Читать книгу Der exzellente Butler Parker Staffel 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6
ОглавлениеAgatha Simpson gab sich einer Lieblingsbeschäftigung hin: Sie schlenderte durch die Etagen des großen Kaufhauses, prüfte und verglich, mokierte sich über Preise und dachte nicht im Traum daran, auch nur einen einzigen Penny auszugeben. Die große, füllige Dame, schon jenseits der Sechzig, suchte nach Gelegenheiten, kostenlose Warenproben zu ergattern. Ungeniert trug sie bereits eine Plastiktüte, in der sich Werbepackungen einer französischen Luxusseife befanden. Mylady hatte den Stand mehrfach besucht und immer kaltblütig nach neuen Proben gefragt. Ebenfalls hatte sie sich neue Müsli, Zeitschriften und einige Kleinkonserven mit Nudelsauce besorgt.
Gerade hielt sich Lady Agatha vor einem Wandregal auf, das mit Parfüm aller Duftnoten gefüllt war. Die majestätisch wirkende Dame suchte nach Probier-Flacons, um sich auch hier ohne Kosten bedienen zu können.
Sie schien allerdings ein wenig verärgert zu sein, denn die Sprühfläschchen waren durch dünne, aber reißsichere Kettchen gesichert...
Sie waren also nicht mitzunehmen. Um dennoch auf ihre Kosten zu kommen, benutzte sie ein Probierfläschchen nach dem anderen und schuf auf diese Art eine völlig neue Duftmischung.
»Übertreiben Sie nicht etwas, Madam?« hörte sie hinter sich eine vorwurfsvolle Stimme.
»Stellen Sie sich gefälligst vor, bevor Sie es wagen, mich anzusprechen«, raunzte die ältere Dame und wandte sich halb um. Sie sah sich einem schlanken, etwa vierzigjährigen Mann gegenüber, der einen schlichten grauen Anzug trug.
»Ich gehöre zum Haus«, sagte der Mann. »Mein Name tut nichts zur Sache.«
»Dann nehme ich Sie nicht zur Kenntnis«, erwiderte Agatha Simpson und... sprühte den Mann ausgiebig ein. Dabei konzentrierte sie sich auf sein Gesicht, was gewisse Auswirkungen auf die Sehfähigkeit hatte. Der Mann, der zum Haus gehörte, jaulte auf und rieb sich ausgiebig die Augen. Als er wieder einigermaßen sehen konnte, war Lady Simpson bereits verschwunden und hatte sich in die Buchhandlung des Warenhauses begeben. Es ging um eine Neuerscheinung, wie große Werbeplakate verhießen. Man stellte ein Handbuch für Astrologie vor und lud potentielle Kunden ein, sich ein Tages-Horoskop stellen zu lassen. Zuständig dafür war ein Computer, in den man nur ein paar persönliche Daten einzugeben hatte. Der Ausdruck sollte kostenlos sein, was Mylady ungemein erfreute.
Bedient wurde die Anlage von einer jungen Angestellten, die sich über mangelndes Interesse nicht zu beklagen hatte. Vor ihrer kleinen Kabine hatte sich bereits eine Schlange von Kunden gebildet, die unbedingt erfahren wollten, was der Rest des Tages für sie noch bringen würde.
»Das nenne ich Höflichkeit«, sagte Lady Agatha mit Stentorstimme, als sie sich an die Spitze der Schlange stellte und nickte den Wartenden huldvoll zu. »Sie nehmen wenigstens noch Rücksicht auf eine hilflose Frau.«
Die ältere Dame überhörte das protestierende Gemurmel der Leute und zwängte sich in die kleine Kabine. Sie nannte der Angestellten einige Daten, die sich auf ihren Geburtstag bezogen und vergewisserte sich anschließend noch mal, daß der Ausdruck auch tatsächlich kostenlos wäre. Dann lehnte sie sich auf dem schmalen Drehsessel zurück, auf dem sie Platz genommen hatte.
»Ich habe nichts dagegen, Kindchen, wenn Sie mir einen Wochenausdruck anfertigen«, sagte sie freundlich. »Für Ihre Maschine dürfte das doch eine Kleinigkeit sein.«
»Der Computer ist nur für diesen Tag gefüttert«, lautete die Antwort.
»Ein schlechter Kundendienst«, mäkelte die ältere Dame an dieser Antwort herum. »Stimmen die Angaben wenigstens?«
»Die Sterne sollen nicht lügen, Madam«, gab die Angestellte freundlich zurück. »Alles hängt davon ab, wie Sie den Ausdruck deuten.«
Der Computer arbeitete bereits. Kleine Kontroll-Lampen blinkten und zwinkerten. Ein Summen und Piepen war zu vernehmen, dann ratterte der Nadeldrucker und spie einen Ausdruck aus, der seiner Länge nach an einen mittelgroßen Teppichläufer erinnerte.
Mylady nickte beeindruckt.
»Nun, das sieht ja zumindest recht gut aus«, sagte sie und nahm ihren Ausdruck in Empfang. »Was bedeuten die fetten Zeilen, meine Liebe?«
»Einen Hinweis auf besonders wichtige Stunden, Madam«, antwortete die Angestellte. »Hier steht, daß Sie für den Rest des Tages mit Überraschungen zu rechnen haben.«
»Sehr gut«, freute sich Lady Agatha. Sie war eine Frau, die Langeweile haßte.
»Sie werden einem Menschen begegnen, Madam, mit dem Sie sich nicht leichtsinnig befassen sollten.« Die Angestellte war eine geübte Verkäuferin und hütete sich, bei dieser allgemeinen Aussage auch nur andeutungsweise zu lächeln.
»Ich bin niemals leichtsinnig, meine Liebe«, machte die ältere Dame deutlich. »Deshalb werde ich das Buch auch erst dann kaufen, wenn sich herausstellt, daß es keinen Humbug enthält.«
Lady Agatha nahm den Ausdruck an sich und machte sich auf den Weg, um früher oder später einem Menschen zu begegnen, mit dem sie sich auf keinen Fall leichtsinnig befassen sollte.
Sie ahnte noch nicht, wie ungemein zutreffend ihr Horoskop war.
*
Josuah Parker war der Butler, wie man ihn nur noch in Filmen zu sehen bekam. Er war etwas über mittelgroß, hatte den kaum wahrnehmbaren Ansatz eines Bauches, wirkte völlig alterslos und trug die ausdruckslose Miene eines professionellen Pokerspielers zur Schau. Zu dem schwarzen Zweireiher paßte ein weißes Hemd mit Eckkragen und schwarzer Krawatte. Auf Parkers Kopf saß ein schwarzer Bowler, im Volksmund auch Melone genannt. Am angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm.
Dieser hochherrschaftliche englische Butler stand in Diensten einer gewissen Agatha Simpson und hielt seine stets schützende Hand über sie. Lady Agatha betrachtete sich als Amateur-Detektivin und ließ kein Fettnäpfchen aus, in das sie treten konnte.
Zur Zeit sorgte sich Parker ein wenig um seine Herrin.
Agatha Simpson hatte in der Cafeteria des Warenhauses eine Teepause genommen und dazu ausgiebig Gebäck geknabbert. Danach war sie aufgestanden, um sich die Nase zu pudern, wie sie diskret angedeutet hatte. Das war vor etwa zwanzig Minuten der Fall gewesen.
Parker wunderte sich darüber, daß Mylady noch nicht zurückgekehrt war. Und er machte sich zusätzlich Sorgen. Ihm war nur zu bekannt, daß die ältere Dame ausgesprochen spontan reagierte, was ihre inneren Eingebungen betraf. Sollte sie den Toilettentrakt auf einem anderen Weg verlassen haben? Befand sie sich wieder in den Verkaufsräumen des Hauses?
Er stand auf und schritt gemessen aus der Cafeteria. An einem nahen Verkaufsstand für Porzellane aller Art fragte er eine Verkäuferin nach Lady Simpson. Er nannte natürlich keinen Namen, sondern beschrieb nur das eindrucksvolle Äußere der gesuchten Dame.
Die Verkäuferin hatte Mylady erst vor wenigen Minuten drüben in der Buchabteilung ausgespäht. Parker bedankte sich höflich und begegnete einem Mann, der sich die Augen mit einem Taschentuch ausgiebig wischte. Er schien etwas sehgestört zu sein, denn er wurde von einer Angestellten behutsam geführt.
Parker dachte unwillkürlich an seine Herrin.
Er erkundigte sich bei dem Sehbehinderten nach Lady Agatha und beschrieb sie dazu.
»Guter Gott«, stöhnte der Mann und zuckte zusammen. »Ich ... ich hatte Kontakt mit der Dame. Kennen Sie sie vielleicht?«
»Wer maßt sich schon an, einen Menschen wirklich zu kennen?« antwortete Parker ausweichend. »Warum fragen Sie überhaupt, Sir?«
»Sie hat mir eine Lösung Parfüm in die Augen gesprüht«, beklagte der Angestellte sich, »und zwar absichtlich.«
»Vielleicht und möglicherweise handelt es sich um ein beklagenswertes Mißverständnis«, erwiderte Parker. »Darf man sich erlauben, Ihnen gute Besserung zu wünschen?«
Der Butler wußte nun, daß er auf der richtigen Spur war.
Lady Agatha lustwandelte durch die Verkaufsetagen und hinterließ Spuren. Wo sie sich allerdings momentan befand, konnte er nicht sagen, doch er hielt sicherheitshalber Ausschau nach Menschenansammlungen. Zu seiner Erleichterung konnte er davon nichts sehen, schritt weiter und atmete tief durch, als er Mylady dann doch entdeckte.
Sie unterhielt sich gerade intensiv mit einem rundlichen Herrn, der ihr den Weg zur Rolltreppe abgeschnitten hatte. Sie hatte ihn gezielt in eine Verkaufsgondel gedrückt und bot ihm gerade Ohrfeigen an.
»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau zu bedrängen«, erklärte sie gerade. »Ich könnte sonst sehr ärgerlich werden.«
»Mylady haben Schwierigkeiten?« fragte Parker, als er Agatha Simpson erreicht hatte.
»Dieser Lümmel wollte mich die Treppe hinabstoßen«, behauptete die passionierte Detektivin grollend.
Der Mann hatte sich aus der Verkaufsgondel wieder hochgearbeitet, warf einen mehr als scheuen Blick auf die stattliche Frau, schluckte und setzte sich dann schleunigst ab. Er verzichtete auf jede Erklärung.
»Was diese jungen Leute sich herausnehmen«, entrüstete sich Lady Agatha und meinte damit eindeutig den Kunden, der mit Sicherheit fünfundvierzig Jahre zählen mochte. »Man muß den Anfängen wehren, Mister Parker. Man darf sich als Frau nichts gefallen lassen.«
»Mylady wollen zurück nach Shepherd’s Market fahren?«
»Wo haben Sie nur gesteckt, Mister Parker?« fragte sie, während sie nickte.« Sie hätten sich ein kostenloses Tages-Horoskop stellen lassen können.«
»Mylady machten von diesem Angebot bereits Gebrauch?«
»Selbstverständlich«, lautete die Antwort. »Und ich weiß, daß ich für den Rest des Tages mit einer faustdicken Überraschung rechnen muß, Mister Parker.«
Der Butler hoffte inständig, daß das Horoskop nicht zutreffen würde.
*
Älter als fünfundzwanzig Jahre konnte der junge Mann kaum sein, der hinter einem mächtigen Pfeiler der Tiefgarage Stellung bezogen hatte. Er trug einen Jeansanzug, Tennisschuhe und eine enganliegende Wollmütze. Der Wartende rauchte nervös und spähte immer dann zu den Fahrstühlen hinüber, wenn die Türen sich öffneten.
Für Kunden in kleineren oder größeren Gruppen, die aus einem der Fahrstühle traten, zeigte der Mann kein Interesse. Doch das änderte sich, wenn Einzelpersonen die Tiefgarage betraten. Männer übersah er, doch Frauen schienen ihn zu elektrisieren.
Er schätzte sie ab, was ihre Einkaufstüten, betraf, blieb aber stets in Deckung und verfolgte den Weg der Frauen. Einige Male traf er Anstalten, solch eine Frau zu verfolgen, und zwar immer dann, wenn sie auf Wagen der gehobenen Mittelklasse zuhielten. Doch im letzten Augenblick zog er sich wieder in Deckung zurück, wenn einfahrende Wagen auf dem Parkdeck erschienen oder die Türen der Fahrstühle sich wieder öffneten. Der Mann schien viel Zeit zu haben.
Dann interessierte er sich für eine große, majestätisch aussehende Dame, die aus einem der Fahrstühle kam. Sie trug eine Plastiktüte, die einen gut gefüllten Eindruck machte.
Diese Dame, die er auf sechzig schätzte, steuerte einen Bentley an, der nicht weit entfernt parkte. Sie schien für ihn ein durchaus lohnendes Opfer zu sein, wie sich bald darauf zeigte.
Der junge Mann schob sich um den Betonpfeiler herum und pirschte auf leisen Sohlen an die Dame heran. Er übersah leichtsinnigerweise einen perlenbestickten Pompadour am linken Handgelenk seines Opfers. Er konzentrierte sich auf die Plastiktüte, von deren Inhalt er sich offenbar einiges versprach.
»’n Augenblick mal«, sagte er, als er knapp hinter seinem Opfer stand. Er drückte seinen linken Zeigefinger gegen die linke Hüfte der Frau. »Beim ersten Schrei stech’ ich zu, klar?«
Die Dame blieb wie erstarrt stehen.
»Und jetzt raus mit der Tüte«, forderte der Mann sein Opfer mit leiser, eindringlicher Stimme auf. »Un’ keinen Schrei, Mädchen, sonst fließt Blut.«
»Schon gut«, antwortete die Überfallene mit baritonaler Stimme. »Das ist ein Angriff, nicht wahr?«
»Schnell geschaltet, Mädchen«, lobte der Dieb. »Rüber mit der Tüte!«
»Natürlich, natürlich«, erwiderte die Frau und ... trat energisch nach hinten aus. Der Absatz des wirklich nicht kleinen Schuhs traf das Schienbein des jungen Mannes, worauf er gequält stöhnte und nach vorn knickte.
Die ältere Dame drehte sich erstaunlich schnell um und setzte ihren perlenbestickten Handbeutel gezielt auf die Nase des Wegelagerers. Der Getroffene stieß einen dumpfen Laut aus, wurde nach hinten geworfen und krachte gegen die Breitseite eines parkenden Wagens. Anschließend rutschte er zu Boden und blieb benommen liegen. Er hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er wollte sich hochdrücken, rutschte jedoch wieder haltlos in sich zusammen.
»Wenn man Sie braucht, sind Sie natürlich nicht da, Mister Parker«, sagte Lady Agatha und wandte sich ihrem Butler zu, der sich näherte. »Um ein Haar wäre ich beraubt worden. Schauen Sie sich dieses Subjekt an!«
»Meine Wenigkeit sah sich leider gezwungen, einen anderen Fahrstuhl zu nehmen«, antwortete Parker. »Leider paßten nur noch Mylady in die bereits überfüllte Kabine.«
Josuah Parker beugte sich über den stöhnenden Mann, dessen Nase ein wenig windschief aussah. Mit der Fingerfertigkeit eines erfahrenen Taschendiebes durchsuchte er die Taschen des jungen Mannes und brachte einige Gegenstände an sich, die er in seinen Taschen verschwinden ließ.
»Sollte ich nicht besser noch mal zulangen, Mister Parker?« fragte sie besorgt. »Er könnte mich schließlich noch mal anfallen.«
»Mylady leisteten bereits das, was man ganze Arbeit zu nennen pflegt«, gab Josuah Parker zurück. »Der Dieb wird sich auf eine mittelschwere Gehirnerschütterung gefaßt machen müssen.«
»Sehr erstaunlich«, murmelte Agatha Simpson, die plötzlich einen versonnenen Eindruck machte. »Ist Ihnen nicht etwas aufgefallen, Mister Parker?«
»Mylady?« Parker blickte seine Herrin abwartend an.
»Mein Tages-Horoskop«, redete sie weiter. »Es ist genau eingetroffen. Die Sterne lügen also doch nicht.«
»Eine Frage der Anschauung, Mylady, würde meine bescheidene Wenigkeit sagen.«
»Verstauen Sie dieses Subjekt im Wagen, Mister Parker«, verlangte sie. »Ich werde inzwischen noch mal hinauffahren und mir das Handbuch für Astrologie kaufen. Haben Sie ein paar Pfundnoten bei sich? Ich fürchte, mein Kleingeld reicht nicht.«
*
Der junge Mann blickte Mylady scheu an. Dann aber konzentrierte sein Blick sich auf den Pompadour der älteren Dame, von dem er so nachhaltig getroffen worden war.
»Ich erwarte ein rückhaltloses Geständnis, junger Mann«, raunzte Lady Simpson ihn an. »Wie viele Frauen haben Sie bisher angefallen und ausgeraubt?«
Mylady, Parker und der Wegelagerer aus der Tiefgarage standen in einem längst stillgelegten Lagerschuppen der East India Docks. Man war unter sich. Außer einigen neugierigen Ratten war sonst kein Zuschauer zu sehen.
»Ich... hab’s erst heute mal versucht«, beteuerte der Mann, der Lem Stiller hieß, wie Parker bereits wußte.
»Was halte ich von dieser Aussage, Mister Parker?« Die ältere Dame wandte sich an ihren Butler.
»Mylady gehen davon aus, belogen worden zu sein«, gab Parker zurück.
»Das will ich meinen.« Sie nickte nachdrücklich. »Und darauf reagiere ich stets allergisch.«
»Ich hab ja noch nich’ mal ’ne Waffe dabei gehabt«, verteidigte sich Lem Stiller.
»Von einem Messer und einem Stück Kabel abgesehen, Mister Stiller«, stellte der Butler fest. »Aber Mylady hat keineswegs die Absicht, sich noch länger mit Ihnen abzugeben.«
»Sie lassen mich laufen?« Die Stimme des Wegelagerers klang ungläubig.
»Nicht im wahrsten Sinn des Wortes«, entgegnete Parker gemessen. »Mylady wird Ihnen die Möglichkeit nehmen, sich wieder ungesetzlich zu betätigen.«
»Wie war das?« Lem Stiller zwinkerte.
»Mylady denkt in diesem Zusammenhang an Brunnenschächte, die seinerzeit zur eigenen Wasserversorgung angelegt wurden.«
»Und was ist damit?« Die Stimme des jungen Mannes wurde schlagartig heiser.
»Mylady wird Sie einladen, in solch einen Tiefbrunnen zu steigen.«
»Wollen Sie mich... umbringen?« Der Mann atmete hastig durch.
»Sie sehen doch noch recht gesund und kräftig aus«, stellte die ältere Dame fest. »Einige Tage werden Sie bestimmt durchhalten. Oder sehen Sie das anders, Mister Parker?«
»Mylady können davon ausgehen, daß Mister Stiller mit Sicherheit das Wochenende noch erleben wird.«
»Heute is’ doch erst Dienstag«, stöhnte Stiller.
»Sie werden sich allerdings ein wenig langweilen«, vermutete der Butler.
»Und ... und wer holt mich da wieder raus?« wollte Lem Stiller wissen. Seine Stimme war noch heiserer geworden.
»Mylady wird sich rechtzeitig an Sie erinnern«, beruhigte der Butler ihn. »Sie sollten sich also keine unnötigen Sorgen machen.«
Während der Butler sprach, baute er sich vor einem gußeisernen und kreisrunden Kanaldeckel auf, der im Beton des Bodens eingelassen war. Er machte Stiller damit optisch klar, was ihn erwartete.
»Un’ wenn ich die Wahrheit sag’?« fragte Stiller bei Mylady an.
»Sie sollten es auf einen Versuch ankommen lassen«, schlug der Butler vor.
»Ich hab’ schon ein paarmal Handtaschen geklaut«, räumte Stiller jetzt ein. »Das is’ aber noch gar nichts gegen den Frauenjäger. Der räumt ganz anders ab.«
»Sie wollen damit zu verstehen geben, daß Sie den erwähnten Frauenjäger nur kopiert haben?«
»Aber ganz friedlich«, behauptete Stiller.
»Habe ich von diesem Frauenjäger bereits gehört, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame interessiert.
»Mehr als nur andeutungsweise, Mylady«, redete Parker ihr ein, um sich dann wieder an Stiller zu wenden. »Sie sollten sich über den Frauenjäger eingehender auslassen, Mister Stiller. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, Ihnen den Brunnenschacht zu ersparen.«
Worauf Stiller ausgiebig redete.
*
Das Apartment des Lem Stiller befand sich in einem schäbigen Wohnblock im Londoner Stadtteil Stepney.
Parker parkte sein hochbeiniges Monstrum vor einem kleinen Gemüseladen und musterte unauffällig die nähere Umgebung, als er ausstieg und den hinteren Wagenschlag für Lady Simpson öffnete.
Es war eine ärmliche Gegend, Mylady und Parker erregten einiges Aufsehen, als sie auf das Wohnhaus zuschritten. Die ältere Dame bemerkte jedoch nichts davon. Zudem wurde sie von dem Angebot an Südfrüchten abgelenkt, die links und rechts von der Ladentür des Gemüsegeschäftes zum Kaufanreiz ausgestellt wurden. Wie selbstverständlich versorgte sie sich mit einem rotbackigen Apfel, um eine Kostprobe zu nehmen.
»Zu Mister Lem Stiller«, sagte Parker zu dem Gemüsehändler und drückte ihm eine Münze für die Kostprobe in die Hand. »Man erwartet uns bereits.«
»Lem scheint ’ne Versammlung aufziehen zu wollen«, sagte der Gemüsehändler ironisch.
»Wie darf man Ihren Hinweis verstehen?« erkundigte sich der Butler und verabreichte dem Mann eine weitere Münze.
»Zwei Besucher sind bereits raufgegangen«, lautete die Antwort. »Aber ich will nichts gesagt haben.«
»Meine Wenigkeit kann sich nicht erinnern, von Ihnen einen Hinweis bekommen zu haben«, stellte der Butler in seiner höflichen Art klar, um sich dann nach dem Stockwerk zu erkundigen, in dem Stillers Apartment lag. Er erhielt prompt eine Auskunft, lüftete dankend die schwarze Melone und geleitete die ältere Dame dann in das benachbarte Treppenhaus.
»Habe ich richtig gehört, Mister Parker, daß bereits zwei Besucher oben sind?« fragte Lady Agatha.
»Erstaunlicherweise, Mylady.« Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an.
»Zwei Mittäter, Mister Parker«, wußte sie wieder mal im vorhinein. »Ich werde gleich ein ganzes Diebesnest ausheben.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Josuah Parker ließ sich auf keine Diskussion ein und führte Agatha Simpson in den zweiten Stock. Sie schnaufte ein wenig, als sie den Korridor erreichte.
»Häuser ohne Aufzüge müßten verboten werden«, sagte sie. »Ich sollte unbedingt mal mit dem Wohnungsbauminister reden, Mister Parker. Erinnern Sie mich daran.«
Der Butler schien nichts gehört zu haben.
Er hatte erneut die Führung übernommen und steuerte eine Tür an, die am Ende des Korridors lag. Laut Erklärung sollte sich hinter ihr das Apartment des Diebes befinden.
Die beiden Besucher, von denen der Gemüsehändler gesprochen hatte, mußten sich bereits in der Wohnung von Lem Stiller befinden. Parker ging sicherheitshalber davon aus, daß man es wohl kaum mit friedlichen Bürgern zu tun hatte. Eine gewisse Vorsicht war also wohl angebracht.
Parkers Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den schmalen Briefschlitz im unteren Drittel der Tür. Er griff in eine seiner vielen Westentaschen, holte eine Art Pillendose hervor und entnahm ihr eine perforierte Plastik-Kapsel, in der sich eine kleine Glasampulle befand, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war. Er zerdrückte diese Glasampulle und warf die Kapsel dann durch den Briefschlitz in das Innere des Apartments.
»Sie übertreiben Ihre Vorsicht wieder mal«, mokierte sich die ältere Dame prompt. »Sie sehen bereits überall Gespenster, Mister Parker.«
»Man sollte sich vielleicht ein wenig zurückziehen und abwarten, Mylady«, schlug der Butler vor, der genau wußte, was sich im Apartment tat. Die wasserklare Flüssigkeit reagierte ausgesprochen heftig mit dem Sauerstoff in der Luft und sorgte auf diese Weise für einen Nebelschwaden, der mit Sicherheit die Bronchien reizte.
Was geschah, wie bald darauf zu hören war.
*
Die beiden Burschen hingen in zwei geöffneten Fenstern und husteten wie erkältete Robben.
