Читать книгу Butler Parker Staffel 10 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 8

Оглавление

Der Mann war sich seines Wertes wohl bewußt.

Er war groß, schlank und trug einen fast knöchellangen Mantel aus Fuchs-Fellen. Auf seinem schmalen Kopf saß ein breitkrempiger Hut mit einem Band aus Leopardenfell. Der schwarze Koffer in seiner linken Hand schien kein Gewicht zu haben. Ein aufmerksamer Beobachter hätte festgestellt, daß dieser Koffer durch eine schmale, aber offensichtlich bruchsichere Kette mit dem Handgelenk des Trägers verbunden war.

Der Mann stieg aus dem Bus und blieb suchend stehen. Sein Gesicht, das an die Physiognomie eines Ras-sepferdes erinnerte, blieb unbeweglich. Kühle, graue Augen musterten die nähere Umgebung.

Der Neuankömmling befand sich in Kandersteg, dem bekannten Fremdenverkehrszentrum in der Zentral-schweiz. Er hatte sich, was den Fuchsfellmantel anbetraf, auf die winterliche Jahreszeit eingestellt. Schnee, wohin man sah. Der reizend gelegene Wintersportplatz in der Nähe des Lötschbergtunnels war förmlich überflutet von Wintersportlern in zünftigem Skidreß.

Überhaupt nicht zünftig wirkte ein mittelgroßer Mann, der einen pechschwarzen Covercoat trug. Auf sei-nem Kopf saß eine ebenfalls pechschwarze Melone. Befremdlich war ein schwarzer, altväterlich gebundener Regenschirm, der am linken Unterarm hing.

Dieser Mann, offensichtlich ein Butler, kam aus einem Sportartikelgeschäft und schritt gemessen auf einen nahen Parkplatz zu. Dabei passierte er das Pferdegesicht.

Sie fielen einander auf und sahen sich kühl an.

Doch da passierte dem Mann im schwarzen Covercoat ein kleines Mißgeschick, das eindeutig mit dem Winter zusammenhing. Er glitt nämlich auf dem gefrorenen Schnee aus und stolperte. Er fiel gegen den gro-ßen Mann im Fuchsfellmantel und klammerte sich hilfesuchend an ihn. Es kam dabei zu einer innigen Be-rührung.

»Ich bitte ungemein und vielmals um Entschuldigung«, sagte der Butler und lüftete seine schwarze Melo-ne, »ein bedauerliches Mißgeschick.«

»Schon gut«, reagierte der Mann mit dem Pferdegesicht. Seine Stimme klang kühl und abweisend.

»Die Standfestigkeit eines müden, alten und relativ verbrauchten Mannes läßt halt zu wünschen übrig«, redete der Butler weiter, doch sein Kontrahent im Fuchsfellmantel hörte schon gar nicht mehr zu. Er hatte gerade einen kleinen 2 CV entdeckt, aus dem sich ein junger, stämmiger Wintersportler herauswand, der ihm zuwinkte. Das Pferdegesicht ging langsam auf den Fahrer zu und hatte dann einige Schwierigkeiten, sich in den Wagen zu zwängen.

Der Butler sah dem davonfahrenden Gefährt interessiert nach und schritt dann gemessen hinüber zum Parkplatz. Nachdem er am Steuer Platz genommen hatte, sah er sich interessiert die braune Brieftasche an, die er aus den Falten seines Schirms hervorgeholt hatte.

*

»Sie machen einen verflixt selbstzufriedenen Eindruck«, sagte Anwalt Mike Rander, als Parker zu ihm in den großen Wohnraum des Chalets kam, um den Vormittagstee zu servieren. Während er sprach, sah er sei-nen Butler mißtrauisch an.

»Dieser Eindruck, Sir, basiert auf dieser wunderschönen Umgebung«, redete der Butler sich heraus. Was die Umgebung des Chalets betraf, so hatte er ganz sicher nicht übertrieben. Das flachgedeckte Holzhaus lag auf einem parkähnlich gepflegten Hang, abseits vom Massentourismus. Die wenigen steilen Straßen luden den normalen Verkehr nicht ein, hierher Abstecher zu machen.

Das von Rander gemietete Chalet gehörte zu einer Gruppe ähnlich aussehender Ferienhäuser und lehnte sich hangwärts an einen ausgedehnten Wald an. Vom Balkon des Chalets aus sah man hinunter auf Kander-steg.

»Nun rücken Sie schon mit der Sprache heraus«, forderte Rander seinen Butler auf. »Was ist passiert? Diese wunderschöne Umgebung kennen Sie ja immerhin seit einer Woche.«

»Falls ich nicht das Opfer einer Verwechslung wurde, Sir, begegnete ich einem gewissen Ralph Madson.«

»Kennen wir einen Ralph Madson?« Rander wandte sich zu seiner Sekretärin um, die bisher schweigend, aber schmunzelnd zugehört hatte. Vivi Carlson, schon seit geraumer Zeit für Rander tätig, hob bedauernd die Schultern.

»Mister Ralph Madson, Sir, ist eine Art Spezialkurier in Sachen Mord.«

»Wie bitte?« Rander setzte schleunigst seine Teetasse ab.

»Ein Spezialist in Sachen Mord, um noch deutlicher zu werden.«

»Woher wollen Sie denn das wissen, Parker?«

»Ich hatte das sehr gefährliche und zweifelhafte Vergnügen, Sir, Mister Ralph Madsons Weg in Los An-geles zu kreuzen. Darf ich Sie an den Fall Capucci erinnern?«

Mike Rander nickte nachdenklich. Der Name Capucci sagte ihm sehr viel. Es hatte sich damals um einen Fernsehredakteur gehandelt, der über die örtliche Cosa nostra hatte berichten wollen. Bevor er sein Material hatte veröffentlichen können, war er von einem unbekannten Mörder erschossen worden. Daraufhin war das Material in irgendwelchen Tresoren verschwunden. Man hatte es nicht mehr gewagt, damit an die Öffent-lichkeit zu treten.

»Sie sind sicher, daß der Mörder damals dieser Madson war?« fragte Rander.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Letzte Beweise vermag ich allerdings nicht vorzu-legen.«

»Fragen wir uns also, was dieser Madson hier in Kandersteg will.«

»Dies, Sir, beschäftigt meine Wenigkeit. Und ich glaube, bereits mit einem ersten Hinweis dienen zu kön-nen.«

»Ach nee.« Rander sah seinen Butler verdutzt an.

»Ich möchte auf diese Brieftasche verweisen, Sir, die Mister Madson offensichtlich verlor.« Parker prä-sentierte seinem jungen Herrn das bewußte Corpus delicti.

»Der Mann soll seine Brieftasche verloren haben?« Rander glaubte seinem Butler kein Wort. Vivi Carlson verbiß sich ein Schmunzeln und sah gespielt interessiert zum Fenster hinaus.

»Ich werde sie Mister Madson selbstverständlich zurückerstatten«, erklärte Josuah Parker gemessen, »es liegt mir ausgesprochen fern, mich an fremdem Eigentum zu bereichern.«

»Wie ich Sie kenne, haben Sie die Brieftasche natürlich kontrolliert«, schickte Rander voraus. »Was haben Sie entdeckt, Parker?«

»Neben Bargeld, Reiseschecks und diversen Fahrkarten, Sir, ein Gruppenfoto, das einer Schweizer Zei-tung entstammt.« Parker klappte die Brieftasche auseinander und reichte seinem jungen Herrn das gerade erwähnte Zeitungsbild.

»Nun ja!« Rander sah sich die Gesichter der abgebildeten Männer an, »nicht sehr ergiebig, was?«

»Nur auf den ersten Blick, Sir«, widersprach Josuah Parker, »es handelt sich um sieben Herren, die sich offensichtlich dem Sport des Skeleton verschrieben haben dürften, wie die kleinen Schlitten ausweisen.«

»Gibt es hier in Kandersteg solch eine Bahn?«

»In der Tat, Sir! Sie gehört einem privaten und exklusiven Club.«

»Konnten Sie schon herausfinden, wer diese sieben Männer sind?«

»Ich werde sofort und umgehend die notwendigen Recherchen führen, Sir.«

»Sie nehmen an, Mister Parker, daß dieser Berufsmörder einen der sieben Männer umbringen will?« er-kundigte sich Vivi Carlson interessiert. Sie hatte noch nie etwas dagegen gehabt, in ein Abenteuer verwickelt zu werden.

»Ich möchte von dieser Arbeitshypothese ausgehen«, erwiderte Josuah Parker würdevoll, »es ist selbstver-ständliche Menschenpflicht, wenn ich es so sagen darf, einen Mord zu verhindern.«

»Unseren nächsten Urlaub werden wir am Südpol verbringen«, sagte Mike Rander aufseufzend und ver-drehte ergeben die Augen. »Nach menschlichem Ermessen dürfte Parker dort kaum über einen neuen Fall stolpern.«

»Sind Sie da so sicher, Mister Rander?« fragte Vivi Carlson lächelnd.

*

Ralph Madson ließ sich von dem jungen Mann, der den 2 CV gesteuert hatte, huldvoll aus dem Fuchs-fellmantel helfen. Er öffnete die Sicherheitskette, die sein Handgelenk mit dem Koffer verband, und baute sich dann schweigend am Fenster seines kleinen Ferienhauses auf.

»Sie können gehen, Paul«, sagte er zu dem jungen Mann, ohne sich dabei umzudrehen. »Wir reden später miteinander.«

Paul zuckte die Achseln und verließ den mit buntbemalten Bauernmöbeln ausgestatteten Wohnraum. Er hatte das Gefühl, daß sein Chef schlechter Laune war.

Was übrigens den Tatsachen entsprach.

Ralph Madson dachte darüber nach, wann und wo er diesen Mann, der wie ein Butler aussah, schon mal gesehen hatte. Er wußte, daß ihre Wege sich gekreuzt hatten, aber er konnte nicht sagen, wann das gewesen war.

Madson war so etwas wie ein Killmaster, wie es in seiner Branche hieß.

Er war selbständiger Unternehmer und erledigte von Fall zu Fall besondere Aufträge, die er sich gut be-zahlen ließ. Madson war für seine Diskretion bekannt. Und für seine Erfolgsquoten. Aufträge, die er bisher übernommen hatte, waren immer zur vollen Zufriedenheit seiner Kunden ausgeführt worden. Ohne irgend-welche Spuren zu hinterlassen. Worauf Madson besonders stolz war.

Da sein Unternehmen sich in letzter Zeit ausgeweitet hatte, war es zum Engagement einiger Mitarbeiter gekommen. Diese Mitarbeiter hatte er sich sorgfältig ausgesucht und dabei einen ganz besonderen Trick an-gewendet.

Sie kannten sich untereinander nicht. Madson rief sie ab und setzte sie ein, wie er sie brauchte, aber er sorgte dafür, daß sie nichts voneinander wußten.

Dadurch spornte er sie stets zu Höchstleistungen an. Jeder von ihnen hatte im Grunde Angst, bei Versagen mattgesetzt zu werden. Und wie dieses Mattsetzen aussah, wußten sie nur zu gut. Ihr Chef war schließlich ein Berufskiller.

Madson war nicht nach Kandersteg gekommen, um Winterurlaub zu machen. Er hatte drüben in den Staaten einen Auftrag übernommen, der hier in der Schweiz ausgeführt werden sollte. So diskret wie mög-lich. Madson hatte sich für einen hieb- und stichfesten tödlichen Unfall entschieden. Ein Winterkurort bot da viele Möglichkeiten.

Sein Faktotum war Paul Storn, ein junger Mann, der für ihn als eine Art Sekretär arbeitete. Storn nahm ihm alle Belästigungen wie Flug- und Hotelbuchungen ab. Storn hatte dafür zu sorgen, daß Madson nie in Erscheinung trat. In diesem Fall war es auch Paul Storn gewesen, der die Reise vorbereitet und das Ferien-haus gemietet hatte.

Ralph Madson wandte sich vom Fenster ab und wollte sich noch mal das Gruppenbild ansehen, das seine Arbeitsgrundlage darstellte. Er griff nach seiner Brieftasche und ins Leere.

Blut schoß in sein Gesicht.

Madson suchte schneller und verzweifelt, aber er wußte bereits, daß er die Brieftasche verloren haben mußte. Als seine Gedanken diesen Punkt erreicht hatten, dachte er unwillkürlich an den Butler, der seinen Weg gekreuzt hatte. Der Mann war ausgerutscht und gestolpert, hatte sich gerade noch an ihm festhalten können.

Es mußte sich um den klassischen Trick eines Taschendiebes gehandelt haben! Und er, Ralph Madson, war darauf hereingefallen.

Seine Stimme klang gereizt, als er nach Paul Storn rief.

*

Es dauerte etwa anderthalb Stunden, bis der 2 CV auf der steilen Straße erschien.

Parker erkannte den kleinen Wagen sofort und gratulierte sich insgeheim dazu, daß er die Gegenreaktion richtig eingeschätzt hatte. Man suchte nach der Brieftasche – und damit prompt nach ihm. Auch Madson schien sich nach dem zufälligen Treffen umgedreht zu haben. Ihm konnte nicht entgangen sein, welch un-gewöhnlichen Wagen der Butler fuhr.

Dieser Wagen – Parkers hochbeiniges Monstrum – stand einladend vor der Garage, die zum Chalet gehör-te. Man konnte ihn einfach nicht übersehen. Das tiefe Schwarz hob sich gegen den hohen, weißen Schnee vorteilhaft ab.

Der junge Mann am Steuer des 2 CV trat unwillkürlich auf die Bremse, als er das ehemalige Londoner Ta-xi sah, dann rollte er langsam weiter und verschwand in einer Seitenstraße der kleinen Hangsiedlung.

Josuah Parker zog sich gemessen den bereitliegenden Covercoat an, setzte sich die schwarze Melone auf und griff nach seinem Universal-Regenschirm, dessen bleigefütterten Bambusgriff er sich korrekt über den linken Unterarm hängte.

In feierlicher Pose verließ Parker dann das Chalet. Als höflicher Mensch wollte er dem jungen Mann Zeit und Gelegenheit geben, sich im Haus etwas näher umzusehen. Daß Parker selbstverständlich gewisse Vor-bereitungen getroffen hatte, verstand sich am Rande. Er überließ nur ungern etwas dem Zufall.

Ohne sich umzuwenden, schritt Parker die steile, schmale Straße hinab und begab sich in Richtung Kan-dersteg. Er war froh, daß Mike Rander und Vivi Carlson sich auf irgendeinem Skihang tummelten und nicht weiter stören konnten.

*

Paul Storn, der wie ein netter, großer Junge aussah, dem man den Berufsmörder nun wirklich nicht zu-traute, stand an der Straßenecke und wartete, bis Parker hinter den Chalets verschwunden war. Dann machte er sich auf den Weg, um das Haus zu betrachten.

Die Tür war für ihn überhaupt keine Schwierigkeit. Er knackte das Schloß innerhalb einer Minute. Dann betrat er das Haus mit einer Selbstverständlichkeit, als habe er es gemietet.

Er hatte genaue Instruktionen von Madson bekommen.

Ein Butler wohnte seiner Schätzung nach im Obergeschoß, wie es sich für Dienstboten gehörte. Er stieg also die Treppe hinauf und fand auf Anhieb Parkers Zimmer.

Paul Storn machte sich an die Arbeit, die Habseligkeiten des Butlers zu durchsuchen. Er entdeckte die Brieftasche unter dem Kopfteil der Matratze. Das Geld und die Schecks waren herausgenommen worden, doch das Foto war noch vorhanden.

Paul Storn arbeitete schnell und konzentriert. Madson sollte mit ihm zufrieden sein.

Interessiert studierte er für einen Moment eine runde Blechdose, die an einen Tabakbehälter erinnerte. Es fehlte jede Aufschrift, und sie ließ sich auch nicht aufschrauben. Ein kleines Schloß an der Unterseite, von dem nur das Schlüsselloch zu sehen war, schien den Deckel festzuhalten.

Paul Storn steckte die Dose selbstverständlich ein. Sie schien wichtige Dinge zu enthalten. Anschließend ließ der heimliche Besucher noch eine Pistole verschwinden, die ganz offensichtlich aus Plastik bestand.

Da er diese Pistole am Fußende der Matratze entdeckt hatte, mußte sie wichtig sein. Er wog sie in der Hand und steckte sie in die Rocktasche. Sein letztes Beutestück war ein flacher Schlüssel, der zu einem Safe oder Schließfach gehörte. Als Storn ihn sich näher ansah, fand er seine Vermutung bestätigt. Auf der Rück-seite des Schlüssels entdeckte er eine Einprägung, die auf die Post von Kandersteg verwies.

Da Paul Storn diesen Schlüssel auf dem Boden einer leeren Blumenvase entdeckt hatte, bedeutete er si-cher den Zugang zu wichtigen Dingen.

Leichten Fußes verließ der Dieb das Zimmer des Butlers und betrat die Treppe, die hinunter in den Vor-raum der Wohnhalle führte. Nach der dritten Stufe fühlte er sich wider Willen frei wie ein Vogel. Er erhob sich von der Treppe und segelte wie ein Fluggleiter durch die Luft, die weiteren Treppenstufen mißachtend. Nachdem er eine etwas verunglückte Rolle absolviert hatte, landete er krachend auf dem Rücken und blieb einen Moment lang leicht benommen liegen.

Dann rappelte er sich auf, warf einen mißtrauischen Blick auf die Treppe und humpelte nach draußen. Dabei fragte er sich, warum ihm beim Besteigen der Treppe nicht aufgefallen war, wie glatt gebohnert sie war. Nun, er konnte nicht wissen, daß ein gewisser Josuah Parker seine Hand im Spiel gehabt hatte.

*

Josuah Parkers Gesicht blieb unbewegt, als der heimliche Besucher zu seinem 2 CV humpelte. Er hatte diesen Konditionsmangel natürlich erwartet, hatte er doch heimlich die Treppe mit einem Supergleitmittel eingesprüht.

Parker war sehr leise zurück ins Chalet gekommen und hatte die Stufen präpariert. Seiner bescheidenen Ansicht nach durfte man es seinen Gegnern nicht zu leicht machen, sonst wurden sie übermütig.

Parker dachte nicht im Traum daran, den 2 CV zu verfolgen. Da er eine einheimische Nummer trug, han-delte es sich mit Sicherheit um einen Leihwagen. Den Mieter eines solchen Gefährts konnte man zu jeder Zeit leicht feststellen.

Parker sah also dem davonfahrenden Wagen nach und begab sich dann zurück ins Chalet. Er war sicher, daß seine Überraschungen wirken würden. Nachdem er sein Zimmer kontrolliert hatte, nachdem er sah, daß der Besucher genau jene Dinge mitgenommen hatte, die er vorsorglich angeboten und bereitgelegt hatte, gönnte er sich unten in der Wohnhalle eine seiner berüchtigten schwarzen Zigarren. Er glaubte sicher zu sein, daß die Dinge einen durchaus erfreulichen Verlauf nahmen.

*

»Der Bursche hat Dreck am Stecken, Chef«, meldete Paul Storn, »wahrscheinlich irgendein kleiner Gau-ner, der unter dem Deckmantel eines Butlers arbeitet.«

»Was haben Sie gefunden, Paul?«

Der Berufskiller wandte sich seinem Faktotum zu. Storn zeigte zuerst die Brieftasche, nach der Ralph Madson etwas zu hastig griff. Er öffnete sie, blätterte den Inhalt durch, sah sich das Foto an und wollte die Brieftasche schon wieder schließen, als er sichtlich stutzte.

»Moment mal«, sagte er dann nervös, »da stimmt doch was nicht.«

»Aber das ist doch Ihre Brieftasche, oder?«

»Das Zeitungsfoto!« Ralph Madson sah es sich jetzt genau an und preßte dabei die Lippen zusammen. »Das ist nicht das Foto, das in der Brieftasche war!«

»Wieso?« Paul Storn verstand nicht.

»Schon gut«, murmelte Madson gereizt. Er war sich seiner Sache sicher. Auf dem Foto, das er mitgebracht hatte, waren sieben Männer in sportlichem Winterdreß zu sehen gewesen, auf diesem Zeitungsfoto aber be-fanden sich sieben Männer in würdevoller Manageraufmachung: Dunkle Anzüge, diskrete Krawatten und Aktenköfferchen.

Zudem befanden diese sieben Männer sich in einem Konferenzsaal, durch dessen Fenster man allerdings auf eine winterliche Landschaft blickte.

»Glauben Sie, daß das Foto ausgetauscht worden ist?« fragte Paul Storn überflüssigerweise.

»Natürlich«, fauchte Madson wütend, »und das hat etwas zu bedeuten.«

»Will der Bursche Sie an der Nase herumführen, Chef?«

»Das wird er uns bald sagen müssen«, gab Madson leise, aber drohend zurück. »Mit mir kann man so was nicht machen. Was haben Sie sonst noch mitgebracht?«

»Hier. Ein Schließfachschlüssel.«

»Sehr gut. Wo gefunden?«

»Auf dem Boden einer Vase. Scheint sich um was Wichtiges zu handeln.«

»Fahren Sie nachher los und öffnen Sie das Fach!«

»Okay, Chef. Und dann noch etwas.«

»Eine Wasserpistole. Sie lag unter seiner Matratze.«

»Eine Wasserpistole?« Ralph Madson schüttelte ratlos den Kopf. Als Vollprofi seiner Branche hatte er schon überraschende Dinge erlebt, aber mit einer unter einer Matratze versteckten Wasserpistole war er noch nie konfrontiert worden.

»Sieht völlig harmlos aus«, stellte Paul Storn fest, »wollen Sie mal sehen, Chef?«

Ralph Madson wollte und ließ sich die Plastikpistole reichen. Er wog sie zuerst prüfend in der Hand, sah sie sich mißtrauisch von allen Seiten an und richtete sie dann auf sein Faktotum.

»Vorsicht, Chef!« Paul Storn duckte sich unwillkürlich und sprang zur Seite.

»Angst, wie?« Ralph Madson grinste kalt. Dann ließ er die Mündung hinüber zum Fenster wandern und hob die Schußwaffe aus Plastik noch etwas höher an, bis sie seine Augenhöhe erreicht hatte. Er visierte die Scheibe an und drückte ab.

Was er allerdings besser nicht getan hätte!

Die Wasserpistole war nämlich geladen. Sie versprühte prompt ihre Flüssigkeit, aber zu Madsons Pech in die falsche Richtung. Es handelte sich nämlich um eine Ulkpistole, wie man sie in einschlägigen Fachge-schäften erstehen kann.

Die Spritzdüse befand sich auf der entgegengesetzten Seite, in Höhe des nachgebildeten Schlosses.

Ralph Madson zuckte wie unter einem Elektroschock zusammen, als die Flüssigkeit in sein Gesicht sprüh-te. Er warf die Wasserpistole mit einem Fluch zu Boden und sah das Feixen seines Faktotums.

»Rote Farbe!« sagte Storn kichernd.

Er sah es um Bruchteile von Sekunden zu spät, denn Ralph Madsons Hand wischte bereits durchs Gesicht. Die rote Farbe aus der Wasserpistole verbreitete sich und färbte das Gesicht des Killers blutrot.

»Hören Sie bloß mit der dämlichen Lache auf«, schrie Madson sein Faktotum an. »Dafür wird mir dieser Butler noch bezahlen!«

»Ich hole schnell ein Handtuch«, sagte Storn und wischte aus dem Zimmer. Als er die Tür hinter sich ge-schlossen hatte, konnte er sich nicht mehr länger halten. Er krümmte sich vor Lachen und tupfte sich an-schließend dicke Tränen aus den Augenwinkeln. So blamiert hatte er seinen gefürchteten Chef noch nie ge-sehen.

»Machen Sie die Blechdose auf«, herrschte Ralph Madson sein Faktotum an. Storn war mit einem Hand-tuch zurückgekehrt. Während er zögernd nach der Tabakdose griff, zog Madson sich sicherheitshalber zu-rück. Dabei wischte er sich verzweifelt das knallrot gefärbte Gesicht ab. Was wenig nutzte, wie sich später zeigte. Der Farbstoff erwies sich als ausgesprochen klebfest und hartnäckig.

»Worauf warten Sie noch, Paul?« Madsons Stimme klang ungeduldig. Storn hatte ein ungutes Gefühl, als er sich mit dem eingelassenen kleinen Schlüsselloch befaßte. Er hielt eine zurechtgebogene Heftklammer in der rechten Hand und fingerte damit im Schloß herum.

»Na bitte«, murmelte er selbstzufrieden, als die Heftklammer faßte und das Schloß sich öffnen ließ. Dann löste er vorsichtig den Deckel.

»Vielleicht ist da ’ne Sprengladung drin«, sagte er und sah nervös zu Madson hinüber.

»Unsinn! Machen Sie schon, Paul!«

Storn holte tief Luft und zog den Deckel ab.

*

»Alles in – Ordnung?« erkundigte sich Mike Rander, als Parker ihm und Vivi Carlson die Tür öffnete.

»Gewiß, Sir«, meldete der Butler. »Wie zu erwarten war, hat die Gegenseite sich bereits gemeldet.«

»Sie hatten also tatsächlich Besuch?«

»Ein junger Mann, der seine Neugier nicht zu zügeln vermochte, Sir.«

»Dann dürfte der Ärger ja seinen Anfang nehmen.« Mike Rander und Vivi Carlson ließen sich aus ihren wattierten Skijacken helfen und griffen dankbar nach den heißen Drinks, die der Butler anschließend ser-vierte.

