Читать книгу Der exzellente Butler Parker Staffel 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
ОглавлениеAgatha Simpson war eindeutig entrüstet.
»Unglaublich, diese Dreistigkeit!« ereiferte sich die ältere Dame. »Ich werde die Verkehrsrowdies sofort zur Rechenschaft ziehen, Mister Parker.«
»Ein Vorhaben, das man nur begrüßen kann, Mylady«, pflichtete Josuah Parker seiner Herrin bei. »Das Fahrverhalten der Herren dürfte nicht gerade als rücksichtsvoll zu bezeichnen sein, falls diese Anmerkung erlaubt ist.« Die schwarze Rover-Limousine hatte Parker an einer Kreuzung im Londoner Norden auf ausgesprochen rabiate Weise die Vorfahrt genommen. Nur durch eine Notbremsung hatte der Butler einen Zusammenstoß vermieden. Die beiden Rover-Insassen schien der Beinahe-Unfall nicht zu kümmern. Mit Vollgas jagte die Limousine weiter. Offenbar hielten die Männer Parkers schwerfällig wirkendes Fahrzeug für ein altgedientes Taxi, das man problemlos abhängen konnte.
Was die Unbekannten im Vorbeirasen registrierten, war aber nur die halbe Wahrheit, denn der Butler hatte den schwarzen Kasten zu einer »Trickkiste auf Rädern« umfunktioniert. Und das wurde den Rüpeln zum Verhängnis ...
Gelassen trat Parker das Gaspedal bis zum Anschlag durch und ließ das Zusatztriebwerk aufröhren. Der Vorsprung der schwarzen Limousine schmolz zusehends. Näher rückten die roten Punkte der Schlußlichter.
Der Butler hatte so weit aufgeholt, daß er das Kennzeichen des in der Dunkelheit vorausfahrenden Wagens ablesen konnte. Plötzlich wurde der Roverlenker auf die Verfolger aufmerksam, und der Mann holte aus seinem Fahrzeug heraus, was herauszuholen war. Mit Parkers schwarzem Monstrum konnte der Rover aber beim besten Willen nicht mithalten.
»Warum stellen Sie die dreisten Lümmel nicht endlich, Mister Parker?« feuerte die passionierte Detektivin ihren Butler an. »Meine Zeit ist kostbar. Ich will es kurz und bündig machen.«
»In kurzer Zeit dürften Mylady Gelegenheit erhalten, die Herren zur Rede zu stellen«, versprach Parker und setzte zum Überholen an.
Dem Roverfahrer schien dieses Manöver eindeutig zu mißfallen. Er stellte seine Fahrweise auf Schlangenlinien um und ließ dem Butler keine Chance, vorbeizukommen. Loswerden konnte er die lästigen Verfolger auf diese Weise allerdings nicht.
Deshalb nutzte der Mann die nächste Gelegenheit, um ohne Vorwarnung links abzubiegen. Da Parker mit einem derartigen Ausbruchsversuch schon längst gerechnet hatte, mißlang der Plan. Panik schien die beiden Männer im Rover zu befallen.
Auf jaulenden Reifen schlingerte der schwere Wagen um eine scharfe Ecke nach der anderen. Der Zickzackkurs auf abendlichen Vorstadtstraßen endete erst, als der Roverfahrer eine langgezogene Linkskurve unterschätzte – zumal es inzwischen zu regnen begonnen hatte.
Wie von Geisterhand gezogen, driftete die schwarze Limousine von der Fahrbahn ab und nahm eine steile Böschung unter die Pneus. Die Insassen des Rover glaubten sich in die Steilkurve einer Rennbahn versetzt, als ihr Wagen in bedenklicher Schräglage durch tiefes Gras und struppiges Buschwerk schoß.
Dicht unter der Oberkante der Böschung brach der Rover seinen etwas holprigen Geländeritt ab. Ächzend legte sich das Fahrzeug auf die Seite und kollerte mit einer dreifachen Rolle seitwärts an den Straßenrand.
Die beiden Unbekannten schienen noch Glück im Unglück gehabt zu haben.
Parker, der die Kurvenfahrt im Vertrauen auf das Hochleistungsfahrwerk seines schwarzen Monstrums ohne Probleme gemeistert hatte, stoppte hundert Schritte weiter und sah in den Rückspiegel. In wilder Hast kletterten die Männer durch die zerborstene Frontscheibe ins Freie. Anschließend überquerten sie die Straße und tauchten in einem Wäldchen unter. Ehe der Butler eingreifen konnte, war die Roverbesatzung verschwunden.
»Sie sind schuld, Mister Parker!« ereiferte sich Mylady umgehend. »Hätte ich mich nicht auf Sie verlassen, wären die Lümmel nicht entwischt. Sie werden alt, Mister Parker, und von Tag zu Tag hinfälliger.«
»Alt zu werden, ist das Los eines jeden Menschen, sofern der Hinweis erlaubt ist, Mylady«, wandte der Butler höflich ein.
»An mir können Sie sehen, wie man sich jugendliche Frische bis in die reiferen Jahre bewahrt, Mister Parker«, konterte Lady Agatha, die die Sechzig sichtbar überschritten hatte. »Man muß sich ständig Höchstleistungen abverlangen. Das ist das ganze Geheimnis.«
»Mylady werden für meine Wenigkeit stets ein leuchtendes Vorbild darstellen«, versicherte Parker. »Darf man übrigens in diesem Zusammenhang die Frage anschließen, wie Mylady weiter vorzugehen gedenken?«
»Die Kerle sind weg und werden sich so schnell nicht wieder blicken lassen«, meinte Agatha Simpson. »Also verschiebe ich die geplante Maßregelung auf später und fahre erst mal nach Hause. Mein Kreislauf könnte ohnehin eine kleine Stärkung vertragen, Mister Parker.«
»Zweifellos haben Mylady sich Gedanken darüber gemacht, warum die Herren aus dem Rover in so beispielloser Hast die Flucht ergriffen«, spielte der Butler seiner Herrin einen Ball zu, den sie mit der ihr eigenen Geschicklichkeit auffing.
»Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht, Mister Parker«, nickte sie eifrig. »Welche?«
»Falls man nicht irrt, haben Mylady die Möglichkeit erwogen, daß es sich um Kriminelle handeln könnte.«
»Papperlapapp, Mister Parker! Sie sehen Gespenster. Die Lümmel hatten nur Angst vor meiner Rache, weil sie mich beim Überholen so dreist geschnitten haben.«
»Die Herren haben Mylady an einer Kreuzung in unverantwortlicher Weise die Vorfahrt genommen, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Wie auch immer. Kriminelle sind es in jedem Fall. Die Fahrweise der Kerle kann man nur als kriminell bezeichnen.«
»Gegebenenfalls dürfte das Fehl verhalten der Herren im Straßenverkehr nicht der einzige Grund für die Flucht sein, Mylady.«
»Daran habe ich selbstverständlich schon längst gedacht, Mister Parker. Welche weiteren Gründe fasse ich näher ins Auge?«
»Mylady dürften damit rechnen, daß die fraglichen Herren sich den Mühen eines Dauerlaufes unterzogen, um nicht wegen einer kriminellen Handlung belangt werden zu können.«
»Das sind Hirngespinste, Mister Parker! Wenn es wirklich Gangster gewesen wären, hätte mein unfehlbarer Instinkt sofort Alarm geschlagen. Vermutlich waren die Burschen betrunken und wollten ihren Führerschein nicht loswerden.«
»Zweifellos sollte man auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen, Mylady«, räumte der Butler ein. »Gegen eine solche Annahme dürfte allerdings die fahrerische Leistung sprechen, die der Roverlenker bis zu seinem bedauerlichen Unfall zeigte.«
»Wenn Sie ganz genau wissen wollen, daß Sie auf dem Holzweg sind, Mister Parker, gehen Sie doch hinüber und sehen Sie sich den Wagen an«, gestand Lady Agatha ihrem Butler zu. »Ich werde hier warten, bis Sie mir melden, daß Sie nichts Verdächtiges gefunden haben.«
»Man dankt in alle Form für Myladys großzügiges Entgegenkommen«, sagte Parker und verließ den Wagen.
*
In würdevoller Haltung lenkte Josuah Parker seine Schritte zu dem verlassenen Rover hinüber. Der Butler war ein Mann mittleren Alters und durchschnittlicher Statur. Der konventionelle Bowler, der schwarze Zweireiher und der altväterlich gebundene Regenschirm am angewinkelten Unterarm wiesen ihn als Angehörigen eines traditionsreichen Berufsstandes aus. Aber nicht nur Parkers äußere Erscheinung ließ sofort an einen hochherrschaftlichen Butler vergangener Zeiten denken – seine untadeligen Umgangsformen entsprachen diesem Bild in vollkommener Weise.
Der schwarze Rover war zwar wieder auf die Räder gefallen, doch die Spuren der unfreiwilligen Geländefahrt waren nicht zu übersehen. Das elegante Design der Karosserie war nur noch andeutungsweise zu erkennen, die Scheiben zertrümmert. Lehmklumpen, Grassoden und abgerissene Zweige förderten den Eindruck, der Fahrer habe sein Fahrzeug vor neugierigen Blicken tarnen wollen.
Mit kräftigem Ruck öffnete Parker die verklemmte Tür und unterzog das Innere der schwarzen Limousine einer gründlichen Inspektion. Papiere, die Aufschluß über die Insassen gegeben hätten, fanden sich ebensowenig wie Waffen oder verdächtiges Werkzeug.
Schon wollte der Butler die Durchsuchung abbrechen und zu seiner Herrin zurückkehren, als er auf ein Geräusch aufmerksam wurde. Es klang wie menschliches Stöhnen. Dann war ein kraftloses Klopfen zu hören.
Die rätselhaften Laute schienen aus dem Kofferraum des Wagens zu kommen.
Gelassen zog Parker sein kleines Universalbesteck aus der Tasche und ließ den passenden Fühler in das Kofferraumschloß gleiten. Der simple Schließmechanismus gab den Überredungskünsten des Butlers umgehend nach, doch die Haube war verklemmt und ließ sich nicht ohne weiteres öffnen. Erst als Parker einen kräftigen Schraubenzieher ansetzte, gab der Deckel plötzlich nach und sprang auf.
»Was sehe ich denn da, Mister Parker?« Lady Agatha hatte sich im Fond des hochbeinigen Monstrums gelangweilt und war näher getreten. Neugierig schob sie sich in den Vordergrund und beugte sich selbst über den Kofferraum.
»Falls man sich nicht täuscht, Mylady, dürfte es sich um eine junge Dame handeln, die soeben aus tiefer Bewußtlosigkeit erwacht«, gab Parker die gwünschte Auskunft.
»Das sehe ich auch, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin unwirsch. »Und wie ist das arme Kind in den Kofferraum dieses Wagens geraten?«
»Dieser Frage sollte man in der Tat mit aller Gründlichkeit nachgehen, Mylady«, ließ der Butler sich vernehmen. »Die Antwort dürfte zugleich Aufschluß darüber geben, warum Fahrer und Beifahrer so überstürzt das Weite suchten.«
»Auf diesen Zusammenhang wollte ich Sie auch gerade aufmerksam machen, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame postwendend. »Also hatte ich recht mit meiner Vermutung, daß es sich bei den Burschen um hochkarätige Kriminelle handelt.«
»Diese Möglichkeit sollte man zweifellos ins Auge fassen, falls der Hinweis erlaubt ist«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. Vorsichtig hob er die junge Dame, die nur schwache Lebenszeichen von sich gab, aus dem Kofferraum und trug sie zum hochbeinigen Monstrum hinüber.
»Natürlich werde ich umgehend die Spur der Gangster aufnehmen, die dieses bedauernswerte Geschöpf entführen wollten«, verkündete Agatha Simpson, während der Butler seine blonde Last behutsam auf die Polster im Fond des Wagens bettete.
Das Mädchen aus dem Kofferraum stöhnte immer noch leise, ohne die Augen zu öffnen.
»Bezaubernd sieht die Kleine aus«, stellte Agatha Simpson anerkennend fest und musterte das hübsche Gesicht, das von blonden Locken umrahmt wurde.
»Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, meinte auch Parker. Er schätzte das Mädchen auf höchstens siebzehn Jahre.
Modische Kleidung und eleganter Schmuck ließen darauf schließen, daß die Entführte einem nicht gerade armen Elternhaus entstammte. Eine Handtasche oder Personalpapiere hatte die junge Dame aber nicht bei sich.
»Jedenfalls habe ich den Schurken schon mal ihr Opfer entrissen«, frohlockte die Detektivin. »Dabei will ich es aber nicht bewenden lassen, Mister Parker. Ich werde die dreisten Lümmel überwältigen und der gerechten Strafe zuführen.«
»Darf man sich in aller Bescheidenheit erkundigen, ob Mylady bereits konkrete Ermittlungsschritte geplant haben?«
»Selbstverständlich, Mister Parker«, gab die ältere Dame leicht eingeschnappt zurück. »Mein taktisches Konzept steht schon in Umrissen.
Über die Details dürfen Sie sich Gedanken machen.«
»Möglicherweise sollte man die junge Dame nach Shepherd’s Market bringen, um sie eingehend befragen zu können, sobald ihr Zustand das erlaubt«, schlug der Butler vor.
»Darum wollte ich ohnehin bitten, Mister Parker«, stimmte Lady Simpson zu. »Mein Kreislauf hält auch nicht mehr lange durch.«
Wenn Mylady ihren sensiblen Kreislauf ins Gespräch brachte, war Eile geboten. Dann half nur ein hochprozentiges Stärkungsmittel, das in dem uralten Gewölbe unter Lady Simpsons repräsentativem Wohnsitz lagerte.