Sie hatten nicht mitbekommen, daß Parker bereits die Tür geöffnet hatte. Der Butler trug eine Nasenklemme und atmete durch eine völlig normal aussehende Zigarre, die in Wirklichkeit jedoch eine Atem-Patrone war. Ohne Schaden zu nehmen, ging Parker auf die beiden Besucher zu und blieb in Schirmstocklänge hinter ihnen stehen. Noch machte er sich nicht bemerkbar.
Er blickte zurück zur Tür und war erleichtert, daß Mylady sich an seinen Rat gehalten hatte. Er hatte ihr höflich vorgeschlagen, mit dem Nähertreten ein wenig zu warten.
Der Reizstoff verflüchtigte sich bald, zumal durch das Öffnen der Tür ein kräftiger Durchzug entstanden war. Die beiden Männer husteten bereits weniger und drückten sich endlich von den Fensterbänken ab. Als sie sich umwandten, blickten sie den Butler völlig entgeistert an.
Dann reagierten sie auf unverwechselbare Art. Sie ließen klar erkennen, daß sie nach Waffen greifen wollten, die sich in Schulterhalftern befanden. Bevor sie sie jedoch erreichen konnten, sorgte Parker für klare Verhältnisse.
Er funktionierte seinen altväterlich gebundenen Regenschirm in einen Kendo-Stock um und setzte die beiden Männer mit blitzartigen Stößen außer Gefecht. Sie verbeugten sich ungemein tief vor ihm und lagerten sich auf dem Fußboden. Für den Butler gab es keine Schwierigkeiten, ihnen daraufhin die Waffen abzunehmen.
Die beiden Männer schnappten nach Luft, massierten sich die getroffenen Stellen und blickten den Butler in einer Mischung aus Irritation und Wut an. Wahrscheinlich hatten sie solch eine Behandlung noch nie erlebt.
»Falls meine Wenigkeit ein wenig voreilig reagiert haben sollte, bittet man um Entschuldigung«, sagte Josuah Parker. »Sie warten auf Mister Lem Stiller, wenn man fragen darf?«
»Verdammt, wer sind Sie?« wollte einer der beiden Männer wissen und hüstelte.
»Parker mein Name, Josuah Parker. Ich habe die Ehre und den Vorzug, Lady Agatha Simpson dienen zu dürfen«, stellte der Butler sich vor. »Und mit wem hat meine Wenigkeit das Vergnügen?«
»Das geht dich einen Dreck an«, antwortete der Mann und erhob sich langsam.
»Sollten Sie die Absicht haben, Ihre diversen Muskeln spielen zu lassen, so muß davor nachdrücklich gewarnt werden«, antwortete der Butler.
»Was sollen die unnützen Höflichkeiten?« war in diesem Augenblick die tiefe, tragende Stimme der Lady Agatha zu vernehmen. Sie stand in der Tür und preßte sich ein wirklich nicht kleines Taschentuch gegen Mund und Nase.
Die beiden Männer änderten ihre Blickrichtung und verstanden die Welt nicht mehr. Sie sahen sich einer majestätisch aussehenden Dame gegenüber, die keineswegs zimperlich wirkte. Sie trug ein viel zu weites Tweed-Kostüm, derbe und große Schuhe und schließlich einen Hut, der an einen verunglückten Napfkuchen mit Blumenbesatz erinnerte.
»Das kann doch nicht wahr sein«, behauptete der Wortführer und schüttelte den Kopf.
»Mylady ist eine Realität«, warnte Parker die beiden Männer, die inzwischen wieder auf den Beinen standen. Sie schienen seinen Hinweis nicht gehört zu haben.
Sie starrten Lady Simpson an und begriffen es wohl noch immer nicht, daß sie sich bereits längst auf der Verliererstraße befanden. Sie hatten es mit einem konventionell aussehenden Mann zu tun, der eindeutig ein Butler war. Und dann eben mit dieser Frau, die auf keinen Fall taufrisch aussah. Und von diesem Duo hatten sie sich überrumpeln lassen! Sie konnten es einfach nicht verstehen.
Und dann versuchten sie es. Sie nickten sich zu und stürzten sich auf Lady Agatha, um sie als Geisel in ihre Gewalt zu bringen. Dabei übersahen sie den Pompadour, in dem sich Myladys Glücksbringer befand, ein mächtiges Hufeisen, das von einem Brauereipferd stammte.
Mylady hatte mit einem Angriff gerechnet und den perlenbestickten Handbeutel bereits in leichte Schwingung versetzt. Sie holte zu einem Rundschlag aus und bewies bei der Gelegenheit, daß sie mit Leidenschaft, aber ohne greifbaren Erfolg Golf spielte. Ihre Oberarmmuskeln waren auf jeden Fall recht gut entwickelt und verliehen dem Pompadour einen Schwung, der sich als geradezu vernichtend herausstellte.
*
»Sie trafen natürlich, Mylady«, unterstellte Mike Rander, der sich zusammen mit Kathy Porter im altehrwürdigen Haus der Agatha Simpson in Shepherd’s Market eingefunden hatte. Mike Rander erinnerte, was sein Äußeres betraf, an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Er war Anwalt und hatte seine Praxis in der nahen Curzon Street, doch er kam kaum dazu, einen Fall zu übernehmen. Lady Agatha hatte ihm die Verwaltung ihres immensen Vermögens anvertraut und schaffte es immer wieder, ihn in einen ihrer Kriminalfälle zu verwickeln.
Kathy Porter war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha, die alles tat, um Kathy und Mike miteinander verheiraten zu können. Kathy Porter wurde von der älteren Dame wie eine Tochter behandelt und auch manchmal gegängelt. Sie arbeitete eng mit Mike Rander zusammen und war inzwischen längst zu seiner unentbehrlichen Mitarbeiterin geworden, was Lady Agatha heimlich noch unterstützte.
Kathy Porter war eine bemerkenswerte Erscheinung, groß, schlank, knapp dreißig Jahre alt und verfügte über den Charme einer Exotin, wozu ihre mandelförmig geschnittenen Augen und die betonten Wangenknochen noch beitrugen. Sie war in allen Spielarten fernöstlicher Verteidigungskunst beschlagen, was man ihr jedoch nicht ansah.
»Mylady trafen ungemein genau«, beantwortete Josuah Parker die Frage des Anwalts. »Die beiden Männer dürften noch jetzt unter Nachwirkungen der erzieherischen Maßnahmen leiden.«
»Und haben Sie gesagt, für wen sie auf Stiller warteten?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie goß Tee nach und schob die Schale mit den kleinen Teekuchen für Mylady zurecht.
»Mister Parker wird Ihnen antworten, meine Liebe«, gab die ältere Dame zurück. »Die beiden Lümmel sprächen ein wenig undeutlich.«
»Wegen ihrer leicht verschobenen Kiefer«, erklärte der Butler. »Dennoch waren sie im Endeffekt recht gut zu Verstehen. Ein gewisser Mister James Falconer hätte sie geschickt. Sie sollten Mister Lem Stiller zu ihm bringen.«
»Wer ist James Falconer?« warf Mike Rander ein.
»Eindeutig ein Gangster, Sir, dessen Geschäftspraktiken so gut wie unbekannt sind.«
»Was sich sehr schnell ändern wird«, schaltete die passionierte Detektivin sich freudig ein. »Selbstverständlich werde ich mich mit ihm befassen.«
»Und wo steckt dieser Lem Stiller zur Zeit?« wollte Kathy Porter wissen und blickte den Butler an.
»In einem der Brunnenschächte, Miß Porter«, gab Parker zurück.« Natürlich wird man ihm in den kommenden Stunden die Möglichkeit geben, diesen Schacht wieder zu verlassen. Bis dahin dürfte er bereit sein, das Versteck seiner bisher gemachten Beute preiszugeben.«
»Er sprach von einem Frauenjäger?« erinnerte der Anwalt.
»Und von einer Frauenfalle«, fügte Parker hinzu. »Dabei scheint es sich um eine Person zu handeln, die sich auf Frauen spezialisiert hat. Mit der Frauenfalle meinte Mister Stiller Hoch- und Tiefgaragen aller Art im Weichbild Londons.«
»Ein Täter, der Frauen ausraubt?« fragte Myladys Gesellschafterin.
»Ich kann mich nicht erinnern, in jüngster Zeit davon gelesen zu haben«, meinte Rander.
»Möglicherweise hält die Polizei aus taktischen Gründen Nachrichten dieser Art zurück«, entgegnete der Butler. »Laut Mister Stiller soll dieser Frauenjäger sehr aktiv sein. Mister Stiller behauptete, er sei durch diesen Mann zu einem Überfall angeregt worden.«
»In Kreisen der Unterwelt scheint man demnach von diesem Frauenjäger zu wissen«, sagte Mike Rander.
»Meine bescheidene Wenigkeit war bereits so frei, Mister Horace Pickett einzuschalten«, ließ der Butler sich vernehmen. »Mit ersten Hinweisen auf den Frauenjäger und seine Falle dürfte sicher bald zu rechnen sein.«
»Der gute Pickett«, meinte Lady Agatha und lächelte durchaus freundlich-versonnen. »Irgendwann sollte ich ihn mal...«
»... zum Tee einladen«, sagten Kathy Porter und Mike Rander wie aus einem Mund. Sie kannten diese Einleitung nur zu gut.
»Richtig«, pflichtete die Hausherrin ihnen bei. »Er hat es wirklich verdient, finden Sie nicht auch, Mister Parker?«
»In der Tat, Mylady«, entgegnete der Butler. »Mister Pickett würde solch eine Einladung als große Auszeichnung betrachten.«
»Aber zuerst die Arbeit«, meinte Agatha Simpson energisch. »Feiern kann man dann immer noch. Mister Parker, treffen Sie alle Vorbereitungen. Ich werde mir diesen Lümmel mal ansehen, der seine Kreaturen auf mich gehetzt hat.«
»Mister James Falconer, Mylady.«
»Ich weiß«, wehrte sie ab. »Ich habe alle Namen genau im Kopf. Dieser Mister Fattover wird sich wundern.«
»Mieter Falconer«, korrigierte der Butler höflich.
»Wie auch immer.« Sie winkte ungeduldig ab. »Noch etwas, Mister Parker: Ich bitte mir aus, daß die beiden Lümmel nicht zu sehr verwöhnt werden.«
»Sie befinden sich hier im Haus?« fragte Kathy Porter.
»In einem der speziellen Gästezimmer, Miß Porter«, gab der Butler Auskunft. »Nach dem Besuch bei Mister Falconer wird man sie natürlich umgehend wieder freisetzen.«
»Was mich das alles wieder an Verpflegung kostet«, seufzte die ältere Dame. »Mein Steckenpferd bringt mich noch an den Rand des Bettelstabes.«
*
Horace Pickett war ein ehemaliger Taschendieb, der vor vielen Jahren mal Meister seines Fachs gewesen war. Nach eigener Bekundung hatte er jedoch stets nur von jenen genommen, die etwas entbehren konnten. Dabei war er auch an einen weltweit bekannten Mafioso geraten, der nach dieser Begegnung seine Brieftasche mit wichtigen Unterlagen vermißte.
Butler Parker hatte Pickett in diesem Zusammenhang das Leben gerettet und ihn auf den Pfad der Tugend zurückgebracht. Horace Pickett, ein straffer, großer Mann von etwa sechzig Jahren, stand seit jener Zeit dem Butler stets zur Verfügung, wenn es galt, Informationen zu beschaffen oder Personen zu observieren.
Der ehemalige Eigentumsverteiler, wie er sich damals genannt hatte, erwartete Mylady und Parker in einer Teestube am Rand von Soho. Pickett trug einen Trenchcoat und einen Travellerhut. Er sah aus wie ein ehrenwerter Offizier im Ruhestand.
»Falconer ist ein ganz übler Bursche«, berichtete Pickett, nachdem er die Lady und den Butler begrüßt hatte. »Er hat sich auf Hoch- und Tiefgaragen spezialisiert.«
»Könnten Sie seine Arbeitsweise möglicherweise ein wenig deutlicher umreißen?« fragte der Butler.
»Er hat sich den Schutz dieser Garagen gesichert«, berichtete Horace Pickett weiter. »Seine Leute sorgen dafür, daß die Garagen sicher sind.«
»Sicherheit durch Gangster«, meinte die Detektivin und schüttelte den Kopf.
»Kann man davon ausgehen, daß es sich um sogenannte Schutzgelder handelt, die Mister Falconer einstreicht?« fragte Parker.
»Genau das ist die Ecke, aus der diese Masche kommt, Mister Parker«, antwortete Pickett. »Falconer und seine Leute sorgen dafür, daß in diesen Hoch- und Tiefgaragen nichts passiert. Er hat da so eine Art Wachdienst organisiert. Zuerst wollten die Eigentümer zwar nicht mitspielen, wie Sie sich vorstellen können, dann gab’s aber Zwischenfälle am laufenden Band, bis man einlenkte und Falconer bezahlte.«
»Mister Falconer dürfte damit ein Geschäft erschlossen haben, das man nur als lukrativ bezeichnen kann und muß.«
»Darauf können Sie sich verlassen, Mister Parker. Falconer ist ohne Konkurrenz.«
»Und wie erklärt er der Steuerbehörde seine Einnahmen?«
»Falconer hat eine Firma aufgezogen, die Garagenwerbung betreibt. Sein Büro ist da drüben im ersten Stock über dem Kino.« Während Pickett noch redete, deutete er durch die Schaufensterscheibe auf ein schmales Haus, in dessen Erdgeschoß ein noch kleineres Kino untergebracht war, das in Soho natürlich Sexfilme zeigte.
»Welchen Ruf hat Mister Falconer?« erkundigte sich Parker.
»Ein brutaler Schläger soll er sein, cholerisch und hinterlistig, Mister Parker.«
»Ich denke, ich werde ihm Manieren beibringen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen.
»Wird Mister Falconers Büro abgeschirmt?« wollte der Butler wissen.
»Nach allen Regeln der Kunst, Mister Parker«, wußte Pickett. »Unten an der Treppe ist so eine Art Anmeldung, wo man genau gemustert wird.«
»Mister Falconer befindet sich zur Zeit in seinem Büro?«
»Eindeutig, ich habe ihn für ein paar Minuten am Fenster gesehen.«
»Sie sollten vielleicht in der Nähe bleiben, Mister Pickett. Es könnte durchaus sein, daß Mylady und meine Wenigkeit Sie noch brauchen.«
»Noch etwas, Mister Parker«, sagte der ehemalige Eigentumsverteiler.« In der Anmeldung gibt es natürlich eine Alarmklingel nach oben.«
»Davon ging meine Wenigkeit bereits aus, Mister Pickett, aber vielen Dank für diesen freundlichen Hinweis.« Josuah Parker lüftete die schwarze Melone und geleitete Lady Agatha aus der Teestube. Sie vibrierte förmlich vor Tatendrang. Sie freute sich wieder mal auf eine kleine, hübsche Abwechslung wie sie es nannte.
*
Erst nach mehrmaligem Läuten summte der elektrische Türöffner.
Butler Parker und Lady Agatha betraten den quadratischen Korridor und sahen sich zwei jungen Männern gegenüber, die zusammen vielleicht gerade fünfzig waren.
Sie trugen graue Anzüge, hatten schnelle, wachsame Augen und saßen in einer Art verglasten Loge. Die Tür zu diesem Raum war geschlossen. Es gab nur ein schmales, rechteckiges Sprechgitter.
»Man erlaubt sich, einen wunderschönen Tag zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone.
»Oder auch nicht«, fügte Lady Agatha hinzu.
»Ja, bitte, was können wir für Sie tun?« fragte einer der beiden jungen Männer und unterdrückte ein aufsteigendes Lächeln.
»Zu Mister Snyder«, antwortete der Butler gemessen.
»Mister Snyder? Den gibt’s hier nicht«, lautete die verständliche Antwort.
»Sie haben sich wahrscheinlich in der Adresse geirrt«, fügte der zweite Mann hinzu und grinste.
»Reden Sie keinen Unsinn, junger Mann«, raunzte Lady Agatha umgehend.
»Natürlich gibt es ihn hier.«
»Einen Mister Snyder haben wir nicht«, meinte der erste Treppenwächter.
»Mister Paul Snyder«, wiederholte Parker eindringlich. »Er erwartet Mylady und meine Wenigkeit.«
»Was ich ihm auch geraten haben möchte«, ließ die Detektivin sich vernehmen.
»Wer soll dieser Paul Snyder denn sein?« erkundigte sich der zweite Mann amüsiert.
»Das geht Sie überhaupt nichts an«, stellte Mylady grollend fest. »Ich verbitte mir jede Einmischung in meine Privatangelegenheiten.«
»Man sollte die beiden inkompetenten Herren vielleicht ignorieren«, schlug der Butler vor und deutete mit der Schirmspitze hinüber zur Treppe.
»Inkompetent ist das richtige Wort«, pflichtete Agatha Simpson ihrem Butler bei. Sie setzte ihre majestätische Fülle umgehend in Bewegung und schritt in Richtung Treppe. Damit löste sie genau das aus, was beabsichtigt war.
Keiner der beiden jungen Männer kam auch nur andeutungsweise auf den Gedanken, daß man sie aus der verglasten Loge locken wollte. Einer von ihnen öffnete die Tür und wollte Mylady den Weg abschneiden. Parker hielt inzwischen eine Visitenkarte in der rechten Hand und drückte sie gegen das Sprechgitter.
»Wenn Sie bitte die Adresse lesen würden«, schlug er dem anderen Wächter vor. Der Mann fiel auf diesen an sich einfachen Trick herein, beugte sich vor und konzentrierte sich auf die Visitenkarte. Auf diese Weise brachte er sein Gesicht nahe an das Sprechgitter heran.
Butler Parker hatte keine Mühe, den Mann anzusprühen. In der linken, schwarz behandschuhten Hand hielt er ein Spray-Fläschchen, dessen Inhalt unter hohem Druck stand.
Der Mann zuckte zusammen, als der Spray sich auf seinem Gesicht ausbreitete. Dann schnappte er nach Luft und griff sich an den Hals. Er vergaß darüber, den Alarmknopf zu drücken, konnte schon nichts mehr sehen und taumelte zurück.
Mylady war nicht untätig geblieben.
Der junge Mann, der sie gestoppt hatte, zog sie am linken Ärmel der Kostümjacke energisch von der Treppe zurück und begab sich damit in akute Gefahr. Agatha Simpson setzte ihren Pompadour ein und legte den Glücksbringer darin auf seinen linken Unterkiefer.
Daraufhin brach der Mann in sich zusammen, vergaß, daß er Beine hatte, fiel gegen die Wand des Korridors und schielte Mylady an, bevor er fast erleichtert die Augen schloß.
»Diese Gimpel«, meinte Agatha Simpson und lächelte boshaft. »Sie halten ältere Menschen stets für hilflos und fallen auf jeden Trick herein.«
»Mylady waren allerdings mehr als überzeugend in der Rolle der vergeßlichen alten Dame«, gab Parker zurück.
»Ich weiß«, lobte sie sich wie selbstverständlich und lächelte wohlwollend Parker an. »Das macht mir so leicht keiner nach. Aber weiter jetzt! Das war nur das Vorspiel...«
*
Der Mann schien sein Tagespensum an Arbeit bereits hinter sich gebracht zu haben.
Er lag wie hingegossen in einem bequemen Sessel, hatte die Beine hochgelagert und schaute sich eine Fernsehsendung an. Bezeichnenderweise handelte es sich um einen älteren Kriminalfilm aus den USA, in dem ein gewisser Al Capone sein Unwesen trieb. Der Betrachter der Szene hatte der Tür den Rücken zugewandt und kam gar nicht auf den Gedanken, unerwünschten Besuch zu bekommen.
»Das waren noch Zeiten«, schwärmte er verhalten und nahm einen Schluck aus seinem Whiskyglas. »Mein Gott, sind die Jungens damals rangegangen.«
»Und mußten schließlich dennoch einsehen, daß Verbrechen sich auf keinen Fall lohnen«, machte Josuah Parker sich bemerkbar. Sein letztes Wort schwang noch in der Luft, als der große, schwere Mann blitzschnell die Beine von der Kante einer Aktenablage nahm und sich umwandte. Anschließend starrte er Lady Agatha und Parker wie Weltwunder an.
»Nun fragen Sie nur nicht, wie ich hereingekommen bin, junger Mann«, raunzte Mylady ihn an. »Fragen dieser Art kann ich schon nicht mehr ausstehen.«
»Ihre beiden Mitarbeiter waren so entgegenkommend, Mylady und meiner Wenigkeit den Weg zu weisen«, sagte Parker, um die erwartete Frage endgültig zu unterbinden. »Wie zu sehen ist, geben Sie sich bereits Ihrer Freizeit hin.«
»Verdammt, wer sind Sie?« brüllte der Mann und stand auf;
»Sie haben die Ehre, Mylady einige Fragen beantworten zu dürfen«, antwortete der Butler. »Fragen, die sich auf einen gewissen Lem Stiller beziehen.«
»Lem Stiller?« Der korpulente Mann runzelte die Stirn. »Was haben Sie denn mit dem zu tun?«
»Er vertraute sich, wenn auch notgedrungen, Lady Simpson an«, erklärte Parker, die Tatsachen ein wenig vereinfachend. »In diesem Zusammenhang ist von zwei Männern zu berichten, die den gerade erwähnten Mister Stiller zu Ihnen bringen sollten.«
»Sie sind doch niemals von der Polizei«, erwiderte James Falconer. »Was mischen Sie sich eigentlich in meine Angelegenheiten. Ich hab’ große Lust, Sie an die frische Luft setzen zu lassen.«
»Genieren Sie sich nicht, junger Mann«, forderte Lady Agatha ihn umgehend auf.
»Ich ... ich vergreif mich doch nicht an altem Schrott«, brüllte Falconer los, um diese Einschätzung umgehend zu bereuen. Agatha Simpson wurde prompt aktiv und warf ihm einen Aschenbecher an den Kopf, das heißt, genau traf sie nicht.
Das schwere Glasgefäß, das mit Zigarrenstummeln gefüllt war, landete auf der Brust des Gangsters. Asche wallte hoch und nahm dem Mann vorübergehend die Sicht.
»Jetzt reicht’s mir aber«, schnaufte Falconer gereizt. »Alles hat seine Grenzen.«
Er warf den nicht gerade leichten Sessel zur Seite und wollte sich auf Lady Agatha stürzen. Dabei übersah er Butler Parker, der in seiner diskreten Art ein wenig zur Seite getreten war. Der Butler benutzte den bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes als eine Art Hemmschuh. Er legte ihn von hinten um den Hals des Mannes und bremste seinen Schwung nachhaltig.
James Falconer verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings gegen seinen Schreibtisch. Dabei quiekte er überraschend hell.
»Sie sollten sich auf keinen Fall unnötig chauffieren, Mister Falconer«, riet Parker ihm. »Meine Wenigkeit möchte noch mal betonen, daß Mylady plante, mit Ihnen ein durchaus freundliches Gespräch zu führen.«
Falconer richtete sich wieder auf und stöhnte verhalten. Er befingerte seinen Hals und blickte Parker und Lady Agatha noch mal sehr intensiv an. Dabei flackerten seine Augen.
»Ich glaub’s einfach nicht«, sagte er dann ein wenig heiser. »Ich glaub’s einfach nicht.«
»Das ist Ihre Sache, junger Mann«, machte Mylady ihm klar. »Beantworten Sie jetzt umgehend meine Fragen, die Mister Parker Ihnen stellen wird.«
»Parker? Butler Parker?« Falconer schluckte.
»Und Lady Agatha Simpson«, stellte der Butler genau vor.
»Sie sind das?« Falconer holte tief Luft.« Sie ...?«
»Ich weiß, junger Mann, daß Sie schon oft von mir gehört haben«, meinte die ältere Dame sichtlich zufrieden. »Aber jetzt zur Sache. Mister Parker, meine Fragen!«
»Sie hatten die Absicht, Mister Lem Stiller einem Verhör zu unterziehen«, erinnerte der Butler in seiner höflichen Art. »Würden Sie Mylady anvertrauen, über welches Thema Sie mit ihm sprechen wollten? Könnte es sich möglicherweise um die Frauenfalle und um einen Frauenjäger handeln?«
*
Chief-Superintendent McWarden, fünfundfünfzig, untersetzt, mit leichtem Bauch erinnerte wegen seiner vorstehenden Basedowaugen an eine stets leicht gereizte Bulldogge. Er leitete im Yard eine Spezialabteilung, die sich mit organisiertem Verbrechen befaßte. McWarden war ein hervorragender Kriminalist, doch er suchte immer wieder das altehrwürdige Haus der Lady Simpson in Shepherd’s Market auf, um sich hier Rat zu holen.