»Ich hoffe sehr, Sir, daß Mister Madson sich ausschließlich auf meine bescheidene Person konzentrieren wird.«

»Wie ich Sie kenne, haben Sie dafür bereits gesorgt, oder?«

»Ich wünsche, Sir, daß meine bescheidenen Bemühungen honoriert werden.«

»Und welche Rolle denken Sie diesmal zu spielen, Parker?«

»Den diebischen Butler, wenn ich es so ausdrücken darf, Sir. Ich hoffe, daß Mister Madson sich für meine Wenigkeit interessieren wird.«

»Was haben Sie denn eingefädelt?« wollte Vivi Carlson wissen. Sie ahnte, daß Josuah Parker in seine Trickkiste gegriffen hatte. Ihr Lächeln ging in ein Prusten über, als Parker zuerst von dem ausgetauschten Foto, dann von der Wasserpistole und schließlich von der Tabaksdose berichtete.

»Sie glauben, daß es mit der Wasserpistole geklappt hat?« wollte sie schließlich wissen.

»Ich rechne mit der Neugier meiner Mitmenschen«, entgegnete der Butler würdevoll. »Mister Madson wird die Pistole gerade deswegen ausprobiert haben, weil sie aus Plastik besteht und unter meiner Matratze gefunden wurde.«

»Dann dürfte er inzwischen rot eingefärbt sein, wie?« Auch Mike Rander grinste wie ein großer Schul-junge.

»Mit Sicherheit«, gab der Butler zurück. In seinem Gesicht führte sich kein Muskel.

»Und was ist in der Tabaksdose?« fragte Vivi.

»Der junge Dieb und Mister Madson müßten inzwischen von einer leichten Unpäßlichkeit befallen sein«, behauptete Josuah Parker, der es schließlich wissen mußte.

*

Und wie genau er es wußte!

Ralph Madson hing im weit geöffneten Fenster und hustete sich die Seelen aus dem Leib. Dicke Tränen rännen aus seinen Augen. Dazu kam ein Niesreiz, der sich gewaschen hatte. Hustend und weinend verzwei-felte er momentan am Leben.

Sein Faktotum Storn lag auf dem Teppich und beteiligte sich von hier aus an den Geräuschen. Er war et-was fleißiger, was das Niesen anbetraf. Die Reihenfolge dieser Produktion zeichnete sich durch sehr kurze Intervalle aus.

Er weinte wie Madson und benetzte den Teppich empfindlich. Wie durch einen Wasserschleier sah er etwa dreißig Zentimeter vor sich auf dem Teppich die Tabaksdose, die er leichtsinnigerweise geöffnet hatte.

Sie war der Grund für das Heulen und Zähneklappern der beiden Männer.

Nach dem Öffnen des Behälters war eine bis dahin vom Deckel zusammengepreßte Feder frei geworden, die ihrerseits ein kreisrund geschnittenes Stück Karton hatte hochschnellen lassen. Das auf diesem Karton liegende Nies- und Reizpulver war auf solche Art ausgiebig verstreut worden.

Die Leidtragenden waren die beiden Gangster.

Madson, der wie ein nasser Waschlappen über dem Fensterbrett hing, rutschte bei erneutem Niesen ab und fiel rücklings nach hinten auf den durchnäßten Teppich, der sich unter der Einwirkung von Storns Tränen-fluß immer mehr aufweichte.

Paul Storn robbte derweil mit letzter Kraft in den rettenden Korridor, zog sich an der Wand hoch und öffnete die Haustür. Taumelnd, die Hände tastend vorgestreckt, erreichte er das Freie. Er ließ sich ohne Rücksicht auf eine mögliche Erkältung in den Schnee fallen und vergrub sein Gesicht.

*

Josuah Parker brauchte nicht lange zu suchen.

Er befand sich im Leseraum der Kurverwaltung und blätterte die Sammelbände Schweizer Zeitungen durch. Er suchte das Blatt, in dem das bewußte Foto veröffentlicht worden war. Ihm ging es um die Unter-schrift zu diesem Foto, die auf dem in der Brieftasche von Madson befindlichen Bild abgeschnitten war.

In einer international bekannten Schweizer Zeitung wurde er fündig. Er entdeckte ein Duplikat des Bildes samt der dazugehörigen Unterschrift. Parker notierte sich die Namen und verließ den Leseraum. Er wußte jetzt, wo und wie er den Hebel anzusetzen hatte. Zumindest einer der sieben Männer auf dem Zeitungsbild war möglicherweise das geplante Opfer des Killmasters. Nun mußte er herausfinden, ob alle sieben Männer sich noch in Kandersteg aufhielten. Parker rechnete allerdings mit dieser Möglichkeit. Das Foto war in einer Zeitung veröffentlicht worden, die erst vor acht Tagen gedruckt worden war.

Aus der Bildunterschrift war ebenfalls hervorgegangen, um welchen Sportclub es sich handelte, doch Jo-suah Parker verzichtete darauf, sofort seine speziellen Erhebungen anzustellen. Es galt, noch andere Dinge zu tun. Es war sein erklärtes Ziel, Ralph Madson erst mal abzulenken, zu beschäftigen und in Atem zu halten. Wenn Madson einen Mord plante, woran Parker nicht einen Moment lang zweifelte, mußte er nachdrücklich daran gehindert werden. Was dies anbetraf, so hatte der Butler bereits festumrissene Vorstellungen, wie sich so etwas bewerkstelligen ließ.

Zuerst besorgte er sich von einem Angestellten der Kurverwaltung eine ganz bestimmte Adresse, die sich auf die Folklore der Schweizer Bergwelt bezog. Dann, auf dem Rückweg zu seinem jungen Herrn, hielt er vor einem Delikatessengeschäft und interessierte sich für gewisse Spezialitäten der heimischen Molkereiin-dustrie. Er wußte sehr genau, was er wollte.

Er schlug einen kleinen Umweg ein und erkundigte sich bei einem Autoverleih nach der Nummer des 2 CV. Der Angestellte dieses Verleihs konnte ihm zwar nicht mit einer echten Auskunft dienen, schickte den Butler jedoch zu einem anderen Autoverleih.

Es dauerte knapp vier Minuten, bis Parker die gewünschte Auskunft erhielt: Der 2 CV der beiden Gangs-ter war hier entliehen worden, die Adresse der Kunden bekannt. Und jetzt auch Parker.

*

Ralph Madson und sein Faktotum Paul Storn stiegen vor der Hauptpost aus dem 2 CV und rückten sich ihre Sonnenbrillen zurecht. Die dunklen Gläser sollten die geröteten Augen der beiden Männer verdecken. Sie trugen Skidreß und sahen wie Wintersportler aus.

»Machen Sie schon, Paul«, sagte Madson, als sie vor der Wand der Schließfächer standen.

»Wollen Sie nicht mitkommen, Chef?« erkundigte sich Storn unsicher.

»Ich gebe Ihnen Rückendeckung«, behauptete Madson und baute sich hinter einer Säule auf. Der Master-killer litt noch deutlich unter dem Nies- und Reizpulver. Zudem war er mißtrauisch. Er wollte nicht noch mal hereingelegt werden.

Paul Storn schluckte eine bittere Bemerkung über seinen Chef hinunter und näherte sich vorsichtig den Schließfächern. Er fand die Nummer, die der auf dem flachen Schlüssel entsprach. Er wandte sich fast hil-fesuchend nach Madson um, als er den Schlüssel ins Schloß steckte, doch Madson war hinter der Säule nicht zu sehen. Er schien sein Versprechen hinsichtlich der Rückendeckung ernst zu nehmen.

Paul Storn hielt unwillkürlich den Atem an, als er die schmale Tür des Schließfaches millimeterweise auf-zog.

Ein Umschlag!

Zögernd griff Storn nach ihm und wog ihn vorsichtig in der Hand. Ihm war bekannt, daß solche Um-schläge tödlich sein konnten. Sie enthielten nämlich hin und wieder Plastiksprengstoffe. Er selbst, Storn, hatte solche Briefe schon hergestellt.

Dieser Brief aber mußte harmlos sein, denn er war zu flach. Paul Storn schloß das Fach und ging zurück zu Madson, den er hinter der Säule vermutete.

Doch Madson war nicht zu sehen.

Ein Blick durch das Fenster der Hauptpost sagte Storn mehr als genug. Sein Chef, ein Vorbild an Kälte und Selbstsicherheit, hatte sich nach draußen begeben und stand wartend neben dem kleinen 2 CV.

Feiger Hund, dachte Storn, als er nach draußen ging. Er hütete sich allerdings, diese Bemerkung in Mad-sons Gegenwart noch mal zu wiederholen, sondern wedelte mit dem Brief.

»Sind Sie verrückt?« herrschte Madson sein Faktotum an. »Das Ding kann geladen sein!«

»Das hier nicht«, sagte Storn und beeilte sich, den Umschlag knapp vor Madsons Nase aufzuschlitzen. Das war seine Form der Rache. Madson wich auch prompt zurück und kniff die Augen zusammen.

»Nur ’ne Adresse«, meldete Storn und reichte seinem Chef einen Zettel, auf dem eine handschriftliche Notiz stand, die von Parker stammte.

»Bern«, las Madson halblaut vor, »Schänzlistraße 71.«

»Das hat was zu bedeuten«, prophezeite Storn.

»Natürlich«, erwiderte Madson, »sonst hätte er die Adresse ja nicht im Schließfach versteckt.«

»Fahren wir nach Bern, Chef?«

»Ziemlich weit«, gab Madson zögernd zurück.

»Ich könnte ja allein …?«

»Ich werde mitkommen«, erklärte Madson, »man kann nie wissen, Paul. Aber besorgen Sie bloß einen an-deren Wagen!«

»Was könnte sich hinter der Adresse verbergen?« wollte Storn wissen. »Haben Sie ’ne Ahnung, Chef?«

»In ein paar Stunden werden wir das genau wissen. Und dann dürfte auch feststehen, wer dieser Kerl ist. Bevor wir das nicht wissen, treten wir kurz. Wir dürfen keinen Fehler machen.«

Sie setzten sich in den 2 CV und tauschten ihn im Autoverleih gegen einen stärkeren und größeren Wagen um. Sie entschieden sich für einen Citroën, um dann sofort in Richtung Bern aufzubrechen.

Sie taten damit genau das, was Parker erreichen wollte. Sie ließen ihre Unterkunft unbewacht zurück, ge-trieben von der Neugier, ihm auf die Schliche zu kommen. Sie wurden beschäftigt und von ihrem wahr-scheinlich geplanten Mord abgehalten. Vorerst wenigstens.

*

Es war etwa sechzehn Uhr, als Parker und Mike Rander vor dem Clubhaus eintrafen.

Als ungemein hilfreich und wertvoll erwies sich, daß Mike Randers Freundeskreis sehr groß war. Schon in der Halle wurde der junge Anwalt von einem Bekannten aus London abgefangen und zu einem Drink ein-geladen.

»Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mir ein wenig die Füße vertreten«, entschuldigte sich Parker.

»Aber keine Extratouren«, sagte Rander leicht verschreckt, »ich möchte hier wieder vorbeikommen dür-fen.«

»Könnten Sie sich möglicherweise bei dieser Gelegenheit nach den Herren erkundigen, die auf dem Foto zu sehen sind?« bat Parker leise.

»Mal sehen, ob wir überhaupt auf dem richtigen Dampfer sind.« Rander nickte und schloß sich seinem Bekannten an. Parker schritt durch die große Empfangshalle des Clubs und betrat die Terrasse.

Der Blick auf die Bergwelt war von hier aus besonders schön. Man hatte für das Clubhaus genau den rich-tigen Platz ausgesucht. Parker lustwandelte hinüber zu der eigentlichen Sportanlage, einem steil nach unten abfallenden Eiskanal, der an eine aufgeschnittene Röhre erinnerte.

Skeletonsportler stürzten sich auf ihren Mini-Rodelschlitten bäuchlings in diese Röhre hinein und ver-schwanden in rasender Fahrt nach unten. Parker war ehrlich beeindruckt.

Er sah sich die Sportler genauer an.

Sie alle schienen über reichlich Geld zu verfügen. Es handelte sich schließlich um einen Privatclub, den Mitglieder der High-Society und des Jet-sets gegründet hatten. Sportliche Wettkämpfe trugen sie nur unter-einander aus.

Neben der Skeleton-Bahn gab es eine große Curlingbahn, die ebenfalls gut besucht war.

Die älteren Clubsemester brachten schwungvoll ihre Eisstöcke auf die Bahn, Teamfreunde sorgten durch eifriges Kehren mit Besen dafür, daß die Fläche vor diesen gleitenden Eisstöcken spiegelblank blieb.

Auf dieser Curlingbahn entdeckte Parker einen der Männer, die auf dem Gruppenbild abgelichtet worden waren. Es handelte sich um Gerard Delair, der etwa fünfundvierzig Jahre alt war.

Delair war mittelgroß, hatte einen leichten Bauchansatz und ein rundes, gerötetes Gesicht. Er unterhielt sich gerade mit den Herren Mannister und Latour, wie Parker bemerkte. Auch diese beiden Männer waren auf dem Foto zu sehen gewesen.

Welchem Beruf die drei Männer nachgingen, wußte Parker nicht zu sagen, hoffte aber, daß sein junger Herr mit weiteren Informationen dienen würde.

Die drei Männer waren gefährdet. Unter anderem.

Sie waren auf dem Foto vertreten gewesen, das Killmaster Madson in der Brieftasche gehabt hatte. Man-nister und Latour mochten etwa vierzig Jahre alt sein.

Parker schlenderte zurück zur Eisröhre und durfte sich insgeheim dazu gratulieren, daß ihm weitere Män-ner förmlich in die Arme liefen, die er auf dem Foto entdeckt hatte.

Hierbei handelte es sich um die Herren Baxter, Natway und Morgan. Sie waren alle etwa um die dreißig Jahre alt und schienen sich dem Skeleton verschrieben zu haben. Sie trugen sehr niedrige, flache und kurze Rodelschlitten unter dem Arm und gingen auf das Gerätehaus zu.

Blieb noch eine, die siebte Person.

Parker durchwanderte die diversen Clubräume. Dabei kam ihm zustatten, daß man ihn überall als Butler akzeptierte. Ein Butler paßte einfach zu dieser sozialen Schicht. Man kümmerte sich nicht weiter um ihn.

Zu Parkers Leidwesen war die siebte Person, Niki Caropoulos, nicht auszumachen. Was aber nicht weiter schlimm war, denn mit dem Bisherigen durfte Parker bereits zufrieden sein.

Der Butler dachte an Madson.

Daß dieser Killmaster nach Kandersteg gekommen war, um seinen Beruf auszuüben, stand für ihn fest. Und die vielen Wintersportarten boten einem Profi Möglichkeiten genug, einen harmlos erscheinenden Un-fall zu inszenieren, der sicher mit dem Tod enden würde. Wen mochte Madson im Visier haben?

Parker fragte sich, ob es nicht besser sei, den Mann auszuschalten, bevor er überhaupt tätig werden konnte. Auch er, Parker, war schließlich nicht ohne Phantasie und konnte, was Madson anbetraf, einen kleinen Un-fall provozieren.

Doch was war damit gewonnen? Madson wurde dann mit Sicherheit gegen einen anderen Spezialisten ausgetauscht, den er, Parker, nicht kannte. Das Risiko erhöhte sich nur für das noch unbekannte Opfer.

Nein, Parker war und blieb entschlossen, Madson auf den Fersen zu bleiben. Madson selbst mußte ihm zeigen, wer das Opfer war, dann sah man weiter. Außerdem stellte der Killmaster zur Zeit keine Gefahr dar. Er mußte sich bereits in Bern befinden und nach einer bestimmten Adresse suchen.

*

»Was haben Sie bisher eigentlich gelernt?« fragte Madson kühl, als sein Faktotum sich bei einem Passan-ten nach der Schänzlistraße erkundigen wollte. »Warum streuen Sie nicht gleich Papierschnitzel aus, damit man unsere Spur nur ja nicht verliert?«

»Entschuldigung, Chef«, räumte Paul Storn sofort ein, »aber ich kann’s kaum erwarten, bis wir die Ad-resse erreicht haben. Dahinter muß sich was ganz Tolles verbergen.«

»Kaufen Sie in irgendeinem Andenkenladen eine Stadtkarte«, ordnete Ralph Madson an. Er blieb im Cit-roën, als Storn solch einen Laden gefunden hatte.

Madson, der sich Storn gegenüber betont kühl und überlegen gab, war sich darüber klar, daß auch er von einer merkwürdigen Nervosität erfaßt worden war. Eine Nervosität, die er bisher noch nicht an sich bemerkt hatte. Er gestand sich ein, daß diese Erregung mit dem Mann zusammenhing, der wie ein Butler aussah. Dieser Mann irritierte ihn vollständig.

Storn kam zurück in den Wagen und entfaltete die Karte.

»Doch nicht hier vor dem Geschäft!« Madson schüttelte verweisend den Kopf. »Fahren Sie los, Paul, ich werde Sie lotsen!« Sie fuhren über eine Brücke, die über die Aare führte, und durchquerten die Stadt. Sie verfuhren sich einige Male, doch Storn merkte das nicht, weil Madson diese Kunstfehler verschwieg. Dann endlich, nachdem sie etwa zwanzig Minuten Fahrt hinter sich hatten, erreichten sie die Schänzlistraße.

»Jetzt langsam, aber nicht zu sehr. Ganz unauffällig« ordnete Madson an, »die Nummer 71 muß, warten Sie mal, ja, sie muß auf der linken Straßenseite liegen.«

Paul Storn zwang sich zur Ruhe und hielt sich an die Anordnungen seines Chefs, der halblaut die Haus-nummern mitzählte.

»Da muß es sein. Ja, da ist es!« Madsons beherrschte Stimme bekam in Klangfarbe. Er beugte sich un-willkürlich etwas in Richtung Windschutzscheibe vor, um noch besser lesen zu können. »Nicht so schnell, Paul! Da ist ein Schild am Eingang, das will ich lesen.«

Sie erreichten das betreffende Haus.

Paul Storn las laut und fast andächtig: »Städtische Entbindungsanstalt.«

Dabei trat er vor Verblüffung derart scharf auf das Bremspedal des Citroën, daß Madsons Stirn gegen die Windschutzscheibe knallte.

*

»Halten wir fest«, sagte Mike Rander. Der junge Anwalt befand sich zusammen mit seinem Butler im Chalet. Sie waren von ihrem Besuch im Skeleton-Club zurück nach Hause gekommen und hatten Vivi Carl-son einen kurzen Bericht erstattet. »Delair ist der Chef einer Privatbank in Genf und befaßt sich mit Ent-wicklungsprojekten. Mannister stammt aus London und ist der Besitzer einer großen Baufirma. Latour kommt aus Paris und ist Kunsthändler. Richtig?«

»Stimmt haargenau«, erklärte Vivi Carlson, die ihre stenografischen Notizen verfolgt hatte. Sie nickte dankbar, als Parker ihr einen Drink servierte. »Soll ich weiterlesen, Mister Rander?«

»Einverstanden.« Er nickte ihr zu.

»Mister Baxter kommt aus New York«, zählte Randers Sekretärin weiter auf. »Er hat vor einigen Monaten die Firma seines Vaters übernommen und ist einer der größten Tierfellimporteure der Staaten. Natway, wohnhaft in London, besitzt eine Kette von Boutiquen und einigen Kleiderfabriken. Morgan kommt aus Chicago und ist Getreideexporteur.«

»Klingt alles sehr unverfänglich«, stellte Mike Rander nachdenklich fest. »Was halten Sie denn von dieser Aufzählung, Parker?«

»Der siebte Herr fehlt, Sir!«

»Richtig. Niki Caropoulos aus Athen. Schwerreicher Junge, von den Ölmillionen und Tankern seines Va-ters lebend. Seine Ankunft im Club wird wieder für übermorgen erwartet.

Er flog kurzfristig zu seinem Vater nach den Bahamas. Irgendeine Familiengeschichte, wie ich gehört ha-be.«

»Muß Madsons Opfer denn unbedingt aus den Staaten stammen?« erkundigte sich Vivi Carlson.

»Eine sehr wichtige Frage«, stellte Josuah Parker gemessen fest, »eine Frage allerdings, die ich nicht zu beantworten weiß. Dazu kenne ich Mister Madson zu wenig.«

»Eigentlich sinnlos, an den Namen herumrätseln zu wollen«, warf Mike Rander ein, »Was halten Sie da-von, Parker, wenn wir die sieben Männer möglichst schnell aufsuchen und mit ihnen reden?«

»Ein Vorschlag, Sir, dem ich unbedingt beipflichten möchte«, antwortete der Butler. »Die Reaktionen der betreffenden Herren sind bereits eine Antwort.«

»Die Adressen habe ich mir im Club geben lassen«, redete der junge Anwalt weiter. »Wann wollen wir mit den einzelnen Interviews beginnen? Zeit dürfen wir nicht verlieren. Madson kann jeden Augenblick loslegen, wenn er aus Bern zurück ist.«

»Mister Parker, haben Sie denn keine Angst, daß Madson sich mit Ihnen befassen wird?« schaltete Vivi Carlson sich echt besorgt ein. »Nachdem er jetzt wohl weiß, wie die Adresse in Bern ausgefallen ist, wird er nicht besonders gut auf Sie zu sprechen sein!«

*

»Hören Sie doch endlich mit dem blöden Lachen auf«, schnauzte Madson sein Faktotum sehr unbe-herrscht an, »und bremsen Sie in Zukunft vorsichtiger!«

Madson rieb sich die Stirn und verbiß sich den Schmerz. Sie waren ein Stück weitergefahren und hielten am Straßenrand.

»Der hat uns auf den Arm genommen«, stellte Paul Storn sachlich fest. Eigenartigerweise ärgerte ihn das überhaupt nicht. Es tat ihm sogar gut, denn diese Blamage ging ja auf das Konto Madsons.

»So was macht man mit mir nur einmal«, knurrte Madson leise. »Zudem steht ja noch nicht fest … oder? Hinter der Entbindungsstation kann sich ein Geheimnis verbergen.«

»Unmöglich, Chef. Er wollte uns nur nach Bern locken, um in Kandersteg ungestört arbeiten zu können.«

»Steigen Sie aus und sehen Sie sich das Haus an, Paul!«

»Ich soll ins Entbindungsheim, Chef?«

»Gehen Sie schon! Und halten Sie die Augen auf!«

Storn grinste verächtlich, als er notgedrungen ausstieg. Dann marschierte er zurück zu dem Heim, suchte und fand unterwegs einen passenden Vorwand und betrat das Haus.

Er blieb nicht lange, wie Madson im Seitenspiegel des Wagens feststellte. Storn kam schnell zurück und warf sich auf den Fahrersitz.

»Würden Sie freundlicherweise berichten?« drängte Madson ungeduldig.

»Babys! Nichts als Babys!« erklärte Storn. »Und überall Schwestern und Nonnen. Sie wollten mir schon meine Zwillinge zeigen.«

»Wie bitte?«

»Na, ich hab’ mich als Vater ausgegeben«, sagte Storn, »daraufhin drückten sie mir einen Blumenstrauß in die Hand.«

»Anfahren«, kommandierte Madson und preßte die Lippen zusammen.

Storn ließ den Motor aufheulen und fuhr rasant los.

»Halt!« widersprach Madson sich fast im gleichen Moment. Was Storn auch prompt besorgte, und zwar nachdrücklich.

Madsons Stirn suchte erneut die Windschutzscheibe auf, die erste Anzeichen von Spannungsschwächen zeigte. Erstaunlicherweise monierte Madson dieses Bremsmanöver nicht.

»Jetzt weiß ich Bescheid«, sagte er und schlug sich unwillkürlich gegen die an sich schon schmerzende und anschwellende Stirn. »Der Butler in Kandersteg heißt Parker, Josuah Parker!«

»Na und?« Paul Storn wußte mit diesem Namen nichts anzufangen.

»Sie kennen Parker nicht?« wunderte sich Madson.

»Keine Ahnung!« Paul Storn hob bedauernd und unwissend die Schultern. »Ich kenne ihn nicht.«

»Dann werden Sie ihn bald kennenlernen«, prophezeite Madson, »ich muß sofort anrufen.«

»Diesen Parker?«

»Wir brauchen Verstärkung«, sagte Madson, »dieser Bursche besteht nur aus faulen Tricks. Aber das werden Sie noch erleben, wenn wir ihn nicht so schnell wie möglich einfrieren!«

*

Josuah Parker hatte mit dem Türschloß keine Schwierigkeiten.

Unter seinem Spezialbesteck öffnete es sich fast freudig und ließ den Butler ein.

Nach Parkers Berechnungen war mit der Rückkehr und Ankunft der beiden Gangster nicht vor einer Stunde zu rechnen. Es war also Zeit genug, sich in dem einfachen Ferienhaus etwas näher umzusehen und gewisse Minen zu legen.

Er stellte erst mal die Einkaufstasche ab, die er aus seinem Wagen mitgenommen hatte. Parker durchwan-derte die diversen Räume, aber er machte sich erst gar nicht die Mühe, nach irgendwelchen Geheimnissen zu suchen. Oder etwa nach Waffen. Er wußte ja schließlich, daß Madson ein Vollprofi war. Solch ein Mann ging nie das Risiko ein, sein Handwerkszeug offen oder versteckt herumliegen zu lassen.

Nein, Josuah Parker suchte nur noch geeigneten Stellen, um seine Überraschungen wirkungsvoll zu plazie-ren. Er entschied sich schon recht bald für Madsons Schlafzimmer, dann für den Wohnraum und schließlich für einige Kleidungsstücke des Killmasters. Er packte seine Einkaufstasche aus und machte sich an die Ar-beit, die er in seiner sattsam bekannten, korrekten Weise erledigte.

Parker brauchte fast zwanzig Minuten, bis er alles erledigt hatte. Dann verließ er wieder das Ferienhaus und setzte sich in seinen Wagen. Er war sicher, daß seine Überraschungen wirken würden. Zumal er aus ers-ter Hand erfahren würde, ob dies auch zutraf. Als Liebhaber elektronischer Spielereien hatte der Butler näm-lich noch zusätzlich zwei Minisender zurückgelassen.

*

»Natürlich weiß er, wer ich bin«, sagte Madson während der Rückfahrt nach Kandersteg, »beweisen kann er mir zwar nichts, aber er wird höllisch aufpassen.«

»Gegen einen gezielten Schuß kann dieser Wunderknabe nichts machen«, meinte Paul Storn.