Josuah Parker half deshalb unverzüglich seiner Herrin auf den Beifahrersitz, warf noch einen Blick auf das bewußtlose Mädchen im Fond und ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen.
*
»Wo bin ich?« lauteten die ersten Worte der unbekannten Schönen, als sie in Myladys weitläufiger Wohnhalle die Augen öffnete und verwirrt um sich sah.
»In guten Händen, Kindchen«, versuchte Agatha Simpson das Mädchen zu trösten und fuhr ihr mit der Hand über die Locken. »Skrupellose Gangster wollten Sie entführen, aber ich habe den Lümmeln einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
»Entführen? wiederholte das Mädchen entgeistert. »Ich kann mich an nichts erinnern ...«
»Möglicherweise darf man darauf hoffen, daß Sie wenigstens über Ihren Namen und Ihre Anschrift Auskunft geben können, Miß ...?«
»Blooming«, stellte sich die Fremde vor. »Linda Blooming. Meine Eltern wohnen an der Devonshire Street in Marylebone.«
»Mister Parker wird gleich dort anrufen, Kindchen«, bot die Hausherrin an. »Vermutlich machen Ihre Eltern sich schon Sorgen.«
»Das fürchte ich auch«, nickte Linda nach einem Blick auf die pompöse Standuhr, deren Zeiger bereits auf 1 Uhr rückten. »Aber wie bin ich denn überhaupt hierhergekommen?«
Mit großen Augen hörte das Mädchen zu, als Parker von der Verfolgung der schwarzen Limousine, von dem Unfall und von ihrer Befreiung aus dem Kofferraum des demolierten Wagens berichtete.
»Ich habe das Gefühl, als ob mein Kopf voller Nebel wäre«, gestand sie anschließend. »Ich kann mich beim besten Willen nicht entsinnen, wo ich vorher war und wie ich in das Auto gekommen bin. Haben Sie denn schon die Polizei alarmiert?«
»Die Polizei?« fragte Lady Agatha pikiert. »Aber warum denn, Kindchen?«
»Die Polizei ist doch dazu da, um Verbrecher zu fangen, oder nicht?« gab Linda verblüfft zurück.
»Das mag im allgemeinen stimmen«, antwortete Agatha Simpson in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet. »Doch Sie können von Glück sagen, Kindchen, daß eine Detektivin sich Ihres Falles annimmt.«
»Sie sind Detektivin?« Linda staunte und musterte die ältere Dame mit ungläubigen Blicken.
»Sie sind noch sehr jung, Kindchen«, fuhr Agatha Simpson fort.
»Ich werde nächsten Monat siebzehn«, protestierte Linda Blooming.
»Eben«, fuhr die Detektivin fort. »In diesem zarten Alter ist es verzeihlich, wenn von meinen Erfolgen noch nichts an Ihre Ohren gedrungen ist.«
»Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Myladys Äußerungen zu widersprechen, Miß Blooming«, versicherte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung, als er den fragenden Blick des jungen Mädchens bemerkte.
»Wenn ich nur wüßte, was die Kerle mit mir vorhatten«, rätselte die Blondine.
»Die Antwort auf die zweifellos berechtigte Frage dürfte sich mit einiger Sicherheit aus Myladys Ermittlungen ergeben, falls die Anmerkung gestattet ist«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Sparen Sie sich Ihre Kommentare, Mister Parker«, entgegnete Lady Simpson. »Für mich ist die Frage beantwortet.«
Die korpulente Dame ließ sich neben Linda auf das Sofa sinken und legte ihr vertraulich den Arm um die Schultern.
»Ihnen fehlt noch die Erfahrung mit Männern, Kindchen«, begann Mylady. »Irgendwann werden auch Sie feststellen, daß alle nur das eine wollen. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine?«
»Natürlich, Mylady«, erwiderte Linda. In ihrem Lächeln lag nicht mal eine Spur von Verlegenheit. »Ich bin doch nicht von gestern.«
»Ich hoffe, Sie lassen sich das eine Warnung sein, Kindchen«, fuhr die Hausherrin fort. »Gerade Ihre jugendliche Unerfahrenheit in Verbindung mit Ihrer ... äh ... ausgesprochen fraulichen Figur reizt eine bestimmte Sorte von Männern besonders.«
»Ich weiß, Mylady«, nickte Linda und errötete nur ganz leicht. Ihr mädchenhaft geschnittenes Gesicht bildete in der Tat einen reizvollen Kontrast zu ihren Vollreifen Formen.
»Trotzdem zerbreche ich mir ständig den Kopf darüber, wie das geschehen konnte«, setzte sie hinzu. »Ich steige doch nicht freiwillig zu fremden Männern ins Auto. Und schon gar nicht in den Kofferraum.«
»Alle Anzeichen scheinen darauf hinzudeuten, daß man ein Betäubungsmittel einsetzte, um Sie wehrlos zu machen, Miß Blooming«, erklärte Parker. »Für Myladys Ermittlungen wäre es fraglos von Vorteil zu wissen, wo das geschah, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Ich würde es Ihnen ja gern sagen, Mister Parker«, entgegnete das Mädchen. »Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern. Vielleicht kennen Sie das Gefühl: Man weiß genau, daß man aus einem Traum erwacht ist, kann sich aber an keine Einzelheit erinnern.«
»Dieser Umstand dürfte durch die immer noch anhaltende Wirkung des Betäubungsmittels zu erklären sein, Miß Blooming«, meinte der Butler. »Insofern darf man sicher die Hoffnung äußern, daß Ihr Gedächtnis nach einem erquickenden Schlaf morgen früh die gewünschten Einzelheiten preisgibt.«
»Könnten Sie mich denn jetzt nach Hause fahren, oder soll ich mir ein Taxi nehmen?« fragte Linda Blooming. »Allerdings ist meine Tasche mit Geld und Papieren verschwunden. Ich müßte Sie deshalb bitten, mir das Fahrgeld bis morgen vorzustrecken.«
»Mister Parker wird Sie fahren, Kindchen«, entschied die Detektivin. »Ihm können Sie sich unbesorgt anvertrauen.«
*
Lindas Eltern standen schon in der Haustür, als der Butler gegen zwei Uhr nachts sein hochbeiniges Monstrum vor dem gepflegten Reihenhaus in Marylebone ausrollen ließ. Parker hatte sie vor der Abfahrt in Shepherd’s Market telefonisch kurz informiert, was ihrer Tochter zugestoßen war.
Überglücklich schlossen Mr. and Mrs. Blooming ihre einzige Tochter in die Arme. Im selben Moment war es mit Lindas mühsam bewahrter Fassung vorbei. Schluchzend ließ sie sich von ihrer Mutter ins Bett bringen, während Edward Blooming den Butler ins Wohnzimmer bat.
»Wir haben Linda immer davor gewarnt, allein auszugehen«, sagte der Mann, nachdem Parker die Ereignisse des Abends noch mal ausführlich geschildert hatte. »Sie ist ja noch ein Kind.«
»Man soll die Gefahren, die einem jungen Mädchen nachts in der Großstadt drohen, keinesfalls unterschätzen, Mister Blooming«, pflichtete Parker dem besorgten Vater bei.
»Erst gestern stand ein großer Artikel in der Zeitung«, wußte Blooming zu berichten. »Wir haben Linda die Seite gezeigt, aber sie hat nur gelacht und gesagt, wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen.«
»Darf man höflichst um Aufklärung darüber bitten, welchen Zeitungsartikel Sie zu meinen geruhen, Mister Blooming?«
»Es ging um die zahllosen Vermißtenanzeigen, die die Londoner Polizei Jahr für Jahr bearbeitet«, gab Lindas Vater Auskunft. »Der Reporter hat herausgefunden, daß in letzter Zeit auffallend viele junge Mädchen verschwunden sind, die mit Sicherheit nicht unter die Kategorie ›Ausreißer‹ fallen und ihr Elternhaus wohl kaum freiwillig verlassen haben.«
Edward Blooming ging in sein Arbeitszimmer hinüber. Sekunden später kehrte er mit einer Zeitung zurück, die er auseinanderfaltete und vor Parker auf den Tisch legte.
»Das ist der Bericht«, sagte er und tippte auf die betreffende Seite.
Das Blatt berichtete in großer Aufmachung über die vergebliche Mühe der Polizei, das Schicksal von Kindern, Erwachsenen und Greisen aufzuklären, die seit mehr oder weniger langer Zeit als vermißt gelten. Besonderes Augenmerk richtete der Verfasser auf ein knappes Dutzend Fälle, die erst in den letzten Wochen in die Polizeiakten geraten waren.
Es handelte sich ausnahmslos um Mädchen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, die überwiegend aus wohlgeordneten Familienverhältnissen stammten und nach Diskothekenbesuchen spurlos verschwunden waren. Porträtfotos unterstrichen, was der Reporter als gemeinsame Merkmale der Mädchen herausgefunden hatte: Alle waren blond und auffallend hübsch.
Der Bericht gipfelte in der etwas nebulösen Spekulation, ein geheimnisvoller Lustmörder treibe sein Unwesen, und schloß mit der makabren Frage, ob und wie wohl das erste Opfer gefunden werde.
Parker prägte sich den Namen des Reporters ein, bevor er die Zeitung zurückgab.
»Ich habe doch richtig verstanden, daß Sie Privatdetektiv sind?« vergewisserte sich Blooming.
»Lady Simpson ist eine passionierte Detektivin, deren Ermittlungsmethoden man als einzigartig bezeichnen kann und muß«, korrigierte der Butler. »Meine Wenigkeit genießt den Vorzug, in Myladys Diensten stehen zu dürfen.«
»Sie haben doch aber die Polizei eingeschaltet?« wollte Blooming wissen.
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, antwortete Parker wahrheitsgemäß. »Mylady hat sich ausdrücklich ausbedungen, daß die Polizei vorläufig herausgehalten wird. Mylady fürchtet eine nachhaltige Störung und Beeinträchtigung ihrer Ermittlungsarbeit. Und das nicht zu Unrecht, wie die Erfahrung lehrt.«
»Sehr erfolgreich scheint die Polizei in den Entführungsfällen wirklich nicht zu sein«, gab Blooming dem Butler recht. »Der Zeitungsbericht trägt nicht gerade dazu bei, das Vertrauen in Scotland Yard zu stärken.«
»Eine Feststellung, die man nur mit Nachdruck unterstreichen kann, Sir«, meinte auch Parker.
»Linda ist ja noch mal mit einem blauen Auge davongekommen«, fuhr Edward Blooming fort. »Trotzdem werde ich alles dransetzen, daß die Gangster, die unsere Tochter entführen wollten, hinter Schloß und Riegel kommen.«
»Dazu wäre zuerst nötig, daß Ihre Tochter sich erinnert, wo sie den Abend verbracht hat, Mister Blooming«, entgegnete Parker. »Möglicherweise darf man Sie also bitten, morgen früh die entsprechenden Fragen zu stellen, damit Mylady unverzüglich konkrete Ermittlungsschritte einleiten kann.«
»Sie schläft«, meldete Bloomings Frau, die gerade hereinkam. »Das arme Kind muß einen fürchterlichen Schock erlebt haben. Wenn man nur wüßte, was wirklich passiert ist.«
»Der morgige Tag dürfte Sie der Antwort auf diese Frage einen großen Schritt näherbringen, falls man sich nicht gründlich täuscht, Missis Blooming«, prophezeite der Butler, bevor er sich höflich verabschiedete.
*
»Man erlaubt sich, einen ausgesprochen angenehmen Tag zu wünschen.« Parker lüftete ein wenig die schwarze Melone, als er den jungen Mann ansprach, der gerade zum Fahrstuhl eilen wollte. »Darf man höflich fragen, ob Mister Winter im Haus ist?«
»Da hinten im Glaskasten«, lautete die hastige Antwort im Vorübergehen.
Umsichtig geleitete der Butler Mylady durch das hektische Getriebe des Großraumbüros, in dem die Stadtredaktion der LONDON NEWS an der nächsten Ausgabe arbeitete. Fernschreiber ratterten, Telefone klingelten, Boten durchquerten mit wehenden Rockschößen den Raum.
Kriminalreporter Bary Winter gehörte zu den wenigen Auserwählten, die ihre Storys in einer Art eigenem Büro schreiben durften, abgeschirmt durch eine Glaswand, die den Lärm der Umgebung mehr schlecht als recht fernhielt. Der Reporter saß mit dem Rücken zur Tür und war viel zu beschäftigt, um das Eintreten seiner Besucher zu bemerken.
Mit der linken Hand tippte er einen Text in das Bildschirmgerät, das vor ihm auf dem Tisch stand. In der Rechten hielt er die halbvolle Teetasse. Den Telefonhörer hatte er zwischen Schulter und Ohr geklemmt, so daß er gleichzeitig schreiben, telefonieren und Tee trinken konnte. Am Rand des überquellenden Aschenbechers qualmten zwei vergessene Zigaretten vor sich hin.
»Alles klar, Jeff«, sagte Winter gerade, als Josuah Parker und Agatha Simpson den mit alten Zeitungen und Stößen von Fotos vollgestopften Verschlag betraten. »Dann bis heute abend.«
Er legte den Hörer auf und griff nach dem zweiten Apparat auf seinem Schreibtisch, der seit einer Weile entnervend schrillte.
»Moment, junger Mann!«
Winter fuhr regelrecht zusammen und ließ vor Schreck den Hörer in die Gabel zurückfallen, als Myladys sonores Organ in seinem Rücken dröhnte.