Er brauchte aber auch oft die aktive Hilfe seiner Gastgeberin und des Butlers. Mylady und Parker waren schließlich an keine Vorschriften gebunden und konnten wesentlich freier agieren als er.
Dafür nahm McWarden mehr oder weniger gern in Kauf, daß Agatha Simpson keine Gelegenheit ausließ, sich an ihm zu reiben. Er wußte letztendlich, daß sie es nie sonderlich ernst meinte, zudem verschaffte sie ihm so die Möglichkeit, ihre schottische Sparsamkeit anzusprechen und auf die Probe zu stellen.
An diesem späten Nachmittag hatte der Chief-Superintendent sich eingefunden, um einen reinen Höflichkeitsbesuch abzustatten, wie er behauptete.
»Sie brauchen also wieder mal meine Hilfe«, sagte Lady Agatha prompt und lächelte. »Ich kenne das schon, mein lieber McWarden. Sie sind ratlos.« »
»Zur Zeit habe ich keine Probleme«, erklärte McWarden und nickte, als Parker ihm einen Sherry anbot. Der Butler übersah den vorwurfsvollen Blick der Hausherrin, die solch ein Angebot natürlich für überflüssig hielt.
»Sie haben demnach also Urlaub«, stellte Mylady fest.
»Ich könnte ihn jederzeit nehmen. Wir haben hier in der Stadt alles fest im Griff, Mylady. Bis vielleicht auf eine Kleinigkeit.«
»Aha, jetzt lassen Sie die Katze aus dem Sack.« Sie lehnte sich zufrieden zurück.
»Diese Kleinigkeit kann ich aber meinen Mitarbeitern und dem zentralen Computer überlassen«, fuhr McWarden fort. »Es geht um reine Ermittlungen.«
»Die sich auf eine ganz bestimmte Person beziehen, Sir?« schaltete der Butler sich ein. Ihm war klar, daß der Chief-Superintendent nicht nur zufällig vorbeischaute.
»Unser Computer ist bereits dabei, diesen Personenkreis zu erfassen«, meinte McWarden. »Sie arbeiten an Ihrem Roman, Mylady?«
»Ununterbrochen«, schwindelte Sie. »Ich denke, ich werde die gute Agatha Christie bald in den Schatten stellen.«
»Wann ist mit dem Erscheinen Ihres Krimis zu rechnen?« wollte der Chief-Superintendent wissen. Ihm war bekannt, daß die ältere Dame schon seit Jahren an diesem geplanten Bestseller schrieb, der allerdings über die erste Seite hinaus noch nicht weiter gediehen war.
»Ich will mich da nicht festlegen, McWarden«, lautete Myladys Antwort. »Momentan befasse ich mich mit Astrologie.«
»Astrologie?« staunte McWarden und machte einen verdutzten Eindruck.
»Ich weiß inzwischen, daß die Sterne nicht lügen, mein lieber McWarden. Oder nur kaum. Ich habe da so meine Erfahrungen gemacht. Aber zurück zu Ihrem Problem. Wo drückt Sie der Schuh?«
»Nun ja, wir sind hinter einem Täter her, der sich Frauenjäger nennt. Sie haben bereits von ihm gehört, Mylady?«
»Habe ich das, Mister Parker?« Sie wandte sich wie selbstverständlich an ihren Butler.
»Mylady geruhen, erstaunt zu sein«, gab Parker gemessen zurück.
»Sie sprachen gerade von einem Frauenjäger, McWarden?« fragte die ältere Dame.
»Ein Kerl, der Frauen terrorisiert«, redete McWarden weiter. »Wir wollen ihm so schnell wie möglich das Handwerk legen, Mylady.«
»Ich brauche Einzelheiten, wenn ich diesen Fall lösen soll«, verlangte sie.
»Es geht da um Terror-Anrufe, um Nachstellungen, um Überfälle in Hoch- und Tiefgaragen«, zählte der Chief-Superintendent auf. »Die betroffenen Frauen sind völlig verängstigt und einem Nervenzusammenbruch nahe.«
»Könnten Mylady Einzelheiten erfahren, Sir?« fragte der Butler. »Handelt es sich um einen Einzeltäter?«
»Das eben wissen wir nicht genau«, bedauerte McWarden. »Deshalb ist die Sache erst mal bei mir im Dezernat gelandet. Sie möchten Einzelheiten hören? Sie sind leider mager genug.«
»Das hatte ich auch gar nicht anders erwartet«, meinte Agatha Simpson bissig. »Wann waren Sie schon je umfassend informiert, mein lieber McWarden? Aber machen Sie sich nichts daraus, schließlich gibt es ja mich. Natürlich werde ich Ihnen wieder aus der Patsche helfen.«
Gegen seinen Willen lief McWarden leicht dunkelrot an.
*
»Werde ich eigentlich verfolgt?« erkundigte sich Lady Agatha eine Stunde später. Es dunkelte bereits. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und war auf dem Weg zu den Docks, um Lem Stiller aus dem Brunnenschacht zu holen.
»Mister Falconer ist in der Tat bereits aktiv«, beantwortete Parker die Frage. »Er dürfte zwei von seinen Leuten auf Mylady angesetzt haben.«
»Wie schön«, freute sie sich. »Es sind natürlich die beiden Lederträger auf dem Motorrad, nicht wahr?«
»In etwa, Mylady«, gab der Butler in seiner höflichen Art zurück. »Es handelt sich um zwei Männer in einem flaschengrünen Ford.«
»Wie auch immer.« Sie räusperte sich explosiv. »Klammern Sie sich gefälligst nicht an unwichtige Kleinigkeiten, Mister Parker. Die beiden Lümmel auf dem Motorrad können ebenfalls zu diesem Gangster aus Soho gehören, oder?«
»Solch eine Möglichkeit sollte man nie ausschließen, Mylady.«
»Und was werde ich mit den Verfolgern machen, Mister Parker? Hoffentlich ist Ihnen bereits etwas eingefallen.«
»Man könnte sie im Brunnenschacht gegen Mister Lem Stiller austauschen.«
»Genau das wollte ich gerade vorschlagen«, lautete ihre obligate Standardantwort. »Nun gut, die Einzelheiten überlasse ich Ihnen. Was halten sie von diesem Frauenjäger? Ich habe mir natürlich längst so meine Gedanken gemacht, wie Sie sich vorstellen können.«
»Mister McWarden erwähnte fünf Frauen, die terrorisiert werden«, erinnerte der Butler. »Zwei von ihnen wurden zusätzlich noch in Hoch- und Tiefgaragen überfallen.«
»Und seit wann geschieht das, Mister Parker?«
»Seit knapp einem Monat, Mylady. In allen Fällen wurden die betreffenden Frauen zuerst per Telefon belästigt, dann eindeutig verfolgt und beschattet. Erstaunlicherweise wurden die beiden überfallenen Frauen nicht beraubt. Man begnügte sich damit, ihre Kleidung in Unordnung zu bringen, um es mal so auszudrücken.«
»Scheußlich«, entrüstete sich die ältere Dame.
»Der Chief-Superintendent geht davon aus, daß sicher mehr als nur die erwähnten fünf Frauen auf solche Art belästigt wurden und werden.«
»Und was vermute ich dahinter, Mister Parker? Habe ich es mit einem geistesgestörten Täter zu tun?«
»Dies ist auf keinen Fall auszuschließen, Mylady.«
»Oder werde ich eine Gang ausheben müssen?« Sie drückte sich sehr fachmännisch aus, denn sie hatte am Vortag erst einen Video-Krimi gesehen.
»Mylady rechnen stets mit allen Möglichkeiten«, stellte Parker fest.
»Das macht mich ja auch so erfolgreich«, lobte sie sich umgehend. »Ich traue diesem Lümmel aus Soho nicht über den Weg, Mister Parker. Er dürfte der Frauenjäger sein.«
»Mister James Falconer sagte immerhin aus, daß er von diesem Frauenjäger weiß und daß die Person seine Geschäfte mit den Betreibern von Hoch- und Tiefgaragen empfindlich stört.«
»Das hat er bestimmt nur gesagt, um von sich abzulenken, Mister Parker, Sie sind und bleiben zu leichtgläubig.«
»Falls Mister Falconer der Frauenjäger ist, Mylady, müßte er handfeste Gründe haben, das weibliche Geschlecht zu terrorisieren.«
»Ich werde sie herausfinden, Mister Parker«, wußte sie mit letzter Sicherheit. »Das ist nur noch eine Frage von wenigen Stunden. Sind die Verfolger auf dem Motorrad noch immer hinter mir her?«
»Nicht unbedingt, Mylady«, antwortete der Butler in gewohnter Höflichkeit. »Die Motorradfahrer sind inzwischen abgebogen, während der flaschengrüne Ford nach wie vor Mylady folgt.«
»Ein reines Ablenkungsmanöver«, behauptete die ältere Dame. »Man will mich nur in Sicherheit wiegen.«
»Wie Mylady zu meinen geruhen«, gab Parker zurück.
*
Es wären zwei ausgesuchte Schläger, die den flaschengrünen Ford verließen.
Man hatte sie zwar eingehend gewarnt und ihnen eingehämmert, die beiden Opfer seien trickreich und wehrhaft, doch das konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Während der Fahrt zu den Docks hatten sie eingehend Gelegenheit gehabt, die beiden Insassen des hochbeinigen Wagens in Augenschein zu nehmen.
Sie waren zu dem Schluß gekommen, daß man wohl erheblich übertrieben hatte. Die ältere Dame mit dem skurrilen Hutgebilde und ihr Butler konnten doch keine ernsthaften Gegner sein ...
»Man geniert sich ja fast«, sagte Freddy, einer der beiden Schläger, der das Unternehmen anführte.
»Und denen sollen wir die Knochen brechen?« entrüstete sich Bill. »Mann, da hab’ ich ja direkt ’n flaues Gefühl in der Magengegend.«
»Job is’ Job«, erwiderte Freddy, »der Chef will’s schließlich so.«
Die beiden Spezialisten in Sachen Knochenbruch pirschten sich an den verlassenen Lagerschuppen heran und passierten dabei den hochbeinigen Wagen des Butlers. Sie schlüpften durch ein brandig aussehendes Loch in der Mauer, orientierten sich kurz und entdeckten die Lady, die neben dem Gestänge eines windschiefen, verrosteten Lastenaufzugs stand und sich gerade den Hut richtete.
»Und wo steckt der Butler?« fragte Bill.
»Hinter dem Bretterstapel«, antwortete Freddy. »Weiß der Himmel, was die beiden Typen hier wollen.«
»Okay, jetzt seh’ ich die Melone auch«, meinte Bill. Er ließ den Axtstiel, den er aus dem Ford mitgenommen hatte, prüfend durch die Luft zischen. Freddy tat es ihm mit seinem Holzprügel nach. Sie nickten sich zu und machten sich auf den Weg, um die Arbeit hinter sich zu bringen.
Sie kamen an einem kleinen Schuttberg vorüber, gingen hinter einem Stapel alter Ziegelsteine vorübergehend in Deckung und beobachteten die ältere Dame, die erstaunlicherweise damit beschäftigt war, zerbeulte Marmeladeneimer aufzuheben und zu begutachten.
»Die is’ doch nicht ganz an Deck«, wunderte sich Bill.
»Die haben da was versteckt«, vermutete Freddy leise. »Vielleicht können wir noch was abstauben.«
Er schob sich weiter vor, um noch besser beobachten zu können. Bill blieb zurück und sicherte zur Seite hin. Und er zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen, als ein harter Gegenstand seinen Hinterkopf erreichte. Bill rutschte augenblicklich in sich zusammen und gab den Axtstiel frei. Er schloß die Augen und nahm an der weiteren Entwicklung der Dinge nicht mehr teil.
»Kannst du diesen komischen Butler sehen?« erkundigte sich Freddy inzwischen. Als er verständlicherweise keine Antwort erhielt, wiederholte er die Frage.
»Wo steckt der Butler?« fragte Freddy nach einer Weile. Die ältere Dame, die er keinen Augenblick aus den Augen gelassen hatte, war hinter einem Stapel Blech verschwunden.
Als Freddy noch immer keine Antwort erhielt, wandte er sich wütend zu seinem Begleiter um. Er entdeckte Bill, der auf dem Schutt lag, sich nicht rührte und geriet augenblicklich in Panik.
Bevor er sich aber ducken konnte, erwischte es auch ihn. Ein ebenfalls harter Gegenstand prallte mit seinem Hinterkopf zusammen, worauf Freddy bunte, geometrische Figuren vor seinen Augen sah, eine aufkommende Schwäche registrierte und dann ohnmächtig wurde.
»Mylady können sich wieder zeigen«, rief Parker. Seine Stimme kam von einer schmalen Betontreppe, hinter deren Geländer er sich verborgen gehalten hatte.
»Es wurde aber auch langsam Zeit, Mister Parker«, antwortete sie grollend. »Sind die beiden Lümmel ausgeschaltet worden?«
»Wie Mylady zu wünschen geruhten.« Parker näherte sich den beiden Schlägern, die entspannt auf dem Schutt lagen. Routiniert durchsuchte er sie und fand zwei Springmesser, die er an sich nahm. Anschließend holte er eine Rolle Packband aus einer der Taschen seines schwarzen Covercoats und verschnürte damit die Hände der beiden Männer.
»Sehen Sie sich die beiden Holzprügel an, Mister Parker«, entrüstete sich Lady Agatha. »Man wollte mich doch tatsächlich niederschlagen. Welch ein Leichtsinn!«
»Mister Falconer scheint ungemein nachtragend zu sein, Mylady«, antwortete der Butler.
»Im Gegensatz zu mir«, behauptete die ältere Dame. »Aber in diesem Fall werde ich eine Ausnahme machen. Anschließend geht es zurück zu diesem Subjekt. Erinnern Sie mich rechtzeitig daran.«
*
Lem Stiller schluchzte fast vor Dankbarkeit, als er ans Tageslicht zurücksteigen konnte. Parker hatte den schweren, gußeisernen Deckel zur Seite geschoben, den er zusätzlich noch mit einigen Bohlen belastet hatte. Der Mann kroch über den Rand des Brunnenschachtes und blinzelte. Parker deutete auf einen umgestülpten Eimer.
»Sie dürfen Platz nehmen, Mister Stiller«, sagte er höflich. »Sie haben sich hoffentlich nicht allzusehr gelangweilt.«
»Ich dacht’, ich müßt’ verrückt werden«, antwortete Stiller mit leiser Stimme.
»Mylady wünscht zu erfahren, wo Sie die bisher gemachte Beute versteckt halten«, sagte der Butler. »Es ist inzwischen erwiesen, daß Sie bereits in mehreren Fällen Frauen in Hoch- und Tiefgaragen überfallen haben.«
»Falls Sie das abstreiten, junger Mann, geht’s zurück in den Brunnen«, deutete Mylady an. »Aber fassen Sie das nur ja nicht als Drohung auf. Ich will keinen Druck auf Sie ausüben.«
»Schon gut, schon gut«, meinte Lem Stiller jetzt hastig. »Sie haben mich geschafft... Ich sag’s ja schon. Das Zeug liegt bei ’nem Freund von mir.«
»Eine genaue Adresse und der Name Ihres Freundes könnten Mylady in eine gnädige Grundstimmung versetzen«, meinte Parker.
»Richie Wilmings wohnt in Stepney und hat da ’nen Papierladen«, kam schnell die Antwort.
»Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß er mit Papierwaren handelt?«
»Genau ... Aber der hat keine Ahnung, was in dem Koffer is’, den ich bei ihm abgestellt habe.«
»Ich glaube Ihnen selbstverständlich kein Wort, junger Mann«, schaltete Lady Simpson sich ein.
»Die genaue Adresse«, erinnerte der Butler. Stiller beeilte sich, sie zu nennen. Er beschrieb sogar, wo der Koffer zu finden war.
»Kann ich jetzt abhauen?« fragte er.
»Sie sollten tunlichst nichts überstürzen, Mister Stiller«, warnte Parker ihn. »Zudem wird man Sie, wie es die Höflichkeit gebietet, natürlich nach Stepney zurückbringen. Betrachten Sie sich als Myladys Gast.«
»Ich schwör’ Ihnen, daß ich niemals wieder Frauen ...«
»Weitere Raubüberfälle wären Ihrer Gesundheit auch kaum zuträglich, Mister Stiller«, unterbrach der Butler. »Sie sollten in diesem Zusammenhang wissen, daß ein gewisser Mister James Falconer sich für Sie interessiert. Sie dürften seine Kreise gestört haben.«
»Falconer?« Stiller wußte mit dem Namen durchaus etwas anzufangen und schluckte unwillkürlich.
»Zwei seiner Mitarbeiter warteten in Ihrem Apartment auf Sie, Mister Stiller. Sie hatten den Auftrag, Sie zu ihm zu bringen.«
»Falconer? Wer ist das?« Stiller hatte innerlich umgeschaltet und tat so, als wäre der Name ihm völlig fremd.
»Sie kennen ihn demnach also nicht?« Parker ging auf dieses Spiel ein.
»Nein, nie gehört. Wer soll das denn sein?«
»Mylady ist gern bereit, Sie ihm vorzustellen, Mister Stiller.«
»Also ... Hören Sie ... Nun gut... ich kenn’ ihn.«
»Einige Angaben zu seiner Person aus Ihrer Sicht wären durchaus angebracht.«
»Falconer schützt die Garagen in der Stadt«, erwiderte Stiller, »nicht alle, klar, aber viele.«
»Und wer schützt die übrigen Garagen, Mister Stiller?«
»Sein Konkurrent. Casnell... Gregory Casnell. Die beiden liegen sich ständig in den Haaren. Mehr weiß ich wirklich nicht.«
»Seine Adresse dürfte Ihnen aber sicher bekannt sein, nicht wahr?«
»Casnell sitzt in Wapping, er hat da ’ne Reinigungsfirma.«
»Ob das alles der Wahrheit entspricht, wird sich noch zeigen«, warf Lady Simpson skeptisch ein. »Sperren Sie ihn erst mal in den Kofferraum, Mister Parker.«
»Lassen Sie mich abhauen, sobald Sie den Koffer haben«, beschwor Lem Stiller Mylady und den Butler. »Wenn Falconer oder Casnell mich erwischen, bin ich geliefert.«
»Wie schafften Sie es, den privaten Wachdiensten der Herren Falconer und Casnell zu entgehen?« wollte Josuah Parker noch wissen.
»Ich... ich hab’ eben aufgepaßt«, behauptete Lem Stiller schnell.
»Oder sollten Sie einen Partner gehabt haben, der die Wachen ablenkte?«
»Ich und einen Partner,« Stiller bemühte sich um ein Lächeln.
»Zum Beispiel Mister Wilmings«, tippte der Butler an.
»Nein, bestimmt nicht. Ich hab’ eben aufgepaßt«, erklärte Stiller noch mal mit Nachdruck. »Un’ ich hab’ ja nur ein paarmal Handtaschen und so geklaut. Mehr nicht.«
»Demnach handelte es sich heute also doch nicht um Ihren ersten Versuch?«
»Ich hätt’ aber ab heute aufgehört, die Sache war mir zu gefährlich geworden.«
Willig folgte er dem Butler und ließ sich im Kofferraum des hochbeinigen Monstrums verstauen. Anschließend schritt Parker zu den beiden Schlägern, die inzwischen längst wieder zu sich gekommen waren. Sie blickten ihn abwartend-nervös an.
»Mylady setzt bei Ihnen, meine Herren, eine gesunde Neugier voraus«, sagte Parker. »Sie kann und soll befriedigt werden.«
»Moment mal, was haben Sie mit uns vor?« fragte Freddy.
»Sie haben die Gelegenheit, einen Brunnenschacht zu besichtigen, der erfreulicherweise kein Wasser mehr aufweist.«
»Brunnenschacht?« Bill bekam große Augen.
»Er diente der privaten Wasserversorgung dieses längst stillgelegten Betriebs«, fügte der Butler hinzu. »Darf man sich erlauben, Ihnen eine gewisse Vorsicht zu empfehlen? Die Steigeisen könnten ein wenig rutschig sein.«
Mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes dirigierte er die beiden Männer zum Brunnenschacht und deutete dann nach unten.
»Worauf warten Sie noch?« fragte Agatha Simpson ungeduldig. »Oder soll ich Sie nach unten stoßen?«
Sie nahmen es ihr durchaus ab, was sie andeutete. Und sie beeilten sich wenige Augenblicke später, schleunigst nach unten zu steigen. Sie waren derart beeindruckt, daß sie noch nicht mal die sonst üblichen Drohungen ausstießen.
*
Richie Wilmings wollte gerade sein kleines Papierwarengeschäft schließen, als Lady Agatha und Butler Parker vor der Ladentür erschienen. Wilmings, klein, fast mager, mit unruhigen, dunklen Augen, etwa dreißig Jahre alt, blickte die beiden mutmaßlichen Kunden ein wenig irritiert an. Interessenten dieser Art hatte er mit Sicherheit noch nie gehabt.
»Mister Richie Wilmings, wie zu vermuten ist,« fragte der Butler und lüftete die schwarze Melone.
»Wilmings«, bestätigte der kleine Mann unsicher.
»Meine Wenigkeit überbringt die Grüße eines gewissen Mister Lem Stiller«, begann Parker und bereitete sich darauf vor, seinen Regenschirm nutzbringend einzusetzen.
Wie richtig dies war, zeigte sich wenige Augenblicke später. Der Papierwarenhändler wollte blitzschnell die Tür schließen, doch Parkers Regenschirm war schneller. Er schob sich zwischen Türblatt und Rahmen.
Daraufhin besann sich der kleine Mann auf die Beine und wollte die Flucht ergreifen. Er kam jedoch nicht weit. Der Bambusgriff des Schirmes erwies sich als Hindernis. Er legte sich um den Hals des Flüchtenden, der daraufhin in Richtung Tür zurückgezogen wurde.
»Sie sollten jede unnötige Hast vermeiden, Mister Wilmings«, meinte der Butler. »Mylady könnten dies sonst völlig mißverstehen und Ihnen ein schlechtes Gewissen unterstellen.«
Wilmings verbreitete sich nun erst mal über seinen Hals, klagte über diverse Druckstellen und befingerte äußerst vorsichtig seinen Adamsapfel.
»Es geht um einen Koffer, den Mister Lem Stiller bei Ihnen deponiert hat«, sagte Parker, während er die Tür hinter Mylady schloß. Sie blickte sich neugierig um und nahm dann auf einem Hocker Platz. Sie langte nach einigen nicht gerade billigen Magazinen aus dem Bereich der internationalen Mode und warf Wilmings einen eisigen Blick zu.
»Ich habe wenig Zeit«, machte sie deutlich. »Wo also ist dieser Koffer?«
»Koffer?« Wilmings tat unwissend.
»Der mit Beuteware gefüllt ist«, sagte der Butler. »Mister Stiller war so freimütig, auf ihn zu verweisen.«
»Ach den?!« Wilmings änderte seine Taktik. »Stimmt, Stiller hat da bei mir ’nen Koffer abgestellt. Aber was drin ist, weiß ich natürlich nicht.«
»Wie sollten Sie auch, Mister Wilmings...« Parkers Stimme klang neutral. »Sie haben sich natürlich auch geweigert, mit ihm zusammen in diversen Hoch- und Tiefgaragen hilflose Frauen zu überfallen, nicht wahr?«
»Wie war das? Was soll ich mit Stiller gemacht haben?« Er gab sich als Unschuld in Reinkultur.
»Mister Stiller legte ein Geständnis ab, das man nur als umfassend bezeichnen kann«, machte Parker deutlich. »In diesem Zusammenhang fiel Ihr Name, Mister Wilmings.«
»Wenn schon, mich kratzt das nicht. Ich weiß nur, daß er hier einen Koffer abgestellt hat, mehr nicht.«
»Dann dürften Sie auch kaum etwas dagegen einzuwenden haben, daß die Herren Falconer und Casnell Ihren Namen erfahren, Mister Wilmings. Sie haben ja Ihren Worten zufolge nichts zu befürchten.«
»Falconer und Casnell?« Daß die Namen ihm etwas sagten, war ihm deutlich anzusehen.
»Zwei Männer, die für ihre rüden Methoden bekannt sind«, erinnerte Josuah Parker gemessen.
»Ich könnte Sie natürlich auch ohrfeigen«, stellte die ältere Dame grimmig in Aussicht.
