bemühen sollen«, stellte Josuah Parker fest.
»Hören Sie endlich auf, mich wie eine alte Frau zu behandeln«, raunzte Agatha Simpson ungnädig. »Sorgen Sie lieber für eine kleine Erfrischung!«
»Bevorzugen Mylady Tee oder Cognac?«
»Fangen Sie mit dem Cognac mal an«, erwiderte die Sechzigjährige. »Ich glaube, mein Kreislauf braucht eine kleine Beschleunigung.«
Parker war ein perfekter Butler.
Er lagerte mit Lady Simpson in den steilen Felsklippen der Küste und hatte das Versteck mit viel Sinn für Komfort hergerichtet. Über ihren Köpfen befand sich eine dunkle Plastikhaut, die den aufkommenden Sprühregen abhielt. Mylady saß auf einem zusammenfaltbaren Polster und ließ sich von Parker verwöhnen. Er hatte den schwarzen Picknickkoffer geöffnet und servierte seiner Herrin zuerst einen Cognac. Anschließend klappte er die Beine des Koffers heraus und verwandelte ihn in einen kleinen praktischen Tisch.
»Ein wenig Schildkrötensuppe?« fragte er weiter. »Darüber hinaus könnte ich noch mit kaltem Huhn und einigen Sandwiches dienen, Mylady.«
»Wollen Sie mich mästen?« grollte sie.
»Nur, wenn Mylady darauf bestehen«, gab Parker gemessen zurück. »In Anbetracht der Nachtkühle sollten Mylady aber an eine intensivere Verbrennung denken.«
»Ruhe! Was war das gerade?« Lady Simpson hob ruckartig den Kopf und schob dann vorsichtig die dunkle Plane zur Seite. Sie beugte sich vor und sah auf die Brandung hinunter. Die Flut lief gerade auf und schäumte gegen die Klippen.
Parker war das seltsame Geräusch ebenfalls nicht entgangen. Um sofort einsatzbereit zu sein, packte er den Picknickkoffer wieder zusammen. Die Cognacflasche allerdings ließ er draußen. Er kannte den Kreislauf seiner Herrin nur zu gut. Er brauchte in nächster Zeit mit Sicherheit noch einige freundliche Ermunterungen.
»Da war doch was«, stellte Lady Simpson gereizt fest.
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.«
»Hörte sich dumpf an, wie?«
»In der Tat, Mylady!« Parker sah längst hinunter in die Brandung und versuchte etwas zu erkennen. Die Sicht war leider sehr schlecht. Der Sprühregen war kompakter geworden.
Er und Lady Simpson saßen nun schon seit zwei Stunden in den Steilklippen und hielten Ausschau nach Seejungfrauen. Sie waren gegen Mittag in Peterhead angekommen, jenem alten Fischereihafen, der von Touristen gern besucht wurde. Von dort aus waren sie nach Anbruch der Dunkelheit losgefahren. Parkers Wagen stand ein paar hundert Meter entfernt von diesem Versteck in einer schmalen Bodenfalte und konnte von der Küstenstraße aus nicht gesehen werden.
Agatha Simpson und Josuah Parker wußten von Sir Edward, daß vor knapp einer Woche zwei Fischer umgekommen waren. Es handelte sich um zwei Männer, die laut Aussage ihrer Freunde Jagd auf Seejungfrauen machen wollten. Mit gebrochenem Genick waren sie später in der Brandung entdeckt worden.
Jagd auf diese Seejungfrauen machten nun auch Lady Simpson und ihr Butler. Sie befanden sich an der Stelle, wo die beiden jungen Männer sich versteckt haben mußten. Die Polizei hatte hier zwischen den Klippen eine leere Whisky-Taschenflasche und einige Zigarettenkippen gefunden. Die kriminaltechnischen Untersuchungen ergaben eindeutig, daß die beiden jungen Männer aus der Flasche getrunken und die Zigaretten geraucht hatten.
Parker beobachtete inzwischen die Brandung durch ein lichtstarkes Marineglas. Von Seejungfrauen war leider nichts zu sehen. Dafür erschien in der Optik eine Gestalt, die über den schmalen Pfad zur Brandungszone hinunterrutschte.
Parker tauschte das Marineglas gegen ein Nachtsichtgerät aus, das auf der Basis der Restlichtmenge arbeitete. Selbst die schwächsten Lichtspuren wurden durch die Elektronik dieses Geräts vertausendfacht.
Die Gestalt entpuppte sich als ein schmaler, nicht gerade großer Mann, der offensichtlich nicht fest auf den Beinen stand. Vielleicht hatte er auch nur zuviel Schwung. Er rutschte schon nicht mehr über den steilen Pfad nach unten, er rannte eigentlich und lief Gefahr, jeden Moment nach unten in die Brandung zu stürzen.
Josuah Parker hegte einen schlimmen Verdacht. Wurde der Mann etwa verfolgt und gehetzt?
Er richtete sein Nachtsichtgerät weiter nach oben und fand seine Vermutung bestätigt. Zwei schmale, geschmeidige Gestalten, die in schwarze Trikots gehüllt zu sein schienen, waren hinter dem Mann her.
Sie hielten, was Parker mißbilligend feststellte, Preßluftharpunen in den Händen. Noch weniger erfreulich war die Tatsache, daß die Personen schwarze Gesichtsmasken trugen, die nur ihre Augen frei ließen.
Parker schloß messerscharf, daß die beiden Gestalten keineswegs auf dem Pfad der Tugend wandelten. Sie schienen die Absicht zu haben, den Flüchtenden ins Jenseits zu befördern.
*
»Ein Zimmer wollen Sie haben?« fragte Norman Carty und sah die junge Frau aus schlauen Augen abschätzend an. »Das sieht schlecht aus. Das Nest hier ist bis unters Dach voll belegt.«
»Ich nehme sogar eine Badewanne«, entgegnete die junge Frau. »Hauptsache, ich kann mich irgendwo hinlegen. Ich bin restlos fertig.«
Sie gefiel ihm auf den ersten Blick, war etwas über mittelgroß, hatte unwahrscheinlich lange Beine von tadellosem Wuchs und zeigte auch sonst jene Formen in Perfektion, die ein Mann schätzte. Sie hatte tizianrotes Haar und Augen, deren Farbe nicht so recht festzustellen war. Sie konnten grün, aber auch grau sein. Die hoch angesetzten Backenknochen gaben diesem Gesicht einen exotischen Reiz.
Sie trug eng anliegende Jeans, einen Pulli und darüber eine Jacke aus Schaffell. Die große Reisetasche aus Jeansstoff war auf dem Boden abgesetzt.
Norman Carty, der Besitzer des kleinen Hotels, war ein guter Menschenkenner. Er versuchte herauszufinden, wer die junge Frau wohl sein mochte. Ihr Auftreten war eine Mischung aus Selbstbewußtsein und Temperament, auch wenn die junge Frau einen etwas müden Eindruck machte. Seiner Schätzung nach war sie vielleicht gerade fünfundzwanzig.
»Haben Sie ’ne Panne gehabt?« fragte Carty.
»Der Wagen steht ein bis zwei Meilen von hier auf der Straße«, antwortete sie. »Irgendwas mit dem Motor klappt nicht. Von solchen Dingen haben ich keine Ahnung.«
»Vielleicht kann ich Ihnen für eine Nacht helfen«, sagte Carty. »Um diese Zeit werden Sie hier in Panrose doch nichts finden. Toll ist das Zimmer aber nicht.«
»Ich kann mich anpassen«, sagte die junge Frau, »ich heiße übrigens Jane Wells und komme aus London.«
Sie nahm ihre Tasche hoch und folgte ihm ins Haus. Norman Carty ließ sie absichtlich Vorgehen und kam voll auf seine Kosten. Sein Gast bewegte sich mit der lässigen Geschmeidigkeit eines Tieres und hätte allein schon mit diesem Gang ein Topmannequin ausgestochen.
Es ging auf Mitternacht zu, die Halle des kleinen Hotels war leer. Durch eine nur angelehnte Tür konnte man hinüber in die Bar sehen, die noch beleuchtet war. Einige Männer schienen sich dort aufzuhalten. Man hörte Stimmen, Gelächter und das Klirren von Gläsern.
»Sie haben beruflich hier zu tun?« erkundigte sich Carty und zog das Gästebuch heran.
»Ich bin … Journalistin«, lautete die Antwort der jungen Frau. Carty war das kurze Zögern nicht entgangen. Er tat aber so, als habe er nichts gemerkt.
»Vielleicht tragen Sie sich schon mal ein«, schlug er vor, »Privatanschrift und Zeitung.«
»So streng sind hier die Bräuche?«
»Sind Sie beruflich hier?« fragte er ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.
»Okay«, erwiderte sie, »hier in der Gegend soll sich ja eine Menge ereignet haben.«
»Sind Sie hinter einer bestimmten Story her?«
»Mal sehen«, wich sie aus, »vielleicht ist das hier auch nur ein Schlag ins Wasser.«
Sie hatte sich ins Gästebuch eingetragen und sah Carty fragend an. Er hielt bereits den Zimmerschlüssel in der Hand und ging dann voraus. Es war ein recht verwinkelter Weg, den sie durch das niedrige, aber dennoch zweistöckige Haus nahmen. Es ging durch Korridore, über Treppen und eine Galerie.
»Hoffentlich können Sie mir einen Kompaß überlassen«, fragte die junge Frau, als sie das Zimmer erreicht hatten, »allein finde ich kaum zurück ins Hotel.«
»Ich werd’ Ihnen einen Pfadfinder schicken«, gab Norman Carty lächelnd zurück. »Sie wohnen hier direkt über den früheren Ställen.«
»Selbst Mäuse werden mich nicht erschrecken«, erwiderte sie gähnend. »Vielen Dank, hier sieht’s ja beinahe fürstlich aus.«
Er wußte nicht, wie er sie einordnen sollte und nahm sich vor, den Dingen auf den Grund zu gehen. Vielleicht war sie genau das, was er gerade brauchte …
*
Butler Parker stand grundsätzlich immer auf der Seite der Verfolgten.
Auch in diesem Fall hatte er das sichere Gefühl, etwas für den flüchtenden und stolpernden Mann tun zu müssen. Seine Chancen waren nämlich nicht sehr groß. Gegen die beiden Preßluftharpunen vermochte der Flüchtende nichts auszurichten.
»Vielleicht erfahre ich endlich, was eigentlich los ist«, machte Agatha Simpson sich bemerkbar. Ihre an sich schon baritonal gefärbte Stimme grollte erheblich.
»Falls Mylady gestatten, werde ich zu diesem Punkt später ausführlich Stellung nehmen«, antwortete der Butler und griff nach der Leuchtpistole, die er in die Steilküste mitgenommen hatte. Sie war an sich für das mögliche Auftauchen der Seejungfrauen gedacht, mußte nun aber umgehend zweckentfremdet werden.
Josuah Parker entsicherte diese ungewöhnliche Waffe und warf sicherheitshalber noch mal einen Blick durch das Nachtsichtgerät. Die beiden maskierten Verfolger hatten bereits gefährlich aufgeholt, es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie ihre Harpunen auf den Flüchtenden abschießen würden. Es wurde höchste Zeit, die beiden Maskierten ein wenig zu verunsichern.
Josuah Parker besorgte das sehr gründlich. Mit halben Dingen gab er sich grundsätzlich nicht ab.
Der Schuß dröhnte aus der großläufigen Waffe. Das Geschoß landete klatschend an der Felswand und platzte hier prompt auseinander. Das Leuchtmaterial spritzte herum und entwickelte eine gleißende Helligkeit, die unbedingt blenden mußte.
Der Flüchtende wurde davon kaum betroffen, da das Geschoß hinter ihm am Felsen gelandet war. Der Mann stutzte nur kurz und stolperte dann weiter nach unten. Die beiden Verfolger aber hatten echte Orientierungsschwierigkeiten, da der Leuchtsatz vor ihren Augen gezündet hatte. Sie rissen ihre Arme hoch, um sich gegen die grelle Lichflut zu schützen, blieben stehen und tappten mit den Armen vor dem Gesicht anschließend durch die Gegend. Sie suchten Kontakt mit den Felsen, um nicht nach unten abzurutschen.
Für Parkers Spezialwaffen war die Distanz zu den beiden Verfolgern leider zu groß.
Weder mit seiner Gabelschleuder noch mit seinem Universal-Regenschirm ließ sich hier etwas ausrichten. Gewiß, der Butler hätte eine reguläre Schußwaffe benutzen können, doch darauf verzichtete er selbstverständlich. Verfolger waren schließlich auch Menschen, die man nicht ohne weiteres durch gezielte Schüsse außer Gefecht setzen konnte.
Die beiden Verfolger hatten zudem bereits die Nase voll, da ihre schwarzen Trikots rauchten. Das herumspritzende Leuchtmaterial hatte den Stoff entzündet. Die Maskierten schlugen und klopften an sich herum und löschten die vielen kleinen Brandstellen, um dann schleunigst den Rückzug anzutreten.
»Sehr effektvoll«, stellte Lady Simpson grimmig fest. »Die Seejungfrauen werden es jetzt kaum noch erwarten können, an Land zu kommen.«
»Es handelte sich um einen Notstand, Mylady«, entschuldigte Parker seine Eigenmächtigkeit. »Mir schien, daß schnelle Hilfe geboten war.«
»Und mir scheint, daß Sie mich unnötig hierher in die Klippen verschleppt haben«, grollte die Detektivin. »Von welchem Notstand reden Sie eigentlich? Warum haben Sie dieses Feuerwerk veranstaltet?«
»Wenn Mylady erlauben, werde ich auch zu diesem Ereignis erst später Stellung nehmen«, gab Parker zurück, »im Augenblick scheint meine Hilfe dringend benötigt zu werden.«
Obwohl der Butler es eilig hätte, verzichtete er keineswegs auf korrektes Benehmen. Er lüftete seine schwarze Melone, bevor er das Versteck verließ und nach unten stieg. Gerade in dieser Situation zeigte sich, wie fit Parker auch körperlich war. Die steilen Klippen konnten ihn nicht abschrecken. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er den schmalen Strandstreifen erreicht hatte.
Die Gischt wurde vom Wind herübergetrieben. Die Brandung war etwas schwächer geworden, die Flut schien abzulaufen.
Parker brauchte nach dem schmalen Mann nicht lange zu suchen.
Er fand ihn neben einem großen Felsklotz. Der Mann lag auf dem Bauch, sein Kopf war seltsam verrenkt. Nach einer schnellen Untersuchung fand Parker seinen Verdacht bestätigt. Der Mann war tot, er hatte sich offensichtlich das Genick gebrochen.
Ging das auf das Konto seiner Flucht? War er doch noch von dem schmalen Pfad nach unten abgestürzt? Oder hatten die Seejungfrauen vielleicht ihre Hände im Spiel?
Der Butler richtete sich auf und schaute aufs Meer hinaus.
Er glaubte zwei im Wasser treibende Punkte zu sehen, die auf See abtrieben. Handelte es sich um die Köpfe dieser Fabelwesen oder war es Treibholz?
*
Agatha Simpson und ihr Butler hatten es eilig.
Sie liefen im Geschwindschritt auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu. Dieser Wagen, der immer noch wie ein Londoner Taxi aussah, war im Grund eine vollgefüllte Trickkiste auf Rädern. In liebevoller Kleinarbeit war dieser Wagen nach den Plänen des Butlers umgestaltet worden. Er hätte damit auf jeder Erfindermesse Aufsehen erregt.
Man sah es Lady Simpson und dem Butler an, daß sie geschockt waren. Sie schauten sich immer wieder nach den nahen Klippen um und schienen eine Verfolgung zu befürchten. Sie verschwanden sehr schnell in dem hochbeinigen, altväterlich aussehenden Wagen, der Sekunden später Fahrt aufnahm und zur nahen Küstenstraße gesteuert wurde.
»Die sind wir los«, sagte einer der beiden Männer, die den Wagen beobachteten. Sie lagen im Heidekraut oberhalb der Klippen und verfolgten das Verschwinden des hochbeinigen Wagens.
»Wir hätten sie nicht verschwinden lassen sollen«, meinte der zweite Mann skeptisch.
»Die sehen wir nie wieder.«
»Sie hatten immerhin ’ne Leuchtpistole bei sich«, antwortete der Skeptiker, »und wußten verdammt gut damit umzugehen.«
»Zufall«, sagte der erste Mann optimistisch, »aber wir haben ja immer noch das Kennzeichen des Wagens.«
»Wir müssen wissen, wer die beiden Typen gewesen sind«, sinnierte der Skeptiker. »Das erledigen wir gleich morgen. Komm jetzt, wir müssen die Leiche verschwinden lassen!«
»Ist das wirklich nötig?«
»Sie muß raus in die See«, erklärte der Skeptiker energisch. »Die braucht erst nach Tagen gefunden zu werden. Das erhöht die Spannung.«
Die beiden immer noch maskierten Männer erhoben sich aus dem Heidekraut und gingen zu den nahen Klippen hinüber. Sie fühlten sich völlig sicher in der dunklen Nacht, rechneten auf keinen Fall mit weiteren Überraschungen.
Sie benutzten den schmalen und steilen Pfad, über den sie ihr Opfer gehetzt hatten. Sie hielten wieder die Preßluftharpunen in Händen und stiegen nach unten.
Etwa ein Drittel des Pfads war zurückgelegt, als der Optimist, der dem Skeptiker folgte, plötzlich wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte.
Er blieb sofort stehen und faßte nach seinem Hinterkopf. Es gab da nämlich plötzlich eine Stelle, die ungemein brannte. Er konnte sich nicht erklären, woher der Schmerz kam, drehte sich um und versuchte oben am Rand der Steilfelsen etwas zu erkennen.
In diesem Augenblick jaulte der Skeptiker auf und faßte ebenfalls nach seinem Hinterkopf.
»Was ist denn?« fragte der Optimist nervös.
»Da hat mich gerade was getroffen.«
»Mich auch«, antwortete der Optimist, »irgendwas Hartes.«
»Komisch.« Der Skeptiker schüttelte den Kopf und konnte sich nicht erklären, was den stechenden Schmerz auslöste.
»Ich hab’ aber nichts gehört«, sagte der Optimist, »komm, laß uns weitergehen! Die Sache gefällt mir nicht.«
Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als er erneut zusammenzuckte.
Diesmal faßte der Maskierte nach seiner rechten Gesäßhälfte, stöhnte leicht auf und blieb dann wie erstarrt stehen.
»Nein«, sagte er fast andächtig, »nein, das kann doch nicht wahr sein!«
»Was denn?«
»Mann, da hat mir einer ’nen Pfeil in den Hintern gejagt.«
»Spinnst du?« Der Skeptiker war ärgerlich. Seine Stimme klang gereizt.
»Sieh dir das an!« Der Optimist war längst kein Optimist mehr. Er hatte den schmerzenden Gegenstand aus dem verlängerten Rücken gezogen und präsentierte ihn seinem Begleiter.
»Wie ’n Blasrohrpfeil«, sagte der. Skeptiker, der seine Taschenlampe eingeschaltet hatte.
»Blasrohrpfeil?« Der Optimist keuchte vor Überraschung. »Gibt’s hier denn Indianer?«
»Sieht so aus, Auuuu!«
Jetzt hatte es den Skeptiker ebenfalls erwischt.
Er griff blitzschnell an seinen Oberschenkel und hielt Bruchteile von Sekunden später ebenfalls einen Blasrohrpfeil in der Hand.
Beide Pfeile waren etwa so lang wie Stopfnadeln und wiesen bunte Miniaturfedern auf, die den Flug wohl stabilisieren sollten.
»Mir ist schlecht«, verkündete der Optimist und lehnte sich gegen einen glatten Felsen. Er übertrieb keineswegs. In seinen Beinen fühlte er eine seltsame Mattigkeit, in seinem Magen die ersten Anzeichen einer kommenden Revolution.
»Mir ist speiübel«, meldete der Skeptiker und kämpfte verzweifelt gegen aufsteigenden Brechreiz.
Die beiden Maskierten setzten ihren Weg nach unten zum Strandstreifen nicht fort, hockten erst mal nieder und schnappten verzweifelt nach Luft.
»Wer hat uns die Dinger verpaßt?« wollte zwischendurch der Optimist wissen.
»Keine Ahnung«, würgte der Skeptiker hervor und wischte die Maske vom Gesicht. Er war schweißnaß darunter.
»Wir müssen weg, bevor noch mehr passiert.«
»Und der Bursche da unten?«
»Den holt sich die Brandung. Ich hau’ ab.«
Die beiden Männer waren wirklich nicht mehr auf der Höhe. Ein schleichendes Gift breitete sich immer weiter in ihren Körpern aus. Sie krochen schließlich auf allen vieren zurück nach oben und legten am Rand der Klippen erst mal eine kleine Ruhepause ein. Das Gift ihn ihrem Blut tat voll seine Wirkung und schüttelte sie durcheinander. Sie übergaben sich, fühlten sich hundeelend und schleppten sich nach einer Viertelstunde weiter zu ihrem Jeep, den sie in einer Bodenwelle versteckt hatten.
In wilden Schlangenlinien kurvte dieser Jeep dann zurück zur Küstenstraße und verschwand in der Dunkelheit. Dort aber, wo er eben noch gewesen war, erhob sich jetzt ein gewisser Butler Parker, der mit dem Erfolg seiner Bemühungen durchaus zufrieden war.
Natürlich war er nicht zusammen mit Lady Simpson weggefahren. Die ältere Dame hatte den Wagen übernommen und war davongerumpelt. Josuah Parker war am Tatort zurückgeblieben, denn er hatte damit gerechnet, daß die beiden Maskierten sich um den Toten kümmerten.
Parkers Spezialwaffen hatten sich wieder mal voll bewährt.
Mit der Zwille oder Gabelschleuder hatte er seine berüchtigten Tonmurmeln verschossen. Und mit seinem Universal-Regenschirm waren die »Giftpfeile« durch die Dunkelheit gelenkt worden, angetrieben von komprimiertem Kohlensäuregas. Lautlosere Waffen konnte man sich nicht vorstellen.
Das Gift, mit dem die Spitzen der beiden Pfeile bestrichen waren, hinterließ natürlich keine gesundheitlichen Schäden. Es rief nur eine nachhaltige Übelkeit hervor. Parker hatte sich da von einem anerkannten Fachmann und Chemiker beraten lassen.
Er kannte jetzt das Kennzeichen des Jeeps und hatte sich die Gesichter der beiden Männer eingeprägt. Er war sicher, daß die beiden Männer ihm bald über den Weg laufen würden. Ja, er wußte möglicherweise schon, wo er sie fand. Der Jeep war nämlich kein Privatwagen, sondern gehörte zum Wagenpark eines großen Schwerlast-Fuhrunternehmens, wie die Aufschrift am Heck besagte.
Butler Parker schritt gemessen hinüber zur Küstenstraße und wartete geduldig auf die Rückkehr der Lady Simpson. Es war ausgemacht, daß sie ihn hier aufpickte, und falls nichts dazwischen gekommen war, mußte sie bald erscheinen.
Der Butler spielte gerade mit dem Gedanken, sich eine seiner Zigarren anzuzünden, als er plötzlich einen grellen Lichtschein sah, der die nächtliche Dunkelheit aufriß. Während eine Feuersäule zum Himmel stieg, war das dumpfe Grollen einer Detonation zu hören.
Natürlich dachte Parker sofort an Lady Simpson.
Hoffentlich führte sie nicht wieder einen Privatkrieg auf eigene Faust. Sie liebte solche Extravaganzen und ließ sich leicht provozieren. Parker hatte nach Myladys Temperamentsausbrüchen immer alle Hände voll zu tun, um die streitbare Dame wieder zu beruhigen.
Hier schien es sich allerdings nicht nur um einen mittelschweren Temperamentsausbruch zu handeln, denn der Feuerschein am nächtlichen Himmel weitete sich aus und eine zweite Detonation war zu hören.
Parker war in echter Sorge.