»Sie wünschen?« fragte er und musterte das skurrile Paar aus Shepherd’s Market mit langem Blick.
»Lady Simpson möchte Ihnen einige Fragen stellen, die mit Ihrem gestrigen Bericht über das ominöse Verschwinden junger Damen in Zusammenhang stehen, Mister Winter«, gab Parker über den Anlaß des Besuches Auskunft.
»Ich bin nämlich Detektivin, müssen Sie wissen«, setzte Mylady mit bedeutungsvoller Miene hinzu.
»Ach so.« Winter nickte und schien sich über diese Mitteilung nicht im geringsten zu wundern. »Dann wurden Sie vermutlich von den Eltern eines der Mädchen engagiert, über die ich berichtet habe?«
»Diese an sich naheliegende Vermutung trifft die Wahrheit nicht ganz, Mister Winter«, schränkte der Butler ein. »Der Fall, in dem Mylady ermittelt, konnte nicht der Gegenstand Ihres gestrigen Berichts sein, weil er sich erst gestern abend ereignete, falls dieser Hinweis erlaubt ist.«
»Gestern abend?« wiederholte Winter überrascht. »Da ist es für ernsthafte Nachforschungen doch noch viel zu früh. Vermutlich hat das Mädchen die Nacht in einem fremden Bett verbracht und traut sich jetzt nicht nach Hause. Die Kleine wird schon wieder auftauchen, wenn ihr das Taschengeld ausgeht.«
»Die fragliche junge Dame befindet sich bereits wieder in der Obhut ihrer Eltern«, teilte Parker mit, während der Reporter sich irritiert eine Zigarette anzündete. »Die Umstände des Falles lassen allerdings kaum Zweifel, daß Miß Blooming gewaltsam entführt werden sollte.«
»Hätte ich das arme Kind nicht durch einen entschlossenen Handstrich aus der Gewalt der skrupellosen Gangster befreit – wer weiß, was passiert wäre«, setzte Mylady hinzu. »Bedauerlicherweise ließ Mister Parker die Lümmel entwischen, bevor ich sie zur Rechenschaft ziehen konnte.«
Winter legte die Stirn in Falten und zündete sich die nächste Zigarette an, obwohl inzwischen schon drei Rauchsäulen aus dem überfüllten Aschenbecher stiegen. Er wußte offenbar nicht, was er von den Besuchern und ihren Eröffnungen halten sollte.
»Und Sie vermuten einen Zusammenhang mit den Fällen, über die ich berichtet habe?« erkundigte er sich zögernd.
»Ob ein solcher Zusammenhang tatsächlich besteht, werden Myladys Ermittlungen erweisen«, gab Parker zur Antwort. »Doch treffen die in Ihrem Bericht genannten Merkmale der vermißten jungen Damen auch auf Miß Blooming zu. Sie ist zwischen sechzehn und achtzehn Jahre alt, ist blond und verfügt über einen Körperbau,, den man nur als ausgesprochen weiblich bezeichnen kann und muß.«
»Der Mörder scheint einen guten Geschmack zu haben«, witzelte Winter, wurde aber sofort wieder ernst, als er den strafenden Blick der älteren Dame bemerkte.
»Darf man höflich fragen, worauf sich Ihre Annahme stützt, die vermißten jungen Damen seien einem Mörder in die Hände gefallen, Mister Winter?« ließ Parker sich vernehmen.
»Das war doch nur ein Dreh, um die Story interessanter zu machen«, gestand Winter und grinste. »In Wahrheit hat auch die Polizei noch keine Ahnung, was mit den Mädchen passiert ist.«
»Daß die Polizei keine Ahnung hat, wundert mich überhaupt nicht, junger Mann«, fuhr Lady Agatha dazwischen. »Meine Ermittlungen sind dagegen schon ziemlich fortgeschritten. Doch davon später.«
»Die Fälle, die ich genannt habe, sind zu hundert Prozent authentisch, Mylady«, warf der Reporter ein. »Sie stammen aus der offiziellen Statistik von Scotland Yard.«
»Darf man vermuten, daß Sie Näheres über die Umstände in Erfahrung bringen konnten, unter denen die jungen Damen verschwanden, Mister Winter?« übernahm Parker wieder das Ruder.
»Sie meinen, wo die Mädchen zuletzt gesehen wurden?« vergewisserte sich Winter.
»Das ist exakt die Richtung, in die die Frage meiner Wenigkeit zielt, Sir«, bestätigte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Keine Ahnung. Tut mir leid«, entgegnete Winter. »Die Story mußte unbedingt ins Blatt. Deshalb hatte ich keine Zeit, alle Anschriften abzuklappern und die Eltern zu interviewen.«
»Ein Umstand, den man nur aufrichtig bedauern kann«, bemerkte Parker.
»Wenn Sie mehr Zeit haben als ich, können Sie das Versäumte ja nachholen«, bot Winter an. »Die Adressen sind alle im Redaktionscomputer gespeichert. Ich kann sie Ihnen ausdrucken, wenn Sie möchten.«
»Diesem Vorschlag sollte man unverzüglich nähertreten, Mister Winter«, willigte der Butler ein.
Eine Weile hantierte der Reporter an der verwirrenden Tastatur seines Bildschirmterminals und ließ den grünleuchtenden Curser über endlose Zahlenkolonnen gleiten. Endlich hatte er das Gesuchte gefunden.
Ein kleiner Drucker begann hektisch zu rattern und spuckte eine lange Papierbahn aus, die zwölf Namen und Anschriften nebst einigen weiteren Daten zur Person enthielt. Winter riß den Streifen ab, rollte ihn zusammen und übergab ihn dem Butler.
»Dann viel Erfolg!« wünschte er und geleitete seine Besucher zur Tür. »Falls Sie was Konkretes herausfinden, rufen Sie mich doch einfach an. Unsere Leser würden eine Fortsetzung der Story buchstäblich verschlingen.«
»Man dankt, auch in Myladys Namen, in aller Form für die freundliche Hilfsbereitschaft, Mister Winter«, sagte Parker und lüftete seine Melone. Anschließend geleitete er Mylady durch das Großraumbüro zum Ausgang.
Als der Butler sich noch mal umwandte, war Winter schon wieder bei der Arbeit. Seine linke Hand wanderte über die Tasten des Terminals, in der Rechten hielt er die Teetasse. Den Telefonhörer hatte er zwischen Ohr und Schulter geklemmt ...
*
»Das ist ja gräßlich«, stöhnte Agatha Simpson, während sie sich in die weichen Polster im Fond des hochbeinigen Monstrums sinken ließ. »Einfach gräßlich, Mister Parker!«
»Darf man um Auskunft darüber bitten, was Mylady mit dieser Äußerung zu meinen geruhen?«
»Gräßlich ist, daß zwölf unschuldige, junge Mädchen einem Lustmörder in die Hände fallen mußten, ehe ich ihm sein dreizehntes Opfer entreißen konnte, Mister Parker.«
»Demnach darf und muß man davon ausgehen, daß Mylady sich Mister Winters Einschätzung anschließen, was das Schicksal der vermißten jungen Damen angeht?«
»Was heißt hier anschließen, Mister Parker?« ereiferte sich die passionierte Detektivin. »Der Bursche hat doch nur nachgeplappert, was für mich schon lange feststeht.«
»Nähere Aufschlüsse dürften möglicherweise erst nach einer Befragung der bedauernswerten Eltern zu erwarten sein, Mylady«, wandte Parker vorsichtig ein.
»Sie kleben wieder an völlig unwichtigen Details, Mister Parker«, sagte Lady Simpson. »Mich interessieren die Aussagen der Eltern kaum, da mein taktisches Konzept steht und ich mich anschicke, den Mörder einzukreisen.«
»Darf man Myladys Äußerung so verstehen, daß Mylady auf eine Befragung der Eltern zu verzichten gedenken?« antwortete Parker mit einer Gegenfrage.
»Eine Detektivin meines Ranges kann sich mit derartigen Nebensächlichkeiten nicht belasten, Mister Parker. Erfolg hat nur, wer sich auf das Wesentliche konzentriert.«
»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als Mylady zu widersprechen«, versicherte der Butler. »Dennoch darf man daran erinnern, daß die Umstände von Miß Bloomings Entführung nicht unbedingt an einen geplanten Sexualmord denken lassen.«
»Darauf wollte ich Sie auch gerade hinweisen, Mister Parker«, behauptete Lady Simpson. »Welche Umstände sind es, die mich an der Sexualmord-Theorie zweifeln lassen?«
»Triebtäter der erwähnten Kategorien pflegen spontan und allein zu agieren, falls man richtig unterrichtet ist«, gab Parker die gewünschte Auskunft.
»Richtig, Mister Parker«, lobte die Detektivin. »Das Mädchen sollte entführt werden, um von den Eltern Lösegeld erpressen zu können. Das habe ich von Anfang an durchschaut.«
»Diese Möglichkeit sollte man keinesfalls ausschließen, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. »Allerdings ist in den zwölf anderen Fällen bisher nichts von einem Erpressungsversuch bekannt geworden, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Wie auch immer, Mister Parker«, beendete Mylady die Diskussion.
»Ich werde unmittelbar nach der Heimkehr eine Meditationsstunde einlegen und mich in mein taktisches Ermittlungskonzept vertiefen.«
»Darf man höflich nachfragen, ob Mylady Einwände erheben würden, wenn meine bescheidene Wenigkeit ...«, begann Parker, doch Agatha Simpson fiel ihm sofort ins Wort.
»Ich kann Sie während der Meditation nicht entbehren, Mister Parker«, stellte die Detektivin klar. »Sie müssen mich während meiner anstrengenden Tätigkeit mit Stärkungsmitteln versorgen.«
»Selbstverständlich wird man Mylady unbeschränkt zur Verfügung stehen«, versicherte der Butler. »Möglicherweise könnte es sich aber als sinnvoll erweisen, den ehrenwerten Mister Pickett in die Ermittlungen einzuschalten und ihn zu bitten, die bedauernswerten Eltern der verschwundenen Mädchen aufzusuchen.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Mister Parker«, reagierte die ältere Dame etwas mürrisch. »Sie werden feststellen, Ihr Weg führt in eine Sackgasse.«
Inzwischen hatte man das heimische Shepherd’s Market erreicht, wo Lady Simpson an einer stillen Wohnstraße ein zweistöckiges Fachwerkgebäude von repräsentativem Zuschnitt ihr eigen nannte. Gemächlich ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum auf den Vorplatz rollen und assistierte seiner Herrin diskret beim Aussteigen.
Gerade hatte der Butler ein silbernes Tablett mit dem geforderten Kreislaufbeschleuniger und einem bauchigen Kognakschwenker in Myladys Studio gebracht, als das Telefon schellte.
»Hier bei Lady Simpson«, meldete er sich.
»Hallo, Mister Parker, sind Sie es? Hier spricht Linda Blooming.« Die Stimme der jungen Dame klang frisch und ausgeruht. Offenbar hatte sie sich schnell von dem Schock am Vorabend erholt.
»Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie eine erholsame Nachtruhe hatten, Miß Blooming?« fragte Parker.
»Danke, ich habe geschlafen wie ein Stein«, entgegnete Linda. »Übrigens ist mir eben eingefallen, wo ich gestern abend war, bevor die Burschen mich in den Kofferraum ihres Wagens gesteckt haben.«
»Eine Nachricht, die man mit Freude vernimmt, Miß Blooming.«
»Ich bin gegen sieben Uhr mit dem Bus nach Holborn gefahren«, erzählte die junge Dame. »Da gibt es eine Diskothek, die ›Flashlight‹ heißt. Ich kann mich noch erinnern, daß ich an einem Tisch saß und auf Freunde wartete. Aber es kam niemand, den ich kannte.«
»Darf man vermuten, daß Sie in dieser Zeit möglicherweise von Fremden zum Tanzen aufgefordert wurden, Miß Blooming?«
»Ein- oder zweimal, Mister Parker. Aber ich hatte keine Lust und blieb allein.«
»Und Sie können sich nicht erinnern, das erwähnte Lokal später verlassen zu haben, Miß Blooming?«
»Als ich heute morgen die braunen Flecken an meinem Kleid fand, fiel mir ein, daß irgendwann im Laufe des Abends ein Colaglas umkippte«, fuhr Linda fort. »Was danach geschah, weiß ich nicht mehr. Meine Erinnerung setzt erst an dem Punkt wieder ein, als ich in Myladys Haus zu mir kam.«
»Ihre außerordentlich zweckdienlichen Hinweise dürften zweifellos dazu beitragen, Myladys Ermittlungen entscheidend zu beschleunigen, Miß Blooming«, versicherte der Butler und bedankte sich höflich und gemessen.
»Ich drücke Ihnen und Mylady die Daumen, daß Sie die ekligen Kerle möglichst schnell hinter Schloß und Riegel bekommen«, versprach Linda Blooming, ehe das Gespräch endete.
Parker blieb gleich am Telefon stehen und wählte die Nummer, unter der Horace Pickett zu erreichen war.
Der ehrenwerte Mister Pickett, wie Parker ihn meist nannte, war ein hoch aufgeschossener Mann von etwa sechzig Jahren. Obwohl seine äußere Erscheinung auf einen pensionierten Offizier schließen ließ, hatte Pickett jahrelang seinen Lebensunterhalt als Taschendieb verdient. Da er seine flinken Finger grundsätzlich nur nach prall gefüllten Brieftaschen ausgestreckt hatte, konnte er seinen ehemaligen Beruf mit einem gewissen Recht als »Eigentumsumverteiler« angeben.
