Читать книгу Butler Parker Staffel 10 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6
Оглавление»Da sind Sie ja endlich«, sagte Mike Rander etwas ungeduldig, »wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt, Parker?«
Der junge Anwalt kam aus dem weiträumigen Garten des Landhauses und tippte mahnend auf seine Armbanduhr, um seine Worte zu unterstreichen.
»Ich bitte um Vergebung, Sir«, erwiderte Parker, »mein stets waches Hilfsbedürfnis wurde von einer jungen Dame in Anspruch genommen, die sich als Anhalterin betätigte.«
»Na, wenn schon …« Rander ging zusammen mit Parker auf das hochbeinige Monstrum des Butlers zu, das vor dem Gartentor stand.
»Besagte junge Dame, Sir, die ich übrigens als ausgesprochen reizvoll bezeichnen möchte, entpuppte sich leider sehr bald schon als Diebin«, erläuterte der Butler weiter.
»Ach nee …« Rander blieb überrascht stehen und schmunzelte.
»Sie interessierte sich leidenschaftlich für den bescheidenen Inhalt meiner Brieftasche.«
»Und wann merkten Sie das?«
»Als die beiden Vertreter der Unterwelt später alles daransetzten, mich zu stoppen und zu erschießen!«
»Machen Sie keine Witze, Parker!« Rander runzelte die Stirn. Er witterte Verwicklungen.
»Es handelte sich keineswegs um ein Mißverständnis«, berichtete Parker weiter, »die beiden Herren, die ich gerade erwähnte, vergeudeten mit größter Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Menge Munition, um ihrem Ziel näherzukommen.«
Rander und Parker stiegen in das hochbeinige Monstrum. Der Butler ließ den Motor anspringen und fuhr dann gemessen los.
»Wie war das also mit dem Mädchen und mit den beiden Verfolgern?« wollte Rander wissen und zündete sich eine Zigarette an.
»Die junge Dame – falls es sich um solch eine handelte – stand neben ihrem Wagen auf einem Parkplatz seitlich an der Straße und machte durch Handzeichen unmißverständlich klar, daß sie Hilfe brauchte, Sir.«
»Darauf hielten Sie also an.«
»In der Tat, Sir. Als ich mich nach ihren Wünschen erkundigte, wollte sie mir den streikenden Motor zeigen. Dabei strauchelte sie ein wenig und fiel gegen meine Wenigkeit. Dabei muß sie meine Brieftasche an sich genommen haben.«
»Und Sie haben nichts gemerkt?«
»Ich muß Ihre Frage verneinen, Sir.«
»Nahmen Sie das Mädchen mit?«
»Dies, Sir, bot ich besagter jungen Dame selbstverständlich an, doch sie wollte plötzlich noch einmal den Motor testen, der daraufhin seine von ihm erwartete Arbeit aufnahm. Ein Mitnehmen erübrigte sich deswegen.«
»Wann merkten Sie, daß Ihre Brieftasche weg war, Parker?« Rander amüsierte sich. Es tat ihm irgendwie gut, daß sein sonst so unfehlbarer Butler einmal gründlich hereingelegt worden war.
»Erst während der Schießerei mit den beiden Vertretern der Unterwelt, Sir.«
»Wann fand sie statt?«
»Etwa zwanzig Minuten später, Sir. Da ich nur mit mittlerer Geschwindigkeit fuhr, wurde ich von einem Lincoln eingeholt, der mir wenig später den Weg äußerst gekonnt verlegte. Als ich ausstieg, wurde sofort das Feuer auf meine bescheidene Person eröffnet.
»Und Sie!?« Rander amüsierte sich bereits nicht mehr.
»Ich sah mich gezwungen, Sir, ein wenig in den nahe gelegenen Wald zu laufen.«
»Um dann zurück zum Wagen zu wechseln, wie?«
»In der Tat, Sir! Ich hatte gerade noch Zeit, mir das Innere des Lincoln anzusehen.«
»Und was fanden Sie?«
»Eine Maschinenpistole, Sir, die ich nach Gebrauch in Verwahrung nahm.«
»Wie … Wie soll ich das verstehen?« hüstelte Rander nervös.
»Nun, Sir, sie bot sich als geeignetes Mittel an, die beiden Schützen in das nahegelegene Waldstück zurück zu treiben. Daraufhin war ich in der glücklichen Lage, meine Fahrt fortzusetzen.«
»Das begreife einer, der will«, meinte Rander und schüttelte ratlos den Kopf.
»Ich befürchte, Sir, daß die nächsten Scherereien sich bereits ankündigen«, sagte Parker wenig später, »darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Lincoln richten, der uns zu folgen scheint?«
Rander wandte sich sofort um und sah durch die Rückscheibe hinter sich auf die schnurgerade Straße, die hier durch ein Waldstück verlief.
»Tatsächlich, ein Lincoln!« Rander drückte die Zigarette aus und räusperte sich, »sind Sie sicher, daß das der Lincoln ist?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir.«
»Dann geben Sie Vollgas«, sagte Rander energisch, »wie gesagt, ich will keine Verwicklungen.«
»Darf ich anregen, Sir, sich vielleicht mit beiden Herren einmal etwas ausführlicher zu unterhalten?«
»Geben Sie Vollgas«, wiederholte Rander ungehalten.
»Wie Sie wünschen, Sir!« Parker trat das Gaspedal etwas tiefer hinunter, worauf das hochbeinige Monstrum sich in eine Mittelstreckenrakete zu verwandeln schien, was die Geschwindigkeit anbetraf.
»So ist es ausgezeichnet«, lobte Rander seinen Butler, »der Lincoln bleibt hoffnungslos zurück.«
Parkers Gesicht blieb undurchdringlich. Selbst dann noch, als Rander, der den Lincoln beobachtete, sich plötzlich steil aufrichtete.
»Na, na!« stieß Rander aufgeregt hervor, »wenn das nur gutgeht.«
»Wie meinen Sie, Sir?«
»Du lieber Himmel!« Rander stöhnte förmlich. »Der Lincoln ist von der Straße abgekommen!«
»Die Straßenlage mancher Wagen läßt in der Tat zu wünschen übrig«, stellte der Butler fest und minderte die Geschwindigkeit seines hochbeinigen Monstrums.
»Da … da, sie sitzen im Graben fest«, meldete Rander, der nach wie vor nach hinten sah.
»Ich möchte anregen, Sir, den Bedrängten zu Hilfe zu kommen.« Und ohne Randers Erlaubnis abzuwarten, legte der Butler den Gang ein und ließ seinen Spezialwagen rückwärts schnurren.
Wogegen Rander vor lauter Verblüffung nichts zu sagen hatte!
Der Fahrer des Lincoln rieb sich sein Knie und stieß eine Kette böser Flüche hervor.
Sein Beifahrer massierte sich melancholisch die Stirn und hatte Kopfschmerzen. Beide Männer, die dunkelgraue Einreiher trugen und mittelgroß waren, befanden sich in der Nähe des lädierten Lincoln und merkten erst jetzt, daß das hochbeinige Monstrum zurückkam.
»Die kommen tatsächlich zurück«, sagte Mel wie elektrisiert. Er vergaß sein Knie und fingerte nach seiner Schußwaffe.
»So blöd möcht ich mal sein«, meinte Joe, der Beifahrer. Er kümmerte sich plötzlich nicht weiter um seine schmerzende Stirn, auf der eine leichte Schramme zu sehen war.
»Wir lassen ihn rankommen und ballern dann los«, sagte Mel, »komm’ in Deckung! Wir stellen uns ohnmächtig. Wenn er dann ran ist, geht der Zauber los.«
Sie ließen sich im weichen Gras nieder und warteten auf ihre Mordchance. In dieser Beziehung hatte Josuah Parker sich keineswegs getäuscht. Sie wollten einen gewissen Mann, der wie ein Butler gekleidet war, um jeden Preis umbringen.
Oder ihn zumindest kampfunschädlich machen.
Sie hörten den näher kommenden Wagen und waren sicher, daß sie bald schon ihre Trumpfkarten ausspielen konnten.
Sie hatten die Rechnung ohne den Butler gemacht, wie sich sehr bald schon herausstellen sollte.
»Was ist?« flüsterte Joe seinem Partner Mel zu, der gerade empfindlich zusammenzuckte.
Mel antwortete nicht.
»Hei, Mel!« Joe rüttelte an Mels Schulter, doch der Fahrer des Lincoln reagierte nicht. Er schien tief und fest eingeschlafen zu sein.
Joe beschlich so etwas wie Furcht und Panik zugleich. Was war passiert?
Er nahm vorsichtig seinen Kopf hoch, um einen Blick auf das hochbeinige Monstrum werfen zu können.
Der schwarze Wagen mit den scheußlich eckigen Formen stand knapp vor dem im Graben liegenden Lincoln, aber ausgestiegen war der Fahrer nicht.
Joe nahm vorsichtig seinen Kopf wieder zurück ins Gras und überlegte angestrengt, was er jetzt machen sollte. Er rüttelte und schüttelte vorsichtig seinen Partner Mel, doch der Mann glich in diesem Augenblick einem gefühllosen Mehlsack.
Joe versuchte, sich erst einmal in Sicherheit zu bringen. Er spürte, daß von diesem seltsam eckigen Wagen eine Bedrohung ausging, der er nicht gewachsen war. Joe schlängelte sich also von Mel weg und strebte tiefer in das nahe Buschwerk hinein, um plötzlich aufzukicksen und nach seiner Kehrseite zu greifen. Gleichzeitig durchschoß ihn ein böser Schmerz, der ihn hochfahren ließ. Irgend etwas mußte seine linke Kehrseite empfindlich getroffen haben.
Er fuhr also hoch und fiel dann haltlos zurück ins Gras. Er spürte schon nicht mehr den Schmerz, der von seinem Hinterkopf ausging und der ihn sofort hatte ohnmächtig werden lassen. Joe hörte nicht mehr die gemessenen Schritte eines Mannes, der sich ihm näherte.
»Sagenhaft! Aus der Entfernung!« meinte Anwalt Rander und nickte seinem Butler anerkennend zu. Er meinte die Gabelschleuder in Parkers Hand, die der Butler als Schußwaffe verwendet hatte.
»Ihr Lob, Sir, beschämt meine bescheidene Wenigkeit«, sagte Josuah Parker und klappte die Patentschleuder zusammen, um sie in der Brusttasche seines schwarzen Zweireihers verschwinden zu lassen. Wenn die beiden Gangster wieder zu sich kamen, brauchten sie nicht zu wissen, daß Parker sie mittels der Gabelschleuder und einiger Spezialmurmeln außer Gefecht gesetzt hatte.
Parker kümmerte sich um die beiden ohnmächtigen Männer und tat nichts dagegen, als seine Hände sich in die Brusttaschen der beiden Gangster verirrten. Der Butler studierte den Inhalt zweier Brieftaschen, kontrollierte die Schußwaffen, entlud sie sicherheitshalber und sah zu seinem jungen Herrn hinüber, der gerade vom Lincoln zurückkam.
»Würden Sie mir mal sagen, was das hier ist?« fragte Rander und präsentierte seinem Butler einen eigenartigen Gegenstand. Es handelte sich um Stahlhaken, die so miteinander verschweißt waren, daß zumindest immer zwei geschliffene Spitzen nach oben ragten.
»Dies, Sir«, dozierte der Butler, »ist ein sogenannter Krähenfuß, mit dem sich Autoreifen mit größter Sicherheit durchbohren lassen. Ich darf darauf hinweisen, daß bestimmte Zollbehörden und …«
»Kommen Ihnen diese Dinger nicht bekannt vor?« unterbrach Rander streng.
»In der Tat, Sir, sie könnten aus dem Spezialbehälter meines Wagens stammen.«
»Und Sie können sich natürlich gar nicht daran erinnern, ein paar Krähenfüße ausgestreut zu haben, nicht wahr?«
»Wenn ich nachdenke, Sir, so …«
»Schon gut, Parker«, sagte Rander abwinkend, »Sie haben mich wieder einmal aufs Kreuz gelegt. Sie haben diese Dinger absichtlich ausgestreut, um an die beiden Lincolnfahrer heranzukommen!«
»Ehrlicherweise möchte ich dies nicht abstreiten, Sir.«
»Na, schön.« Rander steckte den Krähenfuß vorsichtig ein, »glauben Sie aber ja nicht, mit diesem Trick hätten Sie mich für einen neuen Fall interessiert. Wir fahren weiter!«
»Wie Sie meinen, Sir. Darf ich vorher noch die übrigen Krähenfüße einsammeln, damit andere Wagen …«
»Aber beeilen Sie sich!«
Josuah Parker ging hinüber zur Straße und fand ohne jede Überraschung noch genau sechs Krähenfüße, die er zurück zu seinem Wagen brachte. Dann wartete er auf seinen jungen Herrn, der aus dem Graben stieg und zurück zum hochbeinigen Monstrum kam.
»Ich möchte mein Fehlverhalten entschuldigen, Sir«, sagte Parker und deutete eine knappe Verbeugung an, »aber es handelt sich immerhin um zwei Männer, die eindeutig Schußwaffen mit sich führen.«
»Fahren wir!« sagte Rander knapp, »vergessen wir, was wir gesehen haben. Ich weigere mich, in diese Sache einzusteigen. Ich will meine Ruhe haben und von Gangstern nichts mehr wissen. Ich bin schließlich Anwalt und kein Privatdetektiv!«
»Ihr tauben Nüsse«, sagt Gary Hondal aufgebracht zu Mel und Joe, die ihm ihre Geschichte erzählt hatten, »und so was muß Profis passieren! Nicht zu glauben!«
»Dieser komische Bursche ist mit allen Wassern gewaschen«, entschuldigte sich Mel und rieb sein schmerzendes Knie.
»Der Kerl hat uns ausgetrickst«, fügte Joe hinzu und rieb sich seine Stirn, die nicht weniger schmerzte, »plötzlich hatte er uns außer Gefecht gesetzt. Ohne Schußwaffe. Es war überhaupt nichts zu hören.«
»Ihr Kamele«, sagte Gary Hondal, »zuerst laßt ihr den Boß abschießen, und dann schafft ihr es noch nicht mal, seinen Mörder zu erwischen. Wie ist das alles gekommen?«
»Wir aßen ’nen Happen im Drive-in, und dann ging der Boß rüber zu den Toiletten«, berichtete Mel, »Joe und ich gingen ihm nach, als er zu lange wegblieb. Als wir die Tür aufbrachen, war Steven bereits tot. Erschossen aus nächster Nähe!«
»Und das hier fanden wir vor seinen Füßen«, sagte Joe und präsentierte Gary Hondal eine Lederbrieftasche, die ziemlich abgewetzt aussah.
»Der Mörder muß sie verloren haben«, berichtete Mel hastig weiter. »Sie gehört einem gewissen Josuah Parker, ’ne ulkige Nudel, wenigstens auf dem Foto hier.«
Er klappte die Brieftasche auf und zog einen britischen Paß hervor.
»Josuah Parker«, las Gary Hondal, »britischer Staatsbürger, stammt aus London. Moment mal, hier ist ja seine Adresse, Chikago, Lincoln-Park Avenue.«
»Komisch sieht er zwar aus, er ist’s aber nicht«, berichtete Joe weiter, »der Bursche muß Profi sein!«
»Wieso habt ihr ihn so schnell gefunden?« wollte Gary Hondal wissen.
»Wir haben uns sofort abgesetzt, als Steven tot war«, erklärte Mel, »von wegen Polizei und so. Ihm war ja doch nicht mehr zu helfen.«
»Wann habt ihr den Kerl entdeckt?« fragte Hondal noch einmal. Er war nur mittelgroß schlank bis mager und wirkte immer ein wenig hektisch und nervös.
»’ne Viertelstunde später oder so«, sagte Joe, »wir fuhren zurück in die Stadt und sahen plötzlich vor uns diesen komischen Schlitten. Das Foto davon is’ in der Brieftasche. Da!«
Er griff nach dem Inhalt der Brieftasche, den Gary Hondal auf dem Tisch ausgebreitet hatte, und präsentierte ein bestimmtes Foto.
Auf diesem Bild war tatsächlich das hochbeinige Monstrum des Butlers zu sehen. Davor stand Parker, der sich mit einem Tuch abmühte, Glanz auf den schwarzen Lack zu bringen.
»Wir wußten sofort, wen wir vor uns hatten«, sagte Mel hastig, »Joe und ich machten uns an ihn ran, aber dann passierte uns diese blöde Panne.«
Gary Hondal scharrte den Inhalt zusammen und gab ihn zurück in die abgewetzte, schwarze Lederbrieftasche. Dabei überlegte er blitzschnell, was jetzt zu tun war.
Klar war, daß er die Fäden nicht mehr aus der Hand geben durfte. Das Schicksal hatte ihm hier eine einmalige Chance zugespielt. Wenn er jetzt etwas aufpaßte und auf Draht war, konnte er das Geschäft an sich reißen. Ein tolles Geschäft übrigens!
»Ihr habt ja die Adresse«, sagte er kühl und gelassen, »kümmert euch um ihn! Aber ich will ihn so haben, daß er noch was sagen kann. Ich will wissen, für wen er Steven Gateway umgebracht hat. Los, zeigt mir, daß eure Pechsträhne abgerissen ist!«
»Ich habe mir erlaubt, Sir, einen kleinen, bescheidenen Imbiß vorzubereiten«, sagte Josuah Parker und schob das Silbertablett vor.
»Sehr gut«, schnaufte Sergeant McLean von der Mordabteilung der Stadtpolizei und vergaß prompt seine Umgebung. McLean war gut und gern 1,85 m groß, stark wie ein Bär und sah aus wie ein gutmütiger Riese.
»McLean!« sagte Lieutenant Madford mit scharfer, mahnender Stimme, »Sie sind nicht hier, um einen kleinen Imbiß zu vertilgen, sondern um sich Notizen zu machen.«
»Okay«, erwiderte McLean, »die vergeß’ ich schon nicht!« Er langte zu, legte sich zwei Sandwiches zurecht, biß herzhaft zu und aß mit mahlenden Kiefern.
»So was Verfressenes.« Madford schüttelte den Kopf. »Ich frage mich immer wieder, warum ich solch ein Ungeheuer als Assistenten beschäftige.«
»Sie sind sicher, daß der Tote Steven Gateway ist?« fragte Rander, der kaum hingehört hatte.
»Vollkommen sicher, Rander«, erwiderte Lieutenant Madford, der klein, drahtig und cholerisch wie ein Terrier war. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen.«
»Dann weiß ich ja, was uns noch blühen wird.« Rander seufzte.
»In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken«, meinte Madford, »nach der Geschichte, die Parker erzählt hat, hält man Sie und ihn für Gateways Mörder!«
»Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, Sir«, schaltete der Butler sich ein, »aber ich möchte einräumen und zugeben, daß der Name Gateway mir nicht allzuviel sagt.«
»Aber mir, Parker!« Lieutenant Madford verdrehte die Augen. »Gateway hatte hier in der Stadt so ganz unter der Hand und sehr unauffällig eine Organisation aufgebaut. Er kontrollierte die Fernspeditionen!«
»Wie das?«
»Sehr einfach. Immer die alte Masche, aber sehr wirkungsvoll. Gegen spezielle Zahlungen sorgten er und seine Leute dafür, daß Überlandlastwagen ungeschoren aus der Stadt kamen und auch mit Ladung am Zielort aufkreuzten. Einzelheiten brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu erklären.«
»Also Erpressungen im großen Stil, ja?«
»Richtig, Rander, Und das alles unter dem Deckmantel einer Autoölfirma.«
»Demnach dürfte er also sehr viele Feinde gehabt haben, oder?«
»Selbstverständlich. Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. Theoretisch könnte Gateway von einem der erpreßten Speditionsunternehmer erschossen worden sein. Woran ich aber nicht glaube. Da ist immerhin dieses Mädchen, das Ihrem Butler die Brieftasche stahl. Und da ist die Brieftasche, die wohl wahrscheinlich von den beiden Männern gefunden wurde, die hinter Ihnen und Parker her waren.«
»Sie glauben, daß die gestohlene Brieftasche diese Jagd ausgelöst hat?«
»Selbstverständlich. Schade, daß Sie nicht nach ihr im Lincoln gesucht haben! Und verdammt schade, daß Sie die beiden Strolche nicht der Polizei übergaben!«
»Danke für die Blumen«, meinte Rander etwas ärgerlich, »das ist, um ein anderes Sprichwort zu gebrauchen, Wasser auf Parkers Mühlen!«
»Ich möchte betonen und einwerfen, Sir, daß ich mich jeder Bemerkung enthielt«, sagte Parker, der McLean zusah, wie er eine Schnitte nach der anderen vertilgte. Übrigens mühelos.
»Die Zusammenarbeit mit Ihnen ist verdammt mühevoll«, beschwerte sich Lieutenant Madford weiter, »einmal sind Sie verschwiegen wie ’ne tote Auster und rücken nicht mit der kleinsten Andeutung heraus, dann wieder wollen Sie sich aus allem heraushalten und lassen die wichtigsten Kronzeugen laufen.«
»Sonst noch etwas?« fragte Rander gereizt.
»Ihnen wird es reichen«, meinte Madford und grinste, »die Gateway-Leute werden Ihnen die Hölle heißmachen, verlassen Sie sich darauf! Wie gesagt, für diese Gangster sind Sie und Parker die Mörder ihres Bosses.«
»Wobei die Frage ungeklärt bleibt, wer dieses Mädchen ist und für wen es Parkers Brieftasche stahl!«
»Glauben Sie denn wirklich, an dieses Mädchen noch mal heranzukommen?« sagte Lieutenant Madford spöttisch, »die hat sich längst abgesetzt, nachdem sie die Brieftasche abgeliefert hat. Für mich ist die Sache klar. Sie sollte die Brieftasche irgendeines Trottels stehlen, damit Gateways Männer später abgelenkt würden. Abgelenkt von den wirklichen Tätern!«
»Hatte Gateway Konkurrenten?« erkundigte sich Rander mit plötzlich erwachendem Interesse, wie Parker mit Freude feststellte.