Auf was mochte Lady Simpson sich wieder mal eingelassen haben? Er setzte sich umgehend in Bewegung und legte ein forsches Tempo vor, das mit seiner sonstigen Gemessenheit aber auch gar nichts mehr zu tun hatte.
Er sah wenig später Autoscheinwerfer, die sich ihm näherten. Genau in diesem Moment atmete der Butler befreit auf. Aus dem Tempo des Wagens und dem ruckartigen Kurven auf der Straße ließ sich mit letzter Sicherheit schließen, daß Agatha Simpson diesen Wagen steuerte. Ihr Kamikaze-Stil war unverkennbar.
Parker hatte also keine Bedenken, sich dem Scheinwerferlicht zu präsentieren. Mit seinem altväterlich gebundenen Regenschirm winkte er dem Wagen entgegen.
Ja, sie war es!
Das Bremsmanöver war schon fast gewalttätig.
Parkers hochbeiniges Monstrum schleuderte fast quer über die Straße und hielt dann endlich vor dem gegenüberliegenden Graben.
»Hatten Mylady eine gute Fahrt, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, mich danach zu erkundigen?« Parker lüftete zu seinen Worten höflich die schwarze Melone.
»Ihr Wagen ist auch nicht mehr das, was er mal war«, erwiderte die resolute Dame am Steuer ungnädig.
»Kam es zu einem Unfall?« sorgte sich der Butler. Er ging davon aus, daß Lady Simpsons Bemerkung sich auf den momentanen Zustand des Wagens bezog.
»Lahm ist Ihr sogenannter Wunderwagen«, kritisierte die Detektivin. »Im zweiten Gang habe ich ihn nicht über hundertfünfzig bekommen.«
Parker schloß für Sekunden die Augen und dachte an die Ventile. Dann aber hatte er sich schon wieder unter Kontrolle.
»Vielleicht eine augenblickliche Unpäßlichkeit, Mylady«, entschuldigte er sein Auto. »Haben Sie möglicherweise die Feuersäule und die Detonation wahrgenommen?«
»Halten Sie mich für blind oder taub?« grollte sie prompt. »Natürlich hab’ ich das mitbekommen. Der Jeep ist in die Luft geflogen, und wenn mich nicht alles täuscht, auch die beiden Insassen!«
*
Jane Wells war früh auf den Beinen.
Sie saß in dem kleinen Frühstücksraum des Hotels und ließ sich von Norman Carty bedienen. Der rundliche Mann mit den schlauen Augen wußte inzwischen mehr über seinen Gast. Er hatte gewisse Verbindungen in London spielen lassen. Noch ließ Carty sich nichts anmerken. Er wirkte aber wie ein verfetteter Kater, der eine attraktive Maus belauert und mit ihr spielt.
Jane Wells sah in der Tat sehr gut aus an diesem Morgen. Zu den eng anliegenden Jeans trug sie eine frische Bluse. Das tizianrote Haar hatte sie sich mit einer grünen Schleife zusammengebunden. Sie war eine echte Augenweide.
»Wie sieht’s mit der kommenden Nacht aus?« erkundigte sie sich bei Norman Carty. »Kann ich das Zimmer noch mal benutzen?«
»Das stellt sich erst gegen Mittag heraus«, schwindelte der Hotelbesitzer, »aber bis dahin können Sie Ihr Gepäck dort lassen.«
»Was gibt es denn hier so für Abwechslungen?« wollte Jane Wells als nächstes wissen.
»Wonach suchen Sie denn?« Er sah sie schnell und abschätzend an und überlegte, ob er bereits zur Sache kommen durfte.
»Nach einem interessanten Job«, bekannte sie überraschend offen.
»Sie arbeiten doch für eine Zeitung«, meinte Carty.
»Seh’ ich so aus?« Sie sah ihn ein wenig kokett an.
»Keine Ahnung, ob Journalistinnen anders aussehen müssen«, sagte Carty.
»Ich bin keine Journalistin«, wiederholte sie noch mal. »Ich habe Ihnen was vorgeschwindelt.«
»Ich weiß.« Er hatte sich entschlossen, seinerseits eine Karte auf den Tisch zu legen.
»Sie wissen?« Jane Wells wunderte sich.
»Ich hab’ in London ’nen Freund und den hab’ ich angerufen«, erklärte Carty ausweichend.
»Ziehen Sie immer Erkundigungen über Ihre Gäste ein?«
»Nur in ganz besonderen Fällen.«
»Und solch einer bin ich?«
»Sie sehen verdammt gut aus, Miß Wells. Was meinen Sie dazu, wenn wir uns in meinem Büro unterhalten?«
Jane Wells sah den Hotelbesitzer kurz und prüfend an. Dann nickte sie und stand auf. Wenige Minuten später saßen sie sich in Cartys Büro gegenüber. Sie sah ihn abwartend an.
»Was Sie bisher getan haben, interessiert mich kaum«, schickte er voraus.
»Ich war Bardame in einem Privatclub«, antwortete sie sofort. »Offenheit gegen Offenheit! Der Laden heißt Club 88 und gehört einem Micha Lonski. Die Telefonnummer finden Sie im Verzeichnis.«
»Sie haben gekündigt?«
»Er war schneller und feuerte mich.«
»Darf man den Grund erfahren?« Norman Carty wußte längst, daß er sich nicht getäuscht hatte. Sein Blick hatte ihn nicht getrogen. Sie war genau das, was er brauchte.
»Er wollte etwas, das ich nicht wollte«, erklärte sie. »Reicht das?«
»Schon gut, schon gut.« Er hob abwehrend die Hände. »Ich mache Ihnen ein Angebot, Miß Wells.«
»Sagen Sie Jane zu mir!«
»In Ordnung, Jane. Also, Sie können die Bar hier im Hotel übernehmen. Ich bin sicher, daß dann mein Umsatz steigt.«
»An dem ich beteiligt sein werde, nicht wahr?«
»Darüber läßt sich reden. Sie bekommen ein anständiges Fixum und eine Umsatzbeteiligung. Wohnen werden Sie hier im Hotel. Nach der Polizeistunde leiten Sie den Privatclub, den ich heute eröffnen werde.«
»Sie sind ganz schön schnell.«
»Das muß man sein, wenn man hier in Panrose absahnen will.«
»Sie stammen nicht von hier?«
»Das Hotel habe ich gepachtet, als der Ölboom an der Küste begann. Bisher habe ich das nicht bereut. Sie sind also einverstanden?«
»Grundsätzlich ja, Mr. Wells.«
»Sie sehen Schwierigkeiten?«
»Sie kaufen meine Arbeitskraft, nicht mich!«
»In Ordnung, ich bin immer für Offenheit!«
»Wie setzt sich Ihr Publikum zusammen?« Jane war schon ganz bei der Sache.
»An ’nem normalen Kneipenbetrieb bin ich nicht interessiert. Hier verkehren Burschen, die dicke Brieftaschen haben. Und die sind nach der Sperrstunde wahrscheinlich noch dicker. Haben Sie Garderobe?«
»Die hat mir der Club gestellt.«
»Schön, dann komme auch ich dafür auf. Ich glaube, ich habe da noch ein paar Abendkleider.«
»Und woher stammen die, Mr. Carty?« Sie sah ihn lächelnd und wissend an.
»Von meiner Freundin, die vor ein paar Wochen verduftet ist. Sie sollte hier auch einen Privatclub aufziehen, doch dann bekam sie ’nen besseren Job in Ellon. Ich hab’ sie nicht unnötig aufgehalten.«
»Klingt fair«, meinte Jane Wells, »ich glaube, daß wir uns vertragen werden.«
»Steht Ihr Wagen wirklich ein paar Meilen von Panrose auf der Straße?«
»Ich bin per Anhalter gekommen«, antwortete die Tizianrote lächelnd. »Ich sag’s Ihnen lieber, bevor Sie sich unnötig erkundigen.«
»Dann wäre ja alles geregelt. Kommen Sie mit rauf in meine Wohnung, ich werde Ihnen die Kleidung zeigen!«
Sie ging wie selbstverständlich mit. Norman Carty freute sich schon jetzt auf die Modenschau, die sie notgedrungen vor seinen prüfenden Augen veranstalten mußte. Er wollte dabei voll auf seine Kosten kommen …
*
»Nun setzen Sie sich endlich«, fauchte Agatha Simpson ihren Butler gereizt an. »Ich habe keine Lust, über die Schulter mit Ihnen zu sprechen.«
Die streitbare Dame hatte die kleine Hotelterrasse betreten und wartete auf das Frühstück. Von dieser Terrasse aus hatte man einen wundervollen Blick auf den kleinen Fischerhafen, der allerdings keine friedliche Idylle mehr bot wie noch vor ein paar Monaten. In dem Naturhafen drängten sich die Zubringerboote für die Bohrinseln draußen auf See. Die Hektik dort unkten zeigte deutlich, wie sehr dieser Landstrich sich verändert hatte.
Neben der alten kleinen Fischfabrik stapelten sich die Materialien für eine Unterwasser-Pipeline. Kräne verluden die Stahlrohre auf Trawler und beherrschten das Bild. Die Fischkutter gingen in dem herrschenden Gewimmel fast unter.
Parker hatte sich, wie es ihm als Butler zustand, seitlich hinter seiner Herrin aufgebaut. Von dem nächtlichen Abenteuer war ihm nichts mehr anzumerken. Er trug seinen schwarzen Zweireiher, die diskret gestreifte schwarze Hose, den Eckkragen und den dazu passenden schwarzen Binder. Er war ein Butler, wie ihn ein Gesellschaftsfilm bester englischer Tradition nicht typischer hätte vorstellen können.
Nachdem Lady Simpson ihrem Unmut Ausdruck verliehen hatte, baute Parker sich vor dem Tisch auf und sah höflich auf seine Herrin hinunter, die ebenfalls frisch und unternehmungslustig wirkte. Sie trug ihr übliches ausgebeultes Chanel-Kostüm und lehnte sich erwartungsvoll zurück, als das Frühstück gebracht wurde. Die Sechzigjährige sah wohlgefällig auf die Eier mit Speck, auf die beiden gegrillten Würstchen, auf die Toastscheiben und vor allen Dingen auf den doppelten Cognac, mit dem sie ihren Kreislauf in Schwung zu bringen gedachte.
»Setzen Sie sich endlich«, sagte sie, »und kommen Sie zur Sache!«
»Ihrer Aufforderung, Mylady, werde ich nur unter Protest nachkommen«, schickte der Butler voraus.
»Ich nehme Ihren Protest zur Kenntnis. Aber setzen Sie sich, sonst stehe ich auf.«
Steif und ungemein korrekt nahm Josuah Parker auf der vorderen Stuhlkante Platz und schaute dabei zur Straße hinüber. Ihm war die Ankunft eines kleinen Lieferwagens nicht entgangen! Dieses Fahrzeug mit geschlossenen Kastenaufbau parkte genau gegenüber der Terrasse. Die Entfernung zum Wagen betrug etwa dreißig Meter.
Mylady und ihr Butler wohnten im »Einhorn«, einem kleinen Strandhotel. Sie waren erst vor knapp einer Stunde hier in Panrose angekommen. Den Rest der vergangenen Nacht hatten sie in Peterhead verbracht und auch von dort aus die Polizei verständigt. Mylady und ihr Butler wollten ihre Anonymität so lange wie möglich auch den Behörden gegenüber wahren. Agatha Simpson kostete von ihrem Kreislaufbeschleuniger und blickte zurückhaltend. Der Cognac war nicht gerade Spitzenklasse, aber er ließ sich trinken.
»Ich warte auf Ihre Zusammenfassung«, fuhr die streitbare Dame fort. »Zieren Sie sich nicht unnötig, Mr. Parker!«
»Sehr wohl, Mylady.« Parker räusperte sich. »Die Verbringung des Hotelschiffes hierher nach Panrose wird nach den jüngsten Auskünften etwa zwei Wochen in Anspruch nehmen. Die Hotelkabinen bedürfen noch einer Überholung.«
Lady Simpson war nur für Sekundenbruchteile irritiert, dann aber hatte sie begriffen. Parker schien zu befürchten, daß man sie abhörte. Er mußte irgendeine Entdeckung in dieser Richtung gemacht haben.
»In anderthalb Wochen ist die ›Eleusis‹ hier«, entschied sie also geistesgegenwärtig, »rufen Sie sofort Portsmouth an, Mr. Parker!«
»Sehr wohl, Mylady.« Parker zeigte kein Erstaunen über die Reaktion seiner Herrin. Er wußte aus Erfahrung, wie schnell sie sich auf neue Situationen einzustellen vermochte. Das machte die Zusammenarbeit mit ihr immer wieder so erfreulich.
»Rufen Sie an«, raunzte sie, »ich möchte wissen, woran ich bin.«
Parker erhob sich, deutete eine knappe Verbeugung an und verließ die Terrasse. Lady Simpson hütete sich, ihre nähere Umgebung mit neugierigen Blicken zu erforschen. Sie widmete sich den Speckeiern und trank Tee. Sie nahm sich Zeit und wartete darauf, daß ihr Butler in Aktion trat.
*
Der alte Mann saß auf einem klapprigen Fahrrad und strampelte die Straße hinunter.
Er trug einen fleckigen Malerkittel und hatte eine Art Papierhelm auf dem Kopf, der ebenfalls mit Farbe bekleckert war. Auf der Nase des vielleicht fünfzig Jahre alten Mannes thronte eine altertümliche Nickelbrille. Unter der Nase befand sich ein grauer Schnauzbart.
Dieser Mann näherte sich dem parkenden Kastenlieferwagen. Ausgerechnet hier sprang ihm die Kette vom Rad, weshalb der Mann ein wenig das Gleichgewicht und auch die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Er stieß mit dem Vorderrad gegen den Wagen, fluchte ausgiebig, und stieg dann steifbeinig vom Sattel. Er lehnte seinen Drahtesel ungeniert gegen das fremde Fahrzeug und musterte umständlich die kleine Panne.
»Hau ab, Mann«, fauchte ihn der junge Mann an, der die hintere Wagentür spaltbreit geöffnet hatte, »verschramm mir bloß nicht den Wagen!«
»Grünschnabel«, antwortete der Maler verächtlich, »schlaf dich woanders aus.«
Der Schnauzbart stand günstig. Er konnte durch den schmalen Spalt in den Wagen sehen. Der Grünschnabel war nicht allein in dem Kastenaufbau. Noch zwei weitere Männer standen vor einem Gestell aus Metallschienen und hantierten mit seltsam aussehenden Gerätschaften.
»Feiert wohl ’ne Party, wie?« erkundigte sich der Schnauzbart anzüglich.
»Hau ab, bevor ich wütend werden.« Der junge Mann wollte die Tür zuziehen, als der Maler mit seinem Zeigefinger nach oben zum Wagendach zeigte.
»Was ist denn das?« fragte der Schnauzbart und erreichte damit, daß der junge Mann prompt dem ausgestreckten Zeigefinger folgte und nach oben sah.
Er bekam nicht mit, daß er einem raffinierten Ablenkungsmanöver zum Opfer fiel. Während der junge Mann nach oben sah, praktizierte der Maler blitzschnell eine runde Metallkapsel durch den Türspalt in den Wagen. Diese Kapsel war kaum größer als ein Ei, aber sie schien es in sich zu haben.
Die Tür schnappte zu.
Der Schnauzbärtige hatte bereits einen flachen Holzkeil in der rechten Hand und trieb ihn in den unteren Türspalt. Dann setzte er sich auf sein Fahrrad und rollte weiter die Straße hinunter. An der nächsten Ecke blieb er stehen und beobachtete den Wagen.
In ihm tat sich einiges.
Aus den oberen, schmälen Lüftungsschlitzen quoll plötzlich grauer Rauch. Fast gleichzeitig damit geriet der Lieferwagen in leichte Schwankungen. Die Insassen im Kastenaufbau schienen tatsächlich eine wilde Tanzparty zu veranstalten. Der Kastenaufbau geriet in immer heftiger werdende Schwingungen, worauf sich verständlicherweise die ersten neugierigen Zuschauer einfanden, die sich diese swingenden Bewegungen nicht recht zu erklären vermochten.
Zudem war jetzt im geschlossenen Aufbau ein Husten und Niesen zu hören. Fäuste trommelten von innen gegen die Tür, die aufgedrückt werden sollte. Doch da gab es einen kleinen Holzkeil, der sich diesen Absichten energisch widersetzte. Die Tür ließ sich nicht öffnen.
Die zurückhaltenden Zuschauer – immerhin handelte es sich um Briten – diskutierten diskret diese seltsame Erscheinung, hüteten sich jedoch, aufdringlich zu werden. In die privaten Dinge seiner Mitmenschen mischte man sich tunlichst nicht ein. Dann kam allerdings einer der distanzierten Beobachter auf den Gedanken, es könne sich vielleicht um einen Brand handeln. Er rief die Umstehenden zu einer spontanen Hilfsaktion auf und fand geneigte Ohren.
Einige Männer rissen und zerrten an der hinteren Wagentür, die sich jedoch nach wie vor nicht öffnen ließ. Man übersah den hinderlichen Holzkeil, der die Tür blockierte. Doch wo starke Kräfte sinnvoll walten, konnte der Holzkeil sich auf die Dauer nicht halten. Plötzlich wölbte die Tür sich vor und … sprang aus ihren Scharnieren.
Die hilfsbereiten Zuschauer wurden auf die Straße geschleudert und von drei jungen Männern angesprungen, die aus dem qualmenden Wagen hechteten. Sie weinten dicke Tränen, niesten ununterbrochen und waren nicht ganz bei der Sache.
Die Rauchwolke zog aus dem Wagen ab und hüllte die Zuschauer ein. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis auch sie aus der Fassung gerieten und aus lauter Sympathie mitweinten.
»Tränengas«, schluchzte der Passant, der an einen Brand gedacht hatte. Dem Mann war, wenn auch spät, ein Licht aufgegangen.
*
»Ganz passabel«, räumte Agatha Simpson widerwillig ein, als ihr Butler wieder neben ihr am Frühstückstisch auftauchte. »Hoffentlich hat das ganze Theater sich gelohnt.«
»Im Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens befanden sich Richtmikrofone, Tonbandgeräte und Filmkameras«, berichtete Parker gemessen. Er hatte sich rückverwandelt und erinnerte in nichts mehr an den schnauzbärtigen Maler, den er eben noch dargestellt hatte.
Josuah Parker beherrschte die Kunst der Maske bis zur Perfektion. Er brauchte nur wenige Hilfsmittel, um in einen völlig anderen Menschen hineinzuschlüpfen. Die Utensilien für diese Verwandlungskünste befanden sich in seinem privaten Koffer und sahen im Grund völlig unverdächtig aus. Selbst ein aufmerksamer Beobachter hätte sie kaum als Requisiten für Verwandlungskünste identifizieren können.
»Wir werden also beobachtet«, stellte Agatha Simpson fest. »Finden Sie das nicht recht eigenartig?«
»In der Tat, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Die beiden maskierten Männer der vergangenen Nacht sind unter Umständen auf Mylady und meine bescheidene Wenigkeit aufmerksam geworden!«
»Aber die sind inzwischen tot!«
»Darauf wollte ich mir gerade erlauben zu verweisen, Mylady.«
»Wer ist also hinter uns her, Mr. Parker? Ich erwarte eine plausible Erklärung von Ihnen.«
»Es bieten sich da einige Möglichkeiten an, Mylady.«
»Geht es, daß ich sie heute noch erfahre?« Agatha Simpson sah Parker wieder mal grimmig an.
»Die beiden Verblichenen könnten noch vor ihrem Hinscheiden eine Nachricht per Funk abgesetzt haben, Mylady.«
»Das ist erst eine Möglichkeit, Mr. Parker.« Sie sah ihn streng an.
»Die beiden Verblichenen sind unter Umständen nicht allein gewesen. Sie könnten Helfershelfer an der Steilküste gehabt haben, die von Myladys Existenz wissen.«
»Das war eine zweite Möglichkeit.«
»Meine dritte Version, Mylady, besagt, daß es vielleicht mit einer völlig anderen, möglicherweise konkurrierenden Gruppe zu tun hat.«
»Wie kommen Sie denn darauf, Mr. Parker?«
»Mylady werden sich daran erinnern, daß der Jeep mit den beiden Maskierten offensichtlich in die Luft gesprengt wurde. Das läßt auf Gegner oder Konkurrenten schließen.«
»Natürlich, was dachten Sie denn?« Lady Simpson tat so, als sei ihr das alles längst klargewesen.
»Diese Konkurrenten möchten nun in Erfahrung bringen, welche Rolle Mylady in diesem Spiel zu spielen gedenkt.«
»Um uns dann ebenfalls in die Luft zu jagen, nicht wahr?« Agatha Simpson zeigte keineswegs Angst. Genau das Gegenteil war der Fall. Die ältere Dame machte einen sehr animierten Eindruck. Die Aussicht auf weitere Zwischenfälle gefiel ihr.
»Mit einem Mordanschlag ist jederzeit zu rechnen, Mylady«, räumte der Butler ein.
»Wie mag man den Jeep hochgesprengt haben?« sinnierte Lady Agatha.
»Auf dem Umweg über einen Rüttelzünder«, antwortete Parker. »Es könnte sich aber auch um eine Funkzündung gehandelt haben.«
»Rüttelzünder?«
»Ein Spezialzünder, der erst nach einem gewissen Quantum an Stoß- und Rüttelbewegungen spricht, Mylady. Er wird in bestimmten Kreisen besonders gern an Fahrzeugen angebracht.«
»Sie glauben also an zwei konkurrierende Gruppen, Mr. Parker?«
»Man sollte das vielleicht als Arbeitshypothese unterstellen, Mylady.«
»Und um welchen Knochen streitet mach sich? Geht es wieder um Öl oder Erdgas?«
»Ich möchte mir die Kühnheit nehmen, dem zu widersprechen.«
»Woran also glauben Sie?«
»Nach Lage der bisher bekannten Dinge, Mylady, soll ein bestimmter Küstenstreifen tabuisiert werden.«
»Hoffentlich können Sie sich auch deutlicher ausdrücken, Mr. Parker. Ich bestehe sogar darauf! Sie haben es mit einer konservativen Frau zu tun, die diesen modernen Schnickschnack an Redensarten nicht schätzt.«
»Die hiesige Bevölkerung, Mylady, ist abergläubisch«, schickte der Butler voraus. »Fischer, die hier vorwiegend ansässig sind, erzählen schon seit Generationen von Seejungfrauen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, Fischer zu verwirren und dann zu sich in die Tiefe der See zu ziehen.«
»Albernes Zeug, Mr. Parker.«
»Natürlich gibt es diese Seejungfrauen nur im Märchen, Mylady«, bestätigte der Butler gemessen, »aber irgendwelchen Kreisen ist daran gelegen, diese alten Märchen wieder zu beleben. Seejungfrauen scheinen tatsächlich beobachtet worden zu sein. Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Tod der beiden Männer Haley und Ward verweisen, die besagte Märchengeschöpfe beobachteten und sogar fangen wollten.«
»Und warum soll dieser Küstenstreifen nun gemieden werden?«
»Weil man meiner bescheidenen Ansicht nach hier Dinge landen möchte, die man kaum als regulär bezeichnen dürfte.«
»Also Schmuggel!?« Lady Simpson sah ihren Butler triumphierend an.
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, pflichtete Parker der Lady bei, »es dürfte um Schmuggel gehen.«
»Und deswegen dieser tödliche Aufwand? In der vergangenen Nacht stürzte ein drittes Opfer in die Klippen. Und dann sollten Sie an die beiden Maskierten im Jeep denken, Mr. Parker! Fünf Tote, und wir wissen noch nicht mal genau, ob das wirklich alle Opfer sind.«
»Daraus folgert, wie Mylady bereits andeutete, daß es um mehr gehen muß als nur um ordinären Schmuggel.«
»Habe ich das wirklich gesagt?« staunte die Detektivin und nickte nachdrücklich mit dem Kopf. »Natürlich – jetzt erinnere ich mich. Nein, es geht um mehr als um normalen Schmuggel! Mit Sicherheit! Um was geht es denn?«
»Der Aufwand läßt darauf schließen, daß sehr hohe Summen auf dem Spiel stehen.«
»Drücken. Sie sich gefälligst nicht um den Hauptpunkt herum!« Ihre Augen funkelten den Butler gereizt an.