»Wir arbeiten geräuschlos«, erklärte Madson entschieden, »das ist und bleibt mein Prinzip! Wir inszenieren tödliche Unfälle, Paul, aber keine Schießereien. Wann werden Sie das endlich begreifen?«

»In Ordnung, Chef.« Paul nickte. »Aber denken Sie doch mal an das Foto aus Ihrer Brieftasche, das er ausgetauscht hat. Er weiß doch, wen Sie im Visier haben, oder?«

Paul Storn tat harmlos und fragte beiläufig, in Wirklichkeit aber wartete er darauf, daß sein Chef sich eine Blöße gab. Bisher wußte Storn nicht, wie das Opfer hieß. Er hoffte aber, es jetzt zu erfahren.

»Auf dem Zeitungsfoto sind sieben Personen abgebildet«, gab Madson zurück. Er blieb verschlossen. Es gehörte ebenfalls zu seinen Prinzipien, seine Mitarbeiter nicht einzuweihen. Wenigstens nicht frühzeitig.

»Was ändert das, Chef?« bohrte Paul Storn weiter. »Parker braucht ja nur alle sieben Personen zu war-nen.«

»Sind Sie sicher, Paul, daß einer der sieben Männer unser Opfer ist?« fragte Madson zurück.

»Natürlich«, erwiderte Storn verwirrt, »wozu sollten Sie sich sonst das Zeitungsfoto besorgt haben?«

»Vielleicht zur Ablenkung für Neugierige«, meinte Madson spöttisch, »und wer sagt Ihnen, daß es sich um einen Mann handelt?«

»Ich will gar nichts wissen, Chef«, behauptete Storn, »ich tue das, was Sie mir sagen. Damit ist für mich der Fall erledigt.«

Insgeheim ärgerte Storn sich wieder mal über die Heimlichkeiten seines Chefs und freute sich nachträglich darüber, daß er ihm durch scharfes Bremsen zwei ansehnliche Stirnbeulen verpaßt hatte.

*

»Es ging schneller, als ich dachte«, sagte Mike Rander zu seinem Butler, der ins Chalet zurückgekehrt war, »die möglichen Opfer reagierten durch die Bank positiv.«

»Darf ich Ihren Bemerkungen entnehmen, Sir, daß Sie die Kontakte bereits herstellen konnten?«

»Ich habe sogar so etwas wie eine Generalversammlung der Opfer einberufen«, meinte Rander lächelnd. »Bis auf Niki Caropoulos, der ja noch nicht hier ist, wollen wir uns noch heute abend treffen.«

»Ohne Ausnahme, Sir?«

»Ohne jede Ausnahme, Parker«, bestätigte der Anwalt, »jeder von ihnen scheint Angst zu haben.«

»Für welche Zeit, Sir, darf ich die dafür erforderlichen Vorbereitungen treffen?«

»Wir haben uns auf zweiundzwanzig Uhr geeinigt, Parker.«

»Besteht nicht die Gefahr, daß Sie Madson das Opfer förmlich auf einem Tablett servieren?« schaltete Vivi Carlson sich ein.

»Das ist meine Sorge«, räumte der Anwalt ein. »Wo könnten wir uns treffen, Parker, ohne daß Madson tätig wird?«

»Ich erlaube mir, Sir, dieses Chalet vorzuschlagen. Etwaige Neugier sollte allerdings in falsche Bahnen gelenkt werden.«

»Sie wollen eine Spur auslegen?«

»Dies, Sir, schwebt mir in der Tat vor.«

»Einverstanden!« Rander lächelte. »Sorgen Sie dann aber dafür, daß Madson sich gehörig abstrampeln muß!«

»Mister Madson darf schon jetzt mit einer interessanten Bergtour rechnen, Sir.«

»Sie unterschätzen ihn doch hoffentlich nicht, oder?« Rander war ehrlich besorgt. »Nach seiner Stippvisite in Bern dürfte er endgültig wissen, daß Sie kein einfacher Taschendieb sind.«

»Von dieser Tatsache, Sir, erlaubte ich mir bereits auszugehen«, lautete Parkers Antwort. »Spätestens nach seiner Rückkehr ins Ferienhaus dürfte sich jeder Zweifel erübrigen.«

*

»Donnerwetter, riecht das hier muffig!«

Madson hielt unwillkürlich die Luft an, als Storn die Tür aufgeschlossen hatte. Er übertrieb nicht, wie Storn zugeben mußte. Im Ferienhaus hatte sich ein kaum definierbarer Geruch von Fäulnis und Schweiß breitgemacht.

Storn hastete an die Fenster und sorgte für frische Luft. Wodurch es verständlicherweise bald kälter wur-de. Madson schnüffelte suchend herum und nickte dann zufrieden.

»Das müßte reichen, Paul«, sagte er, »schließen Sie die Fenster und drehen Sie die Heizung höher!«

Er ging ins Badezimmer und kontrollierte seine beiden Stirnbeulen, die er sich in Bern zugezogen hatte. Sie hatten sich inzwischen, was die Größe anbetraf, beruhigt und glichen jetzt zwei kleinen Teufelshörnern. Madson verzichtete auf Pflaster, denn er war ein harter Mann.

Im übrigen befaßte er sich natürlich mit einem gewissen Josuah Parker. Die Erkenntnis, daß sich Parker ausgerechnet in Kandersteg aufhielt, hatte ihn tiefer getroffen, als er Storn gegenüber zugab.

Der Name Parker hatte in Madson einige böse Erinnerungen wach werden lassen. Parker war, das wußte er jetzt wieder hell und klar wie der lichte Tag, so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins der US-Unterwelt. Sagen und Legenden rankten sich um diesen so harmlos aussehenden Mann in Schwarz. Immer wieder war von Syndikatsgruppen versucht worden, Josuah Parker zu beseitigen. Doch aus den Jägern waren sehr schnell Gejagte geworden. Schlimmer als solche Niederlagen aber war stets gewesen, daß Parker mit der Lächerlichkeit arbeitete. Auf seiner Strecke blieben stets Blamierte zurück, über die man wider Willen ein-fach schadenfroh lachen mußte.

Madson hatte keine Lust, sein Image zu verlieren. Er wollte, was seinen Beruf anbetraf, nicht durch kuri-ose Methoden aufs Kreuz gelegt werden. Er hatte sich auf andere Tötungsmöglichkeiten spezialisiert und war bereit, es mit dem Butler aufzunehmen. Gelang es ihm, ihn auszuschalten, dann war er für Jahre hinaus der Größte in der Branche.

Madson wurde abgelenkt, und das hing mit dem penetranten Geruch zusammen, der sich bereits wieder im Wohnraum ausbreitete. Es roch plötzlich irgendwie nach Kuhstall und menschlichen Ausdünstungen.

»Paul«, rief Madson nervös. Als Storn erschien, musterte er ihn und fügte anzüglich hinzu: »Haben Sie Schweißfüße?«

»Wie bitte?« Paul Storn verstand nicht, schnüffelt aber bereits seinerseits.

»Ich will wissen, ob Sie Schweißfüße haben«, wiederholte Madson und roch in Richtung Storn. »Das ist ja nicht zu ertragen, Paul. Tun Sie was!«

»Ich habe keine Schweißfüße«, reagierte Storn spitz und beleidigt. »Was wollen Sie mir eigentlich anhän-gen?«

»Schweißfüße«, sagte Madson, »ich rieche sie doch ganz deutlich. Zum Ersticken!«

»Mir können Sie das nicht anhängen, Chef«, antwortete Storn gereizt, »vielleicht haben Sie sich mal ganz kurz vergessen.«

»Was wollen Sie damit sagen, Paul?«

»Vielleicht haben Sie ’nen Blähbauch.«

»Nur nicht frech werden, Paul!« Madsons Stimme wurde kalt. »Machen Sie die Fenster auf! Alle! Sind Sie sicher, daß wir keine Kuh im Haus haben?«

Statt zu antworten, ging Paul Storn zu den Fenstern und riß sie der Reihe nach auf. Madson schnappte er-leichtert nach Luft, aber ihm wurde gleichzeitig kalt. Er lief in den kleinen Vorflur und warf sich seinen Fuchsfellmantel über.

Dann schnüffelte er mißtrauisch im Wohnraum herum und suchte nach der Quelle des penetranten Ge-ruchs. Storn, der sich seinen Parka übergestreift hatte, beteiligte sich an der Suche.

»Riecht irgendwie nach Verwesung«, stellte Madson fest, »vielleicht ’ne Maus, die irgendwie unter dem Fußboden verendet ist.«

»Genau danach riecht es, Chef. Das ist es!«

»Aber wo steckt das Biest?« Die beiden Killer schnüffelten und suchten. Und glaubten nach etwa zehn Minuten, die entsprechende Stelle gefunden zu haben.

»Hier!« behauptete Madson. »Ich rieche es ganz deutlich. Hier, unter der Heizung! Reißen Sie die Dielen-bretter auf, Paul!«

Diesmal hatte Storn keine Einwände.

Er lief nach unten in den Keller des Ferienhauses und fand im Heizungsraum einige Werkzeuge, die er ins Wohnzimmer trug. Madson stand am geöffneten Fenster, fror vor sich hin und schaute dann zu, wie Paul Storn den an sich sehr gepflegten Dielenboden ruinierte.

Paul Storn erwies sich als geschickter Bautechniker. Er entwickelte sehr viel Kraft und brauchte nur fünf-zehn Minuten, bis er die Dielen unter der Heizung aufgerissen hatte.

Dann beugten Storn und Madson sich interessiert vor und suchten nach dem Kadaver einer Maus.

Den sie nicht fanden!

Statt dessen aber entdeckten sie eine etwa zehn Zentimeter hohe, rechteckige Packung, die etwa zwanzig Zentimeter lang war. Vorsichtig angelte Storn mit dem Stemmeisen nach diesem Päckchen und zog es nach oben.

»Da steht doch was drauf«, stellte Madson fest.

»Romadur!« las Storn silbenweise vor und hielt sich dabei die Nase zu.

*

»Romadur?« Anwalt Rander und Vivi Carlson sahen den Butler lächelnd und fragend zugleich an. Parker hatte gerade berichtet, mit welch freundlichen Überraschungen er die beiden Gangster versorgt hatte.

»Eine Spezialität aus deutschen Landen, Sir. Allerdings nicht frisch auf den Tisch, sondern unter diversen Dielenbrettern. Dieser an sich schmackhafte Weichkäse, Sir, hat die etwas überraschende Neigung, penetrant zu riechen, falls er mit Wärme in Kontakt kommt.«

Vivi kicherte wie ein Schulmädchen.

Mike Rander grinste wie ein Schuljunge.

»Eine ganz neue Art der Verbrecherbekämpfung«, sagte Rander schließlich. »Haben Sie sich nur auf die-sen Käse beschränkt?«

»Keineswegs, Sir«, gestand Josuah Parker, »ich war so frei, noch ein wenig Brie, einige Quäntchen Lim-burger und Harzer in Mister Madsons Haus zu verteilen. Auch von diesen Sorten erhoffe ich mir einigen Ef-fekt.«

»Wollen Sie Madson ausräuchern?« erkundigte sich Vivi Carlson lachend. »Die beiden Männer werden es vor Gestank doch kaum aushalten.«

»Mir geht es bescheidenerweise darum, den Spezialisten in Sachen Mord ein wenig abzulenken«, antwor-tete Josuah Parker würdevoll, »und es sind erwiesenermaßen stets die Kleinigkeiten, die große Wirkungen erzielen.«

»Werden diese Spezialitäten aus dem Nachbarland Madson daran hindern, zum Generaltreff hierher zu kommen?«

»Für diesen Fall, Sir, habe ich mir bereits Zusätzliches einfallen lassen«, erklärte Parker. »Meiner beschei-denen Ansicht nach dürften die beiden Killer bald in der Nähe unseres Chalets erscheinen, um sich für die Darbietung der Molkereiprodukte zu rächen!«

*

Es war 8.30 Uhr geworden.

Der kleine 2 CV stand auf einer schmalen Straße oberhalb des Rander-Chalets und schneite langsam ein.

Im Wagen befanden sich Madson und Storn.

Vom Wagen aus konnten sie die die Rückseite des Chalets beobachten. Bedauerlicherweise aber waren in hinteren Fenster durch Blendläden verschlossen. Madson war nicht in der Lage, sein Opfer zu erfassen, ob-wohl er über ausgezeichnete optische Hilfsmittel verfügte? Madson besaß ein starkes Nachtglas, dann, was noch er wichtiger war, ein erstklassiges Zielfernrohr, das sich auf dem Lauf eines Gewehrs befand. Storn hatte dieses Gewehr aus Einzelteilen zusammengesetzt. Madson wollte ausnahmsweise mal auf sein Prinzip verzichten, unter keinen Umständen Lärm zu verursachen. Seiner Ansicht nach mußte der Butler so schnell wie möglich außer Gefecht gesetzt werden.

»Wie lange wollen wir noch warten, Chef?« erkundigte sich Storn.

»Irgendwann werden sie das Chalet verlassen«, sagte Madson, »ich möchte den sehen, der in Kandersteg abends zu Hause bleibt. Auch Parker wird losfahren, und wenn er nur seine Herrschaft in eine Bar kut-schiert.«

»Schon gelaufen«, sagte Storn, ihm in das Wort fallend. Er hatte sich steil aufgerichtet und deutete hin-unter auf das Chalet. In der Auffahrt zur Garage, vor der Parkers hochbeiniger Wagen stand, erschien ganz kurz eine wohlvertraute Gestalt: Parker! Er stieg in den Wagen, bevor Madson überhaupt reagieren konnte. Dann ließ er sein Gefährt anrollen und steuerte es hart an den Eingang zum Chalet. Vom 2 CV aus war nicht zu sehen, wer jetzt in den Wagen einstieg. »Fahren Sie los, Paul!« Madson war wie elektrisiert. Er wußte, daß er auf das Gewehr verzichten konnte. Sie brauchten jetzt nur dem hochbeinigen Wagen zu folgen. So-bald der Butler seine Insassen abgesetzt hatte, war er an der Reihe. Einem tödlichen Unfall stand nichts mehr im Weg. Der 2 CV erreichte die untere Straße, als die Schlußlichter des hochbeinigen Wagens gerade hinter einer Biegung verschwanden. Storn, ein durchaus geschickter Fahrer, drückte auf das Tempo, um den Anschluß nicht zu verlieren.

Madson bastelte inzwischen das Gewehr auseinander und ließ die Einzelteile im Wagen verschwinden. Er war jetzt vollkommen ruhig und wieder gelassen.

Das hochbeinige Monstrum des Butlers rollte inzwischen fast gelassen und vornehm hinunter nach Kan-dersteg, fuhr aber durch den Ort und hielt auf die Talstation der Seilbahn zu. Und wurde dann sehr schnell. So schnell, daß Storn nicht mehr recht mitkam.

»Was hat der vor?« fragte er, sich an seinen Chef wendend.

»Vielleicht wollen die noch rauf auf den Berg?«

»Jetzt, um diese Zeit?« wunderte sich Storn.

»Warum nicht? Je einsamer, desto besser für uns. Halten Sie den Anschluß, Paul!«

Storn tat, was er konnte. Doch er schaffte es einfach nicht, Parkers Wagen war zu schnell und zu gelände-sicher. Zudem zog Parkers hochbeiniges Monstrum eine Schleife zurück durch die Stadt und näherte sich jetzt dem Sessellift, der hinauf zum Oeschinensee führte.

Dann bremste der 2 CV neben Parkers leerem Gefährt.

Madson und sein Faktotum Storn stiegen aus und liefen zur Talstation der Sesselliftbahn hinüber.

»Haben wir unsere Freunde verpaßt?« erkundigte sich Storn geistesgegenwärtig bei dem Stationswächter.

»Eine Frau, zwei Männer?« wollte der bärtige Mann wissen. Er trug einen fußlangen Lodenmantel und einen Tirolerhut mit einem mächtigen Gamsbart. Er sprach ein breites Schwyzer-Dütsch.

Seine Augen wurden von einer altmodischen Sonnenbrille verborgen.

»Genau«, sagte Storn hastig, die Frage beantwortend.

»Da rauf«, sagte der Gamsbart und deutete in die beginnende Dunkelheit hinein. Madson und Storn sahen zwar nichts, aber sie glaubten. Sie waren vom Jagdfieber gepackt.

»Dann schnell!« Storn deutete auf einen zweisitzigen Sessel und drückte dem Gamsbart zusätzlich zum Fahrgeld noch eine Prämie in die Hand.

Der kernige Mann, der erstaunlicherweise gepflegte schwarze Schuhe trug, half den beiden Killern in die Liftsessel und wünschte ihnen eine gute Fahrt. Dann sah er dem davonschwebenden Sessel ausdruckslos nach. Madson und Storn verschwanden langsam in der einbrechenden Dunkelheit der grandiosen Bergwelt.

Der Rauschebart schritt hinüber zu einem Schaubild, wo die Linienführung des Lifts dargestellt war. Aus diesem Plan ging sehr deutlich und eindrucksvoll hervor, welche Abgründe und Klippen der Lift überwand.

Der Rauschebart beschäftigte sich wenig später mit der Schalttafel der Liftanlage. Er spielte in fast leicht-sinniger Weise mit den vielen Hebeln und Druckknöpfen, bis es zu einem Kurzschluß kam. Eine kleine, bläu-lich gefärbte Flamme schoß aus dem Schaltkasten hervor. Ruckartig blieb das Umkehrrad stehen – und da-mit auch der Lift.

Doch das kümmerte den kernigen Gamsbart überhaupt nicht.

Er schien diesen peinlichen Zwischenfall völlig übersehen zu haben. Er verließ die Talstation und ging hinüber zu dem hochbeinigen Wagen des Butlers.

Erstaunlicherweise trug dieser Rauschebart jetzt einen altväterlich gebundenen Regenschirm, der über sei-nem linken Unterarm hing.

*

»Was hat denn das zu bedeuten?« Paul Storn blieb stocksteif vor Angst sitzen, als der Sessellift ruckartig stoppte. Madson klammerte sich an der Sessellehne fest und gab sich überlegen.

»Eine kleine Pause«, sagte er.

»Wieso?« Storn genügte diese Auskunft nicht. Vorsichtig schielte er nach unten in den Schnee und schloß sofort beeindruckt die Augen. Er kämpfte gegen ein aufsteigendes Schwindelgefühl.

»Gleich wird’s weitergehen«, sagte Madson, »nur keine Panik, Paul!«

»Sehen Sie mal nach unten, Chef«, verlangte Madsons Faktotum.

»Na und?« Madson kam der Aufforderung nach und schluckte. Das hatte er wirklich nicht erwartet. Der Sessel, in dem sie saßen, stand genau über einer tiefen Schlucht, die in die finstere Hölle zu führen schien.

»Hier kommen wir niemals raus«, stöhnte Storn, »wir sind verloren, Chef!«

»Nun reißen Sie sich mal zusammen, Paul«, fuhr Madson sein Faktotum an, »es wird gleich weitergehen.«

»Und wenn nicht, Chef?«

»Dann wird man uns eben runterholen.«

»Aber wie?«

»Das weiß ich doch nicht!« Madsons Stimme erwärmte sich von Wort zu Wort. »Und hören Sie jetzt mit dem blöden Schaukeln auf!«

»Ich schaukle doch gar nicht! Das ist der Wind.«

»Trotzdem«, sagte Madson, um das letzte Wort zu haben. Dann kämpfte er gegen eine aufkommende Übelkeit an, denn der Nachtwind versetzte den Liftsessel in Schwingungen, die seinem Magen nicht recht bekamen.

»Parker!« stöhnte Storn plötzlich. »Das ist Parker gewesen, Chef!«

»Wer?«

»Der Mann mit dem Bart. Der, der uns in den Lift gesetzt hat.«

»Unmöglich«, behauptete Madson.

»Sie leiden wohl an Verfolgungswahn, wie?«

»Er hat uns reingelegt. Er ist es gewesen. Normalerweise ist der Sessellift um diese Zeit außer Betrieb.«

»Und das sagen Sie erst jetzt, Sie Idiot? Konnten Sie mich nicht warnen?«

Mehr vermochte Madson im Augenblick nicht zu sagen, denn die Übelkeit in seinem Magen verdichtete sich derart, daß er wenige Sekunden später zwar nicht Neptun, doch den Göttern der Bergwelt opfern muß-te.

Durchgeschüttelt von Madsons Würgen, geriet der luftige Sessel in bedenkliche Schwankungen.

*

»Berücksichtigen Sie die Außentemperaturen«, mahnte Mike Rander, nachdem sein Butler Bericht erstat-tet hatte. »Die beiden Killer können glatt zu Eiszapfen werden.«

»Sie können sich auf meinen Zeitplan verlassen, Sir«, sagte Josuah Parker würdevoll, »Ich werde die zu-ständigen Behörden rechtzeitig informieren.«

»Wie lange, glauben Sie, werden die beiden Killer es im Lift aushalten?«

»Nach Abschluß der Bergungsarbeiten, Sir, dürfte Ihre Besprechung mit den möglichen Opfern längst vorüber sein.«

Parker war von seinem Alleinausflug zur Talstation des Sessellifts in das Chalet seines Herrn zurückge-kehrt. Er hatte sich des Lodenmantels und des Gamshutes entledigt. Utensilien, die er in einem Korridor-wandschrank des Hauses entdeckt hatte. Sie gehörten zum Eigentum des Besitzers, wie sich später zeigte.

Als Meister der Improvisation hatte der Butler sich diese Dinge kurzfristig entliehen und sinnvoll einge-setzt. Seine Kunst der Maske hatte sich auch in diesem Fall wieder mal voll bewährt. Parker beschäftigte sich anschließend mit den Vorbereitungen für die geplante Zusammenkunft. Er war gespannt, wer nun tatsächlich der Einladung seines jungen Herrn folgte. Er teilte auf keinen Fall den Optimismus Mike Randers, der fest damit rechnete, daß alle kommen würden.

*

Seine Skepsis erwies sich als berechtigt.

Die Herren Delair, Mannister und Latour ließen sich nicht sehen. Und als Parker sie in ihren diversen Häusern anläutete, erfuhr er vom jeweiligen Personal, die Herrschaften hätten Kandersteg plötzlich verlas-sen. Gründe wurden in keinem Fall genannt.

»Die haben wohl kalte Füße bekommen«, stellte Baxter ironisch fest. Der braungebrannte, sportliche Mann stand mit einem Glas in der Hand am geschlossenen Fenster.

»Kann ich sogar verstehen«, schaltete Natway sich ein. Er war ebenfalls etwa dreißig Jahre alt und sah keineswegs wie ein erfolgreicher Unternehmer aus. Auch für ihn schien der Sport Lebensinhalt zu sein.

Morgan, etwas untersetzter und bullig wirkender, wanderte nervös im großen Wohnraum des Chalets herum und rauchte Kette. Er blieb plötzlich stehen und sah Mike Rander herausfordernd an.

»Kommen Sie zur Sache«, sagte er. »Ihrer Ansicht nach ist also ein Mordspezialist hinter einem von uns her. Worauf gründet sich Ihre Sicherheit?«

»Mein Butler wird Ihnen darauf antworten«, gab der Anwalt zurück.

»Wenn Sie erlauben, werde ich mich relativ kurz fassen«, sagte Josuah Parker, um dann die Vorgeschichte seines Zusammentreffens mit Madson zu erzählen. Er erwähnte die Brieftasche, die nach seiner jetzigen Ver-sion Madson verloren und die er höflicherweise aufgehoben hatte. Dann kam er auf das Zeitungsfoto zu sprechen.

»Ich war so frei«, fuhr Parker fort, »von der Voraussetzung auszugehen, daß ein Mann wie Mister Madson solch ein Foto keineswegs zufällig mit sich herumträgt. Ich unterstellte also, daß einer der sieben abgelichte-ten Herren sein nächstes Opfer sein muß.«

»Ziemlich weit hergeholt«, stellte Baxter ironisch fest. »Könnte dieser Killer nicht hier in Kandersteg Ur-laub machen?«

»Die Tatsache Ihres Kommens, Sir, beweist mir, daß zumindest Sie gewisse Befürchtungen hegen.«

»Das war gut gegeben«, stellte Natway lachend fest.

»Du bist schließlich auch hier«, bemerkte Baxter spitz und anzüglich.

»Lassen wir die Spiegelfechterei!« Morgans Stimme klang sachlich. »Wir drei sind gekommen, unsere Altherrenriege hat sich verdrückt. Wir alle haben Angst, gekillt zu werden. Stimmt’s?«

»Wer hat keine Feinde?« fragte Baxter.

»Feinde, von denen er erwartet, daß sie einen Killmaster engagieren?« warf der Butler ein. »Darf ich da-von ausgehen, daß Sie mit solchen Feinden rechnen?«

»Für mich ist das richtig«, pflichtete Natway ihm sofort zu, »aber fragen Sie mich nie nach den Gründen dafür. Das sind reine Privatdinge.«

»Ich könnte mir ebenfalls vorstellen, daß man mich umbringen lassen will«, gestand Natway, »aber wie im Fall Morgan werde auch ich nie über die Gründe reden.«

»Okay, unter diesen Voraussetzungen gebe ich zu, daß ich ebenfalls einen Todfeind habe«, räumte Mor-gan ein, »aber auch meine Gründe bleiben privat.«

»Die Gründe sind unwichtig«, schaltete der Butler sich wieder ein, »es geht darum, den geplanten Mord zu verhindern!«

»Sie reden nur von einem Mord«, meinte Baxter hastig. »Könnte dieser Killer nicht ein paar von uns aufs Korn genommen haben?«

»Dies wäre selbstverständlich eine zusätzliche und gleichzeitig auch bestürzende Möglichkeit«, sagte Jo-suah Parker. »Sie, meine Herren, treffen sich regelmäßig im Winter hier in Kandersteg zu Ihren Clubren-nen?«

»Sie können die Uhr danach stellen, Parker.« Natway nickte.