»Natürlich, aber was besagt das schon? Wie wollen Sie denen was nachweisen? Das könnte nur dieses Mädchen, aber ich wette, daß die längst über alle Berge ist. Wenn sie überhaupt nicht schon umgebracht wurde!«
»Also schön, Parker, sehen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an«, sagte Mike Rander eine halbe Stunde später, nachdem Madford und McLean gegangen waren, »ich habe mir da einige Schnitzer geleistet und hätte nicht stur spielen sollen. Aber es ist nun mal passiert. Machen wir das Beste daraus!«
»Sehr wohl, Sir!«
»Und das bedeutet für uns, so schnell wie möglich abzureisen«, redete Mike Rander weiter, »ich habe keine Lust, mich von diesen Gangstern hetzen zu lassen.«
»Nach einem relativ oft zitierten Sprichwort, Sir, soll der Angriff die beste Verteidigung sein. Wobei ich über den Wert oder Unwert dieser Behauptung kein abschließendes Urteil fällen möchte.«
»Angriff? Wie stellen Sie sich den vor? Sollen wir zu Gateways Nachfolger gehen und uns brüderlich mit ihm aussprechen? Dann können wir gleich Selbstmord begehen, das ist dann schmerzloser!«
»Vielleicht sollte man der Gateway-Bande den wirklichen Mörder präsentieren, Sir!«
»Und wie stellen Sie sich das vor?«
»Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, Sir, aber man müßte vielleicht nach jener jungen Dame suchen, die so frei war, meine Brieftasche zu entwenden.«
»Suchen Sie die Stecknadel im Heuhaufen, das klappt schneller.«
»Vielleicht könnte ich mit einer vagen Andeutung dienen, Sir.«
»Ach nee.« Rander sah seinen Butler überrascht an, »soll das heißen, daß Sie Madford nicht alles gesagt haben?«
»Möglicherweise stand meine bescheidene Wenigkeit noch unter dem Schock der Ereignisse, Sir, inzwischen dürfte sich mein Gedächtnis aber wieder voll regeneriert haben.«
»Wo finden wir die Taschendiebin und wie heißt sie?«
»Dies, Sir, ist mir im Augenblick noch nicht bekannt, hingegen erinnere ich mich allerdings, wie das Kennzeichen ihres Wagens lautet.«
»Sie glauben doch nicht, daß sie ihren eigenen Wägen benutzt hat, Parker. So naiv wäre ja noch nicht mal ein blutiger Anfänger.«
»Man wird möglicherweise sehen, Sir.« Parker wollte weitersprechen, doch ein kleines Lichtsignal, das im Studio Mike Randers aufflammte, ließ ihn schweigen.
Dieses Lichtsignal bestand darin, daß ein zweiarmiger Wandleuchter über der breiten, schweren Ledercouch kurz aufflackerte, obwohl er noch nicht regulär eingeschaltet worden war.
Dies war das Zeichen dafür, daß ein Benutzer des Schnellifts über einen bestimmten Punkt hinaus nach oben gekommen war und sich jetzt dem letzten Ausstieg näherte.
»Sie bekommen Besuch, Sir«, sagte Parker.
»Das Mädchen, nach dem wir suchen«, spöttelte Rander. Parker antwortete nicht, er deutete eine knappe Verbeugung an und verließ das Studio seines jungen Herrn, das sich in der geräumigen Dachgartenwohnung befand.
Parker ging hinüber in die große Eingangsdiele, öffnete einen Wandschrank und schaltete das private Fernsehgerät ein, das mit einer Aufnahmekamera gekoppelt war.
Das Bild war sofort da und zeigte den oberen, quadratischen Korridor, von dem aus eine enge Treppe hinauf zum Dachgarten führte. In diesem Korridor endete der Lift, dessen Tür sich jetzt öffnete.
Parkers Gesicht blieb unbewegt, als die Person den Lift verließ, sich suchend umschaute und dann hinüber zur Treppe ging. Diese Treppe endete vor einer Tür, die zwar harmlos und regulär aussah, aber nichts anderes war als eine schwere Tresortür. Erst hinter ihr lag der eigentliche Dachgarten mit dem komfortablen Penthouse, in dem Rander und Parker in Chikago wohnten.
Parker nahm also die Person zur Kenntnis, die einen Besuch abstatten wollte. Dann schaltete er das Wechselsprechgerät ein, das ebenfalls im Wandschrank installiert war und von dem aus man alle Räume erreichen konnte.
»Besuch, Sir«, meldete Parker, »es handelt sich nun jene junge Dame, die sich für meine an sich wertlose Brieftasche interessierte!«
»Mensch, Joe, die Sache ist doch einfach«, sagte Mel optimistisch, »wir fahren rauf zu dieser Dachgartenwohnung, klingeln und warten, bis die Träne aufmacht. Dann wedeln wir mit unseren Kanonen und laden ihn zu ’ner kleinen Spazierfahrt ein.«
»Weißt du eigentlich, wer dieser Parker ist?« fragte Joe.
»Dieser gerissene Bursche, der uns aufs Kreuz gelegt hat, klar!«
»Eben. Und dieser gerissene Bursche ist hoch viel mehr. Ich hab’ mich erkundigt. Der soll ganz oben auf der Abschußliste des Syndikats stehen!«
»Moment mal, Joe. Dann gibt’s doch ’ne Prämie für seinen Abschuß, oder?«
»Möglich, aber im Moment nicht interessant, Mel. Wir werden uns die Finger verbrennen, wenn wir nicht aufpassen.«
»Die verbrennt er sich. Los, komm endlich!«
Mel und Joe stiegen aus ihrem Wagen und gingen zum nahen Bürohochhaus hinüber, auf dessen Dach sich das Penthouse befand. Einen Privateingang gab es nicht. Sie mußten durch die große Halle, orientierten sich an den Hinweisschildern und bestiegen den Expreßlift, der sie nach oben bringen sollte.
Schon in dem Augenblick, als sie den Knopf für das zwanzigste Stockwerk drückten, kündigten sie ihren Besuch automatisch an. Doch das ahnten sie nicht, sonst wären sie möglicherweise unterwegs aus- und umgestiegen, um so schnell wie möglich wieder zurück zu ihrem Wagen zu kommen.
»Was sagst du zu Hondal?« fragte Mel, während sie nach oben fuhren.
»Ist er jetzt nicht der neue Boß?« meinte Joe arglos.
»Möglich, falls er sich durchsetzt. Da ist immer noch Stonewell.«
»An wen sollen wir uns halten? Was meinst du?«
»An den, der am besten zahlt«, sagte Mel lächelnd, »oder hast du Lust, die Gang zu führen?«
»Ich bin doch nicht verrückt«, sagte Joe, »auf dem Stuhl sitzt man nicht lange.«
»Sag’ mal, Joe«, fuhr Mel plötzlich hoch, »merkst du nichts?«
»Was denn?« Joe zuckte die Achseln.
»Der Lift fährt doch nach unten.«
»Du bist verrückt!« Joes Lächeln wurde etwas unsicher.
»Wir rauschen nach unten!« wiederholte Mel hartnäckig. Seine Stimme wurde lauter, »spürst du das nicht?«
»Unsinn!« Joe wurde unsicher, »wie denn! Hier, sieh’ doch! Das Leuchtsignal steht auf Nummer zwanzig. Und das ist ganz hoch oben, letzte Station.«
»Trotzdem.« Mel studierte die Leuchtsignale und schüttelte den Kopf, »komischer Lift. Zeigt überhaupt nicht an, welches Stockwerk wir passieren.«
»Vielleicht was kaputt?«
»Möglich. Aber komisch is es doch. Ich stopp’ das Ding mal.«
Er drückte einen der zwanzig Knöpfe, wartete auf eine Reaktion, sah seinen Partner Joe unsicher an und begann dann, die Stockwerkknöpfe von oben ab nach unten zu tasten.
»Irgendwo müssen wir ja sein«, sagte er dazu, »irgendwo muß das verfluchte Ding ja stehenbleiben.«
»Nichts!« registrierte Joe, »warte, ich versuch’ mal, die Tür zu öffnen. Vielleicht sind wir schon oben!«
Er bewegte den Griff der Tür, doch der rührte sich nicht und fühlte sich an wie festgeschweißt.
»Klarer Fall, daß wir noch fahren«, stellte Mel fest, »aber nach unten. Ich spür’ das im Magen.«
»Unsinn, wir sind da«, meinte Joe in diesem Augenblick erleichtert, »der Lift hat doch gerade aufgesetzt.«
»Sie läßt sich öffnen«, stellte Mel erleichtert fest. Er konnte den Türverschluß bewegen. Die Falttür öffnete sich geräuschlos und normal. Die beiden Männer traten hinaus.
»Komische Geschichte.« Mels Unruhe wuchs, als er in einen kleinen, schmalen Korridor hineinsah, der weiß gekachelt war. Am Ende des Korridors war eine Tür zu sehen.
»Nun komm schon«, sagte Joe ungeduldig, »du hörst die Flöhe husten, Mel.«
»Nach ’nem Dachgarten sieht das aber gar nicht aus.«
»Du machst mich verrückt mit deiner Unkerei.« Joe ging voraus zur Tür, Mel folgte zögernd und griff nach seiner Schußwaffe, die im Schulterhalfter stak.
Dann schrak er plötzlich zusammen, federte unheimlich schnell um seine Längsachse herum, zog gleichzeitig seine Waffe und duckte sich breitbeinig ab, bereit, sofort einen gezielten Schuß anzubringen.
Der Lift war nicht mehr zu sehen. Dort, wo sich gerade noch die Ausgangstür befunden hatte, war jetzt nur noch eine weiße Wand zu sehen.
Mel lief auf diese Wand zurück, untersuchte sie und hämmerte dann mit dem Schaft der Schußwaffe gegen diese Wand.
»Stahl!« stellte er fest, »und verdammt dick!«
»Hier auch!« rief Joe von der Tür, die sich in der Stirnwand des Korridors befand, »Stahl … Dick wie ein Panzerschrank! Weißt du, was das zu bedeuten hat!?«
»Gedulden Sie sich bitte noch einen Augenblick«, erklang in diesem Moment Parkers Stimme. Sie schien von allen Seiten zu kommen. »Ich werde mich so schnell wie möglich Ihnen widmen. Würden Sie inzwischen die Freundlichkeit haben und Ihre Schußwaffen abgeben? Ich möchte vermeiden, daß es zwischen Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit zu gewissen Mißverständnissen kommt!«
Mel und Joe hielten längst ihre Schußwaffen in den Händen und suchten die glatten Türen und Kachelwände ab. Sie zuckten zusammen, als ein kleines Quadrat, bestehend aus vier Kacheln, sich öffnete und eine Art Durchreiche freigab.
Dazu war Parkers höflich gemessene Stimme zu hören.
»Sie können Ihre Waffen im Wandfach deponieren. Sie werden sie später zurückerhalten.«
Mel blickte Joe an und schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, nicht!« flüsterte er dann Joe zu, »das is’ nur’n Trick.«
»Aber keineswegs«, war Parkers höfliche Stimme zu vernehmen, »da ich aber Ihre Besorgnis verstehen kann, werden Sie mir erlauben, einige andere Vorsorgemaßnahmen zu treffen.«
Seine Stimme ging mit dem letzten Wort in einem feinen, aber irgendwie bedrohlich aufdringlichen Zischen unter.
Sie trug einen leicht ausgestellten, sehr kurzen Chanel-Mantel, der genau zu dem reizenden Kostüm paßte. Sie sah darin bezaubernd und hilflos aus. Ihr schwarzes Haar war straff zurückgekämmt und zu einem Knoten zusammengebunden, den eine Schleife zierte. In der linken Armbeuge trug sie eine braune Handtasche aus Krokoleder.
»Ich heiße Jill Mancini«, stellte sie sich vor, nachdem sie von Parker in Randers Studio gebracht worden war. »Der Name wird Ihnen nichts sagen.«
»Noch nicht«, erwiderte Rander und deutete auf den Besuchersessel vor seinem Arbeitstisch. »Was kann ich für Sie tun, Miß Mancini?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte«, begann Jill Mancini etwas ratlos und legte die langen, schlanken Beine übereinander, was ihr ungemein gut stand. Sie wandte sich zu Parker um, der schräg hinter ihr stand. »Sie kennen mich ja und Sie wissen auch, daß ich Ihre Brieftasche gestohlen habe.«
»Hoffentlich konnte ich Ihnen dienlich und behilflich sein«, erwiderte der Butler höflich.
»Ich habe sie leider nicht mehr«, redete Jill Mancini weiter.
»Wir wissen es«, sagte Rander etwas ironisch, »sie wurde vor den Füßen des ermordeten Gangsterbosses Steven Gateway gefunden. Aber das wissen Sie ja wohl. Ich frage mich nur, weswegen Sie gekommen sind! Mit Ihrem Besuch hätte ich nun wirklich nicht gerechnet!«
»Ich brauche Ihre Hilfe«, antwortete Jill Mancini, »ich glaube, daß man mich umbringen will’«
Ihre dunklen Augen nahmen einen hilflosen Ausdruck an, und Rander spürte sofort Sympathie für dieses reizende Geschöpf.
»Sollten Sie meinem Butler und mir nicht alles der Reihe nach erzählen?« fragte er. Er hatte sich bereits ein erstes Urteil gebildet. Sie mochte einen Diebstahl begangen haben, gut, aber sie war auf keinen Fall ein raffiniertes, billiges Flittchen, das ihm etwas Vorspielen wollte.
»Kann ich einen Drink haben?« bat sie, »vor lauter Aufregung bin ich ganz trocken im Mund.«
»Parker. Einen Drink für unseren Gast!« Rander sah an Jill vorbei und nickte seinem Butler zu.
»Wissen Sie, eigentlich bin ich durch meine Dummheit in diese Geschichte hineingeschlittert«, sagte sie und sah Parker nach, der das Studio verließ, »darf ich mir eine Zigarette anzünden?«
Sie wartete die Erlaubnis selbstverständlich nicht ab und öffnete ihre gewiß nicht billige Handtasche.
Und schrie wütend auf, als ihre Hand nicht in der Lage war, aus der Tasche herauszukommen, da Parkers Finger die Bügel freundlich, aber nachhaltig zusammenpreßten.
»Aber Parker, was soll denn das?« Rander schüttelte mißbilligend den Kopf. »Entschuldigen Sie, Miß Mancini, aber mein Butler dürfte seine übliche Vorsicht diesmal etwas übertrieben haben.«
Parker blieb neben Jill stehen und sah nun zu, daß sie aus der Handtasche tatsächlich nur eine Zigarettenpackung und ein kleines Feuerzeug holte. Dabei rieb sie sich den Rücken ihrer linken Hand, der wohl etwas überstark mißhandelt worden war.
»Ich bitte sehr um Entschuldigung und bin das, was man im Volksmund untröstlich nennt«, sagte der Butler und verbeugte sich tiefer als normal vor der jungen, sehr attraktiven Frau, »ich darf Ihnen versichern, daß dies nicht wieder Vorkommen wird. Ich hole jetzt den Drink, Madam!«
»Hat er etwa geglaubt, daß ich einen Überfall geplant habe?« fragte sie belustigt und sah dem Butler erneut nach. Dabei stand Sie auf und stellte sich so in Position, daß sie die Tür zum Studio genau überblicken konnte.
»Parker ist eben ein mißtrauischer Mensch«, entschuldigte Rander seinen Butler noch einmal.
»Was auch richtig ist«, sagte Jill und richtete die Zigarettenpackung plötzlich auf den jungen Anwalt, »keine falsche Bewegung, Mister Rander, sonst drücke ich ab!«
»Was … was soll denn das?« Rander wiederholte sich, was sein Erstaunen anbetraf, diesmal aber in einem anderen Zusammenhang.
»Das hier ist eine Schußwaffe!« sagte sie und hob die Zigarettenpackung etwas an. »Mitglieder gewisser Geheimdienste arbeiten damit.«
»Sind Sie …!« Rander wurde trocken im Mund. Das Mini-Mädchen sah plötzlich gar nicht mehr sonderlich unschuldig aus.
»Rufen Sie Ihren Butler!« kommandierte sie ungeduldig.
»Sie wollen doch … ich meine …
»Rufen Sie schon!« Sie sah zur Tür hinüber, durch die der Butler gegangen war. Rander fühlte, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach. Er verfluchte seine Naivität. Er wußte jetzt, daß es um Leben oder Tod ging.
»Er kommt bereits«, sagte Rander und verspürte eine lähmende Hilflosigkeit.
Jill Mancini lächelte kalt und trat etwas zur Seite. Sie wartete auf die Ankunft des Butlers, die nicht lange auf sich warten ließ.
»Der Drink, Sir!« meldete er, während er das Studio betrat. Er blickte seinen jungen Herrn an, dann sah er hinüber zu Jill Mancini und richtete sein Augenmerk auf die Zigarettenschachtel.
»Eine Schußwaffe, nicht wahr?« erkundigte er sich höflich.
»Erraten!« Sie lächelte mokant, »und sehr wirkungsvoll, wie Sie gleich feststellen werden!«
»Darf ich fragen, warum Sie meine bescheidene Wenigkeit umbringen wollen, Madam!«
»Weil Sie mich kennen! Und dagegen habe ich etwas!«
»Weil Sie mit den Mördern Mister Gateways Zusammenarbeiten!«
»In etwa!« sagte sie kühl, »aber das alles wird Sie bald nicht mehr interessieren.«
»Fürchten – äh – fürchten Sie, Parker oder ich könnte Sie bei der Polizei anzeigen?« brachte Rander sich ins Gespräch, um Parker eine Angriffschance zu geben.
»Ich fürchte Ihre Hartnäckigkeit«, erwiderte sie, ohne Parker aus den Augen zu lassen, »inzwischen weiß ich nämlich, wer Sie sind. Und ein unnötiges Risiko gehe ich niemals ein!«
»Sie scheinen sich in gewissen Branchen äußerst gut auszukennen, Madam.«
»Ich bin auf jeden Fall keine Anfängerin mehr«, erwiderte sie lächelnd, um dann abzudrücken.
Der Schuß klang noch nicht einmal besonders laut. Parker zuckte zusammen, blieb aber stehen.
Sie schoß erneut, ohne den Butler aber zu beeindrucken. Darüber vergaß sie Rander, der ohne Rücksicht auf Verluste um den Schreibtisch herumlief, um sich auf Jill Mancini zu stürzen.
Ein dritter Schuß.
Parker lächelte und ging langsam auf Jill zu, die zurückwich, irgendwelche sinnlosen Worte stammelte und die Augen weit aufriß.
Sie merkte kaum, daß Rander ihr die Zigarettenpackung aus der Hand schlug. Sie starrte den Butler an, der jetzt das Tablett mit dem Drink absetzte.
Es waren die scheußlichen Kopfschmerzen, die Mel aufwachen ließen.
Er fuhr sich stöhnend über die Stirn, hüstelte und wollte sich aufrichten. Er zuckte zurück, als sein Kopf an einen Gegenstand stieß.
Nun war er augenblicklich hellwach.
Seine Hände tasteten verzweifelt umher und erfühlten seinen Partner Joe, aber auch die Kistenwände, die sie einschlossen.
»Joe … Joe … wach’ auf!« Er rüttelte und schüttelte seinen Kumpan, der leise stöhnte, dann aber sehr schnell zu sich kam und sich ebenfalls den Kopf rammte.
»Der Teufel ist los, Joe«, sagte Mel, »wir stecken in einer Transportkiste!«
»Waaas?«
»Wir stecken in ’ner Transportkiste. Fühl’ doch selbst!«
»Tatsächlich!« murmelte Joe beeindruckt, »was soll das heißen?«
»Keine Ahnung!«
»Aber wer hat uns da reingesteckt?«
»Wahrscheinlich dieser verdammte Butler. Er hat uns mit irgend ’nem Giftgas eingeschläfert und dann verpackt.«
»Mann, Mel. Wir fahren ja.«
»Hiiilfe!« schrie Mel sofort, »Hiiilfe! Hört doch, Jungens! Hiiilfe!«
Keine Antwort, aber dafür das typische Schaltgeräusch eines schweren Lastwagens. Dann ein Rumpeln, ein schriller Pfiff einer Lokomotive.
Das Rütteln und Schütteln wurde weicher und ging über in ein schaukelndes Rollen.
»Der hat uns auf ’n Truck verladen«, sagte Mel verzweifelt.
»Du meinst, wir schaukeln auf ’nem Lastwagen durch die Gegend?«
»Klar. Hörst du doch!«
»Und wohin mag’s gehen?«
»Weiß ich doch nicht! Los, wir müssen hier raus, bevor wir quer durch die Staaten transportiert werden! Wir müssen uns mit den Schultern hochstemmen.«
Sie rackerten sich ab und wuchteten sich mit Vereinten Kräften gegen den Kistendeckel. Sie gerieten in Schweiß, ins Keuchen, sie gönnten sich kaum Ruhe und ließen sich schließlich doch fast entkräftet und atemlos zurücksinken.
»Nichts zu machen«, sagte Mel keuchend.
»Wie einzementiert«, fügte Joe hinzu. Er schrak zusammen, als die Hupe des Lasters, auf dem sie sich befanden, einige Male heiser röhrte.
»Wir müssen’s gleich noch mal versuchen«, sagte Mel.
»Hat doch keinen Sinn«, meinte Joe apathisch, »der hat genau gewußt, was er will. Und auf der Ladefläche hört uns kein Mensch.«
»Dieser blöde Hondal«, regte sich Mel plötzlich auf und parodierte ihn, »ich hör ihn noch, wie er gesagt hat: ›Zeigt, daß eure Pechsträhne beendet ist!‹ Der hat gut reden!«
»Dem werde ich was erzählen, wenn wir hier erst mal wieder raus sind«, schimpfte Joe, »ich will dir mal was sagen, Mel, wir hätten uns erst mal mit Stonewell unterhalten sollen, bevor wir losfuhren. Vielleicht ist das überhaupt der neue Mann.«
»Wie kommen wir hier raus?« fragte Mel gereizt, »andere Sorgen habe ich im Moment nicht. Hoffentlich fährt der Truck nicht rüber nach New York. Da sind sie nämlich besonders scharf auf mich!«
Mel und Joe redeten, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie packten Interna aus, die ihre Gang betrafen und hatten keine Ahnung, wo sie sich befanden.
Hätten sie es auch nur andeutungsweise gewußt, sie wären aus dem Staunen sicher nicht mehr herausgekommen.
»Sie sollten einen kleinen Schluck trinken«, sagte Parker zu Jill Mancini, »Ihnen wird danach sicher besser werden.«
Jill schluchzte trocken und griff nach dem gebotenen Glas. Gierig trank sie es leer, starrte dann wieder den Butler an und rutschte tief in den Sessel, in dem sie Platz genommen hatte. Ihre Augen schlossen sich ohne jeden Übergang. Dann schlief sie tief und fest.
»Auch ich könnte einen Schluck brauchen«, meinte Rander und wischte sich über die schweißnasse Stirn. »Ihre Vorstellung war einmalig, Parker.«
»Der Drink, Sir«, meldete Parker nach knapp einer Minute und reichte seinem jungen Herrn ein Glas. »Sie können es unbesorgt trinken. Es enthält keineswegs jenes Schlafmittel, das ich Miß Mancini reichte!«
Parker schwieg, als sein junger Herr nach der Zigarettenpackung griff, nachdem er sich gestärkt hatte.
»Eine gewisse Vorsicht ist nach wie vor angeraten«, warnte der Butler, »ich darf darauf hinweisen, Sir, daß dieses Schießinstrument durchaus scharfe Schüsse enthält.«
»Machen Sie doch keinen Unsinn, Parker!« Rander richtete die Packung mit der wie üblich aufgerissenen Oberseite auf die Wand des Studios, suchte, fand und fingerte am Abzugspunkt und schrak ehrlich zusammen, als sich ein weiterer Schuß löste, der die Wandverkleidung aus Holz zersplittern ließ.