»Große Summe stehen immer dann auf dem Spiel, Mylady, wenn es um Rauschgift geht.«
»Wie ich’s mir doch gedacht habe!«
Agatha Simpson ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken und tat so, als habe sie wirklich an diese Möglichkeit gedacht.
»Nur, solch eine Konterbande bedeutet fast automatisch Mord«, führte der Butler weiter aus. »Ich möchte diskret andeuten, daß Mylady noch mit gefährlichen Zwischenfällen rechnen sollte.«
»Das möchte ich aber auch sehr hoffen«, antwortete Parkers Herrin. »Zur Erholung bin ich schließlich nicht hierher nach Schottland gefahren. Übrigens sehen Sie doch, Mr. Parker, der Lieferwagen fährt los. Ich frage mich, warum Sie ihn nicht schrottreif gemacht haben. Wenn man etwas tut, soll man es immer ganz tun. Nehmen Sie endlich mal den Rat einer erfahrenen Frau an!«
*
Die junge Dame mit dem tizianroten Haar hatte sich Norman Cartys Morris ausgeliehen und sah sich vom Wagen aus die kleine Fischerstadt an. Sie blieb etwa eine halbe Stunde lang am Hafen und fuhr anschließend auf das Hochplateau, wo die Raffinerie und die Öltanks gebaut wurden.
Es handelte sich um eine geradezu gigantische Baustelle. Die Konturen der geplanten Anlagen waren bereits recht gut zu erkennen. Zwei der insgesamt acht riesigen Öltanks wuchsen bereits aus dem Boden. Hohe Erdwälle trennten die Tanks voneinander.
Die Integrieranlage war zu einem guten Drittel bereits fertig.
Auf den beiden Baustellen herrschte ein Gewimmel, das für den Laien chaotisch wirkte. Schwere Baumaschinen und Kräne waren in ununterbrochener Bewegung. Die einstmals ruhige Heidelandschaft veränderte radikal ihr Gesicht.
Die Wohnbaracken der Arbeiter standen in einer windgeschützten Bodensenke. Es handelte sich um eine kleine Stadt, die eingezäunt war. Es gab eine Art Privatpolizei, die diese Baracken, aber auch die Baustellen bewachte. Diese Männer kurvten in Jeeps herum und erschienen überall dort, wo man sie nicht erwartete.
Jane Wells sah das alles von der Küstenstraße aus und fuhr dann weiter in Richtung Norden. Nach einer halben Stunde befand sie sich genau an jener Stelle, wo die Seejungfrauen gesehen worden waren. Jane Wells schien von diesen Dingen aber nicht die Spur zu wissen. Sie nahm ein Badetuch aus dem Wagen und stieg dann über den schmalen Pfad hinunter zum Strandstreifen.
Buddy Fragers Leiche war von der anonym verständigten Polizei bereits am frühen Morgen abgeholt worden. Der Strandstreifen lag wieder einsam und verlassen. Hier schien sich nie eine schreckliche Tragödie abgespielt zu haben.
Jane Wells suchte einen geeigneten Platz, breitete dort das Badetuch aus und streifte sich ungeniert ihre Jeans ab. Sie konnte wirklich davon ausgehen, daß sie hier nicht beobachtet wurde. Einen abgelegeneren Küstenstreifen hätte man sich kaum vorstellen können.
Den engen Jeans folgte die leichte Bluse.
Jane Wells, nur noch mit knappem Slip und BH bekleidet, legte sich bäuchlings auf die Decke, räkelte sich zurecht und ließ sich von der warmen Morgensonne bescheinen. Es herrschte sehr gutes Wetter. Die See war ruhig und donnerte nicht wie üblich gegen die Klippen.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis die junge Frau sich wieder aufrichtete.
Nach einem prüfenden Blick in die Runde löste sie nun auch noch den BH. Argloser konnte kaum ein Mensch sein. Sie fühlte sich hier unten offensichtlich vollkommen sicher. Sie lag dann auf dem Rücken und war die reinste Augenweide.
Jane schien eingeschlafen zu sein, denn sie reagierte nicht, als ein paar kleine Steine über den steilen Pfad nach unten kullerten. Weich und entspannt lag sie dort auf dem glatten Felsen und badete in der Sonne. Erst als jemand sich räusperte, fuhr sie hoch und richtete sich auf.
Der Mann war vielleicht fünfunddreißig Jahre alt, eins achtundsiebzig groß und schlank. Er trug einen Jeansanzug. Sein Gesicht war gut geschnitten. Die Augen spiegelten allerdings eine gewisse Kälte.
»Sie müssen gute Nerven haben«, sagte der Mann und sah auf Jane Wells hinunter.
»Ich glaube schon«, erwiderte die Tizianrote und griff lässig nach ihrer Bluse. Der Blick des Mannes machte ihr nichts aus. Sie legte sich die Bluse nur locker über die Schulter und kreuzte die Arme.
»Wissen Sie nicht, was hier alles passiert ist?« forschte der Mann.
Er ließ sich mit gekreuzten Beinen vor Jane nieder.
»Sie werden es mir gleich sagen.«
Jane Wells sah gelangweilt an ihm vorbei hinaus auf die See.
»Hier sollen sich angeblich Seejungfrauen herumtreiben.«
»Wie schön«, meinte Jane Wells desinteressiert.
»Hier sind bisher drei Männer umgekommen!«
»Und die wurden natürlich von Ihren Seejungfrauen ertränkt, nicht wahr?« Jane Wells lächelte flüchtig. Sie schien dem Mann nicht ein einziges Wort zu glauben.
»Sie brachen sich das Genick«, redete der Mann weiter, »die Polizei steht vor einem Rätsel.«
»Was wollen Sie eigentlich?« erkundigte sich Jane Wells etwas energischer.
»Sie warnen, Madam«, erwiderte der Mann eindringlich, »hier an der Küste ist es nicht ganz geheuer.«
»Also gut, ich werde gleich schreien«, versprach sie ihm ironisch. »Sind Sie jetzt zufrieden?«
Sie hatte den Satz kaum beendet, als dicht neben ihr zwei recht ansehnliche Steintrümmer aufklatschten und auseinander spritzten Für den Bruchteil einer Sekunde blieb Jane Wells wie angewurzelt sitzen, doch dann sprang sie auf und landete wahrscheinlich gegen ihren Willen an der breiten Brust des Mannes.
»Hallo«, sagte er sehr ruhig, »also doch Nerven?«
»Scheren Sie sich zum Teufel«, fuhr Jane Wells ihn an und drückte sich von seiner breiten Brust ab. »Man wird ja wohl noch erschrecken dürfen, oder?«
Sie fuhr erneut zusammen, als weitere Steinbrocken unten auf den Strandstreifen fielen. Doch diesmal landete sie nicht an der Brust des Mannes. Sie drehte ihm den nackten Rücken zu und sah hinauf in die Klippen.
»Da oben muß doch einer rumturnen«, sagte sie nachdenklich, »warum macht er sich nicht bemerkbar?«
»Vielleicht sind’s die Seejungfrauen«, antwortete der Mann.
»Unsinn«, sagte Jane und wandte sich ihm wieder zu. »Da will uns jemand erschrecken.«
»Ich denke, wir sollten rauf zur Straße gehen«, schlug er vor. Sein Gesicht war gespannt, die Augen wirkten noch kühler. Unmittelbar danach riß er die junge Frau an sich und warf sich mit ihr hinter einen Felsklotz.
Bevor Jane Wells protestieren konnte, prasselten um sie herum faustgroße Steinbrocken. Eine Lawine schien sich oben am Rand der Klippen gelöst zu haben.
»Das ist kein Zufall«, sagte Jane Wells.
»Der Weg nach oben dürfte für uns gesperrt sein«, antwortete er nachdenklich.
»Deshalb können Sie trotzdem Ihre Hand von meiner Brust nehmen«, gab Jane Wells zurück. Ihre Stimme klang schon wieder fest und sicher.
»’Entschuldigung«, sagte er lächelnd, »können Sie schwimmen? Ich schlage vor, wir setzen uns durch die Brandung ab.«
Sie hatten keine andere Möglichkeit.
Immer wieder landeten Steinbrocken auf dem Sandstreifen und platzten hier splitternd auseinander. Es war ganz eindeutig, daß oben in den Klippen Menschen waren, die wohl selbst vor einem weiteren Mord nicht zurückschreckten.
Eine Minute später hetzten Jane und ihr Begleiter zum nahen Wasser hinunter und warfen sich in die Brandung. Dabei zeigte sich, daß Jane Wells eine ausgezeichnete Schwimmerin war.
Sie war derart schnell, daß der Mann ihr kaum zu folgen vermochte.
Immer dann, wenn er sie fast erreicht hatte, tauchte sie geschickt weg und verschwand vor seinen Augen. Schließlich gab der Mann es auf, sie erreichen zu wollen. Hatte er eingesehen, daß er gegen ihre Schnelligkeit keine Chance hatte?
Nein, er schien sie nur täuschen zu wollen, schwamm jetzt wesentlich langsamer und legte sich auf den Rücken. Er mußte einen Wadenkrampf im linken Bein haben. Jane Wells, die ihn immer wieder mißtrauisch beobachtet hatte, schwamm vorsichtig näher heran.
»Krampf?« fragte sie prustend.
»Gleich vorüber«, rief er zurück, »schwimmen Sie schon mal weiter, Miß!«
»Ich werde warten«, gab sie laut zurück. »Sie können sich ja …«
Sie beendete ihren Satz nicht, denn der Mann sackte plötzlich ab und verschwand unter der Wasseroberfläche. Jane Wells kraulte näher auf ihn zu … spürte plötzlich eine jäh und fest zupackende Hand an ihrem rechten Fußknöchel.
Sie wollte sich losreißen, doch die Hand war wie eine Stahlklammer. Jane Wells schnappte verzweifelt nach Luft und ließ sich erst mal unter Wasser ziehen. Dann aber ging sie sofort zum Gegenangriff über und attackierte den Mann. Sie geriet nicht gerade in Panik, aber sie wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Mann hatte sie überlistet. Vielleicht wollte er sie jetzt noch umbringen?
Die Luft in ihren Lungen wurde schnell knapp.
Verzweifelter und wütender wurden ihre Abwehrbewegungen. Sie sah den Mann dicht vor sich. Seine Augen waren weit geöffnet und spiegelten Angst wider. Wußte der Mann wirklich nicht, was er tat? War er von der Panik eines Ertrinkenden erfaßt worden? Oder war das alles nur geschicktes Theater?
Jane Wells wurde immer tiefer gezogen.
Sie hatte keine Luft mehr, bäumte sich noch mal verzweifelt auf und schluckte Wasser. Sekunden später verlor sie das Bewußtsein.
*
Die drei jungen Männer hießen Steven, Hale und Brian.
Sie hatten stark gerötete und immer noch tränende Augen. Auch sonst glichen sie sich ungemein. Sie waren alle mittelgroß, schlank und sportlich durchtrainiert, trugen wadenhohe Stiefel, Jeanshosen und über ihren Hemden schwarze Lederjacken. Sie hatten sich ihrer Umgebung angepaßt. Ihre Kleidung entsprach dem Stil, den die Männer hier an der Küste bevorzugten.
Sie saßen diesmal nicht in dem Kastenlieferwagen, sondern hatten es sich in einem Ford bequem gemacht. Steven am Steuer beobachtete durchs Fernglas das kleine Fischerstädtchen.
»Sie kommen jetzt rauf«, meldete er nach einer Weile, »in etwa ’ner Viertelstunde müßten sie hier sein.«
»Die sind doch uninteressant«, meinte Hale desinteressiert, »aber ich möchte wissen, wer uns die Tränengasbombe in den Wagen geschmissen hat.«
»Wenn ich den erwische, kann er was erleben«, sinnierte Brian halblaut und wischte sich einige verspätete Tränen aus den Augen. »Wer mag der Alte nur gewesen sein?«
»Das wird uns die komische Alte sagen«, hoffte Steven grimmig. Seine Stimme klang verschnupft, was eindeutig mit dem Tränengas zusammenhing.
»Glaubst du, daß der Alte mit ihr zusammenarbeitet?«
»Ist das nicht klar?« wunderte sich Steven. »Ich wette, daß sie unsere Konkurrenz leitet.«
»Weiß man inzwischen nicht, wer sie ist?« erkundigte sich Brian, während er neue Tränen von den Backen wischte.
»Das läßt der Boß gerade feststellen«, gab Steven zurück, der als eine Art Vormann fungierte.
»Und was haltet ihr von dem angeblichen Butler?« warf Hale ein.
»Den hält die alte Fregatte sich sicher zur Tarnung«, mutmaßte Steven.
»Ich weiß nicht.« Brian schüttelte skeptisch den Köpf. »Denk mal an die Nacht zurück, als wir die beiden Maskierten in die Luft jagten.«
»Er hat mit der komischen Alten in den Klippen gelegen«, stellte Hale fest, »und die Sache mit der Leuchtpistole war nicht gerade stümperhaft inszeniert.«
»Die beiden Typen werden uns bald was erzählen«, hoffte Steven freudig, »und dann ist Brandon an der Reihe. Der Boß meint, daß wir die Konkurrenz in den nächsten Tagen an die Wand fetzen können. Dann haben wir freie Bahn.«
»Mir geht der Schnauzbart nicht aus dem Kopf.« Brian, der unter den Nachwirkungen der Tränengasbombe am meisten litt, dachte immer wieder an den Überlieferungsstück
»Sobald wir ihn haben, kannst du dich privat mit ihm unterhalten«, versprach Steven und grinste. »Den Holzkeil unter der Tür werd’ ich ihm auch nicht vergessen.«
»Wo ist der Museumskarren jetzt?« erkundigte sich Hale.
Steven nahm wieder das Fernglas hoch und beobachtete das hochbeinige Monstrum, das langsam die Serpentinen heraufkeuchte. Bemerkenswert waren die dunklen Rauchwolken, die dem Auspuff des Wagens entquollen. Das Fahrzeug der komischen Alten, wie sie Lady Simpson respektlos nannten, schien sich mit letzter Kraft auf das Plateau zu kämpfen. Der Wagen hatte eindeutig Asthma.
»Also, noch mal der Reihe nach«, schärfte Steven seinen Begleitern ein, »in zehn Minuten ist es soweit. Wir setzen uns vor den alten Karren und werfen dann auf freier Strecke die Krähenfüße. Ohne ’ne doppelte Panne werden sie nicht davonkommen. Anschließend kassieren wir die beiden Typen und schaffen sie weg.«
Brian fühlte sich angesprochen. Er saß neben Steven auf dem Beifahrersitz und hob den Deckel eines Schuhkartons hoch. Fast liebevoll glitten seine Fingerspitzen über die Krähenfüße.
Es handelte sich um stachelige Gebilde, die aus miteinander verschweißten Stahlnägeln bestanden. Gleichgültig, wie sie auch auf dem Boden landeten, zwei dieser reifenfeindlichen Nägel standen immer so hoch, daß sie sich mit letzter Sicherheit in einen Pneu bohren mußten. Diese Stachelgebilde waren in schwarzen Lack getaucht worden und auf der asphaltierten Straße kaum zu sehen.
»Und bringt sie nicht gleich um«, mahnte Steven die beiden anderen Männer, »erst sollen sie mal singen. Später können sich dann die Seejungfrauen mit ihnen befassen.«
Das hochbeinige Monstrum, auf das die drei Männer es abgesehen hatten, war jetzt schon mit bloßem Auge zu erkennen. Es schnaufte auf die Küstenstraße und nahm dann etwas mehr Fahrt auf.
Der Ford rollte bereits los.
Steven beobachtete die Straße und wartete darauf, die Krähenfüße abladen zu können. Für ihn war die Sache schon gelaufen. Sie waren schließlich Profis, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hatten.
*
»Es sind diese drei Flegel aus dem Lieferwagen«, stellte Lady Simpson währenddessen fest. Sie saß im Fond des hochbeinigen Wagens und beobachtete den Ford durch ein Fernglas.
»Mit solch einer Kontaktaufnahme war zu rechnen, Mylady.«
»Dann rammen Sie diese Lümmel gefälligst!«
»Vielleicht würde das die Lage ein wenig komplizieren, Mylady«, antwortete der Butler gemessen. »In solch einem Fall wäre durchaus mit einem Schußwechsel zu rechnen.«
»Na, und?« Lady Simpson schnaufte animiert und nickte grimmig. »So ganz wehrlos sind wir schließlich nicht, oder?«
»Keineswegs, Mylady.«
»Worauf warten Sie dann noch?« Agatha Simpson wollte ihren Ärger haben. Sie brannte darauf, sich mit den drei jungen Männern anzulegen.
»Die Küstenstraße wird bald ein wenig kurvenreicher werden«, antwortete der Butler. »Die von Mylady erhofften Zwischenfälle werden sich mit Sicherheit ereignen.«
»Glauben Sie, daß man uns umbringen will?«
»Vorerst wohl nicht, Mylady. Man dürfte zuerst an Informationen interessiert sein.«
»Man will uns also kidnappen?« Angst war keineswegs in der Stimme der älteren Dame.
»In der Tat, Mylady. Und dazu muß man den Wagen stoppen. Daraus ergibt sich, daß man …«
»Was haben Sie denn, Mr. Parker?«
Agatha Simpson beugte sich etwas vor, als Parkers Hand plötzlich nach vorn zu dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett glitt und dort einen ganz bestimmten Kipphebel umlegte. Die resolute Dame kannte zwar nicht die Geheimnisse dieser Schalthebel, doch sie wußte aus Erfahrung, daß ihr Butler gerade einen bestimmten Effekt ausgelöst hatte.
»Mylady mögen meine vielleicht etwas abrupte Bewegung entschuldigen«, schickte der Butler gemessen voraus, »aber auf der Straße befinden sich sogenannte Krähenfüße. Man scheint die Absicht zu verfolgen, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit mittels diverser Reifenpannen zu stoppen.«
»Hoffentlich haben Sie ein Gegenmittel, Mr. Parker?«
»Ich war so frei, meine Straßenkehrmaschine en miniature in Bewegung zu setzen.«
Der Butler hatte keineswegs übertrieben.
Nach dem Umlegen des Kipphebels hatten sich starke Stahlbleche aus den Kotflügeln nach unten gesenkt, die jetzt die Reifen nachhaltig gegen Krähenfüße schützten, sie einfach zur Seite schoben und für freie Bahn sorgten. Auch diese nützliche Erfindung stammte von Josuah Parker.
Dennoch geriet das hochbeinige Monstrum ins Schleudern, doch das war von Parker provoziert worden. Er wollte den Eindruck erwecken, daß man auf die Krähenfüße hereingefallen war. Er wollte die drei Männer täuschen.
Effektvoll schlitterte Parkers Privatwagen über den Asphalt, um die Kurve herum und näherte sich bedenklich dem Straßengraben. Hier blieb das hochbeinige Monstrum ein wenig windschief stehen. Die beiden Insassen machten einen mitgenommenen Eindruck.
Die drei jungen Männer im Ford reagierten augenblicklich. Alles war nach Plan verlaufen. Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß die Reifen des eckigen Wagens noch völlig intakt waren. Der Ford jagte aus dem nahen Feldweg hervor und stand wenige Sekunden später neben Parkers Monstrum. Die drei jungen Männer fielen förmlich aus ihrem Wagen. Jetzt mußte alles schnell gehen, man stand schließlich auf einer Durchgangsstraße. Mit anderen Wagen war jederzeit zu rechnen.
Die drei Männer hielten zwar Schußwaffen in Händen, doch nach Lage der Dinge brauchten sie sie nicht. Butler Parker lag mit dem Oberkörper über dem Lenkrad, die ältere Dame im Fond schien sogar von den Polstern gerutscht zu sein. Eine leichtere Beute war nach Ansicht der drei jungen Männer gar nicht zu machen.
Sie sollten sich gehörig in die Finger schneiden …
Kaum hatten sie den Wagen erreicht, wollten sie ihn öffnen. Steven, der Vormann der drei jungen Männer, griff nach dem Türgriff und … fuhr Bruchteile von Sekunden später überrascht zurück.
Er konnte nichts mehr sehen!
Seinen beiden Begleitern erging es nicht anders. Auch ihre Augen waren plötzlich stark verklebt. Die drei Männer bekamen die Augen, die sie instinktiv geschlossen hatten, einfach nicht mehr auf. Die Lider waren nachhaltig verklebt.
Dieser Klebstoff war aus der Dachleiste des hochbeinigen Monstrums versprüht worden. Feinste Düsen darin hatten für eine gleichmäßige Verteilung gesorgt. Und es war Butler Parker gewesen, der für die Überraschung verantwortlich zeichnete.
Die drei jungen Kerle fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut, fuchtelten mit den Armen in der Luft herum, versuchten sich zu orientieren und rammten sich dabei gegenseitig. Sie hüteten sich instinktiv, von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen, denn sie fürchteten nicht zu unrecht, sich gegenseitig zu durchlöchern.
Butler Parker war inzwischen ausgestiegen und beendete den Schattentanz der drei jungen Männer. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms klopfte er höflich bei den drei Gangstern an. Ihre Hinterköpfe waren dieser Höflichkeit nicht gewachsen. Die drei Gangster gingen in die Knie, legten sich dann auf den Asphalt und wurden überwältigt von einem dringenden Schlafbedürfnis.
»Darf ich hoffen, Myladys Beifall zu finden?« erkundigte sich Parker und wandte sich zu seiner Herrin um.
»Ganz passabel«, erwiderte sie zurückhaltend, »manchmal sind Sie zu gebrauchen, Mr. Parker! Aber eben nur manchmal!«
*
Sie kam ohne Übergang wieder zu sich, öffnete die Augen und sah sich erstaunt um.
Jane Wells lag in einer Koje und war vollkommen nackt unter der Decke, die man über sie gelegt hatte. Sie befand sich in einer recht komfortabel eingerichteten Kabine, die zu einer Motoryacht gehörte. Sie hörte das Summen der Maschine, die auf volle Kraft lief. Das Vibrieren war in der Koje deutlich zu spüren.
Jane Wells schlug die Decke zurück und lief hinüber zum Bullauge. Sie hatte sich nicht getäuscht. Die Yacht, auf der sie sich befand, pflügte mit hoher Fahrt durch die See. Jane Wells wandte sich um und ging zur Tür. Sie merkte, daß sie noch schwach auf den Beinen war. Der Kampf mit dem ertrinkenden Mann hatte sie doch ziemlich mitgenommen.
Natürlich erinnerte sie sich an jede Einzelheit und fragte sich erneut, ob dieser Mann ihr nur etwas vorgemacht hatte, um sie außer Gefecht zu setzen. Die Tatsache, daß sie sich an Bord dieser Yacht befand, sprach für einen Trick des Mannes. Er schien sie auf raffinierte Art und Weise hereingelegt zu haben.
Die junge, attraktiv aussehende Frau mit dem tizianroten Haar wunderte sich überhaupt nicht, daß die Tür verschlossen war. Sie hatte sich so etwas schon gedacht. Jane Wells geriet darüber aber keineswegs in Panik, ging zurück zur Koje, setzte sich auf deren Rand und fragte sich, warum sie sich so dumpf und benommen fühlte. Sie hatte das Gefühl, daß irgendeine Droge in ihr abklang.
Nach wenigen Sekunden wußte sie, daß sie sich nicht getäuscht hatte. In der linken Armvene entdeckte sie einen feinen Einstich. Damit war alles klar. Nachdem man sie aus dem Wasser geborgen hatte, war sie gespritzt worden. Diejenigen also, die sie gerettet hatten, konnten keine normalen Wassersportler sein.
Die Kabinentür wurde aufgeschlossen.
Jane Wells langte nach der Decke und hüllte sich ein. Sie blieb jedoch sitzen und sah wenig später den Mann eintreten, mit dem sie im Wasser gekämpft hatte. Er sah frisch und munter aus und lächelte sie freundlich an.