»Schlimmer als Ohrfeigen, Mylady, dürften die Herren Falconer und Casnells sein«, vermutete der Butler.
»Also hören Sie... Okay, ich geb’ ja zu, daß ich ein paarmal mit Stiller losgezogen bin ... Was er da in den Garagen gemacht hat, weiß ich nicht.«
»Sie haben ihm eindeutig das verschafft, was man im Volksmund einen freien Rücken nennt, Mister Wilmings.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Hören Sie, wo steckt Stiller jetzt? Er wird Ihnen sagen, daß ich mit seiner Masche nichts zu tun hatte.«
»Was verstehen Sie unter Masche, Mister Wilmings?«
»Ich vermute, daß er ein paar Leute beklaut hat. Wie gesagt, ich vermute das, mehr aber auch nicht.«
»Nun zu dem Koffer«. Parker wechselte die Gesprächsrichtung. Er deutete in die Tiefe eines Korridors, der hinter dem kleinen Ladenlokal zu sehen war. Wilmings zuckte zusammen, als sich der Bambusgriff des Universal-Regenschirmes um seinen Adamsapfel legte. Dann übernahm er die Führung und wies den Weg zum Koffer.
*
»Beeindruckend«, stellte Mike Rander fest und blickte auf die Gegenstände, die aus dem besagten Koffer stammten. Es handelte sich um Kreditkarten, Scheckformulare, Schmuck aller Art, Bargeld und teure Handtaschen.
»Stiller und Wilmings müssen wenigstens ein Dutzend Frauen überfallen und ausgeraubt haben«, fügte Kathy Porter hinzu. Sie war vor etwa fünf Minuten mit Mike Rander in das Haus der älteren Dame gekommen.
»Und sogar teure Modemagazine«, wunderte sich der Anwalt. Er deutete auf einige brandneue Exemplare.
»Was diese Lümmel alles zu zusammenraffen«, staunte Lady Simpson. »Oder sollte ich diese Magazine versehentlich mitgenommen haben, Mister Parker?«
»Falls ja, Mylady, so dürfte dies meiner Aufmerksamkeit entgangen sein«, erwiderte der Butler. »Wichtig sind die eigentlichen Beutestücke. Sie belegen, daß die Herren Stiller und Wilmings wohl kaum etwas mit dem gesuchten Frauenjäger zu tun haben.«
»Das fiel mir sofort auf.« Mylady räumte die teuren Modemagazine weg und ließ sie unter einem Kissen verschwinden.
»Der gute McWarden berichtete ja, daß dieser Frauenjäger in keinem Fall seine Opfer beraubt hat, oder?« fragte Rander und blickte den Butler an.
»In der Tat, Sir«, bestätigte Parker. »Der Frauenjäger begnügte sich bisher damit, seine weiblichen Opfer in Todesängste zu versetzen. In allen bisher bekannten Fällen kam es dazu noch zum Aufschlitzen und Zerreißen von Kleidungsstücken.«
»Ein Psychopath«, urteilte Kathy Porter.
»Dem man möglichst schnell das schmutzige Handwerk legen sollte, bevor es zu einer Steigerung der Handlungen kommt«, meinte der Butler.
»Um welche Frauen handelte es sich, Parker?« wollte Mike Rander wissen.
»In allen Fällen waren es alleinstehende Frauen, die durchweg gute Stellungen in der Arbeitswelt bekleiden.«
»Hat McWarden Ihnen da eine Liste zugespielt?« Die formlose Anrede Randers hatte seine Gründe. Vor Jahren waren er und Parker ein Team gewesen. Seinerzeit hatte man sich in den USA aufgehalten und gemeinsam viele verzwickte Kriminalfälle gelöst. Man kannte sich also mehr als gut.
»Der Chief-Superintendent rief meine Wenigkeit vor einer halben Stunde an und hatte nichts dagegen, daß man seine Informationen mitschnitt, Sir. Daher konnte man sich mit diesem Hinweis nachträglich noch mal eingehend befassen.«
»Frauen in guten Stellungen.« Kathy Porter nahm diesen Faden auf. »Was kann man sich darunter vorstellen?«
»Fünf Frauen wurden bisher terrorisiert, Miß Porter«, schickte der Butler voraus. »Zwei von ihnen wurden in Garagen überfallen. Alle betroffenen Personen sind leitende Angestellte in Behörden oder Privatfirmen.«
»Und wie kam es zu dieser Bezeichnung, Mister Parker?«
»Die kriminelle Person stellte sich in allen Fällen als Frauenjäger vor. Am Telefon, aber auch in den jeweiligen Garagen. Er legte eindeutig Wert darauf, sich so zu bezeichnen.«
»Ein Geistesgestörter«, ließ die passionierte Detektivin sich erneut vernehmen. »Anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären.«
»Mister McWarden geht davon aus, daß der sogenannte Frauenjäger mit Sicherheit noch weitere Frauen belästigt hat, die sich aber aus Angst und Scham nicht gemeldet haben.«
»Damit hat er meine Ansicht übernommen«, behauptete Lady Agatha triumphierend.« Inzwischen habe ich bereits zwei Subjekte, die als Frauenjäger in Betracht kommen könnten. Ist es nicht so, Mister Parker?«
»In etwa durchaus«, gab der Butler höflich, aber mehr als vage zurück, »Die Herren Stiller und Wilmings machten im Gegensatz zu dem Frauenjäger allerdings eindeutig Beute.«
»Um Spuren zu verwischen«, mutmaßte die ältere Dame umgehend. »Man kennt doch diese Verwirrspiele.«
»Wo stecken die beiden Kerle jetzt?« wollte Mike Rander wissen. »Sie gehören doch hinter Schloß und Riegel.«
»Sie halten sich abrufbereit bei einer Person auf, die in Myladys Schuld steht«, entgegnete der Butler. »Sie werden dort so lange festgehalten, bis geklärt ist, daß sie ihre Opfer nicht verletzt haben. Die Beute wird man Chief-Superintendent McWarden zuspielen.«
»Ich will mal richtig neugierig sein, Parker«, schickte Mike Rander voraus. »Welche Person kümmert sich jetzt um die beiden Kerle?«
»Mister Horace Pickett war so entgegenkommend, für eine standesgemäße Unterbringung zu sorgen«, erwiderte der Butler. »Man muß davon ausgehen, daß die Herren Stiller und auch Wilmings möglicherweise mehr über den Frauenjäger wissen, als sie bisher zu erkennen gaben.«
»Mir ist da gerade eine Idee gekommen«, ließ Agatha Simpson sich plötzlich vernehmen, worauf Kathy Porter und Mike Rander leicht zusammenzuckten. Parker hingegen zeigte keine Reaktion.
»Ich werde mich wieder mal als Lockvogel anbieten«, erklärte die ältere Dame begeistert. »Ich werde mich in einigen Garagen zeigen und den Frauenjäger anlocken. Was halten Sie davon, Mister Parker?«
»Mylady haben vor, sich bis zur Selbstaufgabe einzusetzen.«
»So sehe ich das auch«, pflichtete sie ihm bei. »Aber man muß schließlich Opfer bringen. Suchen Sie mir eine hübsche Tiefgarage aus, Mister Parker.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Der Butler deutete eine Verbeugung an. Er war erfahrungsgemäß durch nichts zu erschüttern.
»Er wird sein blaues Wunder erleben, wenn er mich anfällt«, prophezeite sie. »Ich werde aber sicherheitshalber noch einen Blick in das Astrologie-Handbuch werfen.«
»Danach müssen Mylady für heute noch mit Überraschungen rechnen«, erinnerte der Butler.
»Bis Mitternacht«, schränkte sie ein. »Wie meine Bestrahlung danach ist, wird sich noch zeigen.«
*
Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und hatte Shepherd’s Market hinter sich gelassen. Ihm kam die nächtliche Ausfahrt durchaus gelegen, denn er ging davon aus, daß James Falconer aktiv war. Der Gangster vermißte inzwischen immerhin vier von seinen Mitarbeitern. Zwei durften sich als Myladys Gäste betrachten, die beiden anderen Männer hielten sich im Brunnenschacht auf.
Parker wunderte sich also überhaupt nicht, daß sich bereits Verfolger zeigten. Sie hatten auf der Durchgangsstraße vor dem ausgedehnten Grundstück des altehrwürdigen Hauses gewartet und folgten hartnäckig.
Es handelte sich um einen Toyota, in dem sich drei Männer befanden. Falconer unternahm also einen weiteren Versuch, an Mylady und ihn heranzukommen. Dieser Gangster brauchte unbedingt ein schnelles Erfolgserlebnis, um sein erschüttertes Selbstvertrauen wieder aufpolieren zu können.
»Habe ich Ihnen schon gesagt, wie meine Bestrahlung ab Mitternacht aussehen wird, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. Breit und entspannt saß sie im Fond des Wagens. Da die Trennscheibe versenkt war, konnte sie sich ohne die Bordsprechanlage mit Parker unterhalten.
»Mylady machten bereits einige Andeutungen«, erwiderte der Butler und warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Toyota hatte sich etwas zurückfallen lassen, folgte jedoch nach wie vor.
»Jemand wird versuchen, meine Position zu untergraben, Mister Parker«, zitierte sie aus dem Gedächtnis. »Ich darf einem Unbekannten auf keinen Fall vertrauen und muß mit Konflikten rechnen, die aber zu meinen Gunsten ausgehen werden.«
»Eine ungemein eindeutige und präzise Warnung, Mylady.« Parkers Stimme klang neutral.
»Dieses Handbuch ist einmalig gut«, lobte sie ihren Kauf. »Sie denken aber hoffentlich nicht, daß ich abergläubisch bin, Mister Parker, wie?«
»Auf keinen Fall, Mylady«, lautete Parkers spontane Antwort.
»Was ich mir aber auch ausgebeten haben möchte«, redete sie munter weiter. »Für mich zählt allein der kühle Verstand.«
»Wie Mylady ununterbrochen unter Beweis stellen.«
»Das ist richtig.« Sie nickte nachdrücklich. »Haben Sie sich inzwischen für eine hübsche Tiefgarage entschieden?«
»In der City gibt es einige Garagen dieser Art, Mylady, die bis in die frühen Morgenstunden frequentiert werden.«
»Solche Frauenfallen sollten eigentlich abgeschafft werden«, ärgerte sie sich und fand ein neues Thema. »Die unterirdischen Abstellplätze sind durchweg zu schlecht beleuchtet. In den meisten Fällen fehlt auch so etwas wie Wachpersonal. Ich kann Frauen sehr gut verstehen, die sich nicht in diese Garagen trauen.«
»Was auch durchaus für manche Männer gilt, Mylady.«
»Hinter jedem Pfeiler, hinter jedem Wagen kann der Täter lauern.«
»Die Betreiber der Garagen dürften die Personalkosten für Wachleute fürchten, Mylady.«
»Dann muß so etwas eben per Gesetz geregelt werden«, meinte die ältere Dame. »Ich werde mich darüber mal mit meinem Abgeordneten unterhalten. Erinnern Sie mich daran.«
»Mylady werden übrigens verfolgt«, meldete der Butler.
»Ich wußte es«, meinte sie und nickte wohlwollend. »Der Frauenjäger ist mir bereits auf der Spur.«
»Es handelt sich um drei Verfolger männlichen Geschlechts, Mylady.«
»Irgendwie ahnte ich es gleich, daß es hier um mehrere Frauenjäger geht, Mister Parker.«
»Mylady wünschen die drei Männer zu stellen?«
»Selbstverständlich, Mister Parker. Der gute McWarden wird sich wundern, wenn ich ihm zum Frühstück den gelösten Fall präsentiere. Es hat sich also bereits jetzt gelohnt, daß ich mich als Köder angeboten habe.«
Parker war auf keinen Fall leichtsinnig und überschätzte seine Möglichkeiten nie. Man hatte es mit drei Verfolgern zu tun, die mit Sicherheit professionelle Schläger waren. Er mußte sicherheitshalber davon ausgehen, daß sie sogar Schußwaffen trugen und den Auftrag hatten, sie auch zu benutzen. Er durfte Mylady auf keinen Fall in Gefahr bringen.
So entschloß er sich zu einem neuen Verfahren, um die Verfolger außer Gefecht zu setzen. In diesem Zusammenhang kam ihm die intime Kenntnis der City von London zugute. Er wußte genau, wie er die Verfolger verunsichern konnte.
Mylady stieß einen grollenden Unterton aus, als er plötzlich Gas gab. Der Rennmotor unter der eckigen Haube verwandelte das hochbeinige Monstrum in eine Rakete. In Sekundenschnelle fiel der Toyota zurück.
Bevor der Fahrer dieses Wagens reagieren konnte, erreichte Parker bereits eine Querstraße. Nur dank der exzellenten Straßenlage seines Wagens, dessen Fahrwerk natürlich dem Motor angepaßt worden war, geriet das ehemalige Taxi nicht ins Schleudern.
Mylady wurde in die andere Ecke des Wagens geworfen und gegen die Rückpolster gedrückt. Agatha Simpson wollte protestieren, doch ihr blieb vorerst die Luft weg. Parker bremste scharf, hörte hinter sich ein unartikuliertes Grollen und entwischte mit seinem Wagen durch einen Torbogen.
»Was... was soll denn das?« reagierte Lady Agatha gereizt.
»Mylady schüttelten soeben die Verfolger ab, die man jetzt ihrerseits verfolgen kann«, erläuterte der Butler. Er öffnete das Handschuhfach und holte einen Gegenstand hervor, der an einen Tennisball erinnerte.
*
Der Fahrer des Toyota war unsicher geworden.
Er vermißte sein Zielobjekt, verlangsamte das Tempo und verschaffte seinen Mitfahrern auf diese Art die Gelegenheit, in die kleinen Seitenstraßen zu sehen, die kurz hintereinander folgten. Keiner der drei Männer kam auf den Gedanken, einen Blick nach hinten zu werfen.
Was sich durchaus gelohnt hätte, denn Parker näherte sich mit seinem Monstrum, nachdem er die Toreinfahrt wieder verlassen hatte. In schneller Fahrt schloß er auf und überholte den Toyota, dessen Fenster geöffnet waren, wie er bereits festgestellt hatte.
Damit hatte der Butler die Möglichkeit, seinen tennisballgroßen Gegenstand an den Mann zu bringen. Vom Fahrersitz aus warf er ihn beim Überholvorgang in den Toyota. Er hatte das kleine Wurfgeschoß vorher nachhaltig eingedrückt und damit aktiviert. Im Inneren des Balles, der aus zwei Teesieben zu bestehen schien, die man gegeneinander gedrückt hatte, waren zwei Glasampullen geplatzt.
Die Wirkung war verblüffend.
Parker hatte genau gezielt und dafür gesorgt, daß der Ball vorn beim Fahrer landete. In Sekundenbruchteilen breitete sich explosionsartig ein Nebel aus, der das Wageninnere des Toyota füllte und dem Fahrer die Sicht raubte. Der Mann wurde völlig überrascht und verriß das Steuer, als er nichts mehr sah.
»Sehr wirkungsvoll, Mister Parker«, freute sich die ältere Dame, die durch das Rückfenster des hochbeinigen Monstrums die Szene beobachtete.
Sie untertrieb.
Der Toyota schrammte mit dem linken Kotflügeln gegen ein Ziergitter und montierte sich dabei ab. Das Kreischen des beleidigten Blechs war überdeutlich zu hören. Wenig später lagerte sich ein anderes Geräusch darüber. Glas splitterte und klirrte. Dann hörte man eine kleine Detonation.
»Es dürfte sich um den Kühler gehandelt haben, Mylady«, sagte Parker, der seinen Wagen gestoppt hatte. Er stieg gemessen und ohne jede Hast aus.
Der Toyota war nur noch in Umrissen erkennbar. Aus den geöffneten Fenstern quollen Nebelwolken, die sich mit dem Wasserdampf aus dem demolierten Kühler mischten. Ein Zischen untermalte diesen Vorgang.
In den nahen Häusern wurden Lichter eingeschaltet und waren erste Rufe nach der Polizei zu vernehmen. Parker schritt auf den Toyota zu und achtete auf die Insassen, die seiner Einschätzung nach nicht mehr in der Lage waren, das Weite zu suchen. Er kannte schließlich den Inhalt der diversen Ampullen in seinem Wurfgeschoß.
Einer der drei Männer schaffte es.
Er fiel förmlich aus der hinteren rechten Wagentür, kniete dann aber nieder und hüstelte. Dieses Geräusch wurde von einigen neugierigen Hausbewohnern aufgenommen und verstärkt. Der Ruf nach der Polizei wurde intensiver.
»Nun, Mister Parker, was haben Sie mir zu berichten?« erkundigte sich Lady Agatha wenig später, als Parker zurückgekehrt war.
»Mit dem Erscheinen der zuständigen Behörden dürfte innerhalb der nächsten Minuten fest zu rechnen sein«, antwortete der Butler. »Wahrscheinlich wird man bei den drei Männern Schußwaffen finden.«
»Nun gut, darin wird McWarden Grund zur Freude haben«, vermutete die ältere Dame.
»Gegen eine Fortsetzung der Fahrt wäre nichts einzuwenden, Mylady?«
»Natürlich nicht«, antwortete sie.
»Mir geht es ja um den Frauenjäger, Mister Parker. Und die drei Subjekte dort kommen ja dafür nicht in Betracht. Sagte ich das nicht bereits?«
»Eindeutiger hätten Mylady sich gar nicht ausdrücken können«, antwortete Parker, ohne eine Miene zu verziehen.
*
»Herzlichen Dank für die drei Schläger«, meinte Chief-Superintendent am anderen Morgen. Er war kurz nach dem Frühstück erschienen und machte Mylady seine Aufwartung.
»Wovon reden Sie eigentlich, mein lieber McWarden?« wollte die Hausherrin lächelnd wissen.
»In der vergangenen Nacht haben meine Kollegen drei leicht benommene und hustende Kerle aus einem Toyota geborgen«, berichtete der Chief-Superintendent und lächelte ebenfalls. »Sie waren an einem Ziergitter und an einer Hausmauer gestrandet.«
»Manche Leute wissen eben nicht, wie man ein Auto fährt«, gab Lady Agatha süffisant zurück.
»Diese Kerle wußten es mit Sicherheit«, fuhr McWarden fort. »Es handelt sich um drei gesuchte Schläger, die eine Menge auf dem Kerbholz haben. Nein, nein, sie konnten plötzlich nichts mehr sehen. Man muß ihnen was in den Wagen geworfen haben.«
»Sie fanden Schußwaffen, Sir?« lenkte Parker ab.
»Drei Revolver und verschiedene Jagdmesser, Mister Parker«, sagte der Chief-Superintendent. »Ich gehe davon aus, daß die Schläger hinter zwei Opfern her waren.«
»Zwei Opfer, mein lieber McWarden?« flötete die ältere Dame geradezu.
»Wie auch immer.« McWarden winkte ab. »Hauptsache, daß wir diese Schläger erst mal festnehmen konnten.«
»Gehören die erwähnten Personen einer bekannten Gang an, Sir?« erkundigte sich Parker.
»Worauf Sie sich verlassen können«, gab McWarden zurück. »Sie arbeiten für einen Andrew Hogan.«
»Wen stelle ich mir darunter vor,« wollte die Detektivin wissen.
»Andrew Hogan ist so eine Art graue Eminenz aus der Szene«, machte der Chief-Superintendent deutlich. »Er mischt überall mit, wo es groß zu verdienen gibt, mit Kleinigkeiten gibt er sich nicht ab.«
»Er verfügt über eine fest installierte Gang, Sir, um es mal so auszudrücken?«
»Eben nicht, Mister Parker. Er heuert seine Leute von Fall zu Fall an.«
»Diese Männer aus dem erwähnten Toyota genierten sich nicht, Mister Hogans Namen zu nennen?«
»Das macht mich allerdings auch stutzig, Mister Parker«, räumte McWarden umgehend ein. »Ist eigentlich ungewöhnlich. Normalerweise sind die Kerle sehr schweigsam.«
»Sollte und müßte man unterstellen, daß sie den Namen absichtlich genannt haben?«
»Wäre gut, wenn man auch daran denken würde, Mister Parker.«
»Wie heißt dieses verkommene Subjekt, das sich für eine graue Eminenz hält?« wollte Lady Agatha wissen.
»Andrew Hogan«, erwiderte McWarden. »Nach außen hin spielt er natürlich den Biedermann und betätigt sich als Kaufmann. Hogan handelt mit Spielzeug.«
»Würden Sie das noch mal wiederholen?« fragte Agatha Simpson.
»Er handelt mit Spielzeug ... So für Kinder, Mylady. Seine Steuererklärungen sind in Ordnung, mit seiner Großhandlung verdient er recht gut, aber das alles macht nur einen Bruchteil dessen aus, was er wirklich einnimmt.«
»Hat Mister Hogan, was die kriminelle Seite angeht, sich auf eine bestimmte Branche spezialisiert, Sir?«
»Er liefert Phantasie«, antwortete der Chief-Superintendent, »und er bringt Leute zusammen, die für einen bestimmten Coup zueinander passen.«
»Dieses Subjekt muß ich unbedingt kennenlernen«, sagte Lady Agatha nachdrücklich. »Ich werd ihn auf das rechte Maß zurechtstutzen, mein lieber McWarden. Machen Sie sich da nur keine Sorgen. Er wird Ihnen bald keinen Ärger mehr machen.«
»Ich sollte auf jeden Fall warnen«, antwortete McWarden eindringlich.« Natürlich ist es nicht so, daß dieser Andrew Hogan ungeschützt ist. Er hat so etwas wie eine Leibwache. Und das sind harte Burschen, die mit Sicherheit über Leichen gehen.«
»Aber nicht über meine, mein Bester«, gab die ältere Dame optimistisch zurück. »Ich glaube, er ahnt noch nicht mal, was da auf ihn zukommen wird.«
»Mylady bräuchte noch einige Angaben hinsichtlich der Opfer dieses Frauenjägers«, erinnerte Parker. »Mylady möchte sich unbedingt mit einer der Betroffenen unterhalten.«
»Ich will sehen, was sich machen läßt. Dazu brauche ich erst mal die Einwilligung der betreffenden Frau, Mister Parker. Ich rufe Sie an, sobald ich solch eine Einwilligung bekommen habe, einverstanden?«
»Das ist zwar alles etwas umständlich, mein guter McWarden, aber ich respektiere die Intimsphäre der Frauen«, erwiderte Lady Agatha. »Übrigens habe ich Ihnen noch gar nichts angeboten. Halten Sie mich nur ja nicht für geizig.«
»Wie könnte ich nur auf solch einen Gedanken kommen, Mylady«, sagte der Chief-Superintendent. »Ich weiß doch aus der Vergangenheit nur zu gut, wie sehr Sie mich immer verwöhnen.«
*
Myladys Gäste hatten sich einiges vorgenommen.
Sie ärgerten sich noch immer darüber, daß sie in Lem Stillers Apartment überrascht und außer Gefecht gesetzt worden waren. Jetzt wollten sie sich revanchieren und warteten darauf, den Butler attackieren zu können.
Sie hatten gehört, daß ein Riegel draußen an der Tür bewegt worden war, bauten sich links und rechts vom Türrahmen auf und hoben die Beine eines Sessels, den sie bereits vor einer Stunde in seine Bestandteile zerlegt hatten. Sie wollten hart und gnadenlos zuschlagen, um dann die Flucht zu ergreifen.
Um den eintretenden Butler in Sicherheit zu wiegen, hatten sie die Dusche im angrenzenden Badezimmer angestellt. Das Prasseln des rauschenden Wassers sollte ihm suggerieren, daß sie sich im benachbarten Raum aufhielten.
Es tat sich nichts ...
Nachdem der Riegel zurückgezogen worden war, vermißten die beiden Schläger weitere Aktionen vor der Tür. Es drehte sich kein Schlüssel im Schloß.
»Verdammt, wo bleibt er,« flüsterte der Schläger, der sich rechts von der Tür aufgebaut hatte.
»Der kommt gleich zurück«, beruhigte ihn sein Partner.
»Der läßt sich aber Zeit«, meinte der erste Schläger unruhig.
»Kommt doch nich’ auf ein paar Minuten an.«
»Der is’ wieder abgehauen«, deutete der erst Schläger das Schweigen jenseits der Tür.
»Mann, dreh’ jetzt nicht durch, der kommt wieder zurück.«
Sie warteten, bis die erhobenen Arme müde wurden. Dann zogen sie sich zurück und nahmen auf den Bettcouches Platz. Sie packten die Sesselbeine weg und konnten sich das Nichterscheinen des Butlers nicht erklären.