Rander wandte sich verblüfft zu seinem Butler um.
»Ein scharfer Schuß, Sir, wie ich bereits ankündigte.«
»Aber – aber dann verstehe ich nicht, wieso Sie …!?«
Parker knöpfte seinen schwarzen Zweireiher auf und wies auf die schußsichere Nylonweste, die er angelegt hatte.
»Ich wurde, wie ich bemerken darf, in allen drei Fällen getroffen«, erklärte der Butler gemessen, »dank der Nylonweste durfte ich überleben.«
»Sie rechneten damit, daß diese kleine Bestie schießen würde?«
»In der Tat, Sir!«
»Und da haben Sie mich mit dieser Katze allein gelassen?«
»Gewiß, Sir! In Anbetracht der Lage mußte sie mit ihren Schüssen warten, bis ich wieder zurück ins Studio kam, sonst hätte sie mich ja vorgewarnt!«
»Mir wird nachträglich noch fast schlecht!« Rander schaute auf die schlafende Jill Mancini hinunter, die jetzt wieder überraschend friedlich und unschuldig aussah. »Was machen wir jetzt mit ihr, Parker? Übergeben wir sie Madford?«
»Dies wäre eine der Möglichkeiten, die sich anbieten, Sir.«
»Und woran denken Sie?«
»Man sollte Miß Mancini aussetzen, Sir.«
»Aussetzen? Wie stellen Sie sich das vor?«
»Falls Sie einverstanden sind und meinen Vorschlag billigen, Sir, sollte man die junge Dame aus dem Haus schaffen und irgendwo in einem Park aussetzen. Sie wird danach mit Sicherheit dahin zurückkehren, woher sie gekommen ist.«
»Okay! Sie soll uns zu ihren Auftraggebern führen.«
»Sehr wohl, Sir!«
»Sie ist keine Anfängerin, Parker. Sie wird damit rechnen, daß man sie überwacht und beschattet.«
»Dieses Mißtrauen, Sir, ließe sich ausschalten.«
»Also gut«, entschied Mike Rander und nickte, »treffen Sie alle Vorbereitungen. Wie lange wird sie noch schlafen?«
»Miß Mancini wird etwa noch eine gute Stunde der Ruhe pflegen!«
Parker hob das weibliche Wesen mit einer erstaunlichen Leichtigkeit aus dem Sessel und trug die Dame aus dem Studio. Es brachte sie hinüber in seinen Wohntrakt, um das Mini-Mädchen dort in aller Ruhe zu präparieren.
Mike Rander untersuchte inzwischen die Zigarettenpackung und wurde sich darüber klar, daß Jill Mancini im Grunde nichts anderes war als eine weibliche Killerin.
Jill Mancini zuckte zusammen, als sie eine eindringliche Stimme dicht an ihrem Ohr hörte. Sie fühlte sich zwar noch benommen, aber sie bekam schnell ihre Augen auf und sah verwirrt um sich.
Sie saß auf einer Bank inmitten eines kleinen parkähnlichen Grünstreifens. Vor ihr stand ein uniformierter Polizist, der sie mißtrauisch und fragend anschaute.
»Ist was mit Ihnen?« erkundigte sich der Mann.
»Nein – nein«, erwiderte Jill hastig, »ich muß wohl eingeschlafen sein.«
»An Ihrer Stelle würde ich von hier Weggehen«, sagte der Polizist, »es geht auf den Abend zu, Miß. Und hier im Park treiben sich oft Rowdies herum!«
»Danke! Schon gut!« Jill erhob sich und wäre beinahe in den Knien eingeknickt, so schwach fühlte sie sich.
»Geht es wirklich?« fragte der Polizist.
»Bestimmt.« Jill lächelte krampfhaft. Sie hatte sich inzwischen längst erinnert und wußte sehr genau, was sich in einem bestimmten Penthouse zugetragen hatte.
Sie griff nach ihrer Handtasche, die auf der Bank lag, nickte dem Polizisten zu und beeilte sich, möglichst schnell wegzugehen. Sie wollte jetzt keine neugierigen Fragen hören. Jill mußte erst einmal mit sich selbst ins Reine kommen.
Der Polizist sah ihr noch einen Moment lang nach. Als er sicher war, daß sie tatsächlich in Ordnung schien, wandte er sich ab und schlenderte hinüber zur nahen Straße.
Jill blieb nicht lange auf den Beinen.
Sie steuerte die nächste Bank an, die von dichtem Strauchwerk umgeben war, zündete sich eine Zigarette an und ließ das Geschehen noch einmal Revue passieren.
Wieso, fragte sie sich, habe ich diesen Butler nicht niederschießen können? Die drei Schüsse hätten normalerweise einen Riesen geschafft. Wie hatte dieser Butler es fertiggebracht, auf den Beinen zu bleiben!?
Tief inhalierte sie den Zigarettenrauch, schloß die schweren Augen und brachte Ordnung in ihre Gedanken. Ihr war klar, daß sie so schnell wie möglich Bericht zu erstatten hatte. Man wartete schließlich auf bestimmte Ergebnisse.
Daß es übrigens Ärger geben würde, war ihr klar. Schließlich hatte sie versagt. Es war ihr nicht gelungen, ihren Auftrag zu erfüllen. Wahrscheinlich würde man sie das in irgendeiner Form spüren lassen.
Als sie gerade aufstehen wollte, hörte sie hinter sich ein Geräusch.
Blitzschnell und schön wieder erstaunlich reaktionssicher fuhr sie herum.
Zwei Männer standen knapp hinter ihr.
Einer von ihnen griff nach ihrer Handtasche, riß sie an sich und warf sich förmlich zurück in das Gesträuch.
Der zweite Mann griff nach ihrem Hals, schrie aber überrascht auf, als Jill diesem Angriff rücksichtslos mit einem Karategriff begegnete. Der Mann wimmerte, starrte verblüfft auf sein ausgerenktes Handgelenk und ergriff dann die Flucht.
Jill Mancini wäre normalerweise am Mann geblieben. Doch diesmal verzichtete sie darauf. Sie kümmerte sich auch nicht weiter um ihre Handtasche. Innerlich war sie einfach noch viel zu müde. Sie sehnte sich nach ihrer Wohnung und nach ihrem Bett.
Sie beeilte sich, hinüber zur nahen Straße zu kommen. Weitere Verwicklungen konnte sie jetzt nicht gebrauchen.
»Was ist denn das?« fragte Rander erstaunt und sah seinen Butler irritiert an.
Rander und Parker standen in einem mittelgroßen Kellerraum, tief unter dem Bürohaus. Der Keller war leer bis auf eine mittelgroße Transportkiste, die auf einem Metallrost stand. Dieser Rost nun wurde auf dem Umweg über ein Gestänge und Zahnräder in einer unregelmäßigen Dauerbewegung gehalten, für die ein Elektromotor sorgte.
Aus zwei Lautsprechern, die zu einer Stereoanlage gehörten, kamen erstaunliche Fahrgeräusche eines Lastwagens, untermischt von den typischen Begleiterscheinungen eines belebten Highway. Hupen machten sich bemerkbar, Bremsen quietschten, Motoren dröhnten und hin und wieder war das Warnsignal einer Polizeisirene zu hören.
»Das ist ja sagenhaft echt«, meinte Rander weiter und näherte sich der Transportkiste, »machen Sie hier einen Dauerversuch?«
»Sehr wohl, Sir, mit den Herren Mel und Joe, die zur Gang des ermordeten Steven Gateway gehören.«
»Moment! Soll das heißen, daß sich in der Kiste zwei Menschen befinden?«
»Sie können unbesorgt laut sprechen, Sir«, bemerkte der Butler in seiner höflichen gemessenen Art und Weise, »die Transportkiste wirkt als Resonanzboden für die Geräusche. Man wird uns auf keinen Fall hören können.«
»Und wozu das alles?«
»Ich simuliere eine unfreiwillige Fahrt in einem Überland-Speditionswagen, Sir. Ich möchte den beiden Herren Mel und Joe Gelegenheit verschaffen, sich gründlich auszutauschen. Aus Langeweile werden sie es inzwischen längst getan haben, wie ich vermute. Nähere Auskunft wird das Tonband geben!«
Parker wies hinüber auf ein Kabel, das aus der Transportkiste kam und sich in einen Nebenraum schlängelte.
Rander folgte Parker in dieses Gelaß, nachdem er noch einmal einen erstaunt-interessierten Blick auf das Schüttelsieb geworfen hatte.
Parker ließ das Tonband zurücklaufen, schaltete und deutete einladend auf das Gerät, aus dessen Lautsprecher jetzt der Dialog zwischen Mel und Joe kam.
»Wahrscheinlich handelt es sich um interessante Details«, meinte der Butler, »für eine intensive Auswertung dürfte es meiner bescheidenen Ansicht nach aber noch zu früh sein. Erst dann, wenn ein gewisser Grad der Langeweile erreicht ist, werden die beiden Herren noch intensiver miteinander reden. Ich darf übrigens versichern, Sir, daß die beiden Gangster durchaus angemessen untergebracht sind. Körperliche Qualen stehen sie auf keinen Fall aus!«
»Irgendwie gefällt mir dieser Trick nicht«, sagte Rander skeptisch. »Sie wissen doch, Parker, daß das Freiheitsberaubung ist, oder?«
»Durchaus, Sir. Daher werde ich es auf keinen Fall versäumen, mich zu einem späteren Zeitpunkt angemessen zu entschuldigen. Unhöflichkeit soll man meiner bescheidenen Wenigkeit auf keinen Fall nachsagen.«
Rander lächelte und sah sich noch einmal den Schüttelrost an, auf dem die große Transportkiste stand und durchgerüttelt wurde. Unwillkürlich sprang er zur Seite, als hinter ihm das Warnsignal eines überholenden Wagens zu hören war.
Er mußte sich bewußt daran erinnern, daß alles nur täuschend echt simuliert war. Wie echt erst mußten die beiden Gangster in der Kiste diese Scheinfahrt genießen und empfinden!
»Sie haben sich wieder einmal selbst übertroffen«, lobte Rander, als sie wieder oben im Studio des Penthouse waren, »aber wollen Sie mir mal verraten, wie wir diese Jill Mancini wiederfinden? Sie müssen doch zugeben, daß sie vorerst der Schlüssel zu all den Überraschungen darstellt, nicht wahr?«
»In der Handtasche Miß Mancinis, Sir, befindet sich ein Miniatur-Peilsender.«
»Naja. Immerhin etwas. Hoffentlich verschenkt sie die Tasche nicht weiter.«
»Zudem habe ich mir die Freiheit genommen, Sir, zwei bekannte Detektivinstitute anzurufen, die ihrerseits erstklassige Spitzenkräfte auf Miß Mancini ansetzen. Und zwar vom Park aus, wo ich die Dame deponierte, um es so auszudrücken.«
»Lassen wir uns überraschen …« Rander nickte nachdenklich. »Dieses Mini-Mädchen scheint nach Lage der Dinge Steven Gateway ermordet zu haben, oder?«
»Möglicherweise, Sir. Sie könnte aber auch nur den Auftrag gehabt haben, meine Brieftasche zu besorgen, die man am Tatort bewußt zurücklassen wollte, um Gateways Leute abzulenken!«
»Richtig, aber vergessen Sie nicht, daß sie auf Sie geschossen hat. Besonders zurückhaltend ist sie nicht. Skrupel scheint sie überhaupt nicht zu kennen. Noch einmal, Parker, dieser Jill Mancini macht ein Mord überhaupt nichts aus!«
»Gerade diese Tatsache, Sir, beschäftigt mich ungemein.«
»Kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie schoß immerhin dreimal auf Sie!«
»Die Tatsache, daß Miß Mancini schoß, Sir, ist recht ungewöhnlich, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
»Weil Frauen normalerweise wenig von Schußwaffen halten, wie?«
»Sehr wohl, Sir!«
»Ich darf Sie da an Damen erinnern, Parker, die mit Schußwaffen sehr gut umzugehen verstanden und sich auch nicht genierten, auf uns zu schießen.«
»In der Tat, Sir.«
»Glauben Sie etwa, sie könnte unter Hypnose gestanden haben?«
»Über diesen Punkt, Sir, sollte man ein wenig nachdenken, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, diese Anregung zu geben.«
»Miß Mancini scheint Ihnen gefallen zu haben, Parker.« Rander drohte ironisch und lächelnd mit dem Zeigefinger, »es paßt Ihnen nicht, daß sie eine Mörderin sein könnte, wie?«
»Man wird sich mit den bekannten Tatsachen abfinden müssen, Sir.«
»Ich lege Ihnen nichts in den Weg, Parker. So, und jetzt werde ich mal meine Beziehungen spielen lassen. Ich möchte herausfinden, ob eine Jill Mancini in der Unterwelt bereits bekannt ist.«
»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich einen kleinen Spaziergang unternehmen.«
»Keine Extratouren, Parker!«
»Selbstverständlich nicht, Sir. Ich möchte meinerseits auch nur ein wenig der Unterhaltung pflegen. Mir schwebt da ein flüchtiger Bekannter vor, der ungewöhnlich gut über das orientiert ist, was sich in der Unterwelt an Neuigkeiten ereignet.«
»Daß Gateway umgelegt worden ist, weiß ich bereits«, sagte Harry, genannt das ›Muschelohr‹, und winkte fast gelangweilt ab, »mußte ja eines Tages so kommen, Mister Parker.«
»Gibt es bestimmte Gerüchte darüber, von wem er erschossen worden sein könnte?« fragte Butler Parker weiter. Er stand vor der kleinen Theke eines engen, schmalen Ladenlokals, in dem Harry gebrauchtes Werkzeug aller Art verkaufte.
Sein Angebot war nicht groß, aber das hatte nichts zu besagen. Harry besorgte in Rekordzeit alles, was man wünschte. Und wenn er es selbst stahl oder stehlen ließ! Vom Schraubenzieher bis zum Schweißgerät, vom Flaschenzug bis zum Sprengstoff, alles war bei und von Harry zu bekommen.
Der Polizei war Harrys wirkliches Gewerbe selbstverständlich bekannt, aber Harry ließ sich entweder nicht erwischen, oder aber die Polizei drückte ein Auge zu, um die Informationsquelle nicht zu verschütten.
In Kreisen der Unterwelt galt Harry als lupenrein, was er wohl auch war. Den Behörden verriet er eigentlich nur das, was ohnehin bereits bekannt war oder in kürzester Zeit ans Tageslicht kommen mußte.
Im Falle Josuah Parker war Harry allerdings geneigt, eine echte Ausnahme zu machen. Er hatte dem Butler sehr viel zu verdanken. Unter anderem auch sein Leben. Doch darauf kam der Butler aus Gründen der Diskretion niemals zu sprechen.
»Von wem Gateway erledigt worden sein könnte?« Harry, ein kleiner, dicker, schwitzender Mann von etwa fünfzig Jahren, runzelte die Stirn, »entweder von denjenigen, die er laufend anzapfte oder von einem Konkurrenzunternehmen!«
»Wie wahr – wie wahr«, sagte Parker höflich, »es gibt erfreulicherweise immer zwei Möglichkeiten. Wie im Fall Masters. Haben Sie schon gehört, Harry, daß man seinen Nachttresor aufgeschweißt hat?«
»Ach nee …?« Harry schien eine Neuigkeit gehört zu haben. Wenigstens tat er so.
»Mit einem Sauerstoff-Spezialschweißgerät.«
»Diese Dinger sollen toll arbeiten.«
»Und schwer zu beschaffen sein.«
»Glauben Sie etwa, ich hätte das Gerät besorgt?«
»Sie unterstellen mir eine Behauptung, die ich nicht geäußert habe«, meinte der Butler, »bleiben wir bei Steven Gateway und seinem mutmaßlichen Mörder.«
»Da ist ein Unternehmer, der Gateway die Zähne gezeigt hat. Robert Grayburn. Ein harter Bursche. Ich habe so was läuten hören, Mister Parker, daß er durch Gateway drei Trucks verlor. Daraufhin soll Grayburn sich was vorgenommen haben.«
»Robert Grayburn also«, wiederholte der Butler gemessen, »diesen Namen wird man sich wohl merken müssen, nicht wahr?«
»Setzen Sie ihn ganz oben auf Ihre Liste, Mister Parker«, fügte Harry hinzu.
»Bliebe noch der Hinweis auf ein Konkurrenzunternehmen«, sagte Parker.
»Seit einigen Wochen machen sich ein paar Neuzugänge hier in der Stadt mausig«, antwortete Harry, dem unbehaglich zu werden schien. »Harte Burschen.«
»Nur harte Burschen? Sie führen sich auf wie ein Rudel hungriger Wölfe«, führte Harry weiter aus. »Der Leitwolf nennt sich Larry Toland und hat sein Hauptquartier über Willie’s Billardsaal aufgeschlagen. Hören Sie, Mister Parker, passen Sie höllisch auf, falls Sie sich dort sehen lassen wollen!«
Parker hatte wirklich keine Extratouren vor, als er in den Ostteil der Stadt fuhr und plötzlich, fast rein zufällig, Willie’s Billardsaal erreichte.
Da er nun schon einmal vor der Tür stand, verließ er seinen Wagen und lustwandelte gemessen hinüber zu dem grauen Backsteinbau, in dessen erstem Geschoß sich die Billardräume befanden.
Dieser Besuch stand selbstverständlich in einem engen Zusammenhang, mit seiner Suche nach dem Mini-Mädchen. Er hoffte, Jill Mancini auf diese Art und Weise zu finden, zumal ihm durchaus bekannt war, daß die scheinbar krummen Wege oft am schnellsten zum Ziel führten. Und Jill Mancini war wirklich der Schlüssel zu dem Mord an Steven Gateway.
Gewiß, Gateway war Gangsterboß gewesen, doch das hatte prinzipiell nichts zu besagen. Mord blieb Mord! Hinzu kam, daß Gateways Bandenmitglieder glaubten und annehmen mußten, er, Josuah Parker, habe ihren Chef ermordet. Diese Schmach wollte der Butler auf keinen Fall auf sich sitzen lassen.
Über eine schmale Holztreppe stieg er hinauf in das erste Geschoß und orientierte sich.
Auf der rechten Seite des saalartigen Raumes befanden sich die Bartheke, die um diese Zeit, es war gerade dunkel geworden, noch nicht sonderlich gut besucht war. Davor standen aber schon die ersten schweren Billardtische, über deren grüner Bespannung gleißend helle Tiefstrahler hingen.
Durch eine Falttür, die geöffnet war, sah man hinüber in einen zweiten Saal, in dem ebenfalls einige Billardtische standen. Statt der Theke an der Längswand gab es hier einige Sitznischen mit alten, abgewetzten Ledersesseln, die sich nach der nächsten Müllhalde zu sehnen schienen.
Rechts von der Theke im ersten Saal befand sich eine Tür, die den Blick auf eine weitere Treppe versperrte. Über sie gelangte man in ein Zwischengeschoß, in das nur gute Bekannte des Besitzers hinauf durften. In diesen sogenannten Privaträumen konnte man verbotene Glücksspiele betreiben und sein Geld auf eine besonders schnelle Art und Weise loswerden.
Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, als Willie vom Tresen her auf ihn zuwieselte, obwohl Willie einem mittelgroßen Kleiderschrank nicht ganz unähnlich sah.
»Parker?« fragte Willie mißtrauisch.
»Ich wünsche einen besonders schönen guten Abend«, antwortete der Butler, »ich hoffe, Sie befinden sich bei bester Gesundheit …«
»Ich kann nicht klagen. Was wollen Sie denn hier?«
»Ich erlaube mir, das zu treiben, was man gemeinhin Lokalstudien nennt«, erwiderte Parker, »ich darf weiter unterstellen, daß die Geschäfte gutgehen?«
»Sie könnten bessergehen. Aber Sie sind doch nicht gekommen, um mich das zu fragen, Parker. Ich kenne Sie doch! Was liegt an? Zieht sich irgendwas zusammen?«
»In gewissen Kreisen der Unterwelt herrscht Trauer«, meinte Parker.
»Kommen Sie, setzen wir uns.« Willie wieselte trotz seiner Muskelmassen erstaunlich leichtfüßig voraus und steuerte den zweiten Saal an. Hier wies er auf eine Nische knapp hinter dem trennenden Mauervorsprung.
»Wer trauert?« fragte er dann rundheraus.
»Die Mitarbeiter eines gewissen Steven Gateway, falls mich nicht alles täuscht.«
»Die beruhigen sich wieder.«
»Zur Zeit sieht es nach meinen Informationen nicht danach aus. Man sucht den Mörder Steven Gateways.«
»Wenn schon.«
»Hat man möglicherweise schon bei Ihnen nachgefragt?«
»Wieso bei mir?«
»Sollte man mich falsch informiert haben?« wunderte der Butler sich laut, »sollten bei Ihnen nicht drei junge Männer wohnen, die man als hungrige Wölfe bezeichnet hat?«
»Sie meinen Toland, Maple und Lealand?«
»In der Tat!«
»Das sollen Wölfe sein?« Willie lächelte mühsam.
»So erzählte man mir. Ist Ihnen im Zusammenhang mit diesen drei jungen Männern vielleicht eine junge, äußerst attraktive Dame aufgefallen, die gewagte Mini-Kleidung trägt?«
»Ich – ich wüßte nicht. Hören Sie, Parker, stellen Sie keine weiteren Fragen, von mir bekommen Sie keine Antwort! Ich verbrenne mir doch nicht freiwillig den Mund. Ich weiß genau, was meiner Gesundheit guttut. Ich … Hallo, Larry!«
Willie, der Kleiderschrank, geriet in leichtes Stottern, als vor der Nische ein mittelgroßer, schlanker, sehr drahtig wirkender Mann erschien, der einen Billardstock in der Hand hielt.
»Mache mal Platz, Alterchen«, sagte bewußter Larry und stieß mit der Spitze seines Billardstockes gegen Parkers Brust.
Larry, etwa dreißig Jahre alt, schmales Gesicht und brennende, dunkle Augen, fühlte sich als Ausnahmepersönlichkeit. Vielleicht glaubte er in diesem Moment sogar, er benehme sich ausgesprochen leutselig.
Er glaubte es nicht mehr, als Parker mit zwei spitzen Fingern nach der Stockspitze griff und den Stock dann nachdrücklich zurückstieß.
Larry, der mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, wurde zurückgeschleudert, verlor das Gleichgewicht, stolperte über ein schadhaftes Stück Dielenbrett und purzelte zu Boden.
»Verschwinden Sie, Parker«, zischte Willie dem Butler zu, »schnell, bevor er den wilden Mann spielt!«
Selbst wenn Parker gewollt hätte, die Zeit hätte nicht mehr gereicht.
Larry Toland, um den es sich handelte, war blitzschnell wieder auf den Beinen, grinste Parker etwas verdutzt an und kam langsam zurück zur Nische.
Willie, wie gesagt, durch und durch ein Kleiderschrank, schob sich eiligst aus der Nische und wieselte davon.