»Alles wieder in Ordnung?« erkundigte er sich.
»Sie haben mich ganz schön hereingelegt«, erwiderte Jane.
»Hereingelegt?« Der Mann wollte nicht verstehen.
»Ihr Wadenkrampf war doch nur Masche«, redete Jane Wells weiter, »und der Steinschlag oben in den Klippen wahrscheinlich auch, oder? Sie wollten mich ins Wasser locken!«
»Sie können ganz gut kombinieren, Miß Wells.«
»Woher kennen Sie meinen Namen?« fragte die junge Frau erstaunt. »Ich bin sicher, daß ich keine Ausweise bei mir hatte.«
»Man will doch schließlich wissen, wen man vor dem Ertrinken gerettet hat«, meinte der Mann.
»Dann möchte ich wissen, wer mich gerettet hat«, antwortete Jane Wells.
»Perry Walker«, stellte der gut aussehende Mann sich prompt vor.
»Gehört die Yacht Ihnen?«
»Okay. Wir hatten Glück, daß wir in der Nähe der Yacht waren.«
»Die zufällig aufkreuzte, nicht wahr?« Sie sah ihn spöttisch an.
»Nicht zufällig«, widersprach Perry Walker, »ich hatte sie ja verlassen, um mir die Klippen anzusehen. Ich interessiere mich für Seejungfrauen.«
»Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll«, sagte Jane Wells vorsichtig. »War der Beinkrampf doch keine Masche?«
»Wieso sollte ich Ihnen was vorgemacht haben?« wunderte Perry Walker sich.
»Ich bin ein mißtrauisches Mädchen«, gab sie zurück, »ich weiß aus Erfahrung, daß ihr Männer euch immer wieder neue Tricks einfallen laßt.«
»Aus Erfahrung?« Er zündete sich eine Zigarette an und hielt ihr dann die Packung hin, doch sie schüttelte den Kopf.
»Aus Erfahrung«, wiederholte sie und nickte nachdrücklich. »Wann setzen Sie an Land?«
»Wir sind bereits auf dem Weg nach Peterhead«, sagte er. »Ich denke, daß wir in einer Viertelstunde einlaufen werden.«
»Wie lange war ich bewußtlos, Mr. Walker?«
»Vielleicht zehn Minuten. Sie hatten Glück, daß ein Arzt an Bord ist. Er hat Ihnen sofort eine Kreislaufspritze gegeben. Danach haben Sie hoffentlich tief und fest geschlafen.«
Er hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen und von sich aus von der Spritze gesprochen.
»Haben Sie zufällig auch eine Modistin an Bord?«
»Ich verstehe, Sie kommen sich etwas nackt vor, wie?« Er lächelte ohne jede Zweideutigkeit.
»Sie treffen den Nagel auf den Kopf.«
»Wir werden schon etwas für Sie finden, Miß Wells, keine Sorge! Darf ich fragen, ob Sie hier an der Küste Urlaub machen?«
»Ich arbeite«, sagte sie, »ich hab bei Mr. Carty einen Privatclub übernommen.«
»Norman Carty in Panrose?«
»Das ist er, Mr. Walker. Sie kennen ihn?«
»Nur ganz flüchtig. Sind Sie sicher, daß das der richtige Job für Sie ist?«
»Keine Ahnung, Mr. Walker. Dieser Küstenstrich scheint aber recht interessant zu sein.«
»Möglich, Miß Wells, wahrscheinlich sogar sicher, falls man auf das richtige Pferd setzt.«
»Das dürften Sie längst getan haben, Mr. Walker. Die Yacht hier kann nicht gerade billig gewesen sein.« Sie sah ihn kokett und auch ein wenig spöttisch und wissend an.
»Ich bin nur ein kleiner Makler«, antwortete er nicht weniger spöttisch. »Man schlägt sich so durch.«
Die Unterhaltung wurde zu Janes Leidwesen unterbrochen. Es klopfte an der Tür. Perry Walker entschuldigte sich bei der jungen Frau und öffnete spaltbreit. Jane sah einen jungen Mann, der Walker etwas zuflüsterte.
»Verdammt«, hörte Jane ihn dann wütend sagen, »wie ist denn das passiert? Ich komme sofort!«
»Ärger?« erkundigte sie sich, als Perry sich zu ihr umdrehte.
»Halb so schlimm«, meinte er wegwerfend, »läßt sich alles wieder hinbiegen. Bis gleich!«
Er verließ die Kabine und hatte es eilig. Er sah nicht mehr das leicht ironische Lächeln, das ihre Lippen umspielte.
*
Sie kamen sich sehr verschaukelt vor.
Die drei jungen Männer waren wieder bei sich und schlechter Stimmung. Sie hatten immer noch große Schwierigkeiten mit ihren verklebten Augenlidern und konnten nur schemenhaft etwas erkennen. Soviel aber wußten sie bereits. Sie saßen auf ihrem Wagen und schienen allein auf weiter Flur zu sein.
»Dieses alte Miststück«, beschwerte sich Steven und rieb vorsichtig seine Augen.
»Den Kerl mach’ ich noch fertig«, behauptete Hale ohne jeden Nachdruck.
»So ein verdammter Roßtäuscher«, ärgerte sich Brian. »Wer konnte denn ahnen, daß seine Karre spucken würde.«
»Wir werden verdammt viel Ärger bekommen«, prophezeite Steven. »Der Boß wird uns durch die Mangel drehen.«
»Ist dieser Butler wenigstens außer Sicht?« fragte Hale mißtrauisch.
»Keine Ahnung«, antwortete Steven. »Wenn man nur was sehen könnte.«
»Ich glaub’, ich bin gleich soweit«, hoffte Brian, der sich lange, klebrige Gummifäden von den Wimpern zog. »Moment mal, ja, ich kann was sehen!«
»Diesen Butler?« Steven richtete sich steil auf.
»Nee, nichts als Gegend, Steven.« Brian hatte es tatsächlich geschafft. Nachdem er sich eine Menge Wimpern ausgezogen hatte, konnte er endlich die Augen öffnen. Durch schmale Sehschlitze musterte er die nähere Umgebung und stöhnte dann betreten auf.
»Was ist denn los, Brian?« frage Hale nervös.
»Der Kerl muß uns weit irgendwo in der Heide abgesetzt haben. Ich sehe wirklich nichts als Gegend.«
»Dann setz dich ans Steuer und fahr los«, befahl Steven, »wir müssen nach Peterhead. Der Boß wird uns schon längst vermissen.«
Brian verließ seinen Platz auf dem Rücksitz des Ford und übernahm das Steuer, während Steven und Hale ihn zur Eile antrieben. Brian ließ den Motor an und lenkte den Ford dann durch unwegsames Gelände in Richtung Osten, wo er die Küstenstraße zu erreichen hoffte. Dabei sah er sich selbstverständlich wiederholt nach allen Seiten um. Er traute dem Frieden nicht und hatte das Gefühl, daß man ihn und seine beiden Freunde belauerte.
»Ich war ja gleich dafür, daß man die Alte und ihren Butler in die Luft jagte«, räsonierte Hale. »Bei den beiden Typen hat das doch prächtig geklappt.«
»Der Boß hat eben seine eigenen Vorstellungen«, antwortete Steven und versuchte es noch mal mit seinen verklebten Augen. »Und daß er richtig kalkuliert, hat sich ja erwiesen.«
»Die Alte und ihr Butler sind aber gefährlich«, beharrte Hale auf seinem Standpunkt. »Denkt doch nur mal an die Leuchtpistole!«
»Vielleicht stehen sie bald auf der Liste«, meinte Steven, »der Boß wird jetzt auch anders über sie denken.«
Brian fuhr langsam. Es dauerte seine Zeit, bis der Ford endlich festeren Boden unter den Reifen hatte. Und es dauerte noch mal gut fünfzehn Minuten, bis die Küstenstraße in Sicht kam.
»Geschafft«, sagte Brian erleichtert, »gleich kann ich aufdrehen.«
»Komisch eigentlich, daß der Butler uns so ohne weiteres abhauen läßt«, meinte Hale.
»Hab’ ich auch gerade dran gedacht«, schaltete Brian sich ein. »Warum läßt er uns abhauen?«
»Weil er rausfinden will, wohin wir fahren«, sagte Steven, »aber da hat der Kerl mit Zitronen gehandelt, Jungens. Den Gefallen tun wir ihm nicht. Wißt ihr was? Wir fahren zurück nach Panrose und tun so, als wär’ Brandon unser Mann!«
Sie kamen sich sehr gerissen vor, die drei jungen Männer. Sie wußten nicht, daß ein gewisser Josuah Parker noch wesentlich gerissener war. Sie kamen überhaupt nicht auf die Idee, daß dieser so schrecklich konservativ aussehende Mann sehr modern war und liebend gern mit elektronischen Geräten spielte.
*
Das hochbeinige Monstrum des Butlers stand versteckt hinter hohen Wacholdersträuchen und war nicht auszumachen.
Der Butler hatte Mylady eine kleine Erfrischung serviert. Sie hatte zwei Kreislaufbeschleuniger zu sich genommen und fühlte sich außerordentlich wohl. Dieses Wohlbefinden hing allerdings auch mit dem zusammen, was sie gerade gehört hatte.
Das Autoradio war eingeschaltet und durch Umlegen eines versteckten Kipphebels auf jene Wellenlänge gebracht worden, auf der die kleine »Wanze« im Ford der drei Gangster sendete. Agatha Simpson und ihr Butler hatten die Unterhaltung der drei jungen Männer Wort für Wort mitbekommen. Es hatte sich gelohnt, daß Josuah Parker dieses Miniatursendegerät im Ford zurückgelassen hatte.
»Damit dürfte ja alles klar sein«, meinte die ältere Dame. »Der Fall ist bereits gelöst, Mr. Parker. Ich hoffe nicht, daß Sie widersprechen werden.«
»Ich bitte um Vergebung, Mylady«, erwiderte der Butler. »Vielleicht ist der Fall nicht bis ins letzte Detail gelöst.«
»Kleinigkeiten interessieren mich nicht«, raunzte die Detektivin. »Warum sind Sie immer so schrecklich penibel, Mr. Parker?«
»Weil die Person jenes Mannes noch nicht bekannt ist, der von den drei jungen Gangstern mit dem Ausdruck ›Boß‹ tituliert wurde.«
»Dieses Subjekt zu finden, dürfte ja wohl nicht schwer sein, oder?«
»Möglicherweise vielleicht doch, Mylady«, sagte Parker vorsichtig, um Lady Simpson nicht unnötig zu reizen. »Auf der anderen Seite muß ich durchaus einräumen, daß dieses Gespräch ungemein informativ gewesen ist.«
»Fassen Sie mal zusammen, Mr. Parker«, sagte sie streng. »Ich möchte doch zu gern wissen, ob Sie die Zusammenhänge überhaupt begriffen haben.«
Das war wieder typisch Lady Simpson.
Da sie selbst ein wenig die Übersicht verloren hatte, vielleicht auch ein wenig unsicher war, ging sie zum Gegenangriff über und unterstellte ihrem Butler mangelndes Denkvermögen. Parker ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Er kannte Mylady nur zu gut.
»Die Unterhaltung der drei jungen Männer kommt im gewissen Sinn einem Geständnis gleich«, schickte er voraus, »es dürfte jetzt erwiesen sein, daß sie die beiden Maskierten im Jeep ermordet haben.«
»Natürlich«, sagte Lady Simpson grimmig, »deutlicher konnten diese Strolche es doch gar nicht zugeben.«
»Daraus folgert dann«, redete Parker weiter, »daß die drei jungen Männer in der bewußten Nacht ebenfalls draußen in den Klippen gewesen sind.
Sie haben die beiden Maskierten beschattet und dort die Sprengladung mit dem Rüttelzünder angebracht.«
»Und warum haben sie sich nicht mit uns befaßt, Mr. Parker?«
»Weil Mylady und meine bescheidene Wenigkeit noch Unbekannte in einer bestimmten Rechnung waren.«
»Was ich gerade sagen wollte!« Sie nickte grimmig und tat wieder mal so, als habe sie nie etwas anderes gedacht.
»Die beiden maskierten Männer, die später mit ihrem Jeep in die Luft gesprengt wurden, dürften tatsächlich Mitglieder eines Konkurrenzunternehmens sein«, faßte der Butler weiter zusammen. »Ihr möglicher Auftraggeber könnte vielleicht Willie Brandon sein, der Chef des Schwerlastunternehmens.«
»Könnte ist gut«, spottete Lady Simpson prompt. »Er ist es! Wie können Sie daran auch nur einen einzigen Moment lang zweifeln, Mr. Parker?«
»Die beiden Maskierten könnten auch auf eigene Rechnung gearbeitet haben, Mylady.«
»Papperlapapp, Mr. Parker. Sie komplizieren die Dinge immer so unnötig. Das gefällt mir gar nicht. Dabei ist doch alles so schrecklich einfach.«
»Wie Mylady meinen.« Parker ahnte schon, worauf seine Herrin hinaus wollte.
»Wir fahren sofort nach Panrose, nehmen uns diesen Mr. Brandon vor und setzen ihn etwas unter Druck, Mr. Parker. Dann wird er uns schon sagen, wie sein Konkurrent heißt. Einfacher geht es doch wirklich nicht! Muß ich denn immer alles allein machen?«
»Darf ich so frei sein, Mylady für Peterhead zu interessieren?« fragte Parker gemessen und höflich. »Die drei jungen Gangster werden früher oder später dort auftauchen, um sich bei ihrem sogenannten Boß zurückzumelden.«
»Das ist natürlich auch eine Möglichkeit«, räumte die Detektivin ein. »Das wollte ich gerade auch Vorschlägen. Unterlassen Sie dieses impertinente Grinsen, Mr. Parker! Glauben Sie, ich hätte das nicht mitbekommen?«
»Mylady müssen sich getäuscht haben«, widersprach Parker. »Vielleicht handelte es sich um einen Lichtreflex auf meinem Gesicht.«
»Ich verbitte mir solche Lichtreflexe«, grollte sie. »Warum fahren Sie nicht? Brauchen Sie noch eine schriftliche Einladung?«
Parker verzog keine Miene.
Er lüftete höflich seine schwarze Melone und ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen. Innerlich amüsierte er sich wieder mal.
*
Jane Wells stand an der Reling der Motoryacht und beobachtete das Einlaufen in den Fischerhafen Peterhead.
Auch hier drängten sich die Trawler und Zubringerboote für die Bohrinseln draußen auf See. Materialdepots waren angelegt worden, die idyllische Beschaulichkeit des alten Hafens war verschwunden. Überall machte sich die Neuzeit mit ihrer hektischen Betriebsamkeit breit.
Die Zollformalitäten wurden schnell erledigt.
Eine Hafenbarkasse näherte sich der Motoryacht, doch die beiden Männer des Zolls hatten gar keine Zeit, an Bord zu kommen. Jane Wells sah und hörte deutlich, daß man den Eigner der Yacht recht gut kannte. Nach ein paar Routinefragen durfte die Motoryacht tiefer in den Hafen hinein. Die Zollbarkasse preschte bereits weiter auf einen Trawler zu, der von See kam.
Es war natürlich nicht das einzige Zollboot.
Die Männer dieser königlichen Behörde hatten alle Hände voll zu tun, wenigstens einige Stichkontrollen durchzuführen. Keiner, der von See kam, konnte sicher sein, daß er ungeschoren passieren durfte. Die Männer des Zolls sorgten absichtlich dafür, daß diese Ungewißheit blieb. Nur so ließ sich ein massiver Schmuggel wenigstens einigermaßen eindämmen.
Perry Walker hatte Jane Wells etwas zu weite Jeanshosen und einen Pulli besorgt. Er kam zu ihr an die Reling und sah der Zollbarkasse nach.
»Jetzt hätte man Whisky und Zigaretten an Bord haben müssen«, meinte Jane Wells seufzend.
»Das wäre ein Zollvergehen«, sagte Walker.
»Na, und?« Sie zuckte die Achseln. »In der Hinsicht bin ich nicht gerade königstreu, Mr. Walker.«
»Wohl kaum einer von uns«, sagte er lächelnd. »Wenn’s gegen den Zoll geht, werden wir wohl alle schwach.«
»Werden die einlaufenden Schiffe denn nur nach Lust und Laune kontrolliert?«
»Es gibt nur Stichproben«, sagte er, »die Zollbehörde ist hoffnungslos unterbesetzt. Hören Sie, Jane, hoffentlich kommen Sie nicht auf dumme Gedanken.«
»Ich werde mich hüten«, meinte sie lachend, »wegen ein paar Flaschen Whisky riskiere ich nicht meine Haut. Wenn schon, denn schon.«
Perry Walker ging auf dieses Thema nicht näher ein, und Jane Wells hütete sich, es zu vertiefen.
»Ob ich mich bei Ihnen wirklich bedanken muß, weiß ich noch nicht«, sagte sie, »so ganz traue ich Ihnen nicht über den Weg, Mr. Walker.«
»Moment, Miß Wells, wie wollen Sie denn zurück nach Panrose? Dafür werde ich selbstverständlich sorgen.«
»Ich möchte Sie nicht länger bemühen.«
»Aber das ist doch Ehrensache, Miß Wells. Ich habe da einen Bekannten, der Sie bestimmt rüberbringen wird. Der Mann ist mir verpflichtet und hat ohnehin nichts zu tun.«
Walkers Bekannter entpuppte sich als ein großer, rosiger Pensionär von vielleicht fünfundfünfzig Jahren, der sich straff und militärisch hielt. Er trug graue Flanellhosen, schwarze Schuhe und ein Jackett, das wie eine Uniformjacke geschnitten war. Seine. Stimme klang ein wenig näselnd.
Perry Walker hatte ihn vom Hafen aus angerufen. Er erschien in einem alten Morris und hatte offensichtlich getrunken. Eine leichte Alkoholfahne flatterte ihm voran.
»Arthur Spellman«, stellte er sich schnarrend vor, »wird mir ein Vergnügen sein, Sie nach Panrose zu karren, Madam.«
»Sind Sie sicher, Sir?« Jane Wells sah ihn ein wenig mißtrauisch an.
»Bin in Höchstform«, schnarrte er weiter, »selten so in Stimmung. Steigen Sie ein, Madam. Ich werde Sie überzeugen.«
Seine Stimmung war tatsächlich einmalig.
Als er losfuhr, hatte Jane Wells das Gefühl, in einer Rakete zu sitzen. Arthur Spellman kannte keine Hemmungen. Er zwang den Fahrer eines Lastwagens zu einem wilden Ausweichmanöver und lachte dröhnend dazu.
»Hoffe doch sehr, daß Sie meine Reaktion schätzen«, sagte er und wandte sich ungeniert nach dem Lastwagen um, ohne sich um das zu kümmern, was auf der Straße vor ihm passierte.
»Achtung«, rief Jane Wells nervös, als ein Mann mit einem Fischkarren den Weg des Morris kreuzte.
»Keine Disziplin, diese Zivilisten«, knurrte Arthur Spellman und brachte den Fischer samt Karren auf Trab. »Hätten bei mir dienen sollen, diese Halbmenschen, hätte sie schon auf Vordermann gebracht.«
Nachdem er noch zwei Fußgänger gefährdet hatte, nahm er erst richtig Fahrt auf und brauste hinauf zur Küstenstraße. Er pfiff dazu laut und ungemein falsch den River-Kwai-Marsch.
*
»Die drei jungen Herren«, meldete Butler Parker und reichte Lady Simpson das Fernglas, »wenn Mylady vielleicht selbst sehen wollen.«
Sie nahm das Fernglas und beobachtete den Ford, der sich Peterhead näherte. Sie nickte grimmig, als sie die drei Gangster in der Optik hatte.
»In ein paar Minuten wissen wir mehr«, sagte sie dann, »der Auftraggeber dieser Flegel kann sich schon jetzt auf einiges gefaßt machen.«
»Ich möchte keineswegs um jeden Preis widersprechen«, schickte Parker voraus, »aber sollten Mylady nicht besser noch etwas warten?«
»Sie sind der geborene Zauderer«, ärgerte sie sich wieder prompt und sah ihn vorwurfsvoll an, »ich möchte endlich Ergebnisse sehen, Mr. Parker. Worauf soll ich denn noch warten?«
»Meiner bescheidenen Ansicht nach, Mylady, ist es nicht sicher, daß die drei Gangster sich unmittelbar mit ihrem Auftraggeber in Verbindung setzen werden.«
»Sondern?« Sie sah ihn streng an.
»Sagen Sie schon endlich, was ich denke!«
»Sie könnten möglicherweise nur über einen Mittelsmann mit ihm verkehren.«
»Das sind doch Haarspaltereien, Mr. Parker.«
»Gangsterbosse, Mylady, pflegen stets gewisse Sicherheiten einzubauen. Sie bevorzugen keineswegs die direkte Linie.«
»Nun ja, vielleicht haben Sie recht, Mr. Parker. Aber nur vielleicht.«
»Ich bin mir der Schwäche meiner Hypothese durchaus bewußt, Mylady.«
»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, raunzte sie. »Was also sollen wir tun?«
»Myladys Einverständnis voraussetzend, sollte man sich vorerst auf eine generelle Beobachtung beschränken. Dazu wäre es angebracht, näheren Kontakt zu den drei Männern zu suchen.«
»Sie wollen also Maske anlegen?« Sie hatte gut verstanden.
»Nur, falls Mylady einverstanden sind.«
»Und was mache ich inzwischen? Ich habe keine Lust, mich hier zu langweilen.«
»Darf ich Mylady anbieten, dem kleinen Flugplatz einen Besuch abzustatten?«
»Flugplatz? Wollen Sie mich etwa nur beschäftigen?«
»Keineswegs, Mylady. Mich beschäftigt der Abtransport der Konterbande. Ich darf daran erinnern, daß die Seejungfrauen nur aus dem Grund an der Küste erscheinen, um die Landung von Schmuggelgut vorzubereiten.«
»Was haben Seejungfrauen mit Flugzeugen zu tun, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler streng an.
»Das gelandete Schmuggelgut muß meiner bescheidenen Ansicht nach in die Zentren des Landes verbracht werden, Mylady. Wahrscheinlich heißt der Endpunkt London. Ein Transport über die Straßen dürfte recht gefährlich sein.«
»Sie nehmen an, daß man das Rauschgift per Flugzeug nach London schafft?«
»Oder per Hubschrauber, Mylady, ich möchte vermeiden mich festzulegen.«
»Okay, Mr. Parker, ich werde mir also den Flugplatz ansehen. Wir werden uns später dort sehen. Von mir aus können Sie mit Ihrer brotlosen Spielerei beginnen.«
Butler Parker bedankte sich durch ein gemessenes Lüften seiner schwarzen Melone und verschwand dann nach hinten zum Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums. Lady Simpson beobachtete unterdessen den Ford, der längst hinunter nach Peterhead gefahren war und am Hafen auftauchte, dann aber in einer Seitenstraße verschwand und außer Sicht geriet.
Wenig später erschien hinter Parkers Wagen ein rundlicher, älterer Herr, der einen Zwicker auf der Nase hatte, einen Schnauzbart trug und ein wenig an einen vergrämten Seehund erinnerte. Er trug einen überlangen Regenmantel altväterlichen Zuschnitts und hatte einen Spazierstock in der Hand.
»Guter Gott«, sagte Lady Simpson überrascht. »Sind Sie es, Mr. Parker?«
»Wie meinen, Madam?« krächzte der ältere Herr und schob seine Hand hinter das rechte Ohr. Er schien schwerhörig zu sein.
»Unterlassen Sie das«, fauchte die resolute Dame, »ich weiß, daß Sie Parker sind.«
»Hä?« Der ältere Herr nahm den Zwicker ab und beugte sich vor.