»Ein Sammelauftrag in Sachen Mord«, warf Morgan ein. »Herrliche Vorstellung! Und was ist mit unserer Altherrenriege? Mit Delair, Mannister und Latour?«

»Falls die drei Herren die Opfer sind, werde ich nur recht unvollkommen für Schutz sorgen können«, er-widerte der Butler. »Auf der anderen Seite wird die Reaktion Mister Madsons deutlich zeigen, auf wen oder welche Gruppe er es abgesehen hat.«

»Klarer Fall«, pflichtete Baxter ihm bei. »Bleibt er, sind wir im Visier. Reist er ab, ist er hinter Delair, Mannister oder Latour her. Sehe ich das richtig?«

»Mit letzter Deutlichkeit«, gab der Butler zurück, »wobei ich allerdings einschränkend ergänzen muß, daß ein Killmaster wie Mister Madson mit Assistenten arbeitet.«

»Warum setzen Sie diesen Killer nicht einfach außer Gefecht?« Natway sah seine beiden Begleiter Baxter und Morgan kurz an. »Ich denke, wir würden uns das was kosten lassen.«

»Ein bestechender Gedanke«, sagte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Damit würde ich meine be-scheidene Wenigkeit aber auf die Seite des Verbrechens schlagen. Ich möchte betonen, daß ich stets auf Seiten der Legalität zu stehen pflege.«

»Wie sieht dieser Madson aus?« Morgan fragte etwas zu beiläufig. Er schien den Gedanken seines Freun-des Natway noch nicht zu den Akten gelegt zu haben.

»Ein Durchschnittsmensch, der sich kaum beschreiben läßt«, entgegnete Parker ausweichend. »Mister Madson arbeitet zudem mit wechselnden Masken.«

»Warum setzen wir uns nicht einfach ab?« brauste Baxter auf. »Ich habe keine Lust, auf meinen Mörder zu warten. Ich bin doch nicht wahnsinnig.«

»Sieht aber so aus«, fuhr Morgan ihn an. »Wenn du auf der Liste dieses Killers stehst, wird er dich auf-spüren. Früher oder später. In New York oder sonst wo. Nein, nein, ich bin dafür, daß wir es hier durchste-hen. Dürfen wir auch weiterhin mit Ihrer Hilfe rechnen, Mister Rander, Mister Parker?«

»Parker wird es zumindest ein reines Vergnügen sein«, stellte der Anwalt fest. »Halten Sie sich strikt an seine Vorschläge, dann dürften Sie relativ sicher sein!«

»Dann lassen Sie mal schleunigst hören«, meinte Natway, sich an den Butler wendend.

»Sofort«, erwiderte Parker. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit vorher noch auf Ihren gemeinsamen Freund, Mister Caropoulos, lenken?«

»Der trifft morgen hier ein.« Morgan nickte.

»Könnten Sie sich vorstellen, daß auch er einen Todfeind hat, der ihn umbringen lassen möchte?«

»Niki?« Natway lachte leise. »Ich kenne genug Ehemänner, die ihm am liebsten den Hals umdrehen wür-den. Nikis Charme ist einmalig, Parker.«

»Er kommt übrigens nicht allein«, schaltete Baxter sich ein, »er wird von seiner Schwester Norma beglei-tet!«

»Die als eine Art Aufseherin fungiert, wenn ich fragen darf?« Parker sah die drei Herren nacheinander an.

»Norma und eine Aufseherin!« Baxter lachte schallend. »Norma ist ein Sexygirl, wenn Sie mich fragen. Wenn schon einer aufpaßt, dann höchstens … Niki auf sie.«

»Bleiben wir doch beim Thema.« Morgan sah auf seine Armbanduhr. »Garantieren Sie dafür, daß wir we-nigstens ungeschoren hier aus diesem Chalet herauskommen? Oder müssen wir damit rechnen, daß der Killer uns bereits auflauert?«

»Keineswegs«, beruhigte Parker den Fragesteller. »Ich würde sagen, daß Mister Madson zur Zeit mit ge-wissen physischen Problemen zu kämpfen hat.«

*

»Hilfe!« röhrte Paul Storn durch die eiskalte Dunkelheit. Seine Stimme klang bereits ein wenig heiser. Er beneidete seinen Chef um dessen Fuchsfellmantel.

Madson, der neben seinem Faktotum Storn saß, litt sichtlich. Die Kälte fraß sich bereits empfindlich in seine Füße und Waden. Zudem war er schon tot heiser. Er hatte sich die Stimmbänder derart aufgerauht, daß er nur noch krächzen konnte. Er hatte etwa zehn Minuten hintereinander um Hilfe gebrüllt.

»Lauter«, forderte Madson.

»Ich kann nicht mehr.« Storns Stimme überschlug sich, um dann unvermittelt einen Baßunterton anzu-nehmen.

»Wir werden erfrieren«, stellte Madson fest und nieste.

»Wir müssen abspringen«, schlug Storns Baß vor.

»Dann lieber erfrieren«, resignierte Madson. »Wenn wir je heil runter kommen, Paul, werden wir Parker erledigen!«

»Hatten wir vor, als wir ihm nachfuhren«, bemerkte Storn elegisch, »aber er hast uns reingelegt.«

Sie schwiegen, um ihre Stimmbänder zu schonen, und zitterten miteinander vor Kälte.

»Still! Ich höre was!« sagte Madson plötzlich und richtete sich auf.

»Das sind meine Zähne, die klappern!« Storn mußte seinen Chef enttäuschen.

»Nein! Stimmen …«

»Unmöglich! Vor Morgengrauen läßt sich hier kein Mensch sehen, Chef.«

»Licht!« heiserte Madson und bewegte sich derart lebhaft im Sessel, daß Storn fast abgestürzt wäre. »Se-hen Sie doch!«

Er hatte sich nicht getäuscht.

Magnesiumfackeln, von einen Skiläufern getragen, strahlten neben einem Waldstück auf. Wenig später hatten die Bergtouristen den Haltepunkt des Liftsessels erreicht.

»Hilfe!« krächzte Madson völlig unnötig, da man sie bereits entdeckt hatte.

»Alles in Ordnung«, behauptete einer der drei Männer mit lauter, optimistischer Stimme von unten nach oben. »Es geht gleich weiter.«

»Wann?« wollte Madson wissen, doch seine Stimme kündigte ihm den Dienst auf.

»Wann?« frage Storn jetzt.

»In höchstens dreißig Minuten«, lautete die beruhigende Antwort, »der Kurzschluß in der Talstation wird bereits repariert.«

»Zu spät«, heulte Madson, dessen Stimme sich wieder belebte. »Bis dahin bin ich erfroren.«

*

»Wir müßten die Behörden verständigen«, sagte Rander, nachdem seine Gäste gegangen waren. »Wir können dieses Risiko nicht allein tragen, Parker.«

»Darf ich darauf verweisen, Sir, daß die Behörden machtlos sein werden?« erwiderte der Butler gemes-sen. »sie würden auf reine Vermutungen angewiesen sein.«

»Und wenn nun tatsächlich etwas passiert?«

»Damit wäre auch dann zu rechnen, Sir, wenn die drei Herren Kandersteg umgehend verließen«, lautete Parkers Antwort. »Äußerst beruhigend mich ist die Tatsache, daß Sie, Sir, in den Club hinüberwechseln werden.«

»Zusammen mit mir«, schaltete Vivi Carlson sich lächelnd ein. »Sie wollen uns loswerden, nicht wahr?«

»Es ist meine Absicht, die drei Herren beschützen zu lassen«, meinte Parker, ohne die Frage direkt zu be-antworten. »Verärgert, wie Mister Madson inzwischen sein dürfte, wird sein Interesse sich vorerst auf meine bescheidene Wenigkeit konzentrieren.«

»Sie hofften, daß sein Ärger größer sein wird als sein Auftrag?«

»Mit letzter Sicherheit, Sir. Ich war so frei, Mister Madson in bereits drei Fällen ein wenig lächerlich zu machen. Ich darf auf Bern, den Käse und den Sessellift verweisen. Killer haben nach den von mir gemachten Erfahrungen keinen Humor. Falls sein Opfer Kandersteg nicht bereits verlassen hat, wird Mister Madson sich erst mit meiner Person beschäftigen.«

»Um sein Selbstbewußtsein aufzurichten, nicht wahr?«

»In der Tat, Sir, besser konnte auch ich es nicht ausdrücken. Sobald er eine wohl mit Sicherheit aufgetre-tene Erkältung nur ein wenig auskuriert hat, wird er versuchen, Kontakt mit meiner Wenigkeit aufzuneh-men.«

»Was geschieht mit Niki und Norma Caropoulos?« schaltete Vivi Carlson sich ein. »Wollen wir sie morgen beim Eintreffen hier in Kandersteg überwachen?«

»Dies, Miß Carlson, geht bereits auf mein Konto«, erklärte der Butler. »Da sie mittels eines Helikopters einfliegen werden, läßt sich das leicht arrangieren. Wenn Sie erlauben, richte ich jetzt Ihr Gepäck für den Club.«

»Ich werde Ihnen helfen, Parker« sagte Vivi Carlson.

»Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, plädiere ich, zusätzlich zu Ihrem 38er, für einige Ausrüstungsge-genstände, die im Fall einer Notlage eher hilfreich einzusetzen sind.«

»Ich verlasse mich da wie immer ganz auf Sie, Parker.« Mike Rander lächelte zustimmend.

*

Sie glichen zwei Eiszapfen, als man sie aus dem Sessel hob. Madsons Fuchsfellmantel gab knisternde Ge-räusche von sich, als er bewegt wurde.

Neben der Talstation des Sessellifts stand ein Krankenwagen. Drei weißbekittelte Pfleger mühten sich ab, die beiden Killer im Wagen zu verstauen. Sie schreckten jedesmal zusammen, wenn Madson nieste. Es schienen dann Sprengladungen zu detonieren.

Man reichte den beiden Durchgefrorenen heißen Tee mit viel Rum. Paul Storn trank ausgiebig, vielleicht etwas zu viel, aber das zeigte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Madson bat um eine Zigarette, die man ihm zwischen die Lippen schob.

Ein Vertreter des Fremdenverkehrsvereins entschuldigte sich wortreich für den peinlichen Zwischenfall. Zwei Angehörige der Sesselliftgesellschaft versuchten herauszubekommen, wieso es den beiden Durchge-frorenen möglich gewesen war, den defekten Lift, dennoch in Bewegung zu setzen. Ein Gendarm hörte aufmerksam zu, konnte sich auf die spärlichen Auskünfte aber keinen Reim machen.

Später wurde es dann peinlich, als Madson und Storn auftauten. Und zwar in doppelter Hinsicht. Die Kälte wich einer wohligen Wärme und durchflutete die Blutbahnen. Der Tee mit Rum, oder besser gesagt, der Rum mit ein wenig Tee beflügelte die Zungen der beiden Pechvögel.

Hinzu kam dann aber noch die Wärme im Gebäude der Kurverwaltung, die unter anderem auch den lan-gen Fuchsfellmantel Madsons verwandelte. Zusammen mit der Tauperiode wurden nämlich Dämpfe und Gerüche in dem Fuchsfellmantel aktiv, Gerüche und Dämpfe, die peinlich-penetrant an einen überfüllten Kuhstall erinnerten.

Worauf die hilfsbereiten Eidgenossen unauffällig, aber konsequent gerade von Madson abrückten, der erst mit einiger Spätzündung begriff, was sich da abspielte. Seine verschnupfte Nase nahm den aufdringlichen Geruch erst zögernd wahr.

»Was ist mit den Leuten?« fragte Madson heiser, sich an sein Faktotum wendend.

»Sie stinken, Chef.« stellte Storn sachlich fest.

»Stinken? Ausgeschlossen!«

»Das kann ja jedem passieren«, redete Storn weiter. »Ihnen ist der Zwischenfall wohl auf den Darm ge-schlagen.«

»Sind Sie wahnsinnig?« Madson sah sein Faktotum entgeistert an. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich …«

»Wäre ja menschlich, Chef.«

»Mir ist überhaupt nichts passiert«, brüllte Madson mit dem Rest seiner krächzenden Stimme. »Ich will das mal klarstellen. Gar nichts ist mir passiert. So etwas könnte mir überhaupt nicht passieren. Ja, Sie brau-chen mich gar nicht so verständnisvoll oder mitleidig anzusehen. Nicht ich rieche, sondern der Mantel.«

»Schon gut«, sagte der Vereinsvertreter mitfühlend und hielt sich diskret die Nase zu. »Das hätte jedem von uns in gleicher Lage passieren können.«

»Sie können ja sofort duschen und die Kleidung wechseln«, schaltete Storn sich vermittelnd ein und rückte noch etwas weiter von seinem Chef ab.

Statt die Dinge noch mal richtigzustellen, knüpfte Madson jetzt seinen langen Fuchsfellmantel auf und schlug ihn weit auseinander. Er wollte den optischen Beweis dafür antreten, daß die Angst ihn nicht menschlich hatte versagen lassen.

Er hätte es besser nicht getan. Es ergab sich zwar, daß man ihn fälschlicherweise verdächtigt hatte. Das war nicht abzustreiten, aber jetzt erst wurden Gerüche frei, die schon nicht mehr penetrant waren, sondern die schnelle Flucht verlangten.

Die drei Krankenpfleger retirierten und stürzten ans nächste Fenster, das sie schleunigst aufrissen.

Der Vertreter des Fremdenverkehrsvereins erlitt eine kleine Ohnmacht, schnappte verzweifelt nach Luft und mußte später ärztlich versorgt werden.

Die beiden Angehören der Sesselliftgesellschaft zogen sehr ungeniert ihre Taschentücher, um sie als be-helfsmäßige Gasmasken zu verwenden.

Der Gendarm verlor jedes Interesse an diesem Fall und behauptet mit erstickter Stimme, er habe noch dienstlich zu tun. Dann taumelte er davon und verließen Ort des Geschehens. Storn zwängte sich inzwischen den beiden Pflegern vorbei ans offene Fenster und verdrehte die Augen, »Seid ihr denn alle verrückt?« brüllte Madson und schnüffelte an sich herunter.

Er wurde erstaunlich bleich und s, weiß im Gesicht. Die verschnupfte Nase lieferte ihm jetzt endlich das richtige Geruchsbild.

Daraufhin rutschte Madson in sich zusammen und zerrte sich den Fuchsfellmantel vom Körper.

»Der Käse!« krächzte er mit ersterbender Stimme. »Parker muß auch den Mantel damit eingerieben ha-ben!« Aber ihm glaubte kein Mensch.

*

Sie war gertenschlank, etwas über mittelgroß und sah in ihrem knappsitzenden Skidreß hinreißend aus. Hinzu kam das honigblonde Haar, ein exotisch geschnittenes Gesicht mit leicht hervorstehenden Backen-knochen und mandelförmig geschnittenen Augen.

Der seegrüne Dreß saß wie eine zweite Haut auf ihrem Körper. Ihre kleinen Füße steckten in dicken See-hundfellstiefelchen. Sie spielte mit der offensichtlich teuren Sonnenbrille und kümmerte sich nicht weiter um ihren Begleiter.

Dieser Begleiter wirkte untersetzt und ein wenig verfettet. Er besaß ein weiches, leicht feminin geschnit-tenes Gesicht, aber die mandelförmigen Augen deuteten darauf hin, daß er mit der jungen Dame in Seegrün zumindest verwandt war.

Er trug Skischuhe, Steghosen und darüber einen mit weißem Fell gefütterten Ledermantel. Er bewegte sich mit der Selbstverständlichkeit eines jungen Mannes, der Geld hat und der es gewöhnt ist, daß man die-ses Geld unbedingt respektiert.

Er nickte gnädig, als Josuah Parker ihm würdevoll entgegenging und gemessen seine schwarze Melone lüftete.

»Mister Caropoulos?«

»Haben wir uns einen Butler zugelegt?« fragte der junge Mann mit dem femininen Gesicht und sah Parker gleichgültig an.

»In der Tat, Sir!«

»Sehr schön, Sie heißen?«

»Parker mein Name, Sir. Josuah Parker.«

»Ich werde Sie Albert nennen«, entschied Niki Caropoulus, »wie meinen eigenen Butler.«

»Ich werde mir erlauben, Sie Mister Rander zu nennen«, antwortete Parker höflich.

»Wie bitte?« Niki begriff nicht sofort.

»Wie meinen Herrn«, erklärte Parker. »Darf ich Sie zum Wagen begleiten, Sir?«

»Das ist doch …« Niki hatte endlich begriffen und schnaubte empört. »Das ist doch eine Frechheit. Ich werde mich über Sie beschweren. Das ist mir noch nie passiert.«

»Aber es wurde Zeit«, schaltete sich Nikis Schwester Norma ein. Sie lachte amüsiert und schadenfroh.

»Madam!« Parker trat zur Seite und öffnete den Wagenschlag für die junge Dame in Seegrün. Dabei pas-sierte dem Butler ein Mißgeschick, das man nur als peinlich bezeichnen kann. Er riß den hinteren Wagen-schlag etwas zu weit auf. Die Türklinke bohrte sich in Nikis Magen, der daraufhin sichtlich unter Luftmangel litt. Er stöhnte noch, als er endlich neben seiner Schwester saß.

Parker setzte sich würdevoll ans Steuer und ließ seinen hochbeinigen Wagen anrollen. Um das Gepäck kümmerte er sich nicht.

»Wer hat Sie eigentlich geschickt?« wollte Niki nach einigen Minuten wissen.

»Die Herren Baxter, Natway und Morgan«, gab der Butler zurück. Er hatte die kugelsichere Trennscheibe zwischen Fahrersitz und Fahrgastraum heruntergelassen.

»Warum sind sie nicht selbst gekommen?« erkundigte sich Norma Caropoulos gutgelaunt.

»Die erwähnten Herren möchten einen möglichen Kontakt mit ihrem etwaigen Mörder vermeiden«, ant-wortete der Butler gemessen.

»Wie war das? Mörder?« Niki beugte sich ruckartig vor und sah dann seine Schwester an.

»Es besteht der dringende Verdacht, daß ein bezahlter Mörder hinter Mitgliedern des Skeleton-Clubs her ist«, präzisierte der Butler, »leider läßt sich zur Zeit noch nicht sagen, wer dieses Opfer sein soll.«

»Sofort zurück«, schnaufte Niki nervös, »drehen Sie um, Mann! Können Sie nicht hören? Sofort umdre-hen! Norma, wir können noch den Hubschrauber nehmen. Hören Sie denn nicht? Sie sollen sofort umdre-hen!«

»Mach dich doch nicht lächerlich«, fuhr Norma Caropoulos dazwischen. Verachtung lag in ihrer Stimme. »Wer sollte dich schon ermorden wollen?«

»Prinz Mahmud«, erwiderte Niki mit leiser Stimme.

»Der hätte allerdings allen Grund dazu«, gab Nikis Schwester auflachend zurück.

*

Madson schlief tief und fest.

Auch Paul Storn lag noch in Morpheus’ Armen.

Die beiden Killer hatten vor dem Schlafengehen noch ausgiebig getrunken und sich bewußt betäubt. Bei der Rückkehr in ihr Ferienhaus waren sie erneut von Molkereiproduktgerüchen überfallen worden, doch sie hatten einfach nicht mehr die Kraft gehabt, ihr Quartier zu wechseln.

Doch dann wurden sie aus dem Schlaf geschreckt, als die Posaunen von Jericho bliesen.

Anders war dieser ohrenbetäubende Lärm nicht zu beschreiben. Er war geeignet, Wände und Häuser ein-stürzen zu lassen. Tiefe, abgrundtiefe Töne sogar dröhnten durch die Räume und ließen die Fensterscheiben klirren. Es sei vermerkt, daß eine Scheibe dabei sogar zu Bruch ging.

Madson richtete sich ohne jeden Übergang ruckartig im Bett hoch und hielt sich die Ohren zu.

Das tiefe Dröhnen der Tuben hörte nicht auf.

Storn blieb zuerst total überrascht und hellwach im Bett liegen, dann stand er vorsichtig auf und pirschte sich auf nackten Füßen an die Zimmertür seines Chefs. Er wollte herausfinden, was Madson jetzt schon wieder angestellt hatte. Er hatte die Tür aber noch nicht ganz erreicht, als sie aufgerissen wurde.

Madson stürzte heraus.

Er hatte sich je einen Zeigefinger in je ein Ohr gebohrt und prallte mit Storn zusammen. Nachdem sie sich entwirrt hatten, brüllte Madson gegen die Posaunen des Weltgerichts an.

»Stellen Sie das ab, Paul!« kreischte er mit krächzender, erkälteter Stimme. »Das ist ja nicht zu ertragen.«

»Da, Chef.«

Paul Storn hatte wieder mal geschaltet.

Er stand am Korridorfenster und deutete hinunter in den Schnee. Madson baute sich neben Storn auf und sah ebenfalls in die Tiefe. Seinen Augen bot sich eine friedliche, folkloristische Szene.

Vier Eidgenossen in alpenländischer Tracht betätigten sich ausgesprochen hingebungsvoll auf Alphörnern, jenen überlangen Holzblasinstrumenten, die im tiefsten Baß spielen.

Sie hatten ihre Bewunderer entdeckt – die Eidgenossen natürlich und lüpften grüßend ihre Gamsbarthüte. Dazu stießen sie schrille Jodler aus, die durchaus geeignet waren, Trommelfelle zerspringen zu lassen.

»Nein!« Madson heulte und ging in volle Deckung.

»Schon gut. Schon gut!« brüllte Storn nach unten. Er hatte geistesgegenwärtig das Fenster geöffnet und er winkte dankend nach unten.

Die Alpenbewohner juchzten erneut und mißverstanden Storns Geste. Sie ad nickten sich ermunternd zu und fanden sich dann zu einem munteren Quartett im ländlichen Polkastil.

Worauf eine weitere Fensterscheibe barst und einige Schindeln vom Dach rutschten.

Die vier Vertreter der örtlichen Musik setzten sich dann aber etwas beleidigt ab, als sie von Storn mit eini-gen Blumentöpfen beworfen wurden. Sie hatten das sichere Gefühl, sich nicht gerade beliebt gemacht zu haben.

Was sie wiederum nicht verstanden, hatte ihr Auftraggeber ihnen doch versichern lassen, daß dieses Frühkonzert einem Mann galt, der als wahrer ich Liebhaber und Fan alpenländischer Holzmusik bekannt war.

*

»Und wer ist dieser Prinz Mahmud?« fragte Vivi Carlson, nachdem Parker Bericht erstattet hatte. Er hatte seine beiden Gäste im Club abgeliefert und die Gelegenheit genutzt, seinen jungen Herrn und Vivi Carlson zu besuchen. Sie frühstückten gerade im gemeinsamen Wohnraum, der die beiden Schlafzimmer miteinander verband.

»Der Prinz, Miß Carlson«, führte der Butler aus, »ist gebürtiger Araber und entstammt einem zwar klei-nen, aber immens reichen Scheichtum am Persischen Golf. Die internationale Regenbogenpresse pflegt ihn einen Playboy zu nennen, in Wirklichkeit aber ist besagter Prinz ein ungemein harter und erfolgreicher Ge-schäftsmann.«

»Er macht in Öl, nicht wahr?«

»Indirekt, Sir. Prinz Mahmud ist mehr eine Art Makler, der mit Bohrlizenzen arbeitet und sie gegen Pro-zente vermittelt. Darüber hinaus errichtet er Ferienzentren an der Mittelmeerküste, und er ist Präsident einer Immobilienfirma internationalen Zuschnitts.«

»Ein beschäftigter Mann«, stellte Rander fest.

»Der aber laut Norma Caropoulos auch noch Zeit hat, einen Mörder zu engagieren«, warf Vivi Carlson ein.

»Haben Sie herausgefunden, ob es sich nur um einen makabren Scherz der jungen Dame gehandelt hat?« wollte Rander weiter wissen.

»Ich muß bedauern, Sir«, antwortete der Butler, »möchte aber noch mal betonen, daß Mister Caropoulos nur zu gern Kandersteg verlassen hätte.«

»Wie schätzen Sie ihn ein?«

»Ein abschließendes Urteil möchte ich mir noch nicht erlauben, Sir«, erwiderte der Butler würdevoll. »Bisher zeigte er sich weich und feminin, doch solch ein erster Eindruck könnte unnötig täuschen.«

»Womit beschäftigt sich Caropoulos?« erkundigte sich Vivi Carlson.

»Er gilt als der männliche Kronprinz jenes Imperiums, das sein Vater errichtet hat«, zählte der Butler wei-ter auf. »Caropoulos senior ist der Begründer einer der größten Tankerflotten der Erde. Darüber hinaus ist die Familie Caropoulos an Ölgesellschaften und einigen weltweiten Fluglinien beteiligt.«

»Caropoulos senior«, wiederholte Rander nachdenklich. »Gingen da nicht vor einigen Monaten Schlag-zeilen um die Welt, nach denen er sehr krank ist?«

»In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler prompt. »Mister Caropoulos senior erlitt einen Herzinfarkt und ist seitdem an den Rollstuhl gefesselt, wenn ich es so umschreiben darf. Seit dieser Zeit leitet Niki das Imperi-um.«

»Und seine Schwester Norma?« wollte Vivi wissen. »Hat sie nicht Affären am laufenden Bande?«

»Miß Norma Caropoulos hat in der Tat das, was man einen gehörigen Verschleiß an ständigen Begleitern nennt«, gab der Butler zurück. »Zur Zeit ist sie mit einem gewissen Mister Jean-Claude Fondy liiert, seines Zeichens Nachtclubbesitzer an der spanischen Sonnenküste.«

»Kennen Sie diesen Mann etwas näher?« wollte Mike Rander wissen. »Ist er hier in Kandersteg?«

»Dies, Sir, werde ich noch eruieren müssen«, sagte der Butler, »aus diesem Grund möchte ich mir auch die Freiheit nehmen, mich zu verabschieden.«

»Natürlich, Parker. Viel Glück! Und denken Sie an Madson. Killer schlafen nie!«

»Zumindest schlecht«, schloß der Butler und dachte an das Alphornquartett, das er für ein Frühkonzert vor dem Ferienhaus des Killmasters engagiert hatte.