Sie wußten nicht, daß sie die ganze Zeit beobachtet würden. In der Deckenleuchte des apartmentähnlichen Raumes war eine Fernsehkamera installiert, die den ganzen Raum kontrollierte.
Parker hatte sich von dieser Kamera ein Bild liefern lassen und von einem Besuch Abstand genommen. Er hielt nichts von körperlichen Auseinandersetzungen und ging ihnen, wenn es sich eben einrichten ließ, höflich aus dem Weg.
Als sie sich entspannt zurückgelehnt hatten, öffnete er plötzlich die Tür und zeigte sich den beiden Gästen.
»Sie hatten bisher hoffentlich einen recht angenehmen Aufenthalt«, begrüßte er die Schläger und deutete auf den etwas schräg stehenden, schlecht abgestützten Sessel. »Sollten sie sich möglicherweise mit Schlaginstrumenten ausgerüstet haben?«
Die Männer langten nach den Sesselbeinen, sprangen auf und liefen auf den Butler zu.
»Hoffentlich sind Sie resistent gegen Schrot«, meinte Parker gemessen.
»Schrot?« Einer der beiden Schläger bremste sofort seinen Schwung.
»Mylady steht neben der Tür und hat ein Schrotgewehr in Händen«, fuhr Parker fort.
»Bluff, nichts als Bluff«, vermutete der andere Schläger und ... kurvte im letzten Moment seitlich weg, als er Mylady erblickte. Die ältere Dame hielt wirklich ein Schrotgewehr in Händen, dessen Lauf auf die beiden Männer gerichtet war.
»Natürlich bluffe ich nur«, sagte Agatha Simpson und lächelte boshaft. »Vielleicht ist das Gewehr gar nicht geladen. Lassen Sie es doch darauf ankommen? Wo bleibt denn Ihr Mut?«
Es zeigte sich, daß sie keinen hatten.
*
»Was also halte ich von der Aussage dieser Waschlappen?« fragte die Detektivin eine halbe Stunde später. Sie ließ sich einen Cognac reichen.
»Es stand von vornherein fest, Mylady, daß sie in Mister Falconers Auftrag im Apartment auf Mister Lem Stiller warteten«, faßte der Butler zusammen.« Interessant ist der Umstand, daß die beiden Männer ebenfalls von der Existenz des Frauenjägers wissen. Danach macht Mister Falconer sich große Sorgen, was die noch unbekannte Person betrifft. Sein sogenanntes Image leidet unter den Überfällen dieses Täters.«
»War da noch etwas?« fragte die ältere Dame.
»Erstaunlicherweise vermutet Mister Falconer, sein Konkurrent Casnell lasse seine Mitarbeiter als Frauenjäger in seinem Schutzbezirk arbeiten.«
»Richtig, das war es.« Sie nickte. »Sie wissen, Mister Parker, es gibt nichts, was meiner Aufmerksamkeit entgehen könnte.«
»Mister Falconer rechnet mit einem schmutzigen Trick des Konkurrenten Casnell, wie die beiden Männer es eben erst ausdrückten.«
»Und womit rechne ich, Mister Parker?« wollte sie wissen.
»Mylady schließen solch eine Möglichkeit keineswegs endgültig aus«, lautete Parkers Antwort.
»Was soll mit den beiden Schlägern geschehen? Ich habe keine Lust, sie durchzumästen. Das kostet ja schließlich alles Geld. Sie wissen, daß ich mich finanziell nach der Decke strecken muß.«
»Man könnte die beiden Männer veranlassen, Myladys Hatte wieder zu verlassen. Sie sind unwichtig, könnten sich jedoch in naher Zukunft als mehr oder weniger störend erweisen.«
»Stecken wir sie in diesen Brunnenschacht«, schlug sie vor. »McWarden kann sie dann ja später herausholen lassen.«
»Ein Vorschlag, Mylady, den man nur als ungemein hilfreich bezeichnen kann.« Parker war mit dieser Lösung voll und ganz einverstanden.
»Und was geht mir sonst noch so durch den Kopf, Mister Parker?« wollte sie wissen.
»Mylady haben die Absicht, sich in Zukunft nicht mehr als Köder anzubieten?« fragte der Butler. Er dachte an den Aufenthalt in einer Tiefgarage, nachdem die drei Toyota-Benutzer gestrandet waren. Seine Herrin hatte mehr als zwanzig Minuten auf einen Überfall gewartet, der natürlich nicht stattgefunden hatte.
»Das war eine schlechte Idee, Mister Parker, die Sie da hatten«, mokierte sie sich umgehend. »Ich wußte ja gleich, daß dieser Frauenjäger mir aus dem Weg gehen würde.«
»Hoffentlich vermögen Mylady meiner Wenigkeit zu verzeihen«, gab Josuah Parker ungerührt zurück. Schuldzuweisungen dieser Art waren ihm schließlich nur zu bekannt.
»Nein, nein, ab sofort werde ich eine andere Taktik einschlagen«, äußerte die ältere Dame. »Wen wollte ich da noch besuchen?«
»Einen gewissen Mister Andrew Hogan, Mylady.«
»Richtig. Und wer ist das?«
»Der Auftraggeber der Toyota-Insassen. Mylady können sich aber durchaus vorstellen, daß dieser Mann absichtlich genannt wurde, um eine falsche Spur zu legen.«
»Davon gehe ich natürlich aus. Oder auch nicht?« Sie wiegte den Kopf hin und her. »Eine Lady Simpson läßt sich nicht verunsichern. Wissen Sie, was mir aufgefallen ist?«
»Mylady erzeugen in meiner Wenigkeit eine erwartungsvolle Spannung.«
»Dieser Frauenjäger, Mister Parker, hat mich noch gar nicht bedroht. Ich halte das für eine Unverschämtheit.«
»Mylady denken in diesem Zusammenhang an ein Telefonat?«
»Natürlich, Mister Parker. Der Frauenjäger müßte doch inzwischen längst wissen, daß ich hinter ihm her bin.«
»Vielleicht möchte er sich keine Blöße geben, Mylady.«
»Ich werde ihn aber dazu zwingen, Mister Parker. Lassen Sie sich dazu etwas einfallen.«
»Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Mylady.«
»Sehr schön.« Sie nickte ihm wohlwollend zu. »Und jetzt noch einen Schluck Cognac, damit mein Kreislauf stabil bleibt, Mister Parker. Ich habe noch viel zu tun und muß meine Form halten.«
*
Andrew Hogan war eine gutmütige Onkelerscheinung, der man ohne weiteres eine Kinderschar anvertraut hätte. Er war um die fünfzig Jahre alt, mittelgroß, hatte eine veritable Glatze, lustige, verschmitzt aussehende Augen und einen kleinen Bauch.
Er empfing seine Besucher in seinem Büro, das mit Spielwaren aller Art vollgestopft war. Auf dem Schreibtisch tummelten sich Teddybären, Puppen und Kuscheltiere aller Art. Auf Regalbrettern bot er eine Übersicht über sein Warenangebot, das wirklich reichhaltig war.
Es gab hier die leider immer noch unvermeidlichen Spielzeug-Panzer, Kriegsgeräte aller Art, Raumschiff-Modelle, Spieleisenbahnen, Baukästen und aufziehbare Monster aller Art.
»Ich bin ehrlich überrascht«, gestand er treuherzig, nachdem er Mylady und Parker begrüßt hatte. »Selbstverständlich weiß ich, wer Sie sind. Sie haben sich längst einen Namen gemacht.«
»Demnach dürften Ihnen gewisse Kreise nicht völlig unbekannt sein, Mister Hogan«, erwiderte der Butler.
»Und ob, Mister Parker. Man sagt mir ja immer wieder nach, ich hätte enge Kontakte zur Unterwelt. Was natürlich nicht stimmt. Aber wie soll man sich gegen Gerüchte zur Wehr setzen?«
»Und woher wissen Sie dann Bescheid, junger Mann?« wollte die ältere Dame wissen.
»Gerüchte schnappt man überall auf, Mylady«, erklärte Andrew Hogan. »Als Großhändler bin ich viel unterwegs.«
»Und verfügen zusätzlich noch über treu ergebene Mitarbeiter, Mister Hogan«, fügte der Butler hinzu.
»So kann man durchaus sagen«, meinte der Spielwarenhändler und nickte.« Auch die hören natürlich einiges, was ich dann wieder erfahre.«
»Drei ihrer Mitarbeiter kreuzten Myladys Weg«, tippte der Butler an.
»Und fuhren einen Honda gegen eine Hauswand«, präzisierte die Detektivin.
»Einen Toyota, um genau zu sein.« Parker blickte Hogan aufmerksam an. »Aber davon wissen Sie sicher bereits.«
»Honda... Toyota?« Hogan schüttelte den Kopf. »Ich weiß genau, daß keiner meiner Mitarbeiter solche Wagen fährt.«
»Drei Mitarbeiter saßen in dem erwähnten Toyota«, sagte der Butler. »Gegenwärtig werden sie von der Polizei verhört.«
Davon ist mir aber nun wirklich nichts bekannt.« Hogan hob bedauernd die Schultern. »Ist mein Name in diesem Zusammenhang tatsächlich genannt worden?«
»Die drei erwähnten Personen behaupten, von Ihnen beauftragt worden zu sein, Mylady zu belästigen, um es mal so auszudrücken.«
»Ausgeschlossen. Warum sollte ich Sie belästigen wollen, Mylady?« fragte Hogan und lehnte sich zurück. »Ich bin ein völlig normaler Großhändler, der nichts anderes als Spielwaren verkauft. Glauben Sie mir, einfach ist das nicht.«
»Jetzt aber genug mit dieser scheußlichen Heuchelei, junger Mann!« Lady Agathas Stimme klang wie nahes Donnergrollen. Um ihre Worte zu unterstreichen, legte sie ihren perlenbestickten Pompadour auf den überladenen Schreibtisch, worauf einige Teddybären hochhüpften und zwei Kuscheltiere auf dem Schoß des Großhändlers landeten.
Hogan hatte mit dieser Reaktion der älteren Dame nicht gerechnet und war zusammengefahren. Er blickte Mylady irritiert an und hob abwehrend die Hände.
»Ich weiß genau, wer Sie tatsächlich sind, junger Mann, behauptete Agatha Simpson. »Mister Parker wird es Ihnen sagen.«
»Daß Sie eine graue Eminenz genannt werden, Mister Hogan, wird Ihnen sicher bekannt sein«, sagte Parker. »Mylady interessiert sich allerdings nicht für Ihre bisherigen Aktivitäten, sondern fahndet nach einer Person, die sich Frauenjäger nennt.«
»Ja, davon habe ich schon mehrfach gehört«, räumte Hogan ein. »Eine unheimliche Sache, nicht wahr?«
»Nicht mehr lange«, warf die ältere Dame ein. »Ich werde Ihnen schon bald das Handwerk legen.«
»Was wollen Sie?« Hogan beugte sich vor.
»Ihnen das Handwerk legen, junger Mann. Für mich steht fest, daß Sie der Frauenjäger sind.«
»Oder ihn in die Frauenfallen schicken«, sagte Parker.
»Frauenfallen?« Hogan schüttelte verständnislos den Kopf.
»Hoch- und Tiefgaragen, die man zu Recht Frauenfallen nennt«, erklärte der Butler.
»Jetzt reißt mir aber langsam die Geduld«, fuhr Hogan den Butler an und stand auf. »Ich lasse mir doch nichts anhängen, mit dem ich nichts zu tun habe. Ich rate Ihnen, möglichst schnell zu gehen, bevor ich Sie von meinen Leuten an die frische Luft setzen lasse.«
Er hätte sich besser unter Kontrolle halten sollen!
*
Mylady reagierte auf ihre unverwechselbare, damenhaft-charmante Art.
Sie warf ihm erst mal eine Puppe an den Kopf, was den Spielwaren-Großhändler völlig überraschte. Der harte Porzellankopf der an sich recht hübschen Puppe verbog ein wenig seine Nase und trieb ihm Tränen in die Augen. Lady Agatha bedachte Hogan anschließend mit dem Mobiliar einer Puppenstube.
Ein Kleiderschrank landete auf dem vorderen Teil seiner Glatze, ein Doppelbett schrammte am linken Ohr vorüber und flog hinter Hogan in eine Glasschale, die mit bunt gemaserten Glasmurmeln gefüllt war. Diese Schale geriet aus dem Gleichgewicht und entließ ihren Inhalt in Richtung Fußboden.
Eine Art trommelnder Tropenregen war dabei zu vernehmen, der das Ächzen des Großhändlers fast völlig überdeckte. Hogan war inzwischen erneut getroffen worden.
Ein Miniatur-Kohleherd machte sich auf seiner Hemdbrust breit, wurde dann aber von einer Badewanne verdrängt. Um die graue Eminenz der Unterwelt zu versöhnen, schickte Mylady noch ein weiches Kuscheltier auf die Reise, das auf dem Gesicht des Mannes landete und sich teilweise in den leichtsinnigerweise geöffneten Mund schob. Ein Husten und Gurgeln war zu vernehmen.
»Sie können froh sein, junger Mann, daß ich mich stets voll unter Kontrolle habe«, sagte Lady Agatha, »normalerweise hätte ich ganz anders mit Ihnen umspringen müssen. Eine Lady Agatha darf man nicht ungestraft beleidigen und an die frische Luft setzen wollen.«
Hogan schüttelte alles ab, was ihn belastete, sprang auf und ... rutschte auf den Glasmurmeln aus. Er warf die Arme hilfesuchend in die Luft, ergriff das Regalbrett und brachte dadurch das gesamte Gebilde zum jähen Einsturz. Innerhalb weniger Augenblicke lag er unter einem ansehnlichen Berg verschiedener Spielzeuge. Sinnigerweise löste sich dabei der Sperrmechanismus eines Spielzeug-Panzers. Schnarrend und feuerspuckend arbeitete das Kriegsgerät sich über seine Brust und nahm den Mann unter Zündstein-Feuer.
Josuah Parker hielt sich in bekannt vornehmer Weise zurück. Er hatte sich rechts von der Tür aufgebaut und harrte der Dinge, die seiner Ansicht nach unbedingt kommen mußten. Ihm war bekannt, daß Hogan über Leibwächter verfügte.
Und sie kamen ...
Sie bewegten sich ein wenig überhastet, nachdem sie die Tür jäh geöffnet hatten. Sie genierten sich nicht, ihre Schußwaffen offen zu zeigen. Parker ging davon aus, daß sie willens waren, sie auch zu gebrauchen. Also schritt er erst mal ein.
Mit dem Universal-Regenschirm schlug er ihnen die Waffen aus der Hand. Als sie sich blitzschnell zur Seite drehten, um ihn zu attackieren, erlebten sie eine zusätzliche und peinliche Überraschung. Der Butler hielt eine Art Parfüm-Zerstäuber in der linken Hand, wie man ihn in Damenhandtaschen antreffen kann. Unter starkem Druck legte sich ein Feuchtigkeitsfilm auf die Gesichter der Angreifer, die sofort ihren Schwung bremsten und leichte Atembeklemmungen hatten. Parker nahm anschließend den Bambusgriff seines Regendaches, um die beiden Männer zu Boden zu schicken.
»Nun ja, Mister Parker, recht begabt«, lobte die ältere Dame verhalten. »Ich dachte schon, ich hätte Ihnen wieder mal helfen müssen.«
»Mylady hätten jede noch so verworrene Lage mit Sicherheit geklärt«, antwortete Parker und besichtigte Hogan, der sich langsam erhob. Dabei fegte er den Spielzeug-Panzer fast angewidert von seiner Brust.
»Das werden Sie mir noch büßen«, drohte er mit leiser, sehr eindringlicher Stimme. »Dafür werden Sie noch bezahlen, Lady. Und das gilt auch für Sie, Parker.«
»War das gerade eine erneute Beleidigung?« fragte Mylady bei ihrem Butler an. »Mir kam es so vor.«
»Nur eine Absichtserklärung, Mylady«, wiegelte der Butler ab, der an einer Ausweitung der Diskussion nicht interessiert war.
»Er ist also dieser Frauenjäger, wie?« wollte sie wissen.
»Man sollte dies vorerst nicht ausschließen, Mylady«, sagte der Butler. »Leider ist aber zur Zeit noch nicht erkennbar, welchen Nutzen Mister Hogan aus den bekannten Überfällen ziehen könnte.«
»Ich werde ihn danach fragen«, entschied die Detektivin und griff in die Puppenstube, um weiteres Klein-Mobiliar an sich zu bringen.
Worauf Hogan sich schleunigst duckte.
*
»Das war wieder mal eine anregende Unterhaltung, Mister Parker«, stellte die ältere Dame fest und nickte wohlwollend. »Und was steht jetzt auf meinem Plan?«
»Mylady ließen die feste Absicht erkennen, Mister Gregory Casnell einen Besuch abzustatten.«
»Richtig. Und wer ist das?« Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und wirkte plötzlich ein wenig zerstreut. Mit Namen wußte sie nichts anzufangen.
»Mister Casnell gilt als der Konkurrent des Mister James Falconer. Beide Männer verkaufen gegen monatliche Zahlungen ihren Schutz an die Betreiber von Hoch- und Tiefgaragen.«
»Sie sprechen von den Frauenfallen, nicht wahr?«
»In der Tat, Mylady«, sprach Parker weiter. »Mister Casnell hat dafür nach außen hin eine Reinigungsfirma gegründet, die in Wapping beheimatet ist.«
»Natürlich, natürlich«, kam prompt ihre Antwort. »Sie haben sich die Details ja erfreulicherweise recht gut gemerkt, Mister Parker. Was machen wohl unsere vier Subjekte im Brunnenschacht? Es sind doch inzwischen vier, nicht wahr?«
»In der Tat, Mylady.« Vor dem Besuch bei Andrew Hogan hatten Lady Simpson und Butler Parker einen kleinen Umweg gemacht und die beiden Gäste aus Myladys Haus veranlaßt, in den Brunnenschacht zu steigen.
Diese Aktion war ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Die beiden Schläger aus Lem Stillers Apartment und die Fordfahrer Freddy und Bill waren damit erst mal um die Möglichkeit gebracht worden, sich störend einzuschalten. Daß sie zur Gang des James Falconer gehörten, stand außer Zweifel.
»Was halte ich von diesem Spielwarenlümmel, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Simpson nach einer Weile. »Warum überfällt er Frauen, ohne sie aber zu berauben?«
»Eine Frage, die der Klärung bedarf, Mylady. Noch sind Motive nicht auszumachen.«
»Dieser Spielzeuglümmel machte keinen geistesgestörten Eindruck auf mich, Mister Parker.«
»Wenn Mylady gestatten, möchte meine Wenigkeit sich Myladys Betrachtungen vollinhaltlich anschließen.«
»Auf der anderen Seite weiß man natürlich nie, was sich hinter einer fremden Stirn so alles abspielt, Mister Parker.«
»Mister Hogan könnte als Drahtzieher dieses Frauenjägers in Betracht kommen, wie Mylady es bereits anzudeuten geruhten. Auf der anderen Seite dachten Mylady auch bereits daran, daß sein Name absichtlich genannt wurde, um eine falsche Spur zu legen.«
»Nun, das sind Kleinigkeiten, um die ich mich nun wirklich nicht kümmern kann«, lautete ihre Absicht. »Es genügt ja wohl, daß ich ihm nicht über den Weg traue. Hat der gute McWarden bereits Adressen von Frauen durchgegeben, die überfallen wurden?«
»Man wird den Chief-Superintendenten noch mal nachdrücklich daran erinnern müssen, Mylady. Bisher erfolgte kein Anruf.«
»Er hofft natürlich, ohne meine Hilfe diesen Fall lösen zu können«, amüsierte sich die ältere Dame und lachte baritonal. »Er wird sich aber wieder mal gründlich täuschen.«
»Noch dürfte Mister McWarden auf die zentralen Computer des Yard setzen, Mylady. Er wird sie nach dem Täterkreis befragen, zu dem der Frauenjäger gehören könnte.«
»Einschlägig Vorbestrafte, nicht wahr?«
»In der Tat, Mylady. Man sollte immer noch unterstellen, daß der Frauenjäger auch ein psychopathischer Einzelgänger ist.«
»Dann wird er niemals erfahren, daß ich ihm bereits auf der Spur bin, Mister Parker.« Ihre Stimme nahm einen entrüsteten Unterton an.
»Dies, Mylady, dürfte sich bald ändern«, gab der Butler zurück.« Die Herren Falconer und Hogan werden gewollt oder ungewollt dafür sorgen, daß Myladys Absichten bekannt werden. Hinzu wird noch Mister Casnell kommen, den Mylady in wenigen Minuten besuchen werden.«
»Ich freue mich schon darauf«, bekannte sie und lächelte versonnen. »Ich glaube, ich habe da eine recht gute Taktik eingeschlagen.«
»Wieder mal, Mylady, falls meine Wenigkeit sich erkühnen darf, darauf hinzuweisen«, lautete Parkers Antwort. Sein glattes Gesicht blieb ausdruckslos.
*
Die Reinigungsfirma des Gregory Casnell befand sich in Wapping in der Lagerhalle einer ehemaligen Spinnerei. Alles sah ein wenig heruntergekommen aus. Auf den Firmenschildern links und rechts über dem Eingangstor blätterte der Lack ab. Vor einer mit Algen und Moos bedeckten Rampe standen einige Fahrzeuge der Firma. Auch sie sehnten sich nach einer neuen Lackierung.
Zwei handfest aussehende Männer standen neben einem Wagen und rauchten Zigaretten. Sie waren dabei, die Fahrzeuge zu waschen. Nicht weit entfernt dampfte ein Hochdruck-Reinigungsgerät. Wasserlachen mit dicken Schaumkronen deuteten daraufhin, daß der Hochdruckreiniger eben noch in Betrieb gewesen sein mußte.
Gregory Casnell entpuppte sich als ein etwa vierzigjähriger Mann. Er war mittelgroß, schlank, hatte kurzes, graues Haar und ein schmales Gesicht mit dunklen, ein wenig stechenden Augen. Er trug einen saloppen Sportanzug und telefonierte gerade, als Parker die Tür öffnete.
»Man erlaubt sich, einen wunderschönen Tag zu wünschen«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone.
»Was wollen Sie denn?« blaffte ihn der Telefonierende an und deckte die Sprechmuschel mit der flachen Hand ab.
»Es handelt sich um eine Reinigung, Mister Casnell, nicht wahr?«
»Warten Sie draußen, bis ich das hier erledigt habe«, verlangte Casnell, während er nickte. »Sie sehen doch, daß ich telefoniere.«
»Eine Lady Simpson läßt man grundsätzlich nicht warten«, war in diesem Augenblick die grollende Stimme der energischen Dame zu vernehmen. Da Parker zur Seite getreten war, konnte sie ihre majestätische Fülle ungehindert in das einfach eingerichtete Büro schieben.
Sie marschierte anschließend zum Schreibtisch und baute sich vor Casnell auf, der erstaunt aufgestanden war und nicht wußte, wie er sich verhalten sollte.
»Bieten Sie mir gefälligst eine Sitzgelegenheit und eine Erfrischung an«, raunzte die ältere Dame, »und legen Sie auf.«
Casnell kam dieser Aufforderung sofort nach und staunte weiter.
»Mylady ermittelt in Sachen Frauenjäger, von dem Sie mit Sicherheit gehört haben, Mister Casnell«, schickte der Butler voraus. »In diesem Zusammenhang war zu erfahren, daß Sie ein Konkurrent des Mister Falconer sind.«
»Konkurrent? Was geht das Sie an? Hat Falconer Sie geschickt?«
»Eine Lady Simpson wird nicht geschickt, junger Mann«, warf die ältere Dame ein. »Überlegen Sie sich genau, wie Sie sich ausdrücken.«
»Was soll das alles? Wer sind Sie eigentlich?«
»Lady Agatha Simpson.« Parker deutete diskret auf seine Herrin. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«
»Doch, von Ihnen hab’ ich schon mal gehört.« Casnell lächelte plötzlich amüsiert. »Sind Sie nicht Amateurdetektive?«
»Die Fragen stelle ich, junger Mann«, herrschte Mylady ihn prompt an.
»Und das Hausrecht hier habe ich«, machte Casnell klar. »Ich denke nicht daran, auch nur eine einzige Frage zu beantworten. Was bilden Sie sich eigentlich ein? Da könnte ja jeder kommen.«
»Nach Myladys Informationen haben auch Sie es mit einem sogenannten Frauenjäger zu tun, der die von Ihnen beschützten Garagen unsicher macht, Mister Casnell.«
»Kein Kommentar, Mann. Und jetzt raus!«
»Falls Sie Mylady beleidigen oder gar zu attackieren versuchen, Mister Casnell, müßte man zur Selbstverteidigung schreiten.«
»Ach ja? Und wie stellen Sie sich das vor?« Casnell lachte wieder auf. »Sie scheinen bisher verdammt großes Glück gehabt zu haben, was Ihre Ermittlungen angeht. Sie wissen wohl noch gar nicht, was ’n Freiflug ist, wie?«
»War das gerade eine Drohung, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha freudig und ließ ihren Pompadour pendeln.