»Zum Teufel mit Ihnen«, grollte Agatha Simpson. »Sie sind albern, Mr. Parker.«
*
Der ältere Herr mit dem Zwicker auf der Nase schlenderte durch die Gassen der Hafenstadt und brauchte nicht lange nach dem Ford zu suchen. Der ältere Herr, den Lady Simpson ein wenig albern gefunden hatte, kannte sich in den Praktiken der Gangster recht gut aus. Es gehörte zu seinen Erfahrungen, daß Menschen dieser Art gern in preiswerten kleinen Hotels abstiegen, wo man selten Fragen stellte. Sie wohnten nie in der Nähe ihrer wirklichen Bosse und Auftraggeber, die sie in den seltensten Fällen kannten. Mit diesen »großen Tieren« verkehrten diese kleinen Gauner und Gangster immer nur über Mittelsmänner, die oft ihrerseits wieder Kontaktmänner aufsuchen mußten. Diese großen Tiere waren immer daran interessiert, im Hintergrund zu bleiben.
Butler Parker fand also in der Maske des älteren Herrn schnell den Ford und brauchte auch nicht lange nach dem dazu passenden Hotel zu suchen. Es handelte sich um einen schmalbrüstigen, dreistöckigen Steinbau in Hafennähe, dessen Zimmer früher mal nicht teuer gewesen sein konnten. Jetzt war das sicher anders, seitdem der große Bauboom die Ostküste erfaßt hatte.
Parker fand einen guten Beobachtungsposten. Er betrat ein kleines Lokal und bestellte sich Fisch mit Chips. Er ließ sich in Fensternähe nieder, mißachtete das, was man ihm an den Tisch brachte und mußte nur knapp zehn Minuten warten, bis einer der drei jungen Männer tatsächlich aus dem Hotel kam. Der Butler hatte also auf die richtige Karte gesetzt und gewonnen.
Der junge Mann, dessen Namen er natürlich nicht kannte, hatte es sehr eilig. Er steuerte eine Telefonzelle an, die sich am Ende der schmalen Straße befand. Er hatte die Nummer kaum gewählt, als der ältere Herr bereits neben der Zelle auftauchte und ausgerechnet hier seinen Spazierstock verlor. Umständlich beugte sich der ältere Herr, der eine Art Hexenschuß zu haben schien. Als er sich endlich wieder aufrichtete, klebte unten an der Glasscheibe der Telefonzelle ein kleiner, unscheinbar aussehender Gummisauger, der selbst von einem mißtrauischen Falken übersehen worden wäre. Der ältere Herr schritt weiter und verschwand nach wenigen Metern in einer schmalen Toreinfahrt. Hier steckte er sich einen Ohrclip ins Ohr und schaltete den Empfänger ein, der sich in seiner Hosentasche befand.
Der Empfang war hervorragend.
»Hier spricht Neptun«, klang es aus dem Ohrclip. »Die beiden Schellfische sind uns entwischt. Nähere Einzelheiten später. Sollen wir weiter auf Fang gehen? Gut, ich warte.«
Der junge Neptun in der Telefonzelle trommelte offensichtlich ungeduldig mit den Fingerspitzen auf dem Ablagebrett herum, er mußte warten.
»Ja?« fragte er dann plötzlich gespannt, »ja, ich höre. Okay, ich wiederhole. Schellfische sofort mit allen Mitteln jagen und an Land ziehen. Klar, ich habe verstanden. Wie? Gut, die Schellfische nicht ausnehmen, werden später noch gebraucht. Okay, Ende.«
Der junge Neptun verließ die Telefonzelle. Im Ohrclip des älteren Herrn mit dem Zwicker auf der Nase gab es einen harten Schlag. Die Tür der Zelle schien ins Schloß gefallen zu sein. Der ältere Herr sah vorsichtig auf die Straße hinaus und beobachtete den jungen Mann, der eilig zurück ins Hotel marschierte.
Der ältere Herr verließ nun die Toreinfahrt, ging zurück zur Telefonzelle und verlor hier prompt wieder seinen Spazierstock. Während er ihn umständlich aufhob, ließ er den kleinen Gummisauger wieder von der unteren Glasscheibe verschwinden. Die Übertragung war beendet, der winzige Sender wurde im Moment nicht mehr benötigt.
Josuah Parker war sich natürlich klar darüber, was das verschlüsselte Gespräch zu bedeuten hatte. Er fand es wenig fein, daß man Mylady und seine bescheidene Person mit Schellfischen verglich. Diese jungen Burschen hatten eben kein Benehmen …
Ihre Anweisung war allerdings eindeutig.
Sie sollten noch mal versuchen, Lady Simpson und ihn einzufangen. Und dagegen hatte der ältere Herr einiges einzuwenden. Er überlegte, was zu tun war.
*
Der stramme Pensionär mit dem rosigen Gesicht und der militärisch schnarrenden Stimme ließ schon bald die Maske fallen. Irgendwie hatte Jane Wells damit gerechnet und wunderte sich nicht. Dennoch tat sie überrascht.
»Als Bardame kann man natürlich auch Geld machen«, sagte Arthur Schellman und schnarrte nicht mehr. Er hatte sich von Jane erzählen lassen, woher sie kam und was sie in Panrose tun wollte.
»Ein Mädchen wie ich muß sich eben nach der Decke strecken«, gab sie achselzuckend zurück, »ich habe auf jeden Fall keine Lust, meine Zeit in einem Büro zu vertun.«
»Ich wüßte einen besseren Job für Sie, Kindchen.« Arthur Spellman fuhr langsam und schien jetzt sehr viel Zeit zu haben.
»Diese Art von Angeboten kenne ich.« Sie sah ihn spöttisch an. »Wenn Sie eine Freundin suchen, sind Sie bei mir an der falschen Adresse.«
»Sie sind doch ein sportliches Mädchen«, redete der Rosige weiter. »Hätten Sie nicht Lust, in kurzer Zeit viel Geld zu machen?«
»Und wo liegt da der Hund begraben?« fragte sie burschikos.
»Ohne Risiko kein schneller und hoher Verdienst.«
»Sie machen mich neugierig, Sir.«
»Daß Sie eine erstklassige Schwimmerin sind, weiß ich inzwischen.« Er drückte sich immer noch um das Thema herum.
»Lassen Sie endlich die Katze aus dem Sack, Mr. Spellman!«
»Hätten Sie nicht Lust, sich als Seejungfrau zu betätigen?« Arthur Spellman hatte nun endlich den Sack geöffnet, Jane Wells konnte die sprichwörtliche Katze sehen.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« fragte sie auflachend.
»Ich meine es ernst, Miß Wells. Hätten Sie nicht Lust, sagen wir, ein wenig Schmuggel zu betreiben?«
»Whisky und Zigaretten, wie?« Ihre Frage klang spöttisch.
»Bohrproben«, gab er zu ihrer Verblüffung zurück.
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr, Sir.«
Arthur Spellman fuhr noch langsamer und bog von der Küstenstraße ab. Er benutzte einen Feldweg und fuhr bis hart an die steil abfallenden Klippen heran. Er stieg aus und nickte Jane aufmunternd zu, es ihm gleich zu tun. Als sie neben ihm stand, deutete er hinaus auf die See.
»Selbst der Laie weiß inzwischen, daß hier im Shelfgebiet nach Öl und Erdgas gebohrt wird«, schickte er sachlich voraus und wirkte überhaupt nicht skurril. »Sie kennen ja die schwimmenden Bohrinseln, nicht wahr? Okay! Es geht um Rieseneinsätze und Summen. Es geht um Informationen. Und solche Informationen, Kindchen, liefern die Bohrkerne, die man aus der Tiefe herausholt. Sie geben Aufschluß darüber, wie weit die, Konkurrenz ist, wann man wo wahrscheinlich fündig wird. Daraus lassen sich nun wieder Aktienbewegungen an der Börse auslösen.«
»Ich glaube, daß ich bereits verstanden habe, Mr. Spellman. Mit einer Vorinformation kann man richtig spekulieren.«
»Schnell erfaßt, Kindchen.« Er nickte zufrieden. »Solche Bohrproben müssen unauffällig an Land geschafft werden. Sie dürfen dem Zoll nicht per Zufall in die Hände fallen. Dazu lasse ich Seejungfrauen arbeiten.«
»Jetzt hakt es aber kurz bei mir aus, Sir.«
»Erstklassige Schwimmerinnen, die die Proben hier an der Küste heimlich an Land schaffen. Sie werden draußen auf See abgesetzt, transportieren das Material zur Küste und kassieren dafür viel Geld. Steuerfrei, wie Sie sich denken können.«
»Haben Sie Nachwuchssorgen, weil Sie mir das vorschlagen, Mr. Spellman?«
»An gutem Nachwuchs bin ich immer interessiert.«
»Bin ich heute etwa getestet worden, Sir? War der Steinschlag inszeniert? Steht Mr. Walker auch bei Ihnen unter Vertrag?«
»Wir sind eine große Familie«, lautete seine ausweichende Antwort, die überhaupt nichts besagte. »Sie können Mitglied dieser Familie werden, Miß Wells.«
»Wollen Sie mich aufs Glatteis führen?« fragte sie mißtrauisch, »wieso sagen Sie mir das alles so offen, Sir? Sie wissen doch gar nicht, wer ich bin.«
»Das wurde inzwischen festgestellt.«
»Mir geht ein Licht auf. Mein neuer Arbeitgeber Carty hat das für Sie besorgt, nicht wahr?«
»Sie denken schnell und logisch, Kindchen. Das gefällt mir an Ihnen.«
»Was kann ich pro Monat machen?« Ihr Ton wurde knapp und geschäftsmäßig.
»Sie bekommen eine Pauschale, Kindchen. Und pro Einsatz eine Prämie, um ganz genau zu sein. Die Pauschale beträgt fünfhundert Pfund im Monat, die Einsatzprämie beläuft sich auf hundert Pfund.«
»Das ist aber viel Geld«, gab Jane Wells fast andächtig zurück. »Ich glaube, Sie haben mich bereits überredet.«
»Müssen wir weiter nach Panrose fahren? Oder können wir zurück nach Peterhead?«
»Drehen Sie um«, gab Jane Wells lächelnd zurück, »ich habe mich in dieses kleine Fischernest verliebt!«
*
Neptun und die beiden anderen Wassermänner kamen aus dem kleinen Hotel und setzten sich in ihren Ford. Sie hatten die feste Absicht, zwei Schellfische einzufangen. Sie waren sich ihrer Sache diesmal sicher und strotzten nur so vor Energie. Sie wollten sich auf keinen Fall den Zorn ihres Bosses zuziehen.
Steven hatte das Steuer übernommen, Hale saß neben ihm, Brian lungerte auf dem Rücksitz. Die drei jungen Gangster achteten überhaupt nicht auf den Zwickerträger, der am Ende der schmalen Straße stand und die Auslage eines Schaufensters betrachtete.
Sie fuhren schwungvoll an und waren ahnungslos.
Keiner von ihnen sah die schwarze Zigarre unter dem Sitz des Fahrers, die auf den ersten und zweiten Blick hin einen völlig normalen und harmlosen Eindruck machte. Daß sie von dem Zwickerträger in den Ford praktiziert worden war, verstand sich am Rand. Der ältere Herr hatte das mit Leichtigkeit geschafft, denn die drei Wassermänner hatten ihren Wagen leichtsinnigerweise nicht abgeschlossen.
Diese Zigarre wurde nach etwa zehn Minuten aktiv, doch die drei Gangster merkten nichts davon. Die Zigarre atmete automatisch aus und schickte ein unsichtbares Gas in den Wagen, worauf die drei jungen Männer ungemein heiter und fröhlich wurden.
Sie lachten plötzlich grundlos auf, sangen Lieder und fanden die Welt lebenswert.
Die Zigarre unter dem Fahrersitz aber verbreitete weiterhin dieses Gas der Fröhlichkeit, bis dem Fahrer dann doch ein wenig mies wurde. Er hatte plötzlich mit Mundwasser zu kämpfen, lachte nicht mehr und lenkte den Ford schleunigst von der Küstenstraße herunter. Er stellte ihn in einem Feldweg ab, sprang aus dem Wagen und rannte hinter dichtes Strauchwerk, um hier seinen Magen zu entleeren.
Hale tat es ihm nach, kurvte hinter einen Wacholderstrauch und fühlte sich elend.
Brian brachte diese Energie nicht mehr auf.
Er blieb gleich neben dem Wagen, rutschte auf seiner Hose und starrte trübselig auf den Heideboden. Er hatte es mit einem fast bösartigen Schluckauf zu tun, der ihn immer heftiger durchschüttelte.
»Ich glaube, ich sterbe«, murmelte Steven, nachdem er zum Ford zurückgekommen war.
»Ich bin schon tot«, behauptete Hale.
»Ich geh’ kaputt«, prophezeite Brian.
Die drei Gangster lagen neben dem Wagen und konnten sich nicht erklären, woher ihre Todessehnsucht kam. Sie lagerten sich im Heidesand und dachten nicht im Traum an zwei Schellfische, die sie an Land ziehen sollten. Sie waren nicht in der Lage, zurück in den Ford zu steigen. An ein Weiterfahren nach Panrose war überhaupt nicht zu denken.
Es dauerte gut und gern eine Stunde, bis sie wieder einigermaßen fähig waren, ihre Lage zu überdenken. Sie kamen zu dem Schluß, daß sie möglichst sofort zurück nach Peterhead fahren sollten.
Den geplanten Fischfang hatten sie inzwischen sogar vergessen.
Im Schrittempo steuerte Steven den Ford zurück in die Fischerstadt. Mit Mühe und Not erreichten sie das kleine Hotel, schleppten sich hinauf in ihre Zimmer und begaben sich zu Bett. Sie waren restlos fertig, hatten es aber noch nicht überstanden, wie sich bald heraussteilen sollte. Der ältere Herr mit dem Zwicker hatte zusätzliche Weichen gestellt.
Alarmiert durch einen anonymen Anruf erschienen dreißig Minuten später zwei Mitglieder der Kriminalabteilung und sahen sich die Wassermänner aus nächster Nähe an. Sie fanden Schußwaffen, Munition und sogar im Kofferraum des Ford eine Maschinenpistole und etwas Dynamit.
Damit war sichergestellt, daß die drei Gangster, die zumindest zwei Männer mitsamt einem Jeep in die Luft gejagt hatten, erst mal in sichere Zellen gesteckt wurden.
*
»Darf ich hoffen, Mylady, daß meine Eigenmächtigkeit toleriert wird?« erkundigte sich Josuah Parker später. Er hatte sich von einem Taxi zu dem kleinen Behelfsflugplatz hinausbringen lassen und war hier verabredungsgemäß auf seine Herrin gestoßen.
»Sie haben diese Subjekte viel zu anständig behandelt«, ärgerte sich die Detektivin.
»Hoffentlich werden Mylady mir noch mal verzeihen.«
»Kaum«, sagte sie grimmig, »warum habe ich mich auch hierher auf den Flugplatz abschieben lassen! Ich wußte doch gleich, daß Sie mich wieder hereinlegen würden.«
»Haben Mylady möglicherweise Informationen sammeln können?«
Sie ließ sich ablenken und nickte.
»Hier verkehren normalerweise nur seriöse Charterfluggesellschaften«, berichtete Lady Simpson und deutete auf die Propellermaschinen. »Sie schaffen vor allen Dingen Spezialwerkzeug und Bohrkronen für die Bohrinseln heran. Dort hinter der Flugaufsichtsbaracke stehen aber auch einige Privatmaschinen.«
»Konnten Mylady deren Besitzer in Erfahrung bringen?«
»Was dachten denn Sie?« Lady Simpson sah ihren Butler gereizt an. »Glauben Sie etwa, ich hätte die ganze Zeit über nur Blumen gepflückt?«
»Ganz gewiß nicht, Mylady.«
»Na also! Ich habe mir eine Liste der privaten Eigentümer zusammenstellen lassen und das so auffällig getan, daß diese Eigentümer inzwischen Bescheid wissen müßten, daß man sich für ihre Maschinen interessiert.«
»Ein sehr guter Schachzug, Mylady, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, das festzustellen.«
»Unterlassen Sie gefälligst diese Schmeicheleien, Mr. Parker«, grollte Agatha Simpson automatisch. »Ich weiß selbst, wie gut ich bin.«
»Sehr wohl, Mylady. Sind Mylady vielleicht auf einen besonders markanten Namen gestoßen?«
»Ein Willie Brandon besitzt eine Piper.« Sie sah ihn triumphierend an.
»Der Inhaber des Schwerlastunternehmens, Mylady?«
»Richtig, für den die beiden Maskierten aus den Steilklippen gearbeitet haben dürften. Wenn das keine heiße Spur ist, Mr. Parker, werde ich keinen Kriminalfall mehr übernehmen.«
»Ein Besuch dieses Herrn ist längst überfällig, wenn ich es so umschreiben darf.«
»Worauf warten wir dann noch? Ich muß mich endlich wieder mal richtig betätigen, ich sterbe ja sonst vor Langeweile.«
Agatha Simpson kam voll auf ihre Kosten. Auch Butler Parker wurde empfindlich überrascht. Er hatte nicht weiter auf den seriös aussehenden Rover geachtet, der auf dem Parkplatz vor der Flugaufsichtsbaracke erschienen war.
Das sollte sich umgehend rächen.
Die beiden Männer, die aus dem Rover stiegen, nickten grüßend und neutral, gingen um die Limousine herum und öffneten den Kofferraum. Sei holten aber leider kein Handgepäck hervor, sondern ließen Mylady und ihren Butler in den Lauf einer Maschinenpistole blicken.
Worauf Lady Simpsons Stirn sich in Falten legte.
»Bestehen Sie darauf, daß Mylady und meine Wenigkeit die Hände herben?« fragte der Butler höflich.
»Wir schießen gnadenlos, wenn Sie nicht spuren«, sagte der schlanke, gutaussehende Mann, dessen Augen kalt wie Eis waren.
»Sie können über Mylady und meine bescheidene Person verfügen«, antwortete Parker und betete innerlich, daß Lady Simpson nicht aufbrauste. Sie neigte leider zu Unbesonnenheiten, wie er wußte.
Doch sie schien gemerkt zu haben, daß die beiden Männer nicht spaßten. Sie gab sich zurückhaltend und schielte mißtrauisch auf die Maschinenpistole.
»Sie, Mr. Parker, werden das Steuer übernehmen«, befahl der gutaussehende Mann. »Sie, Mylady, werden neben Ihrem Butler sitzen. Alles klar? Dann los!«
»Geht es nicht etwas höflicher?« grollte die ältere Dame gereizt.
»Nun machen Sie schon!« Der gutaussehende Mann ließ sich auf nichts ein.
Aufseufzend nahm Lady Simpson auf dem Beifahrersitz Platz, während der Butler sich hinters Lenkrad setzte.
Als die beiden Männer auf den Rücksitzen Platz genommen hatten, bekam Parker den Zündschlüssel der teuren Limousine. Bei dem Rover handelte es sich nämlich nicht um einen Geländewagen derselben Firma. Dieser Wagen hatte sein Geld gekostet. Der Eigentümer konnte nicht unbemittelt sein.
»Fahren Sie, Parker«, sagte der gutaussehende Mann, der hinter dem Butler saß. »Vergessen Sie alle Tricks, die Sie kennen! Ihre Chefin sitzt auf dem Todessitz, daran sollten Sie immer denken!«
»Ich werde mit erlauben, Ihre Worte zu Herzen zu nehmen«, gab der Butler höflich zurück und ließ den Rover anrollen. Er hatte das sichere Gefühl, daß ein bestimmter Kontakt endlich hergestellt worden war.
*
»Ich heiße Mabel«, sagte die stämmige, muskulöse Frau, die etwa fünfunddreißig Jahre alt war. Sie trug einen nur lässig geschlossenen Bademantel und nickte Jane Wells grüßend zu. »Kommen Sie, Jane, ich mache Sie noch mit Liz bekannt!«
Jane Wells sah sich neugierig um.
Der rosige Pensionär hatte sie zurück nach Peterhead gebracht. Sie befand sich auf dem Gelände eines Landsitzes, der nicht weit von der kleinen Stadt entfernt war. Hinter dem zweistöckigen Fachwerkhaus war ein großer Swimmingpool, auf den sie jetzt zugingen. Auf einem Badetuch lag Liz.
Sie war bis auf den winzigen Slip nackt und sah nur träge hoch, als die beiden Frauen neben ihr erschienen.
»Hallo«, begrüßte sie Jane Wells, »du bist also die Neue?«
»Jane Wells?« Die Frau mit dem tizianroten Haar nickte und sah auf Liz herunter. Auch sie machte einen ziemlich muskulösen Eindruck. Liz war ihrer Schätzung nach zweiundzwanzig.
»Mach dir’s bequem«, forderte Mabel sie auf, »ich denke, wir verzichten auf alle Förmlichkeiten.«
»Einverstanden, Mabel.« Jane Wells ließ sich am Rand des großen Schwimmbeckens nieder und sah zu dem rosigen Pensionär hinüber, der langsam heranschlenderte.
Liz dachte nicht daran, ihre Blößen zu bedecken. Hier auf dem Landsitz schien es sehr ungezwungen zuzugehen.
»Aha, Spellman scheint dich testen zu wollen«, sagte Mabel, »das läßt er sich natürlich nicht entgehen.«
»Ist er der Chef hier?« fragte Jane Wells.
»Einer von ihnen«, antwortete Mabel. »Wie das alles zusammenhängt, wirst du noch früh genug erfahren, Jane.«
Arthur Spellman hatte das Schwimmbecken erreicht. Er ließ sich auf einem Plastikhocker nieder und deutete auf die fahrbare Bar, die nur knapp anderthalb Meter von ihm entfernt war.
»Mabel«, sagte er, »wie wär’s denn mit einem Drink für einen alten Mann?«
»Du Miststück«, murmelte Mabel, doch sie gehorchte. Sie ging zur Bar und mixte dem rosigen Pensionär einen Drink. Er nahm ihn fast huldvoll entgegen.
»So, Miß Wells, jetzt möchte ich mal etwas sehen«, sagte Spellman, sich Jane zu wendend. »Schwimmen Sie mal ein paar Bahnen runter. Mit voller Kraft. Arbeiten Sie sich richtig aus, Kindchen!«
»Wo finde ich einen Badeanzug?« fragte Jane.
»Wer ist denn hier prüde?« wunderte sich der Rosige und schüttelte milde verweisend den Kopf, »nun machen Sie schon, Jane!«
»Tu’s!« flüsterte Mabel ihr zu. »Der Bursche kann sehr gemein sein.«
»Ich bin doch nicht seine Sklavin«, ärgerte sich Jane Wells, um dann in Richtung Spellman den Kopf zu schütteln. »Wo finde ich einen Badeanzug, Sir?«
»Wer will denn da Schwierigkeiten machen?« wunderte sich Spellman und erhob sich. Er kam langsam auf Jane zu und … wollte sie blitzschnell ohrfeigen. Doch er hatte die Rechnung ohne Jane gemacht. Sie bückte sich noch schneller, unterlief die Hand und … stellte dem Pensionär ein Bein.
Der Rosige verlor das Gewicht, warf die Arme haltsuchend in die Luft und landete im aufklatschenden Wasser. Er schluckte Wasser, schlug um sich und stieß wütende Flüche aus.
Mabel und Liz lachten, doch als der Rosige zurück an den Rand des Beckens schwamm, lachten sie nicht mehr. Sie zogen betretene Gesichter und wirkten brav.
»Versuchen Sie das nicht noch mal«, warnte Jane den Pensionär und musterte ihn kühl. »Sie haben es nicht mit einem kleinen Kind zu tun.«
»Mabel, Liz!«, kommandierte er wütend und schreiend. »Bringt sie zur Vernunft!«
»Tut mir leid«, murmelte Mabel und warf sich auf Jane. Liz war blitzschnell auf den Beinen und hechtete auf Janes Kniekehlen. Sie wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung, doch gegen die beiden stämmigen und geschickten Frauen hatte sie keine Chance. Nach wenigen Sekunden lag sie am Boden.
Ihre Arme waren auf dem Rücken verdreht. Jane konnte sich nicht bewegen und war den beiden Frauen hilflos ausgeliefert.