Einige Spieler an den Tischen, die jetzt aufmerksam geworden waren, zogen es vor, erst einmal aus einer eventuellen Schußlinie zu kommen.
»Ganz schön keß für dem Alter«, sagte Larry Toland und schob sich noch näher an die Nische heran. Der Billardstock lag wie ein Gewehr über seiner linken Schulter.
»Ich schätze es nicht sonderlich, wenn man mich ungefragt in der Art und Weise berührt, wie Sie es gerade getan haben«, gab der Butler höflich zurück, »es täte mir leid, falls Sie sich verletzt haben sollten.«
»Was ist denn das für ’ne Type?« fragte Larry Toland und wandte sich an Willie, der sprungbereit an der Falttür zum ersten Saal stand.
»Mister Par … Butler Parker … Äh, hören Sie, Larry, vielleicht …«
»Ganz schön keß«, wiederholte Larry Toland, um dann blitzschnell mit dem Billardstock zuzuschlagen.
Es war seine erklärte Absicht gewesen, den Stock mindestens durch Parkers Gesicht zu ziehen. Nicht mehr und auch nicht weniger. Doch Toland konnte es sich auch später einfach nicht erklären, wieso es nicht so klappte, wie er es sich vorgestellt hatte.
Sein zuschnellender Stock wurde auf halbem Weg abgefangen und derart blockiert, daß er in der Mitte durchbrach. Parkers Universal-Regenschirm hatte diesen gemeinen Schlag nicht nur schulmäßig pariert, sondern auch zu Bruch gehen lassen.
Larry starrte verblüfft auf den Rest des Billardstockes in seiner Hand, schüttelte andeutungsweise den Kopf und erblickte dann den Regenschirm des Butlers, der halb auf dem Tisch lag.
»Ganz schön clever«, sagte Larry in einer schleppenden Tonart, die seiner Ansicht nach zum Image eines harten Mannes gehörte, »und ganz schön leichtsinnig, Alterchen!«
Er ließ den Rest des Billardstocks fallen und hatte plötzlich ein Klappmesser in der Hand, dessen Klinge allein schon mörderisch aussah.
»Jetzt werde ich dir ein paar Streifen aus der Haut schneiden«, verhieß Larry Toland dem Butler und sprang dann blitzschnell vor.
Parker sah sofort, daß er es mit einem ausgekochten Fachmann auf diesem Gebiet zu tun hatte.
Daher tat er erst einmal gar nichts. Er dachte nicht im Traum daran, sich durch diese Finte herausfordern zu lassen.
»Nach einem sattsam bekannten Sprichwort gehören Messer, Gabel, Schere und Licht nicht in die Hände von Kindern«, meinte Parker gemessen.
Toland hätte eigentlich zu diesem Zeitpunkt endgültig merken müssen, daß er es keineswegs mit einem Anfänger zu tun hatte. Doch die Erwähnung des Sprichworts reizte ihn bis aufs Blut.
Was Parker im Grunde ja nur bezweckt hatte.
»Hoffentlich haben sie im Krankenhaus noch ein Bett frei«, sagte Larry Toland, um sich dann auf den Butler zu stürzen.
Parker tat eigentlich nicht besonders viel, um sich dieses Angriffs zu erwehren.
Er kippte nur den schweren Clubtisch genau in dem Moment hoch, als Toland ihn fast erreicht hatte.
Die Tischkante erwies sich als böses Hindernis. Toland kam aus dem Kurs, rammte mit seiner Magenpartie gegen die Kante und sah eine Unmenge bunter, geometrischer Figuren vor Augen. Als er haltlos an der geneigten Tischplatte auf den Boden rutschte, glitt der bleigefütterte Bambusgriff aus Parkers Hand und legte sich dummerweise auf die Stirn des Leitwolfes.
Larry Toland kickste fast melodisch, verdrehte die Augen wie ein Clown im Zirkus, gluckste ein wenig und war schon ohnmächtig, als er die Dielenbretter erreicht hatte.
»Jetzt aber ab durch die Mitte, Parker«, drängte Willie, der sich wieder etwas vorgewagt hatte, »wenn er zu sich kommt, ist die Hölle los!«
Parker verließ die Nische und wollte wirklich gehen, um Willie vor Schaden zu bewahren, doch dazu war es zu spät.
»Was läuft denn hier?« fragte eine fast schrille Stimme, die einem Psychopathen zu gehören schien. Was übrigens stimmte, denn Maple, der zweite Wolf des Trios, glich einem schlacksigen Jüngling, der seine Pubertät noch nicht überstanden hatte. Beherrschend in seinem Pickelgesicht waren irr flackernde Augen.
Er entdeckte Larry Toland am Boden und sah dann den Butler an.
»Geht das auf Ihr Konto?« fragte er mit schriller Stimme.
»Ich fürchte, diese Frage bejahen zu müssen.«
»Curd, komm’ doch mal her!« rief Maple und deutete dann erneut auf Toland, »sieh dir das an! Toland ist zu Boden gegangen!«
»Wer, John?« Lealand erschien auf der Bildfläche, ein massiger Bursche mit der Figur eines austrainierten Schwergewichtlers. Lealand grinste, als er Toland am Boden entdeckte und widmete sich dann dem Butler, der höflich seine schwarze Melone lüftete.
»Ehrlich! Sie haben das geschafft?« fragte er dann den Butler.
»Möglicherweise ein Zusammentreffen besonders glücklicher und günstiger Umstände«, erwiderte der Butler höflich, »ich hoffe, daß Mister Toland mir dies nicht nachtragen wird.«
Ohne sich weiter um John Maple und Curd Lealand zu kümmern, schritt Parker hinüber in den ersten Billardraum. Für ihn war dieser kleine Zwischenfall so gut wie erledigt.
Dabei passierte er einige Spieler, die zuerst ihn an-, dann an ihm vorbeisahen.
Als sich ihre Augen vor Schreck weiteten, wußte der Butler, daß sich mit einiger Sicherheit einiges hinter ihm tat.
Parker blieb neben einem der Billardtische stehen und musterte John Maple, der ihm nachgeschlichen War und einen Billardstock schlagbereit in der Hand hielt.
»Muß ich tatsächlich unterstellen und annehmen, daß Sie mich ohne jede Vorwarnung aus dem Hinterhalt niederschlagen wollen?« fragte Parker, in dessen Stimme leichter Unmut mitschwang.
Statt zu antworten, drosch John Maple auf den Butler los, um dann allerdings eine Lektion zu erleben, die er niemals wieder in seinem Leben vergaß.
Parkers altväterlich gebundener Regenschirm verwandelte sich in Bruchteilen von Sekunden in ein Florett. Und die Schirmspitze war plötzlich rasiermesserscharf geworden, wie sich zeigte.
Diese flirrende Spitze, mit den Augen kaum zu verfolgen, zog einen schwachen, roten Strich über den Handrücken, worauf John Maple erst einmal seinen Stock verlor. Anschließend zerschnitt die Schirmspitze in einem tollen Wirbel den gewiß nicht billigen Anzug des pubertären Pickeljünglings.
Es dauerte knapp dreißig Sekunden, bis John Maple in der Lage war, seine geblümte Unterwäsche zu präsentieren. Völlig entnervt wich er zurück in den zweiten Billardsaal, schrie und kreischte plötzlich und rannte, wie von Furien gehetzt, hinüber zur anschließenden Toilette.
»Profi, wie!?« Curd Lealand, der Schwergewichtsboxer, hatte fasziniert zugesehen.
»Nur ein bescheidener Amateur«, erwiderte der Butler.
»Untertreiben Sie bloß nicht«, sagte Lealand und ließ seine linke Faust vorschnellen.
Sie zischte durch die Luft und komprimierte keineswegs, wie gedacht, die Kinnspitze des Butlers.
Parker hatte es vorgezogen, ein wenig zur Seite zu treten.
»Darf ich Ihnen versichern, Mister Lealand, daß Gewalt meiner bescheidenen Person völlig verhaßt ist!« sagte er zu dem Vollprofi.
»Mir auch«, gab Lealand zurück, aber das durfte man wohl nicht auf die sprichwörtliche Goldwaage legen. Lealand orientierte sich neu und ließ dann seinen rechten Schuh vor- und hochschnellen. Er hatte die feste Absicht, gewisse Weichteile des Butlers empfindlich zu treffen.
Weitere Luftmoleküle preßten sich zischend zusammen, doch der Fuß hing wirkungslos in der Luft.
Parkers bleigefütterter Bambusgriff brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Er hakte sich unter die Ferse des Schwergewichtlers. Ein kurzer Ruck, und der Boden dröhnte, als Lealand sich auf ihn niederließ.
Lealand blieb übrigens liegen, da sein Hinterkopf schneller am Boden war als sein Gesäß.
»Ich werde mir die Zeit nehmen, bei anderer Gelegenheit noch einmal vorbeizukommen«, sagte Parker und nickte Willie grüßend zu.
Dann griff er fast beiläufig zu einer Billardkugel und warf sie Toland an den Kopf, der daraufhin Abstand nahm, seine Schußwaffe zu ziehen, wie er es vorgehabt hatte.
Parker lüftete seine schwarze Melone und schritt gemessen von dannen.
Er war ein Mensch, der nicht gern stört und genau wußte, wann er zu gehen hatte.
Verursacht durch den mehr oder weniger heftigen Lärm, hatte der erste Billardsaal sich geleert. Besucher und Thekenpersonal versammelte sich um die drei Wölfe, die gerade wieder zu sich kamen.
Toland scheuchte die Zaungäste mit einer knappen Handbewegung zurück an ihre Plätze. Dann winkte er Willie zu sich heran.
»Komm, Willie«, sagte er, »wir müssen uns mal über diesen Typen unterhalten.«
»Ich – ich habe nichts damit zu tun«, sagte Willie, der Kleiderschrank, in ängstlichem Tonfall.
»Habe ich ja auch gar nicht behauptet. Noch nicht. Komme jetzt!«
Toland, Maple, Lealand und Willie begaben sich hinüber zur Tür neben der Theke im vorderen Raum, stiegen über die Treppe hinauf ins Zwischengeschoß und unterhielten sich hier ausgiebig über einen Mann namens Josuah Parker.
»Wirklich, Jungens, ich habe nichts damit zu tun gehabt«, sagte Kleiderschrank-Willie ängstlich, nachdem er berichtet hatte.
»Mir kommt es aber so vor, als hättest du diese Type eingeladen«, sagte Toland gefährlich ruhig, »wer hat denn mit wem am Tisch rumgeflüstert, he? Wer will denn da plötzlich nicht mehr mitspielen!?«
Willie ahnte, was ihm bevorstand.
Er wich zurück in eine Ecke, die in seinem Zimmer aus der Wand und einem Schrank gebildet wurde. Er hob abwehrend die Arme, als Schwergewichtler Lealand sich breitbeinig vor ihm aufbaute. Und er hechelte heiser vor Angst, als er das schrille Kichern des Psychopathen Maple hörte.
»Fragt ihn noch einmal«, sagte Toland dazu und lachte amüsiert, »möglich, daß er uns jetzt was zu sagen hat!«
»Aber meine Herren!« Parker trat in diesem Moment aus dem Schrank. Er schüttelte zwar nur andeutungsweise, dennoch aber vorwurfsvoll den Kopf, »seien Sie versichert, daß Mister Willie mich nicht einlud.«
Sie starrten ihn an wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Toland schluckte.
Maple kicherte irgendwie fast tonlos.
Lealand bekam einen trockenen Mund.
»Ich denke, man sollte sich in aller gebotenen Ruhe einmal gründlich und vorurteilslos unterhalten«, schlug Parker vor.
Toland sah seine beiden Partner an.
Die beiden Partner sahen Toland an.
Aber alle drei Wölfe, wie man sie bezeichnet hatte, durchaus harte Gangster, konnten sich nicht entschließen, den Butler anzugreifen. Von Parker ging eine kühle Gelassenheit aus, die sie verwirrte. Sie waren es einfach nicht gewöhnt, daß man sich nicht vor ihnen fürchtete.
»Nehmen wir doch Platz«, schlug Parker weiter vor und deutete einladend auf die Sessel, die um den Couchtisch standen.
Zuerst setzte sich Toland.
Maple plumpste förmlich in den Sessel und sah den Butler flackernd, aber doch etwas ängstlich-respektvoll an.
Lealand holte tief Luft und setzte sich ebenfalls. Willie blieb in der Schrankecke stehen und nahm sich vor, in Zukunft ein anständiger Mensch zu werden. Wenigstens in etwa, wie er schnell einschränkend hinzufügte.
»Kommen wir zum Kern der Sache«, begann Parker die Unterhaltung, »wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist Steven Gateway ermordet worden. Er leitete eine Organisation, die sich mit der Erpressung von Speditionsunternehmern befaßte. Die Frage erhebt sich nun, wer als sein Mörder in Betracht kommt. Verschiedene Umstände sprechen dafür, daß Sie, meine Herren, sehr daran interessiert waren und sind, in die Geschäfte Mister Gateways einzusteigen. Darf ich das als richtig unterstellen?«
»Stimmt!« sagte Toland und lächelte schon wieder mokant. Langsam überwand er seine Verblüffung.
»Demnach hätten Sie also ein echtes Motiv gehabt.«
»Natürlich«, erwiderte Toland, »aber Sie haben Pech, Parker, Gateway stand zwar auf unserer Liste, aber er geht nicht auf unser Konto! Da ist uns ein anderer zuvorgekommen.«
»Ich werde das vorerst zur Kenntnis nehmen«, sagte Parker. »Ist Ihnen zufälligerweise eine Miß Mancini bekannt?«
Entweder waren sie sehr gute Schauspieler, oder sie kannten Jill Mancini wirklich nicht. Parker wußte nicht, für welche Möglichkeit er sich entscheiden sollte.
Während er fragte, hatte er dummerweise Willie aus den Augen gelassen.
Was sich sofort rächen sollte.
Willie, der sich mit dem Teufel verbunden hätte, um mit Toland gut auszukommen, nutzte gründlich seine Chance und brachte einen Handkantenschlag an, dem selbst ein Josuah Parker nicht gewachsen war.
Mit anderen Worten, Parker wurde weich in den Knien und ging in eine schier endlose Verbeugung über, die auf dem Boden endete.
»Mancini – Mancini?« Gail Fisher überlegte kurz und nickte dann bestätigend, »doch, solch ein Mädchen kenne ich …«
»Das darf doch nicht wahr sein«, sagte Rander und atmete zufrieden, »wer ist das, Gail …?«
Gau Fisher, etwa fünfundvierzig Jahre alt, aber aussehend wie eine junge Dame von knapp über dreißig – falls man nicht genauer hinsah natürlich – füllte das Glas des jungen Anwalts und wollte wissen, warum er sich für diese Frau interessierte.
Gail Fisher war die Inhaberin einer Modell-Agentur. Sie vermittelte Fotomodelle für alle Zwecke, und böse Zungen behaupteten, nicht nur für diese speziellen Arbeiten. Rander, schon durch seine Arbeit als Anwalt keineswegs prüde oder ein moralinsaurer Apostel, hatte sich noch niemals um diese Gerüchte geschert. Gail war für ihn eine wichtige Informantin. Was sie privat oder geschäftlich trieb, störte ihn nicht.
Er saß in ihrem Privatbüro, das sehr geschmackvoll eingerichtet war. An den Wänden, die orange gehalten waren, hingen moderne und sicher teure Bilder.
»Diese Mancini – Jill Mancini, scheint sich aufs Glatteis begeben zu haben, Gail. Hat sie für Sie gearbeitet?«
»Schon seit langem nicht mehr. Warten Sie, Mike, das muß jetzt schon ein paar Jahre her sein, da kam sie zu mir und wollte vermittelt werden. Aber wir paßten nicht so richtig zusammen. Sie hatte immer ihren eigenen Kopf. Ich habe sie danach nicht mehr angerufen, aber sie hat sich auch nie wieder bei mir gemeldet.«
»Existiert noch ein Bild von ihr in Ihrer Kartei, Gail?«
Gail Fisher hob unsicher die Schulter, ging hinüber zum Telefon und sprach ein paar Worte mit ihrem Sekretariat im unteren Stockwerk. Dann widmete sie sich wieder Rander.
»Immer noch auf Gangsterjagd?« wollte sie wissen.
»Notgedrungen, Parker stolpert von einem Fall in den anderen. Sie kennen ihn ja.«
»Ich wundere mich, wie gut Sie miteinander auskommen.«
»Sehr einfach, ich tue das, was er will«, spottete Rander auflachend.
»Bis Sie eines Tages mal so gründlich stolpern, daß Sie nicht mehr aufstehen können, Mike.«
»Was soll ich dagegen tun?«
»Trennen Sie sich von ihm, Mike! Noch ist es Zeit.«
»Ausgeschlossen! Sie mögen Parker nicht, wie?«
»Mögen ist nicht der richtige Ausdruck, Mike. Wenn ich ihm gegenüberstehe, komme ich mir wie ein mißratenes Schulmädchen vor und möchte mich schämen. Das reizt mich bis aufs Blut!«
Bevor Rander darauf antworten konnte und mußte, wurde die Tür geöffnet. Eine junge, sehr angenehm anzusehende Dame überreichte Gail Fisher einen Umschlag.
»Es scheinen noch Fotos von dieser Mancini zu existieren«, sagte Gail, während die junge Dame sich still und unauffällig entfernte. Gail Fisher zog einige Fotos aus dem Umschlag und reichte sie an Rander weiter.
»Ist sie das?« fragte sie dann.
Rander sah prüfend auf die Fotos, auf denen Jill Mancini zu sehen war. Und doch wieder nicht, wie er zugeben mußte. Die junge Dame auf den Fotos glich Jill nur entfernt. Es gab eine gewisse Ähnlichkeit, mehr aber nicht.
»Darf ich mir eines der Fotos mitnehmen?« fragte Rander.
Gail Fisher hatte nichts dagegen. Und sie lieferte ihm auch die Adresse, die in ihrer Kartei noch vorhanden war. Als Rander kurz danach gegangen war, lächelte Gail Fisher ein wenig spöttisch, hob den Telefonhörer ab, wählte eine Nummer und hatte eine sehr kurze Unterredung mit einer Frau, wie ganz offensichtlich zu hören war. Sie nannte ihre Gesprächspartnerin zumindest Jill, woraus sich verständlicher dieser Schluß ergab.
Als Parker zu sich kam, ärgerte er sich.
Er massierte sich ein wenig die schmerzende Halsseite und schalt sich insgeheim einen gutgläubigen Narren, was Willie anbetraf. Er nahm sich vor, den Kleiderschrank bei nächster Gelegenheit zurechtzuweisen.
Inzwischen hatte Parker festgestellt, daß er sich in einem fensterlosen Kellerraum befand. Nun, das gehörte dazu. Eine andere Unterkunft war nicht zu erwarten gewesen. Ebenso war es selbstverständlich, daß die Tür solide und fest verschlossen war.
Man hatte ihm aus verständlichen Gründen den Universal-Regenschirm weggenommen. Die drei Wölfe waren wohl dabei, ihn gründlich zu untersuchen. Was bedeutete, daß zumindest einer der drei Wölfe entweder bald außer Gefecht gesetzt wurde, oder es bereits war. Parkers Regenschirm bot schließlich viele Überraschungen.
Ansonsten hatte man den Butler ungeschoren gelassen. In seiner gestreiften Butlerweste staken die Kugelschreiber, und das war entscheidend wichtig für den Butler.
Er überlegte, ob er warten sollte, bis man ihn holte. Parker entschloß sich, zu verzichten. Er wollte keine Zeit verlieren und die Initiative nicht freiwillig aufgeben. Schließlich verfügte er über ausreichende Mittel, diesen unfreundlichen Raum zu verlassen.
Butler Parker beschäftigte sich gerade mit seinem Kugelschreiber, als er draußen vor der Tür Schritte hörte, die von einem psychopathischen Kichern überlagert wurden. Ein klares Zeichen dafür, daß John Maple kam.
Parker ließ sich auf der Kante der niedrigen Pritsche nieder, die das einzige Möbelstück in diesem Keller darstellte. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und wartete auf den Besucher.
John Maple hatte ganz augenscheinlich getrunken.
Er schloß die Tür auf, schwankte leicht, als er hereintrat, und hielt eine lange, wippende Stahlrute in der Hand, die er zischend durch die Luft schlug.
»Los, aufstehen!« kommandierte er mit seiner fast unerträglich schrillen Stimme, »oder soll ich dir erst mal Manieren beibringen?«
»Um diese Zeit sollten Und müßten Sie eigentlich schon zu Bett liegen«, erwiderte Parker würdevoll, »junge Leute in Ihrem Alter brauchen mit Sicherheit noch sehr viel Schlaf.«
Mit diesem freundlichen Hinweis hatte der Butler genau das erreicht, was er hatte bezwecken wollen. John Maple wurde tief getroffen und verwundet.
Ohne etwas für seine Sicherheit zu tun, schwang er mit der Stahlrute durch die Luft, um dann auf den Butler loszuschlagen. Das heißt, er hatte durchaus diese wenig schöne Absicht, aber konnte sie nicht in die Tat umsetzen.
Er bemerkte ganz nebenbei einen Kugelschreiber in Parkers Hand und wunderte sich Bruchteile von Sekunden später darüber, daß er nichts mehr sah. Er fühlte nur ein peinliches Brennen in seinen Augen, spürte, daß ihm dicke Krokodilstränen über die Wangen rollten und hatte nur noch das einzige Bestreben, sich möglichst schnell zu setzen.
Während John Maple bitterlich weinte, zog Parker es vor, sich diskret zu empfehlen.
Ohne Verzicht auf Würde verließ er den Kellerraum, schloß die Tür und verriegelte sie zusätzlich von außen. Dann begab er sich hinüber zur Treppe und hörte die Stimme von Lealand, der nach Maple rief.
Parker hatte nicht die geringste Lust, sich diesem menschlichen Tank in den Weg zu werfen. Er zog es vor, hinter einem mächtigen Betonpfeiler in Deckung zu gehen.
Wenig später polterte Lealand über die Stufen nach unten und steuerte sofort auf die Kellertür zu, hinter der er den Butler vermutete.
Parker hielt inzwischen eine seiner Patentzigarren in der Hand. Er hatte sie aus dem abgegriffen aussehenden Lederetui hervorgeholt, das man ihm leichtsinnigerweise belassen hatte.
Lealand stampfte ahnungslos an Parker vorbei und hatte schon fast die Kellertür erreicht, als Parker sein Geschoß auf die Reise schickte.
Dieses Spezialgeschoß bestand aus einem kleinen Miniaturpfeil, der keineswegs größer war als eine halbe Stopfnadel. Mit größter Zielsicherheit bohrte sich dieser Pfeil in den rechten oberen Quadranten des Gesäßes.
Lealand kickste überrascht auf, griff nach der schmerzenden Stelle und schaute verdutzt auf den kleinen Pfeil, der zur Stabilisierung einen winzig kleinen Federbusch trug.