»Solch ein Eindruck vermittelte sich durchaus, Mylady.«
»Muß ich so etwas hinnehmen, Mister Parker?« Die Pendelbewegungen des perlenbestickten Handbeutels verstärkten sich. Gregory Casnell übersah dies und blickte seine Besucher fast ungläubig an. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er war ein hartgesottener Gangster, der auf Brutalität setzte. Er ging davon aus, daß man ihn fürchtete.
»Mylady sollten Mister Casnell durchaus zürnen«, urteilte der Butler in seiner höflichen Art.
Worauf Lady Agatha zürnte!
*
»Sie lassen aber wirklich nichts aus, Mylady«, sagte Mike Rander. Er und Kathy Porter hatten sich zum Lunch im Haus der älteren Dame eingefunden.
»Ich mußte dieses Subjekt unbedingt zur Ordnung rufen«, meinte Agatha Simpson. »Unhöflichkeiten kann ich nicht durchgehen lassen.
»Und wie riefen Sie Casnell zur Ordnung?« fragte Kathy Porter.
»Lassen Sie sich von Mister Parker die Einzelheiten berichten, Kindchen«, schlug Mylady vor und beschäftigte sich mit den Sandwiches, die der Butler serviert hatte.
»Mylady hinderte Mister Casnell nachdrücklich daran, nach einem überlangen Schraubenschlüssel zu greifen, der sicher als Schlaginstrument verwendet werden sollte«, erstattete Parker Bericht. »Mylady setzte dazu ihren Pompadour ein und sorgte auf diese Art dafür, daß Mister Casnells Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt wurde.«
»Was ihm sicher kaum bekam, wie?« Rander schmunzelte. Er sah alles genau vor sich.
»So könnte man es durchaus bezeichnen, Sir«, gab Parker zurück. »Im Anschluß daran benutzte Mylady eine Polierpaste, die sich in einer geöffneten Blechschachtel befand, um Mister Casnells Gesicht einer eingehenden Intensivpflege zu unterziehen.«
»Was diesem Subjekt überhaupt nicht gefiel«, wunderte sich Lady Agatha nachträglich noch mal.
»Als Mister Casnell dagegen protestierte, schob Mylady ihm Polierwatte in den Mund«, berichtete der Butler in seiner höflichen Art. »Dies führte zu akuten Atemschwierigkeiten.«
»Tauchten keine Leute von ihm auf?« fragte Mike Rander lachend.
»Es handelte sich um zwei Personen, die vor dem Betrieb Firmenwagen wuschen«, schickte Josuah Parker voraus. »Sie hatten sich mit Schlaginstrumenten versehen, die sie allerdings umgehend wieder verloren. Mylady und meine Wenigkeit brachten die beiden Männer dazu, gemeinsam mit Mister Casnell ins Freie zu gehen. Dort wurden die drei Personen dann einer ausgiebigen Intensivreinigung unterzogen, wozu man sich eines Hochdruck-Reinigungsgerätes bediente.«
»Das muß ja herrlich ausgesehen haben«, sagte Kathy Porter, die nur noch lachte.
»Die Herren erinnerten in der Tat an begossene Pudel, wie der Volksmund es so treffend und plastisch auszudrücken versteht, Miß Porter«, fuhr Josuah Parker fort. »Mylady benutzte zuerst ein Shampoon und wichste damit die Gangster ein, um sie anschließend einer Fein- und Klarwäsche zu unterziehen. Als man die Firma verließ, saßen die drei Männer sichtlich beeindruckt unter einer Rampe und haderten offensichtlich mit ihrem Schicksal.«
»Demnach haben Sie sich wieder mal Freunde verschafft«, stellte der Anwalt fest. »Konnte Casnell sich vor seiner Behandlung noch zu diesem Frauenjäger äußern?«
»Anschließend nach der Klarwäsche, Sir, kam es zu einigen Erklärungen«, beantwortete der Butler in gewohnt würdevoller Art die Frage. »Mister Casnell hat ebenfalls Schwierigkeiten, was seine Geschäftspartner betrifft. In jenen Hoch- und Tiefgaragen, die er betreut, haben sich ebenfalls Überfälle der bekannten Art ereignet. Mister Casnell versicherte fast glaubhaft, daß auch er und seine Leute nach dem Frauenjäger suchen.«
»Er konnte bisher keine Spur ausmachen?«
»Mister Casnell denkt an einen Einzeltäter. Er sprach von einem geistesgestörten Triebtäter. Ähnlich drückte sich auch Mister Falconer aus, wenn man daran erinnern darf.«
»Sie glauben nicht, daß einer dieser beiden Gangster den Frauenjäger erfunden hat, um sich gegenseitig auszustechen, Parker?«
»Damit sollte man nach wie vor rechnen, Sir«, meinte der Butler. »Hier handelt es sich um zwei Männer, die sich eindeutig bis auf das sprichwörtliche Messer bekämpfen.«
»Wogegen ich natürlich überhaupt nichts habe«, schaltete Agatha Simpson sich ein. »Ich denke, ich werde die weitere Entwicklung wachsam beobachten.
»Können wir uns nicht einschalten?« bot Mike Rander Hilfe an und deutete auf Kathy Porter und sich.
»Wenn der Frauenjäger schon mich nicht überfällt, mein Junge, dann erst recht nicht Kathy«, vermutete Agatha Simpson. »Ich werde diesen Kampf allein ausfechten müssen.«
»Aber wo wollen Sie ansetzen, Mylady?« fragte Rander. »Der Frauenjäger gleicht einem Phantom.«
»Mister Parker wird sich in meinem Sinn dazu etwas einfallen lassen«, wußte die ältere Dame. »So schwer kann das doch nicht sein, oder?«
*
Helen Simmons machte etwa achtunddreißig Jahre zählen. Sie war mittelgroß, schlank, dezent geschminkt und trug ein elegantes graues Kostüm. Sie stieg aus einem dunklen Morris und läutete.
Parker beobachtete sie auf dem Monitor der hauseigenen Fernsehanlage. Sie hatte sich vor einer halben Stunde telefonisch angekündigt und auf den Chief-Superintendenten berufen. Helen Simmons war bereit, zur Sache auszusagen.
»Sie wissen hoffentlich, Mister Parker, daß dieser Besuch genau geplant ist«, sagte Lady Agatha, die neben ihrem Butler stand.
»Mister McWarden bestätigte durch einen Rückruf, daß Miß Simmons die Absicht hat, sich Mylady anzuvertrauen.«
»Papperlapapp, Mister Parker, Sie sind einfach zu vertrauensselig. Man hat die richtige Simmons abgefangen. Das dort ist eine Kriminelle. Das sieht man doch auf den ersten Blick.«
»Man sollte Myladys Hinweis keineswegs auf die leichte Schulter nehmen«, lautete Parkers Antwort. »Auf Überraschurigen sollte man sich stets gefaßt machen.«
»Ich werde diese Kriminelle überführen«, kündigte die Detektivin energisch an. »Sie hat mit einigen Überraschungen zu rechnen.«
Parker schaltete die neuerdings vorhandene Metallsonde ein, die in den Türrahmen eingelassen worden war. Sie arbeitete nach dem Prinzip der bekannten Flughafensicherung. Kompakte Metallgegenstände wurden umgehend ausfindig gemacht und durch einen Summton angezeigt.
Helen Simmons passierte die Tür, die der Butler per Knopfdruck geöffnet hatte. Die schlanke Frau betrat zögernd den verglasten Vorflur, erblickte den Butler und ging dann auf die Glastür zu. Parker wußte inzwischen, daß die Metallsonde deutlich angesprochen hatte. Helen Simmons schien also eine Waffe zu tragen, die sich wahrscheinlich in ihrer dunkelroten Handtasche befand.
»Tragen Sie möglicherweise eine Schußwaffe mit sich, Miß Simmons?« fragte Parker über die Wechselsprechanlage.
»Ja, tatsächlich. Woher wissen Sie das?« Sie blickte ihn durch die Glastür verblüfft an.
»Eine reine Vermutung, Miß Simmons«
»Ich habe sie genehmigt bekommen«, sprach Helen Simmons weiter und öffnete die Handtasche. Sie holte einen Browning hervor und zeigte ihn mit spitzen Fingern. Die Waffe schien ihr mehr als unangenehm zu sein.
»Vor dem Betreten der Wohnhalle konnten Sie sie auf der kleinen Konsole neben der Glastür ablegen, Miß Simmons. Man sollte Mißverständnisse jeder Art tunlichst vermeiden.«
Sie folgte seinem Rat, legte die Waffe auf die Konsole und zuckte zusammen, als sie mit der Aufläge nach unten wegklappte und in einer Art Briefkasten landete, unerreichbar für sie.
»Mylady heißt sie herzlich willkommen«, grüßte Parker, als er die Glastür öffnete. »Mylady wird in wenigen Augenblicken zu erscheinen geruhen. »Darf man Ihnen eine Erfrischung anbieten?«
»Nein, danke, ich brauche nichts«, erklärte Helen Simmons. »Es hat auch Überwindung gekostet, zu Lady Simpson zu kommen.«
»Parker mein Name, Butler Parker«, stellte ihr Gegenüber sich vor.« Ihre Angaben und Hinweise wird man selbstverständlich streng vertraulich behandeln, Miß Simmons.«
»Keine falsche Bewegung, meine Liebe«, war in diesem Augenblick die baritonale Stimme der älteren Dame zu vernehmen. Agatha Simpson hatte sich vom Wandschrank gelöst und hielt eine mittelalterliche Hellebarde in Händen, deren Spitze auf den Gast gerichtet war. Agatha Simpson glich in diesem Augenblick einer Walküre aus einer bekannten Wagner-Oper. Man traute ihr durchaus zu, daß sie mit dieser Waffe umzugehen verstand.
Helen Simmons fuhr zusammen und wandte sich überrascht an Lady Agatha.
»Sie führen noch eine zweite Waffe mit sich«, erklärte die Detektivin. »Eine Lady Simpson können Sie nicht täuschen. Nehmen Sie gefälligst die Hände hoch!«
Was Miß Simmons auch augenblicklich tat.
*
»An meiner Reaktion haben Sie gesehen, meine Gute, daß Sie bei mir in besten Händen sind«, sagte Lady Agatha wenige Minuten später und lächelte ihren Gast ausgesprochen freundlich an.
Es hatte sich inzwischen herausgestellt, daß man es tatsächlich mit der richtigen Helen Simmons zu tun hatte. Ausweise hatten dies eindeutig belegt.
»Sie haben mich fast zu Tode erschreckt«, erwiderte Helen Simmons, die Platz genommen hatte.
»So schlimm wie in der Garage kann es wohl kaum gewesen sein, meine Beste«, gab Agatha Simpson zu bedenken. »Womit ich bereits beim Kern der Sache bin.«
Sie runzelte kurz die Stirn, als Parker Sherry servierte.
»Das war wirklich noch schlimmer«, bestätigte Helen Simmons und nickte dem Butler dankend zu. »Aber die Zeit davor war kaum harmloser.«
»Könnten Sie Mylady der Reihe nach beschreiben, auf welche Weise Sie terrorisiert wurden?« schaltete Parker sich ein.
»Zuerst per Telefon«, gab sie Auskunft. »Es begann mit einigen wenigen Anrufen in meiner Wohnung. Eine unheimliche Stimme kündigte mir nächtliche Besuche an. Dann folgten scheußliche Details. Ich möchte lieber nicht darüber sprechen.«
»Nun haben Sie sich nicht so, meine Liebe, wir sind doch schließlich erwachsene Menschen«, reagierte Lady Simpson ungeduldig.
»Meine Wenigkeit möchte sich entfernen«, schlug der Butler vor.
»Nein, nein, ich habe mich schon wieder unter Kontrolle«, erwiderte sie hastig. »Diese Stimme erging sich in Details und setzte mir genau auseinander, was sie von mir erwartete und was ich zu erwarten hätte. Muß ich noch deutlicher werden?«
»Von mir aus schon«, antwortete Agatha Simpson ungeniert.
»Es dürfte sich um intim-sexuelle Details gehandelt haben«, tippte der Butler an.
»Scheußliche Details«, pflichtete sie ihm bei. »Die Anrufe erfolgten in immer kürzeren Abständen. Nach einigen Tagen wurde ich dann in meinem Büro angerufen und belästigt.«
»Sie haben sich an die Polizei gewandt?« fragte Agatha Simpson.
»Davor warnte mich diese Stimme«, lautete die Antwort. »Sie drohte mir mit gezielten Schüssen. Ich hatte solche Angst, daß ich die Polizei aus dem Spiel ließ, bis ich ...«
»Bis Sie in einer Garage überfallen wurden, Miß Simmons?« fragte Josuah Parker.
»Dieser Überfall erfolgte völlig überraschend«, berichtete Helen Simmons weiter. »Plötzlich hörten die Anrufe auf... Das dauerte zwei Tage. Ich atmete bereits auf, aber dann überfiel dieser Kerl mich in der Tiefgarage unseres Bürohauses.«
»Wobei er Ihre Kleidung in einige Unordnung brachte, Miß Simmons?«
»Es war widerlich«, sagte sie leise und nickte. »Angerührt hat er mich nicht, aber er zerriß meine Bluse und Jacke. Ich war wie gelähmt, ich konnte mich nicht wehren.«
»Sie konnten den Täter leider nicht erkennen, Miß Simmons?«
»Er trug eine Strickmaske, die den ganzen Kopf verdeckte. Es gab nur zwei Augenschlitze. Ich war auch viel zu aufgeregt, um mir Einzelheiten merken zu können. Das alles dauerte nur wenige Augenblicke, dann war der Kerl schon wieder verschwunden. Eine Stunde später rief er mich dann wieder an und sagte, das wäre erst der Anfang.«
»Kam es bei diesem Gespräch zu irgendwelchen Forderungen, Miß Simmons?« fragte Parker höflich und gemessen weiter. Er verstand es, Miß Simmons die letzte Scheu zu nehmen.
»Nein, keine Forderungen, Mister Parker«, entgegnete sie. »Ich kann mir gar nicht erklären, warum er ausgerechnet mich anruft, warum er mich überfallen hat. Ich lebe zurückgezogen und habe kaum ein Privatleben.«
»Sie sind, wie Chief-Superintendent McWarden Mylady mitteilte, Abteilungsleiterin in einer Übersee-Bank?«
»Kreditabteilung«, gab sie zurück und nickte. »Diese Arbeit beansprucht mich völlig, Mister Parker. Wie gesagt, ich habe so gut wie kein Privatleben, das ist leider eben der Preis für eine solche Stellung.«
»Sie sind unverheiratet, meine Liebe?« fragte Lady Agatha.
»Richtig«, bestätigte Helen Simmons. »Ich lebe zusammen mit meiner Mutter. Wie gesagt, wir haben kaum gesellschaftliche Kontakte über die Firma hinaus.«
»Mister McWarden wird Sie sicher bereits nach Feinden gefragt haben, Miß Simmons.«
»Nein, Feinde habe ich nicht«, erwiderte sie nachdrücklich. »Auch mit meinen Kollegen gibt es keinen Ärger. Es existieren auch keine Männer in meinem Leben, die ich in irgendeiner Form beleidigt haben könnte.«
»Der besagte Überfall, Miß Simmons, fand wann statt?« wollte der Butler wissen.
»Vor knapp acht Tagen«, erwiderte sie. »Danach wandte ich mich an die Polizei. Meine Mutter drang darauf, sonst hätte ich es nicht getan.«
»Nach dem Überfall wurden Sie erneut angerufen«, erinnerte der Butler höflich. »Erfolgten nach diesem Anruf weitere Telefonate?«
»Seither herrscht Ruhe«, sagte sie leise. »Aber ich spüre, daß ich belauert werde. Er wird wieder anrufen und mich bedrohen.«
»Sie sollten Urlaub nehmen, meine Liebe«, schlug Agatha Simpson energisch vor.
»Den habe ich bereits genommen«, gab sie zurück. »Vor zwei Tagen habe ich ihn angetreten. Ich werde noch heute mit meiner Mutter an die Küste fahren.«
»Darüber sollte man sich vielleicht unterhalten, Miß Simmons«, schlug Josuah Parker vor. »Mylady verfügt über einige Landsitze, die sich als Urlaubsziel geradezu anbieten.«
»Landsitze, Mister Parker? Kleine Häuser«, wiegelte die ältere Dame sofort ab. »Aber ich bin gern bereit, Sie dort aufzunehmen. Ihr Mut soll belohnt werden.«
»Mut, Mylady? Ich sterbe vor Angst.«
»Sie stehen ab sofort unter meinem Schutz, meine Liebe«, beruhigte Agatha Simpson ihren Gast. »In ein paar Tagen werde ich diesen Frauenjäger gefaßt haben‘«
»Ja, er nannte sich am Telefon immer Frauenjäger«, fügte sie ihrem Bericht noch schnell hinzu. »Das hätte ich beinahe vergessen. Und er sagte noch jedesmal, ich würde mich in seiner Frauenfalle fangen.«
»Er wird bald in seiner eigenen Falle zappeln«, prophezeite die ältere Dame optimistisch. »Überlassen Sie das ruhig mir, meine Liebe. Ich werde Sie selbstverständlich nach Hause begleiten. Sie haben nichts mehr zu befürchten.«
»Vielleicht vorher noch eine Frage, Miß Simmons«, bat Josuah Parker. »Pflegen Sie gewisse Kontakte zu Damen, die ebenfalls in leitenden Stellungen tätig sind?«
»Man sieht sich hin und wieder«, antwortete Helen Simmons. »Einige Male im Jahr treffen wir uns zu einem gemeinsamen Abendessen und besprechen dann unsere Probleme. Wir Frauen haben es nicht leicht, uns gegen die Männer durchzusetzen.«
»Auch über die gemeinsamen Abendessen sollte man sich noch unterhalten«, meinte der Butler. »Während des Dinner dürfte dazu reichlich Zeit sein.«
»Dinner?« fragte Agatha Simpson. »Heute wollte ich eigentlich einen Diät-Tag einlegen. Aber nun gut, ich werde ein Opfer bringen und eine Kleinigkeit zu mir nehmen. Richten Sie sich aber wirklich nur auf einen Imbiß ein, meine Liebe.«
»Ich glaube, ich werde keinen Bissen hinunterbekommen«, meinte sie.
»Was Sie nicht tragisch nehmen sollten, meine Liebe. Später mal wird sich das alles wieder einrenken.«
*
»Nun, Mister Parker, was halte ich von der jungen Dame?« wollte Lady Agatha wissen. »Sie ist durchaus seriös, was ich von Anfang an wußte.«
»Myladys Menschenkenntnis ist immer wieder wegweisend«, lautete Parkers Antwort. »Miß Simmons konnte in der Tat wichtige Hinweise liefern, wie Mylady herauszuhören beliebten.«
»Selbstverständlich.« Sie nickte nachdrücklich. »Das ist mir nicht entgangen, Mister Parker. Und was fiel mir auf?«
»Miß Helen Simmons sprach von einem Gesprächskreis jener Damen, die leitende Stellungen einnehmen.«
»Richtig.« Sie nickte erneut und lächelte den Butler wohlwollend an. »Jetzt bin ich gespannt, ob Sie da ebenfalls gewisse Zusammenhänge erkennen, Mister Parker.«
»Mylady planen, die jungen Damen zu befragen, ob auch sie vom Frauenjäger belästigt wurden.«
»Das ist es«, meinte sie erleichtert. »Sie haben tatsächlich aufgepaßt, Mister Parker. Ich dachte schon, Sie hätten das überhört.«
»Miß Simmons war so entgegenkommend, einige Namen zu nennen«, erinnerte Josuah Parker. »Myladys Erlaubnis vorausgesetzt, sollte man sich mit den betreffenden Damen ins Benehmen setzen.«
»Das ist die heiße Spur, auf die ich gewartet habe«, freute sie sich nachdrücklich. »Jetzt werde ich meinen Fall bald abschließen können, Mister Parker.«
»Er ist im Grund bereits gelöst, Mylady«, versicherte Parker in seiner höflichen Art. »Darf man übrigens an die Herren erinnern, die sich nach wie vor im Brunnenschacht befinden?«
»Brauche ich die noch?«
»Man könnte sie der Polizei in die Hände spielen, Mylady.«
»Ich lasse Ihnen da völlig freie Hand, Mister Parker«, gab sie zurück. »Um solche Details kümmere ich mich nicht.«
Sie erhob sich und tat kund, sie wolle über den Frauenjäger noch ein wenig meditieren. Sie hatte mehr als nur Kleinigkeiten zu sich genommen und brauchte etwas Ruhe. Zudem, und das war Parker bekannt, lief im Fernsehen ein Kriminalfilm, den sie auf keinen Fall versäumen wollte. Sie winkte ihrem Butler hoheitsvoll zu und schritt über die geschwungene Treppe ins Obergeschoß.
»Sie sollten sich etwas entspannen, Mister Parker«, rief sie dann nach unten. »Vielleicht war das alles etwas zuviel für Sie. Sie sind auch nicht mehr der Jüngste.«
»Myladys Fürsorge ist bemerkenswert.« Josuah Parker deutete eine Verbeugung an. »Planen Mylady für den Abend oder die Nacht noch etwas?«
»Ich werde darüber nachdenken«, entschied sie und verschwand im Korridor der oberen Etage. Damit wußte Parker aus einschlägiger Erfahrung, daß er über etwa anderthalb Stunden Zeit verfügte, die er nach Belieben nutzen konnte. Er begab sich ins Souterrain des Hauses, in dem sich seine privaten Räume befanden.
Hier verfügte er über einen großen Wohnraum, der im Stil einer Kapitänskajüte eingerichtet war. Es gab viel Teakholz, Messing und Holzpaneele, dazu ein Ledersofa und passende Sessel. Der Schlafraum war entsprechend geschmackvoll eingerichtet, ebenso das große Bad. Zusätzlich hatte Parker sich hier unten seine Werkstatt eingerichtet, die Eingeweihte schlicht und einfach Labor nannten. Hier ersann, entwickelte und baute der Butler die vielen technischen Überraschungen, die seine Gegner immer wieder verwirrten.
Von den privaten Räumen aus erreichte man über einen Verbindungskorridor die große, modern eingerichtete Wirtschaftsküche des Hauses. Josuah Parker war ein erstklassiger Koch, der aus Passion das Essen für Mylady und sich selbst zubereitete. Selbstverständlich gab es auch hier unten eine zentrale Warnanlage, über die das ganze Haus zu kontrollieren war. Sie war mit der Schalttafel im Wandschrank oben im Erdgeschoß des Hauses gekoppelt.
Der Butler rief Horace Pickett an und erkundigte sich erst mal nach Lem Stiller und Richie Wilmings, die er in Mister Picketts Obhut gegeben hatte.
»Die wollen Sie unbedingt sprechen, Mister Parker«, sagte der ehemalige Eigentumsumverteiler.
»Schwierigkeiten machen sie nicht, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
»Vielleicht wollen Sie sich noch mal um Mylady verdient machen, Mister Pickett«, erwähnte der Butler noch, nachdem er sich bedankt hatte. »Es gibt da in Wimbledon einen Gasthof, in dem sich hin und wieder berufstätige Damen zu treffen pflegen. Könnten Sie eruieren, Mister Pickett, um welche Frauen es sich handelt? Es wäre recht angenehm, wenn man zusätzlich noch die Adressen dieser Berufstätigen in Erfahrung bringen könnte.«
»Das nehme ich selbst in die Hand«, antwortete Pickett. »Ich brauche nur den Namen des Restaurants.«
Parker nannte ihn und empfahl Pickett, sich einen Smoking anzuziehen.