»Bringt sie in die Umkleidehütte«, hörte sie den Rosigen sagen. »Schnallt sie auf der Bank fest! Sie braucht eine Privatbehandlung!«
*
Am Gittertor zu dem großen, weiten Parkgelände lungerte ein Mann, der einen geifernden Hund an der Leine hielt. Dieser Mann hatte gerade das Tor geöffnet und ließ den Rover passieren.
Parker fuhr über den mit Kies bedeckten Weg hinüber zu dem Landsitz, der aus Fachwerk bestand und zweistöckig war. Das Haus war groß und gepflegt und konnte von der Zufahrtstraße aus nicht eingesehen werden.
»Darf ich mir erlauben, Ihnen zu diesem Landhaus zu gratulieren?« fragte Parker höflich.
»Sie dürfen«, sagte der Mann hinter ihm, »es ist eine kleine Welt für sich. Hier sind wir mit Sicherheit ganz unter uns.«
»Sie haben sich immer noch nicht vorgestellt«, mäkelte Lady Simpson verärgert. »Ihre Manieren sind katastrophal schlecht, junger Mann.«
»Sie werden noch schlechter werden«, gab der Mann zurück. »Sie werden Ihr blaues Wunder erleben.«
Sie waren vom Tor aus angemeldet worden. Als Parker den Rover stoppte, kamen zwei Männer aus dem Landhaus. Sie trugen Jeanshosen und Unterhemden, sahen aus wie Preisboxer und führten keine Waffen mit sich. Sie nahmen Lady Simpson und Butler Parker in Empfang.
»Bringt sie runter ins Gästezimmer«, sagte der junge Mann, der hinter Parker gesessen hatte. »Ich befass’ mich später mit den beiden Vögeln.«
Agatha Simpson gab sich lammfromm. Butler Parker geriet aber gerade deswegen ein wenig in Sorge. Er kannte die Streitlust seiner Herrin. Sie brannte wahrscheinlich darauf, endlich aktiv werden zu können. Die beiden stämmigen Preisboxer scheute sie gewiß nicht. Lady Simpson war schließlich keineswegs waffenlos.
Es kam, wie der Butler insgeheim befürchtet hatte.
Nachdem sie eine bequeme Treppe hinuntergeführt worden waren, durchschritten sie einen langen Korridor, der sich bereits im Souterrain des Hauses befand. Und hier erlitt die ältere Dame einen leichten Herzanfall.
Sie taumelte, produzierte ein hechelndes Stöhnen, hielt sich verzweifelt an der gekachelten Korridorwand fest und wartete, bis der hinter ihr gehende Preisboxer zu ihr aufgeschlossen hatte.
»Ist was, altes Mädchen?« erkundigte sich der Mann fast höflich. Statt nun zu antworten, schmetterte Agatha Simpson ihm ihren Pompadour gegen die Stirn.
Das perlenbestickte Handbeutelchen hatte es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. In ihm befand sich Myladys »Glücksbringer«, nämlich ein echtes Hufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war.
Der Mann hatte den Eindruck, von einem auskeilenden Pferd getroffen zu werden. Er verdrehte die Augen, schielte seine Gegnerin leidend an und rutschte dann an den Kacheln hinunter, bis er den Boden erreicht hatte. Hier breitete der Mann seine Muskeln und Glieder aus, schloß die Augen und gab sich einer kleinen Ruhepause hin.
Der zweite Preisboxer war natürlich alarmiert worden.
Instinktiv stürzte er sich auf die Detektivin und vergaß darüber Josuah Parker.
Der Butler sah sich gezwungen, für Mylady einen Entlastungsangriff zu führen. Da er noch über seinen Universal-Regenschirm verfügte, war das recht einfach für ihn. Der zweite Preisboxer hatte Lady Simpson noch nicht ganz erreicht, als der Butler mit dem Bambusgriff dieses Regenschirms nachhakte. Er legte diesen Griff um das linke Fußgelenk des ahnungslosen Mannes und zog leicht an.
Der Preisboxer verlor natürlich das Gleichgewicht, legte sich waagerecht auf die Luft und brachte seinen Schädel dabei dummerweise in die Nähe der älteren Dame.
Sie nutzte natürlich ihre Möglichkeit und langte mit dem Pompadour noch mal nachhaltig zu. Der »Glücksbringer« krachte gegen den Hinterkopf des Unglücklichen, der daraufhin auf den Boden schrammte. Der Mann war bereits besinnungslos, bevor er ihn erreicht hatte.
»Diese Lümmel«, entrüstete sich die Lady, »halbnackt vor einer Dame zu erscheinen. Da muß man sich ja erregen, nicht wahr, Mr. Parker?«
»Wie Mylady meinen«, antwortete der Butler gemessen. »Darf ich mich nach den weiteren Plänen und Absichten erkundigen? Haben Mylady besondere Wünsche?«
»Bringen Sie mich zu dem jungen Flegel, der sich nicht vorstellen wollte, Mr. Parker. Ich glaube, auch er braucht eine kleine Erziehungshilfe.«
»Darf ich mir erlauben, vorher noch die beiden Herren zu entfernen, Mylady?«
»Aus den Augen mit ihnen«, forderte Agatha Simpson. »Ich kann diese Lümmel nicht mehr sehen.«
*
Sie hatten ihr den Pulli und die Jeanshose vom Leib gerissen. Jane, auf die Sitzbank gepreßt, mußte warten, bis der Rosige auf der Bildfläche erschien. Er hielt ein nasses Handtuch in der Hand und war gewillt, damit auf Jane Wells einzuschlagen.
Sie schien jeden Widerstand aufgegeben zu haben, lag ruhig auf der Bank und … stand plötzlich auf ihren Beinen. Sie war schnell und flink wie eine Pantherkatze. Die beiden stämmigen Frauen wurden total überrascht. Bevor sie sich auf die neue Situation einstellen konnten, hatte Jane Wells bereits mit der Handkante zugelangt. Mabel und Liz sackten zu Boden, während der Rosige die tizianrote Frau fassungslos anschaute.
Sie riß ihm das nasse Handtuch aus der Hand und zog es ihm durchs Gesicht, das daraufhin noch rosiger wurde. Der Pensionär schnappte nach Luft und wollte sich absetzen, bekam das nasse Handtuch aber erneut zu spüren und stolperte vor Aufregung. Dann schaltete er auf Tempo und … stieß im Eingang der Umkleidehütte mit einem Mann zusammen, der einen halben Meter zurückgeschleudert wurde.
»Hallo«, sagte Jane Wells und ließ das Handtuch sinken. »Mit Ihnen hatte ich irgendwie gerechnet, Mr. Walker.«
»Was ist denn hier los?« fragte Perry Walker, der junge Mann mit dem gutgeschnittenen Gesicht. Er schaute auf die beiden Frauen, dann auf den Rosigen, der vor ihm auf dem Boden lag.
»Ich lasse mich nicht wie eine Sklavin behandeln«, erklärte Jane empört. »Was denkt dieser Mann sich eigentlich? Ausziehen sollte ich mich vor ihm!«
»Sind Sie’s nicht, Jane?« fragte Perry Walker und lächelte ironisch.
»Das haben die beiden Frauen dort getan«, redete Jane Wells weiter. Sie nahm das nasse Handtuch hoch und bedeckte sich oberflächlich damit. »Ich glaube, ich bleibe bei meinem alten Job in Panrose, Mr. Walker. Der Ton gefällt mir nicht.«
»Nur nichts überstürzen«, meinte Perry Walker, »kommen Sie, Jane, nehmen wir einen Drink. Sie werden sich gleich wieder beruhigt haben. Spellman ist halt ein wenig, na, sagen wir, eigenwillig.«
»Das bin ich auch. Man darf mich zu nichts zwingen wollen, sonst werde ich störrisch wie ein Esel.«
»Ein hübscher Esel«, sagte er und lächelte gewinnend. Selbst seine Augen beteiligten sich diesmal an diesem Lächeln. Sie schmunzelte, nickte und ging dann zusammen mit ihm hinüber zum Schwimmbecken. Sie bewegte sich mit selbstverständlicher Natürlichkeit und zeigte keine Prüderie. Am Schwimmbecken angekommen, wickelte sie sich in das große Badelaken, das auf einem der Plastikhocker lag.
Perry Walker mixte inzwischen zwei Drinks und reichte ihr ein Glas.
»Auf gute Zusammenarbeit«, sagte er freundlich.
»Wer ist hier eigentlich der Chef?« wollte sie wissen.
»Wenn Sie Sorgen haben sollten, wenden Sie sich an mich.«
»Werde ich mit diesem Spellman zu tun haben?«
»Hin und wieder, Jane. Sie werden sehen, daß er harmlos ist, vielleicht ein wenig lüstern, aber mehr auch nicht.«
»Dann auf gute Zusammenarbeit, Mr. Walker!«
»Sagen Sie Perry zu mir, Jane, ja?«
»Gern, Perry. Da kommt übrigens Spellman. Er scheint ziemlich verärgert zu sein.«
Perry Walker stand auf und ging dem Rosigen entgegen. Sie tuschelten einen Moment miteinander, worauf der Pensionär sich zurückzog und zum Landhaus hinüberschlenderte. Er hatte wohl erfahren, daß er im Moment nicht gebraucht wurde.
»Er hat Ihnen erzählt, um was es geht, nicht wahr?« Perry Walker war zu Jane zurückgekommen.
»Ich bin informiert«, antwortete sie und nickte. »Wir schmuggeln Bohrkerne an Land, nicht wahr?«
»Das ist es«, sagte er und nickte. »Man kann sich damit eine goldene Nase verdienen.«
»Und wann wird es losgehen?« erkundigte sich Jane Wells.
»In der kommenden Nacht«, lautete Perry Walkers Antwort. »Wir werden wieder eine Ladung Bohrkerne an Land bringen müssen.«
»Hören Sie, Perry, ich habe da eine Frage«, schickte sie voraus. »Warum brauchen Sie ausgerechnet Frauen, um die Bohrkerne an Land schaffen zu lassen? Könnten Männer das nicht viel besser besorgen?«
»Grundsätzlich schon, Jane, aber in diesem Fall müssen es sogar Frauen sein. Seejungfrauen kommen bei bestimmten Leuten besser an.«
Während Walker noch redete, sah er an Jane vorbei zum Landhaus hinüber. Sein Gesicht nahm den Ausdruck grenzenloser Verblüffung an.
Jane Wells wandte sich nun ebenfalls um. Sie wollte schließlich sehen, worüber Perry Walker sich so wunderte.
Nun, sie sah eine ältere Dame in einem Chanel-Kostüm und einen männlichen Begleiter, der eindeutig ein Butler zu sein schien. Diese beiden Personen schritten über den Rasen auf das Schwimmbecken zu, wobei die ältere Dame sehr unternehmungslustig einen Pompadour schwenkte.
*
»Sie hatten Ihren Spaß, junger Mann«, sagte Agatha Simpson zu Walker, doch sie schaute Jane Wells streng an und rümpfte sichtlich die Nase. »Ich denke, wir sollten uns jetzt endlich wie zivilisierte Menschen benehmen. Warum ziehen Sie sich nichts über, Kindchen? Dieses Badelaken wird auf die Dauer kaum reichen.«
»Wenn Sie uns vielleicht einen Augenblick allein lassen würden, Jane?« bat Walker die Tizianrote. Der gutaussehende Mann war eindeutig verlegen. Jane Wells nickte, wickelte sich noch ein wenig fester in das Laken und schlenderte dann aufreizend lässig hinüber zur Umkleidehütte am Ende des Schwimmbeckens.
Butler Parker rückte einen Plastikhocker für Mylady zurecht. Sie nahm vorsichtig darauf Platz. Walker hatte sich eine Zigarette angezündet und kaschierte damit die Überraschung, die ihn noch immer beherrschte. Daß seine beiden Gefangenen wie selbstverständlich erschienen waren, bekam er nicht in seinen Kopf.
»Nun fassen Sie sich endlich, junger Mann«, meinte Lady Simpson grimmig, »noch tue ich Ihnen ja nichts, oder?«
»Wieso haben Sie es geschafft, hierher …« Walker stotterte ein wenig herum.
»Sind das wirklich Ihre einzigen Sorgen?« unterbrach Mylady ihn gereizt. »Wollen Sie nicht endlich zur Sache kommen, junger Mann? Ich habe meine Zeit schließlich nicht gestohlen.«
»Sie drücken ganz schön auf die Tube«, erwiderte Walker verärgert und kam zur Sache. »Sie wissen doch hoffentlich, daß ich Sie jederzeit hochnehmen lassen kann, oder?«
»Schnickschnack«, meinte Lady Simpson wegwerfend. »Finden Sie sich damit ab, daß Sie eine Niederlage erlitten haben!«
»Bringen Sie mich nicht auf die Palme«, ärgerte Walker sich noch mehr. »Drehen Sie sich mal um! Wir sind nicht allein.«
»Meinen Sie etwa Ihre beiden Preisboxer?« fragte die ältere Dame und lachte ironisch. »So etwas ist doch nur ein Kinderschreck, junger Mann.«
»Darf ich Sie höflichst darauf aufmerksam machen, daß Sie eine Art Faustpfand darstellen?« Parker hatte sich jetzt eingeschaltet und zeigte Walker einen völlig harmlos aussehenden Kugelschreiber.
»Was soll das?« fragte der junge Mann.
»Eine äußerst wirksame Kleinstwaffe«, erläuterte der Butler in seiner höflichen Art. »Wenn Sie darauf bestehen, werde ich sie Ihnen gern mal demonstrieren.«
»Mich können Sie nicht bluffen. Geben Sie auf, und ich werde den kleinen Zwischenfall vergessen!«
»Ich erlaube mir, Ihnen einen Gegenvorschlag zu unterbreiten«, sagte Butler Parker. »Richten Sie Ihr Augenmerk auf die Luftmatratze dort im Wasser!«
Perry Walker kam dieser Aufforderung unwillkürlich nach und sah zu der im Wasser treibenden Luftmatratze hinüber. So entging ihm, daß Parker die beiden Hälften des Patentkugelschreibers gegeneinander verdrehte. Bruchteile von Sekunden später war die an sich schwache Detonation eines Schusses zu hören.
Die Luftmatratze wurde wie von einer unsichtbaren Faust ins Wasser gedrückt und existierte nicht mehr. Eine Ladung Feinstschrot hatte sie zerfetzt.
Perry Walker schluckte leicht, als er sich Parker und Lady Simpson wieder zuwandte. Seine gesunde braune Gesichtsfarbe war ein wenig grau geworden.
»Von diesen Kugelschreibern besitze ich noch einige zusätzliche Exemplare«, warnte der Butler gemessen. »Ist damit jetzt die Basis für eine Verhandlung geschaffen worden?«
»Sie haben mich überzeugt«, sagte Perry Walker und nickte. Er hatte sich wieder unter Kontrolle und lächelte. »Wer sind Sie also? Und was wollen Sie?«
»Stellen Sie gefälligst intelligentere Fragen«, raunzte die ältere Dame sofort. »Sie wissen doch längst, wer ich bin, nicht wahr?«
»Lady Simpson und ihr Butler.« Perry Walker nickte. »Man weiß, daß Sie sich gern mit Kriminalfällen befassen.«
»Das klingt schon besser.« Die Detektivin nickte zufrieden.
»Seit wann interessieren Sie sich für Schmuggelei?« wollte Perry Walker wissen. Er winkte deutlich sichtbar zu den beiden Preisboxern hinüber, die sich vorsichtig an die beiden Zwangsgäste heranpirschen wollten. Walker war nämlich nicht entgangen, daß der Butler einen seiner Patentkugelschreiber in der linken Hand hielt. Der junge Mann fürchtete offensichtlich um sein gutes Aussehen.
Die zwei Preisboxer zogen sich zurück und blieben an der Stirnseite des Schwimmbeckens einsatzbereit stehen. Sie maßen vor allen Dingen Lady Agatha mit wütenden und auch ein wenig hochachtungsvollen Blicken.
»Sagen Sie ihm, Mr. Parker, warum ich aufgebracht bin«, verlangte Lady Simpson von ihrem Butler.
»Drei ihrer Mitarbeiter haben zwei Männer in die Luft gesprengt«, sagte der Butler ohne Umschweife.
»Mitsamt dem Jeep, in dem sie saßen«, fügte die ältere Dame hinzu. »Ich will nicht behaupten, daß diese beiden Männer Engel gewesen sind, aber ich hasse Mord.«
»Wie kommen Sie denn darauf, daß diese drei Männer für mich gearbeitet haben sollen?« wunderte sich Perry Walker und tat erstaunt und beleidigt. »Wer hat Ihnen denn den Bären aufgebunden?«
»Ihre drei Mitarbeiter«, sagte Parker höflich. »Sie wußten nicht, daß sie elektronisch abgehört wurden. Besonders fein ist diese Methode gewiß nicht, aber in diesem Fall war sie doch angebracht.«
»Sie haben mit ’ner Wanze gearbeitet?« Perry Walker biß sich betreten auf die Unterlippe.
»Ob Sie es glauben oder nicht, junger Mann, Mr. Parker wird sich deswegen noch nicht mal entschuldigen.«
»Darf ich mich höflichst erkundigen, ob die diversen Opfer der Seejungfrauen ebenfalls auf Ihr Konto gehen?« fragte Parker.
»Keine Ahnung, wovon Sie reden.« Perry Walker hob bedauernd die Schultern.
»Muß ich Sie wirklich an die drei einheimischen Fischer erinnern, die man entseelt aus der Brandung zog oder zwischen den Klippen fand?«
»Ich weiß weder von Seejungfrauen noch von Toten«, widersprach Perry Walker entrüstet. »Sie scheinen mir da etwas einreden und anhängen zu wollen.«
»Damit werden Sie nicht durchkommen«, schaltete Lady Simpson sich grimmig ein. »Sie haben uns natürlich auch nicht entführt, oder?«
»Natürlich nicht«, gab Perry Walker lächelnd zurück. »Ich muß Sie sogar dringend auffordern, endlich dieses Grundstück zu räumen. Sie fallen mir allmählich auf die Nerven.«
»Wie war das?« schnaufte Lady Simpson vor Entrüstung.
»Ich habe es endgültig satt, mich beschimpfen zu lassen«, fügte der junge Mann hinzu. »Verschwinden Sie endlich, bevor ich die Polizei anrufe.«
»Also, das ist doch die Höhe!« Lady Simpsons Pompadour geriet in Bewegung. Parker merkte, daß Walker dicht vor einem Niederschlag stand.
»Mylady und meine bescheidene Wenigkeit werden gehen«, schaltete Parker sich schnell ein, »und man bedankt sich schon jetzt für Ihre Freundlichkeit, Mylady und mich zurück nach Peterhead bringen zu wollen.«
Parkers Finger spielten mit dem Kugelschreiber, und das reichte bereits auf der ganze Linie.
»Kommen Sie«, sagte Walker, »man soll mir nicht nachsagen, ich wäre unfreundlich. Ich bringe Sie nach Peterhead.«
Die beiden Preisboxer wußten nicht, was sie von der Sache halten sollten, als ihr Chef Walker mit den beiden gekidnappten Personen friedlich hinüber zum Landhaus ging.
Dort stand der rosige Pensionär, der auch nicht recht informiert war.
»In einer halben Stunde bin ich wieder zurück«, rief Walker ihm zu. »Verständige schon mal den Pförtner!«
»Du bringst sie zurück?« Der Rosige hatte immer noch nicht begriffen.
»Sie haben mir versprochen, uns nicht mehr zu belästigen«, antwortete Perry Walker. »Sie haben eingesehen, daß sie sich was eingebildet haben.«
Parker verbiß sich ein Schmunzeln. Er konnte die Reaktion des Gangsters voll verstehen. Immerhin war das Stichwort »Wanze« gefallen. Der Mann hatte Angst, daß entweder Lady Simpson oder er einen Minisender in Betrieb hatten. Und er wußte nicht, wer diese Unterhaltung eventuell abhörte. Er hatte sich daher zum Nachgeben entschlossen, doch dabei handelte es sich nur um einen kleinen zeitlichen Aufschub. Daß der junge Mann jetzt einen Doppelmord plante, war dem Butler vollkommen bewußt.
*
Von der Umkleidehütte aus hatte Jane Wells das skurrile Paar am Rand des Schwimmbeckens genau beobachtet. Sie amüsierte sich, doch sie ließ es sich natürlich nicht anmerken. Sie wunderte sich nicht, daß Perry Walker dann zusammen mit seinen beiden »Gästen« hinüber zum Landhaus ging.
Jane Wells kannte die ältere Dame und ihren Butler.
Sie kannte das Paar sogar sehr gut, denn sie war schließlich die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady! Jane Wells war niemand anders als Kathy Porter, die sich den Gangstern auf ihre sehr spezielle Art und Weise genähert hatte.
Bisher hatte alles wunderbar geklappt.
Praktisch auf Anhieb hatte sie sich den Gangstern empfohlen und gehörte inzwischen zu ihnen. Butler Parker hatte dafür gesorgt, daß ihr Hintergrund stimmte. Es gab in London wirklich einen Club 88, der von einem gewissen Micha Lonski geleitet wurde. Dieser Privatclub hatte einen besonderen Ruf. Man konnte in ihm verbotene Glücksspiele betreiben, ohne Angst vor der Polizei haben zu müssen. Micha Lonski war dem Butler verpflichtet und hatte sich bereit erklärt, für eine Jane Wells zu bürgen, falls man ihn nach dieser Frau fragte.
Kathy Porter befand sich also praktisch in der Höhle des Löwen, doch ihr war noch nicht ganz klar, wer dieser Löwe nun wirklich war. Der rosige Pensionär Spellman? Oder Perry Walker? Gab es vielleicht noch einen dritten Mann, der das alles leitete und finanzierte?
Sie hatte nicht einen Moment lang daran geglaubt, daß es um Bohrkerne ging. Mit dieser Schwindelei hatte man ihr nur Sand in die Augen streuen wollen. Kathy war gespannt, um welches Schmuggelgut es wirklich ging. Ihrer Ansicht nach handelte es sich um Rauschgift.
Die beiden Seejungfrauen Mabel und Liz befanden sich ebenfalls in der Holzhütte, doch sie trugen Kathy nichts nach. Ja, sie bewunderten sie im Grund. Sie hatte sich immerhin gegen den Rosigen durchgesetzt, auch wenn sie dabei zu Boden gehen mußte. Mabel und Liz gönnten Spellman diese Niederlage. Sie konnten ihn nicht ausstehen.
»Was war denn das für ein komisches Paar«, fragte Kathy ihre beiden Partnerinnen.
»Nie gesehen«, gab Mabel achselzuckend zurück, »aber der alte Bursche scheint ein raffinierter Kerl gewesen zu sein.«
»Wie hat er eigentlich die Luftmatratze zerfetzt?« fragte sich Liz kopfschüttelnd. »Ich weiß genau, daß er keine Waffe gezogen hatte.«
Kathy Porter hätte gerade diese Frage leicht beantworten können, denn sie kannte die Tricks und Waffen des Butlers, dessen gelehrige Schülerin sie war. Natürlich hütete sie sich, auch nur eine Andeutung zu machen. Ihr Leben hing davon ab, daß man ihre Doppelrolle nicht durchschaute.
»Spellman kommt«, meldete Mabel, die an der Tür stand.
»Er wird’s doch nicht wieder versuchen wollen?« Liz verzog angewidert ihr Gesicht.
»Wieso gehorcht ihr ihm aufs Wort?« erkundigte sich Kathy.
»Ich möchte nicht umgebracht werden«, antwortete Mabel klar und deutlich.
»Umgebracht werden?« Kathy sah die Frau erstaunt an.
»Wer hier mal mitgemacht hat, sitzt fest«, fügte Liz hinzu. »Bilde dir nur nichts ein, Jane, auch du kannst jetzt nicht mehr raus!«
»Das wollen wir doch mal sehen!« Kathy gab sich sehr energisch.
»Treib’s nicht auf die Spitze«, warnte Mabel. »Ne Kollegin von uns war mal so dumm. Sie lebte nicht lange.«
»Hat man sie etwa umgebracht?« Kathy sah die beiden Frauen gespielt ungläubig an.