Seit der Butler ihm in einer unverschuldeten Notlage das Leben gerettet hatte, respektierte Pickett aber die Gesetze und ernährte sich auf redliche Weise. Er rechnete es sich zur Ehre an, gelegentlich für Parker und Mylady tätig werden zu dürfen. Und seine intimen Kenntnisse der Londoner Unterwelt hatten sich schon oft als außerordentlich hilfreich erwiesen.
»Ich werde mir die Arbeit mit ein paar zuverlässigen Freunden teilen, damit es schneller geht«, schlug Pickett vor, als Parker ihm die zwölf Anschriften übermittelt hatte. »Reicht es, wenn ich Ihnen in zwei Stunden Bericht erstatte, Mister Parker?«
»Ein Angebot, das man nur als erfreulich bezeichnen kann und muß, Mister Pickett«, entgegnete der Butler. »Bis zum genannten Zeitpunkt dürfte Mylady ihre Meditation abgeschlossen haben und die nächsten Ermittlungsschritte in Angriff nehmen.«
*
»Dieser Streß!« klagte Agatha Simpson, als die Haustürglocke ging. Hastig schob sich die ältere Dame noch ein Stück von der herrlich duftenden Sachertorte in den Mund. »Kaum will man zwischen all den Pflichten mal ein Häppchen zu sich nehmen, klingelt schon wieder das Telefon.«
»Verzeihung, Mylady«, korrigierte Parker und schenkte seiner Herrin goldschimmernden Darjeeling nach. »Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte das Läuten von der Tür ausgehen.«
»Noch schlimmer«, kritisierte die Detektivin. »Hoffentlich ist es nicht Mister McWarden.« Vorsorglich ließ sie sich ein neues Tortenstück vorlegen, ehe sie ihren Butler in Richtung Haustür entließ.«
Myladys Befürchtung erwies sich als grundlos. Es war nicht Chief-Superintendent McWarden, der leitende Yard-Beamte, der sich bei Parker schon manch wertvollen Tip geholt hatte.
»Hallo, Parker«, grüßte Anwalt Mike Rander lässig, als der Butler die Tür öffnete. Myladys Gesellschafterin, die attraktive Kathy Porter, war auch mitgekommen. Die junge Dame mit den mandelförmig geschnittenen Augen und dem Kastanienschimmer im dunklen Haar hatte sich bei Rander eingehakt.
»Hoffentlich stören wir nicht, Mister Parker?« erkundigte sie sich.
»Keineswegs und mitnichten, Miß Porter«, gab der Butler mit einer höflichen Verbeugung zurück. »Mylady dürfte hocherfreut sein, Sie als Gäste am Teetisch begrüßen zu dürfen.«
Parker und Rander kannten sich noch aus der Zeit, als beide einige Jahre in den Staaten gelebt hatten. Damals hatten sie gemeinsam manch kniffligen Fall gelöst. Als Parker dann an die Themse zurückkehrte und in Lady Simpsons Dienste trat, folgte auch Rander bald und eröffnete an der nahegelegenen Curzon Street eine Kanzlei.
Parker hatte den blendend aussehenden Anwalt im Haus seiner Herrin eingeführt. Seitdem bestand Randers Haupttätigkeit darin, das unermeßliche Vermögen der sparsamen Witwe zu verwalten. Im Hause Simpson war er auch zum erstenmal der hübschen Kathy begegnet.
Lady Agatha hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Freundschaft der »Kinder«, wie sie sie nannte, vor dem Traualtar zu besiegeln. Mike Rander und Kathy Porter schienen es damit aber nicht so eilig zu haben.
»Das ist ausnahmsweise mal eine angenehme Überraschung«, freute sich die ältere Dame, als sie die Besucher durch die weitläufige Wohnhalle hereinkommen sah. »Leider habe ich nicht mit Gästen gerechnet.« Inzwischen war das letzte Stück Kuchen auf ihrem Teller gelandet.«
»Vielen Dank, Mylady«, lächelte der Anwalt. »Wir wollten uns nur erkundigen, wie es Ihnen geht.«
»Glänzend, mein lieber Junge«, gab die Detektivin kauend zurück. »Wenn nur der ständige Streß nicht wäre! Aber das ist eben der Preis des Ruhms.«
»Das klingt ja so, als ob Sie sich schon wieder in einen brisanten Fall gestürzt hätten, Mylady«, vermutete Kathy Porter und nahm neben der Hausherrin Platz.
»Wenn es nur ein einziger Fall wäre, Kindchen«, entgegnete Agatha Simpson großspurig. »Darüber würde ich kein Wort verlieren.«
»Also eine Serie von Verbrechen?« wollte Rander wissen und rückte neugierig seinen Stuhl näher.
»Momentan löse ich mehrere Fälle gleichzeitig«, gab die resolute Dame mit stolzgeschwellter Brust bekannt.
»Lassen Sie mich raten, Mylady«, bat Kathy Porter. »Sind es Banküberfälle?«
»Nein, Kindchen.«
»Straßenraub?«
»Nein.«
»Drogenschmuggel?«
»Auch das nicht.«
»Vielleicht Entführungen?« tippte der Anwalt.
»Ich sehe schon, Kinder, ihr kommt nicht drauf«, brach Mylady das Ratespiel ab. »Es handelt sich um einen grausamen Lustmörder, dem schon zwölf junge Mädchen zum Opfer gefallen sind.«
»Ein Lustmörder?« fragten Kathy Porter und Mike Rander wie aus einem Mund.
»Das dreizehnte Opfer habe ich ihm buchstäblich in letzter Minute aus den Klauen gerissen«, berichtete Lady Simpson. Sie schien die entsetzten Blicke ihrer Besucher eindeutig zu genießen.
»Mister Parker wird Sie über die Einzelheiten informieren«, fuhr die Hausherrin fort. »Bei dieser Gelegenheit kann ich gleich feststellen, ob auch alles richtig verstanden wurde.«
Der Butler informierte die Gäste über die vereitelte Entführung der knapp siebzehnjährigen Linda Blooming und über den Besuch bei LONDON-NEWS-Reporter Barry Winter.
Kathy Porters und Mike Randers aufmerksamen Ohren entging nicht, daß der Butler es unauffällig vermied, sich zu der Lustmord-These zu äußern.
»Um die Mittagszeit teilte Miß Blooming dann telefonisch mit, sie habe sich gestern abend in einer Diskothek mit dem Namen ›Flashlight‹ aufgehalten«, beendete Parker seinen Bericht. »Bedauerlicherweise kann die junge Dame sich aber nicht erinnern, wie sie von dort in den Kofferraum des Rover gelangte.«
»Vielleicht sollten wir uns den Schuppen mal ansehen«, schlug Rander vor.
»Unsinn, mein Junge«, fuhr Mylady dazwischen. »Ein Besuch in der Diskothek wäre reine Zeitverschwendung. Der Mörder wird sein Opfer doch nicht.in einem Tanzlokal überwältigen. Vermutlich hat er das Mädchen angefallen, als es sich auf dem Heimweg befand.«
In diesem Moment schrillte das Telefon. Parker begab sich gemessenen Schrittes in die Diele.
»Von den zwölf Familien haben wir auf Anhieb immerhin zehn erreicht, Mister Parker«, meldete der ehemalige Eigentumsumverteiler. »Dabei stellte sich heraus, daß die meisten Eltern nur ungenau oder gar nicht wußten, wohin ihre Töchter wollten, als sie zum letztenmal das Haus verließen.«
»Ein Umstand, den man nur bedauern kann, Mister Pickett«, merkte der Butler an.
»Ganz meine Meinung, Mister Parker«, bestätigte der Anrufer. »Hinzu kommt, daß alle Mädchen am Abend ihres Verschwindens ohne Begleitung ausgehen wollten.«
»Diese Tatsache dürfte die unbekannten Gangster zum Zugreifen ermutigt haben, falls man sich nicht irrt«, äußerte Parker.
»Immerhin scheint es wenigstens die Andeutung einer Spur zu geben, Mister Parker«, fuhr Pickett fort. »In vier Familien glaubte man sich zu erinnern, daß die Töchter am fraglichen Abend eine Diskothek besuchen wollten, die unter dem Namen ›Flashlight‹ firmiert.«
»Ein ebenso bemerkenswerter wie hilfreicher Hinweis, Mister Pickett«, stellte Parker anerkennend fest. »Auch Miß Blooming gibt an, vor ihrer Entführung das genannte Lokal besucht zu haben.«
»Ich habe mir erlaubt, gleich Erkundigungen über das ›Flashlight‹ einzuziehen«, setzte Pickett seinen Bericht fort. »Es handelt sich um das, was junge Leute als Nobeldisko zu bezeichnen pflegen. Durch Ausstattung und Preis ist dafür gesorgt, daß sich im ›Flashlight‹ nur Jugendliche aus begüterten Familien vergnügen, sozusagen die Jeunesse dorée.«
»Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie noch weitere Einzelheiten in Erfahrung bringen konnten, Mister Pickett?«
»Besitzer ist ein gewisser Fred Marbert«, teilte Pickett mit. »Man munkelt zwar, daß der Bursche hin und wieder ein paar Kilo Haschisch verschiebt, aber ansonsten ist er in der Szene so gut wie unbekannt.«
»Man darf wohl davon ausgehen, daß Mylady den Wunsch äußern wird, Mister Marbert näher kennenzulernen«, ließ Parker sich vernehmen.
»Soll ich mich denn noch um die zwei Familien kümmern, die ich heute nicht erreicht habe, Mister Parker?« erkundigte Pickett sich.
»Man dankt in aller Form für das freundliche Angebot, Mister Pickett«, entgegnete der Butler. »Die damit verbundene Mühe dürfte sich jedoch als überflüssig erweisen. Myladys Ermittlungen konzentrieren sich ohnehin auf die mehrfach genannte Diskothek.«
»Dann werde ich jetzt meinen kleinen Hund spazierenführen«, kündigte Pickett an. »Falls Sie meine Hilfe brauchen, bin ich in einer halben Stunde wieder erreichbar.«
»Es ist eine ausgesprochene Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Mister Pickett«, versicherte Parker, bevor er den Hörer einhängte und in den Salon zurückkehrte.
*
»Habe ich es nicht gesagt, Kindchen?« triumphierte Lady Agatha, sobald der Butler die Dreierrunde über das Gespräch mit Mister Pickett ins Bild gesetzt hatte. »Das ›Cashflight‹ ist eine Lasterhöhle der übelsten Sorte, wo unschuldige Mädchen mit Rauschgift betäubt werden, bevor der wahnsinnige Mörder sie mißbraucht, umbringt und in die Themse wirft.«
Mike Rander und Kathy Porter tauschten verstohlene Blicke. Nur Parkers Pokergesicht blieb glatt und undurchdringlich.
»Natürlich werde ich unverzüglich aufbrechen«, fuhr Mylady energisch fort, »und diesen Mister Harper ...«
»Verzeihung, Mylady«, unterbrach der Butler. »Der Herr, den Mylady offensichtlich zu meinen geruhen, hört auf den Namen Fred Marbert.«
»Namen sind Schall und Rauch, Mister Parker. Das habe ich schon oft gesagt.«
»Man bittet um Nachsicht und gelobt gleichzeitig, Myladys leuchtendem Vorbild in Zukunft noch mehr nachzueifern«, gelobte Parker und verneigte sich andeutungsweise.
»Wie auch immer, Mister Parker«, fuhr die resolute Dame fort. »Furchtlos werde ich dem Mörder die Stirn bieten und ihn in die Knie zwingen.«
»Ein Vorhaben, das man nur aus ganzem Herzen begrüßen kann, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. »Möglicherweise haben Mylady aber auch bedacht, daß gegen Mister Fred Marbert bisher keinerlei Beweise vorliegen.«
»Papperlapapp, Beweise!« fegte Agatha Simpson den Einwand mit souveräner Gebärde vom Tisch. »Beweise sind altmodisch, Mister Parker. In der modernen Kriminalistik zählt nur noch eins: das Geständnis. Und wenn ich einem Schurken ein Geständnis entreißen will, schaffe ich das auch.«
»Diese Äußerung kann meine bescheidene Wenigkeit aus reicher Erfahrung nur mit allem Nachdruck unterstreichen, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. »Dennoch dürfte Mister Marbert nur schwer zu einem Geständnis zu bewegen sein, falls er sich tatsächlich in der von Mylady angedeuteten Weise seiner Opfer entledigt haben sollte.«
»In meiner langjährigen Praxis ist mir noch kein Schurke begegnet, der meinen außerordentlich subtilen Vernehmungsmethoden gewachsen war, Mister Parker«, konterte Mylady und schwenkte unternehmungslustig den perlenbestickten Pompadour, den sogenannten Glücksbringer, der ein solides Pferdehufeisen enthielt.
»Nicht mal im Traum würde es meiner bescheidenen Wenigkeit einfallen, Mylady zu widersprechen«, entgegnete Parker. »Vermutlich haben Mylady ohnehin in Betracht gezogen, daß Mister Marbert eher durch eine List zu überführen wäre als durch einen Frontalangriff.«
»Eine List?« fragte die ältere Dame irritiert, um im nächsten Moment unbekümmert auf Parkers Linie einzuschwenken. »Selbstverständlich werde ich mich einer List bedienen, um den ruchlosen Mörder zur Strecke zu bringen, Mister Parker. Ich werde den Schurken in eine raffinierte Falle locken und dann ...«
Der Rest des Satzes ging in Scheppern und Klirren unter. In der Vorfreude hatte die resolute Dame schon ihren Glücksbringer kreisen lassen, ohne auf das Teegeschirr aus chinesischem Porzellan zu achten.