»Es dürfte sich um ein recht teures Restaurant handeln, Mister Pickett«, meinte der Butler. »Die Spesen werden selbstverständlich von Mylady übernommen.«
»Ich werde kaum etwas ausgeben«, erwiderte Pickett. »Ich habe übrigens meine Fühler ausgestreckt, was den Frauenjäger betrifft, von dem Sie mir erzählt haben.«
»Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie durchaus fündig geworden sind, Mister Pickett.«
»Dieser Frauenjäger wird mit Falconer und Casnell in Verbindung gebracht«, berichtete Pickett weiter. »Es heißt, sie würden sich damit gegenseitig Schwierigkeiten machen wollen. Ob das stimmt, kann ich nicht sagen.«
»Man wird auch diese Konstellation ins Kalkül ziehen«, antwortete Josuah Parker. Er wechselte noch einige Sätze mit Pickett, legte auf und wählte dann den Chief-Superintendenten an. Ihm ging es um die diversen Schläger, die seit Stunden im Brunnenschacht standen und mit Sicherheit längst kalte Füße bekommen hatten. Als er auflegte, glühte eine rote Signallampe auf der Schalttafel. Besuch meldete sich an, Besuch, der aus ganz bestimmten Gründen darauf verzichten wollte, sich vorn an der Haustür vorzustellen.
*
Es war ein einzelner Herr, der sich das Innere des Hauses ansehen wollte.
Auf dem Bildschirm des Monitors war er deutlich auszumachen. Parker sah einen schlanken, normal großen Mann, der gerade dabei war, über die Mauer zu steigen, die das Grundstück hinter dem altehrwürdigen Fachwerkhaus abschloß. Er hatte den Weg durch den kleinen, privaten Park genommen, der seinerseits von Mauern umschlossen war und tu einem regierungsnahen Institut gehörte. Die Mauer war für diesen Besucher kein Hindernis, ja, sie lud förmlich zum Nähertreten ein.
Dies hätte den Mann eigentlich stutzig machen müssen. Er hatte den Oberkörper über die Mauerkrone geschoben und blickte auf den schmalen Wirtschaftsweg zwischen der Rückseite des Hauses und der Mauer, mit Sicherheit auch auf den Keller-Niedergang, der zum Souterrain führte.
Parker saß entspannt in einem Ledersessel und hielt sein Fernbedienungsgerät in Händen.
Der nächtliche Besucher gab sich einen Schwung und schob die Beine auf die Mauerkrone. Er übersah dabei eindeutig den Besatz der Mauer. Möglicherweise spürte er ihn gar nicht. Es handelte sich um feine, in der Mauerkrone eingelassene Stahlborsten. Sie waren auf Wunsch unter Strom zu setzen.
Parker hatte sich diese Sicherung einfallen lassen und war durch elektrische Weidezäune dazu inspiriert worden. Er war in der Lage, die feinen Stahlborsten unter Strom zu setzen. Dann stand etwa eine Ladung von einem halben Ampere zur Verfügung. Gesundheitliche Schädigungen waren eigentlich ausgeschlossen, doch ein kurzer Stromstoß reichte völlig, um Ersteiger der Mauer nachhaltig zu schocken.
Was auch geschah...
Parker hatte mit seiner Fernbedienung den Strom aktiviert und nahm höflich zur Kenntnis, daß der nächtliche Besucher fast zehn Zentimeter senkrecht in die Luft stieg. Anschließend klatschte er in Schräglage zurück auf die Mauerkrone, rutschte haltlos ab und fiel nach unten auf den Wirtschaftsweg. Hier blieb er wie gelähmt liegen und brauchte nur noch aufgesammelt zu werden.
Der Butler begab sich ohne jede Hast in den kleinen Verbindungskorridor und öffnete die Tür zum Lichthof. Über die Außentreppe stieg Parker hinauf zum Wirtschaftsweg und kümmerte sich um den Besucher.
Der Mann blickte ihn aus vor Schreck geweiteten Augen an, war jedoch nicht in der Lage, auch nur einen Muskel zu bewegen. Hilflos mußte er die Durchsuchung seiner Taschen dulden. Parker förderte eine schallgedämpfte Automatik zutage und ein Wurfmesser, das sich in einem Lederfutteral am linken Unterarm befand.
»Sie werden sicher verstehen, daß meine Wenigkeit Ihnen kein herzliches Willkommen entbieten kann«, sagte Josuah Parker. »Auf der anderen Seite versteht man natürlich, daß Sie Ihr Kommen nicht schriftlich ankündigen wollten. Kann man davon ausgehen, daß der sogenannte Frauenjäger Sie engagierte?«
Der Besucher wollte antworten, doch seine Muskeln waren noch deutlich verspannt. Sie ließen eine Artikulation nicht zu. Der Mann produzierte einige Töne, die darauf schließen ließen, daß seine Stimmbänder sich nicht ganz schlossen.
»Sie werden sich mit letzter Sicherheit bald wesentlich besser fühlen«, meinte Parker höflich und beruhigend zugleich. »Der Sturz von der Mauer hat Ihnen hoffentlich nichts ausgemacht.«
Der Mann gurgelte ein wenig, krächzte und belastete erneut seine Stimmbänder.
»Nehmen Sie sich Zeit«, schlug Parker vor. »Die Nacht ist noch lang.«
Parker legte dem Mann sicherheitshalber Handschellen an und wartete, bis die Muskeln des Geschockten sich entspannten. Der Mann schluckte, bewegte probeweise die Finger, hustete und holte dann tief Luft.
»Verdammt, was war das?« fragte er schließlich mit heiserer Stimme.
»Dazu später mehr«, meinte der Butler. »Könnten Sie meiner Wenigkeit anvertrauen, auf wessen Wunsch Sie sich in akute Gefahr begaben?«
»Was haben Sie gesagt?« Der Mann hustete sich die Kehle frei.
»Man könnte auch sehr direkt danach fragen, in wessen Auftrag Sie ins Haus eindringen wollten.«
»Das Dreckschwein, dieses Miststück«, beschwerte sich der heimliche Besucher mit wesentlich freierer Stimme. »Der hat mir kein Wort davon gesagt, daß das hier ’ne einzige Falle ist.«
»Sprechen Sie jetzt möglicherweise von Mister Andrew Hogan?«
»Von Marty Clapstone«, lautete die Antwort.
*
»Wer ist denn das schon wieder?« entrüstete sich Lady Agatha eine Viertelstunde später. Sie befand sich in leicht gereizter Stimmung, denn der Butler hatte ihre Meditation unterbrochen. Mit anderen Worten, sie konnte sich den Video-Kriminalfilm nicht zu Ende ansehen.
»Mister Clapstone ist ein durchaus bekannter Gangster, Mylady, der in Soho eine Spielhalle betreibt.«
»Das hört sich nicht schlecht an«, sagte sie erfreut. »Als ich das letztemal eine solche Spielhalle besuchte, machte ich einen recht hübschen Gewinn.«
»Mister Clapstone hält sich zur Zeit in einem Sport-Zentrum auf, um dort seine Muskeln zu stählen, Mylady.«
»Dabei werde ich diesem Subjekt behilflich sein, Mister Parker. Er war es also, der mir diesen Lümmel ins Haus schicken wollte?«
»Daran besteht kein Zweifel, Mylady.«
»Worauf warte ich dann eigentlich noch? Wo haben Sie diesen Eindringling untergebracht?«
»In einem Einzelzimmer des internen Gästetraktes, Mylady. Er betrachtet sich als Gast des Hauses, bis man Mister Clapstone besucht hat.«
»Ich bin in wenigen Minuten unten, Mister Parker.« Sie nickte ihm wohlwollend zu und entließ ihn mit einem freudigen Lächeln. Auf sie wartete wieder mal eine Abwechslung. Das versetzte sie in durchaus gehobene Stimmung.
Die ältere Dame war in Hochform, als Parker später vor einer Tordurchfahrt hielt und diskret auf ein Querhaus deutete, das im Hinterhof ausschnittweise zu erkennen war. Eine Neonreklame versprach Fitneß, Sonnenbräune und Gesundheit.
Parker geleitete seine Herrin aus dem hochbeinigen Monstrum und führte sie durch die Tordurchfahrt in den Hinterhof. Hinter den Fenstern eines ehemaligen Betriebes, die mit weißen Gardinen gegen Einsicht gesichert waren, brannte viel Licht.
Parker läutete an der Eisentür und trat dann abwartend einen halben Schritt zurück.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Tür geöffnet wurde. Ein muskulöser Mann in weißen Hosen und weißem Unterhemd blickte mehr als erstaunt auf den Butler.
»Es ist ungemein dringend«, sagte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Ich bin der Butler Mister Clapstones.«
»Mann, ob ich den aber jetzt stören kann«, sorgte sich der Mann.
»Sie sollten es auf einen Versuch ankommen lassen«, schlug der Butler vor und ... legte dann den bleigefüllten Griff seines Universal-Regenschirmes auf die hohe Stirn des Mannes. Der verdrehte daraufhin in schier unglaublicher Art die Augen, seufzte und ließ sich anschließend auf die Knie nieder.
»Wird das auch reichen, Mister Parker?« fragte die ältere Dame, die von der anderen Türseite kam, wo sie sich aufgebaut hatte. Sie hatte ihren Pompadour längst in satte Schwingungen versetzt.
»Mylady dürfen versichert sein, daß dieser Mann vorerst nicht störend in Erscheinung treten wird«, beantwortete Parker die Frage und drückte die Tür weiter auf, damit Agatha Simpson ungehindert das Sport-Zentrum betreten konnte. Parker orientierte sich kurz und führte Mylady zielsicher zu einer Tür, deren oberes Drittel mit einem Glaseinsatz versehen war. Er blickte in einen großen Saal, der mit modernen, muskelerzeugenden Maschinen geradezu vollbepackt war. Auf diesen Geräten, die an Foltereinrichtungen erinnerten, mühten sich Männer aller Altersklassen ab.
»Und wer ist nun dieser Gladstone?« fragte die Detektivin ungeduldig. Sie hatte sich neben Parker aufgebaut.
»Mister Marty Clapstone«, korrigierte Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. Dann gab er die Tür frei, als ein Trainer sich näherte. Der Mann stieß schwungvoll die Tür auf und blickte den Butler überrascht an.
»Zu Mister Clapstone«, fragte der Butler. »Es ist dringend, um der Wahrheit die Ehre zu geben.«
»Der is’ drüben im Büro«, antwortete der Mann umgehend. »Und wer sind Sie?«
»Ein sogenanntes Ehrenmitglied«, entgegnete der Butler und nickte dann Mylady zu, die hinter dem Trainer stand, der ebenfalls weiße Leinenhosen, ein Unterhemd und weiße Sportschuhe trug.
Lady Agatha ließ sich von Parker nicht lange bitten. Sie langte herzhaft mit ihrem kleinen Handbeutel zu.
*
Marty Clapstone hatte in der Vergangenheit schon mehrere Male den Weg des Butlers gekreuzt. Parker wußte also, wie dieser Mann aussah. Clapstone, kaum mittelgroß, untersetzt, etwa vierzig Jahre alt, stiernackig, saß im Büro des Sport-Zentrums und diskutierte mit einigen Männern, die eindeutig aus seiner Branche stammten. Es handelte sich um drei Gesprächspartner, die alle ein wenig zu helle Hemden, Anzüge und zu bunte Krawatten trugen.
Sie blickten Parker und Mylady entgeistert an, als das Duo im Büro erschien. Parker lüftete höflich die schwarze Melone.
Clapstone wußte natürlich sofort, aus welchem Grund Agatha Simpson und Parker erschienen waren. Er sprang sofort auf und versuchte sich an einem neutralen Lächeln.
Der Versuch mißlang.
»Wer ist Gladstone?« erkundigte sich Lady Agatha mit ihrer baritonalen Stimme. Sie blitzte die Männer nacheinander mit ihren Augen an.
»Mister Marty Clapstone«, fügte Parker hinzu.
»Wie auch immer«, fuhr die ältere Dame fort und schritt dann auf Clapstone zu, auf den Parker diskret gedeutet hatte. Sie baute sich vor ihm auf und ... verabreichte ihm eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen.
Clapstone, der mit einer solchen Handgreiflichkeit nicht gerechnet hatte, nahm wieder Platz und japste.
»Das ist die Quittung für Ihre Frechheit, junger Mann, mir einen Kriminellen ins Haus geschickt zu haben«, redete die ältere Dame weiter. Parker beobachtete die drei übrigen Männer, die allerdings keine Anstalten trafen, sich vorerst einzuschalten. Ja, im Grund wirkten sie sogar ein wenig amüsiert.
Parker ließ sich nicht in Sicherheit wiegen. Die drei Männer konnten in jedem Moment ihren momentanen Spaß vergessen und zu gefährlichen Feinden werden.
Diese Vorsicht zahlte sich aus.
Einer von ihnen stand plötzlich auf den Beinen und absolvierte mit der rechten Hand eine Bewegung, die nur zu typisch war. Er wollte sie unter seine linke Jackenhälfte führen und dort wahrscheinlich nach einer Waffe greifen.
Der Butler war aber schneller.
Mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes stach er gezielt zu und traf die Partie zwischen Brustmuskel und Armgelenk. Daraufhin sah der Getroffene sich nicht mehr in der Lage, seine Bewegung vollends auszuführen.
Die beiden anderen Männer sprangen auf und wollten ebenfalls aktiv werden, doch sie beruhigten sich umgehend, nachdem Josuah Parker den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes eingesetzt hatte. Die Männer sackten zurück auf ihre Sitzgelegenheiten und meldeten sich erst mal ab. Parker hatte keine Schwierigkeiten, einige Schußwaffen an sich zu nehmen.
Marty Clapstone hatte das alles beobachtet und wußte, was die Glocke geschlagen hatte. Er machte sich noch kleiner, als er es ohnehin schon war.
»Sie waren so leichtsinnig, einen professionellen Schläger oder auch Killer zu Mylady zu schicken«, sagte Parker zu ihm. »Mylady wünscht umgehend zu erfahren, für wen Sie diesen Auftrag ausführten.«
»Hören Sie, Parker, Sie kennen mich ... Also ... Ich würde doch niemals einen...«
»Das Eis, auf dem Sie sich bewegen, wird immer dünner«, warnte der Butler ihn.
»Für Hogan«, kam nun die überraschende Antwort. »Er hatte mich angerufen und mich um einen Gefallen gebeten.«
»Mister Hogan wird dies sicher abstreiten, Mister Clapstone.«
»Dann lügt er«, lautete die Antwort. »Ich weiß doch, was ich weiß. Ich hatte ihn gleich gewarnt... Das hing mit Ihrem Namen zusammen, aber Hogan wollte ja nicht auf mich hören.«
»Sie sollten dieses Thema noch mal mit ihm diskutieren, Mister Clapstone.«
»Was ... was soll das heißen?«
»Sie haben die Ehre und den Vorzug, Mylady zu Mister Hogan begleiten zu dürfen, Mister Clapstone.«
»Das mach’ ich sofort«, erklärte Clapstone fast begeistert. »Und der wird was von mir hören, darauf können Sie Gift nehmen.«
»Marty Clapstone rechnete sich noch immer die Chance aus, sich absetzen zu können. Parker ging davon aus und richtete sich darauf ein.
*
Er versuchte sein Glück, als man das Sport-Zentrum verließ.
Mylady, Parker und Clapstone waren über die beiden Trainer gestiegen und gingen zu dem hochbeinigen Monstrum des Butlers. Plötzlich versetzte Clapstone der älteren Dame einen derben Stoß und entwickelte sich zu einem Sprinter von beachtlicher Qualität.
Er war jedoch nicht schnell genug.
Parker ließ ihm einen stricknadellangen, bunt gefiederten Pfeil folgen, der aus dem hohlen Schirmstock stammte und von komprimierter Kohlensäure angetrieben wurde. Der kleine Pfeil zischte durch die Luft und bohrte sich in die linke Gesäßhälfte des Flüchtenden, der deutlich zusammenzuckte und anschließend einen Luftsprung absolvierte. Er faßte mit beiden Händen nach der Einschußstelle, bremste sich ab und geriet in Panik, als seine Finger den Pfeil ertasteten.
»Ohne eine schnelle medizinische Versorgung sollten Sie auf keinen Fall weiterlaufen«, warnte der Butler ihn gemessen. »Sie könnten sonst gesundheitlichen Schaden nehmen.«
Clapstone blieb stehen und erkundigte sich, ob der Pfeil eventuell vergiftet sein könnte.
»Im übertragenen Sinn durchaus«, antwortete Parker. »Das Gegenmittel befindet sich dort drüben im Wagen.«
»Dann machen Sie schon... Beeilen Sie sich doch! Schnell!«
Er hatte den Pfeil aus der kleinen Wunde gezogen und reichte ihn Parker, der ihn in den Falten seines Regenschirmes verschwinden ließ.
»Sie bleiben dabei, daß Mister Hogan Sie bat, einen sogenannten Killer in Myladys Haus zu schicken?« fragte Parker.
»Ja, natürlich, weil’s so gewesen ist. Sie müssen ihm auf die Füße getreten haben.«
»Sie haben sich damit der Mittäterschaft schuldig gemacht, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Ich sollte Sie am Pfeilgift sterben lassen.«
»Lady, machen Sie keinen Unsinn ... Ich hab’ ja nur ’nen Mann vermittelt«, redete Clapstone sich heraus.
»Wo hält sich Mister Hogan im Augenblick auf,« erkundigte sich der Butler. Er nutzte die Aussagebereitschaft des Mannes. Clapstone genierte sich nicht, umgehend eine Adresse zu nennen und bat anschließend um das Gegenmittel.
»Umgehend«? versprach Parker. Man hatte den Wagen erreicht, und Clapstone nahm im Fond mehr als vorsichtig Platz. Die kleine Einstichwunde brannte inzwischen sicher wie Feuer. Parkers Blasrohrpfeile waren zwar nicht vergiftet, doch chemisch präpariert. Dieses Präparat löste zuerst eine Art brennendes Feuer und anschließend einen Juckreiz aus.
Mylady nahm auf dem Beifahrersitz Platz und machte einen durchaus zufriedenen Eindruck. Das kurze Intermezzo im Sport-Zentrum war so recht nach ihrem Geschmack gewesen. Sie liebte erwiesenermaßen die Abwechslung.
»Und jetzt das Gegengift«, verlangte Clapstone über die eingeschaltete Wechselsprechanlage. Parker hatte die Trennscheibe zwischen den Vordersitzen und dem Fond hochgefahren.
»Spüren Sie denn schon etwas?« fragte die Detektivin interessiert.
»Das juckt wie verrückt... Das macht mich wahnsinnig, Lady.«
»Demnach leben Sie also noch«, stellte Agatha Simpson fest. »Sie können sich doch wirklich nicht beklagen, junger Mann.«
»Was wissen Sie von dem sogenannten Frauenjäger?« erkundigte sich Parker, als hätte er nichts gehört.
»Frauenjäger?« Clapstone hörte für einen Moment auf, sich ausgiebig zu kratzen.
»Ein Täter, der Hoch- und Tiefgaragen als Frauenfallen benutzt«, präzisierte Parker. »Sie wollen Mylady hoffentlich nicht einzureden versuchen, davon noch nichts gehört zu haben.«
»Klar, von dem hab’ ich schon gehört«, räumte Clapstone nun ein. »Aber wer das is’, weiß ich nicht. Hogan hat da aber ’nen Tip, glaube ich.«
»Den Sie sicher an Mylady weitergeben werden, Mister Clapstone.«
»Hogan glaubt, daß das ein Geistesgestörter ist«, sagte Clapstone eifrig. »Dafür spricht ja ’ne ganze Menge.«
»Und was, bitte, glauben Sie, Mister Clapstone? Ein Mann Ihres Zuschnitts dürfte sich mit Sicherheit so seine Gedanken machen, was den Frauenjäger betrifft.«
»Wann bekomm’ ich jetzt endlich das Gegengift? Mir is’ schlecht«, stöhnte Clapstone.
Parker reichte ihm das gewünschte Gegenmittel. Es stammte aus dem Handschuhfach seines Wagens und war eine völlig harmlose Magenmedizin, die aber recht pompös verpackt war. Parker hatte sich die Kau-Tabletten zugelegt, um seine jeweiligen Patienten entgiften zu können.
Clapstone langte hastig nach der Tablette, die Parker ihm durch einen Spalt in der Trennscheibe zuschob, wickelte sie aus und lutschte sie mit Hingabe.
»Schmeckt bitter«, sagte er und hüstelte.
»Gute Medizin, junger Mann, schmeckt immer bitter«, ließ Lady Agatha sich vernehmen. »Spüren Sie bereits die Wirkung?«
»Tatsächlich«, stöhnte Clapstone erleichtert, »ich dachte schon, ich müßte abschrammen.«
»Sie erhielten soeben die erste Gegengift-Komponente«, machte Parker ihm höflich klar. »Sie benötigen noch eine zweite Tablette.«
»Dann reichen Sie sie mir doch rüber, schnell.«
»Sie sind meiner Wenigkeit noch eine Antwort schuldig«, erinnerte Josuah Parker.
»Antwort? Worauf denn?« Ungeduld und Angst beherrschten Clapstones Stimme.
»Wie denken Sie persönlich über den Frauenjäger?«
»Irgendwie muß Hogan was damit zu tun haben«, sagte Clapstone. »Der ließ mal vor einigen Tagen durchblicken, er würd’ Geld wie Heu machen, und zwar mit Frauen. Mehr hat er dazu nicht gesagt.«
»Fielen in diesem Zusammenhang bestimmte Namen?«
»Ja, er redete da von Falconer und Casnell, die er noch auf Vordermann bringen würde. Mehr weiß ich wirklich nicht. Bekomm’ ich jetzt die zweite Tablette?«
»Sie werden sogar noch zwei bekommen, Mister Clapstone«, kündigte der Butler gemessen an. »Man sollte jeder Eventualität vorbeugen.«
*
»Und dann besuchten Sie also Hogan?« fragte Mike Rander am anderen Morgen. Er und Kathy Porter hatten sich zum Frühstück in Myladys Haus eingefunden. Parker servierte mit der Perfektion eines Haushofmeisters und reichte Rührei mit gebackenem Schinken, Toast, Butter, diverse Wurstsorten, Käse aus verschiedenen Landschaften Englands, dann einige Bratwürstchen, etwas Lachs und einen Krabbensalat.
Agatha Simpson hatte darauf bestanden, nur Kleinigkeiten serviert zu bekommen. Sie wollte ihren privaten Diätplan auf keinen Fall durchbrechen.
»Wie war das mit diesem Gladstone, Mister Parker«, meinte sie und blickte den Butler an, der frischen Kaffee nachgoß.
»Mister Clapstone nannte durchaus die richtige Adresse, Mylady, doch Mister Hogan hatte sich inzwischen mit unbekanntem Ziel entfernt«, beantwortete Parker die Frage. »Weder in seiner Privatwohnung noch in seiner Firma war er zu erreichen.«
»Könnte er Lunte gerochen haben, Mister Parker?« warf Kathy Porter ein.
»Ganz sicher, Kindchen«, antwortete die ältere Dame. »Er weiß, daß er mich zu fürchten hat.«
»Wieso hat er sich abgesetzt?« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Der Killer sitzt ja unten im Gästetrakt, kann ihn also kaum gewarnt haben.«
»Auch Clapstone wohl kaum«, fügte Kathy Porter hinzu.
»Man muß wohl davon ausgehen, Miß Porter, daß Mister Hogan den Killer begleitete, als er sich anschickte die Mauer zu übersteigen«, vermutete Josuah Parker. »Dies geschah natürlich aus sicherer Entfernung. Mister Hogan wird mitverfolgt haben, wie der Gangster auf der Mauerkrone sein Debakel erlebte.«
»Wie sollte es anders gewesen sein?« Agatha Simpson lächelte wissend. »Ich hatte gleich damit gerechnet, daß dieses Mauer-Subjekt nicht allein war, aber auf mich wollte man ja nicht hören.«
»Ein Versäumnis, Mylady, das sich in der Tat auswirkte.«
»Nun, ich bin nicht nachtragend, Mister Parker. Sorgen Sie dafür, daß ich diesen Logan finde.«
»Mister Hogan wird sicher bald erneut in Erscheinung treten, falls er einen direkten Kontakt mit dem Frauenjäger haben sollte«, gab Parker zurück und korrigierte auf diese Weise diskret den Namen des Gangsters, den Mylady sich falsch gemerkt hatte. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch die Türklingel meldete sich.
»McWarden«, prophezeite Rander lächelnd.
»Er kommt doch absichtlich immer um diese Zeit«, meinte die Hausherrin leicht gereizt.
»Er hat sicher die Absicht, sich bei Mylady zu bedanken«, warf der Butler ein. »Mylady denken in diesem Zusammenhang an die Personen, die den Brunnenschacht bevölkerten.«
Josuah Parker ging in die große Wohnhalle, öffnete den Wandschrank und schaltete die Fernsehkamera über der Haustür ein. McWarden, der die Anlage kannte, winkte verhalten in Richtung Optik. Parker betätigte den elektrischen Türöffner und ließ den Chief-Superintendenten eintreten.