*

Es schneite.

Das eben noch strahlende Winterwetter hatte sich rapide verschlechtert. Der Himmel war dunkel und schneeschwer. Auf den Straßen arbeiteten bereits die Räumkolonnen. Der Skisport auf den Hängen war zum Erliegen gekommen.

Madson, der sich vom Frühkonzert einigermaßen erholt hatte, wanderte nervös und schnüffelnd durch die Räume seines Ferienhauses. Zusammen mit Storn hatte er endlich die Geruchspender entdeckt und zusam-mengetragen.

Auf einem kleinen Beistelltisch lagen kleine Käsestückchen, die man im Schlafzimmer und sogar im Bad entdeckt hatte. Der Dielenboden im Ferienhaus war gut zu einem Viertel aufgerissen und aufgepickelt wor-den. Storn hatte ganze Arbeit geleistet.

Das Faktotum des Killers trug die Molkereiprodukte jetzt aus dem Haus, das heißt, er wollte es.

Er öffnete die Haustür und prallte zurück. Eine Wand aus Eis und Schnee knapp hinter der Tür hinderte ihn am Verlassen des Hauses. Diese Schneewand sah ungemein kompakt aus.

»Chef.« schrie Paul, als er in panischer Angst zurück in den Wohnraum rannte. »Chef, wir sind total ein-geschneit.«

»Reden Sie doch keinen Blödsinn, Paul!« Madson deutete durch die Fenster des Wohnraums in den an-grenzenden kleinen Garten, wo Alt- und Neuschnee zusammen nur höchstens anderthalb Meter ausmachten.

»Wir sind eingeschneit«, wiederholte Paul Storn hartnäckig, »die Tür ist völlig blockiert.«

Madson bemühte sich mißtrauisch aus dem Wohnzimmer, betrat den Korridor und prallte vor der Schneewand zurück.

»Das kann doch nicht sein«, wunderte er sich. »Woher soll der Schnee denn gekommen sein?«

»Vielleicht ’ne kleine Lawine?«

»Ausgeschlossen!« Madson hatte bereits einen – bestimmten Verdacht, den er allerdings noch nicht äu-ßern wollte. Er lief zurück in den Wohnraum und von dort aus hinüber in die angrenzende Bauernstube, von wo aus man hinaus auf die Straße sehen konnte.

»Normale Schneelage«, stellte er fest, um dann wieder zur Eingangstür zu laufen.

»Das muß Parker getan haben«, sagte er dann zu Storn. »Besorgen Sie eine Schaufel, Paul!«

»Wir können durch den Keller raus in den Garten, Chef.«

Madson nickte und stürmte über die steile Treppe nach unten in den Keller. Dann entriegelte er die Tür, riß sie auf und betrat zusammen mit seinem Faktotum den tiefverschneiten kleinen Garten. Sie arbeiteten sich durch den Schnee und schoben sich um die Hausecke herum.

Jetzt sahen sie die weiße Bescherung.

Die Auffahrt zur Garage und zur seitlich angebrachten Haustür war meterhoch voll Schnee. Diese Massen konnte nur ein Schneeräumer in und auf die Auffahrt gewirbelt haben.

»Parker«, sagte jetzt auch Storn. Seine Stimme klang fast andächtig. »Das muß der Butler gewesen sein.«

»Sehr albern«, ärgerte sich Madson. »Aber wirksam«, fügte Storn hinzu, »irgendwo unter den Massen muß der Wagen sein.«

»Lassen Sie sich Zeit, Paul! Ich gehe zu Fuß.«

»Ich soll allein …?«

»Ich habe eine wichtige Verabredung«, behauptete Madson, »und bei der Gelegenheit werde ich bei der Gemeindeverwaltung Krach schlagen. Die können uns doch nicht festzementieren, selbst wenn Parker daran gedreht hat.«

Madson mußte notgedrungen auf seinen Fuchsfellmantel verzichten, denn der roch noch zu penetrant nach diversen Käsesorten. Er begnügte sich mit seinem Skidreß und machte sich bald auf den Weg.

Madson wollte Kontakt mit seinen Mitarbeitern aufnehmen, die er schon von Bern aus nach Kandersteg bestellt hatte. Es galt, den ursprünglichen Arbeitsplan abzuändern. Madson war nach wie vor fest entschlos-sen, seinen Auftrag auszuführen. Auch ein Parker konnte ihn nicht daran hindern.

Während seines Fußmarsches durch den Schnee sah er sich immer wieder nach einem etwaigen Verfolger um. Die Gegenwart Parkers hatte ihn mißtrauisch, nervös und unsicher gemacht, obwohl er das Storn ge-genüber abgestritten hätte. Dieser Parker war in seinen Augen der einzige Mann, der ihm gefährlich werden konnte.

Schneebedeckt betrat Madson die Hauptpost und führte von hier aus ein einziges Telefongespräch. Ein Ortsgespräch übrigens.

Dann ging er zurück auf die Hauptstraße und verschwand in einem Tanz-Café, in dem selbst am frühen Morgen ein erstaunlicher Betrieb herrschte.

Madson setzte sich an das Ende der Bar und wartete darauf, daß sein erster Ersatzmann sich bei ihm mel-dete.

*

Parker war in bester Stimmung, als er den Schneepflug verließ.

Er hatte ihn kurzerhand entführt. Und zwar nur für knapp zehn Minuten, als der Fahrer dieses Großräum-ers in einer Kneipe verschwunden war. Diese zehn Minuten hatten ihm vollkommen gereicht, Madsons Feri-enhaus mit zusätzlichem Schnee zu versorgen.

Parker konnte ein großes Kind sein, wenn es um technische Dinge ging. Als er den Schneepflug sah, reizte es ihn einfach, das Gerät mal auszuprobieren. Da Madsons Haus in der Nähe lag, lud er den Schnee gleich nutzbringend ab.

Nach diesem Zwischenspiel, das ihn voll befriedigt hatte, saß der Butler jetzt in seinem hochbeinigen Monstrum und bewachte die Zufahrtstraße hinauf zum Skeleton-Clubhaus. Die Straße war selbstverständlich schon geräumt.

Durch ein Fernglas beobachtete der Butler den Balkon, der zu Mike Randers neuem Quartier gehörte. Noch standen die Blendläden zur Balkontür weit auf, aber dann wurden sie langsam geschlossen.

Parker setzte sein Glas ab.

Sein junger Herr hatte sich durch das Schließen der Blendläden gemeldet. Er hatte seinem wartenden Butler damit kundgetan, daß Miß Norma Caropoulos sich anschickte, den Club zu verlassen. So hatten Par-ker und Rander es vor dem Auseinandergehen vereinbart.

Es dauerte nicht lange, bis ein Landrover die Einfahrt zum Clubparkplatz passierte. In wenigen Minuten erschien das Gefährt neben Parkers Monstrum, passierte es und hielt auf Kandersteg zu. Parker wartete nur einen Augenblick, um dann die Verfolgung aufzunehmen. Das starke Schneetreiben störte ihn überhaupt nicht.

Der Landrover fuhr durch Kandersteg und arbeitete sich einen steilen, bebauten Hang empor. Er hielt vor einem langgestreckten Appartementhaus, das im Schweizer Landhausstil errichtet war.

Norma Caropoulos stieg aus dem Wagen, duckte sich unter dem Schneetreiben und lief zum Hauptein-gang. Sie hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als die Tür bereits geöffnet wurde.

Sie schien erwartet zu werden.

Ein junger Mann, etwa dreißig Jahre alt, groß, sportlich und offensichtlich kühn aussehend, kam Norma entgegen und schlang seinen Arm um ihre Schultern. Wenig später waren beide im Haus verschwunden.

Es mußte sich um Jean-Claude Fondy handeln. Das wenigstens vermutete der Butler. Er hätte es aber gern genau gewußt. Daher verließ auch er jetzt den Wagen und schritt gemessen zur Haupttür. Sie war zwar ver-schlossen, doch das focht den Butler überhaupt nicht an. Sein kleines Spezialbesteck schaffte das Türschloß innerhalb von zehn Sekunden. Dann trat er wie selbstverständlich ein und sah sich im Foyer des Apparte-menthauses um.

Hier war nicht gespart worden.

Man hatte die teuersten Materialien verwendet, Marmor, geschliffenes Glas, Chrom und schwere Wand-teppiche. Wer hier wohnte, wer hier ein Appartement besaß, der mußte über Geld verfügen.

Vom Foyer aus zweigte je ein Korridor nach rechts und links ab. Parker entschied sich erst mal für die lin-ke Seite und schritt die Wohnungstüren ab, aber es war leider so, wie er vermutet hatte. Es gab nur Bronze-nummern an den Wohnungstüren, Namen waren nicht vorhanden.

Dafür gab es aber nasse Trittspuren auf dem Teppich, mit dem die Korridore ausgelegt waren. Sie führten ihn geradewegs zu einer Tür, die sich am Ende des Korridors befand. Parker blieb dort stehen und war so indiskret, ungeniert zu horchen.

Die Tür mußte ungewöhnlich dick und schallsicher sein, denn es war nichts zu hören, noch nicht mal Mu-sik.

Da er sich kaum vorstellen konnte, daß man das Zylinderschloß zusätzlich abgesperrt hatte, benutzte der Butler einen kleinen Trick, um das an sich bruchsichere Schloß zu öffnen. Aus einer seiner vielen Westenta-schen zog er einen schmalen Plastikstreifen, der recht harmlos aussah. Mehr soll an dieser Stelle über den Trick an sich nicht gesagt werden, denn laut einer alten Spruchweisheit des Volkes verderben schlechte Ma-nieren gute Sitten.

Parker begab sich tatsächlich auf moralisches und rechtliches Glatteis, als er die Tür millimeterweise auf-drückte und sich in den Vorflur schob.

Amüsiertes Lachen war zu hören, leise Musik und dann ein Geräusch, knapp hinter Parker, der gerade eine Art Garderobenschrank passiert hatte.

Bevor der Butler eine Abwehrbewegung machen konnte, landete eine harte Handkante genau in seinem Genick.

*

»An Ihrer Stelle würde ich den Butler wechseln«, beschwerte sich Niki Caropoulos bei Mike Rander. »Der Bursche hat schlechte Manieren.«

»Er kopiert nur jeweils die, denen er begegnet«, antwortete der Anwalt ironisch, »aber wollen wir uns nicht lieber über den Killer unterhalten, den mein Butler hier in Kandersteg aufgespürt hat?«

»Hirngespinste«, wehrte Niki ab, »ich habe schon mit Baxter, Natway und Morgan gesprochen. Sie haben den Jungen bereits eine ganz schöne Angst eingejagt.«

»Die Sie nicht haben?« wunderte sich Rander. »Mein Butler erzählte mir von Ihrer Reaktion, als er Sie vom Hubschrauber abholte.«

»Das hat sich längst gelegt, Rander. Nett von Ihnen, daß Sie helfen wollen, aber zur Sorge besteht kein Anlaß.«

»Wie schön für Parker und mich«, meinte Rander, »dann brauchen wir uns also um Sie überhaupt nicht zu kümmern. Sie werden allein zurechtkommen?«

Statt zu antworten, nahm Niki eine kleine Wanderung durch Randers Wohnraum auf. Dann blieb er vor dem Anwalt stehen.

»Natürlich habe ich Angst«, räumte er jetzt ein, »wie meine drei Freunde. Von Delair, Mannister und La-tour ganz zu schweigen, die sich ja schon abgesetzt haben. Hundsgemeine Angst habe ich sogar.«

»Sie können sich also ebenfalls vorstellen, daß man einen Mörder auf Sie angesetzt hat?«

»Jeder von uns muß diese Angst haben.« Niki Caropoulos setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. »Unsere Geschäftsmethoden sind oft, sagen wir, hemdsärmelig. Da bleibt schon mal einer auf der Strecke, der sich rächen könnte.«

»In Ihrem Fall könnte das durchaus Prinz Mahmud sein, oder?«

»Theoretisch, Rander. Eigentlich traue ich ihm nicht zu, daß er einen Mörder kauft. Aber auf der anderen Seite, man weiß nie.«

»Sie hatten Streit miteinander? Oder wollen auch Sie nicht über die Gründe reden, warum Sie mit einem gekauften Mörder rechnen?«

»Im Grunde habe ich mir gar nichts vorzuwerfen«, erklärte Niki, »ich habe den Prinzen ein paarmal ausge-trickst, das ist alles.«

»Geschäftlich?«

»Und privat«, räumte Niki ein und lächelte in einer etwas widerwärtigen Art, die Rander nicht gefiel.

»Darf man Einzelheiten erfahren?«

»Na ja, es ging um eine Bohrlizenz, an der auch ich interessiert war. Mahmud konnte nicht rechtzeitig zur Ausschreibung kommen, denn seine Cessna mußte notlanden.«

»Mit anderen Worten, Sie sorgten für diese kleine Notlandung?« Rander paßte sich absichtlich dem mun-teren, harmlosen Tonfall seines Gegenübers an.

»Natürlich.« Niki lachte auf. »Mahmud saß drei Tage in der Wüste, bis man ihn fand.«

»Wie neckisch«, stellte Rander fest.

»Ideen muß man haben«, pflichtete Niki Caropoulos ihm fast dankbar bei. »Ich brauche wohl nicht zu be-tonen, daß ich die Lizenz bekam.«

»Natürlich nicht. Und die private Seite Ihres Ärgers mit ihm?«

»Naja. War reines Pech, daß bei dieser Bruchlandung seine Schwester, sagen wir, verletzt wurde.«

»Verletzt? Wie schwer?«

»Ein paar kleine Brandwunden und ein gebrochenes Bein.« Niki lachte nicht mehr, sein Gesicht hatte ei-nen nachdenklichen Ausdruck angenommen.

»Wie lange ist das her?« verlangte Rander zu wissen. Er hätte Niki am liebsten geohrfeigt und aus dem Zimmer gejagt, aber es ging ja nicht nur um diesen femininen Typ.

»Ein paar Monate. Warten Sie, das passierte vor genau dreieinhalb Monaten.«

»Haben der Prinz und Sie sich inzwischen gesehen oder gesprochen?«

»Nee, lieber nicht. Ich bin ihm aus dem Weg gegangen. Der Junge ist ja völlig humorlos. Er kann einfach nicht verstehen, daß es sich doch nur um einen Scherz handelte. Daß er so ausging, war nicht vorauszuse-hen.«

»Ersparen Sie mir einen Kommentar«, sagte Rander verächtlich, »ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.«

»Ich werde heute noch zurück nach Paris fliegen«, erwiderte Niki, »und Ihr Kommentar interessiert mich nicht, Rander. Ihnen bin ich keine Rechenschaft schuldig.«

»Dafür ist wahrscheinlich der Prinz zuständig«, gab Rander zurück, »und was Ihre Flucht anbetrifft, Car-opoulos, sehen Sie mal zum Fenster hinaus.«

Caropoulos sprang auf und trat an die Balkontür.

Er nagte an seiner Unterlippe, als er sich zu Rander umdrehte.

»Wir schneien ein«, sagte Rander fast genußvoll. »Flugverkehr ist ausgeschlossen. Bleibt nur die Straße. Und die wird der Mörder, wie ich ihn einschätze, genau überwachen. Schöne Tage in Kandersteg! Hoffent-lich überleben Sie den Urlaub, Caropoulos!«

Niki wollte aufbrausen, doch er bezwang sich.

Er ging steifbeinig zur Tür und prallte hier fast mit Vivi Carlson zusammen, die gerade hereinkam. Rück-sichtslos drückte er Vivi zur Seite und verschwand dann im Korridor.

»Von Manieren scheint er noch nichts gehört zu haben«, sagte Vivi, die Tür schließend.

»Angst läßt jede Erziehungstünche abbröckeln«, meinte Rander. »Ich glaube, wir wissen jetzt, auf wen Madson angesetzt worden ist.«

*

Parker nahm den Schlag hin, als sei er voll getroffen worden. Er ging in die Knie, allerdings ohne Verzicht auf Würde und Gemessenheit. Dann setzte er sich dekorativ an die Wand und hielt die Augen geschlossen. Er täuschte eine volle Ohnmacht vor.

Was nicht der Fall war, denn Parkers weißer Eckkragen verfügte über eine Spezialeinlage, die aus starkem Stahlblech bestand. Gewiß, der Kragen war so ein wenig unbequem, wenigstens für einen normalen Men-schen, da Parker sich aber stets steif und aufrecht hielt, tangierte ihn dieses Kleidungsstück kaum.

»Verdammt!« stöhnte über ihm eine Stimme.

Sie mußte nach Parkers Berechnung von dem Mann stammen, der ihm den Handkantenschlag appliziert hatte. Die Handkante litt jetzt unter der Berührung mit der Stahlblecheinlage.

»Was ist denn, Jean?« fragte Norma Caropoulos. Ihre Stimme war deutlich zu erkennen.

»Meine Hand«, stöhnte eine wohlklingende männliche Stimme. »Ich muß sie mir verstaucht haben.«

»Laß sehen, Jean.«

»Das ist jetzt nicht so wichtig«, erwiderte der Mann etwas unwillig. »Ist das der Butler, von dem du ge-sprochen hast?«

»Natürlich, Irrtum ausgeschlossen. Ich merkte, daß er mir mit seinem komischen Wagen folgte.«

»Für wen mag er arbeiten?«

»Das weiß ich nicht genau. Er ist aber mit einem angeblichen Londoner i, Anwalt zusammen. Und mit dessen Sekretärin.«

»Komm, wir bringen ihn in den Wohnraum!«

»Ich bedanke mich außerordentlich für Ihre geplanten Bemühungen«, erwiderte Parker in diesem Moment und stand ungemein leichtfüßig auf. »Ich möchte Sie keineswegs unnötig strapazieren. Ich möchte behaup-ten, daß ich mich in ausgezeichneter Verfassung befinde.«

Parker lüftete seine schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an.

Jean-Claude Fondy war einen Schritt zurückgewichen. Seine Hand massierend, starrte der den Butler entgeistert an. Norma Caropoulos lachte schon wieder amüsiert. Ihr Sinn für Humor schien sehr ausgeprägt zu sein. »Was wollen Sie hier?« fragte Fondy, der keineswegs lachte. »Mir ging es darum, Ihre Bekannt-schaft zu machen«, erklärte der Butler gemessen. »Wenn mich nicht alles täuscht, so klopfte ich an.«

»Ich weiß genau, daß die Tür einschnappte. Und von Anklopfen habe ich nichts gehört.«

»Lassen wir die Bagatelle, wenn ich ihn vorschlagen darf.« Parker ging voraus in den Wohnraum. »Miß Caropoulos hat Sie bereits informiert?«

»Ich kam nicht mehr dazu, Sie waren schneller.« Norma lächelte den Butler freundlich an.

»Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen die Vorgeschichte erzählen«, sagte Parker zu Fondy. »Sie betrifft einen professionellen Mörder, der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht als Winter-sportler in Kandersteg aufhält.«

»Was habe ich damit zu tun?« Jean-Claude Fondy massierte sich weiterhin die schmerzende Hand. Er lehnte sich gegen den Kamin und sah aus wie ein Südseepirat, der sich in den Schnee verirrt hat. Er war ein Mann, der auf Frauen wirkte, und wahrscheinlich wußte Fondy das auch sehr gut.

»Miß Caropoulos’ Bruder könnte möglicherweise das Opfer dieses Berufsmörders werden«, führte der Butler weiter aus. »Ich hoffe, daß Sie gebührend beeindruckt sind.«

Was nicht der Fall war.

Jean-Claude Fondy hob desinteressiert die Schultern, um dann zu Norma Caropoulos hinüberzusehen.

»Wer könnte ihm ans Leder wollen?« fragte Fondy seine Freundin.

»Prinz Mahmud«, erwiderte Norma nachdenklich. »Du weißt, ich habe dir von der Geschichte erzählt. Er hätte natürlich allen Grund, sich an Niki zu rächen.«

»Könnten Sie freundlicherweise mit Details aufwarten?« bat der Butler. Norma nickte und berichtete stichwortartig von dem Zwischenfall in der Wüste.

»Leidet die Schwester des Prinzen noch unter den Verletzungen?« fragte Parker, als Norma ihren Bericht beendet hatte.

»Und ob! Sie tut mir schrecklich leid.« Norma war ernst geworden. »Ihr Gesicht ist entstellt. Es sind Brandwunden, die auch durch kosmetische Operationen nicht zu retuschieren sind. Und dann hat sie ein verkürztes Bein.«

»Schrecklich«, kommentierte der Butler.

»Dafür würde ich ihn umbringen«, gestand Jean-Claude grimmig.

»Sie deuten bereits einen gewissen Unterschied an«, sagte der Butler, »Sie würden das wahrscheinlich selbst besorgen und auf das Engagement eines Berufsmörders verzichten.«

»Jetzt begreife ich, worauf Sie hinaus wollen«, rief Norma in diesem Moment aus. »Glauben Sie etwa, der Prinz würde einen Mörder bemühen? Ausgeschlossen! Sie kennen den Prinzen nicht. Er würde wie Jean-Claude handeln.«

*

»Ein Zweifel ist ausgeschlossen«, sagte Anwalt Rander etwa eine Stunde später, als Parker ihn aufgesucht hatte. »Prinz Mahmud hält sich zur Zeit in Rio auf. Und ebenso steht fest, daß Madson sich sehr wahr-scheinlich nach unseren drei Flüchtlingen erkundigt hat.«

»Ich habe mit dem Fräulein in der Telefonzentrale des Clubs gesprochen«, schaltete Vivi Carlson sich ein, »ein Unbekannter wollte nacheinander Delair, Mannister und Latour sprechen. Er bekam die Auskunft, daß sie den Club mit unbekanntem Ziel verlassen hätten.«

»Wie sieht es denn überhaupt mit unserem Killmaster aus?« erkundigte sich Rander bei seinem Butler.

»Nach meinen letzten Beobachtungen, Sir, befindet er sich nach wie vor in Kandersteg. Darf ich aber noch mal auf den anonymen Anruf im Club zurückkommen? Erkundigte sich der Anrufer speziell nach den gerade erwähnten drei Herren?«

»Nicht nur«, korrigierte sich Vivi lächelnd, »er fragte nach allen sieben Männern,«

»Wenn er noch hier ist, wird auch sein Opfer noch in Kandersteg sein«, meinte Rander.

»Darf ich fragen, Sir, wie sich die Herren Baxter, Natway, Morgan und Caropoulos verhalten?«

»Sie sind zu Eremiten geworden«, berichtete der Anwalt lächelnd. »Sie hocken in ihren Zimmern und trinken ausgiebig.«

»Erfreulich, daß die Skeleton-Wettkämpfe wegen der Witterung ausfallen«, bemerkte Parker.

»Sind die mutmaßlichen Opfer in ihren Zimmern wirklich sicher?« wollte Mike Rander wissen.

»In etwa.« Parker nickte gemessen. »Zur Zeit dürfte meine bescheidene Wenigkeit Priorität haben. Mister Madsons Unmut hinsichtlich meiner Person dürfte sich inzwischen noch gesteigert haben.«

*

Josuah Parker merkte sehr bald, daß er verfolgt wurde.

Er saß in seinem hochbeinigen Monstrum und fuhr zurück zum Chalet. Im Rückspiegel entdeckte er schon nach wenigen Minuten einen Peugeot, der ihm hartnäckig folgte. Am Steuer saß ein Mann, dessen Gesicht sich nicht ausmachen ließ. Er hatte sich den Kragen seines Coats hochgeschlagen und trug trotz des Schnee-treibens eine Sonnenbrille.

Es handelte sich weder um Madson noch um dessen Faktotum, wie Parker erkannte. Demnach hatte Madson also Verstärkung anfliegen lassen.

Daß er, Josuah Parker, auf der Mordliste ganz oben stand, konnte er sich ausrechnen. Ein Mann wie Mad-son war viel zu stolz, als daß er auf seine private Rache verzichtet hätte.

Parker ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.

Verfolgungen dieser Art war er gewohnt. Ja, er ging sogar davon aus, daß Madson sich wahrscheinlich nicht nur mit einer einzigen weiteren Hilfskraft begnügt hatte. Wahrscheinlich inszenierte er jetzt einen Großeinsatz.

Oder wurde das Chalet bereits zusätzlich überwacht? Vielleicht würde man versuchen, ihn in die Zange zu nehmen. Darauf galt es sich einzustellen.

Was Parker dann auch gründlich tat. Sein hochbeiniges Monstrum schoß plötzlich derart los, als habe Par-ker einen Raketentreibsatz gezündet. Dank der ausgezeichneten Nagelreifen, die sich auf den Felgen befan-den, blieb der Wagen ruhig und satt wie ein Brett auf der Straße, die trotz der Räumung noch recht glatt war.

Der Peugeot versuchte prompt aufzuholen, doch der Fahrer merkte schon nach knapp fünfzig Metern, daß er wie auf Schmierseife fuhr. Der Wagen schlitterte und rutschte von einer Straßenseite zur anderen. Auf der Straße gab es einfach keinen Halt.

Parker fegte in verwegenem Drift durch eine Kurve, deren Innenseite von einer hohen Schneewand be-grenzt wurde. Der Verfolger konnte ihn eine gewisse Zeit nicht mehr sehen. Parker riß seinen Wagen herum und ließ ihn dann geschickt, mit dem Heck voran, in eine Überholtasche rutschen.

Es dauerte nicht lange, bis der Peugeot erschien.