»Haben Sie sich schon eine bestimmte Falle ausgedacht, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen, während Parker wortlos die Scherben zusammenkehrte und hinaustrug.
»Ich kann mich doch nicht um alles kümmern, Kindchen«, empörte sich die Hausherrin. »Für derartige Details ist Mister Parker zuständig.«
»Vielleicht sollte man eine Art Lockvogel in die Diskothek einschleusen«, schlug Rander vor. »Einen Köder, der dem Burschen Appetit macht und ihm dann im Hals stecken bleibt.«
»Und wer soll der Lockvogel sein, Mike?« fragte Kathy Porter mißtrauisch. »Ich vielleicht?«
»Ich bin sicher, daß du mit dem Kerl fertig wirst«, antwortete der Anwalt. Er wußte natürlich, daß sich die anschmiegsame Kathy blitzschnell in eine wilde Pantherkatze verwandeln konnte, wenn zudringliche Gegner dies herausforderten. Nicht umsonst hatte die zierliche Frau jahrelang die Techniken fernöstlicher Selbstverteidigung studiert.
»Unter keinen Umständen werde ich zulassen, daß Kathy dem Mörder als Köder vorgeworfen wird«, protestierte Agatha Simpson.
»War ja auch nicht ernst gemeint, Mylady«, wiegelte Rander ab. »Kathy wäre sowieso kein Lockvogel nach seinem Geschmack. Haar- und Augenfarbe, Teint und Figur – nichts stimmt mit den bisherigen Opfern überein.«
»Dennoch sollte man Ihrem Vorschlag, den Gangstern durch einen Köder aus der Reserve zu locken, durchaus nähertreten, Sir«, schaltete Parker sich wieder in das Gespräch ein.
»Dann werde ich eben diese Aufgabe übernehmen«, entschied Mylady, ohne das Entsetzen auf den Gesichtern ihrer Besucher zur Kenntnis zu nehmen. »Für jeden anderen wäre dieses Unternehmen zu gefährlich.«
»Aber Sie müssen doch den Einsatz leiten, Mylady«, kam Rander der rettende Gedanke. »Da werden Sie kaum Zeit haben, als Lockvogel Detailarbeit zu leisten,«
»Daran wollte ich auch gerade erinnern, mein lieber Junge«, entgegnete Agatha Simpson geschmeichelt. »Die Verantwortung für den Einsatz kann mir niemand abnehmen.«
»Dann haben wir also keinen Lockvogel«, stellte Myladys Gesellschafterin resignierend fest.
»Wir können doch das Mädchen von gestern abend ... Wie hieß sie noch, Mister Parker?« warf Lady Agatha ein.
»Darf man vermuten, daß Mylady Miß Linda Blooming meinen?« erkundigte sich der Butler.
»Richtig«, nickte die ältere Dame. »Linda Mooning. Warum nicht? Was soll dem Kind schon passieren, wenn ich in der Nähe bin?«
»Fraglos haben Mylady bedacht, daß Miß Blooming den Gangstern bereits bekannt ist«, wandte der Butler ein. »Darüber hinaus dürfte die junge Dame aufgrund ihrer beklagenswerten Erfahrungen kaum in der Lage sein, mit der nötigen Unbefangenheit aufzutreten.«
»Selbstverständlich habe ich auch das bedacht, Mister Parker«, gab Lady Simpson unwirsch zurück. »Also werde ich mich doch der doppelten Aufgabe stellen müssen ...«
»Halt!« unterbrach Rander. »Ich habe eine Idee.«
»Da bin ich aber gespannt«, stichelte Kathy Porter. »Womöglich willst du dich selbst als Mädchen verkleiden, Mike?«
»Das fehlte noch«, lachte der Anwalt. »Nein, ich habe gerade an Jane Auckhill gedacht.«
»Jane Auckhill?« überlegte Kathy Porter. »Irgendwo habe ich den Namen schon gehört.«
»Natürlich, du kennst sie«, sagte Rander. »Jane Auckhill ist die Tochter eines Kollegen, mit dem ich seit Jahren Tennis spiele. Sie ist knapp achtzehn und britische Jugendmeisterin im Karate.«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag, mein Junge«, lobte die Detektivin. »Was verstehe ich unter Karate, Mister Parker?«
»Mylady verwenden den Begriff ›Karate‹ als Bezeichnung für eine asiatische Kampfsportart, falls der Hinweis gestattet ist«, half der Butler aus.
»Sehr gut«, stellte Agatha Simpson händereibend fest. »Und welche Qualitäten bringt die junge Dame sonst noch mit?«
»Alle, die wir brauchen«, Mylady«, entgegnete der Anwalt. »Sie hat das richtige Alter und die passende Figur. Sie ist blond und verteufelt hübsch.«
»Du scheinst dir das Mädchen ja sehr genau angesehen zu haben«, schmunzelte Kathy Porter und drohte Rander scherzhaft mit dem Finger.
»Außerdem ist sie intelligent und geistesgegenwärtig«, fuhr der Anwalt unbeirrt fort, als hätte er den Einwurf nicht gehört.
»Glaubst du denn wirklich, wir könnten das Mädchen einer derartigen Gefahr aussetzen, Mike?« gab Kathy Porter zu bedenken. »Meinst du, sie macht überhaupt mit? Und was werden ihre Eltern dazu sagen?«
»Natürlich muß ich mit Jane und ihren Eltern erst mal reden«, bekannte der Anwalt. »Aber ich könnte mir schon vorstellen, daß es klappt.«
»Gegebenenfalls sollte man damit rechnen, daß die Eltern der jungen Dame eine Sicherheitsgarantie für ihre Tochter fordern werden, Sir«, wandte Parker ein. »Ein solches Ansinnen dürfte als durchaus gerechtfertigt gelten, falls die Anmerkung erlaubt ist.«
»Terence und Rose Auckhill wären schlechte Eltern, wenn sie nicht um Janes Sicherheit besorgt wären«, gab Rander dem Butler recht. »Deshalb werde ich ihnen vorschlagen, daß Kathy und ich das Mädchen begleiten. Unauffällig natürlich, damit niemand merkt, daß wir zusammengehören.«
»Ihre Idee ist so vernünftig, mein lieber Junge, daß sie fast von mir stammen könnte«, mischte die Hausherrin sich wieder ein. »Genauer gesagt, wollte ich gerade denselben Vorschlag unterbreiten.«
»Dann brechen wir am besten gleich auf«, meinte Rander mit einladendem Seitenblick auf seine Begleiterin. »So etwas kann man nicht am Telefon regeln. Deshalb sollten wir bei den Auckhills vorbeifahren und in aller Offenheit mit ihnen über die Sache sprechen.«
Die Besucher erhoben sich und verabschiedeten sich von der Gastgeberin.
»Sobald ich etwas Endgültiges weiß, rufe ich hier an«, versprach der Anwalt.
»Und ich werde die Zeit nutzen, um noch ein wenig an meinem taktischen Konzept zu feilen, Mister Parker«, kündigte die Hausherrin an, nachdem der Butler die Gäste zur Tür gebracht hatte.
Weisungsgemäß trug Parker seiner Herrin die gewünschten Stärkungsmittel ins Studio hinauf und begab sich dann wieder in den Salon, um den Teetisch abzuräumen.
Wenig später ließen wohlvertraute Geräusche aus dem Obergeschoß die jahrhundertealten Eichenbalken des Hauses erbeben. Myladys Meditation hatte ihren Höhepunkt erreicht ...
*
Lady Simpson war auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet. Vor der Abfahrt hatte sie darauf bestanden, daß Parker einen wohlgefüllten Picknickkorb auf dem Rücksitz seines hochbeinigen Monstrums plazierte.
Inzwischen hatte der Butler sein schwarzes, eckiges Gefährt schräg gegenüber dem Eingang der Diskothek »Flashlight« abgestellt, und Mylady widmete sich mit Feuereifer getrüffelter Fasanenbrust in Aspik.
»Wie spät ist es, Mister Parker?« wollte sie wissen.
»In wenigen Sekunden neun Uhr, Mylady«, meldete der Butler. »Mit dem Eintreffen von Miß Auckhill, Miß Porter und Mister Rander dürfte in kürzester Zeit zu rechnen sein, falls man sich nicht gründlich täuscht.«
Parker hatte sich nicht getäuscht. Eben bogen Myladys Gesellschafterin und ihr Vermögensberater um eine Straßenecke und steuerten den Eingang der Diskothek an.
Die ältere Dame winkte verstohlen, als der Butler sie auf die beiden aufmerksam machte, doch Kathy Porter und Mike Rander streiften das wohlbekannte Fahrzeug nur mit flüchtigen Blicken. Der Gruß blieb unerwidert.
»Bei der jungen Dame im rosafarbenen Kleid, die sich momentan aus der Gegenrichtung nähert, dürfte es sich mit einiger Sicherheit um Miß Auckhill handeln«, machte Parker seiner Herrin auf das blonde Mädchen aufmerksam, das kurz nach den beiden den Eingang des Tanzlokals durchschritt.
Mike Rander hatte nicht zu viel versprochen. Jane Auckhill war wirklich eine ungewöhnlich attraktive Erscheinung, in der sich mädchenhafte Gesichtszüge und frauliche Formen auf reizvollste Weise verbanden. Wenn das kein Appetithappen für den Entführer war ...
*
»Da kommt sie!« rief Mike Rander seiner Begleiterin zu, als Jane Auckhill in ihrem rosefarbenen Kleid den von farbigen Lichtblitzen durchzuckten Raum betrat. Eine Verständigung in normaler Lautstärke war wegen des akustischen Infernos unmöglich, das aus den imposanten Lautsprecherboxen dröhnte.
Die beiden hatten sich gerade an einem Tisch niedergelassen, der zwar abseits der Tanzfläche lag, aber ungehinderte Blicke auf die verschiedenen Ein- und Ausgänge erlaubte. Davon gab es eine ganze Reihe: zum Billardzimmer, zur Küche, zu den Toiletten, zum Büro des Geschäftsführers ...
Jane Auckhill hatte die bekannten Gesichter auch entdeckt. Sie ließ sich aber nichts anmerken und steuerte einen freien Tisch am Rand der gläsernen Tanzfläche an, die von Unterflurscheinwerfern in fast magisches Licht getaucht wurde.
Die junge Dame bestellte sich eine Cola und sah den Tanzenden zu, die im Rhythmus der Musik alle verfügbaren Glieder verrenkten und im Takt in die Hände klatschten. Es dauerte nicht lange, bis ein junger Mann in tadellos gescheiteltem Blondhaar und modischem Glitzerjackett von seinem Barhocker glitt und Kurs auf Jane Auckhill nahm.
Mit einer formvollendeten Verbeugung, die in dieser Umgebung ein wenig deplaziert wirkte, forderte er die blonde Schöne zum Tanzen auf. Jane Auckhill willigte ein, und fast gleichzeitig erhoben sich auch Kathy Porter und Mike Rander von ihren Plätzen.
Beide richteten es so ein, daß sie beim Tanzen stets in der Nähe des jungen Mädchens blieben, Mike Rander prägte sich vorsichtshalber die Gesichtszüge von Janes Partner ein. Ob das schon ein Mitglied der Entführerbande war? Wie ein Krimineller sah der junge Mann zwar nicht aus, aber was bedeutete das schon ...
Dem Anwalt rann der Schweiß in Strömen in den Hemdkragen, als das blonde Mädchen dem Unbekannten endlich durch eine Geste zu verstehen gab, daß ihr Bewegungsdrang vorerst gestillt war. Höflich geleitete der junge Mann sie an ihren Platz zurück, verneigte sich und steuerte wieder die Bar an.
Mike Rander und Kathy Porter waren ebenfalls an ihren Tisch zurückgekehrt. Sie sahen, wie Jane Auckhill dem Kellner winkte und auf ihr Colaglas deutete, das sie nach dem Tanz in durstigen Zügen geleert hatte.
Zwei Minuten später war der Kellner mit einer weiteren Cola zur Stelle. Als er das leere Glas auf sein Tablett stellen und das volle auf dem Tisch absetzen wollte, passierte es: Jane Auckhill sprang zwar geistesgegenwärtig vom Stuhl hoch, als das volle Glas umkippte und seinen braunen, klebrigen Inhalt von sich gab. Aber die Reaktion des Mädchens kam um Sekundenbruchteile zu spät. Das schöne Kleid hatte schon häßliche Flecken abbekommen.
Den Gesten der beiden konnten Mike Rander und Kathy Porter entnehmen, daß der Kellner sich wortreich für seine Ungeschicklichkeit entschuldigte, während Jane Auckhill ihm heftige Vorwürfe machte.
»So ein Pech«, murmelte der Anwalt, doch unter dem ohrenzerreißenden Geräuschpegel hörte nicht mal Kathy Porter seine Worte.
Unter beschwichtigenden Gesten stellte der Kellner auch das umgekippte Glas aufs Tablett und entfernte sich. Das Tablett stellte er an der Bar ab. Anschließend steuerte der Mann die Tür an, auf der das Schild »Geschäftsführer« prangte.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Kellner zurückkam und an Jane Auckhills Tisch trat. Gleich darauf geleitete er das junge Mädchen zwischen den Tischen hindurch.
Höflich hielt er ihr die Tür auf, die zum Geschäftsführer des Lokals führte. Jane Auckhill schritt hindurch. Der Kellner verneigte sich noch mal, schloß die Tür hinter ihr und kehrte an die Bar zurück.
»Ob das ein Trick ist?« meinte Kathy Porter argwöhnisch. Sie mußte sich zu Rander hinüberbeugen, um sich verständlich zu machen.