»Umgebracht?« Liz schüttelte den Kopf. »Sie ertrank!«
»Und wurde nie wieder gesehen«, schloß Mabel. »Also, Jane, überzieh’ dein Konto nicht!«
»Also, wenn ich das gewußt hätte, wäre ich …«
»Still jetzt«, sagte Liz schnell, »kein Wort von der Kollegin, Jane! Das bleibt unter uns.«
Kathy nickte und gab sich beeindruckt. Als Spellman die Tür öffnete, spielte sie ihm einige Verlegenheit vor. Der rosige Pensionär sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Wir sprechen uns noch«, sagte er, »aber das hat vorerst Zeit, Kindchen. Kommen Sie, probieren Sie ihr Kostüm an! In zwei Stunden haben Sie Ihren ersten Einsatz.«
»Kostümprobe?« wunderte sich Kathy, die natürlich längst verstanden hatte. Sie sollte wohl in eine Seejungfrau verwandelt werden.
»Mabel, Liz, ihr werdet dabei helfen«, befahl Spellman. »Anschließend soll sie ein paar Runden durch das Becken ziehen. Und Sie, Jane, sollten jetzt genau zuhören. Falls Sie noch mal Mätzchen mähen, lasse ich Sie von den beiden Typen zur Vernunft bringen. Fragen Sie mal Mabel oder Liz, wie man sich danach fühlt!«
Kathy Porter wandte sich zu den beiden Frauen um.
Sie starrten verlegen zu Boden und hatten einen roten Kopf vor Scham.
*
Perry Walker setzte seine beiden Gäste am Flugfeld ab.
Während der Fahrt hatte er nicht mehr gesprochen. Er fürchtete offensichtlich eine elektronische Übertragung. Kommentarlos ließ er Lady Simpson und Josuah Parker auf dem Parkplatz aussteigen und deutete hinüber auf Parkers hochbeiniges Monstrum. Anschließend fuhr er los, ohne sich um die ältere Dame und ihren Butler weiter zu kümmern.
»Er dürfte seine Lektion gelernt haben«, stellte Lady Simpson zufrieden fest und sah dem Rover nach, der in einer Talsenke verschwand. »Was machen wir jetzt, Mr. Parker? Haben Sie uns nicht etwas zu schnell wegbringen lassen? Ich hätte in dem Landsitz gern noch aufgeräumt.«
»Vielleicht hätte man Miß Kathy mitnehmen sollen«, sorgte sich der Butler.
»Aber wieso denn?« wunderte sich die Detektivin. »Sie spielt ihre Rolle doch erstklassig. Sie rollt diese Bande von innen heraus auf.«
»Miß Porter spielt mit ihrem Leben«, stellte der Butler fest. »Falls man nur den geringsten Verdacht schöpft, wird man sie töten.«
»Kathy ist ein Mädchen, das sich sehr gut zu helfen weiß«, meinte Lady Simpson grantig, um ihre eigenen Sorgen zu übertönen.
»Wie Mylady meinen«, gab der Butler zurück, »aber man sollte in ihrer Nähe bleiben, um eventuell eingreifen zu können.«
»Wohin fahren wir jetzt?«
»Darf ich Peterhead vorschlagen?«
»Und was wollen wir dort?«
»Den Hafen überwachen, Mylady. Es könnte durchaus sein, daß Miß Porter in See sticht, um dann später als Seejungfrau zu agieren.«
Während der Butler noch redete, meldete sich seine innere Alarmglocke. Sie schrillte geradezu und löste in Parker höchste Wachsamkeit aus. Da war etwas, was nicht stimmte! Da war etwas, was tödlich sein mußte …
Er schaute sich unauffällig auf dem Parkplatz um. Wurden Mylady und er beobachtet? Befanden die Mörder sich bereits irgendwo zwischen den parkenden Wagen? Wurden sie nun ihrerseits elektronisch abgehört, wie es vor ihrem Hotel der Fall gewesen war? Was stimmte nicht? Was löste seine innere Alarmglocke aus?
»Ist was?« fragte Lady Simpson und schaute ihren Butler prüfend an.
»Ich vermag es leider nicht zu artikulieren«, gab der Butler zurück, »aber ich möchte unterstellen, daß gewisse Dinge nicht in Ordnung sind.«
»Ist Ihnen auf der Rückfahrt nichts aufgefallen?« fragte Lady Simpson plötzlich.
»Ich muß bedauern, Mylady.«
»Aber mir!« Sie sah ihn wissend und triumphierend an.
»Ich muß nach wie vor bedauern, Mylady.«
»Dieser Lümmel ist ungewöhnlich vorsichtig und langsam gefahren«, sagte die Detektivin, »und wissen Sie auch, warum er das getan hat? Er wollte Zeit herausschinden.«
Parkers innere Alarmglocke wurde noch schriller. Er hatte seine Herrin sofort verstanden. Das war es! Nur so konnte es sein! Während der Fahrt zurück zum Flugplatz mußte der Wagen präpariert worden sein. Der Butler dachte unwillkürlich an den Jeep, der in die Luft geflogen war. Parker vermutete einen Rüttelzünder.
»Ich muß mich bei Mylady bedanken«, sagte er und lüftete höflich seine schwarze Melone.
»Brechen Sie nicht gleich in Tränen aus«, wehrte Lady Simpson ruppig ab, doch ihr Gesicht glühte vor Stolz. »Tun Sie etwas, Mr. Parker!«
Parker brauchte nicht lange darüber nachzudenken, wo solch ein Rüttelzünder eventuell angebracht worden sein könnte. Sein Wagen war eine uneinnehmbare Festung auf Rädern. Türen, Motorhaube und der Kofferraum waren bestens gesichert und konnten nur mit Brecheisen bezwungen werden. Wenn eine Sprengladung plus Zünder versteckt worden war, dann nur unter dem Wagen.
Nun, er fand die Ladung auf Anhieb.
Sie war auf dem letzten Stück des Auspuffs mittels Draht befestigt worden. Es handelte sich um eine ansehnliche Sprengladung, die eine erfolgreiche Himmelfahrt garantierte.
»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady um etwas zu bitten«, sagte er, nachdem er die Ladung geborgen hatte.
»Was haben Sie vor?« Sie sah mißtrauisch auf das rechteckige Paket, das die Form eines flachen Schuhkartons hatte.
»Könnten Mylady diese Ladung möglicherweise für eine gewisse Zeit tragen?«
»Sind Sie wahnsinnig geworden, Mr. Parker?« Agatha Simpson wich sicherheitshalber zurück.
»Es kann nach Lage der Dinge kaum etwas passieren, falls Mylady die Federstöße des rollenden Wagens mit den Armen abfangen.«
»Und wozu soll das gut sein?« Sie wich noch weiter zurück und musterte prüfend ihren Butler. Sie suchte in seinen Augen nach Anzeichen einer aufkommenden Schizophrenie.
»Man sollte dem Herrn, der diese Ladung veranlaßt hat, vielleicht eine kleine Show bieten, Mylady!«
*
Kathy Porter saß am Beckenrand und fühlte sich wie ein Fisch. Ihre Beine befanden sich in einem riesigen Fischschwanz aus weichem Plastik. Diese Attrappe reichte hinauf bis zu ihrer Taille und war hier mittels eines breiten fleischfarbenen Gürtels festgeschnallt worden. Die beiden stämmigen Frauen Mabel und Liz hatten ihr geholfen, in diesen Fischschwanz zu steigen.
Der rosige Spellman stand neben Kathy und begutachtete den Sitz des schuppigen Fischteils. Das heißt er interessierte sich mehr für ihre Oberweite, die nackt war.
»Sehr schön, sehr ordentlich«, lobte er und ließ offen, was er wirklich meinte.
»Ich fürchte, daß ich mit dem Ding überhaupt nicht schwimmen kann«, seufzte Kathy auf. Sie hatte sich damit abgefunden, daß zu einer echten Seejungfrau ein bloßer Oberkörper gehörte.
»Das werden wir ja gleich sehen, Kindchen.« Er gab sich leutselig und schien ihr nichts nachzutragen. Er nickte Mabel und Liz zu, die Kathy packten und ins Wasser warfen.
Zuerst hatte Kathy echte Schwierigkeiten mit dem Fischschwanz. Sie schlug mit den Armen um sich und glaubte abzusacken. Dann fand sie jedoch schnell den Trick heraus. Sie brauchte ihren Oberkörper nur wie ein Delphin zu bewegen, und schon klappte alles. Sie erreichte durch das große Schwanzteil sogar eine erstaunliche Geschwindigkeit.
Der rosige Spellman bestand darauf, daß Kathy ein paar Bahnen schwamm. Anschließend mußte sie tauchen und sich dann ein paar Scheinkämpfe mit Mabel und Liz liefern. Sie testeten ihre Ausdauer, Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit. Nach einer halben Stunde war Kathy erschöpft.
»Wirklich, sehr erstaunlich«, lobte Spellman erneut und musterte seine neue Seejungfrau eingehend. »Daß Sie’s so schnell kapieren würden, hätte ich nicht gedacht.«
»Es schlaucht mächtig«, gestand Kathy und schnappte nach Luft. »Wie lange werde ich draußen in der See bleiben müssen?«
»Etwa eine halbe Stunde«, gab er zurück, »aber Sie werden nicht allein sein, Kindchen.«
»Mabel und Liz kommen mit?«
»Auch die«, meinte er ausweichend. »Falls Sie schlapp machen sollten, wird man Ihnen schon helfen.«
Kathy hätte gern nähere Frage dazu gestellt, doch sie wollte Spellmann nicht mißtrauisch machen. Ja, sie bemühte sich sogar ein wenig um ihn. Es konnte nicht schaden, wenn er annahm, daß sie sich ihm gebeugt hatte.
»Ich habe mich in der Umkleidehütte ziemlich dumm benommen«, sagte sie und senkte den Kopf. Mabel und Liz schwammen im Bassin und konnten nicht zuhören.
»Ziehen wir einen Strich darunter«, schlug er sofort vor. »Kommen Sie, ich werde Sie von dem Plastikding befreien.«
Er war sehr zudringlich und gestattete sich Frechheiten, für die Kathy normalerweise mit schallenden Ohrfeigen geantwortet hätte. Er nestelte ausgiebig an ihrer schmalen Taille herum und sorgte dafür, daß er immer wieder mit ihren Brüsten in Berührung kam und zerrte ihr anschließend den Fischschwanz vom Unterkörper und von den Beinen. Kathy tat schamhaft und bedeckte sich, so gut sie konnte. Der rosige Spellman verschlang Kathy fast mit seinen Augen. Er nahm sich viel Zeit, um ihr den Bademantel zu reichen.
»Halten Sie sich an mich, Kindchen«, flüsterte er ihr zu. »Ich habe viel Einfluß, auch wenn’s vielleicht nicht danach aussieht.«
»Ich glaube, daß ich Sie falsch eingeschätzt habe«, erwiderte Kathy. »Werde ich Mr. Walker aber nicht verärgern?«
»Dieser Anfänger«, sagte Spellman und verzog sein Gesicht. »Sie werden erleben, wie schnell dieser Bursche abserviert wird. Halten Sie sich an mich, Kindchen, Sie werden gut dabei fahren!«
Er richtete sich auf, als Perry Walker langsam und lässig über den Rasen kam.
»Hat alles geklappt?« wollte Spellman von Walker wissen.
»Bis in jede Einzelheit«, erwiderte Perry. »Alles ist nach Plan verlaufen. Die Behörden werden sich mit ’ner zweiten Sprengung befassen müssen!«
*
Als es dunkel wurde, lief die Motoryacht aus.
Kathy Porter befand sich mit den beiden Frauen Mabel und Liz unter Deck. Walker und Spellman hatten das Ruderhaus besetzt, die beiden Preisboxer spielten die Mannschaft. Die Yacht lief aus dem Hafen von Peterhead mit großer Fahrt in südöstliche Richtung.
Kathy war gespannt, mit welcher Methode die Gangster arbeiteten. Sie war sicher, daß sie draußen auf See die Schmuggelware übernahmen. Sie wußte aber immer noch nicht genau, warum sie und ihre Partnerinnen ausgerechnet als Seejungfrauen agieren mußten. Sie nahm an, daß sie vielleicht nächtliche Strandbeobachter abzulenken hatten.
Nach einer knappen Stunde minderte sich die Fahrt der Motoryacht. Kathy trat an eines der Bullaugen und sah nach draußen. Nicht weit von der Yacht entfernt, dümpelte ein kleiner Fischkutter in der Dünung.
»Darf man raufgehen?« erkundigte sich Kathy bei ihren Partnerinnen.
»Besser nicht«, antwortete Mabel, »warten wir lieber, bis wir gerufen werden. Spellman ist da sehr eigen.«
Kathy blieb am Bullauge stehen. Die Motoryacht schob sich immer näher an den Fischkutter heran, bis die beiden Boote längsseits lagen. Wenig später war oben an Deck das dumpfe Geräusch von Plastikbehältern zu hören, die wohl an Bord genommen wurden. Dieser Austausch dauerte gut und gern eine Viertelstunde, dann legte die Yacht ab und nahm wieder Fahrt auf.
Der Fischkutter, der übrigens keine Positionslichter gesetzt hatte, verschwand schon bald in der Dunkelheit.
Spellman kam nach unten in die Kabine.
»Macht schon, Kinder«, sagte er gut gelaunt, »verwandelt euch in Seejungfrauen. In einer halben Stunde geht’s los. Warte, Kindchen, ich werde Ihnen helfen.«
Er meinte selbstverständlich Kathy.
Sie biß die Zähne zusammen und ging auch auf dieses Spiel ein. Er wich ihr nicht von der Seite und hatte seine Hände überall. Er half ihr beim Entkleiden und beim Einsteigen in den Fischschwanz. Er übersah das amüsierte Lächeln von Mabel und Liz.
»So, Kindchen, und jetzt hören Sie genau zu«, erklärte er Kathy, nachdem ihre Beine festgeschnürt im Plastikschwanz waren. »Sie halten sich dicht an Mabel und Liz. Sie haben nichts anderes zu tun, als rüber zur Küste zu schwimmen.«
»Ich brauche nichts zu transportieren?« fragte Kathy und war überrascht.
»Das besorgen natürlich Lemmy und Joe«, sagte Spellman. »Die sind darauf geeicht.«
»Und was ist, wenn wir die Küste erreicht haben?«
»Dann setzten sie sich auf ’ne geeignete Klippe und spielen Seejungfrau«, redete Spellman lächelnd weiter. »Machen Sie’s möglichst dekorativ und glaubhaft!«
»Wenn das alles ist.« Kathy tat sicher.
»Unterschätzen Sie die Brandung nicht, Kindchen«, warnte Spellman sie. »Die hat’s ganz schön in sich. Mabel und Liz, paßt auf sie auf, damit’s keine Panne gibt! So, und jetzt lass’ ich euch rauftragen, ihr Seejungfrauen. Viel Glück!«
Die beiden Preisboxer erschienen in der Kabine und schleppten die drei Frauen nacheinander an Deck. Die beiden großen und muskulösen Männer trugen bereits eng anliegende Taucheranzüge. Sie transportierten die Frauen mit einer Leichtigkeit, als hätten sie Puppen vor sich.
Kathy fröstelte es, als sie an Deck war.
Perry Walker verließ den Ruderstand und kam herunter. Er nickte ihr lächelnd und aufmunternd zu.
»Ich habe Lampenfieber«, sagte Kathy und sah zur Küste hinüber, die aus der Dunkelheit heraus langsam in Sicht kam. Sie war vorerst nur als ein schwarzer Strich zu erkennen.
Die beiden Preisboxer kontrollierten ihre Preßluftflaschen und Atemmasken. Dann beschäftigten sie sich mit der Konterbande, die sie an Land bringen wollten. Es handelte sich um Plastikbehälter, die Kathy an Benzin-Ersatzkanister erinnerten. Es gab für jeden der beiden Männer sechs dieser Behälter.
Um Bohrkerne konnte es sich auf keinen Fall handeln!
*
Spellman ließ Kathy vorsichtig ins Wasser gleiten und war besorgt.
Mabel und Liz, die bereits schwammen, nahmen Kathy in Empfang und dann zwischen sich. Kathy hatte zuerst echte Schwierigkeiten. Es war doch ein großer Unterschied zum Schwimmbecken. Die Dünung trug sie hoch und ließ sie wieder absinken. Der lange Fischschwanz erwies sich als recht hinderlich, zumal Kathy instinktiv versuchte, mit ihren Beinen die üblichen Schwimmbewegungen auszuführen, doch die waren fest verschnürt in dem Fischschwanz.
Nach einigen Minuten, während sie langsam zur Küste hinüberschwammen, legte sich das beklemmende Gefühl. Kathy fühlte sich freier und wurde sicherer. Wenn sie aus den Hüften heraus die Beine im Delphinstil schwang, wurde sie sogar recht schnell.
Die beiden Preisboxer waren nicht zu sehen, obwohl sie längst im Wasser waren. Kathy hatte inzwischen den Trick der Schmuggler erkannt. Die Seejungfrauen lenkten etwaige Beobachter ab. Die beiden echten Schmuggler hingegen bewegten sich unter der Wasseroberfläche und brachten das Schmuggelgut zur vereinbarten Stelle.
Sollte ein Boot der Zollbehörde oder der Polizei wirklich mal erscheinen, blieben die beiden Männer halt unter Wasser. Die Seejungfrauen aber konnten sich mit einer Ausrede aus der Affäre ziehen. Vor dem Hinablassen ins Wasser hatte Spellman ihr die passende Ausrede geliefert. Angeblich trainierten sie für eine Wassershow, die man in einigen Wochen in Peterhead zeigen wollte. Die Schmuggler hatten an alles gedacht.
Kathy hatte ein Licht entdeckt.
Es handelte sich um einen scharf gebündelten Lichtpunkt, der mehrfach hintereinander in den Steilklippen aufflammte. Das mußte das Signal für die beiden Taucher sein, die zwischendurch immer kurz auftauchten und sich orientierten.
Die Brandungszone war erreicht.
Kathy blieb dicht in der Nähe der erfahrenen Seejungfrauen und mußte sich später sogar echt helfen lassen. Sie kam mit dem langen Fischschwanz nicht gut zurecht und wäre wohl gegen die Klippen geschleudert worden, wenn Mabel und Liz sie nicht in eine ruhige Zone bugsiert hätten. Wenig später zog Kathy sich müde und abgekämpft auf eine Klippe und konnte sich endlich von dieser Strapaze anisruhen. Mabel und Liz saßen bei ihr und atmeten ebenfalls heftig.
»Wo sind die beiden Männer?« fragte Kathy, als sie wieder ruhiger atmen konnte.
»Weiter unten«, sagte Mabel, »wenigstens zweihundert Meter von hier entfernt.«
Die Unterhaltung war recht mühsam.
Das schäumende Wasser schüttelte die drei Seeweibchen gehörig durcheinander, rollte weiter und donnerte dann gegen die Steilküste.
»Hat man euch schon mal gesehen?« wollte Kathy wissen.
»Und ob!« Liz nickte. »Sie waren sogar schon mal hinter uns her.«
»Tatsächlich?« Kathy tat überrascht.
»Aber nicht lange«, redete Liz weiter. »Lemmy und Joe kamen dazwischen und scheuchten sie weg.«
»Vielleicht werden wir jetzt schon wieder beobachtet«, ließ Mabel sich vernehmen. »Ob einer zwischen den Klippen ist, kann man von hier aus nicht sehen.«
»Und falls mal geschossen wird?« sorgte sich Kathy gespielt.
»Dann nichts wie zurück ins Wasser«, antwortete Lizt. »Mal bloß nicht den Teufel an die Wand, Jane!«
Die drei Frauen blieben etwa eine Viertelstunde auf dem rundgewaschenen Fels, glitten dann zurück ins Wasser und schwammen um eine Felsnase herum. Kathy richtete sich hoch und nahm erleichtert zur Kenntnis, daß die Motoryacht sich inzwischen dem Strand genähert hatte. Sie mußte aus dem Wasser gezogen werden, so erschöpft war sie nach diesem ersten nächtlichen Ausflug.
*
Mabel und Liz waren ahnungslos.
Sie saßen vor dem Fernsehgerät im Landhaus und sahen sich eine Art Mitternachtsshow an. Sie waren noch zu aufgekratzt, um sich niederzulegen. Sie hatten sich Drinks gemixt und warteten auf den Schlaf.
»War’s nun wirklich so schlimm?« fragte Mabel, sich an Kathy wendend. Die drei jungen Frauen befanden sich im Obergeschoß des Landhauses, wo normalerweise Gäste untergebracht wurden.
»Es hat mich schon ganz schön mitgenommen«, antwortete Kathy, »aber mit der Zeit werde ich mich daran gewöhnen, falls das hier eine Dauerstellung ist.«
»Wieso soll’s keine sein?« meinte Liz und sah Kathy erstaunt an.
»Wie lange geht das gut?« redete Kathy weiter. »Irgendwann wird’s keine Bohrkerne mehr geben.«
»Dann finden wir schon was«, sagte Mabel. »Bisher habe ich immer noch einen Job gefunden.«
»Wie lange macht ihr das schon hier?«
»Seit fast drei Monaten«, antwortete Mabel arglos, »und von mir aus kann’s so weitergehen.«
Kathy hatte längst den Eindruck gewonnen, daß beide Frauen keine Ahnung von dem hatten, was hier tatsächlich gespielt wurde. Sie ließen sich im Grunde mißbrauchen und wußten wohl auch nichts von den Morden, die ihre Auftraggeber begangen hatten. Sie spielten die Seejungfrauen, amüsierten sich darüber und dachten nicht weiter nach. Nein, Mabel und Liz hatten mit den Gangstern nichts zu tun!
»Ich hab’ uns noch Drinks gemixt«, sagte Kathy und reichte Mabel und Liz die Gläser. Es waren Drinks besonderer Art, die es in sich hatten. In ihnen wär eine Droge, die schnellen Schlaf garantierte. Diese Droge stammte aus dem Ring, den Kathy am linken Ringfinger trug. Dieser Ring war ihre einzige Waffe, die sie mit in das Haus der Gangster hatte schmuggeln können. Natürlich stammte dieses Schmuckstück aus Parkers Bastelstube. Der Stein ließ sich aufklappen und gab dann das weiße Pulver frei.
Kathy lag daran, daß ihre beiden Partnerinnen möglichst bald außer Gefecht gesetzt wurden. Sie hatte mitbekommen, daß vor knapp zehn Minuten ein Wagen vor dem Landhaus erschienen war. Und sie glaubte gesehen zu haben, wer dieser Besucher war.
Mabel und Liz nippten an ihren freundlichst gereichten Drinks. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie tatsächlich müde wurden. Sie schliefen fast ohne Übergang vor dem immer noch eingeschalteten Fernsehgerät ein.
Kathy huschte zur Tür, zog sie vorsichtig auf und lauschte in den dunklen Korridor. Die Luft war rein. Kathy pirschte auf Zehenspitzen durch den Gang, erreichte die obere Galerie und sah hinunter in die Wohnhalle.
Der Besucher war nur zu hören. Er befand sich in dem großen Salon rechts vom Eingang und unterhielt sich gedämpft mit seinen Gastgebern. Kathy wollte und mußte erfahren, worüber die Männer sich unterhielten. Sie war in großer Sorge und dachte unentwegt an die spöttischen Worte von Perry Walker, als er von einer zweiten Sprengung berichtet hatte. Kathy hatte ehrliche Angst, daß es vielleicht Lady Simpson und Butler Parker erwischt haben könnte.
Sie hatte sich von Mabel einen dünnen Kittel ausgeliehen, huschte in dieser mehr als spärlichen Bekleidung die Treppe hinunter und schlich dann an die geöffnete Tür des Salons heran. Die Stimmen waren jetzt deutlich zu hören.
Jawohl, sie hatte sich nicht getäuscht!
Es war der Hotelbesitzer Norman Carty, der da gerade sprach. Sie hatte ihn vom Fenster aus also richtig erkannt.