Lealand brauchte einige Zeit, um zu begreifen. Als ihm endlich klargeworden war, daß man ihn beschossen hatte, als er endlich dahinter kam, daß der Schütze sich im Keller aufhielt, nun, da war es bereits zu spät für ihn.
Zuerst schwankte er nur ganz wenig.
Dieses Schwanken schüttelte ihn später durch. Lealand hielt sich mühsam an der unverputzten Wand fest, stöhnte leicht und ging dann korkenzieherartig zu Boden.
Parker trat hinter dem Pfeiler hervor und barg seinen kleinen Pfeil. In Lealands Tasche fand er einen Revolver samt Schalldämpfer, für den er durchaus Verwendung hatte. Nachdem Parker gewisse Besitzverhältnisse neu geregelt hatte, ging er wieder hinüber zur Treppe, um sich mit dem Leitwolf des Rudels zu befassen.
»Zum Teufel mit Lealand und Maple«, sagte Larry Toland wegwerfend, »sollen sie sich doch mit dem Butler amüsieren. Ich habe andere Sorgen!«
»Fragt sich, wer sich mit wem amüsiert«, meinte Willie besorgt, »Sie kennen den Butler noch nicht, Toland. Der hat es faustdick hinter den Ohren. Fragen Sie mal Leute aus der Branche! Die fürchten den Butler wie die Pest!«
»Übertreiben Sie doch nicht, Willie!«
Toland war aufgestanden und ging mit dem Glas in der Hand in Willies Privatbüro umher.
»Sie sind eben neu hier in der Stadt«, redete Willie eifrig weiter.
»Stimmt … aber diese Stadt wird mich bald kennenlernen«, antwortete Toland mit großem Selbstvertrauen, »ich werde mir schon ein gehöriges Stück Kuchen abschneiden, verlassen Sie sich darauf! Wie sieht’s mit Ihnen aus, Willie, machen Sie mit?«
»Das Syndikat läßt mir freie Hand. Ich habe mich vorher erkundigt. Sie sind da der Meinung, daß sich erweisen wird, wer stärker ist, Gateway oder ich!«
»Das ist doch bereits entschieden, Toland. Gateway lebt schon nicht mehr.«
»Erfreulicherweise!« Toland lachte leise. »Da ist einer gewesen, der mir die Arbeit abgenommen hat. Aber wer kommt nach Gateway, Willie? Sie kennen sich doch aus?«
»Es gibt zwei Nachfolger von Gateway. Hondal und Stonewell.«
»Clevere Jungens?«
»Ich kenne beide und halte von keinem was. Sie sind erstklassige zweite Männer, mehr nicht. Die stoßen Sie glatt aus dem Anzug!«
»Worauf sie sich verlassen können, Willie. Was ich jetzt brauche, sind ein paar harte Figuren. Können Sie mir sowas besorgen?«
»Was sitzt für mich drin in diesem Geschäft, Toland?«
»Zehn Prozent, Willie. Ich handle nicht!«
»Und was ist mit Maple und Lealand?«
»Die halftere ich früher oder später ab. Je früher, desto besser.«
»Ich werde die Jungens besorgen.« Willie schien sich entschieden zu haben. Wahrscheinlich witterte er ein großes Geschäft. »Sagen Sie, Toland, was mag der Butler gemeint haben, als er sich nach dieser Frau erkundigte?«
»Danach wollte ich gerade auch fragen. Haben Sie diesen Namen noch niemals gehört?«
»Ich kenne keine Mancini. Aber ich werde rausbekommen, wer sie ist, verlassen Sie sich darauf! Sie scheint ’ne wichtige Rolle zu spielen.«
»Vielleicht hat sie was mit dem Mord an Gateway zu tun«, sagte Toland nachdenklich.
»Auf eigene – Faust wird sie’s bestimmt niemals getan haben, Toland. Aber wenn sie was mit dem Mord zu tun hat, woran ich jetzt auch glaube, dann haben Sie mit ’nem Konkurrenzunternehmen zu tun, das in Gateways Firma einsteigen will.«
»Still …!« sagte Toland plötzlich und hob lauschend den Kopf, »hören Sie nichts. Willie?«
»Nee, nichts.«
»Da zischt doch was.«
»Ich höre wirklich nichts.«
»Ist doch ganz deutlich.«
»Ich hör’ nichts!« wiederholte Willie noch einmal und verspürte plötzlich ein ungeheures Schlafbedürfnis. »Aber ich werd’ mal nachsehen …«
Er ging zur Tür, taumelte, wandte sich zu Toland um und war überrascht, ihn nicht mehr zu sehen.
»He, Toland?« rief er verwundert, »wo stecken Sie?«
Toland lag auf dem Teppich des Büros und schlief bereits. Und er merkte nichts davon, daß Willie, der mächtige Kleiderschrank, über ihn stolperte und dann sanft zu Boden rutschte.
Weder Willie noch Toland sahen und hörten, daß die Tür geöffnet wurde.
»Ich muß schon sagen, Parker, daß Ihr Spaziergang ziemlich ausgiebig ausgefallen ist.« Rander sah seinen Butler mißtrauisch an, »wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?«
»Es war der Zufall, Sir, der mich in einen Billardsaal geraten ließ, der einem gewissen Willie gehört.«
»Und …?«
»Besagter Willie war nicht allein. Drei seiner Untermieter tauchten auf und legten es kurzfristig darauf an, meine bescheidene Wenigkeit in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Einzelheiten, Parker, Einzelheiten!«
»Nach einer beiderseitig etwas hart geführten Unterhaltung sah ich mich zu meinem Leidwesen gezwungen, die drei Untermieter auf eine etwas längere Reise zu schicken.«
Parker, der sich im Studio seines jungen Herrn befand, kam auf Einzelheiten zu sprechen, was rund dreißig Minuten dauerte. Danach wußte der junge Anwalt in etwa, was sich zugetragen hatte.
»Und wie haben Sie Willie und diesen Toland außer Gefecht gesetzt?« wollte er abschließend wissen.
»Rein zufällig, Sir, befand sich unter meinen bescheidenen Habseligkeiten ein Kugelschreiber, in den ein komprimiertes Schlafgas eingelassen war!«
Rander lächelte amüsiert.
»Nachdem ich die Herren Willie und Toland ein wenig eingeschläfert hatte, Sir, sorgte ich dafür, daß Toland, Maple und Lealand eine Freifahrt nach New York erhielten. Zur Zeit müßten sie ein Drittel der Strecke hinter sich gebracht haben!«
»Diesmal also eine echte Fahrt?«
»In der Tat, Sir.«
»Und was ist mit diesem Willie?« »Ich hielt es für richtig und angebracht, Sir, ihn in der Stadt zu belassen. Man kann ihn möglicherweise noch verwenden.«
»Im Hinblick auf diese Jill Mancini?«
»Sehr wohl, Sir. Diese junge Dame ist nach wie vor nicht zu ermitteln.«
»Wenn man nicht die richtigen Informanten hat«, meinte Rander und lächelte wissend.
»Darf ich unterstellen, Sir, daß es Ihnen gelungen ist, Miß Mancini zu finden?«
»Ich habe zumindest ihre letzte Adresse. Sie hat sich vor einiger Zeit Gail Fisher als Modell angeboten.«
»Ich möchte nicht versäumen, Ihnen zu dieser Entdeckung zu gratulieren.«
»Stop, damit warten Sie besser, bis wir sie wirklich aufgespürt haben. Aber damit wollte ich warten, bis Sie wieder im Lande sind, Parker. Was machen wir mit den beiden Reisenden im Keller?«
»Ich habe Mel und. Joe keineswegs vergessen, Sir.«
»Wann wollen Sie sie aus der Transportkiste herauslassen?«
»Wenn ich vorschlagen darf, Sir, nach dem Gespräch mit Mister Hondal, der die Geschäfte des ermordeten Mister Gateway übernommen zu haben scheint.«
»Einverstanden, Parker, aber etwas Grundsätzliches: Wer hat nun Gateway ermordet?«
»Dies, Sir, wage ich nicht zu beantworten. Ich könnte höchstens sagen, wer ihn nicht ermordet hat.«
»Und das wäre?«
»Die Herren Toland, Maple und Lealand, wie ich mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit behaupten möchte. Und Mister Willie selbstverständlich.«
»Damit verbleiben eigentlich nur noch das Mini-Mädchen Mancini und vielleicht auch Gateways Stellvertreter, oder?«
»Gewiß, Sir, falls Miß Mancini nicht eine dritte Gruppe verkörpert, die man erst noch aufspüren müßte.«
Nach einem Hauptquartier sah die Firma nicht aus, nach einem Hauptquartier einer Gangsterbande nämlich.
Die Firma Gateway, Industriefette und Öle, hatte sich in einer mittelgroßen Lagerhalle etabliert, die zwischen zwei häßlichen Backsteinbauten im Osten der Stadt stand.
Alles sah recht ordentlich aus. Die Service-Wagen waren geputzt und gepflegt, es gab eine reguläre Anmeldung, Büroräume und ein Warenlager, das sich sehen lassen konnte, wie Parker später feststellte.
Begleitet von seinem jungen Herren schritt der Butler gemessen zur Anmeldung und lüftete höflich seine schwarze Melone.
»Mister Rander und sein Butler wünschen Mister Hondal zu sprechen«, sagte Parker.
»In welcher Angelegenheit?« fragte der Mann hinter dem Anmeldeschalter.
»In Sachen Gateway«, antwortete Parker überaus höflich, »Ihre Firmenleitung scheint den Eindruck zu hegen, daß meine bescheidene Wenigkeit der Mörder Ihres Firmeninhabers sein soll.«
Eine unverblümte Offenheit dieser Art hatte der Pförtner noch nie in seinem Leben erlebt. Er schluckte mehrfach, räusperte sich, maß den Butler mit verzweifelten Blicken und entschloß sich schließlich, ein Telefongespräch zu führen.
»Mister Hondal erwartet Sie«, sagte er dann und deutete nach hinten.
Parker lüftete seine schwarze Melone und ließ seinen jungen Herrn vorausgehen. Rander kannte die Prozedur dieser Vorstellung. Parker spielte ihm ganz bewußt die Rolle des souveränen Arbeitgebers zu, der sich nicht herabläßt, selbst Fragen zu stellen.
Als sie die Glastür zum Bürotrakt erreicht hatten, telefonierte der Pförtner schon wieder, stahl sich aus seiner Anmeldeloge und schloß die Eingangstür, wie Hondal es ihm befohlen hatte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein kleiner Firmenwagen mit einer banalen Aufschrift, die sich auf eine Wäscherei bezog.
Am Steuer des Kastenwagens saß eine junge Frau, die einen Overall trug. Ihr Haar hatte sie sich unter eine Kappe gesteckt. Es handelte sich um Jill Mancini, die ihre Panne in Mike Randers Studio noch immer nicht vergessen hatte.
Gary Hondal stand neben seinem Schreibtisch und wußte im Grunde nicht, wie er sich verhalten sollte.
Da war also jener Butler Parker, den er für den Mörder seines früheren Bosses Gateway hielt. Hondal spürte instinktiv, daß dies nicht stimmen konnte. Dieser Mann, der etwas seitlich hinter seinem jungen Herrn stand, konnte niemals der Mörder sein.
»Ich möchte Grüße von Ihren Mitarbeitern Mel und Joe überbringen«, sagte Parker, nachdem er eine Verbeugung angedeutet hatte, »ich möchte sagen, daß es ihnen den Umständen nach recht gutgeht.«
»Mel und Joe?«
»Aus Gründen, die Mister Rander und meiner Wenigkeit nicht ganz klar sind, haben Ihre beiden Mitarbeiter Mel und Joe es sich in den Kopf gesetzt, meine bescheidene Wenigkeit zu ermorden.«
»Das … das muß ein Mißverständnis sein«, stotterte Hondal.
»Nun gut, um Mißverständnissen vorzubeugen, bestand Mister Rander darauf, Ihnen einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.«
»Nehmen … nehmen Sie doch Platz«, stotterte Hondal weiter und war sichtlich beeindruckt. Worüber er sich gleichzeitig ärgerte. Er war schließlich jetzt der Chef der Ölfirma und stellte etwas dar. Es galt, verlorenes Terrain so schnell wie möglich zurückzugewinnen.
»Ich höre«, sagte Hondal und setzte sich.
»Ich darf vielleicht noch einmal rekapitulieren«, begann Parker. Er stand seitlich hinter Mike Rander, der inzwischen Platz genommen hatte und einen gekonnt blasierten Eindruck machte.
»Am Tatort fanden Ihre beiden Mitarbeiter Mel und Joe meine Brieftasche. Aus dem dann befindlichen Paß ließen mein Name und meine Adresse sich sehr schnell ermitteln. Die Herren Mel und Joe kamen zu dem meiner Ansicht nach etwas zu leichtfertigen Schluß, meine bescheidene Person käme als Mörder in Betracht.«
»Was Unsinn ist«, schaltete Rander sich ein.
»Wie wahr …«, redete der Butler weiter, »die Herren Mel und Joe kreuzten, wahrscheinlich bedingt durch einen Zufall, meinen Weg und setzten alles daran, mich zu ermorden.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, behauptete Hondal hastig.
»Dieser Anstrengungen Ihrer beiden Mitarbeiter fanden ihre Krönung darin, daß sie versuchten, Mister Randers Penthouse einen Besuch abzustatten. Sie werden verstehen, Mister Hondal, daß dagegen einige Maßnahmen eingeleitet werden mußten.«
»Wo … Wo stecken Mel und Joe jetzt?« fragte Hondal nervös.
»Sie befinden sich auf einer völlig ungefährlichen Reise, die sich allerdings durch eine gewisse Monotonie auszeichnet. Man wird Ihnen die Herren völlig gesund zurück in die Firma bringen.«
Bevor Hondal antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen. Ein fast zu gut aussehender Mann, etwa fünfunddreißig Jahre alt, groß und schlank, mit markantem, Gesicht, baute sich kriegerisch auf, zumal er eine schallgedämpfte Schußwaffe in der rechten Hand hielt.
Hinter ihm waren zwei stämmige Lagerarbeiter zu sehen, die sich mit Kabelenden ausgerüstet hatten.
»Hände hoch!« kommandierte der Mann mit dem markanten Gesicht, »schnell, meine Herren, sonst passiert ein Unglück. Und keine Dummheiten, sonst sind Sie schneller geliefert als Sie denken!«
»Mister Stonewell, nicht wahr?« Parkers Stimme klang höflich und gemessen. Und ohne sich um die Schußwaffe zu kümmern, lüftete er diskret seine schwarze Melone.
Anschließend verwandelte die Melone sich allerdings in einen Diskus, der blitzschnell durch den Raum segelte und auf dem Handrücken von Stonewell eine gekonnte Landung praktizierte.
Die scharfe Kante der stahlblechgefütterten Melone schlug Stonewell die Waffe aus der Hand.
Worauf Stonewell offensichtlich völlig überrascht auf seine leere Hand starrte. Erst mit einer Verzögerung begriff er, wie man ihm mitgespielt hatte.
»Los …!«, brüllte er seine beiden Lagerarbeiter an, »zeigt es ihnen …!«
»Einen Augenblick bitte …! Parker sah die beiden Männer bannend an und hob mahnend die Hand. Worauf die beiden Lagerarbeiter ihre Fahrt Zurücknahmen und Stonewell irritiert-fragend ansahen.
»Ich weiß nicht, Mister Stonewell, ob Sie unbedingt darauf bestehen, daß eine klärende Aussprache in ein Handgemenge umfunktioniert werden soll, ich würde davon allerdings abraten.«
Stonewell beging den Fehler, den mahnenden Unterton in Parkers Stimme zu überhören. Er bückte sich nach der schallgedämpften Waffe und wollte sie an sich reißen.
Parkers Universal-Regenschirm war schneller.
Die Spitze des Schirmstocks beförderte die Waffe unter einen Schrank.
Stonewell sprang hoch und wollte sich auf den Butler stürzen. Er tat es nicht mehr, als er in Randers Hand eine Pistole entdeckte, deren Mündung auf ihn gerichtet war.
»Tun Sie’s lieber nicht«, warnte Rander fast beiläufig.
Stonewells Gesicht färbte sich rot ein. Er preßte die Lippen zusammen und wartete erst mal ab.
Die beiden Lagerarbeiter kamen sich mit ihren Kabelenden wehrlos vor. Damit war gegen eine Schußwaffe nichts auszurichten. Sie beschlossen, erst einmal abzuwarten.
»Wo waren wir stehengeblieben?« wandte sich Parker an Hondal, der die Szene nicht ohne ein gewisses Wohlgefallen beobachtet hatte. Es tat ihm gut, daß sein Konkurrent Stonewell solch eine Abfuhr erlitten hatte.
»Bei Mel und Joe«, sagte Hondal schnell.
»Sie werden Ihre beiden Mitarbeiter wohlbehalten Wiedersehen«, erklärte Parker noch einmal, »ich möchte allerdings ebenso eindringlich wie höflich dazu raten, von weiteren Mordversuchen Abstand zu nehmen. Ich wiederhole noch einmal, Ihr früherer Firmenchef Gateway ist von mir nicht ermordet worden, obwohl einige Indizien dagegen sprechen. Womit ich bei meiner Brieftasche bin, die meinen britischen Paß enthielt. Darf ich um die Rückgabe dieser Unterlagen bitten?«
Wieder war Hondal derart beeindruckt, daß er fast automatisch nach der Schreibtisch-Schublade griff und sie öffnete. Erst dann ging ihm auf, daß er sich hatte überrumpeln lassen.
»Darf ich meine Bitte noch einmal wiederholen?« fragte Parker.
Rander ging um den Schreibtisch herum und sah zu, wie Hondal die Lade nun öffnete. Mit spitzen, vorsichtigen Fingern zog Hondal dann die Brieftasche hervor und legte sie auf den Tisch. Rander nahm sie an sich, durchblätterte sie und nickte dem Butler zu. Genau in diesem Augenblick witterten die beiden Lagerarbeiter ihre große Chance.
Wie auf ein geheimes Kommando hin warfen sie sich auf den Butler, während Stonewell vorsichtshalber etwas zurücktrat. Er machte sich nicht gern die Hände schmutzig.
»Geduld …!« sagte Parker und hob erneut die rechte, schwarz behandschuhte Hand, zwischen deren Fingern ein Kugelschreiber zu sehen war. »Warten Sie! Erkennen Sie diesen Gegenstand in meiner Hand?«
»Das is …«, begann der erste Lagerarbeiter.
»… ’n Kugelschreiber«, sagte der zweite Lagerarbeiter.
»In der Tat!« stellte der Butler fest, »und er enthält etwas, was Sie innerhalb weniger Sekunden identifizieren können.«
Während Parker noch redete, drückte er auf den Halteclip, worauf die eingeschlossene Preßluft im Kugelschreiber ungewöhnlich heftig aktiviert wurde.
Sie dehnte sich aus, da ihr eine Austrittdüse dargeboten wurde. Und gleichzeitig damit riß die Preßluft Partikelchen eines Sprays mit, die sich in den Augen der beiden Lagerarbeiter festsetzten, worauf die Männer sofort äußerst hilflos wurden.
Sie stöhnten und schluchzten, sie rieben sich die tränenden Augen und wollten nicht mehr mitspielen.
»Gesundheitliche Schäden sind auf keinen Fall zu erwarten«, beruhigte Parker die beiden Gateway-Stellvertreter Hondal und Stonewell, die die Welt nicht mehr verstanden.
Jill Mancini hatte sehr fachmännisch ein Repetiergewehr zusammengesteckt, auf das sie ein Zielfernrohr setzte. Sie konnte das ungehindert tun, da die Straße hier ziemlich unbelebt war. Hinzu kam die Dunkelheit, die längst hereingebrochen war.
Nachdem Jill Mancini alle Dinge noch einmal gründlich überprüft hatte, rutschte sie auf die rechte Beifahrerseite und visierte durch das Zielfernrohr den Eingang zur Ölfirma an.
Im Fadenkreuz war alles deutlich zu sehen. Glücklicherweise – von Jill Mancini aus gesehen –, brannte über dem Eingang eine helle Lampe.
Jill Mancini wartete auf ihre Chance. Ihr Gesicht war maskenhaft starr.
»Ich möchte noch einmal auf den Mord an Ihrem Firmenchef zurückkommen«, sagte Parker, der sich um die beiden Lagerarbeiter nicht weiter kümmerte, »da Sie inzwischen eingesehen haben werden, daß meine bescheidene Wenigkeit als Mörder nicht in Betracht kommt, erhebt sich die Frage, wer diesen. Mord nun tatsächlich begangen hat.«
Sowohl Hondal als auch Stonewell waren beeindruckt. Einmal, weil der Butler sie glatt und leicht überspielt hatte, zum anderen, weil sie von Sekunde zu Sekunde immer mehr begriffen, daß sie ihm nicht gewachsen waren.
»Eine Antwort Ihrerseits würde Mister Rander erfreuen«, sagte Parker, als sie schwiegen. »Haben Sie nicht wenigstens eine vage Vermutung, wer diesen Mord begangen haben könnte?«
Sie sahen sich gegenseitig an und zuckten ratlos die Achseln.
»Steht möglicherweise einer von Ihnen hinter diesem Mord?« forschte der Butler würdevoll weiter, »ein Motiv wäre ausreichend vorhanden. Jeder von Ihnen möchte doch wohl, wie ich unterstellen darf, die Nachfolge der Firma antreten.«
Hondal und Stonewell sahen sich erneut gegenseitig an. Diesmal aber stahl sich echtes Mißtrauen in ihre Blicke. Plötzlich trauten sie sich gegenseitig nicht mehr über den Weg.
»Nun, vielleicht wollen Sie all’ diese Fragen allein und grundsätzlich diskutieren«, schloß Parker seine Fragestunde. »Mister Rander empfiehlt sich. Sollten Sie ihn zu sprechen wünschen, so finden Sie seine Telefonnummer im Fernsprechverzeichnis dieser Stadt.«
Rander und Parker gingen. Sie ließen zwei Männer zurück, die sich am liebsten gegenseitig an die Kehle gesprungen wären.
Jill Mancini spähte durch das Zielfernrohr und bemerkte im Hintergrund der kleinen Eingangshalle eine Bewegung.
Wenig später konnte sie deutlich Mike Rander und Josuah Parker erkennen, die auf die Glastür zugingen.
Nur noch Sekunden, bis sie hinaus ins Freie traten.
Jill Mancinis Zeigefinger nahm Druckpunkt …
Da stellte sich ein unerwartetes Hindernis ein. Rander und Parker konnten die Tür nicht öffnen. Sie verschwanden wieder nach hinten und unterhielten sich augenscheinlich mit dem Pförtner, der nun neben ihnen stand.
Der Pförtner öffnete die Tür und stieß sie auf. Er trat zur Seite und ließ die beiden Besucher hinaustreten.