Mylady kam ihm bereits entgegen und blockierte den Zugang zum kleinen Salon, in dem sie gerade noch ausgiebig ihre Diät zu sich genommen hatte.
»Wie schade für Sie, mein lieber McWarden«, säuselte sie förmlich. »Vor wenigen Minuten habe ich mein Frühstück beendet.«
»Ich werde mich mit einem Sherry begnügen, Mylady«, meinte McWarden fröhlich wie selten, »und den habe ich zum Dank sogar mitgebracht. Ich darf mir erlauben, Ihnen ein kleines Geschenk zu überreichen.«
Er präsentierte der völlig verdutzten Lady Agatha einen Geschenkkarton, der eine Flasche enthielt, wie der bunte Aufdruck zeigte.
»Sie haben sich in Unkosten gestürzt?« wunderte sie sich anschließend.
»Ein kleines Dankeschön für die Kerle aus dem Brunnenschacht, Mylady«, antwortete McWarden. .
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, mein lieber McWarden«, gab die ältere Dame zurück. »Aber das spielt auch keine Rolle, gab es diese Flasche als Sonderangebot?«
»Sie hat mich keinen Penny gekostet, Mylady, ich bekam sie zu Weihnachten von meinen Mitarbeitern geschenkt.«
»Nun ja, der Mensch freut sich.« Sie nahm die Flasche entgegen und reichte sie an Parker weiter. »Sie bringen hoffentlich gute Nachrichten, oder haben Sie diesen Frauenjäger noch immer nicht erwischt?«
»Wir fahnden noch nach ihm, Mylady«, antwortete McWarden, »und das ist keine einfache Sache.«
»Was sagte denn Ihr Zentral-Computer, McWarden?« schaltete Mike Rander sich ein.
»Wir haben lange Listen von Personen, die als Täter möglicherweise in Betracht kommen, aber wir müssen diese Leute immerhin aufsuchen, befragen und ihre Alibis feststellen. Sind Sie denn inzwischen weitergekommen, Mylady?«
»Wenden Sie sich an Mister Parker«, entschied sie. »Er ist für die Details zuständig.«
»Man befindet sich ebenfalls noch im Stadium der Ermittlungen, Sir«, gab Parker Auskunft. »Mylady wird Sie rechtzeitig ins Bild setzen, sobald konkrete Anhaltspunkte entdeckt werden sollten.«
»An diesem Fall werden Sie sich die Zähne ausbeißen«, vermutete der Chief-Superintendent. »Finden sie mal einen raffinierten Einzelgänger! Schier, unmöglich. Konnte Miß Simmons Ihnen weiterhelfen?«
»Dies, Sir, muß die Zukunft erweisen«, lautete Parkers vage Auskunft.
»Sie hatte leider kaum mehr zu berichten als die übrigen Frauen, die überfallen wurden«, meinte McWarden achselzuckend. »Sehr ergiebig waren ihre Hinweise gerade nicht.«
»Miß Simmons gab sich alle erdenkliche Mühe, Sir, aber sie stand und steht wahrscheinlich noch immer unter einem Schock.«
»Tja, dann will ich nicht länger stören«, sagte McWarden. »Ich habe noch eine Menge zu tun. Diese Kerle aus dem Brunnenschacht müssen noch verhört werden. Und dann die drei Männer aus dem Toyota. Vielleicht ergibt sich da eine brauchbare Spur.«
»Man sollte für jeden noch so schwachen Hinweis ungemein dankbar sein, Sir.«
»Schauen Sie bei Gelegenheit doch noch mal vorbei«, meinte Agatha Simpson sanftmütig. »Sie sind stets ein gern gesehener Gast, mein lieber McWarden. Wann sind Sie übrigens geboren?«
Chief-Superintendent McWarden nannte umgehend sein Geburtsdatum und zog die, Stirn kraus, als Mylady fein dickes Buch vom Couchtisch nahm, darin blätterte und sich schließlich auf eine bestimmte Seite konzentrierte.
»Man stellt Anforderungen an Sie, die Sie auf keinen Fall erfüllen können«, zitierte Agatha Simpson dann mit erhobener Stimme. »Unternehmen Sie daher nichts, sondern widmen Sie sich Ihrem Hobby und überlassen Sie die Arbeit jenen, die etwas davon verstehen.«
»Was war denn das,« staunte McWarden.
»Ihr Tageshoroskop, mein lieber McWarden«, erwiderte die ältere Dame. »Und Sie müssen zugeben, daß es zutreffend ist, was vor allen Dingen den Nachsatz betrifft, nicht wahr?«
*
Lem Stiller, der Täter aus der Tiefgarage, machte einen gedrückten Eindruck, als Parker erschien. Der Mann, der die Kühnheit besessen hatte, Mylady in der Tiefgarage zu überfallen, saß in einem Taubenschlag, der einem Freund des Horace Pickett gehörte.
Lem Stiller hatte keine Möglichkeit gehabt, sich dem Flug der gurrenden Brieftauben anzuschließen. Er trug eine Fußkette, deren Manschette sich um sein linkes Fußgelenk schlang. Das andere Ende der Kette war mit einem Eisenträger der Dachkonstruktion verbunden.
»Endlich, Mister Parker«, stöhnte er erleichtert. »Das hier bringt mich noch um. Den ganzen Tag dieses verdammte Gurren... Nicht zum Aushalten!«
»Man scheint das gewünschte Gastrecht, das man Ihnen gewähren sollte, völlig mißverstanden zu haben«, gab Parker zurück und deutete mit der Schirmspitze auf die Fußkette. »Der Augenschein lehrt, daß man Sie ja erstaunlicherweise an Ihrer Bewegungsfreiheit gehindert hat.«
»Mir soll noch mal einer sagen, daß Tauben friedlich sind«, beschwerte sich Lem Stiller. »Die hacken den ganzen Tag aufeinander ein.«
»Sie hatten Zeit, sich mit dem Frauenjäger zu befassen?«
»Wenn ich das rauslasse, kann ich dann abhauen?«
»In Ihrer Situation sollten Sie keine Bedingungen stellen, Mister Stiller.«
»Okay, ich hab’ verstanden. Also, ich tippe auf Falconer, Mister Parker. Der läßt die Frauen überfallen. Wissen Sie auch, wieso ich auf den gekommen bin?«
»Sie werden es meiner Wenigkeit bestimmt umgehend sagen.«
»In den Garagen, die er kontrolliert, sind die meisten Frauen überfallen worden. Wilmings und ich haben das längst gescheckt. Wo steckt Wilmings eigentlich?«
»Er befindet sich in einer Lage, die der Ihren ähnlich ist.«
»Steckt der auch in ’nem Taubenschlag?«
»Mister Wilmings befindet sich in der Nähe eines Hühnerstalles«, entgegnete der Butler höflich. »Auch er beschwerte sich allerdings über die monotonen Geräusche eierlegender Glucken, wie er meiner Wenigkeit vor etwa zehn Minuten anvertraute.«
»Warum soll’s dem besser gehen als mir.« Lem Stiller grinste schadenfroh. »Schnappen Sie sich diesen Falconer. Dann haben Sie den Frauenjäger.«
»Welchen Gewinn sollte Mister Falconer sich von diesen Überfällen versprechen, Mister Stiller? Dies gilt auch für Mister Casnell, falls Sie auch ihn in diesem Zusammenhang noch erwähnen sollten. Männer wie Mister Falconer und Mister Casnell sind an Geld interessiert. Denken Sie daran, aus welchen Gründen auch Sie die bedauernswerten Damen überfielen? Sie wollten in erster Linie Schmuck und Bargeld erbeuten.«
»Falconer auch. Und auch sein Konkurrent Casnell.«
»Aber keineswegs in den sogenannten Frauenfallen, für deren Schutz die beiden Herren sich monatliche Gebühren bezahlen ließen. Mister Stiller, Sie sollten meiner Wenigkeit mit konkreteren Hinweisen dienen.«
»Ich hab’ sonst nichts auf Lager, Mister Parker, wirklich nicht.«
»Sie kennen Mister Hogan?«
»Die graue Eminenz?« Stiller nickte.
»Wie man hört, haben Sie hin und wieder für ihn gearbeitet, Mister Stiller«, bluffte der Butler, »oder für einen von Mister Hogans Kunden.«
»Hat Wilmings das gesagt?« Spannung war in Stillers Stimme.
»Mister Wilmings war sehr auskunftsfreudig«, erwiderte der Butler.
»Na ja, kann schon sein, daß Hogan mich manchmal vermietet hat.«
»An wen und zu welchen Zwecken?« Parker konnte sehr kurz und präzise fragen, wenn er spürte, daß seine Gegenüber sich in Erzählerlaune befanden.
»Mal ’ne Beschattung, mal ’ne kleine Auskunft einholen und so. Mehr war da nie drin.«
»Sie sollten vor Wochen bestimmte Frauen observieren, wie meine Wenigkeit erfuhr«, tippte der Butler an.
»Mehr aber auch wirklich nicht«, räumte Lem Stiller ein. »Das waren ganz harmlose Sachen. Ich hab’ die Frauen nicht angerührt, sonst hätt’ ich Ärger mit Hogan bekommen.«
»Wie lauteten die diversen Aufträge, was die Damen betraf?«
»Na ja, ich sollte rausfinden, wo die arbeiten, was die sind und wo sie wohnen. Dann wollte Hogan wissen, welche Wagen die Frauen fahren, wann sie Dienstschluß hatten und so. Warum er das alles wissen wollte, weiß ich nicht. Hogan stellt man keine Fragen.«
»Waren die diversen Beobachtungen der Auslöser für die privaten Überfälle?«
»Auf die hat Wilmings mich, gebracht. Ich selbst wär’ niemals auf die Idee gekommen. Das können Sie mir glauben.«
»Sie haben sich seinerzeit genaue Notizen gemacht, nicht wahr?« Parker wußte inzwischen, daß er auf der richtigen Spur war.
»Und die hab’ ich Hogan gegeben«, behauptete Lem Stiller.
»Während Sie die Durchschläge für sich aufbewahrten und abzweigten, Mister Stiller.«
»Was war denn schon dabei?« Stiller zuckte die Achseln.
»Die Durchschläge könnten für Sie die Freiheit bedeuten, Mister Stiller.«
»Wollen Sie die etwa haben?«
»Auch so könnte man es ausdrücken, Mister Stiller.«
»Wieviel lassen Sie denn dafür springen, Mister Parker?« Lem Stiller sah ihn mit einem schnellen, schlauen Blick an, in dem allerdings auch eine Spur von Unsicherheit war.
»Sie haben die Möglichkeit, die Fußkette als Souvenir mit in die Freiheit zu nehmen. Sie sollte Ihnen ein Vermögen wert sein.«
»Sie liefern mich nicht an die Polizei aus?«
»Von meiner Wenigkeit wird die Polizei keinen in weis auf Ihre Person erhalten.«
»Okay, Sie haben mich, Mister Parker.« Lem Stiller sagte dem Butler, wo die Durchschläge, die er angefertigt hatte, sich befanden.
*
Als Mylady in die große Wohnhalle kam, telefonierte Parker gerade. Er sah seine Herrin auf der geschwungenen Treppe und schaltete umgehend den Raumverstärker ein, damit Lady Agatha das Gespräch mitverfolgen konnte.
»... freundlicherweise noch mal wiederholen, Mister Hogan?« bat Josuah Parker in seiner bekannt höflichen Art. »Sie sind Ihrer Sache völlig sicher und glauben zu wissen, wer der Frauenjäger ist und wo er zu finden sein könnte?«
»Und ob ich sicher bin, Parker«, antwortete der Spielwarenverteiler. »Aber ich habe da eine Bedingung.«
»Möglicherweise kann man darauf eingehen, falls man sie kennt, Mister Hogan.«
»Sobald Sie den Frauenjäger haben, ziehen wir einen Schlußstrich, was uns angeht. Wir werden uns in Zukunft aus dem Weg gehen.«
»Das hängt von Ihren speziellen Aktivitäten ab, Mister Hogan. So und nicht anders würde Mylady es auszudrücken geruhen.«
»Ich werde schon aufpassen, damit unsere Wege sich nicht kreuzen, Parker. Also einverstanden?«
»Sie werden Myladys Wohlwollen haben, Mister Hogan.«
»Der Frauenjäger ist Casnell. Überrascht, wie?«
»Sie lösen in der Tat ein gewisses Staunen in meiner Wenigkeit aus, Mister Hogan.«
»Casnell hat sich natürlich abgesetzt und ist weggetaucht, aber ich weiß, wo Sie ihn finden können.«
»Eine Adresse würde da entscheidend weiterhelfen, Mister Hogan.«
Der Spielzeug-Großhändler lieferte umgehend eine Adresse.
»Überfiel Mister Casnell die Frauen aus einer privaten Neigung heraus, die im Bereich der Psychopathologie liegt?« wollte der Butler anschließend wissen.
»Casnell ist krank, das ist doch in eingeweihten Kreisen bekannt«, erklärte Hogan. »Er ist mal vor vielen Jahren wegen einer Frauengeschichte verurteilt worden. Das wird die Polizei Ihnen bestätigen können.«
»Man wird nicht versäumen, die Polizei entsprechend zu kontaktieren.«
»Da habe ich nichts zu befürchten, Mister Parker. Die wird Ihnen bestätigen, daß er mal fast eine Angestellte umgebracht hat. Sie war seine Freundin und hatte ihn seiner Ansicht nach betrogen. Seitdem scheint er Frauen zu hassen, nehme ich wenigstens an.«
Parker wechselte noch einige Sätze mit seinem Gesprächspartner und legte dann auf. Agatha Simpson stand inzwischen neben Parker und nickte langsam und nachdrücklich.
»Ich wußte doch gleich, daß es dieser Mann ist«, sagte sie. »Worauf warte ich eigentlich noch?«
»Mylady gehen natürlich davon aus, daß man Mylady eine tödliche Falle stellen will.«
»Auch das«, sagte sie und nickte erneut. »Aber das wird mich nicht daran hindern, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wo steckt dieses Subjekt noch? Wie lautete die Adresse?«
»Mister Gregory Casnell soll sich in Wapping aufhalten, und zwar an Bord eines Hausbootes, dessen Name Mister Hogan durchgab.«
»Ich werde sofort losfahren, Mister Parker.«
»Mylady sollten vorher vielleicht noch wissen, daß Mister Lem Stiller im Auftrag Mister Hogans einige Frauen observierte. Er konnte eine Liste zur Verfügung stellen, die meine Wenigkeit mit Mister Picketts Angaben verglich. Dabei stellten sich erstaunliche Gesetzmäßigkeiten heraus.«
»Jetzt bin ich aber gespannt.« Sie nickte gewährend.
»Mister McWarden nannte die Namen von fünf Frauen, die überfallen wurden, Mylady, dazu gehörte auch Miß Simmons. Die Namen dieser fünf Frauen befinden sich auf der Liste des Mister Stiller. Dazu werden auf dieser Liste noch weitere neun Frauen erwähnt. Sie alle bekleiden gut dotierte und verantwortliche Stellen im Staatsdienst oder bei privaten Firmen.«
»Und was folgere ich daraus, Mister Parker?«
»Mister Hogan dürfte der Frauenjäger sein, Mylady, daran besteht kaum noch ein Zweifel.«
»Ich wußte es«, erklärte sie wie selbstverständlich. »Mein anfänglicher Verdacht hat sich also bestätigt.«
»Mylady vermag man eben nicht zu täuschen«, meinte Josuah Parker. Sein Gesicht zeigte keine Regung.
»Aber warum hat man diese Frauen beschatten lassen?« wollte die ältere Dame nun wissen.
»Hinter den Namen der erwähnten und beobachteten Frauen stehen auch die Dienststellen, in denen sie arbeiten, Mylady. Es gibt da Damen, die mit Einkommensteuererklärungen zu tun haben, also Mitarbeiterinnen von Steuerpraxen, dann Damen, die im Bankgeschäft tätig sind und in Kreditabteilungen arbeiten, hinzu kommen weibliche Angestellte, die mit Ausschreibungen für Stadt- und Staatsaufträge befaßt sind.«
»Ich verstehe«, sagte sie ungeduldig. »Diese Frauen werden also durch Terror gezwungen, diesem Subjekt interne Vorgänge und Geheimnisse zu verraten, nicht wahr?«
»Treffender könnte man dies alles gar nicht beschreiben, Mylady, wenn meine Wenigkeit sich erkühnen darf, dies zu sagen.«
»Natürlich dürfen Sie das sagen«, meinte die Lady, »es ist ja schließlich die Wahrheit.«
*
»Er ist im Gästehaus«, sagte Horace Pickett leise zu Butler Parker, nachdem er auch Lady Simpson begrüßt hatte. »Ich war völlig überrascht, als er plötzlich auftauchte.«
Mylady, Parker und Horace Pickett, der ehemalige Eigentumsumverteiler, standen vor einer hohen Hecke, hinter der sich der weite, parkähnliche Garten des Restaurants befand.
»Seit wann befindet Mister Hogan sich im Gästehaus?« erkundigte sich der Butler.
»Schon seit Stunden«, berichtete Pickett weiter. »Ich habe mich übrigens nach den Frauen erkundigt, die sich da im Restaurant treffen. Da sind einige Namen zusammengekommen. Ich habe sie mir aufgeschrieben.«
»Könnten Sie sich an die Namen erinnern, falls meine Wenigkeit sie nennt?«
»Ich denke schon, Mister Parker.« Pickett blickte den Butler erwartungsvoll an.
Parker nannte umgehend einige Namen, zu denen Pickett jedesmal nickte.
»Wen sprachen sie wegen der Damen an, Mister Pickett,« fragte der Butler anschließend.
»Einen Koch, Mister Parker. Ich fing ihn in einem Pub ab und horchte ihn aus. Der Mann ist ahnungslos und hat bestimmt keinen Verdacht geschöpft.«
»Und wem gehört nun dieses Restaurant?«
»Einem Robert Hiltway, Mister Parker. Von dem habe ich bereits früher mal gehört. Hiltway war vor Jahren der Pächter eines Nachtlokals, in dem gespielt wurde. Dann verschwand er in der Versenkung. Hier scheint er sein Geld krisensicher angelegt zu haben.«
»Demnach könnten Mister Hogan und Mister Hiltway sich also durchaus gut kennen?«
»Darauf können Sie sich verlassen, Mister Parker.«
»Was sollen diese Einzelheiten jetzt?« fragte die Detektivin grollend. »Ich werde jetzt dieses Gästehaus stürmen, Mister Parker. Und Sie, Mister Pickett, dürfen mich dabei begleiten.«
»Es gibt auf der Rückseite ein Tor«, sagte Pickett. »Man könnte es mit dem Wagen eindrücken.«
»Und dann nichts wie durch bis zum Gästehaus«, verlangte Lady Agatha munter. »Dieses Subjekt muß völlig überrascht werden.«
Sie wandte sich um und marschierte energisch zurück zum hochbeinigen Monstrum, gefolgt von Parker und Pickett. Der Butler setzte sich ans Steuer und ließ sich ein weisen. Nach einigen Minuten stand das hochbeinige Monstrum vor einem Holztor.
»Ich verlange, daß die Bretter fliegen«, ließ die energische Dame sich vernehmen.
»Vielleicht könnte man das Tor auch weniger spektakulär öffnen, Mylady«, schlug der Butler vor. Bevor er eine Antwort darauf erhielt, stieg er bereits aus und benutzte sein kleines Spezial-Besteck, um das Schloß zu öffnen. Er brauchte dazu nur wenige Augenblicke, ging zum Wagen zurück, setzte sich ans Steuer und schob dann mit der Stoßstange vorsichtig die beiden Torflügel auf.
»Da sitzt er«, stieß Pickett hervor. Er saß auf dem Beifahrersitz und deutete auf einen Mann, der in einem Liegestuhl lag und Zeitung las.
Es war eindeutig Hogan.
Er nahm plötzlich die Zeitung herunter, erblickte das hochbeinige Monstrum und sprang auf.
Parker gab Vollgas und ließ den Wagen vorspringen. Er hielt genau auf den Flüchtenden zu, schnitt ihm den Weg ab und trieb ihn zu einem kleinen Zierteich.
Einige Augenblicke später saß Andrew Hogan im Wasser, wurde umrankt von Seerosen und aufgeregt umschwommen von Goldfischen.
Er machte eine jämmerliche Figur.
*
»Hiltway betätigte sich als Frauenjäger«, sagte Chief-Superintendent McWarden einige Stunden später. Er hatte sich im Haus der älteren Dame eingefunden. »Aber dieser Mann ist zweitrangig, der eigentliche Täter ist Hogan.«
»Was ich ja schon immer gesagt habe«, warf die Detektivin ein.
»Natürlich«, erklärte McWarden höflich, »als Hogan wieder mal bei Hiltway war, entdeckte er den Damen-Zirkel und hatte dann den Einfall, diese Frauen terrorisieren zu lassen. Hiltway machte den Frauenjäger und spielte nur zu gern mit. Die beiden Gangster haben nach unseren bisherigen Ermittlungen bereits horrende Summen kassiert.«
»Sie haben schlicht und einfach erpreßt, wie?« fragte Mike Rander.
»Sie hatten von den Frauen genau die Unterlagen bekommen, die sie dazu brauchten«, bestätigte der Chief-Superintendent. »Es war Hogans Pech, daß sein Observant Stiller sich quasi selbständig machte und dabei ausgerechnet an Mylady geriet.«
»Mit einer Lady Simpson darf man sich eben nicht anlegen«, stellte die ältere Dame klar. »So etwas geht immer ins Auge.«
»Fragt sich jetzt, wo wir diesen Stiller erwischen«, redete McWarden weiter.
»Vielleicht sollte man noch mal in einen bestimmten Brunnenschacht sehen«, ließ Parker sich höflich vernehmen. »Es könnte durchaus, sein, daß er sich wieder gefüllt hat.«
»Stiller?« fragte McWarden umgehend.
»Möglicherweise auch ein gewisser Mister Richie Wilmings«, sagte Josuah Parker. »Mister Pickett und seine Freunde könnten die beiden Männer dort untergebracht haben.«
»Und ob wir nachsehen werden«, versprach McWarden grimmig. »Dieser Stiller hat schließlich auch Frauen überfallen.«
»Und wohl auch Beute gemacht, Sir«, pflichtete Parker ihm bei. »Und diese Beute könnte ebenfalls im erwähnten Brunnenschacht zu finden sein. Die Welt ist voller Wunder, wie der Volksmund zu sagen pflegt.«
»Habe ich auch nichts vergessen, Mister Parker?« Agatha Simpson runzelte die Stirn.
»Mylady denken an einen ungebetenen Besucher«, entgegnete Parker. »Er ritt auf einer Mauer und könnte ebenfalls auf Umwegen in diesem Schacht gelandet sein. Was auch für einen gewissen Mister Clapstone gilt, der sich den Gefahren des Alltags aussetzte.«
»Clapstone?« staunte McWarden, der mit diesem Namen sofort etwas anfangen konnte.
»Ein enger Vertrauter des Mister Hogan«, bestätigte Josuah Parker.
»Demnach muß der Brunnen ja wohl bald wegen Überfüllung geschlossen werden«, meinte McWarden ironisch. »Ich werde natürlich keine Fragen stellen, wie die Gangster da reingeraten sind.«
»Man wird natürlich behaupten, Mylady sei dafür verantwortlich«, sagte Josuah Parker.
»Was ich gar nicht zur Kenntnis nehmen werde.« McWarden schmunzelte. »Typen dieser Art lügen das Blaue vom Himmel herunter, das kennt man ja.«
»Womit mein Tages-Horoskop sich wieder mal bestätigt hat«, sagte Lady Agatha. »Ich habe in der Morgenzeitung nachgelesen. Danach setze ich eine originelle Idee in die Tat um und brauche Begegnungen mit Behörden nicht zu fürchten.«
»Glauben Sie wirklich an Horoskope?« fragte der Yard-Beamte ehrlich überrascht.
»Die Sterne lügen nicht, mein lieber McWarden«, sagte sie nachdrücklich. »In meinem Tages-Horoskop steht auch noch, daß ich heute ein Fest geben werde. Und dazu werde ich auch Sie einladen.«
»Zuviel der Ehre, Mylady.«
»Ich werde die Flasche Sherry öffnen lassen, die Sie mir mitgebracht haben, McWarden. Mir soll nichts zu teuer sein.«
Parker und Mike Rander tauschten einen schnellen Blick. Dann wandte Parker sich ab. Er fürchtete, vielleicht doch ausnahmsweise verhalten lächeln zu müssen.