»Schon möglich«, gab der Anwalt zurück. »Vielleicht will Jane aber nur mit dem Geschäftsführer verhandeln, um die Reinigungskosten für ihr Kleid ersetzt zu bekommen.«
»Wir können ja fünf Minuten warten«, schlug Myladys Gesellschafterin vor. »Wenn Jane bis dahin nicht zurück ist, gehen wir ihr nach.«
»Gute Idee«, willigte Rander ein und nahm einen Schluck aus seinem Whiskyglas. Hätte er gewußt, was sich in diesem Moment hinter der Tür mit der Aufschrift »Geschäftsführer« abspielte, hätte er Kathys Vorschlag längst nicht mehr so gut gefunden ...
*
»Mister Parker ...?«
»Stets zu Diensten, Mylady«, gab der Butler höflich zurück. Doch Agatha Simpson hüllte sich in Schweigen.
Ein kurzer Blick in den Rückspiegel klärte die Situation: Mylady hatte sich nach ausgiebiger Stärkung zu einem Nickerchen in die bequemen Polster zurückgelehnt. Offenbar hatte die ältere Dame im Traum nach ihrem Butler gerufen.
Inzwischen war es kurz nach 22 Uhr. Falls der geheimnisvolle Entführer den blonden Köder überhaupt annahm, konnte es theoretisch noch Stunden dauern, bis er zupackte.
Dennoch beschlich Parker ein Gefühl, als ob sich das Geschehen in der Diskothek in diesem Moment zuspitzte. Und solche Gefühle trogen ihn nur selten.
Der Butler war deshalb keineswegs überrascht, als Minuten später eine dunkelgrüne Volvo-Limousine aus der Hofeinfahrt rollte. Der Wagen war mit zwei Männern besetzt. Eine einwandfreie Identifizierung ließen die trüben Lichtverhältnisse nicht zu, aber waren das nicht die beiden Gangster, die gestern abend in dem schwarzen Rover gesessen hatten?
Parkers Zweifel waren schlagartig beseitigt, als der Wagen in die Straße einbog und der Schein einer Lampe auf das Heck fiel. Bei dem kleinen rosefarbenen Stofffetzen, der unter der Kofferraumhaube eingeklemmt war, konnte es sich nur um ein Stück Saum von Jane Auckhills Kleid handeln.
Unverzüglich ließ Parker den Motor seines hochbeinigen Monstrums anspringen und setzte sich auf die Fährte der Entführer.
»Werde ich verfolgt, Mister Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson verwirrt. Ihre Stimme klang verschlafen. Parkers plötzlicher Start hatte sie mitten aus ihren Träumen gerissen.
»Im Gegenteil, Mylady«, meldete der Butler über die Sprechanlage nach hinten.
»Im Gegenteil? Was soll das heißen, Mister Parker?«
»Mylady haben soeben die Verfolgung eines verdächtigen Fahrzeuges aufgenommen, falls der Hinweis erlaubt ist.«
Der Volvo war in die Albany Street eingebogen und fuhr in scharfem Tempo in Richtung Camden Town. Parker machte den Schwenk mit, hielt aber auf Distanz. Der Volvofahrer sollte sich unbeobachtet fühlen.
»Wodurch bin ich auf das verdächtige Fahrzeug aufmerksam geworden, Mister Parker?« wollte die Detektivin wissen.
Die Herren kamen aus der Hofeinfahrt der Diskothek ›Flashlight‹, Mylady«, informierte der Butler seine Herrin. »In den beiden Insassen glaubten Mylady die Gangster zu erkennen, die gestern abend Miß Linda Blooming in einem schwarzen Rover zu entführen versuchten ...«
»Natürlich habe ich mir die Visagen der Lümmel eingeprägt, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson postwendend. »Diesmal werden mir die Rüpel nicht entgehen.«
»Überdies schöpften Mylady Verdacht, da ein Stück rosefarbenen Stoffes unter der Kofferraumhaube des fraglichen Fahrzeuges eingeklemmt ist«, fuhr Parker fort.
»Rosefarbener Stoff?« wunderte sich die ältere Dame.
»Miß Auckhill, die in Myladys Auftrag den Entführer in eine Falle locken sollte, trug ein Kleid in der genannten Farbe«, half der Butler dem Gedächtnis seiner Herrin nach.
»Dann haben die Schurken das Mädchen entführt, Mister Parker«, schloß Lady Agatha messerscharf. »Warum stelle ich die Kerle nicht endlich, um ihnen ihr Opfer zu entreißen?«
»Falls man Myladys Anordnungen richtig verstanden hat, wünschten Mylady, die Herren diskret zu observieren, um Aufschluß über das Ziel der Fahrt zu gewinnen«, wich Parker aus.
»Richtig, Mister Parker«, bestätigte Agatha Simpson. »So steht es auch in meinem taktischen Einsatzkonzept.«
Der dunkelgrüne Volvo rollte durch eine gepflegte Wohnstraße. Links und rechts erstreckten sich parkähnliche Grundstücke mit Villen im Stil der Gründerjahre. Hier herrschte kaum noch Fahrzeugverkehr. Parker hielt deshalb so weit Abstand, daß er die roten Punkte der Rücklichter gerade noch im Blick behielt.
Gleich darauf bog die dunkelgrüne Limousine durch eine Toreinfahrt und verschwand in der Tiefe eines großzügig angelegten Parks.
Gemächlich ließ der Butler seinen schwarzen Kasten an der Einfahrt vorbeirollen und stoppte ein Stück weiter am Straßenrand. Zwischen den Baumstämmen waren die erleuchteten Fenster einer Villa auszumachen.
»Falls Mylady gestatten, wird man das Gelände einer kurzen Inspektion unterziehen«, kündigte Parker an und verließ das Fahrzeug.
*
»Jane bleibt verdächtig lange. Jetzt sind es schon fast zehn Minuten«, stellte Kathy Porter zur selben Zeit fest. Sie warf dem Anwalt einen besorgten Blick zu.
»Okay, gehen wir«, entschied Rander.
Niemand beachtete die beiden, als sie ohne Eile den Raum durchquerten. Niemand nahm Notiz von Ihnen, als sie die Tür öffneten, hinter der Jane Auckhill verschwunden war.
Gleich darauf stand das Paar in einem düsteren Vorflur, der in eine weitere Tür mündete.
»Nichts zu hören«, meldete Kathy Porter, die ihr Ohr an die Tür gelegt hatte und angestrengt lauschte.
»Und nichts zu sehen«, ergänzte Mike Rander. Er war in die Hocke gegangen, um durch das Schlüsselloch zu spähen. Das Zylinderschloß ließ jedoch keinen Durchblick zu.
»Alles klar?« vergewisserte sich der Anwalt. Kathy Porter nickte.
Mit einem Ruck riß Rander die Tür auf.
Das komfortable eingerichtete Büro war hell erleuchtet, aber leer – bis auf einen schätzungsweise vierzigjährigen Mann mit modischer Nickelbrille und akkurat gestutztem Spitzbart.
Der Unbekannte thronte hinter einem eindrucksvollen Schreibtisch aus edelstem Rio-Palisander und hatte gerade ein Telefongespräch beendet. Verdutzt blickte er den Ankömmlingen entgegen, während er den Hörer in die Gabel fallen ließ.
»Platzen Sie überall so herein – ohne anzuklopfen?« erkundigte er sich unwirsch.
»Nur, wenn es nötig ist«, gab Rander gelassen zurück. »Sie sind der Geschäftsführer dieses Lokals?«
»Und der Inhaber«, setzte sein Gegenüber hinzu. »Marbert ist mein Name, Fred Marbert. Aber was soll das heißen: Wenn es nötig ist?«
»Wir suchen eine junge Dame, die vor zehn Minuten Ihr Büro betreten haben muß, Mister Marbert«, gab der Anwalt Auskunft.
»Was für eine junge Dame?« Entweder war Marbert ein glänzender Schauspieler, oder er war wirklich ahnungslos.
»Ein blondes, auffallend hübsches Mädchen von achtzehn Jahren in einem rosefarbenen Kleid«, wurde Rander deutlicher.
»Die müßte mir aufgefallen sein«, gab Marbert grinsend zurück. »Ich habe die ganze Zeit hier gesessen und telefoniert.«
»Wir haben gesehen, wie ein Kellner das Mädchen bis zu Ihrer Tür geleitete«, schaltete Kathy Porter sich ein.
»Sie müssen sich getäuscht haben«, behauptete der Spitzbärtige. »Sie sehen doch, daß ich allein bin. War das Mädchen eine Freundin von Ihnen?«
»Eine Nichte«, schwindelte Rander. Er hatte inzwischen registriert, daß Marberts Büro über einen Hinterausgang verfügte.
»Ich werde Ihnen helfen, die Kleine zu finden«, bot Marbert an und erhob sich. »Am besten fragen wir den Kellner, der das Mädchen angeblich zu mir gebracht hat.«
Zwischen Mike Rander und Kathy Porter hindurch wollte Marbert zur Tür, aber so weit kam er nicht mehr.
Der untersetzte Mann im schicken Nadelstreifenanzug stieß einen unverständlichen Blubberlaut aus, als Mike Randers Faust seine Magengrube massierte. Kathy Porter steuerte einen blitzschnellen Fußtritt bei, der Marbert in der Kniekehle traf.
Stöhnend knickte der Mann gleichzeitig in der Hüfte und in den Knien ein. Die etwas unsanfte Bauchlandung wurde durch den üppigen Teppichboden gedämpft. Der unverhoffte Sturzflug sorgte jedoch dafür, daß sich die kurzläufige Pistole in Marberts Schulterhalfter selbständig machte und Rander vor die Füße fiel.
»Verdammt!« knurrte Marbert mit dem Gesicht im Teppichflor. »Was soll der Unsinn?«
Mühsam hob er den Kopf und warf dem Anwalt einen haßerfüllten Blick zu. Sein sonnengebräunter Teint nahm die Farbe einer frisch gekalkten Wand an, als er in die Mündung der Pistole blickte, die Rander sofort an sich genommen hatte.
Ächzend raffte sich der Disko-Chef vom Boden, während der Anwalt zwei Schritte zurücktrat und demonstrativ die Waffe entsicherte.
»Ich werde die Polizei rufen«, drohte Marbert und streckte seine Hand in Richtung Telefon.
»Das werden Sie nicht tun«, entgegnete Rander seelenruhig. »Sie würden mich zu einem Vorgehen zwingen, das ich im Grund verabscheue.«
»Okay, was wollen Sie von mir?« signalisierte der Spitzbärtige Verhandlungsbereitschaft.
»Wir wollen wissen, wo Sie Jane Auckhill versteckt haben«, erklärte der Anwalt.
Marbert blieb die Antwort schuldig und warf sich statt dessen mit dem Mut der Verzweiflung in Randers Richtung. Sein Pech war, daß er nicht mit Kathy Porters Reaktion gerechnet hatte. Die junge Dame stand dicht hinter ihm.
Wie vom Blitz getroffen zuckte er zusammen, als sie seinen Nacken mit einem Handkantenschlag bedachte. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Winzige Schweißperlen traten auf seine Stirn.
Aus hervorquellenden Augen stierte der Mann ins Leere und begann zu torkeln wie ein Betrunkener. Das rauhe Röcheln, das er ausstieß, erinnerte nur entfernt an menschliche Laute. Verzweifelt ruderte er mit den Armen, um einen Halt zu finden. Seine Hände bekamen jedoch nur Luft zu fassen, so daß er es vorzog, sich ein zweites Mal auf dem weichen Teppichboden auszustrecken.
»Hier.« Mike Rander reichte seiner Begleiterin die Pistole. »Paß gut auf den Burschen auf, Kathy! Ich werde Jane suchen. Sie muß irgendwo sein.
Vorsichtig klinkte der Anwalt die Tür an der Rückseite des Raumes auf. Sie führte auf einen spärlich beleuchteten Flur.
Links führte der Gang zur Küche, wie Rander aus den Geräuschen hinter der hell beleuchteten Tür mit Milchglasscheiben schloß. Rechts ging es in einen dunklen Hof, der außer zwei parkenden Autos und einer Batterie von Mülltonnen nichts Bemerkenswertes zu bieten hatte. Der Anwalt entschied sich deshalb für die hölzerne Treppe, die ins Obergeschoß führte.
Kein Mensch begegnete ihm, als er geräuschlos die Stufen hinaufstieg.
Oben fand Rander ein; mit allem Komfort ausgestattetes Appartement vor, das vermutlich Fred Marbert gehörte. Zu einer gründlichen Inspektion reichte die Zeit nicht. Deshalb beschränkte der Anwalt sich darauf, den großen Wandschrank und das Bad unter die Lupe zu nehmen.
Von Jane Auckhill fand sich keine Spur. Vermutlich hatten die Gangster sie schon über den Hof fortgeschafft.
Deprimiert kehrte Rander ins Büro zurück, wo Kathy Porter den inzwischen erwachten Marbert mit der Waffe in Schach hielt.
»Sie ist nicht hier, Kathy«, teilte der Anwalt mit. »Die Burschen müssen sie schon weggebracht haben.«
»Was reden Sie da dauernd für einen Quatsch?« preßte der Spitzbärtige wutschnaubend hervor. »Sie halten mich wohl für einen Kidnapper?«
»In der Tat, Mister Marbert«, bestätigte Rander.
»Unverschämtheit!« fauchte Marbert. »Anzeigen werde ich Sie!«
»Das bleibt Ihnen unbenommen«, gab der Anwalt unbeeindruckt zurück. »Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat.«
Anschließend riß Rander das Telefonkabel aus der Wand und band Marbert damit an der Lehne seines Stuhles fest. Kathy Porter wachte mit der Pistole im Anschlag darüber, daß der »Flashlight«-Inhaber keinen Ausbruchsversuch wagte.