Die Mündung des Repetiergewehrs schwenkte leicht zur Seite und richtete sich auf die Brust des Butlers.
Jill Mancinis Zeigefinger krümmte sich wieder.
»Sie haben den beiden Nachfolgern aber ganz schön eingeheizt«, meinte Rander lächelnd, als er zusammen mit Parker die Ölfirma verließ, »hoffentlich bringen sie sich nicht gegenseitig um.«
»Dies, Sir, liegt außerhalb jeder Möglichkeit«, antwortete der Butler gemessen, »wenn meine bescheidene Beobachtungsgabe nicht getäuscht hat, so sind sowohl Mister Hondal als auch Mister Stonewell zu feige dazu. Ich würde sagen, daß die Ölfirma entweder von einem krassen Außenseiter übernommen wird, oder daß sie bald schon ihren Geschäftsbetrieb schließen wird.«
Rander, der antworten wollte, hörte plötzlich ein Geräusch, das seitlich hinter ihnen aufklang. Man schien ein verklemmtes Fenster geöffnet zu haben.
Augenblicklich warf er sich gegen seinen Butler, der ebenfalls instinktiv nachgab und so dafür sorgte, daß sie beide aus einer eventuellen Schußlinie kamen.
Wie richtig Rander reagiert hatte, zeigte sich unmittelbar danach. Zwei schallgedämpfte Schüsse pfiffen dicht an Rander und Parker vorbei. Sie klatschten gegen die Seitenwand des Backsteinhauses.
Rander, der sehr schnell sein konnte und keineswegs nur ein Schreibtischmensch war, hielt bereits seine Pistole schußbereit in der Hand.
Parker hatte seinen Universal-Regenschirm angehoben, eine Waffe, in der sich schon mancher Gegner sehr geirrt hatte. Rander und Parker schoben sich noch tiefer in den Schlagschatten des Steinhauses und verschmolzen hier mit der Dunkelheit.
»Das geht auf Hondals und Stonewells Konto«, sagte Rander verärgert, »ob Sie diese beiden Nachfolger nicht doch unterschätzt haben, Parker?«
Jill Mancini, die gerade hatte schießen wollen, zuckte zusammen, als sie die beiden Schüsse hörte. Sie klangen wirklich nicht laut, aber sie hatte für solche Geräusche ein feines Ohr.
Ärgerlich setzte sie das Repetiergewehr ab, da Rander und ihr Opfer Parker einfach nicht mehr zu sehen waren.
Die Chance war vertan, dies wußte sie.
Nach diesen beiden Schüssen konnte sie nicht mehr in aller Ruhe ihr Ziel anvisieren. Es war wohl besser, so schnell wie möglich loszufahren, bevor man sie entdeckte.
Jul setzte sich ans Steuer, ließ den Motor anspringen und fuhr dann los.
Sie nahm sich vor, Parker an der Einfahrt zur Tiefgarage des Bürohochhauses noch einmal abzupassen. Sie wollte das, was sie sich vorgenommen hatte, noch in dieser Nacht erledigen.
Hondal und Stonewell, die sich gegenseitig anschrien, fuhren überrascht auseinander, als Rander und Parker plötzlich noch einmal ins Büro zurückkamen.
Sie hoben automatisch die Hände hoch und starrten ängstlich auf Randers Schußwaffe.
»Wo sind die beiden Lagerarbeiter?« fragte Rander scharf.
»Im … im Aufenthaltsraum«, stotterte Hondal.
»Be… bestimmt«, fügte Stonewell hinzu.
»Kommen Sie«, sagte Rander zu seinem Butler, »das sind nicht die Leute, die wir suchen.«
Parker war sofort einverstanden, das Büro wieder zu verlassen. Sein junger Herr hatte recht. Weder Hondal noch Stonewell kamen als Schützen in Betracht. Sie waren, vom Standpunkt der Unterwelt aus gesehen, ohne jedes Format.
Rander und Parker suchten und fanden den Aufenthaltsraum. Und sie entdeckten hier die beiden Lagerarbeiter, die sich die Augen auswuschen.
Diese beiden stämmigen Männer wurden schreckensbleich, als sie Rander und Parker vor sich sahen. Sie wichen gegen die gekachelte Wand der Waschecke zurück.
»Wer übernimmt denn jetzt hier den Laden?« fragte Rander sie mit scharfer Stimme. »Von Hondal oder Stonewell kann doch keine Rede sein, oder?«
»Wen halten Sie für den neuen Firmenchef?« fragte nun auch Parker mit ungewöhnlich strenger Stimme, »ich bitte um eine präzise Auskunft, meine Herren!«
»Vielleicht Norman Landor«, sagte der erste Lagerarbeiter.
»Wer ist Norman Landor?« wollte Rander wissen.
»Den hatte der Chef vor ein paar Wochen gefeuert«, erklärte der zweite Lagerarbeiter schnell, »Landor war ihm zu hart. Der ging ran wie ’n scharfes Rasiermesser.«
»Und wo können Mister Rander und meine Wenigkeit Mister Landor finden?« Parkers strenge Miene strahlte Eiseskälte aus.
Unter dem Eindruck dieser Temperatur sprachen die beiden Lagerarbeiter sich gründlich aus.
Jill Mancini stand in der Tiefgarage und hatte sich einen erstklassigen Platz für ihr Vorhaben ausgesucht.
Gedeckt von den hier parkenden Wagen konnte sie die Tür zum Expreßlift genau überschauen. Sie brauchte nur zu warten, bis Rander und Parker erschienen. Daß sie kommen mußten, war ihr klar, es war nur eine Frage der Zeit.
Nach etwa einer Stunde, die sie mit ungewöhnlicher Geduld verbracht hatte, hörte sie Parkers hochbeiniges Monstrum auf der Rampe hinunter in die Tiefgarage kommen.
Sie nahm das längst entsicherte Repetiergewehr hoch und richtete es auf die erleuchtete Tür des Expreßlifts. Bis zum Schuß konnten es nur noch wenige Sekunden sein.
Das hochbeinige Monstrum hielt vor der Box aus schwerem Maschinendrahtgeflecht. Jill Mancini hörte Stimmen, das leise Lachen Mike Randers und schließlich Schritte.
Zwei Schatten bewegten sich auf der weiß getünchten Wand, dann kamen Rander und Butler Parker in ihr Schußfeld. Sie gingen, wie sie es erwartet hatte, auf die Tür des Expreßlifts zu und unterhielten sich miteinander.
Im Fadenkreuz des Zielfernrohrs war der Rücken des Butlers genau zu er erkennen.
Der Zeigefinger Jill Mancinis nahm Druckpunkt und zog dann weich durch.
Peitschend krachte der Schuß auf.
Parker brach augenblicklich in sich zusammen.
»Ich darf wohl unterstellen, daß es sich mit Sicherheit um einen Meisterschuß gehandelt hat«, sagte eine würdevoll gemessene Stimme hinter Jill Mancini.
Vor Schreck war sie wie gelähmt.
Sie kannte diese Stimme. Sie wußte, daß sie den Träger dieser Stimme gerade erschossen hatte, aber sie hörte sie hinter sich! Jill Mancini wollte etwas sagen, doch ihre Stimmbänder waren wie gelähmt. Kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn. Sie kam sich vor wie ein Kaninchen, das von der Schlange angeblich hypnotisiert wird.
»Darf ich Ihnen ein wenig behilflich sein?«
Zwei schwarz behandschuhte Hände griffen seitlich an ihr vorbei und faßten nach dem Repetiergewehr. Willenlos ließ Jill Mancini es sich aus der Hand nehmen. Dann gaben ihre Knie nach. Sie spürte einen taumeligen Schwindel in ihrem Kopf, stöhnte leicht auf und rutschte dann in sich zusammen.
Sie saß schluchzend im Sessel und konnte sich nicht beruhigen. Rander stand knapp vor ihr und beobachtete sie. Er fragte sich, ob sie ihnen wohl etwas vorspielte.
»Der Kaffee, Sir!« meldete Parker von der Tür her. Er trug würdevoll das Silbertablett ins Studio und servierte. Seine Bewegungen waren flüssig und elegant. Parker schien den Zwischenfall längst vergessen zu haben.
»Miß Mancini, Sie sollten etwas Kaffee trinken«, meinte Rander und rückte ihre Tasse zurecht, »kommen Sie, Ihnen wird gleich wieder besser werden.«
Sie hob den Kopf, tupfte sich mit einem Taschentuch die Augenwinkel aus und nippte am Kaffee. Dann sah sie Rander und Parker voll an.
»Warum haben Sie mich noch nicht der Polizei übergeben?« fragte sie dann, »Sie wissen doch, daß ich auf Mister Parker geschossen habe. Ich wollte ihn töten!«
»Wegen dieser Tatsache wollen wir die Polizei vorerst aus dem Spiel lassen«, sagte Rander, »warum sollen Sie meinen Butler um jeden Preis töten? Was hat er Ihnen getan?«
»Mir? Gar nichts!«
»Ach so, und aus diesem Grund wollen Sie ihn töten?«
»Sparen Sie sich Ihren Spott«, gab Jill Mancini zurück. Sie trug übrigens wieder ein Minikleid, das ihr reizend stand. Vor ihrer Fahrt zur Tiefgarage hatte sie sich den Overall ausgezogen.
»Okay, gehen wir die Dinge realistisch an«, meinte Rander und nickte, »Sagen Sie uns den Grund, warum Sie Parker töten wollen.«
»Weil … Weil ich es muß«, sagte sie leise und schaute schnell und irgendwie beschämt zu Boden.
»Man zwingt Sie?« Rander war überrascht.
»Ich kann nicht anders, ich muß es tun! Man hat mich in der Hand!«
»Wer hat Sie in der Hand, Miß Mancini?«
»Grayburn«, antwortete sie zu Randers Überraschung.
»Der Inhaber einer Speditionsgesellschaft, Sir«, warf Parker ein, »er wurde von Mister Gateways Firma erheblich erpreßt und geschädigt.«
»Richtig, Parker, Sie erzählten davon. »Rander nickte und widmete sich dann wieder dem Mini-Mädchen. »Wieso hat dieser Grayburn Sie in der Hand? Das müssen Sie uns schon näher erklären.«
»Ich … Ich war bei ihm angestellt und verschuldete einen Lagerbrand«, bekannte sie zuerst zögernd, dann schon wesentlich flüssiger. »Das liegt jetzt ein halbes Jahr zurück, Mister Rander. Ich rauchte, als ich Lieferpapier ins Chemielager bringen sollte. Ich tat das, obwohl das streng verboten war. Und irgendwie muß die Kippe dann das Lager entzündet haben. Wie es geschah, weiß ich nicht, aber Mister Grayburn hatte mich kurz vorher gesehen und ließ mich später ein Schuldbekenntnis unterschreiben. Damit hatte er mich in der Hand und zwang mich auch … Bitte, ersparen Sie mir das …! Ich mußte seine Freundin sein, wann immer er es wollte … und will …!«
»Ein tragisches Schicksal«, bemerkte der Butler.
»Grayburn zwang Sie also, Parker niederzuschießen, Miß Mancini«, wiederholte Rander kopfschüttelnd, »und aus Angst haben Sie sich dazu hergegeben!?«
»Was sollte ich denn machen?« brach es da aus ihr heraus, »er kann mich doch jederzeit, anzeigen. Und dann muß ich für den ganzen Schaden aufkommen. Und der geht fast an die Million. Er kann mich ruinieren, wenn ich nicht gehorche!«
»Und warum sollten Sie Parker töten?«
»Weil er mich doch kennt.«
»Können Sie das etwas genauer erklären?« fragte Rander.
Sie nippte am Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. Sie atmete ein paar Mal tief durch und räusperte sich dann.
»Grayburn setzte mich auf Sie, Mister Parker, an. Ich sollte Ihnen die Brieftasche stehlen.«
»Er setzte Sie auf Parker an?«
»Genau, Mister Rander. Er brachte mich hinaus zum Parkplatz, wo Mister Parker mich fand. Wir waren die ganze Zeit hinter Ihnen her und überholten Sie schließlich. Dann mußte ich so tun, als hätte mein Wagen eine Panne.«
»Es ging also ausschließlich um die Brieftasche? Sollten Sie Parker zu diesem Zeitpunkt noch nicht töten?«
»Davon hatte Grayburn zu diesem Zeitpunkt noch nichts gesagt. Ich sollte ihm nur die Brieftasche verschaffen.«
»Die Sie ihm dann gaben.«
»Ja … Was er damit gemacht hat, kann ich nur ahnen. Er ließ sie wohl am Tatort eines Mordes zurück, denke ich. Wenigstens hörte ich das Stunden später heraus.«
»Und dann bekamen Sie also den Schießbefehl?«
»Ich weigerte mich zuerst wirklich«, sagte sie und nickte, »aber Grayburn drückte mir die Zigarettenpackung in die Hand und erklärte mir, wie man damit schießt. Was dann hier in Ihrem Penthouse passierte, wissen Sie ja …«
»Nannte er Ihnen einen Grund, warum Sie Parker erschießen sollten?«
»Ich sollte es zu meiner eigenen Sicherheit tun, weil Ihr Butler mich ja kannte.«
»Und da schossen Sie so einfach, Miß Mancini!«
Sie verlor wieder die Nerven und weinte ausgiebig. Sie wußte wohl längst, daß Sie sich in einer ausweglosen Situation befand.
»Ich habe das Gästezimmer hergerichtet«, sagte Butler Parker, »Miß Mancini, Sir, bedarf vielleicht etwas der Ruhe.«
»Nein … Nein …«, sagte sie hochfahrend, »wenn Grayburn sieht, daß ich nicht komme … Ich meine … aber werde ich überhaupt …«
»Eben«, sagte Rander beruhigend, »so lange er nicht genau weiß, was sich ereignet hat, wird er überhaupt nichts unternehmen. Sie bleiben erst einmal mein Gast. Parker, kümmern Sie sich um Miß Mancini!«
»Wieso hat sie auf Sie geschossen und doch nicht getroffen?« fragte Lieutenant Madford Stunden später, als es längst Morgen war. Er stand in Randers Studio und warf Parker einen mißtrauischen Blick zu.
»Sie traf, Sir, wie ich korrigieren möchte«, erwiderte der Butler würdevoll.
»Sie traf aber seinen Doppelgänger«, schaltete Rander sich lächelnd ein, »als wir hinunter in die Tiefgarage fuhren, wußten wir, daß Besuch auf uns wartete. Um wen es sich handelte, konnten wir selbstverständlich nicht sagen, aber wir schalteten auf Alarm!«
»Ich verstehe noch immer kein Wort.« Madfords Gesicht wurde grimmig. Dann fuhr er herum und raunzte Sergeant McLean an, »grinsen Sie nicht, McLean!«
»Parker hat die Einfahrt zur Tiefgarage mit einer elektronischen Lichtschranke versehen lassen«, erläuterte Rander, »sie wird nach dem allgemeinen Dienstschluß eingeschaltet, Wenn alle Fahrzeuge die Garage verlassen haben.«
»Es handelt sich um eine automatische Zeituhr, die dies besorgt«, erklärte der Butler weiter.
»Dann spricht diese Lichtschranke doch in dem Moment an, wenn ein beliebiges Auto zurück in die Garage fährt, oder?«
»Sehr richtig, Madford«, sagte Rander.
»Aber das kommt doch bestimmt am laufenden Band vor. Wo ist da die Sicherheit?«
»Bei einer normalen Durchfahrt von draußen nach unten in die Garage erscheint eine Ziffer über der Einfahrtampel.«
»Na, und …?« Madford wandte sich Parker zu.
»Diese Ziffer steigt automatisch an und wechselt, je näher sich das Fahrzeug an die Tür des Expreßlifts heranschiebt.«
»Ich verstehe. Das gilt also auch für Personen, die aussteigen und sich der Lifttür nähern?«
»Sehr wohl, Sir! Anhand der bewußten Ziffer draußen über der Ampel läßt sich mit einiger Sicherheit berechnen, wie nahe ein Fremdwagen oder eine Person am Lift steht Die höchste Alarmziffer ist die XII.«
»Okay, die sahen Sie also, als Sie runter in die Garage fuhren. Und was war dann?« Madford wollte es genau wissen.
»Ich teilte Mister Rander mit, daß sich in der Nähe der Lifttür entweder ein Wagen oder eine Person aufhält, die nach dem allgemeinen Dienstschluß zurück in die Tiefgarage gekommen sein mußte.«
»Und dann?« Selbst McLean, der kaum zu beeindrucken war, schob sich mit seiner Frage vor und sah den Butler interessiert an.
»Rechneten wir damit, daß man uns ans Leder wollte«, beantwortete Rander die Frage McLeans.
»Mister Rander gab nur nach dem Aussteigen einen gewissen Vorsprung«, sagte Parker, »diesen Vorsprung nutzte ich dazu, mich nach dem Eindringling umzusehen. Ich entdeckte ihn in der Gestalt Miß Mancinis.«
»Während ich mit einem Pappkameraden zum Lift hinüberging«, führte Rander weiter aus und lächelte.
»Und wenn diese Frau nun auf Sie geschossen hätte!?« Madford schnappte nach Luft.
»Dazu, Sir, hätte ich es niemals kommen lassen«, erklärte Parker würdevoll, »im Moment des Schusses stand ich bereits hinter Miß Mancini und konnte beurteilen, daß sie tatsächlich mein Double aus Pappmaché meinte.«
»Schön und gut«, maulte McLean, der nicht ganz zufrieden war, »wieso wechselte die Ziffer über den Einfahrtampel? Das verstehe ich nicht! Wieso weiß die denn, wie nahe das Fahrzeug oder die Person am Lift ist?«
»Das ist doch sehr einfach«, sagte Madford und sah seinen Sergeant milde verweisend an, »sehen Sie, die Lichtschranke. Die hat also … Oder anders ausgedrückt … Wenn man mal unterstellt, daß …
»Ich verstehe kein Wort«, sagte McLean boshaft.
»Neben der Hauptlichtschranke an der Einfahrtrampe gibt es in der Tiefgarage weitere Lichtschranken, die die Garage in Sektoren aufteilt. Jeweils beim Passieren solch einer Sektorengrenze schaltet die Ziffer weiter nach oben«, erklärte Parker.
»Hab ich doch gerade gesagt«, behauptete Lieutenant Madford und schüttelte seinen Kopf in Richtung McLean, »Sie sind, wie immer, verdammt schwer von Begriff, McLean!«
»Und was machen wir jetzt mit Jill Mancini?« fragte Madford, »Sie wissen doch, daß ich sie mitnehmen müßte. Zwei Mordanschläge, die sie dazu noch zugegeben hat …«
»Vielleicht könnte man damit noch etwas warten«, schlug Mike Rander vor. »Wenigstens ein paar Stunden, bis Parker und ich diesen Speditionsunternehmer Grayburn gesprochen haben.«
»Ich weiß nicht recht«, zögerte Lieutenant Madford. »Grayburn hat sich der fortgesetzten Erpressung und Nötigung schuldig gemacht. Ich würde ihn am liebsten hochnehmen.«
»Verzeihung, Sir, sind Sie sicher, daß dem so war und ist?« schaltete der Butler sich ein.
»Na, hören Sie mal!?« Madford sah den Butler irritiert an, »halten Sie Grayburn etwa für einen Unschuldsengel?«
»Ich halte, mit Verlaub gesagt, Sir, Miß Mancini für eine junge Dame, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt.«
»Sie glauben, daß sie lügt?«
»In der Tat, Sir!«
»Und ob sie lügt!« Sergeant McLean nickte nachdrücklich. »Kann sein, daß die Sache mit dem Lagerbrand stimmt. Kann sein, daß sie von Grayburn erpreßt wird, aber mir kann kein Mensch einreden, daß eine junge Frau daraufhin so ohne weiteres in zwei Fällen einen Mord begehen will. Das sitzt doch nicht drin. Sie lügt uns den Buckel voll, wenn Sie mich fragen!«
Madford hätte seinem Sergeant jetzt eigentlich die übliche Abfuhr erteilen müssen. Erstaunlicherweise kam Madford überhaupt nicht auf diesen Gedanken. Er sog an seiner Zigarette und wandte sich dann Rander zu.
»Ich gebe Ihnen zwei Stunden Zeit«, sagte er, »fahren Sie rüber zu Grayburn und tasten Sie privat mal vor, was da wirklich gelaufen ist! In zwei Stunden aber gehört die Mancini mir. Daran kommen Sie nicht vorbei!«
»Die lügt wie gedruckt«, sagte der Speditionsunternehmer Grayburn eine halbe Stunde später, »was haben Sie sich denn da auf die Nase binden lassen? Bei mir soll ein Lagerbrand gewesen sein? Davon weiß ich überhaupt nichts. Ganz abgesehen davon, daß eine Jill Mancini hier niemals gearbeitet hat. Was ist das eigentlich für ein Mädchen?«
»Sie will von Ihnen zu einem Mord aufgefordert worden sein.« Rander befand sich auf dem Autohof der Spedition und spürte, daß Grayburn die Wahrheit sagte.
Grayburn war ein mittelgroßer, leicht korpulenter Mann von etwa 45 Jahren, energisch, lässig und besaß den Charme eines Panzerwagens.
Während er sich mit Mike Rander unterhielt, überwachten seine Augen kritisch den Betrieb. Ihm entging wahrscheinlich nichts.
»Eine andere Frage, Mister Grayburn«, sagte Rander, »stimmt es, daß Sie von Gateway Ihr Öl beziehen?«
»Gateway?« Grayburn nickte langsam.
»Öl, für das Sie sehr viel zu bezahlen haben?«
»Rücken Sie schon mit der Sprache heraus«, sagte Grayburn, »Sie wissen wahrscheinlich wie ich, daß dieses Ölgeschäft nur die Tarnung für eine Dauererpressung ist, nicht wahr?«
»Mußte Gateway Ihnen erst die Daumenschrauben anlegen?«
»Richtig«, bestätigte Grayburn, »zuerst wollte ich natürlich nicht zahlen, aber als drei Sattelschlepper ihr Ziel nicht erreichten und unterwegs vom Kurs abkamen, da begriff ich … Drei ausgebrannte Sattelschlepper, Rander, Sie können sich ja wohl vorstellen, was das für ein Verlust für mich ist!«
»Sind Sie niemals auf den Gedanken gekommen, Gateway auszuschalten?«
»Selbstverständlich, Rander … Ich hätte ihn am liebsten in die Luft geblasen, aber für einen Gateway kommen zwei Nachfolger oder auch drei …«
»Darf ich mal telefonieren?« fragte Rander. Er durfte und ging zusammen mit Grayburn hinüber in das zweistöckige Bürohaus. Von der Telefonzentrale im Empfangsraum aus rief er seinen Butler an, der sicherheitshalber bei Jill Mancini geblieben war.
Nun, das Telefon läutete, aber auf der Gegenseite wurde nicht abgehoben.
Was den jungen Anwalt stutzig werden ließ und unruhig machte …
»Ich fürchte, Sir, daß ich das Opfer einer äußerst geschickten Überrumpelung geworden bin«, sagte Parker.