Der Fahrer schaute verbissen nach vorn. Er suchte Kontakt mit dem hochbeinigen Wagen, den er aus den Augen verloren hatte. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, nach rechts zu sehen. Das Schneetreiben begünstigte zudem noch den Trick des Butlers. Die Sicht war tatsächlich schlecht.

Der Peugeot verschwand im Schneetreiben.

Parker brachte seinen Wagen wieder vorsichtig auf die Straße. Gewiß, die Reifen drehten etwas durch, doch Parker war viel zu geschickt, um steckenzubleiben. Nachdem er die Straße wieder erreicht hatte, fuhr er gemessen weiter. Einen Verfolger hatte er zumindest abgeschüttelt.

In Kandersteg angekommen, ließ der Butler sein hochbeiniges Monstrum vor einem der vielen Hotels ste-hen und ging zu Fuß weiter. Auf Tarnung jeder Art konnte er leicht verzichten. Der Schnee hatte seine schwarze Butlerkleidung weiß gefärbt. Auf der schwarzen Melone saß ein Überzug von Schnee.

Gemessen schritt Parker hinauf zur Hangsiedlung, wo die Chalets standen. Er benutzte selbstverständlich schmale Wege, die von Autos nicht befahren werden konnten, beschrieb einen weiten Bogen und näherte sich nach etwa zwanzig Minuten von der oberen Hangseite aus den Häusern.

Hinter einer Tanne blieb er stehen und beobachtete das Chalet seines jungen Herrn.

Es zeigte sich, daß Parker richtig vermutet hatte.

Zuerst entdeckte er den bewußten Peugeot.

Er parkte in einer Seitenstraße. Ob der Fahrer am Steuer saß, ließ sich wegen des Schneetreibens nicht feststellen. Dann aber machte der Butler einen einzelnen Herrn aus, der Skidreß trug und Bretter geschultert hatte.

Dieser Mann stand etwas verloren in der Gegend, und zwar schräg gegenüber dem Chalet. Von seinem Standort aus konnte er den Aufgang und Eingang leicht unter Blick- und Schußkontrolle halten.

Parker bückte sich und formte einen kleinen Schneeball, den er mit der Wärme seiner Hände so lange formte, bis er etwa pflaumengroß war, und so hart wie ein Stück Eis.

Dann zog er die Gabelschleuder aus seiner Rocktasche, steckte sie zusammen und prüfte die Elastizität der beiden Gummistränge.

*

Der einsame Herr mit den Skibrettern auf der Schulter trampelte mit den Füßen im stetig wachsenden Schnee herum. Ihm war kalt geworden.

Plötzlich zuckte er zusammen, als sei er von einer Wespe gestochen worden.

Er warf unwillkürlich die Ski von der Schulter und faßte nach seiner linken Wange, die gehörig brannte.

Wie Feuer!

Er wußte genau, daß er von einem Eisbrocken getroffen worden war, doch er konnte nicht sagen, aus welcher Richtung dieses Geschoß gekommen war.

Mißtrauisch sah der mittelgroße, stämmige Mann sich um. Sein grobgeschnittenes Gesicht drückte totale Verblüffung und auch Schmerz aus.

Einige Sekunden später faßte er nach seiner Nase und stöhnte.

Ein unsichtbarer Fausthieb schien sein Riechorgan getroffen zu haben. Tränen schossen in seine Augen. Der Mann duckte sich und stieß einige unschöne Flüche aus. Mißtrauisch und nervös wie ein Tier in freier Wildbahn schaute er sich verstohlen nach allen Seiten um. Irgendwo mußte der Kerl doch stecken, der ihn mit Eis bewarf.

Doch weit und breit war nichts zu sehen.

Die Chalets duckten sich unter der wachsenden Schneelast, alle Fenster der umgebenden Häuser waren geschlossen.

Ein drittes Geschoß sauste heran.

Hart an der Stirn getroffen, ging der Mann erst mal in die Knie. Dann raffte er sich auf und setzte sich schleunigst ab. Er fingerte dabei immer wieder nach seiner Nase. Über seinem Schmerz vergaß er die Ski-bretter.

Der Stämmige lief hinaus auf die Straße und trabte bergab in Richtung Kandersteg. Ohne sich dabei um-zusehen, was er besser getan hätte.

Er war nämlich etwa dreißig Meter weit, als die Skier sich anschickten, ihn zu überholen. Sie hatten sich selbständig gemacht, wobei ihnen ein gewisser Parker geholfen hatte.

Die Bretter zischten heran und brachten den Laufrhythmus des Stämmigen außer Kontrolle. Die geboge-nen Spitzen bohrten sich in seine Fersen. Der Stämmige, von dieser Berührung völlig überrascht, verlor das Gleichgewicht und stolperte.

Die Schneeunterlage sorgte dafür, daß aus diesem Stolpern ein Eistanz wurde.

Der Stämmige absolvierte zuerst einen doppelten Rittberger, ging dann in einen waagerechten Flug über und krönte seine Kür mit der Todesspirale.

Seine Nase ungewollt als Kufe benutzend, donnerte der Stämmige dann über den steilen Weg hinunter nach Kandersteg, einem menschlichen Bob gleichend.

Es war sein persönliches Pech, daß die Straße stark gewunden war. Sie schlängelte sich nach unten und lud den menschlichen Bob jetzt zu einer scharfen Linkskurve ein.

Der Stämmige versuchte zu bremsen, doch seine Fahrt war zu groß. Er rauschte auf die Kurve zu, wollte sie nehmen und schaffte es nicht.

Schnee flog hoch, als der menschliche Bob durch die aufgetürmte Schneewand schoß und dann in der weißen Pracht steckenblieb. Nur seine zappelnden Beine waren noch zu sehen.

Parker nickte wohlgefällig.

Genau das hatte er beabsichtigt.

Er war sicher, daß dieser Mann vorerst ausfiel. Nach seiner rasanten Fahrt hatte er sicher mit einigen Kon-ditionsschwierigkeiten zu tun.

Der Peugeot tauchte auf.

Er schlitterte vorsichtig aus der Seitenstraße heraus und nahm Richtung auf die Kurve. Hier hielt der Wa-gen an. Der Fahrer stieg aus und organisierte ein Bergungsunternehmen.

Er zog und zerrte an den Beinen des Mannes, der im Schneewall verschwunden war. Er brauchte fast an-derthalb Minuten, bis er den Bobfahrer zu seinen Füßen hatte.

War der Zutritt zum Chalet damit frei?

Parker wußte es nicht mit letzter Sicherheit, ging aber davon aus, daß dem nicht so war. Als der Peugeot mit den beiden Wintersportlern im Schneetreiben verschwunden war, schritt Parker auf das Haus zu.

Er schien ahnungslos zu sein.

*

Paul Storn war mehr als nervös.

Er befand sich im Chalet.

Von einem Frontfenster aus hatte er die Rekordfahrt des menschlichen Bobs verfolgt. Gerade überquerte der Butler die Straße und hielt genau auf das Haus zu, ahnungslos und sich sicher fühlend.

Gewiß, von seinem Standort aus hätte Storn jetzt schießen können. Der Butler bot ein leichtes Ziel, doch Madson hatte ihm strikt verboten, die Schußwaffe einzusetzen. Madson wollte einen tödlichen Unfall! Ein offensichtlicher Mord hätte die eigentliche Aufgabe nur unnötig erschwert und die Polizei auf den Plan ge-rufen.

Storn wog das Schlaginstrument in seiner Hand.

Es bestand aus einem mit Lappen umwickelten Stuhlbein, das er aus dem Ferienhaus seines Chefs mitge-bracht hatte.

Damit wollte er den Butler niederschlagen. Später konnte man Parker dann hinaus in die Winterkälte schaffen und irgendwo erfrieren lassen. So etwas würde kaum Verdacht erregen.

Storn huschte in die Diele und verschwand in der Gästetoilette, deren Tür er spaltbreit geöffnet ließ. Jetzt waren die Schritte draußen schon deutlich zu hören. Parker mußte gleich die Haustür erreicht haben.

Der Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt.

Die Tür quietschte leise, als sie geöffnet wurde. Dann erspähte Storn durch den Spalt der Toilettentür den schwarzen Covercoat des Butlers und die Melone. Beide Kleidungsstücke füllten den schmalen Türspalt vollkommen aus.

Paul Storn sah seine einmalige Chance gekommen. Hier waren Lorbeeren zu verdienen! Er, das Faktotum Madsons, würde es schaffen, den berüchtigten Parker zu erledigen.

Weit holte er mit seinem Schlaginstrument aus, um es dann ungemein wuchtig auf die Melone niedersau-sen zu lassen. Daß dabei sein Unterarm automatisch durch den Türspalt und die sich dann öffnende Tür langte, war nur zu verständlich.

Doch dann brüllte Storn auf.

Was damit zusammenhing, daß sein Unterarm festgeklemmt wurde. Die Tür zeigte nämlich die Neigung zurück ins Schloß zu fallen. Und zwar mit großer Wucht. Der eingeklemmte Unterarm war bewegungslos geworden und schmerzte höllisch.

Storn hatte sich von dieser bösen Überraschung noch nicht ganz erholt, als die Tür plötzlich weit aufgeris-sen wurde.

»Ich bedaure außerordentlich, falls ich Ihnen Schaden zugefügt haben sollte«, entschuldigte sich der But-ler, der völlig unversehrt aussah.

»Au«, heulte Storn und hielt sich den schmerzenden Arm.

»Ich muß wohl davon ausgehen, daß Sie meine bescheidene Wenigkeit niederschlagen wollten«, redete der Butler weiter, »erfreulicherweise trafen sie nur leere Hüllen, die ich mit meinem Schirm vorausschickte.«

»Das war unfair!« stöhnte Storn in völliger Verkennung der Lage.

»Aber menschlich wohl verständlich«, sagte Parker. »Kommen Sie heraus! Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«

Sich den Unterarm haltend, verließ Storn sein Versteck. Er hockte stöhnend in einem Sessel, um den But-ler dann anklagend zu mustern.

»Gebrochen ist nichts«, stellte Parker nach flüchtiger Untersuchung fest. »Sie werden Mister Madson also auch weiterhin zu Diensten stehen können.«

»Wer ist Madson?« Storn tat dumm.

»Halten wir uns doch nicht mit den üblichen und zeitraubenden Vorspielen auf«, schlug der Butler vor. »Ich weiß, daß Sie für Madson arbeiten. Er wird über Ihr Versagen nicht gerade erfreut sein.«

»Nicht nur ich habe Pech gehabt«, entrutschte es Storn ungewollt.

»Sehr wahr«, stellte Josuah Parker fest. »Finden Sie nicht auch, daß Mister Madsons Stern langsam, aber unaufhaltbar sinkt?«

»Worauf wollen Sie raus, Parker?«

»Mister Madson wird hier in Kandersteg sein persönliches Cannae erleben.«

»Was?«

»Schon gut«, sagte Parker ablenkend, »nur ein Zitat. Ihnen ist doch klar, daß seine Firma in Sachen Mord bald den Konkurs anmelden muß, nicht wahr?«

»Wenn Sie sich bloß nicht täuschen«, fuhr Storn fort, »der bekommt, was er haben will.«

»Sehr wahr!« Parker nickte zustimmend. »Und Sie ebenfalls, wenn ich darauf aufmerksam machen darf.«

»Wieso?«

»Er wird Sie fallenlassen, wie die sprichwörtlich heiße Kartoffel.«

»Sagen Sie schon endlich, worauf Sie rauswollen!« Storn rieb sich den schmerzenden Arm und sah den Butler mißtrauisch-neugierig an.

»Information gegen Sicherheit«, schlug der Butler vor. »Wie viele Mitarbeiter hat Madson inzwischen hier zusammengezogen?«

»Ich soll meinen Chef verpfeifen?« Storn entrüstete sich sichtlich.

»Wer ist das geplante Opfer Madsons?« fragte der Butler weiter.

»Selbst wenn ich’s wüßte, würde ich kein Wort sagen, Parker«, antwortete Storn. »Ich weiß nur, daß es hier in Kandersteg herumläuft.«

»Und sich im Skeleton-Club aufhält, nicht wahr?«

»Möglich. Kann ich jetzt gehen, oder wollen Sie die Polizei rufen?«

»Aber auf keinen Fall, nichts liegt mir ferner. Sie können gehen.«

»Gehen? Da steckt doch was dahinter, oder?«

»Es ist Ihr Problem, sich mit Mister Madson auseinanderzusetzen. Er wird wahrscheinlich fragen, warum ich Sie habe gehenlassen.«

»Na und? Sie können mir doch gar nichts beweisen. Ich würde einfach alles abstreiten.«

»Natürlich. Aber falls Mister Madson einen zusätzlichen Beobachter am Haus postiert hat, wird dieser Mitarbeiter berichten, wie lange Sie sich bei mir aufgehalten haben. Sie wissen doch sehr gut, wie mißtrau-isch Mister Madson ist.«

»Er weiß, daß er sich auf mich verlassen kann.«

»Viel Glück«, meinte Parker und deutete höflich in Richtung Tür, »und meine besondere Empfehlung an Mister Madson. Mögen Sie, junger Mann, noch recht lange leben!«

Mit weichen Knien verließ Storn das Chalet. Er war sehr nachdenklich geworden, beschäftigte sich mit seiner zukünftigen Gesundheit und hatte das dumpfe Gefühl, daß sie äußerst gefährdet war.

*

»Sie haben doch nicht im Traum daran geglaubt, daß er reden würde«, sagte Rander, der von seinem But-ler angerufen worden war.

»Gewiß nicht, Sir«, antwortete der Butler. »Wie ich den jungen Mann einschätze, wird er seine Unterhal-tung mit meiner bescheidenen Person Wort für Wort wiedergeben.«

»Und? Was bezwecken Sie damit?«

»Mister Madson wird ihn umdrehen, wie es in der Fachsprache heißt. Der junge Mann wird mir Vorspie-len, er wolle seine Haut retten und Madson verkaufen. Er wird mir im Auftrag seines Chefs eine Falle stel-len.«

»Anzunehmen, Parker.«

»Damit läßt sich die Gelegenheit schaffen, die Gegner abzulenken. Ich brauche nämlich eine unkontrol-lierte Straße nach Spiez.«

»Um was aufzuziehen, Parker?«

»Mir geht es darum, das erste der vier möglichen Opfer aus Kandersteg herauszubringen, Sir. Nur auf die-se Art und Weise wird sich in Erfahrung bringen lassen, wer das eigentliche Opfer ist.«

»Verstanden. Sie wollen nacheinander Baxter, Natway, Morgan und Caropoulos abziehen. Solange Mad-son bleibt, befindet sein Opfer sich noch in Kandersteg.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Sie haben Madsons Mitarbeiter vergessen. Wir kennen sie nicht alle.

Madsons selbst wird bestimmt nicht aktiv werden. Das ist doch seine Arbeitsmethode, die Sie mir ge-schildert haben.«

»Er wird notwendigerweise aktiv werden müssen, Sir. Dann nämlich, wenn er über keinen Mitarbeiter mehr verfügt.«

»Und wie wollen Sie die ausschalten, Parker?«

»Mir schwebt vor, Sir, die Interessenten an meiner bescheidenen Person zu beschäftigen.«

»Habe ich es mir doch gedacht, Parker! Sie wollen sich noch mehr als bisher als Köder anbieten?«

»Dies, Sir, läßt sich wohl kaum umgehen.«

Parker wechselte noch einige Sätze mit seinem jungen Herrn, um dann aufzulegen. Ein Blick durch das Fenster bewies ihm, daß das Schneetreiben sich noch verstärkt hatte.

Parker wollte schon wieder vom Fenster zurücktreten, als eine Gruppe n, rodelnder Jungen und Mädchen ins er Blickfeld kam. Es handelte sich um insgesamt sechs Kinder im Alter zwischen zwölf und fünfzehn Jahren.

Aus einer plötzlichen Eingebung heraus trat Parker vor die Tür und bat die kleinen Wintersportler zu sich. Die Verhandlung, die er mit ihnen führte, dauerte nur wenige Minuten. Nachdem er den Jugendlichen einen handfesten Vorschuß gezahlt hatte, machten sie sich mit sehr viel Können und Schwung daran, ein Fließ-band für Schneemänner aufzulegen.

Parker sah einen Moment lang wohlwollend zu und suchte dann im Telefonbuch nach einer bestimmten Adresse, die er auch fand. Bei einem heimischen Hutmacher gab er dann eine ebenfalls präzise Bestellung auf.

Nach dem Telefonat überzeugte er sich davon, daß die Fließbandproduktion von Schneemännern rüstig voranschritt.

*

»Daraus läßt sich was machen.«

Madson hatte sich den Bericht seines Faktotums angehört und wanderte nachdenklich im immer noch pe-netrant riechenden Wohnraum umher.

»Sie werden auf sein Angebot eingehen, Paul«, redete Madson weiter. »Sie werden den Verräter spielen. Sie werden ihn in eine Falle locken.«

»Glauben Sie, Chef, daß er sich reinlegen läßt?«

»Die Neugier wird ihn unvorsichtig werden lassen«, antwortete der Killmaster, »ich kenne diese Typen doch.«

»Und was soll ich ihm auf die Nase binden?«

»Darüber später mehr. Haben wir ihn erst mal aus Kandersteg herausgelockt, können wir hier ungestört arbeiten. Das ist überhaupt die Lösung, Paul! Hier wird unser Auftrag erledigt, irgendwo wird Parker drauf-gehen. Zwei Fliegen mit einem Schlag!«

»Der Kerl ist listig wie ein Fuchs, Chef«, warnte Storn.

»Wennschon! Wir werden eben noch raffinierter sein, Paul.«

»Ist unser Objekt überhaupt noch in Kandersteg?« fragte Storn vorsichtig bei Madson an.

»Natürlich«, gab der Mann lächelnd zurück. »Sie wollen wieder mal auf den Busch klopfen, Paul?«

»Ist doch verständlich, Chef. Parker könnte die sieben Männer aus Kandersteg herausgeschmuggelt ha-ben.«

»Drei sind weg, Paul.« Madson sah sein Faktotum aufmerksam an. »Drei, Paul! Bleiben noch vier Männer, die auf dem Zeitungsfoto abgebildet waren. Einfache Rechnung, nicht wahr?«

»Sehr einfach, Chef. Und wenn die restlichen vier Typen auch weg sind?«

»Und wenn mich das überhaupt nicht interessieren würde?« reagierte Madson, ohne auf die Frage zu antworten.

»Dann wäre das Objekt vielleicht eine Frau?«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Weil Sie von Männern geredet haben.«

»Sie werden zu neugierig, Paul! Das habe ich nicht gern. Sie werden noch früh genug erfahren, wen wir im Visier haben, klar?«

Dann tat Madson etwas, das Storn leicht verwirrte.

Der Killmaster ging ans Telefon und rief den Skeleton-Club an. Laut und deutlich, damit Storn es hören konnte, erkundigte er sich nach den Herren Baxter, Natway, Morgan und Caropoulos. Er gab vor, von der Rennleitung des Skiclubs Adelboden zu sein.

»Na bitte«, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. »Alle vier sind noch oben im Club. Jetzt zufrieden, Paul?«

»Aber wenn Parker sie wegschafft, Chef, was dann?«

»Das würde ich umgehend erfahren, Paul.« Madson lächelte kühl. »Ich habe überall meine Leute. Einer paßt auf den anderen auf. Gutes System, nicht wahr?«

*

»Der erwartete Anruf wurde vor knapp fünfzehn Minuten getätigt«, sagte Josuah Parker.

Er war hinauf in den Club gefahren und befand sich im Wohnraum seines jungen Herrn. Vivi Carlson war ebenfalls anwesend und sah den Butler abwartend-gespannt an.

»Und wie sieht die Falle aus, die Madson Ihnen stellen will?« fragte der Anwalt.

»Paul Storn, wie der junge Mann heißt, möchte mich am Abend, genauer gesagt, um zweiundzwanzig Uhr, am Starthaus der Skeletonbahn sehen. Dort will er mir verraten, wer Madsons Opfer ist.«

»Sehr schön«, freute sich der Anwalt sichtlich. »Das ist nicht weit vom Clubhaus hier. Ich werde auf dem Plan sein.«

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mir erlauben, Ihnen einen anderen Vorschlag zu unterbreiten.«

»Ach nee. Sie wollen mich wieder mal ausbooten, wie?«

»Keineswegs, Sir! Aber vielleicht könnten Sie es übernehmen, Mister Baxter angeblich nach Spiez zu schaffen.«

»Angeblich?«

»In der Tat, Sir! Statt dieses Mister Baxter können Sie eine Puppe transportieren, während Baxter in Wirk-lichkeit hier in Kandersteg bleibt. An einem sicheren Ort, selbstverständlich.«

»Das könnte mich tatsächlich reizen«, sagte Rander sofort. »Madson wird die Straße nach Spiez überwa-chen lassen. Ganz klar.«

»Und wo wollen wir die vier Herren unterbringen, wenn sie Kandersteg zum Schein verlassen haben?« schaltete Vivi Carlson sich ein.

»Darüber habe ich mir bereits einige Gedanken gemacht«, gab der Butler würdevoll zurück. »Man muß sie selbstverständlich in einer Art Sammelunterkunft beherbergen, damit ihre Überwachung gewährleistet bleibt.«

»Okay. Welche Sammelunterkunft schwebt Ihnen da vor, Parker?«

»Eine kleine Almhütte, die ich allerdings nicht als sehr komfortabel bezeichnen möchte.«

»Wo liegt sie?« wollte Mike Rander wissen.

»Auf der Spitalmatte, Sir, eine reizvolle Zwischenstation auf dem Weg hinauf zum Gemmipaß.«

»Wie kommt Baxter dorthin?«

»Er wird sich sicherheitshalber zu Fuß hinaufbemühen müssen, Sir, damit kein Außenstehender per Zufall von ihm berichten kann.«

»Ob Baxter damit einverstanden ist, halte ich für sehr fraglich, Parker. Aber sprechen wir doch gleich mit ihm. Und mit den übrigen drei Leutchen. Schließlich sollen sie sich ja nacheinander in dieser Almhütte tref-fen.«

»Ich werde sie verständigen«, bot sich Vivi an. Als Rander zustimmend nickte, verließ sie sofort den Wohnraum. Sie kam nach wenigen Minuten zurück, doch sie brachte nur Baxter, Natway und Niki Carop-oulos mit.

»Mister Morgan hat vor wenigen Minuten das Hotel verlassen«, berichtete Vivi, deren Stimme etwas überrascht klang.

»Morgan hat sich abgesetzt«, stellte Baxter mit ironischem Lächeln fest. »Ihm ist der Boden zu heiß ge-worden, denke ich.«

»Kann ich verdammt verstehen«, schaltete sich Natway ein. »Ein dummes Gefühl, auf seinen etwaigen Mörder warten zu müssen.«

»Ist Ihnen bekannt, Mister Natway, welches Ziel er gewählt hat?« wollte Josuah Parker wissen.

»Er ist runter nach Spiez«, sagte Niki Caropoulos, der einen leicht angetrunkenen Eindruck machte. »Ich ahnte gleich, daß er aussteigen würde. Er ließ sich einen Leihwagen rauf zum Club kommen. Das habe ich unten in der Rezeption mitbekommen.«

»Hoffentlich läuft er nicht seinem Mörder in die Arme«, stellte Mike Rander betroffen fest.

»Ob hier oder unterwegs«, sagte Niki Caropoulos elegisch und rülpste diskret. »Entwischen können wir ihm ja doch nicht. Ich mache mir da keine Illusionen.«

*

Es war dunkel geworden.

Im Licht der Außenbeleuchtung des Clubgebäudes war Parkers hochbeiniges Monstrum zu sehen. Der Butler war ausgestiegen und hatte den Club betreten. Wenig später erschien Mike Rander und setzte sich ans Steuer des Wagens.

Im Außenlicht war er deutlich zu erkennen.

Er schien mit Parkers Privatwagen allerdings nicht gut zurechtzukommen.

Er steuerte den Wagen ziemlich umständlich um das langgestreckte Clubgebäude herum und setzte neben einem Seitenflügel zurück. Dabei verschätzte sich Rander, und um ein Haar hätte er mit dem Wagenheck das Gebäude angekratzt.

Nach einigen Schaltmanövern stand der Wagen endlich in Richtung Zufahrtsweg, allerdings derart dicht an der Hausmauer, daß kaum eine Hand dazwischen paßte.

Es war wohl ein Zufall, daß die hintere linke Wagentür sich in gleicher Höhe mit einem Seitenausgang be-fand, dessen Tür weit geöffnet war. Einem ungeschickten Fahrer konnte so etwas durchaus passieren. Aber es war sicher kein Zufall mehr, daß die Außenbeleuchtung hier am Seitenflügel mehr als mangelhaft war.

Rander stieg aus und benutzte dazu die freie rechte Wagentür. Parkers Wagen, ein ehemaliges Londoner Taxi, besaß selbstverständlich eine Rechtssteuerung.

Kurz danach erschien im Eingang zum Wirtschaftstrakt eine Gestalt, die sich zögernd und sehr vorsichtig nach allen Seiten umschaute. Dann ging diese Gestalt auf den hochbeinigen Wagen zu. Innerhalb weniger Sekunden war sie im Wagen verschwunden.

Rander setzte sich ans Steuer, ohne mit seinem Fahrgast auch nur ein Wort zu wechseln. Als er den Motor anließ, quollen aus dem Auspuff sagenhaft dicke und schwarze Rauchwolken. Sie verschwanden erst, als der hochbeinige Wagen langsam Fahrt aufnahm und sich der Hausecke näherte. Von hier aus wurde das Parker Monstrum auf die Zufahrtsstraße gelenkt und verschwand dann im leichten Schneetreiben.

*

Als das Telefon klingelte, hob Madison ab und meldete sich. Er hörte einen Moment zu und nickte dann. Er legte auf und wandte sich Paul Storn zu, der ihn fragend ansah.