»… natürlich hat die Masche sich überholt«, sagte er gerade eindringlich. »Ich pflichte der Organisation da voll und ganz bei, Spellman. Wir werden uns für die Zukunft einen neuen Trick einfallen lassen müssen.«
»Wir sollen diese Seejungfrauengeschichte tatsächlich begraben?« antwortete Spellman.
»Bevor uns die Behörden auf die Schliche kommen«, bestätigte der Hotelier. »Wir haben doch keine Ahnung, was die Lady und ihr Butler schon weitergemeldet haben. Fest steht nun mal, daß sie auf der anderen Seite gestanden haben. Ihr Tod wird die Polizei auf Höchsttouren bringen!«
Kathys Herz verkrampfte sich.
Sie hatte es gerade mit eigenen Ohren gehört. Lady Simpson und Butler Parker waren ermordet worden! Sie wollte es nicht glauben, lehnte mit dem Rücken gegen die Wand und schloß für einen Moment die Augen. Sie war wie betäubt.
»Und was wird aus den drei Nixen?« fragte jetzt Perry Walker.
»Ja, das würd’ mich auch interessieren«, schaltete sich Spellman ein.
»Schickt sie dorthin, wohin sie gehören, nämlich auf Grund«, antwortete Norman Carty mit gleichgültiger Stimme. »Damit werden alle Spuren verwischt und ersäuft.«
»Und wann soll das geschehen?« erkundigte sich Walker.
»In der kommenden Nacht. Dann bringen wir die letzte Ladung an Land. Noch irgendwelche Fragen?«
Nein, die beiden Ehrenmänner Spellman und Walker hatten keine Fragen mehr. Die geplante Ermordung von drei jungen Frauen bedeutete ihnen überhaupt nichts, denn die Damen waren nur ein attraktives Mittel zum Zweck gewesen.
Kathy huschte zurück zur Treppe und lief hinauf zur Galerie. Wenig später erschien Norman Carty in der großen Wohnhalle. Er nickte Spellman und Walker knapp zu und verließ dann das Haus. Er war eindeutig der Mann, der das Sagen hatte. Der unscheinbare Hotelier schien der Chef der hiesigen Organisation zu sein, der allerdings seinerseits von unbekannter Stelle seine Befehle erhielt.
Kathy hatte ihr Zimmer erreicht.
Mabel und Liz schliefen. Kathy fragte sich, ob sie die beiden »Kolleginnen« einweihen durfte. Mußte sie ihnen nicht sagen, daß sie alle ermordet werden sollten, weil es einer Gangsterorganisation so in den Kram paßte?
Sie entschied sich dafür zu schweigen, aber auf alle Fälle wollte sie Lady Simpson und Parker rächen!
*
»Was Sie da einer alten Frau zumuten, Mr. Parker, geht auf keine Kuhhaut«, erregte sich Agatha Simpson. »Sie scheinen mich mit einem Wandervogel zu verwechseln.«
»Mylady können gern hier verweilen«, sagte Parker und deutete auf die einsame Steinhütte, die sie vor wenigen Minuten verlassen hatten.
»Reden Sie gefälligst keinen Unsinn«, raunzte sie. »Was wollen Sie denn ohne mich anfangen?«
Parker ging auf diese Frage verständlicherweise nicht ein. Insgeheim bewunderte er natürlich Lady Simpson. Die ältere Dame legte eine Härte und Widerstandskraft an den Tag, die zu einem wesentlich jüngeren Menschen gepaßt hätte. Von ihrem Mut mal ganz zu schweigen. Sie hatte immerhin die Sprengladung samt dem Rüttelzünder auf ihrem Schoß transportiert …
Das alles lag jetzt fast vierundzwanzig Stunden zurück.
Parker hatte die Sprengladung natürlich in die Luft gejagt, um die Gangster zu täuschen. Mittels einer Gabelschleuder hatte er den empfindlichen Zünder solange mit kleinen Steinchen beschossen, bis die Ladung detonierte.
Sein hochbeiniges Monstrum hatte er vorher in Sicherheit gebracht. Und genau das war der schwache Punkt seines Plans. Falls die Gangster sich vergewissert hatten, ob der Wagen samt Insassen auch wirklich nicht mehr existierte, denn hatte er mit Zitronen gehandelt. Er baute allerdings darauf, daß die Gangster sich diese Mühe nicht machten. Wahrscheinlich, und das konnte er nur hoffen, fühlten sie sich sehr sicher. Auch nach der Sprengung des Jeep war keiner der Mörder erschienen, um sich vom Erfolg des Mordplans zu überzeugen.
Seit dem vergangenen Nachmittag waren Lady Simpson und Butler Parker unterwegs.
Nach einer Wartepause am Sprengort waren sie mit dem hochbeinigen Monstrum hinaus ins Gelände gefahren und hatten sich hier in der weiträumigen und unübersichtlichen Heide verborgen. Sie hatten dieses verlassene Steinhaus gefunden und es sich hier einigermaßen bequem gemacht. Sie wollten durch ihr Verschwinden die Gangster in Sicherheit wiegen.
Nun aber waren Lady Simpson und ihr Butler auf dem Weg zur Küste. Sie wollten sich noch mal die bewußten Seejungfrauen ansehen und Kontakt mit ihnen aufnehmen. Eine von ihnen war ja immerhin Lady Simpsons Sekretärin. Ein Kontakt mit ihr war leider nicht möglich. Sie schien jedoch das Vertrauen der Gangster erlangt zu haben, denn sie hatten sie schließlich am Nachmittag des vergangenen Tages am Schwimmbecken des Landsitzes gesehen.
Es begann dunkel zu werden.
Parker schritt gemessen voraus und schien sich auf glattem Parkett zu bewegen. Lady Simpson hingegen marschierte auf großen Füßen hinter ihrem Butler und machte einen grimmigen und entschlossenen Eindruck.
»Ich werde wahrscheinlich sehr ärgerlich sein«, sagte sie schnaufend und holte ihren Butler ein. »Ich werde sogar bösartig werden, wenn sich in dieser Nacht nichts tut, Mr. Parker.«
»Für einen Erfolg, Mylady, kann ich selbstverständlich nicht garantieren«, antwortete der Butler gemessen. »Man muß es dem Zufall überlassen, ob die Schmuggler auch in dieser Nacht arbeiten werden.«
*
Mabel, Liz und Kathy befanden sich in der Kabine der Motoryacht und fuhren ihrer »Hinrichtung« entgegen.
Kathy hatte sich immer noch nicht entschließen können, die beiden Partnerinnen zu informieren. Sie fürchtete, daß Mabel und Liz dann durchdrehten. Obwohl sie zwar als Seejungfrauen recht gut und überzeugend waren, wußten sie mit echten Gangstern bestimmt nichts anzufangen. Kathy zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie die Mordabsichten der Schmuggler durchkreuzte. Sie fragte sich, wann, wie und wo Spellman und Walker ihre Absicht ausführen wollten. Wahrscheinlich, zu diesem Schluß war sie gekommen, würden die beiden Preisboxer da eine entscheidende Rolle mitspielen.
Der Verlauf der nächtlichen Fahrt unterschied sich in nichts von der am Vorabend. Sie hatten den Hafen von Peterhead bereits hinter sich und fuhren hinaus auf See. Wie Walker einem Zollbeamten zugerufen hatte, wollte er hinüber auf eine Bohrinsel und dort geschäftliche Dinge regeln.
Nach einer Stunde kam der Kutter wieder in Sicht. Die beiden Boote gingen längsseits. Kathy beobachtete durch das Bullauge, daß die wasserdicht verschraubten Plastikbehälter an Bord genommen wurden. Das also war die letzte Ladung, von der die Gangster unten im Landhaus gesprochen hatten. Nun, sie hatte vor, den Mördern einen Streich zu spielen.
Spellman erschien rosig und bestens gelaunt in der Kabine und ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Er schäkerte mit Mabel, Liz und Kathy und überwachte natürlich das Anlegen der Fischschwänze. Er wollte sich zum Abschied noch mal an den Körpern seiner drei Seejungfrauen ergötzen. Kathy hätte ihn am liebsten mit einem Handkantenschlag bedacht, aber sie mußte sich zurückhalten. Ihre Zeit war noch nicht gekommen.
Was die Mörder planten, durchschaute Kathy sehr bald.
Die beiden Preisboxer Lemmy und Joe waren schon unterwegs zur Küste, als die drei Frauen erst ins Wasser glitten. Der Vorsprung der beiden Männer war absichtlich so groß. Nachdem sie ihre Konterbande an der Küste übergeben hatten, sollten sie sich wohl mit den drei Opfern befassen.
Lemmy und Joe waren dabei im Vorteil.
Sie konnten unter Wasser bleiben und bekamen ihre Luft aus den Preßluftflaschen. Sie konnten sich ungesehen den Opfern nähern und sie einfach unter Wasser zerren. Nichts war einfacher als das.
Die drei Frauen hatten keine Chance, sofern sie überrascht wurden.
»Viel Glück«, rief Spellman ihnen zu. »Paßt auf euch auf, Kinder!«
Das war wirklich blanker Hohn.
Der Rosige wußte doch nur zu gut, was geplant war. Kathy war fast versucht, ihm ihr Wissen ins Gesicht zu schleudern. Doch sie behielt die Selbstkontrolle, winkte ihm zu und schwamm dann zusammen mit Mabel und Liz ebenfalls auf die Küste zu.
*
Sie standen auf einem schmalen Sandstreifen und warteten auf das Erscheinen der beiden Lieferanten.
Es handelte sich um zwei Männer, die das schon routinemäßig erledigten. Sie fühlten sich sicher an diesem Küstenstreifen, der von den Einheimischen streng gemieden wurde, seitdem man Seejungfrauen gesehen haben wollte. Sie rauchten sogar Zigaretten, so sicher fühlten sie sich. Mit der abgeblendeten Signallampe hatten sie wiederholt Zeichen gegeben. Bis zum Auftauchen der beiden Taucher konnte es nicht mehr lange dauern.
Sie hatten keine Ahnung, daß sie beobachtet wurden.
Ebenfalls in den Klippen befanden sich Lady Simpson und ihr Butler.
Sie hatten schon vor gut einer Stunde ihre Position bezogen und waren auf die beiden Männer aufmerksam geworden, die oben von den Klippen aus nach unten gestiegen waren. Parker hatte Mühe gehabt, den Eifer seiner Herrin zu bremsen. Am liebsten wäre sie sofort auf die beiden Männer losgegangen.
Nun aber war es soweit!
Josuah Parker benutzte seine Gabelschleuder. Es kam ihm darauf an, die beiden Empfänger dort unten auf dem Sandstreifen lautlos auszuschalten. Er legte den ersten Stein in die Lederschlaufe seiner Zwille, visierte den Lichtpunkt einer Zigarette an, korrigierte noch ein wenig, strammte dann die beiden kräftigen Gummistränge der Gabelschleuder und schickte sein erstes Geschoß auf die Reise.
Die Zigarette glühte plötzlich nicht mehr.
Bevor der zweite Lichtpunkt reagierte, war das zweite Steingeschoß bereits unterwegs.
Trotz der Brandung hörte der Butler einen erstickten Aufschrei. Die Glut der Zigarette stäubte hoch, dann war aber auch schon nichts mehr zu sehen.
»Nun?« erkundigte sich Agatha Simpson gespannt. »Haben Sie getroffen, Mr. Parker?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, erwiderte der Butler. »Falls Mylady mich entschuldigen würden, werde ich mich vom Erfolg dieses Zwischenspiels überzeugen.«
»Natürlich komme ich mit«, entschied sie sofort, »ich habe keine Lust, als Statist zu dienen, Mr. Parker, merken Sie sich das!«
Nein, sie ließ sich trotz der gefährlichen Klippen nicht abschrecken. Sie blieb ihrem Butler dicht auf den Fersen, kletterte tiefer nach unten und erreichte zusammen mit ihm den Strandstreifen.
»Ganz passabel«, stellte Lady Agatha fest und schaute auf die beiden im Sand liegenden Gestalten. »Sie waren zwar schon besser, Mr. Parker, aber das hier reicht vollkommen.«
»Darf ich vorschlagen, die beiden Herren ein wenig zur Seite zu räumen?«
»Ich verstehe.« Die Detektivin nickte erfreut. »Das ist nach meinem Herzen, Mr. Parker. Aber damit Sie nicht wieder übermütig werden, genau das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen.«
»Sehr wohl, Mylady.«
»Wir werden die beiden Empfänger spielen«, sagte sie, »Und ich bin schon jetzt auf die Lümmel gespannt, die aus dem Wasser auftauchen werden.«
»Vielleicht ist mit Seejungfrauen zu rechnen, Mylady.«
»Das möchte ich doch sehr hoffen«, gab sie zurück. »Ich möchte mir diese Fabelwesen mal aus der Nähe ansehen.«
Butler Parker ›räumte‹ die beiden Bewußtlosen ab und ließ sie hinter einem großen Felsklotz verschwinden. Dann kam er zurück zu Lady Simpson, die die Brandung beobachtete lind ungeduldig den Kopf schüttelte.
»Etwas mehr nach links, Mylady, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf«, sagte Parker und deutete auf die See. »Mir scheint, daß dort gerade zwei Taucher aufkreuzen.«
»Und wo, zum Henker, bleiben die Seejungfrauen?«
»Man soll die Hoffnung nie aufgeben, Mylady«, antwortete der Butler. »In wenigen Minuten, dürfte man mehr wissen.«
Sein Zeitgefühl war richtig.
Die beiden Taucher hatten die Brandung überwunden und bereits Boden unter ihren Schwimmflossen. Sie stampften durch das immer seichter werdende Wasser heran und zerrte eine Reihe von Plastikbehältern hinter sich her.
»Ronny?« rief einer der beiden Taucher.
»Hier«, erwiderte Parker und hob seinen rechten Arm. Die beiden Taucher ließen sich täuschen und legten auch noch den Rest ihres Weges zurück. Sie ahnten nicht, daß eine gewisse Lady Simpson bereits ihren Pompadour schwang, in dem sich ihr »Glücksbringer« befand, mit dem sie die Taucher behandeln wollte …
*
»Jetzt müßten sie’s eigentlich schon überstanden haben«, sagte Perry Walker. Er stand zusammen mit Spellman an der Reling der Motoryacht und schaute hinaus aufs Wasser. Seine Stimme klang bedrückt.
»Nur keine Schwachheiten aufkommen lassen, Perry«, sagte Spellman munter. »Keiner ist unersetzlich. Für die drei Hübschen gibt’s bald Ersatz.«
»Mistorganisation«, fluchte Walker und warf die kaum angerauchte Zigarette ins Wasser. »Die machen mit uns doch, was sie wollen. Manchmal möchte ich am liebsten aussteigen.«
»Laß das nur nicht laut werden«, warnte Spellman. »Wir verdienen mit dem Rauschgifttransport doch prima, Perry. Was kümmern mich da drei Frauen, mögen sie auch noch so hübsch gewesen sein. Irgendwann hätten Sie uns in die Pfanne gehauen.«
»Und wann haut man uns in die Pfanne?« Perry Walker konnte und wollte sich nicht beruhigen. Immer wieder dachte er an die drei Frauen, die von den beiden Tauchern Lemmy und Joe ertränkt wurden oder es schon hinter sich hatten.
»Man muß eben aufpassen«, sagte Spellman.
»Auf wen? Auf Norman Carty? Der ist doch nur ein Verbindungsmann, Spellman. Aber wer steht hinter ihm? An die großen Rauschgiftbosse werden wir nie rankommen.«
»Habe ich auch nicht vor, ich bin doch kein Selbstmörder.« Nein, Spellman war nicht aus der Ruhe zu bringen. Er war ein billiges Subjekt der großen Tiere, die nur deshalb so erfolgreich arbeiteten, weil sie über Leute wie Spellman verfügten.
Walker und Spellman warteten auf die Rückkehr der beiden Taucher, doch Lemmy und Joe ließen auf sich warten. Und darin, ohne jede Vorwarnung, wurde plötzlich der Motor mit der Bootsschraube Verkuppelt. Mit Vollgas jagte die Yacht nach vorn, sprang förmlich aus dem Wasser und raste genau auf die Küste zu.
Spellman und Walker stürzten zu Boden, hielten sich mühsam fest, rappelten sich hoch und wollten ihren Augen nicht trauen. Eine der drei Seejungfrauen stand am Ruder und steuerte die Motoryacht in die Brandung.
»Jane Wells«, schrie Spellman, der die Frau erkannt hatte. »Sie bringt uns alle um!«
Spellman hatte sich bereits gefaßt, hielt plötzlich eine Schußwaffe in der Hand und zielte damit auf Kathy, die sich blitzschnell duckte. Der Schuß peitschte los, das Glas vor dem Ruderstand zersplitterte.
»Das kleine Biest bring’ ich um«, schrie Spellman wütend und lief nach vorn. Doch er hatte nicht mit Kathys Reaktion gerechnet. Sie riß das Ruder herum. Das Motorboot kenterte fast, so scharf fiel die Kurve aus. Spellman verlor den Halt, schrie auf und ließ die Schußwaffe fallen. Er taumelte gegen die Reling, klammerte sich hier verzweifelt fest und wurde von der Fliehkraft angepreßt.
Perry Walker hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
Er ließ Spellman nicht aus den Augen, der nach seiner Waffe suchte, sie fand und nun erneut versuchte, nach vorn zum Ruderstand zu gelangen.
Eine neue, jähe Kurve!
Diesmal erwischte es Spellman.
Er brüllte auf, kippte über die Reling, versuchte sich festzuhalten, griff ins Leere und landete im Wasser. Die Motoryacht aber jagte weiter auf die Brandung und auf die Küste zu.
Perry Walker war wie hypnotisiert.
Er hielt sich an der Reling fest und stierte auf den Küstenstreifen, den sie stets zur Anlandung des Rauschgifts benutzt hatten. Vielleicht hätte er versuchen können, sich mit Kathy anzulegen, doch er unternahm nichts.
Eine knappe Minute später war ein häßliches Knirschen zu hören. Ein harter Ruck ging durch die Yacht, die sich auf die Seite legte, Holz und Metall rissen kreischend auseinander, dann segelte der Bug des Bootes über das Geröll, über den feineren Sand und rammte immer noch mit Wucht gegen die Klippen.
Kathy war im letzten Moment ins Wasser gesprungen, mit ihr die beiden Seejungfrauen Mabel und Liz. Kathy hatte keine Ahnung, was aus Walker geworden war. Er schien bis zuletzt vorn am Bug geblieben zu sein.
Die drei Seejungfrauen wateten an Land und gingen langsam auf das Bootswrack zu.
»Ich erlaube mir, einen wunderschönen guten Abend zu wünschen«, sagte in diesem Augenblick eine Stimme, die Kathy nur zu bekannt war.
Sie schluchzte vor Freude und Erleichterung auf und lief dann Butler Parker entgegen, der formvollendet seine schwarze Melone lüftete.
*
Wie ein begossener Pudel kam er an Land und sah nicht mehr rosig aus. Er stand unter einem schweren Schock und reagierte kaum auf den Butler, von dem er doch schließlich annehmen mußte, daß er bereits tot war.
Spellman schaute auf Walker hinunter, der sich das Genick gebrochen hatte. Er war tatsächlich auf der Yacht geblieben. Kathy konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Perry Walker absichtlich den Tod gesucht hatte. Vielleicht hatte er weitere Opfer nicht mehr ertragen können.
Parker benutzte seine privaten Handschellen, um die beiden Taucher mit Spellman zusammenzuschließen. Danach wandte er sich an Kathy und sah sie fragend an.
»Mabel, Liz und ich sind um die Yacht herumgeschwommen und heimlich wieder an Bord gestiegen«, berichtete Kathy. »Zuerst wollten sie mir nicht glauben, doch dann hörten sie, wie Spellman und Walker sich unterhielten.«
»Ehrenwort, wir haben nicht gewußt, daß es um Heroin ging«, sagte Mabel nervös. »So was hätten wir nie mitgemacht.«
»Und mit den Morden an den Fischern haben wir auch nichts zu tun«, schwor Liz, die noch nervöser war. »Man hatte uns erzählt, Lemmy und Joe würden die Fischer nur erschrecken.«
»Sie wurden umgebracht«, sagte Parker eindringlich. »Sie wurden durch Ihren Anblick ins Wasser gelockt und hier von den beiden Tauchern erwischt.«
»Wir haben nichts davon gewußt«, sagte Mabel, »wir sind doch keine Mörderinnen.«
»Lassen Sie sich das von einem Richter bestätigen«, schaltete Lady Simpson sich unbeeindruckt ein. »Diese Leute werden schließlich dafür bezahlt, meine Damen.«
»Darf ich mir mal die Plastikbehälter ansehen, Mylady?« Kathy ließ sich von der älteren Dame zu den Kanistern führen. Parker hatte einen davon bereits aufgeschraubt.
»Beste Ware«, sagte Parker, der nachgekommen war. »Die Organisation wird sehr verärgert sein.«
»Norman Carty, nicht wahr?«
»Nur das, was der Volksmund einen kleinen Fisch nennen würde«, erwiderte der Butler gemessen, »an die wirklichen Drahtzieher dürfte kaum heranzukommen sein.«
»Das will ich nicht sagen.« Agatha Simpson sah ihren Butler grimmig an. »Wo ein Wille ist, da soll bekanntlich auch ein Weg sein, Mr. Parker! Ich verbitte mir Ihren Pessimismus!«
»Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an.
»Jetzt weiß ich erst genau, daß Sie leben«, sagte Kathy und konnte endlich wieder lächeln. »Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht, Mylady.«
»Unkraut vergeht nicht«, antwortete die kriegerische Dame, »und damit meine ich natürlich Mr. Parker!«
»Sehr wohl, Mylady.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Worauf warten Sie noch?« raunzte sie. »Ich will hier keine Wurzeln schlagen. Bringen wir diese Subjekte schleunigst zur Polizei. Mit den weiteren Kleinigkeiten gebe ich mich nicht gern ab.«
»Darf ich mich nach Myladys Plänen erkundigen?« fragte Parker gemessen.
»Pläne?«
»Hinsichtlich des Mr. Norman Carty, Mylady. Wollen Mylady diese Festnahme der Polizei überlassen?«
»Aber natürlich«, sagte die ältere Dame. »Dieser Lümmel gibt doch nichts mehr her. Für mich ist der Fall der Seejungfrauen geklärt. Und ich muß sagen, ich habe wieder mal recht gehabt. Ich wußte von Anfang an, worum es ging, oder sind Sie etwa anderer Meinung, Mr. Parker?«
»Anderer Meinung zu sein, Mylady, würde ich mir nie erlauben«, schwindelte Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich bin mir voll Und ganz bewußt, was ich meiner Stellung schuldig bin!«
*
Mylady saß wieder mal vor ihrer Schreibmaschine und starrte das eingespannte, leere Blatt gereizt an. Sie starrte es schon seit einer guten halben Stunde an und konnte sich nicht entschließen, den ersten Satz zu schreiben. Sie atmete erleichtert auf, als angeklopft wurde.
»Nun kommen Sie schon, Mr. Parker«, rief sie. »Ich lasse mich ja nur ungern stören, aber wenn es sein muß!«
»Sir Edwards wünscht Mylady zu sprechen.«
»Jetzt, während ich an meinem Bestseller schreibe?« Während sie noch sprach, stand sie ungemein schnell auf und lief fast zur Tür.
»Es scheint sich um einen neuen Fall zu handeln, Mylady.«
»Ausgeschlossen, ich habe keine Zeit!«
»Ich werde es Sir Edwards ausrichten«, sagte Butler Parker.
»Sind Sie verrückt?« grollte Lady Simpson ihren Butler daraufhin an. »Ich kann mit dem Bestseller vielleicht noch etwas warten, finden Sie nicht auch?«
»Ich erlaube mir, mich Myladys Ansicht anzuschließen«, sagte Parker. »Man sollte die literarische Welt noch ein wenig hoffen lassen.«
»War das gerade eine ausgemachte Unverschämtheit?« fragte die resolute Dame mißtrauisch.
»Mitnichten«, schloß Parker. »Solch eine Kühnheit würde ich mir nie erlauben.«