»Sie haben sich von dieser Jill Mancini hereinlegen lassen? Das darf doch nicht wahr sein, Parken!« Rander grinste spöttisch. Er war zurück in sein Penthouse gekommen und hatte einen zerknirschten Butler Parker angetroffen.
»Die junge Dame setzte Waffen ein, denen ich im ersten Moment nicht so recht gewachsen war …«
»Waffen!?«
»Waffen, Sir, die ihr die Natur verschwenderisch zugeteilt hatte.«
»Ich verstehe nicht, Parker!«
»Wenn Sie erlauben, erzähle ich die Vorfälle etwas ausführlicher.«
»Fassen Sie sich kurz, Parker!«
»Nach Ihrem Fortgang, Sir, erwachte Miß Mancini aus ihrem Schlaf und läutete nach meiner bescheidenen Wenigkeit.«
»Fassen Sie sich kurz«, mahnte Rander in gespannter Erwartung.
»Unter Wahrung der Etikette und Diskretion, Sir, erschien ich vor der Zimmertür des Gästezimmers und erkundigte mich nach den Wünschen Miß Mancinis.«
»Und Jill Mancini?«
»Sie erklärte laut und deutlich, ich möge eintreten, was ich daraufhin auch tat, Sir.«
»In diesem Moment wurden Sie angegriffen?«
»In der Tat, Sir … Miß Mancini hatte sich umfassend vorbereitet und griff meine bescheidene Wenigkeit an. Sie glich in diesen Augenblicken, wie ich betonen möchte, einer gereizten Wildkatze!«
»Und sie schaffte es, Sie aufs Kreuz zu legen?«
»Ich muß leider zustimmen. Miß Mancini war im wahrsten Sinne des Wortes einfach nicht zu fassen.«
»Wieso denn? Das müssen Sie mir erklären.«
»Sie befand sich in einem, wie ich es ausdrücken möchte, unbekleideten Zustand, Sir!«
»Sie war nackt?!«
»Sehr wohl, Sir! Und sie hatte ihren, nicht ungefälligen Körper mit Hautöl eingerieben, das sie im Badezimmer gefunden haben mußte. Es war mir aus diesem Grund, den ich als primär bezeichnen möchte, unmöglich, sie zur Raison zu bringen.«
Rander sah die Szene nachträglich noch einmal vor sich und schmunzelte.
»Sie entwischte Ihnen also?«
»Leider, Sir. Dieses Hautöl hatte sie zusätzlich dafür verwendet, das Parkett vor der und hinter der Tür einzuölen, worauf die Trittfläche sich in Glatteis verwandelt zu haben schien.«
»Auf dem Sie ausrutschten!?«
»Nachdrücklich, Sir …!«
»Es ist doch nicht zu glauben«, seufzte Rander spöttisch, »ein uralter Trick von Ihnen, der hier einfach kopiert wurde!«
»Ich bin durchaus bereit, Sir, mich zu schämen!«
»Wenn schon! Das hilft uns nicht weiter. Jill Mancini hat sich abgesetzt. Und ich glaube nicht, daß wir sie so schnell Wiedersehen werden!«
»Dies, Sir, fürchte ich ebenfalls …«
»Madford wird toben, wenn er das erfährt …«
»Ich hörte ihn bereits, Sir …«
»Wir haben noch eine kleine Chance, Parker … Nämlich die Adresse, die ich von Gail Fisher bekommen habe. Versuchen wir dort unser Glück. Vielleicht schaffen wir es noch, bevor Madford erscheint, um Jill Mancini abzuholen.«
Sie ließen das hochbeinige Monstrum vor dem Apartmenthaus stehen und fuhren mit dem Lift hinauf in das dritte Stockwerk, wo Jill Mancini laut Gail Fisher zuletzt gewohnt haben sollte.
»Bei meinem ersten Besuch hier war nichts zu hören«, sagte Rander. »Sollen wir regulär läuten?«
»Ich glaube, Sir, daß das Türschloß nicht richtig eingerastet ist«, sagte Parker und schob sich so vor die Tür, daß sein junger Herr keine Einzelheiten sehen konnte. Er wußte aus Erfahrung, daß Mike Rander es gar nicht schätzte, wenn er Türschlösser auf dem Umweg über sein Spezialbesteck dazu animierte, sich fast freiwillig zu öffnen.
»Es war so, Sir!« Parker drückte die Tür vorsichtig auf.
»Hoffentlich«, sagte Rander und betrat die kleine, viereckige Diele. Sicherheitshalber hatte er seine Schußwaffe gezogen. Er wollte von dem Minimädchen Mancini nicht noch einmal überrascht werden.
»Hören Sie, Parker!?« Rander hob den linken Arm und deutete dann auf eine Tür, »das hörte sich nach Stöhnen an … Kommen Sie!«
Rander und Parker stürmten in den Raum, der hinter der bewußten Tür lag und … blieben überrascht stehen.
Auf dem Boden lagen zwei riesige Rollschinken, die sich erst bei näherer Betrachtung als zwei Männer entpuppten, die man fachmännisch verschnürt hatte …
»Diese Mancini ist doch ein ausgekochtes Luder«, sagte der erste Mann und rieb sich stöhnend seine Handgelenke.
»Ausgekocht ist noch untertrieben«, erwiderte der zweite Mann und spuckte die Reste des Knebels aus. »Die hat uns hochgenommen wie zwei Anfänger!«
Sie beruhigten sich erst, als sie von Rander mit Zigaretten versorgt worden waren. Nach einem Drink waren sie endlich in der Lage, zur Sache zu sprechen.
Die beiden Männer waren Mitarbeiter zweier Detektivinstitute, die von Parker auf Jill Mancini angesetzt worden waren, nachdem er sie nach ihrem ersten Mordversuch im Park ausgesetzt hatte.
Ihre Aufgabe war es gewesen, Jill zu verfolgen und herauszubekommen, wo sie wohnte und mit wem sie Kontakt hielt.
Die beiden Spitzenkräfte der beiden Detektivinstitute hatten sich sofort an die Arbeit gemacht und waren Jill Mancini hartnäckig gefolgt. Sie hatten den kleinen Überfall im Park mitbekommen, hatten gesehen, daß man Jill die Handtasche gestohlen hatte und waren schließlich vor diesem Apartmenthaus gelandet.
Hier waren sie von Jill um Hilfe gebeten worden. Sie hatte ihnen vorgeflunkert, in ihrem Apartment könnte man sie möglicherweise erwarten.
Auf ihre Bitte hin waren beide Spitzenkräfte mit hinaufgegangen und hier mit einem Drink versorgt worden.
»Worauf Sie natürlich prompt und ohne Übergang einschliefen, nicht wahr?« fragte Rander.
»Leider«, sagte der erste Detektiv, »sie gab sich derart hilflos, daß wir ihr vertrauten!«
»Bevor ich ganz weg war«, bekannte der zweite Detektiv, »hörte ich noch, wie sie anrief. Sie sprach ganz eindeutig mit einem ›Darling‹, wie ich mitbekam. Und sie sagte noch, sie hätte Pech gehabt.«
»Womit sie ihren ersten Mordanschlag gemeint haben muß«, stellte Rander fest, »ein nettes Herzchen, dieses Mini-Mädchen … Sie können verflixt froh sein, daß Sie noch leben. Jetzt traue ich ihr sogar einen Doppelmord zu!«
»Was ist denn nun wirklich los?« wollte Harry, genannt das Muschelohr, wissen, nachdem er Rander und Parker in seinem kleinen Ladenlokal begrüßt hatte. »Stimmt es, daß die drei harten Burschen, die sich bei Willie einlogiert hatten, verschwunden sind?«
»Sie befinden sich auf einer etwas längeren Reise«, antwortete der Butler gemessen, »auf einer Reise übrigens, die sie ohne gesundheitliche Schäden beenden werden«
»Dann stimmt’s also doch, was ich so gehört habe. Und Sie, Mister Parker, haben sie auf die Reise geschickt, nicht wahr?«
»Es ergab sich so«, sagte Parker.
»Es ergab sich so! Es ergab sich so!« maulte Harry, »ich brauche ein paar Einzelheiten, Mister Parker, sonst ist mein Ruf hin. Was glauben Sie, wie oft ich schon angerufen worden bin …!«
»Von wem?« fragte Rander lächelnd.
»Na ja, von gewissen Typen …«, gestand Harry vage, »von Typen, die sich darüber freuen, daß Toland, Maple und Lealand nicht mehr in der Stadt sind!«
»Geben Sie ihm ein paar Details«, wandte Rander sich an seinen Butler, »Harry muß ja auch in Richtung Unterwelt mit Tips dienen können, sonst ist sein Ruf tatsächlich hin.«
»Nun denn«, sagte Parker würdevoll, »die drei Wölfe, wie Sie sie bezeichneten, suchten und hatten eine kleine Auseinandersetzung mit meiner Wenigkeit … Nach einer intensiv geführten Unterhaltung bemühte ich einen meiner Spezial-Kugelschreiber. Daraufhin wurden die Herren von einer lähmenden Müdigkeit befallen, der sie unmittelbar nachgaben. Als sie erwachten, müssen sie sich bereits auf ihrer Reise befunden haben …«
»Sie haben die drei Jungens mit ’nem Trick außer Gefecht gesetzt?« Harry wollte es genau wissen. Doch Parker hütete sich zu sagen, daß er einen seiner Kugelschreiber verwendet hatte, um die Gangster einzuschläfern. Toland und Willie hatten das Zischen sicher hoch gehört, aber sie hatten nicht mehr reagieren können. Das Schlafgas, komprimiert im Kugelschreiber, war durch das Schlüsselloch geblasen worden und hatte den gewünschten Effekt hervorgerufen.
Wie gesagt, das alles sagte Parker nicht.
»Aber zum Henker, wie haben Sie diese drei schweren Jungens aus dem Haus geschafft … Ich meine, aus Willies Billardsaal?«
»Mit einem Getränkeaufzug«, sagte Parker in seiner bescheidenen Art, »ich darf Ihnen versichern, daß dies keine sonderliche Mühe machte!«
»Das gibt ’ne Sensation, wenn sich das rumspricht«, sagte Harry und grinste wohlig. Er hatte endlich etwas zu sagen, wenn man ihn ansprach. »Werden die drei Jungens zurückkommen, Mister Parker?«
»Es gibt Menschen, die von Natur aus leichtsinnig zu sein scheinen«, sagte Parker würdevoll, »diesen Menschen sollte und müßte man nachdrücklich klarmachen, daß eine gewisse Vorsicht nicht unangebracht ist.«
»Das wird ja ein nettes Theater geben, wenn die wieder hier sind. Und Willie!?«
»Der Inhaber des Billardsaals wird sich entscheiden müssen, wem er seine Hilfe leiht. In diesem Zusammenhang könnte eine gewisse Information keineswegs schaden, eine Information, die sich auf einen Norman Landor bezieht.«
»Norman Landor!?«
»Sie kennen ihn?«
»Er war mal bei Gateway, ist dort aber rausgeflogen …«
»Und warum, wenn diese Frage gestattet ist?«
»Norman Landor ist scharf wie ein Rasiermesser. Er hat schon ein paar Firmen hinter sich. Sie wissen, was ich meine …«
»In etwa … Sollten seine Methoden selbst sogenannten abgebrühten Gangsterbossen zu hart sein?«
»Richtig«, bestätigte Harry eifrig, »Norman Landor hat es mit dem Schießen … Ein falsches Wort, und schon liegt die Kanone in seiner Hand …«
»Demnach hält es auch keine Freundin länger bei ihm aus, wie ich unterstellen müßte?«
»Er ist der typische Einzelgänger, obwohl er immer Anschluß gesucht hat. Ich meine jetzt Firmen oder Organisationen … Er blieb immer nur ein paar Wochen oder Monate. Er ist auf dem besten Weg, ein eiskalter Killer zu werden …«
»Womit meine höfliche Nachfrage nach einer eventuellen Freundin noch nicht beantwortet ist.«
»Ich werde mal rumhorchen«, versprach Harry, »im Moment weiß ich nichts …«
»Aber vielleicht etwas über eine gewisse Jill Mancini?« erkundigte sich Rander beiläufig, wie er es mit Parker vorher abgesprochen hatte.
»Jill Mancini?«
»So heißt sie«, meinte Rander lächelnd, »packen Sie schon aus, Harry!«
»Da gab’s mal ’ne Jill Mancini«, berichtete Harry also, »ein kleines Biest, prächtig aussehend. Muß mal als Fotomodell gearbeitet haben, Dann rutschte sie ab. Diebstahl und so. Ich glaube, sie nahm mal den Tresor eines ihrer Arbeitgeber aus. Dann setzte sie sich ab und verschwand. Wo sie im Moment steckt, weiß ich nicht. Vielleicht ist sie längst aus der Stadt und lebt irgendwo unter ’nem fremden Namen!
»Was macht eigentlich Ihr Peilsender?« fragte Rander, als er zusammen mit Parker im hochbeinigen Monstrum durch die Straßen fuhr.
»Während meiner bisherigen Fahrten, Sir, habe ich nach ihm gesucht«, antwortete Parker, »leider war er bisher nicht zu vernehmen. Ich fürchte, er ist zerstört worden!«
»Teilen Sie Lieutenant Madford wenigstens die Frequenz mit«, schlug Rander vor, »er hat bessere technische Möglichkeiten als wir und kann die ganze Stadt abhorchen lassen …«
»Sir, darf ich Sie bitten, mir noch bis gegen Mittag die Spur einer Chance einzuräumen?«
»Sie geben Ihre Fälle nicht gern aus der Hand, ich weiß … Was nichts daran ändert, daß Madford gleich vor dem Penthouse auftauchen wird, um Jill Mancini abzuholen …«
»Dieser Begegnung, Sir, würde ich äußerst gern aus dem sprichwörtlichen Weg gehen.«
»Soll ich etwa die Suppe auslöffeln, die Sie eingebrockt haben?«
»Im Interesse der Sache vielleicht. Sie, Sir, könnten mir auf diese Art und Weise einen kleinen zeitlichen Vorsprung sichern …«
Rander war schließlich doch einverstanden. Er ließ sich von Parker zurück zum Bürohochhaus bringen und zuckte plötzlich zusammen, als aus dem eingeschalteten Autoradio ein schrilles Pfeifen zu hören war.
»Der Peilsender!« sagte er und sah seinen Butler an.
»Und zwar mit einer erstaunlichen Intensität, Sir …« Parker nickte leicht, aber doch sehr interessiert.
»Wir stellen fest, von wo aus er sendet«, erklärte Rander mit Nachdruck, »von mir aus kann Madford warten. Das hier ist jetzt wichtiger, Parker.«
Sie brauchten etwa zehn Minuten, bis sie den Standort des kleinen Peilsenders entdeckt hatten. Er mußte, wie sich herausstellte, sich in einem schäbigen, kleinen Hotel befinden, an dessen Front sie mehrmals vorbeigefahren waren, um ganz sicher zu gehen.
»Sieht so aus, als hätte sie sich dort in dem Bau versteckt«, meinte Rander, während Parker das hochbeinige Monstrum in einer Nebenstraße abstellte, »wir müssen höllisch aufpassen, Parker, damit sie uns nicht noch einmal hereinlegt …«
»Herein …!« rief eine rauhe, angetrunkene Stimme, nachdem der Butler höflich gegen die Tür des Hotelzimmers geklopft hatte. Rander und Parker traten ein und blieben überrascht in der geöffneten Tür stehen.
Das hatten sie nun wirklich nicht erwartet.
Ein penetranter Geruch nach billigem Fusel, nach säuerlichem Schweiß und ungelüfteten Kleidern schlug ihnen entgegen. In dem engen, kleinen Zimmer standen zwei einfache Betten, ein Tisch, zwei Stühle und ein wahrscheinlich wackliger Kleiderschrank.
In den Betten lagen zwei Männer, abgerissen aussehend, unrasiert und angetrunken. Sie richteten sich auf, als sie merkten, daß Fremde eingetreten waren.
Mit einem schnellen Blick hatte Parker Jill Mancinis Handtasche erspäht.
Sie stand auf der Fensterbank und machte sich in dieser tristen Umgebung sonderbar elegant aus.
»Was … Was is ’n los?« fragte der Mann rechts im Bett und stand mühsam auf.
»Falsche Tür«, knurrte der zweite Angetrunkene und rülpste.
»Aber durchaus die richtige Handtasche«, stellte der Butler in seiner höflichen Art und Weise fest. Er ging zur Fensterbank und nahm die Handtasche an sich. Mit sensiblen Fingerspitzen tastete er nach dem eingenähten Peilsender in einer Bodenfalz der Ledertasche.
»Die … Die haben wir gefunden«, sagte der erste Strauchdieb hastig und zog förmlich den Kopf ein.
»Bei einer jungen Dame, die Sie in einem Park überfielen«, stellte Parker richtig, »hoffentlich sind Sie sich über die Konsequenzen klar, die sich aus diesem Überfall ergeben …«
»Machen Sie doch keinen Ärger, Sir!« Der Strauchdieb hob abwehrend die Hände. Sein Partner stand ebenfalls schnell auf und griff mit zitternden Händen nach einem Wasserglas, in dem sich noch ein Rest Fusel befand.
»Wir werden uns bei dem Mädchen entschuldigen«, sagte er, nachdem er einen Schluck genommen hatte, »ehrlich, Sir, das war doch alles ’n Mißverständnis … Wir wollten eigentlich …«
»Wie wollen Sie sich entschuldigen, wenn Sie noch nicht einmal wissen, wo sie wohnt«, fragte Rander ärgerlich.
»Aber das wissen wir doch!« sagte der erste Stadtstreicher zu Randers und Parkers Überraschung.
»Sie wissen, wo sie wohnt?«
»Ja doch …! Das war so, Sir … Also, nach der Sache da im Park blieben wir hinter ihr. Sie wissen vielleicht nicht, daß sie mir ’n Handkantenschlag verpaßte, der nicht von schlechten Eltern war. Wir gingen ihr also nach, aber das hat sie nicht mitbekommen.
»Die war ziemlich wacklig auf den Beinen«, sagte der zweite Strauchdieb, »un’ sie hatte keinen Cent, sich ’ne Taxe zu mieten. Wir blieben an ihr kleben, und sie ging nach Hause!«
»Wohin genau?«
Sie erinnerten sich und nannten die Adresse. Und sie waren überrascht, als ihre beiden Besucher plötzlich wieder aus dem Zimmer waren. Mit der Handtasche, gewiß, aber immerhin unter Zurücklassung einer Zehndollarnote, auf die sie sich nach einer Atempause fast gleichzeitig stürzten.
»Wer war ’n das?« fragte der erste Strauchdieb und glättete die Banknote.
»Komische Typen«, sagte der zweite Stadtstreicher und wischte sich den Mund, »soll mir aber egal sein. Hauptsache, wir können uns neuen Stoff besorgen.« Er griff nach dem Wasserglas und leckte die letzten Fuseltropfen vom Rand ab …
»Es lebe der Peilsender«, sagte Rander, als sie wieder im Wagen saßen, »er scheint uns auf die richtige Fährte gebracht zu haben, und wenn auch auf Umwegen!«
»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Sir, mich Ihrem Optimismus anzuschließen, wenn auch in einer etwas gedämpfteren Form«, antwortete Butler Parker gemessen, »es wäre zu schön, wenn man Miß Mancini jetzt finden könnte.«
»Ich bin gespannt, was man uns sagen wird«, erwiderte Mike Rander, »eines steht fest, man hat mich ganz schön belogen und mir Sand in die Augen gestreut.«
»Mike, Sie!?«
Gail Fisher hatte die blanke Überraschung in den Augen, als Rander plötzlich in ihrem Privatbüro stand.
»Hallo, Gail …« sagte Rander und trat etwas zur Seite, um seinen Butler vorzustellen, »das ist hier mein Butler!«
»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich in seiner reserviert-höflichen Art vor, »es ist mir vorerst eine Freude, Sie kennenlernen zu dürfen …«
»Warum haben Sie sich denn nicht unten im Sekretariat anmelden lassen?« wollte Gail wissen. Während sie sprach, deutete sie auf die Sitzgruppe rechts von ihrem Schreibtisch.
»Das hatte einen ganz bestimmten Grund, Gail …« Parker und Rander blieben stehen.
»Und der wäre?«
»Nun, wir waren der Meinung, bei Ihnen vielleicht Jill Mancini treffen zu können.«
»Jill Mancini?« Gail Fisher lächelte nicht mehr. Ihr Gesicht nahm einen ratlos-verwirrten Ausdruck an.
»Jill Mancini«, wiederholte Rander und nickte, »es steht inzwischen fest, daß sie doch bei Ihnen ein und aus geht, Gail. Warum haben Sie mir das verschwiegen?«
»Aber das stimmt doch überhaupt nicht«, fuhr Gail Fisher hoch, »wer behauptet das?«
»Das spielt im Augenblick keine Rolle, Gail. Fest steht, ich wiederhole es noch einmal, daß sie zumindest gestern hier bei Ihnen war. Wahrscheinlich für viele Stunden. Wir haben zwei Augenzeugen, die das bestätigen können!«
»Also gut, ich gebe es zu«, sagte sie und senkte den Kopf, »ich hätte es Ihnen sagen sollen!«
»Und warum haben Sie’s nicht getan?«
»Weil Jill mich darum gebeten hatte.«
»Nannte sie Gründe für diese Bitte?«
»Sie sagte, sie habe persönlichen Ärger, und sie fühle sich nicht ganz wohl. Daraufhin erlaubte ich ihr, hier bei mir zu bleiben. »Demnach haben und hatten Sie die ganze Zeit über engen Kontakt mit ihr, nicht wahr?«
»Wir sehen uns hin und wieder …«
»Ist sie im Moment noch hier?«
»Aber nein. Sagen Sie, Mike, welche Augenzeugen haben Sie denn? Was ist überhaupt mit Jill los? Hat sie etwas ausgefressen?«
»Nicht sonderlich viel … sie versuchte nur in zwei Fällen, meinen Butler zu erschießen!«
»Jill? Ausgeschlossen!«
»Wir würden sie gern selbst fragen, Sie wissen nicht, wo sie sich befindet?«
»Wahrscheinlich doch in ihrer Wohnung. Ich habe Ihnen ja die Adresse gegeben.«
»Obwohl sie bei Ihnen war . . .«
»Mike, Sie glauben doch nicht, daß ich Sie hintergehen wollte. Ich wollte Jill nur etwas Ruhe verschaffen. Sie hatte sie dringend nötig. Sie war vollkommen mit den Nerven herunter …«
Während Gail Fisher noch redete, hatte der Butler sich an die Verbindungstür herangeschoben, die in einen Nebenraum führte. Diese Tür wollte er öffnen, doch Gail Fisher war schneller. »Nein!« sagte sie mit harter Stimme und baute sich mit ausgebreiteten Armen vor der Tür auf, »das hier ist privat, Mister Rander. Ich erlaube nicht, daß Sie …!«
»Was haben Sie denn zu verbergen, Gail?« fragte Rander kopfschüttelnd.