»Eben war es noch Morgan, jetzt ist Baxter dazugekommen«, sagte er lächelnd. »Ihre Vermutung bestä-tigte sich, Paul. Man setzt sich nacheinander ab und bringt sich in Sicherheit. Jeder von ihnen scheint Dreck am Stecken zu haben.« an »Dann sind ja nur noch Natway und ad Caropoulos im Club«, sagte Storn.

»Genau, Paul.«

»Ihr Überwachungsdienst funktioniert erstklassig, Chef.«

»Perfektion ist alles, Paul. Man darf nichts dem Zufall überlassen.«

»Dann können wir bald unseren Auftrag erledigen, Chef?«

»Was tun wir denn sonst die ganze Zeit? Wir treiben unser Wild in die Falle.«

»Ich weiß inzwischen, daß Sie mir nie den Namen des Opfers nennen werden.«

»Okay, Paul. Was Sie nicht wissen, können Sie auch nicht verraten.«

»Sie glauben doch wohl nicht, daß die ich Parker etwas sagen würde, Chef?« Storns Stimme klang ent-rüstet.

»Sie sind doch kein Selbstmörder«, gab Madson zurück. »Und da Sie von Parker reden, der interessiert mich inzwischen mehr als unser Vertragsobjekt.«

»Ob es an der Skeletonbahn mit ihm klappen wird, Chef?«

»Natürlich. Er hat keine Chance. Schon jetzt stelle ich die Weichen, und wir haben noch gut anderthalb Stunden Zeit.«

»Kann ich denn wenigstens erfahren, wie viele Mitarbeiter Sie zusätzlich eingesetzt haben?«

»Sie werden sie zählen können, wenn sie Parkers Leiche umstehen, Paul. Dann gibt es keine Geheimnisse mehr!«

*

Mike Rander näherte sich Kandersteg.

Immer wieder hatte er sich vergewissert, ob er verfolgt wurde, doch dies schien nicht der Fall zu sein. Auf der nur teilweise geräumten Straße gab es kaum Verkehr. Ein Verfolger wäre ihm mit Sicherheit aufgefallen.

Parkers Gast im Fond des Wagens war übrigens eine Puppe. Eine jener Figuren, über die der Butler stets verfügte. Normalerweise zusammengerollt, ließen sich diese Puppen sehr leicht aufblasen und ankleiden. Baxter, der den Wagen angeblich bestiegen hatte, hatte ihn sofort wieder verlassen.

Nicht umsonst hatte der Anwalt sich so ungeschickt angestellt und hatte der hochbeinige Wagen des But-lers so dicht an der Hauswand und neben der geöffneten Tür gestanden. Baxter hatte beim Herausquellen der schwarzen Auspuffwolken die schlechten Sichtverhältnisse genutzt und war durch die geöffnete Tür zurück in den Club geschlüpft.

Mike Rander, der die Scheinwerfer aufgeblendet hatte, entdeckte plötzlich hinter einer scharfen Kehre das Flackerlicht eines Polizeifahrzeugs.

Er fühlte sich sofort alarmiert.

War das eine Falle des Mörders?

Madson war solch ein Trick durchaus zuzutrauen.

Rander verlangsamte das Tempo und fühlte nach seinem 38er, der griff- und schußbereit in der Schul-terhalfter steckte.

Das Fernlicht erfaßte inzwischen die Szene, die aber unmöglich gestellt sein konnte.

Zwei Polizeifahrzeuge standen am Straßenrand, der hier steil hinunter in eine kleine Schlucht abfiel. Dann war da noch ein Kranwagen, an dem herumhantiert wurde. Ein Polizist mit einem Signalstab in der Hand winkte Randers Fahrzeug ab.

Der Anwalt ließ das hochbeinige Monstrum bis an die Unfallstelle rollen und stoppte. Irgendwie ahnte Rander bereits, daß es sich um Morgan handeln mußte.

»Unfall?« erkundigte er sich bei dem Polizeibeamten.

»Ein Wagen ist von der Straße gerutscht und liegt unten in der Schlucht«, sagte der Beamte. »Wir bergen gerade den Fahrer.«

Mike Rander verließ sein Fahrzeug und ging nahe an die Unfallstelle heran.

Die Straßensicherung in der Form von leichten Seitenplanken war durchbrochen worden. Im Schnee er-kannte man Schleifspuren. Vom Kranwagen aus hatten sich zwei Beamte abgeseilt, wie Rander erfuhr.

Nach zehn Minuten wußte er mehr.

Der Tote, den man aus dem Wagen geborgen hatte, hieß Billy Morgan.

*

Die lange und steile Röhre der Skeletonbahn lag einsam und verlassen in der Dunkelheit, die nur von eini-gen spärlich brennenden Kontrollichtern erhellt wurde.

Das Schneetreiben war zwar schwächer geworden, doch die Sichtverhältnisse hatten sich kaum gebessert.

Parker sah sie kommen.

Es handelte sich um zwei Männer, stämmig, untersetzt. Einer von ihnen hinkte leicht, was den Schluß zu-ließ, daß er sich schon mal in der Rolle eines Bobs versucht hatte.

Parker kam dieser Mann irgendwie bekannt vor. Es mußte sich um jenen Skiläufer handeln, den er mit vereisten Schneebällen beschossen hatte. Der zweite Mann stammte sicher aus dem Peugeot, der die Verfol-gung dieses Eiskunstläufers und seine Rettung aus der Schneewand getätigt hatte.

Die beiden Männer, die eindeutig von Madson geschickt worden waren, suchten nach geeigneten Stand-orten, um den ihrer Meinung nach später kommenden Butler geschickt in die Zange nehmen zu können.

Der Hinkende, der verständlicherweise nicht gut zu Fuß war, entschied sich für das langgestreckte Holz-haus, in dem normalerweise die Skeletons untergebracht waren.

Der zweite Mann ging hinüber zum Starthaus, wo Parker sich mit Paul Storn treffen wollte. Er knackte das Schloß und schaute sich in dem kleinen, fast würfelförmigen Haus um.

Dann kam er wieder heraus und blieb entsetzt stehen.

Sein Partner warf gerade beide Arme hoch in die Luft und überschlug sich.

Er absolvierte einen derart gekonnten Salto, daß man ihn als reifen Zirkustrick bezeichnen konnte.

Ein feines Zischen ließ den Entsetzten und Verblüfften herumwirbeln.

Dann sah er es, und seine Augen weiteten sich bis zur Größe einer Mokka-Untertasse.

Ein Eisstock zischte genau auf ihn zu.

Es handelte sich um einen runden, abgeplatteten Stein, der gut und gern seine zwanzig Kilo wog. Ein Ge-rät, wie es beim Curlingsport oder Eisstockschießen verwendet wird.

Mittels eines Griffes, der im Stein eingelassen ist, werden solche Eisstöcke mit viel Schwung und Können auf eine Eisbahn gesetzt, in der stillen Hoffnung, daß sie das Ziel treffen. Teams spielen gegeneinander und versuchen, die Eisstöcke ihrer Gegner wegzukicken. Erfahrung und Kraft spielen dabei eine große Rolle, wie sich auch hier zeigte. Parker verfügte nämlich über die erforderlichen Fähigkeiten, denn er hatte sowohl den ersten als auch den zweiten Eisstock auf die abschüssige Bahn des Skeletonlaufs gebracht. Er hatte sich die-se Geräte und andere von einem Sportartikelgeschäft n, hinauf ins Chalet bringen lassen. Und er hatte sie dann mit hinaus zur Eisröhre gebracht.

Nicht ohne Absicht, wie sich bereits in einem Fall gezeigt hatte. Doch auch im zweiten Fall blieb ihm der Erfolg nicht versagt. Der Mann mit den kreisrund und weit geöffneten Augen wollte im letzten Moment noch ausweichen. Er sprang hoch, aber eben nicht hoch genug.

Sein Salto war daraufhin fast noch gekonnter als der seines Partners. Der Mann flog durch die Luft und blieb benommen liegen. Als er Schritte hörte, sich, aufrichtete und nach der Waffe greifen wollte, traf ein Schneeball sein Gesicht.

Er verlor die Übersicht und rutschte – zurück. Dann traf ihn ein gutdosierter Schlag auf den Hinterkopf.

Der erste Wintersportler dachte nur an Rettung und Flucht. Er robbte durch den Schnee. Sein Ziel war das langgestreckte Holzhaus. Das er allerdings nicht mehr erreichte.

Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms klopfte der Butler energisch gegen die tiefgezogene Dachtraufe dieser Holzbaracke und löste damit gezielt eine kleine Lawine aus.

Die Last eines bereits überhängenden Schneebretts löste sich vom schrägen Dach und donnerte auf den Robbenden herunter. Ein erstickter Aufschrei, und der Mann war plötzlich verschwunden! Parker blieb si-cherheitshalber erst mal an der Ecke der Holzbaracke stehen. Er wußte nicht mit letzter Konsequenz, ob er es nur mit zwei Gegnern zu tun hatte, sagte sich allerdings, daß es Madson unmöglich gewesen sein mußte, mehr als zwei weitere Mitarbeiter nach Kandersteg zu beordern. Die Mehrzahl seiner Mitarbeiter hielt sich schließlich in den Staaten auf.

Nun, Parker fand seine Vermutung bestätigt.

Weitere »Hilfstruppen« erschienen nicht auf der Bildfläche. Nun brauchte er nur noch auf Paul Storn zu warten, dann konnte von ihm aus das private Rennen durch die Eisröhre beginnen.

*

»Morgan tot?«

Baxter schluckte und ließ sich in einen Sessel fallen. Seine Bestürzung war echt.

»Dann sind wir also aus dem Schneider«, stellte Niki Caropoulos fest und nahm einen Schluck aus dem Glas.

»Du bist einfach widerlich«, fauchte Natway den Trinkenden an, doch Caropoulos zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt. Er grinste ein wenig töricht.

»Ich bin Realist«, sagte er mit schwerer Zunge. »Dieser Killer hat sein Opfer gefunden. Tut bloß nicht so, als ob ihr euch nicht insgeheim freuen würdet! Ich zeig’s wenigstens.«

Die drei Männer befanden sich in Randers Wohnraum. Der Anwalt, der vor wenigen Minuten zurück ins Clubhaus gekommen war, hatte gerade Bericht erstattet.

»So sicher wie Sie, Caropoulos, wäre ich an Ihrer Stelle nicht«, meinte Rander. »Die Polizei spricht von einem Unfall«

»Na und? Haben Sie uns nicht gesagt, daß dieser Killer mit der Unfallmasche arbeitet?« Caropoulos setzte das Glas ab und sah den Anwalt etwas unsicher an.

»Und wenn es sich um einen wirklichen Unfall gehandelt hat?« fragte Rander.

»Also durchaus noch nicht aus dem Schneider«, stellte Natway fest und sah Caropoulos fast erfreut an.

»Davon sollte man wohl ausgehen«, warnte Rander. »Meine Fahrt nach Spiez hat nichts erbracht. Ich bin ganz eindeutig nicht verfolgt worden.«

»Dann scheidet Baxter als mögliches Opfer aus«, sagte Natway.

»Schön wär’s«, meinte Baxter aufseufzend, um sich dann an Rander zu wenden. »Wo steckt eigentlich Ihr Wunderknabe, dieser Butler?«

»Sehr lahm, der Knabe«, stellte Caropoulos brabbelnd fest. »Scheint sich vor Angst verkrochen zu haben, wie?«

»Wann kann ich endlich rauf in die Almhütte?« wollte Baxter wissen. »Nach dem Umsteigetrick will ich mich endlich etwas sicher fühlen.«

»Und wann komme ich an die Reihe, angeblich nach Spiez gebracht zu werden?« verlangte Natway zu wissen.

Rander sah zu Caropoulos hinüber, der aber inzwischen eingeschlafen war und leise schnarchte.

»Sobald Parker zurück ist«, antwortete Rander. »Er ist gerade damit beschäftigt, die Reihen Ihrer Mörder zu lichten, meine Herren. Madson allein ist besser zu bewachen!«

*

»Meine bescheidenen Vorstellungen sind sehr einfach in die Tat umzusetzen«, sagte Josuah Parker zu den drei Männern, die mit mehr oder weniger hängenden Köpfen vor ihm standen. »Ich möchte Sie nur bitten, sich ein wenig sportlich zu betätigen.«

Paul Storn, der dritte Mann im Bund, ließ den Kopf noch tiefer hängen.

Er ärgerte sich schon gar nicht mehr darüber, daß auch er in Parkers Falle gegangen war.

Pünktlich um zweiundzwanzig Uhr hatte er sich an der Skeletonbahn eingefunden, in der stillen Hoff-nung, daß Parker jetzt endlich ausgeschaltet worden war.

Doch es war anders gekommen.

Parker hatte auch ihn abgefangen.

Ein Eisstock hatte Storns Beine erwischt und ihn zu Fall gebracht. Gegen Parker schien einfach kein Kraut gewachsen zu sein.

»Ich bitte, sich bedienen zu wollen!« Parker deutete mit der Spitze eines erbeuteten Revolvers auf die di-versen Plastikschalen, die an der Wand der Holzhütte lagen. Es handelte sich dabei um die moderne Version von Rodelschlitten.

Der Mann, der den ersten Salto absolviert hatte, ließ sich nicht lange bitten. Er griff nach einer Plastik-schale und hoffte, auf diese Art und Weise Parker zu entwischen.

»Bemessen Sie den Schwung nicht zu knapp«, mahnte der Butler den Sportler wider Willen. »Ich müßte Sie sonst zusätzlich etwas anfeuern.«

Die Waffe in seiner Hand redete eine deutliche Sprache.

Der Mann hielt sich die Plastikschale vor den Leib und trabte an. Dabei schielte er auf Parkers Revolver und entwickelte ein erstaunliches Tempo. Als er den steil abfallenden Beginn der Skeletonbahn erreicht hat-te, warf er sich samt Plastikschale auf den Bauch.

Es war schon recht erstaunlich, wie rasant er lospreschte.

Die Plastikschale erwies sich als idealer Rodelschlitten. Der Mann zischte durch den aufstäubenden Schnee und donnerte auf die erste Kurve los. Dann entschwand er bereits Parkers Blicken.

»Der nächste Herr, wenn ich höflichst bitten darf!«

Der zweite Mann tat es seinem Partner nach.

Nach kräftigem Anlauf verschwand auch er auf dem Plastikgerät steil nach unten.

»Nun zu uns, Mister Storn.« Parker wandte sich an Madsons Faktotum.

»Wenn Sie sich beeilen, sind Sie vielleicht noch in der Lage, Ihre Vorgänger zu erreichen.«

»Was bezwecken Sie damit?« wollte Storn wissen, der sich seine Gedanken machte. Er zögerte seinen Start etwas hinaus.

»Es ist meine erklärte Absicht, Sie von Mister Madson zu separieren.«

»Das verstehe ich nicht, Mister Parker! Wenn wir unten sind, können wir doch … Oder kommen wir gar nicht an?«

»Lassen Sie sich überraschen«, sagte Parker höflich.

»Sie wollen uns umbringen«, ächzte Storn.

»Keineswegs! Nur ein wenig außer Gefecht setzen.«

»Aber wieso denn? Wenn wir unten ankommen, können wir doch … sind wir doch frei?«

»Möglicherweise. Darf ich jetzt um Ihren Start bitten?«

Storn griff nach einer Plastikschale und lief zögernd an.

»Etwas energischer, Mister Storn!

Enttäuschen Sie nicht einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann!«

Zusätzlich zu seiner Ermunterung hob Parker die Mündung der Schußwaffe an. Storn nahm Schnelligkeit auf und rannte zum Startobjekt. Dann warf er sich samt Plastikschale auf den Bauch und jagte in die Eis-röhre. Schon nach wenigen Sekunden ging in ihm auf, was ihn erwartete. Die Plastikschale entwickelte eine tolle Geschwindigkeit und raste auf die erste Steilkurve zu.

Storn hörte sich schreien, als die meterhohe Wand förmlich auf ihn zusprang.

Er versuchte zu steuern, die Schale und sich unter Kontrolle zu bringen, doch bevor er überhaupt reagieren konnte, flitzte er durch die Kurve und donnerte weiter nach unten. Genau auf die große Todeskurve zu, wie sie von den Skeletonfahrern etwas übertrieben bezeichnet wurde.

Josuah Parker hatte sich vom Start abgewandt und betrat das Zeitnehmerhäuschen. Er griff nach dem Hö-rer des Telefons und wählte die Nummer des örtlichen Bergrettungsdienstes.

Die Meldung, die er dann durchgab, fiel knapp, dafür aber sehr präzise aus.

*

Madson schlenderte durch die Hauptstraße von Kandersteg und sondierte die Lage. Seiner Schätzung nach wurde Josuah Parker jetzt nach den Regeln seiner Branche behandelt. Madson war fest davon über-zeugt, daß der Butler diesmal keine Chance hatte.

Der Killmaster betrat ein Lokal, das in der Form einer Tenne eingerichtet war.

Es herrschte ausgelassene Stimmung.

Die Wintersportler drängten sich dicht in diesem Lokal. Ein Barsextett lieferte Musik zum Mitsingen und Tanzen. Vor lauter Lärm konnte man kaum sein eigenes Wort verstehen.

Madson erwischte einen freien Platz weit hinten an der Theke und wartete auf die Rückkehr seiner Leute. Er bestellte einen leichten Drink und musterte die Gäste.

Natürlich erkannte er Norma Caropoulos auf den ersten Blick, doch sein Blick glitt über sie hinweg. Sie saß zusammen mit einem ungewöhnlich gutaussehenden jungen Mann in einer Nische und lachte gerade amüsiert.

Er wußte, daß sie die Schwester jenes Caropoulos war, der auf dem Zeitungsfoto abgebildet war. Madson dachte an das Objekt, das er laut Spezialvertrag erledigen sollte. Wenn Parker nicht mehr stören konnte, war der Weg frei für diese Arbeit.

Sie war nicht besonders schwer.

Madson hatte schon schwierigere Aufträge erledigt, die außerdem niedriger bezahlt worden waren. Hier in Kandersteg jedoch winkte ein kleines Vermögen. Er brauchte nur noch zuzugreifen.

Der Killmaster lächelte in sich hinein. Übrigens dünn und kalt, wie es seiner Art entsprach. Er dachte an Paul Storns Neugierde und daran, wie gut er das eigentliche Opfer abgeschirmt hatte. Nur er allein kannte es!

Und nur er allein würde je wissen, wen er im Visier gehabt hatte. Für Storn und alle übrigen Fragesteller würde er einige Ablenkungsmanöver einbauen. Seine Mitarbeiter mußten im ungewissen bleiben.

Trotz des Lärms, der in der Tenne herrschte, hörte Madson plötzlich die Martinshörner einiger Rettungs- und Polizeiwagen.

Parker!

Es hatte ihn also erwischt.

Madson bezahlte seinen Drink und schob sich durch die Menge zum Ausgang. Er wußte, wo er die An-kunft Parkers aus nächster Nähe beobachten konnte.

Vor der Polizeistation.

*

»Hoffentlich haben Sie nicht übertrieben«, sagte Rander skeptisch. »Die Typen sind immerhin keine er-fahrenen Wintersportler.«

»Aber potentielle Mörder«, antwortete der Butler, der ins Clubhaus zurückgekommen war. »Doch ich möchte Sie beruhigen, Sir. Die Eisröhre ist zu beiden Seiten durch Mattenwände gesichert.«

»Warten wir’s ab! Sie glauben, daß Madson jetzt selbst aktiv werden muß?«

»Davon gingen meine bescheidenen Überlegungen aus, Sir. Falls die drei Herren jetzt ausfallen sollten, verfügt Mister Madson über keine Hilfskräfte mehr.«

»Ihre Rechnung könnte tatsächlich aufgehen, Parker. Außer Storn wird er wohl nur noch zwei Hilfskräfte eingesetzt haben.«

Bevor der Butler antworten konnte, erschien Vivi Carlson, die von Baxter begleitet wurde. Beide machten einen aufgeregten Eindruck.

»Niki ist verschwunden!« rief Baxter. »Ich war gerade in seinem Zimmer.«

»Er hat den Club verlassen«, fügte Vivi hinzu. »Ich habe es unten an der Rezeption erfahren.«

»Ist der Mann lebensmüde?« fragte Rander überrascht und sah den Butler an.

»Er ist stockbetrunken«, präzisierte Baxter. »Was sollen wir jetzt machen?«

»Man wird sich wohl um ihn kümmern müssen«, entschied Rander.

»Wenn Sie erlauben, Sir, mache ich mich sofort auf den Weg. Bei dieser Gelegenheit werde ich Erkundi-gungen darüber einziehen, wie die nächtliche Wettfahrt auf der Skeletonbahn ausgegangen ist.«

*

Der Krankenwagen fuhr an der Polizeistation vorbei, aber die beiden Jeeps der Polizei hielten an.

Madson schob sich an einen der aussteigenden Beamten heran und erkundigte sich nach dem Sinn und Zweck des nächtlichen Einsatzes.

»Ist was passiert?« fragte er, bereit umgeben von einer Gruppe neugieriger Passanten und Sportler.

»Und ob! Sagenhaft«, sagte der Beamte in breitem Schwyzer-Dütsch und lachte unwillkürlich. »So was haben wir hier noch nie gehabt.«

»Was ist passiert?« drängte Madson, der von einer unerklärlichen Nervosität befallen wurde. »Drei Män-ner haben eine Wettfahrt auf der Skeletonbahn riskiert«, berichtete der Beamte fast genüßlich und lachte breit. »Auf Rodelschalen.«

»Und?« Madson ahnte Schreckliches und hielt es vor Spannung kaum noch aus.

»Einer von ihnen hing auf einem Baumast. Beinbruch. Der zweite Mann hatte sich um einen Fahnenmast am Ziel gewickelt. Armbruch.«

»Und der dritte?« Madson holte tief Luft.

»Klebte an einer Sicherungsmatte er mitten auf der Strecke«, berichtete der Beamte launisch weiter. »Er muß vom Kurs abgekommen sein.«

»Was ist ihm passiert?«

»Einige Verstauchungen. Er schrie wie am Spieß.«

»Wie haben Sie das alles bemerkt?« stellte Madson hastig seine nächste Frage.

»Durch einen anonymen Anruf«, lautete die Auskunft des Beamten. »So ein bodenloser Leichtsinn! Aber wir haben Blutproben angeordnet. So was machen doch nur Betrunkene.« Madson war wie betäubt.

Weitere Einzelheiten brauchte er nicht mehr. Sein perfekt ausgedachter Anschlag auf den Butler war also wieder mal fehlgeschlagen, und seine drei Mitarbeiter hier in Kandersteg fielen aus. Das bedeutete für ihn, daß er selbst tätig werden mußte, worauf er gar nicht sonderlich erpicht war. Er drehte sich noch mal zu dem Beamten um, der von neugierigen Passanten mit Fragen überschüttet wurde.

»Wo sind die Männer jetzt?«

»Beim Notarzt natürlich. Ohne ’ne Menge Gips kommen die drei Burschen nicht davon.« sei Madson ging nachdenklich zur Hauptstraße zurück. Er überlegte krampfhaft.

War jetzt nach diesem Zwischenfall nicht die geeignete Zeit, das Zielobjekt zu erledigen? Parker konnte nicht überall sein.

*

Parker war gespannte Aufmerksamkeit.

Er befand sich etwa dreißig Meter hinter Niki Caropoulos, der leicht über die Hauptstraße torkelte. Er rempelte unterwegs einige Passanten an, brabbelte Entschuldigungen und ahnte nicht, daß er Madson direkt in die Arme lief.

Der Butler hatte den Killmaster längst ausgemacht.

Madson kam Caropoulos genau entgegen.

Der Butler verschwand in einem Hausflur, hob aber sicherheitshalber seinen Universal-Regenschirm an. Er war bereit, sofort zu schießen.

Doch die beiden Männer passierten sich.

Madson drehte sich noch nicht mal nach Caropoulos um, sondern verschwand in einer Seitenstraße.

Caropoulos hingegen betrat ein Nachtlokal, das auch nach außen hin wie eine dörfliche Tenne aussah. Parker mußte sich entscheiden. Sollte er in Caropoulos’ Nähe bleiben? Oder war es richtiger, den Killmaster zu verfolgen?

Parker wurde einer Entscheidung enthoben.

Die Tür zur Tenne öffnete sich bereits wieder.

Niki Caropoulos flog in gestreckter Flugbahn hinaus auf die Straße und landete kopfüber in einem Schneehaufen. Er blieb einen Moment stecken, raffte sich dann mit zappelnden Beinen auf und sah sich dem derzeitigen Freund seiner Schwester gegenüber.

Jean-Claude Fondy war nicht allein.

Mit ihm herausgekommen war Nikis Schwester Norma. Sie stand dicht hinter Fondy und sah auf ihren Bruder hinunter, der sich zu erheben versuchte.

»Nehmen Sie doch Vernunft an, Niki«, sagte Fondy begütigend. »Gehen Sie nach Hause! Sie sind ja vollkommen betrunken.«

»Laß mich endlich in Ruhe! Ich brauche keinen Vormund«, schrie Norma ihren Bruder unbeherrscht an. Sie kümmerte sich nicht darum, daß sich die ersten Neugierigen einfanden und interessiert zuhörten.

»Sie sin’ doch nur hinterm Geld her«, brabbelte Niki, »meine Schwester interessiert Sie doch einen Dreck, oder?«

»Reden Sie nur weiter, wenn Sie sich noch ein paar Ohrfeigen einfangen wollen«, sagte Fondy ruhig.

»Scher dich zum Teufel, Niki!« brauste Norma auf. »Du gehst mir auf die Nerven! Komm, Jean! Gehen wir wenigstens.«

Sie hakte sich bei Fondy ein und zog ihn weg. Niki rieb sich die linke Wange und schaute seiner Schwes-ter und Fondy nach. Dann wandte er sich ab und lief dem Butler direkt in die Arme.

»Der Wagen, Sir«, behauptete Parker. Er griff nach Nikis Arm. Kraftvoll und unnachgiebig. Caropoulos stöhnte, aber er riskierte keinen weiteren Skandal. Er ließ sich von dem Butler widerstandslos abführen.