»Bis zum nächstenmal, Mister Marbert«, sagte Rander, nachdem er die Tür zur Diskothek von innen abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt hatte. »Ich denke, wir sehen uns bald wieder.«
»Worauf Sie sich verlassen können«, entgegnete der Mann wütend.
»Wo sind denn Mylady und Mister Parker?« wunderte sieh Kathy Porter, nachdem sie den Hof überquert und die Straße erreicht hatten. »Der Wagen ist nicht mehr da.«
»Wir können nur hoffen, daß Parker aufmerksam geworden ist, als die Gangster Jane fortschafften«, antwortete der Anwalt. »Im Grund würde es mich nicht wundern, wenn er die Spur der Entführer aufgenommen hätte.«
»Und wenn nicht?« entgegnete die junge Dame zweifelnd. »Was sollten wir dann Janes Eltern sagen? O Mike, ich wünschte, wir hätten das Mädchen aus dem Spiel gelassen!«
»Wir werden Jane schon finden, Kathy«, versuchte Rander seine Begleiterin zu beruhigen. Aber sehr überzeugt klangen seine Worte nicht.
*
»Einen wunderschönen guten Abend«, wünschte der alte Mann, der mit schlurfenden Schritten vor dem Villengrundstück einen kleinen Hund spazierenführte. Auf seinen Krückstock gestützt, blieb der Greis stehen und blickte Parker entgegen, der in würdevoller Haltung über die Straße auf ihn zuschritt.
»Man dankt und wünscht ebenfalls einen angenehmen Abend, Sir«, gab der Butler höflich zurück und lüftete die schwarze Melone.
»Sie sind bestimmt fremd in dieser Gegend«, meinte der Spaziergänger, während sein vierbeiniger Begleiter zutraulich an Parkers gestreiften Hosenbeinen schnupperte.
»Darf man sich höflich erkundigen, was Sie zu dieser Annahme bewegt, Sir?« ließ der Butler sich mit einer angedeuteten Verbeugung vernehmen.
»Ich kenne jeden hier«, behauptete der Mann und lächelte verschmitzt. »Aber Sie habe ich noch nie gesehen. Suchen Sie jemanden?«
»So verhält es sich in der Tat«, bestätigte Parker. »Allerdings dürfte Ihnen die fragliche Person wohl kaum bekannt sein, da sie nicht zu den eingesessenen Bewohnern dieses Viertels zählt, falls der Hinweis gestattet ist.«
»Dann meinen Sie garantiert die Leute in der ehemaligen Finsbury-Villa«, tippte der alte Mann und deutete mit dem Daumen hinter sich, wo in der Dunkelheit die hellen Vierecke der erleuchteten Fenster zu erkennen waren. »Die haben das Haus erst vor einem Jahr übernommen.«
»Dann sollte man die Möglichkeit nicht ausschließen, daß es sich tatsächlich um die Gesuchten handelt«, antwortete Parker. »Darf man die Vermutung äußern, daß es sich um Fremde handelt, die von außerhalb zugezogen sind?«
»Das kann man wohl sagen«, kicherte der Greis. »Es sind Orientalen, vermutlich Araber. Ich kann Ihnen aber nicht mal sagen, wie die Leute heißen. Man bekommt sie so gut wie nie zu Gesicht. Wenn nicht hin und wieder schwere Wagen Vorfahren würden, könnte man den Eindruck gewinnen, die alte Finsbury-Villa sei unbewohnt.«
»Nach Ihrer Schilderung dürfte es sich mit Sicherheit um die Personen handeln, die Mylady die Ehre ihres Besuches erweisen möchte«, erklärte Parker. »Man dankt in aller Form für die außerordentlich hilfreiche Auskunft, Sir.«
»Gern geschehen«, entgegnete der greise Spaziergänger und setzte sich wieder in Bewegung. Sein kleiner Hund, der gerade am Torpfeiler der ehemaligen Finsbury-Villa das Bein gehoben hatte, trabte eilig hinterher.
Gemessenen Schrittes kehrte Parker zum hochbeinigen Monstrum zurück und öffnete den Wagenschlag, um seine Herrin über das kurze Gespräch zu informieren. Er hatte den ersten Satz noch nicht beendet, als Motorengeräusch ihn aufmerksam machte.
Mit aufgeblendeten Scheinwerfern kam der dunkelgrüne Volvo aus der Einfahrt des Villengrundstücks, bog auf jaulenden Reifen in die Straße ein und jagte mit Vollgas davon. Der rosefarbene Wimpel, der auf der Hinfahrt am Heck geflattert hatte, war verschwunden.
*
»Ein Harem mitten im zivilisierten London!«
Lady Simpson bebte vor Empörung. »Auf der Stelle werde ich diesen Sumpf des Lasters trockenlegen, Mister Parker!«
Ächzend wuchtete die resolute Dame ihre beschwerliche Fülle ins Freie. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem Handgelenk kreiste schon bedrohlich.
»In der Tat neigte auch meine Wenigkeit der Annahme zu, daß zumindest Miß Auckhill in der Villa gefangengehalten wird, Mylady«, bemerkte der Butler, während er der Detektivin diskret beim Aussteigen half.
»Nicht nur die arme Jane, Mister Parker«, erwiderte Agatha Simpson im Brustton der Überzeugung. »Mein untrüglicher Instinkt sagt mir, daß auch all die anderen unglückseligen Geschöpfe hinter diesen Mauern schmachten und nur darauf warten, von mir befreit zu werden.«
»Möglicherweise sollte man versuchen, sich dem Gebäude unbemerkt zu nähern, Mylady«, schlug Parker vor, als Agatha Simpson wild entschlossen zur Toreinfahrt stapfte.
»Es ist doch dunkel«, schob die Lady die Bedenken ihres Butlers beiseite. »Außerdem ahnen die Schurken gar nicht, welches Unheil sich über ihren Köpfen zusammenbraut. Über Zäune und Mauern zu klettern und sich nach Indianerart anzupirschen, wäre deshalb eine völlig überflüssige Strapaze, Mister Parker.«
»Fraglos haben Mylady bedacht, daß die Bewohner der früheren Finsbury-Villa trotz der späten Stunde mit Myladys Besuch rechnen könnten«, wandte der Butler ein.
»Die Schurken müßten schon Hellseher sein, Mister Parker«, gab die ältere Dame mürrisch zurück.
»Wie Mylady sich ohne Zweifel erinnern werden, nahmen Mylady gestern abend die Gelegenheit wahr, Miß Linda Blooming aus der Gewalt ihrer Entführer zu befreien.«
»Selbstverständlich erinnere ich mich, Mister Parker«, erwiderte Lady Agatha. »Na und?«
»Sofern man der Annahme zuneigt, daß auch Miß Blooming hierhergebracht werden sollte, dürfte der Empfänger vom Mißerfolg der Aktion erfahren haben und vorsichtig geworden sein.«
»Wie auch immer, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin unbeeindruckt. »Ich werde die Schurken überrumpeln und ihnen keine Chance zur Gegenwehr lassen.«
Immerhin konnte der Butler seine Herrin dazu bewegen, die knirschenden Kieswege zu meiden und statt dessen über den kurzgeschorenen Rasen zu schreiten, der die Trittgeräusche schluckte wie ein weicher Teppich.
Unter den breiten Kronen der jahrhundertealten Baumriesen herrschte kohlrabenschwarze Finsternis. Hätte Parker nicht die Führung übernommen, die passionierte Detektivin hätte ihr Ziel vermutlich nie erreicht. Seine Nachtvogelaugen durchdrangen auch die schwärzesten Schatten. Mehrfach machte er seine Herrin auf Baumwurzeln aufmerksam, die in der Dunkelheit gefährliche Stolperfallen darstellten.
In letzter Sekunde bewahrte der Butler die ältere Dame vor einem unfreiwilligen Bad in einem kleinen Seerosenteich. Den Blick stramm geradeaus gerichtet, war Agatha Simpson auf den Tümpel zumarschiert. Sie hatte sich auf die hellen Fenster der Villa konzentriert, ohne die Reflexe der leuchtenden Vierecke auf dem Wasserspiegel vor ihren Füßen zu bemerken.
Trotz dieser kleinen Widrigkeiten erreichte man nach einem weiten Bogen durch den Park unbehelligt die Rückseite des Gebäudes. Die ehemalige Finsbury-Villa lag in der Mitte einer weitläufigen Lichtung. Der hoch am Himmel stehende Halbmond tauchte die Umrisse des Hauses in silbergraues Dämmerlicht, das alle Konturen zerfließen ließ.
Ihrem Baustil nach mußte die Villa in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet worden sein. Nur der flache Anbau an der Rückseite schien neueren Datums. Seine kleinen Fenster waren mit eisernen Gitterstäben gesichert, die schwere Stahltür verschlossen, wie der Butler nach vorsichtigem Druck auf die Klinke feststellte.
»Das sieht ja aus wie ein Gefängnis«, raunte Lady Simpson.
»Ein Eindruck, dem sich auch meine Wenigkeit nicht verschließen kann, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei.
Gelassen zog er sein Spezialbesteck aus der Tasche. Bedächtig wählte er den passenden Dorn und ließ ihn geräuschlos in den schmalen Schlitz des Sicherheitsschlosses gleiten.
Kein Geräusch drang aus dem Innern des Hauses nach draußen. Hinter den quadratischen Gitterfenstern des Anbaus brannte nicht mal Licht.
Ein paar Sekunden leistete der komplizierte Schließmechanismus Widerstand. Doch auf die Dauer war er den Überredungskünsten des Butlers nicht gewachsen. Mit kaum hörbarem Knirschen glitt der Riegel zurück und gab den Weg frei.
»Sie dürfen vorangehen, Mister Parker«, ermunterte Agatha Simpson ihren Butler, der schon seine zierliche Bleistiftlampe aus der linken Außentasche des schwarzen Zweireihers gezogen hatte.
»Unerhört!« entrüstete sich die ältere Dame, als der scharf gebündelte Lichtstrahl die Dunkelheit durchschnitt. »Wirklich unerhört!«
Der Anbau, den das skurrile Paar aus Shepherd’s Market soeben betreten hatte, bestand aus einem einzigen Raum, der entfernt an den Schlafsaal einer Jugendherberge erinnerte. Die Wände waren kahl und schmucklos. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Dutzend primitiver Feldbetten.
Unordentlich zurückgeschlagene Wolldecken, halb volle Limonadenflaschen und Teller mit Essensresten ließen darauf schließen, daß das spartanische Gelaß noch vor wenigen Stunden bewohnt war. Jetzt ließ sich jedoch kein Mensch sehen.
»Eigentlich hatte ich mir einen Harem ganz anders vorgestellt«, bekannte Lady Agatha und ließ ratlos ihre Blicke schweifen.
»Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, meinte auch Parker. »Allerdings dürfte die Annahme naheliegen, daß die entführten jungen Damen in diesem Raum nur provisorisch untergebracht waren.«
»Und wo sind die armen Dinger jetzt?« wollte die Detektivin wissen.
»Darüber dürfte der Besitzer dieses Hauses Auskunft geben können, falls man sich nicht gründlich täuscht«, gab der Butler zur Antwort. »Meine Wenigkeit darf die Vermutung äußern, daß Mylady den fraglichen Herrn aufsuchen und ihm die entsprechenden Fragen zu stellen gedenken?«
»Selbstverständlich, Mister Parker«, verkündete die resolute Dame entschlossen. »Zu diesem Zweck bin ich ja ...«
Agatha Simpson verschluckte den Rest des Satzes, weil Parker beschwörend den Finger an die Lippen legte und im nächsten Moment die Bleistiftlampe ausknipste.
Die Geräusche, die die Aufmerksamkeit des Butlers erregt hatten, kamen von draußen. Sie waren so leise und undeutlich, daß sie von einer Maus oder einem Vogel stammen konnten. Gegen diese Annahme sprach jedoch das leichte Kribbeln, das Parker plötzlich verspürte. Die geheimnisvolle innere Stimme, die ihn schon oft vor lebensgefährlichen Fallen gewarnt hatte, meldete sich zu Wort ...
Als die Türklinke unter kaum hörbarem Knarren niedergedrückt wurde, standen Parker und seine Herrin schon rechts und links des Eingangs, um für einen gebührenden Empfang zu sorgen.
Millimeter für Millimeter wurde die Tür aufgedrückt, bis im bleichen Mondlicht der Kopf eines Mannes sichtbar wurde, der argwöhnisch in den finsteren Raum spähte. Zögernd wagte der Eindringling den ersten Schritt in die Dunkelheit. Der langläufige Revolver in seiner Hand war trotz des schwachen Dämmerlichts nicht zu übersehen.
Der bewaffnete Wächter dagegen sah nichts. Dieser Zustand änderte sich erst, als Lady Agatha mit freudigem Schwung ihren Glücksbringer auf den Nacken des Unbekannten setzte. Mit hingebungsvollem Stöhnen reagierte der Eindringling auf das grelle Feuerwerk bunt glitzernder Sterne, die plötzlich vor seinen Augen tanzten.
Als wollte er das überraschende Schauspiel festhalten, griff der Mann mit den Händen in die Luft und ließ dabei die Waffe achtlos fallen. Röchelnd knickte er in den Knien ein und torkelte auf unsicheren Füßen ein paar Schritte in den finsteren Raum hinein.