»Nichts! Aber ich erlaube es nicht, daß man so einfach in meine Privaträume geht …«
»Richten Sie Grüße an Jill Mancini aus«, sagte Rander kühl, »sagen Sie ihr, daß wir sie erwischen werden. Früher oder später! Sie müßte eigentlich wissen und spüren, daß sich das Netz über ihrem Kopf zusammenzieht!«
Rander nickte ihr reserviert zu und verließ zusammen mit Parker das Privatbüro.
»Ich wette, sie wohnt noch bei Gail Fisher«, sagte Rander zu Parker, als sie mit dem Lift hinunterfuhren, »und was Gail mit Jill Mancini verbindet, müssen wir rausbekommen. Abgesehen davon, werden wir Madford informieren müssen, sonst kann er uns wirklich Vorwürfe machen.«
»Ich habe das Haus umstellen lassen«, sagte Madford etwa eine Stunde später. Er befand sich in Randers Studio und wirkte mißmutig. Er hatte seine Vorwürfe abgeladen und nicht an Spott gespart, als Parker von seiner Panne berichtet hatte.
»Ich frage mich die ganze Zeit, ob Gail Fisher nicht irgendwie an der ganzen Geschichte beteiligt ist«, sagte Rander nachdenklich, »irgendwie ist sie anders geworden. Und geldgierig war sie eigentlich schon immer. Vielleicht wittert sie in Jill ein gutes Geschäft!«
»Ich kenne Gail Fisher«, meinte Madford, »Sie brauchen mir gar nichts zu erzählen … Irgendwann wird sie hochgehen. Wir müssen ihr nur noch beweisen, daß in ihren Privaträumen gespielt wird. Von ihren Modellen mal ganz zu schweigen. Sie scheint sie an alleinstehende Herren zu vermitteln. Und nicht nur zu Zwecken der Fotografie!«
»Tatsächlich?«
»In meinen Augen gehört sie schon längst zur Unterwelt. Zur gehobenen Schicht, wenn ich es so nennen soll. Sie macht ihren Schnitt, darauf können Sie sich verlassen!«
»Ich hatte sie für mehr oder weniger harmlos gehalten.«
»Das war sie mal, aber Ihre Gail Fisher ist nicht die Frau, die wir kennen. Aber zu Ihnen, Parker! Wie war das mit den beiden Saufbrüdern? Sie folgten Jill Mancini nach dem Überfall im Park zuerst in ihre Apartmentwohnung, ja?«
»In der Tat, Sir! Aber nicht nur die beiden Saufbrüder, wie Sie sich auszudrücken belieben, sondern auch die beiden Privatdetektive, die ich engagierte.«
»Die beiden Fuselbrüder sahen also die beiden Detektive, die ins Haus gingen, aber nicht wieder zurückkamen?«
»Sehr wohl, Sir. Zurück kam einzig und allein Miß Mancini. Sie brauchte nur durch ein paar kleine Querstraßen zu gehen, bis sie Miß Fishers Büro erreichte …«
»Wo sie jetzt bestimmt steckt. Na, wir werden sie erwischen. Ein Entwischen sitzt nicht drin …«
Lieutenant Madford wollte noch weiter zu diesem Thema Stellung nehmen, doch im Moment klingelte das Telefon. Parker hob ab und meldete sich. Er hörte kurz zu und wandte sich dann an seinen jungen Herrn und an Madford.
»Miß Fisher, Sir! Sie scheint, wenn mich nicht alles trügt, schwer verletzt zu sein. Sie bittet um Ihr Kommen, Sir!«
Parker hatte richtig gehört und vermutet.
Gail Fisher lag auf der Couch in ihrem Salon, der etwas zu üppig eingerichtet war. Sie atmete flach und schnell. Man hatte ihr einen Notverband angelegt, aber man sah, daß sie bald sterben mußte. Sie hatte bereits zuviel Blut verloren.
Rander stand neben ihr und kniete dann nieder, um sie besser verstehen zu können. Lieutenant Madford, McLean und Parker hielten sich im Hintergrund.
»Ich … Ich habe Sie belogen, Mike«, sagte Gail Fisher leise, »tut mir leid …«
»Hat Jill Mancini auf Sie geschossen?«
»Dieses Biest«, antwortete sie leise, »ich hätte ihr niemals trauen dürfen. Sie hat mich eingewickelt. Ich sollte endlich großes Geld sehen. Und da habe ich sie und ihren Freund finanziert. Sie hatten mir eine Beteiligung versprochen!«
»An welchem Geschäft, Gail?«
»An Gateways Ölfirma … Sie wissen ja Bescheid. Aber Jill war abgebrannt und brauchte Geld.«
»Hat sie Gateway erschossen?«
»Bestimmt! Sie ist gefährlich wie eine Viper! Passen Sie auf, wenn Sie ihr über den Weg laufen!«
»Wie heißt Jills Freund?«
»Norman Landor … Ein Strolch … Er paßt genau zu ihr. Passen Sie auf!«
»Wo finde ich Landor?«
»Ich … Ich weiß es nicht.«
»Und Jill Mancini?«
»Ich … weiß es … nicht«, sagte sie schon sehr leise, »passen Sie … auf … sich auf!«
Gail Fisher sagte noch etwas, aber das war schon nicht mehr zu verstehen. Sie ließ den Kopf zur Seite fallen und schloß die Augen …
»Damit dürfte alles klar sein.«
Lieutenant Madford, McLean, Rander und Parker befanden sich in einer Bierbar und gingen den Fall noch einmal durch. McLean hatte sich ein mehr als großes Bier bestellt und machte sich daran, es so schnell wie möglich zu vertilgen.
»Unsere Hauptperson ist das Mini-Mädchen Jill Mancini«, faßte Mike Rander zusammen, »Jill Mancini und ihr Freund Landor wollten Gateway ausschalten. Da Gateway stets von einer Leibgarde geschützt wurde, machte sich Jill Mancini an ihn heran, nachdem sie Parkers Brieftasche entwendet hatte.«
»Sie erschoß Gateway und ließ die Brieftasche am Tatort zurück«, führte Madford weiter aus. »Damit sorgte sie erst einmal dafür, daß Gateways Leute abgelenkt wurden und sich auf Parker stürzten …«
»Richtig«, sagte Rander nun, »gleichzeitig versuchte Jill aber auch auf eigene Faust, Parker zu ermorden. Schließlich kannte er sie und hätte sie identifizieren können. Wahrscheinlich kam sie etwas zu spät dahinter, daß sie dem falschen Mann die Brieftasche gestohlen hatte. Hätte sie gewußt, wer Parker ist, wäre wohl ein anderer Mann reif gewesen!«
»Möglicherweise, Sir, lag es in ihrer Absicht, meine bescheidene Wenigkeit herauszustellen … Gateways Leute wissen ja, daß ich mich hin und wieder mit der Unterwelt befasse.«
»Auch sehr gut möglich, Parker.« Rander nickte. »Nach Gateways Ermordung brauchen sie und ihr Freund Landor nur noch darauf zu warten, bis die beiden Gateway-Nachfolger Hondal und Stonewell sich gegenseitig die Kehle durchgebissen haben. Danach sollte wohl Landor auftreten und die Firma an sich reißen.«
»Aber wo steckt dieser Norman Landor?« fragte McLean dazwischen und wischte sich den Bierschaum von den Lippen, »solange wir den nicht haben, haben wir auch die Mancini nicht. Ich wette, die beiden sind inzwischen abgehauen …«
Die beiden ehemaligen Leibwächter Gateways, Mel und Joe, kamen wieder zu sich und sahen sich erstaunt-irritiert in dem gekachelten Gang um, in dem sie sich befanden.
Sie brauchten einige Zeit, bis sie sich zurechtgefunden hatten. Ihre Köpfe und Sinne waren noch benommen. Sie waren durchgeschüttelt worden, daß es eine Art war.
»Hier waren wir doch schon mal«, sagte Mel und stand unsicher auf.
»Als wir aus dem Lift kamen«, meinte Joe und nickte. »Das versteh’ ich nicht. Wir waren doch in dieser verdammten Kiste und unterwegs.«
»Und jetzt sind wir wieder hier?« Mel ging unsicher zum Lift, der voll zu sehen war und rüttelte versuchsweise an dem Knopf.
Wie geschmiert ließ die Tür sich öffnen.
»Schnell, Joe«, rief er seinem Partner zu, »wir können … Beeil dich! Wir hauen ab!«
Mel und Joe, die nie verstanden, was mit ihnen passiert war, stiegen schleunigst in den Lift und sahen sich dann mißtrauisch die Wählknöpfe an.
»Drück irgendwo drauf«, sagte Joe nervös. »Hauptsache, wir kommen weg!«
Bevor Mel wunschgemäß drücken konnte, setzte der Lift sich in Bewegung und fuhr deutlich nach oben, um schon nach wenigen Sekunden anzuhalten.
»Ich hoffe, meine Herren«, ertönte dann Parkers würdige und gemessene Stimme, »Sie hatten eine gute Fahrt. Ich erlaube mir, Ihnen noch einen guten und erholsamen Tag zu wünschen!«
Der Lift setzte sich wieder in Bewegung und fuhr weiter nach oben.
»Er steht«, murmelte Joe nach einigen Sekunden.
»Und die Tür läßt sich öffnen«, meinte Mel mißtrauisch. Er stieg aus dem Lift und sah sich um. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Er stand in der großen Halle eines Bürohochhauses, das ihm irgendwie bekannt vorkam.
»Mach schön!« rief er Joe zu, der nun eiligst ausstieg und sich seinem Partner anschloß.
Wie zwei große Kinder, die sich in einer fremden Welt verirrt haben, schritten sie auf den Ausgang zu, wo sie erwartet wurden.
»Na endlich«, sagte Sergeant McLean gemütlich wie ein Grislybär bei bester Laune, »da seid ihr ja. Wo habt ihr denn die ganze Zeit über gesteckt, Jungens?«
Mel und Joe waren derart beeindruckt, daß sie sofort aufsteckten, ohne nach ihren Waffen zu greifen.
Was übrigens sinnlos gewesen wäre, denn die hatte ein gewisser Parker längst durch kleine Manipulationen unbrauchbar gemacht.
Und irgendwie waren die beiden Gateway-Leibwächter Mel und Joe froh, daß man sie aus dem Verkehr zog. Sie sehnten sich nach Wärme, nach Menschen und nach einer offenen Unterhaltung, auch wenn sie in Form eines Verhörs stattfinden sollte.
»Was versprechen Sie sich von dieser Nachtwache?« fragte Rander, dem die Zeit zu lang wurde. »Ich bin davon überzeugt, daß Landor nicht kommen wird.«
»Er müßte meiner bescheidenen Ansicht nach die Initiative ergreifen, Sir, um seine Hand nach der Führung der Ölfirma ausstrecken zu können.«
»Sie rechnen also mit einer Art Doppelmord an Hondal und Stonewell?«
»In etwa, Sir.«
»Dann werden wir uns trennen müssen«, sagte Rander und deutete hinüber auf die Firmenhalle, »ich glaube, Hondal macht Schluß für heute.«
Mike Rander hatte sich nicht getäuscht.
Gary Hondal verließ gerade die Ölfirma und ging hinüber zu einem Buick, der auf dem kleinen Parkplatz vor dem Eingang stand. Er setzte sich ans Steuer und fuhr los.
»Soll ich ihn übernehmen?« fragte Rander.
»Wie Sie meinen, Sir.«
»Gut, dann übernehme ich Hondal. Halten Sie hier die Stellung, Parker!«
Parker stieg aus dem Ford, den Mike Rander gemietet hatte. Er nickte seinem Herrn zu, der sich mit dem Wagen langsam vom Randstein löste und die Verfolgung des Buick aufnahm.
Es gab noch einen zweiten Ford, der etwa zwanzig Meter entfernt von Parker stand.
Der Butler hatte aus Gründen der Diskretion auf sein hochbeiniges Monstrum verzichtet. Sollte er gezwungen sein, den noch in der Firma verbliebenen Stonewell zu verfolgen, wollte er diesen neutralen Ford benutzen.
Nach, etwa fünfzehn Minuten erschien im Blickfeld Parkers ein kleiner Kastenlieferwagen mit einer Aufschrift, die sich auf irgendeine Wäschereifirma bezog.
Dieser Wagen schien sein Ziel genau zu kennen. Er hielt auf die Ölfirma zu und parkte. Und zwar mit der Ladefläche in Richtung Eingangstür, wie Parker registrierte.
Parker hatte diesen Wagen noch nicht gesehen, aber er wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Er wußte es mit letzter Sicherheit, als ein knabenhafter Jüngling, der einen Overall trug, das Fahrerhaus verließ und dann hinüber zum Eingang marschierte.
Der Pförtner wollte den knabenhaft schlanken, jungen Mann zuerst nicht einlassen, doch als ihm eine Art Lieferschein präsentiert wurde, öffnete er die Tür.
Josuah Parker schritt zu dieser Zeit bereits würdevoll und gemessen auf die Lagerhalle zu, die zwischen den beiden grauen Backsteinbauten stand.
Als er die Eingangstür erreicht hatte, sah er etwas mißbilligend auf den Pförtner, der regungslos am Boden lag und offensichtlich einem dringenden Schlafbedürfnis nachkam.
Erfreulicherweise war der Mann unverletzt, wenn man von einer Beule an der Schläfe absah, die von einem Totschläger verursacht worden sein mußte.
»Sie wollen Handtücher abholen? Um diese Zeit?«
Clive Stonewell, der vor einem Aktenschrank stand, sah überrascht hoch und musterte den knabenhaft schlanken Burschen im Türrahmen.
»Dafür ist es nie zu spät« sagte der junge Mann und hatte plötzlich eine schallgedämpfte Schußwaffe in der Hand.
»Was … was soll das heißen?« Stonewell wich überrascht zurück. Er hob unwillkürlich abwehrend die Arme.
»Die neue Firmenleitung braucht Sie nicht mehr, Stonewell«, sagte der junge Mann und wollte abdrücken.
Er schrie allerdings unmißverständlich weiblich auf, als ein bleigefüttert Bambusgriff seine Handwurzeln traf. Die Waffe landete auf dem Boden und wurde von einem schwarzen Schuh äußerst geschickt unter den Schreibtisch gekickert.
Der junge Mann warf sich herum und wollte sich auf den Butler stürzen.
»Miß Mancini, Ihr Benehmen ist keineswegs damenhaft zu nennen«, tadelte Parker mit leichter Mißbilligung in der Stimme. Dann wehrte er ihre wütend geballten Fäuste ab.
Jill Mancini kickste plötzlich überrascht und spürte einen an sich leichten Schmerz auf ihrem Handrücken. Dort bildete sich ein kleiner Hautriß, der von einer Nadel herrühren mußte.
Sie hatte noch nicht einmal ausreichend Zeit, sich diesen Riß zu betrachten.
Ihre Augen weiteten sich, sie stöhnte leicht auf und rutschte dann haltlos in Parkers Arme.
Stonewell, der sich nach der Waffe bücken wollte, zuckte zusammen, als sei er von einer Tarantel gestochen worden. Er faßte nach seiner Kehrseite und stierte entsetzt auf einen kleinen Blasrohrpfeil, der nicht größer war als eine halbe Stricknadel.
Der Miniatur-Blasrohrpfeil entstammte einer Spezialzigarre des Butlers, die wie ein Miniaturblasrohr mit Preßluft arbeitete.
Den Pfeil noch in der Hand, machte Stonewell es sich auf dem Boden bequem und schlief ungewöhnlich schnell ein.
Als Parker sich umwandte, zuckte er mit keiner Wimper, als ein etwa dreißigjähriger Mann vor ihm stand, der eine Schußwaffe in der Hand hielt und ihn angrinste.
»Mister Landor, wenn mich nicht alles täuscht!?« fragte der Butler, hütete sich aber in Anbetracht der Lage, höflich grüßend nach seiner Melone zu greifen.
»Norman Landor«, bestätigte der junge Mann.
»Der Drahtzieher im Hintergrund.«
»Der Mann, der die Firma an sich reißen wird«, bestätigte Landor und grinste noch breiter.
»Der Mann, der Miß Mancini anstiftete, zur Mörderin zu werden?«
»Genau der Mann«, sagte Landor genußvoll und sah kurz zu Jill Mancini hinüber, »ihr Pech, daß sie verrückt nach mir ist …«
»Sie brauchten sie gewiß nicht lange zu überreden, Mister Landor?«
»Überhaupt nicht! Die Anlagen waren vorhanden«, erwiderte Norman Landor, »ich brauchte sie nur zu wecken. Sie müssen zugeben, Parker, daß sie sehr auf Draht ist!«
»Eine erstaunliche Frau, wenn auch leider nur im negativen Sinn!«
»Ich weiß, darum wird’s Zeit, daß sie ausgebootet wird.«
Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als er auf sie schoß. Sie zuckte nur schwach zusammen und blieb dann regungslos liegen. In einer bösen, seltsamen Verrenkung übrigens, die auf ihren Tod schließen ließ.
»Sie räumen alles aus dem Weg, was Ihnen gefährlich werden könnte?«
»Man braucht Ellbogenfreiheit und keine Augenzeugen«, sagte Norman Landor, »sagen Sie, wie haben Sie diese kleine Katze außer Gefecht gesetzt?«
»Mittels dieses Kugelschreibers«, sagte Parker und hatte die Nerven, einen seiner Kugelschreiber aus der Westentasche zu ziehen.
»Müssen Sie mir erklären. So was kann man immer brauchen, Parker. Jetzt will ich nur noch wissen, woher Sie wußten, daß Jill und ich hier auftauchen würden.«
»Eine Spekulation. Ich unterstellte, wenn ich es so ausdrücken darf, daß Sie die Herren Hondal und Stonewell aus dem Weg räumen wollten, um die Firma an sich zu reißen!«
»Nur Stonewell«, sagte Norman Landor lächelnd, »Hondal ist harmlos, man kann ihn noch gebrauchen. Hängt aber von ihm ab, wie lange noch!«
»Sind Sie sicher, daß die Polizei Ihnen nichts anlasten kann?« wollte Parker wissen.
»Vollkommen! Was immer getan wurde, geht auf Jills Konto. Und dafür gibt es genug Augenzeugen. Ich bleibe sauber. Ja, auch was Jill angeht, Stonewell und Sie, Parker. Das alles wird man Jill aufs Konto schreiben!«
»Hatten Sie von Anfang an vor, Jill Mancini aus dem Weg zu räumen?«
»Aber selbstverständlich! So was wie Jill gebraucht man und wirft es weg! Wie ein Papiertaschentuch!«
Parker sah, daß Landor schießen wollte. Nicht auf Stonewell, sondern auf ihn. Und dagegen, so fand Parker, mußte man etwas tun.
»Sie haben eines übersehen«, sagte Parker gelassen und würdevoll, »verständlicherweise habe ich dafür Sorge getragen, daß ich nicht überrascht werden konnte.«
»Der alte Bluff! Ich soll mich jetzt wohl umdrehen, wie?« Norman Landor lächelte amüsiert.
Dann lächelte er nicht mehr, denn die Lichtbombe, die jetzt aufflammte, blendete ihn derart, daß er vor Schmerzen aufschrie, nach seinen Augen griff und darüber vergaß, die Waffe gegen den Butler zu verwenden.
Er stöhnte noch, als er später ab geführt wurde.
»Was war denn mit dem Licht?« wollte Madford am Abend wissen, als er Rander und Parker im Penthouse besuchte, »Landors Augen sind total entzündet.«
»Ich darf auf die Zierperle in meinem Binder verweisen«, erläuterte der Butler gemessen, »sie ist in Wirklichkeit eine Art Magnesiumlicht, das ich durch einen Druck auf eine bestimmte Stelle meiner Weste auszulösen vermag. Der gebündelte Lichtstrahl fällt in der Regel genau in die Augen der Gegner, die daraufhin sichtlich beeindruckt sind. Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß sich gesundheitliche Dauerschäden auf keinen Fall einstellen!«
»Wird das Minimädchen durchkommen?« erkundigte sich Rander bei Madford.
»In ein paar Wochen hat sie den Schuß überstanden«, antwortete Madford, »Landor hat erfreulicherweise nicht genau gezielt. Jill Mancini wird uns als Zeugin gegen ihn dienen. Und Stonewell und Hondal. Das Ölgeschäft ist auf jeden Fall aufgeflogen, soviel steht schon jetzt fest.«
»Womit der Fall erledigt wäre«, sagte Rander, »ich finde, daß wir darauf einen Drink nehmen sollten!«
»Ich darf auf die Herren Toland, Maple und Lealand verweisen, Stonewell, die man noch bergen müßte«, schaltete Parker sich ein, der die vorbereiteten Drinks servierte.
»Von wem sprechen Sie?« Madford fuhr herum und sah den Butler aufmerksam an.
»Von drei hungrigen Wölfen, Sir, die sich in dieser Stadt einnisten wollten.«
»Ich verstehe kein Wort, Parker.«
»Ich werde Ihnen gleich alles erklären«, sagte Rander auflachend, »manchmal wissen wir eben mehr als die Polizei, Madford, aber machen Sie sich nichts daraus!«
»Die besagten jungen Männer müßten aus einem Sattelschlepper befreit werden, der inzwischen kurz vor New York stehen könnte«, führte der Butler weiter aus. »Sie befinden sich im Besitz von Schußwaffen, worauf ich besonders aufmerksam machen möchte.«
Madford ließ sich Details sagen und sah Parker schließlich grimmig an.
»Was Sie da getan haben, ist ja auch nicht gerade lupenrein«, meinte er, »eines Tages wird man Ihnen was anhängen, Parker. Aber schön, ich drücke ein Auge zu! Ich werde meine Kollegen in New York verständigen. Solch einen Fang macht man schließlich nicht alle Tage!«
Als er hinüber zum Telefon gehen wollte, meldete es sich wie auf Bestellung.
»Für Sie, Parker«, sagte Madford, der abgehoben und sich gemeldet hatte.
»Butler Parker!« Parker hatte das Telefon übernommen und hörte interessiert zu.
»Ich bedanke mich, für Ihre Information«, sagte er dann, »ich darf Ihnen versichern, Mister Harry, daß es Mister Rander und meiner bescheidenen Wenigkeit inzwischen gelungen ist, Mister Norman Landor habhaft zu werden. Sie brauchen sich also nicht mehr weiter zu bemühen. Ich werde aber nicht versäumen vorzusprechen, falls sich neue Fragen ergeben sollten.«
Er legte auf und wandte sich Rander und Madford zu, die sich gerade zuprosteten. Rander, der natürlich mitgehört hatte, sah seinen Butler jetzt lächelnd an und wandte sich an Madford.
»Wetten«, sagte er zu Madford »daß diese neuen Fragen sich mit Sicherheit ergeben werden? Parker kann’s doch nicht lassen. Ohne einen Kriminalfall ist er nur ein halber Mann!«