»Ich darf davon ausgehen, Mister Caropoulos, daß Sie den Freund Ihrer Schwester nicht sonderlich mö-gen?«

»Eine stinkende Hyäne ist das! Er will doch nur ihr Geld. Aber sie begreift das nicht.«

»Ich bringe Sie zurück in den Club. Denken Sie an den möglichen Mörder!«

»Darauf pfeif ich«, brabbelte Caropoulos, »ich laß mich nicht länger unter Verschluß halten. Den Mörder, den gibt es doch gar nicht.«

»An Ihrer Stelle wäre ich da nicht so sicher.«

Während sie miteinander redeten, steuerte der Butler einen Taxistand an und verfrachtete Caropoulos im Wagen. Er nannte die Clubadresse und schärfte dem Fahrer ein, unterwegs nicht anzuhalten.

Parker sah dem davonfahrenden Taxi nach und widmete sich in Gedanken dann wieder dem Killmaster. Und Morgan, der einen tödlichen Unfall erlitten hatte.

Hatte Madson bereits zugeschlagen? Das war die Frage! Hatte der Berufsmörder bereits seinen Auftrag erledigt? Bestand für Caropoulos, Baxter und Natway keine Gefahr mehr? Konnte er darauf verzichten, sie hinauf in die Almhütte zu schicken?

Parker wußte selbstverständlich längst, was mit den drei unfreiwilligen Skeletonfahrern geschehen war. Er machte sich keine Gewissensbisse. Er hatte drei potentielle Mörder ausgeschaltet und hinderte sie daran, vorerst weiter tätig zu werden.

Es gab noch eine andere Möglichkeit.

Morgan war von Madsons Leuten umgebracht worden, um ihn, Parker, abzulenken und sicher zu machen.

Die Lage war noch längst nicht geklärt, alles blieb offen.

*

»Sie wollen noch weg, Chef?«

Paul Storn drehte nur sehr vorsichtig den Kopf zu Madson um, der in den Fuchsfellmantel schlüpfte. Storn fühlte sich hundeelend, was nicht nur mit seinen ausgiebigen Verstauchungen zusammenhing. Viel schlimmer noch war die Tatsache, daß Madson ihm kaum Vorwürfe wegen der Parker-Panne gemacht hatte. Das hatte ihn stutzig, nervös und ängstlich werden lassen.

Konnte das bedeuten, daß Madson sich von ihm trennen wollte? Wie solch eine Trennung aussah, wußte Storn. Wenn Madson einen Mitarbeiter abservierte, dann war ein harmlos und zwangsläufig tödlich ausge-hender Unfall die Folge.

»Ich bin ja nicht allein von ihm reingelegt worden«, entschuldigte sich Storn noch mal. »Zwei von Ihren Leuten liegen in Gips.«

»Schon gut, Paul«, sagte Madson kühl. »Jetzt werde ich die Sache in die Hand nehmen.«

»Und was geschieht mit mir, Chef?«

»Jeder kann Pech haben«, erwiderte Madson gleichgültig, »man lernt nur aus Erfahrung.«

»Ich werde mir bestimmt Mühe geben«, versprach Storn. »Soll ich mitkommen?«

Statt zu antworten, sah Madson sein Faktotum fast verächtlich an. Und es war dieser Blick, der Storn dann wenig später einen wichtigen Entschluß fassen ließ.

*

Madson pirschte sich an das Chalet heran.

Durch die geschlossenen Blendläden des Hauses schimmerte Licht. Parker war also zu Hause.

Madson zog seine Pistole und schraubte einen Schalldämpfer auf. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Ge-wohnheiten wollte er schießen und den Butler dann anschließend wegschaffen. Irgendwohin in die ver-schneite Bergwelt. Sollte man ihn später, irgendwann im Frühjahr finden, dann war er, Madson, längst wie-der drüben in den Staaten. Nichts würde darauf hindeuten, daß er der Täter gewesen war.

Madson war durch Parkers Trickserie total verunsichert worden. Noch nie in seiner bisherigen Arbeit war er derart beschäftigt und abgelenkt worden. Jetzt mußte mit letzter Gründlichkeit gehandelt werden.

Madson hatte das Chalet erreicht und blieb betroffen stehen.

In der Dunkelheit war Parker deutlich zu erkennen. Unverkennbar die Melone und der Regenschirm. Par-ker stand unbeweglich im Vorgarten und sah zu ihm auf die Straße herunter.

Madson duckte sich und feuerte ruhig seinen Schuß ab.

Es ploppte erwartungsgemäß, dann war ein seltsam zischendes Geräusch zu hören.

Doch Parker stand nach wie vor auf dem Fleck. Im sehr schwachen Büchsenlicht war das immerhin noch genau auszumachen.

Madson schnaufte ein wenig und pirschte sich dann näher an sein Opfer heran, bis er plötzlich sehr be-troffen stehenblieb.

Er hatte nichts anderes als einen Schneemann angeschossen. Nur einen Schneemann.

Überraschenderweise war dieser Schneemann schwarz eingesprüht worden. In der Dunkelheit war die Tarnung fast perfekt.

Madson preßte die Lippen zusammen und schlich sich an die Auffahrt zum Chalet heran.

Richtig, dort stand der hochbeinige Wagen.

Und daneben, unverkennbar, der Butler.

Es ploppte diskret, als Madson seinen nächsten Schuß abfeuerte.

Diesmal mußte es ein Volltreffer sein.

Nun, Madsons Ziel verlor den Kopf. Sehr nachdrücklich sogar, denn dieser Kopf spritzte förmlich ausei-nander, die Melone wurde durch die Luft gewirbelt, doch der Rumpf blieb eisern stehen.

Wieder ein Schneemann!

Madson hüstelte nervös.

Er fühlte sich auf den Arm genommen. Er wußte, daß Parker ihn erneut hereinlegte.

Madson lief ziemlich ungeniert die Auffahrt hoch und duckte sich blitzschnell.

An der Hausecke war wieder ein Parker zu sehen.

Ein Schneemann?

Die Schwärze der Kleidung war mit Neuschnee überzuckert und bestäubt. Madson schoß.

Parker blieb regungslos und völlig unbeeindruckt stehen. Der Volltreffer machte ihm überhaupt nichts aus.

Madson spürte die ersten Schweißtropfen auf der Stirn. Wieder hereingelegt worden! Wie viele Schnee-männer á la Parker befanden sich denn noch im Garten?

Madson traute sich weiter hinein. Dann sah er sich einer wahren Parade von Schneemännern gegenüber. Sie alle trugen Melonen und Regenschirme. Sie alle sahen im schwachen Licht peinlich echt aus.

War der lebendige Parker darunter? Madson verlor die Nerven.

Er schoß einen Schneemann nach dem anderen ab. Die weiße Pracht spritzte und stäubte, Melonen wir-belten durch die Luft, Regenschirme flogen umher.

Madson wartete hoffnungsvoll auf einen Aufschrei oder auf ein Stöhnen. Nichts!

Ruhig blieb die Nacht. Im Gegensatz zu seinen Nerven. Die flatterten nämlich wie Fahnen im Wind.

Madson ergriff die Flucht. Die Parade der stummen, zwar etwas leicht lädierten Schneemänner im Par-ker-Look beängstigte ihn. Wer garantierte ihm, daß Parker nicht plötzlich erschien, daß nicht einer dieser Schneemänner sich in Bewegung setzte?

Als er zurück zur Straße hastete, traf ein harter Schneeball seinen Nacken. Madson wurde davon derart überrascht, daß er stolperte und das Gleichgewicht verlor.

Er rannte weiter und lief mit dem Gesicht in einen zweiten Schneeball hinein, der sich als weich und lo-cker erwies.

Madson wurde geblendet, fraß eine gehörige Portion Schnee, hustete, schluckte, gurgelte und schnappte nach Luft.

Nichts wie weg!

Da war die rettende Straße. Nur noch wenige Meter. Madsons Flucht war derart ungeordnet und planlos, daß er den weißen Klingeldraht übersah, der sich quer über die Auffahrt strammte.

Einen schrillen Kickser ausstoßend, warf Madson sich steil nach oben in die Luft, verlor den Boden unter den Füßen und schoß waagerecht hinunter auf die Straße. Er landete auf dem gegenüberliegenden Grund-stück in einer niederen Fichte, wo er es sich einigermaßen bequem machte.

Parker, der jetzt wirklich im Vorgarten stand, hatte den Höhenflug interessiert beobachtet. Und selbstver-ständlich auch die Landung.

Madson strampelte sich frei, richtete sich auf und marschierte dann schwankend und hinkend hinunter in Richtung seiner Herberge. Er sah nicht sehr furchteinflößend aus.

*

»Ist das Problem damit gelöst?« fragte Mike Rander.

Ein neuer Tag war gekommen. Die Sonne strahlte verschwenderisch über das Land. Die Wintersportler bevölkerten wieder alle erreichbaren Hänge.

Parker hatte seinen jungen Herrn im Club aufgesucht und ihm von Madsons Schießorgie erzählt.

»Mister Madson mußte sich in ärztliche Behandlung begeben«, sagte der, Butler, »die Landung im Fich-tenstrauch scheint seinem Knochengerüst nicht sehr zuträglich gewesen zu sein, Sir.«

»Was hat er denn abbekommen?« wollte Vivi Carlson wissen. Sie lächelte etwas schadenfroh.

»Nach meinen Informationen muß Mister Madson sich ein paar sogenannte weiche Rippen angebrochen haben. Er dürfte zur Zeit mit einem Stützkorsett aus Gips versorgt werden.«

»Und all diese Informationen stammen von Storn?«

»In der Tat, Sir! Mister Storn scheint das Lager gewechselt zu haben. Nicht aus moralischen Gründen, wie ich betonen möchte, sondern wohl mehr aus privaten Erwägungen heraus. Er wird sich rückversichern wol-len.«

»Hoffentlich geht das für ihn nicht ins Auge.«

»Diesbezüglich habe ich Mister Storn bereits gewarnt.«

»Dann sind also alle potentiellen Mörder ausgefallen, die wir kennen. Oder glauben Sie noch an einen Einsatz dieser Herren, Parker?«

»Mitnichten und keineswegs, Sir. Sie werden sich übrigens im Ferienhaus Mister Madsons versammeln und eine Art Kriegsrat halten. Was man bespricht, wird Mister Storn uns rechtzeitig mitteilen.«

»Sie trauen ihm plötzlich?«

»Nur bedingt, Sir.«

»Dieser Storn weiß natürlich nicht, ob Madson noch einen Mitarbeiter einsetzen kann, den wir nicht ken-nen?«

»Dies, Sir, ist das Problem. Mister Storn ist das leider nicht bekannt. Mister Madson pflegt über diese Dinge nie zu reden. Sie sind und bleiben sein persönliches Geheimnis.«

»Was glauben denn Sie? Hat Madson mit Morgans Tod seine Arbeit bereits erledigt?«

»Ich fürchte, nein sagen zu müssen, Sir.«

»Schreckliche Ungewißheit. Was werden Sie jetzt tun, Parker?«

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mir ein wenig die Füße vertreten.«

»Sie sind auf einer Fährte, nicht wahr?« Rander war wie elektrisiert.

»Vielleicht, Sir. Darf ich Sie bitten, auch weiterhin auf die Herren Baxter, Natway und Caropoulos zu achten?«

Nachdem Parker gegangen war, nickte Rander seiner Sekretärin zu.

»Ich weiß genau, daß er sogar auf einer heißen Spur ist«, meinte er dann, »aber er rückt wieder mal nicht mit der Sprache heraus. Der Teufel soll seine Geheimniskrämerei holen!«

»Sehen Sie doch!« Vivi Carlson, die am Fenster des gemeinsamen Wohnraumes stand, deutete aufgeregt nach unten vor das Haus. Rander trat neben sie und schaute ebenfalls hinunter.

Baxter, Natway und Caropoulos stiegen gerade auf ein Schneemobil, das dann Kurs auf die nahe Skele-tonbahn nahm.

»Jetzt wird es aber Zeit für uns«, sagte Rander zu Vivi Carlson, »die da unten können es wohl nicht er-warten, umgebracht zu werden.«

*

Der betagt aussehende Holzarbeiter trug einen langfallenden Lodenmantel, einen Rauschebart und einen breitkrempigen Filzhut, der verwittert: und mitgenommen aussah. Dieser Hut wölbte sich allerdings erstaun-licherweise melonenartig hoch, was aber nur einem aufmerksamen Beobachter aufgefallen wäre.

Der betagte Holzarbeiter hatte eine Axt geschultert, an deren Holzstiel ein schwarzer Regenschirm ge-bunden war. Der Rauschebart schien, was das Wetter anbetraf, ein ausgesprochener Pessimist zu sein.

Der Waldschrat, so sah der Mann fast aus, lustwandelte geruhsam über einen schmalen, verschneiten Holzweg, von wo aus man einen weiten, und herrlichen Rundblick auf die Blümlisalp hatte.

Talwärts war der Verkehr auf den Skipisten beachtlich, doch hier oben herrschte kaum Betrieb, dazu war das Gelände schon zu schwierig.

Nur vereinzelte Läufer und kleine Gruppen waren auszumachen, die langsam den Hang hochzogen um später dann die einmalige Abfahrt hinunter ins Tal zu genießen. Der alte Rauschebart machte es sich auf ei-nem gefällten Baumstamm gemütlich und zog unter dem Lodenmantel ein leistungsstark aussehendes Fern-glas hervor.

*

»Wir sollten lieber einen Umweg machen«, sagte Jean-Claude Fondy besorgt, »ich habe das Gefühl, daß wir verfolgt werden.«

»Verfolgt?« Norma Caropoulos blieb überrascht stehen.

»Denk doch mal an die Mörder, von denen dieser Butler gesprochen hat!«

»Was habe ich damit zu tun, Jean?«

»Man kann nie wissen«, erwiderte Fondy, »komm jetzt! Verlieren wir keine Zeit.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, legte er eine Spur, der Norma notgedrungen folgte. Sie sah sich aber wie-derholt nach einem etwaigen Verfolger um.

Norma, eben noch sprühend vor Temperament, hatte plötzlich Angst. Sie beeilte sich, zu Fondy aufzu-schließen.

*

Storn verstand seinen Chef nicht mehr.

Obwohl Madson ein Gipskorsett trug, wollte er ausfahren. Storn, ebenfalls angeschlagen, mußte den Wa-gen Vorfahren und seinem Vorgesetzten dann hineinhelfen.

»Wohin wollen Sie denn, Chef?« fragte Storn nervös. Er dachte an seine Gesundheit.

»Wir sehen uns die Gegend an«, antwortete Madson kühl. »Fahren Sie irgendwohin, wo viele Menschen sind, die uns mit Sicherheit sehen werden.«

»Soll das unser Alibi sein, Chef?« Storn wurde hellhörig.

»Sie treffen den Nagel auf den Kopf, Paul«, entgegnete Madson. »Ich schlage vor, wir sehen uns die Trainingsläufe auf der Skeletonbahn an. Was halten Sie davon?«

»Ich kann die Eisröhre nicht mehr sehen«, gestand Storn verständlicherweise.

»Jetzt werden Sie sie bei Tageslicht und Sonne genießen können. Fahren Sie schon los!«

»Darf ich endlich mal neugierig sein, Chef?«

»Sie wollen wissen, ob unser Objekt reif ist?«

»Genau, Chef. Falls Morgan nicht das Opfer war.«

»Lassen Sie sich überraschen, Paul! Aber fahren Sie langsam, eine Gipspackung reicht mir vollkommen.«

*

»Ich würde davon abraten, sich am Training zu beteiligen«, sagte Mike Rander eindringlich zu den drei Männern.

Sie alle standen am Start der Skeletonbahn, wo großer Trainingsbetrieb herrschte. Die Fahrer stürzten sich todesmutig auf ihren winzigen Bauchrodelschlitten hinunter in die Eisröhre.

»Ich brauche einfach frische Luft«, sagte Baxter. »Im Zimmer werde ich verrückt.«

»Wenn es mich erwischen soll, trifft es mich halt«, gestand Natway. »Ich habe die Nase voll, Rander, ver-stehen Sie! Dieses Versteckspiel halte ich nicht durch.«

»Ich nehme Ihnen dieses ganze Mörderspiel nicht mehr ab«, schaltete sich Niki Caropoulos ein. »Sie wol-len sich doch nur wichtig machen. Wo ist der Beweis, daß dieser Killer wirklich existiert?«

»Hoffentlich tritt er nicht den Beweis an«, erwiderte Mike Rander. »Nun, ich kann Sie nicht zwingen, in Deckung zu bleiben. Sie müssen wissen, was Sie tun.«

»Wo steckt denn Ihr Butler?« erkundigte sich Niki ironisch, »Auf Killerjagd, wie?«

»Sie sollten die Warnung nicht auf die leichte Schulter nehmen«, ließ Vivi Carlson sich vernehmen. »Jeder Besucher hier kann ein Objekt des Killers …«

Sie preßte die Lippen zusammen und redete nicht weiter.

»Was haben Sie denn, Vivi?« wollte Rander wissen und drehte sich in die Richtung um, in die Vivi Carl-son nachdrücklich sah.

»Madson!« sagte Rander dann leise, »und Storn. Jetzt scheinen die Dinge in Fluß zu geraten.«

»Und Parker ist weit und breit nicht zu sehen«, gab Vivi Carlson leise zurück.

Madson, auf Storn gestützt, schlich hinkend und ungemein vorsichtig hinauf zur Terrasse, um sich den Trainingsbetrieb aus nächster Nähe anzusehen.

*

Der rauschebärtige Waldschrat schien ein großes Kind zu sein.

Er saß nämlich auf einer Plastikschale und rodelte durchaus gekonnt den waldbestandenen Hang hinunter. Diese Schußfahrt schien ihm großen Spaß zu bereiten.

Er umfuhr Bäume, Holzstapel und Strauchwerk. Er wischte über Bodenwellen hinweg und hatte nichts dagegen, sogar kleine Luftsprünge zu absolvieren.

Dann, als er die untere Waldgrenze fast erreicht hatte, legte er eine Schnellbremsung ein und benutzte da-zu die lange Axt. Er erhob sich von seiner Plastikschale und ging zu Fuß weiter.

*

»Er amüsiert sich über uns«, sagte Vivi Carlson wütend.

Sie und Rander hatten sich an Madsons Standort herangeschoben. Der Killmaster, der wieder seinen lan-gen Fuchsfellmantel trug, sah ihnen gelassen entgegen.

Storn schwitzte hingegen vor Nervosität.

Er wußte nicht, was sein Chef eingefädelt hatte. Er konnte sich aber nicht vorstellen, daß Madson selbst eingreifen würde. Er hatte ja gerade Wert darauf gelegt, gesehen zu werden. Er suchte und fand hier ein perfektes Alibi.

Wer, so fragte sich Storn, wer mochte der Mann sein, den Madson jetzt noch einsetzen konnte? Wie woll-te er seinen Auftrag hier ausführen?

»Kommen Sie, Paul, sehen wir uns die Fahrer an«, sagte Madson und stützte sich auf Storn auf.

Er kam dicht an Mike Rander und Vivi Carlson vorbei und maß sie erneut mit wissenden, aber kalten Au-gen.

Rander und Vivi Carlson folgten mit kleinem Abstand. Der Anwalt sah sich verzweifelt nach allen Seiten um. Wo war die Person, die mit Madson zusammenarbeitete? Warum war Parker unterwegs, um sich wieder mal die Füße zu vertreten?

Hier und jetzt wurde er gebraucht!

*

»Geschafft«, sagte Jean erleichtert und blieb stehen. Er wartete, bis Norma ihn eingeholt hatte. Sie stan-den beide vor einem schmalen Steg, der einen tief eingeschnittenen Bachlauf überquerte.

»Hatte ich eine Angst.« Norma holte, tief Luft.

»Die solltest du immer noch haben, Norma«, meinte Fondy.

»Wieso?« Sie sah ihn an und verstand plötzlich. »Du?« fragte sie dann gedehnt, zurück weichend. »Du willst mich umbringen?«

»Läßt sich nicht anders machen«, gab Fondy kühl zurück, »dafür werde ich nun mal bezahlt. Job ist Job!«

»Du bist ein Mörder?«

»Berufsmäßig«, gestand Fondy, »und ich verdiene nicht schlecht dabei.«

»Aber warum ich, Jean, warum?«

»Sehr einfach. Dein Bruder will Alleinerbe sein. Hattest du noch nie an solch eine Möglichkeit gedacht?«

»Aber mein Vater lebt doch noch.«

»Nicht mehr lange! Madson ist bereits auch für ihn gekauft worden.«

»Madson? Der Mann, der …«

»… der nie selbst tätig wird«, bestätigte Fondy amüsiert, »er ist von deinem Bruder engagiert worden.«

»Jean. Bitte, hör genau zu! Ich gebe dir das Doppelte, wenn du …«

»Thema bereits beendet«, sagte Fondy, »auf solche Geschäfte laß ich mich nicht ein.«

»Jean, bitte, denk doch an die vielen schönen Stunden, die wir zusammen …« Ihre Stimme erstickte.

»Eine nette Beigabe! Madson hatte mich auf dich angesetzt, also habe ich alle Register gezogen, Norma. Hauptsache, die schönen Stunden gefielen dir. Komm jetzt, spring runter in die Schlucht!«

Statt zu antworten, warf sie sich auf ihren Brettern herum und ergriff die Flucht. Was Fondy überhaupt nichts ausmachte.

Er fuhr ihr auf seinen Skiern nach, wesentlich schneller, als sie es war. Und er drängte sie geschickt an ei-nen Steilhang heran, den sie nicht sah. Fondy hatte das Gelände vorher sehr genau inspiziert.

Sie schien das zu tun, was er wollte.

Abgedrängt von der regulären Abfahrt wich sie immer weiter nach links aus und näherte sich in gefährli-cher Weise dem Steilhang. Überfuhr sie ihn, dann hatte sie keine Chance mehr.

Plötzlich erschien eine seltsame Gestalt auf der Piste.

Ein Waldschrat sauste mit einer Geschwindigkeit, die man nur als affenartig bezeichnen konnte, auf Nor-ma Caropoulos zu. Dieser alte Rauschebart saß auf einer Plastikschale und warf sich in eine elegante Rechtskurve.

Norma Caropoulos, die den Schrat erst im letzten Moment sah, wollte ausweichen, doch sie schaffte es nicht mehr.

Sie wurde voll erwischt und flog in hohem Bogen in den Schnee. Dicht vor dem Steilhang blieb sie re-gungslos liegen.

Jean-Claude Fondy bremste seine rasende Schußfahrt ab und wollte sich auf den Waldschrat werfen.

Bevor er sich aber abdrücken konnte, warf der Alte ihm die Plastikschale ins Gesicht.

Was Fondy nicht gut bekam.

Er verlor das Gleichgewicht und landete ebenfalls im Schnee.

Bruchteile einer Sekunde später hatte er das Gefühl, von einer Axt am Kopf getroffen zu werden.

Doch es war keine Axt, sondern nur der bleigefütterte Griff eines Regenschirms, der zu diesem Rausche-bart eigentlich gar nicht paßte.

*

»Was Interessantes zu sehen?« fragte Rander und trat hinaus zu Parker, der auf dem Balkon des Chalets stand. Parker setzte sein Fernglas ab und nickte.

»Die Herren Madson, Fondy, Storn und zwei weitere männliche Personen wurden gerade in einem Trans-portwagen der Polizei weggeschafft, Sir.«

»Gratuliert habe ich Ihnen ja schon, Parker. Aber jetzt mal der Wahrheit die Ehre! Seit wann haben Sie Niki Caropoulos verdächtigt?«

Während sie miteinander sprachen, gingen sie zurück in den Wohnraum des Chalets, wo Vivi Carlson wartete.

»Mir fiel auf, Sir, daß nur Mister Caropoulos von den Motiven sprach, die einen Mord an ihm rechtferti-gen konnten. Dies im Gegensatz zu der Verschwiegenheit der übrigen Betroffenen. Er mußte dafür also ei-nen Grund haben.«

»Die Sache mit dem Prinzen Mahmud, nicht wahr?«

»Die übrigens stimmt, wie ich in Erfahrung bringen konnte, Sir. Er beauftragte Madson mit dem Mord an seiner Schwester, um das baldige Erbe allein antreten zu können. Es paßte wunderbar in seine Absichten, daß er Schuld daran trug, daß die Schwester des Prinzen böse Verletzungen erlitt. Nach der Ermordung sei-ner Schwester Norma hätte man sich früher oder später mit dem Prinzen beschäftigt, ihm allerdings nichts nachweisen können. Ein Verdacht auf Niki Caropoulos wäre aber wohl nie in Betracht gezogen worden.«

»Wurde Morgan nun wirklich ermordet?« wollte Vivi Carlson wissen.

»Ich kann diese Frage voll verneinen«, gab der Butler zurück. »Die Herren Mörder haben bereits ihre di-versen Geständnisse abgelegt. Morgan verunglückte, was den Plänen Mister Madsons allerdings nur förder-lich sein konnte.«

»Gut, daß wir diesen Fall schließen können«, sagte Vivi Carlson, »so etwas paßt gar nicht in diese Ge-gend.«

»Die wäre?« Rander und Vivi Carlson sahen sich erstaunt und überrascht an. Parker wirkte plötzlich wie ein großes Kind.

»Da das Rodeln auf der Plastikschale mir durchaus gefiel, Sir, möchte ich es auch mal auf der Skeleton-bahn versuchen, von der ich mir noch wesentlich mehr Eindruck und Erlebnis verspreche.«

Parker verstand nicht ganz, warum sein junger Herr und Vivi Carlson in diesem Moment in lautes Lachen ausbrachen.

Schließlich hatte er es sehr ernst gemeint.

Butler Parker Staffel 10 – Kriminalroman

Подняться наверх