Nach einer mißglückten Pirouette ließ er sich ohne weiteren Kommentar auf ein Feldbett fallen. Das leichte Gestell war dieser Belastungsprobe nicht gewachsen und streckte unter häßlichen Geräuschen seine Aluminiumbeine von sich.
Den Unbekannten schien das nicht zu stören. Mit einem erlösten Seufzer kuschelte er sich in die Wolldecken und bettete sein Haupt in einen noch halb gefüllten Pappteller mit Pommes frites und Mayonnaise.
»So wird’s gemacht, Mister Parker«, prahlte die ältere Dame, doch der Butler fand keine Zeit, seiner Herrin das gewünschte Lob zu spenden. Ihm war nicht entgangen, daß der entwaffnete Schütze noch einen Begleiter mitgebracht hatte.
Der Mann war draußen vor der Tür geblieben und versuchte irritiert, die Geräusche zu deuten, die an sein Ohr drangen. Vorsichtshalber wich er ein paar Schritte zurück und suchte hinter einem Mauervorsprung Deckung.
Obwohl der Mann das schwarze Viereck der Türöffnung nicht aus den Augen ließ, übersah er doch, daß Parker in diesem Moment seine Melone vom Kopf nahm und an der Krempe faßte. Als die schwarze Halbkugel in der nächsten Sekunde mit leisem Sirren auf ihn zuglitt, war es zum Ausweichen zu spät. Mit unfehlbarer Sicherheit steuerte der als Frisbee-Scheibe wirkende Flugkörper den Landeplatz an, den Parker ihm zugedacht hatte.
Der vorsichtige Angreifer stieß einen glucksenden Laut aus, als die stahlgefütterte Krempe nachdrücklich über seine Nasenwurzel strich. Vermutlich war es nicht allein der romantische Mondschein, der ihn zu einer Darbietung inspirierte, die nachdrücklich an orientalischen Bauchtanz erinnerte. Die schwere Waffe schien ihn bei den wellenförmigen Verrenkungen zu stören. Sie landete in hohem Bogen in einem Rosenbusch.
Mit der Kondition des Tänzers war es nicht weit her. Schon bald japste er hörbar nach Luft und litt offensichtlich unter Gleichgewichtsstörungen. Taumelnd griff der Mann nach dem erstbesten Halt, der sich bot. Wie ein Ertrinkender, der sich an den sprichwörtlichen Strohhalm klammert, krallte er sich an dem Fallrohr fest, das neben ihm von der Dachrinne zum Boden führte.
Zu seinem Leidwesen erwies sich dieser Halt jedoch als ausgesprochen trügerisch. Das Rohr aus dünnem Zinkblech war ebenso morsch und altersschwach wie die Haken, mit denen es an der Wand befestigt war.
Knirschend gaben die Halterungen nach. Zementstaub und Putzbrocken rieselten herab. Quietschend und scheppernd rutschte das fast zehn Meter lange Rohr aus der Verankerung, löste sich in diverse Einzelteile auf und prasselte auf den Bedauernswerten nieder, der inzwischen auf dem Boden kniete und schützend die Hände über den Kopf hielt.
Stöhnend raffte sich der Unbekannte auf, sobald der Blechschauer verebbt war, doch Sekunden später gab er seine Fluchtgedanken endgültig auf. Das Schicksal ereilte ihn in Gestalt der eigentlichen Dachrinne, die ebenfalls altersschwach war und dem Fallrohr mit ein paar Sekunden Verzögerung in die Tiefe folgte. Um das Maß vollzumachen, setzten sich auch noch einige Dachpfannen in Bewegung und schlugen polternd auf den Boden.
Der in zielloser Panik hin und her torkelnde Mann hatte noch Glück im Unglück. Ein Ziegel sauste haarscharf an seinem Ohr vorbei und ersparte seiner Schädeldecke eine gefährliche Belastungsprobe. Dafür machte das Schlüsselbein des Unbekannten auf recht schmerzhafte Weise mit dem hartgebrannten Lehm Bekanntschaft.
*
»Vorwärts, Mister Parker!« verlangte Lady Agatha. »Ich werde das Haus durchkämmen, bis ich den Besitzer gefunden habe.«
»Die Mühe können Sie sich sparen«, tönte eine dunkle Männerstimme mit fremdländischem Akzent. Im nächsten Moment flammte die Neonbeleuchtung an der Decke des Raumes auf.
In der Tür an der Stirnwand, die als Verbindung zwischen Villa und Anbau diente, stand ein untersetzter, schwarzhaariger Mann, den Parker auf knapp fünfzig Jahre schätzte. Der elegant geschnittene Anzug aus feinstem Tuch, die goldgefaßten Brillengläser und das verbindliche Lächeln auf dem gebräunten Gesicht ließen an einen seriösen Geschäftsmann denken.
Der matt schimmernde Stahl der Pistole und der stechende Blick der wachsamen, schwarzen Augen sprachen jedoch eine andere Sprache.
»Ich habe schon auf Ihren Besuch gewartet«, fuhr der Unbekannte fort und deutete eine Verbeugung an, ohne die Waffe sinken zu lassen. »Mein Name ist übrigens Achmed Abdullah Hadsch Brahim. Darf ich Sie bitten, sich auch vorzustellen?«
»Mylady ist etwas befremdet über die Art, wie Sie Besucher empfangen, Sir«, merkte Parker an, nachdem er den Namen seiner Herrin und seinen eigenen genannt hatte.
»Die Art, wie Sie versucht haben, sich Zugang zu meinem Haus zu verschaffen, ist nicht minder befremdlich«, konterte der Hausherr. »Aber wir sollten unsere Zeit nicht mit fruchtlosen Diskussionen über Umgangsformen verschwenden. Kommen wir lieber zur Sache.«
»Ein Vorschlag, den man nur begrüßen kann, Sir«, stimmte Parker zu. »Darf man sich in aller Bescheidenheit erkundigen, welche Sache Sie zu meinen belieben?«
»Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind, Mister Parker«, brauste Hadsch Brahim auf, und seine Augen funkelten zornig. »Ich spreche von dem dreisten Überfall, den Sie gestern abend auf offener Straße verübten. Die junge Dame, die Sie mit brutaler Gewalt entführt haben, war auf dem Weg zu mir.«
»Habe ich richtig gehört, Mister Parker?« vergewisserte sich Agatha Simpson. »Dieser Lümmel wagt es, in meiner Gegenwart die Wahrheit auf den Kopf zu stellen. Und er wird noch nicht mal rot dabei!«
Hadsch Brahim setzte ein breites Grinsen auf und entblößte dabei eine ansehnliche Galerie goldfunkelnder Beißwerkzeuge.
»Wenn Sie eine andere Version der Wahrheit bevorzugen, Mylady, ist das Ihre Privatsache«, stellte er mit herablassender Geste klar. »Für mich steht eindeutig fest, daß Sie das Mädchen entführt haben.«
»In der Tat kommt man nicht an der Einsicht vorbei, daß Sie im Moment über das Argument mit der durchschlagendsten Überzeugungskraft verfügen, Mister Hadsch Brahim«, räumte Parker mit einem Blick auf die Pistole ein.
»Sehen Sie, Mylady«, feixte der Bewaffnete. »Ihr Butler ist einsichtsvoller als Sie.«
»Dennoch sollte man die Tatsache nicht unerwähnt lassen«, fuhr Parker fort, »daß die fragliche junge Dame vorher von Ihren Helfershelfern entführt wurde, Mister Hadsch Brahim.«
»Erwähnen Sie, was Sie wollen«, wischte der Mann den Einwand unwirsch beiseite. »Mich interessiert nur eines: Wo halten Sie das Mädchen versteckt?«
»Die junge Dame befindet sich inzwischen wieder in der Obhut ihrer Eltern«, teilte Parker durchaus wahrheitsgemäß mit, um dann – etwas weniger wahrheitsgetreu – fortzufahren: »Ein erneuter Entführungsversuch Ihrerseits dürfte aber nur geringe Aussicht auf Erfolg haben, da das Haus von der Polizei überwacht wird.«
»Mich legen Sie nicht so schnell aufs Kreuz, Parker«, entgegnete Hadsch Brahim. »Sie haben die Kleine doch nur in Ihre Gewalt gebracht, um Ihr eigenes Süppchen zu kochen. Sonst wären Sie gleich mit der Polizei hier aufgekreuzt.«
»Papperlapapp! Die Polizei!« fuhr Agatha Simpson mit ihrem baritonal gefärbten Organ dazwischen. »Die schafft es, den Verkehr zu regeln, aber die Verbrecher fange ich.«
»Sie?« fragte der Hausherr spöttisch.
»Einer Detektivin entgeht auch der gerissenste Gangster nicht, Mister Matschbraten«, warf Agatha Simpson sich in die ohnehin voluminöse Brust.
»Sie sind Detektivin?« vergewisserte sich Hadsch Brahim. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen ungläubigem Staunen und belustigtem Grinsen. »Ich hätte eher an ein Marktweib gedacht, das ein paar Kriminalfilme zuviel gesehen hat.«
»Das ist der Gipfel!« empörte sich die ältere Dame. »War das eine Beleidigung, Mister Parker?«
»Möglicherweise sollte man Mister Hadsch Brahim einen gewissen Informationsrückstand zugute halten, Mylady«, versuchte der Butler, seine Herrin zu bremsen. Er wußte aus langjähriger Erfahrung, wie spontan die resolute Dame auf echte und falsche Beleidigungen reagierte.
»Wie auch immer, Mister Parker«, fauchte die Detektivin, »eine Lady Simpson beleidigt man nicht. Da gibt es keine Entschuldigung.«
Wütend machte Lady Agatha den ersten Schritt auf Hadsch Brahim zu, doch schon zerriß ein scharfer Knall die Luft. Dicht vor Myladys Füßen schlug das Projektil eine Kerbe in den Betonboden, schoß jaulend als Querschläger durch den Raum und ließ klirrend eine Fensterscheibe zu Bruch gehen.
Agatha Simpson, die sonst im Angesicht von Feuerwaffen eine bemerkenswerte Unbefangenheit an den Tag legen konnte, wurde blaß. Unschlüssig ließ sie ihren perlenbestickten Pompadour wieder sinken.
»Das war nur eine wohlgemeinte Warnung, Mylady«, ließ Hadsch Brahim sich vernehmen. »Bei der nächsten falschen Bewegung mache ich Ernst. Also: Wo steckt das Mädchen?«
»Möglicherweise darf man höflich daran erinnern, daß Ihre Frage durch meine Wenigkeit bereits beantwortet wurde, Sir«, schaltete Parker sich wieder ein. »Im übrigen sollte der Hinweis gestattet sein, daß Feuerwaffen denkbar ungeeignet sind, eine kultivierte Gesprächsatmosphäre herbeizuführen.«
»Andererseits ist ein Schuß das beste Mittel, um gegensätzliche Positionen zu klären«, gab Hadsch Brahim ungerührt zurück. »Und er weckt sogar hartnäckige Langschläfer.«
In der Tat war der Leibwächter, der bislang teilnahmslos auf dem zusammengebrochenen Feldbett geruht hatte, bei dem Knall erschreckt zusammengefahren. Er hob vorsichtig den Kopf, blickte irritiert ins grelle Neonlicht und wischte sich mit dem Handrücken, Fritten und Mayonnaise aus dem Schwarzhaar.
»Wird’s bald, Hassan?« herrschte Hadsch Brahim seinen Untergebenen an. »Fürs Schlafen wirst du nicht bezahlt, elender Feigling!«
Die Worte wirkten. Hastig raffte Hassan sich auf und suchte in allen Taschen vergeblich nach seiner verschwundenen Waffe. Mühsam hielt er auf wankenden Beinen das Gleichgewicht und wollte sich mit einem unterwürfigen Wortschwall bei seinem Gebieter entschuldigen. Doch dazu ließ Parker ihm keine Zeit mehr.
Dem Butler war das blecherne Scheppern nicht entgangen, das durch die offene Tür hereindrang. Offenbar hatte der Schuß auch Hadsch Brahims zweiten Beschützer aus seinen Träumen gerissen. Es war höchste Zeit zu handeln. Und Parker handelte.
Für Hassan, der immer noch leicht benommen war und dem Butler arglos den Rücken zuwandte, kam der Tritt, den Parker seinem verlängerten Rücken versetzte, völlig überraschend. Er ließ einen verdutzten Aufschrei hören, kippte vornüber und torkelte auf seinen Chef zu, der nur wenige Schritte vor ihm stand.
Hadsch Brahim schien dieser spontane Annäherungsversuch zu mißfallen, doch zum Ausweichen war es schon zu spät. Mit scharfem Knall löste sich ein Schuß und zerfetzte eine der beiden Neonröhren, als Hassan seinem Gebieter in die Arme fiel.
*
Der Hausherr brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um sich auf die veränderte Situation einzustellen. Doch Parker wäre nicht Parker gewesen, hätte er diese winzige Zeitspanne nicht genutzt.
Ehe Hadsch Brahim die Waffe wieder in Anschlag bringen konnte, war der Butler schon heran und tippte mit der bleigefüllten Spitze seines altväterlich gebundenen Regendachs auf das Handgelenk des Mannes.
Jaulend ließ der Hausherr die Waffe fallen. Der Schmerz machte ihn blind und taub. In besinnungsloser Wut trat er nach seinem ungeschickten Leibwächter.
Mit zischendem Laut gab Hassan alle Atemluft von sich, als er die Schuhspitze seines Herrn in der Magengrube spürte. Er röchelte, taumelte rückwärts durch den Raum und richtete noch ein zweites Feldbett zugrunde, als er hintenüber kippte und sich aus dem Geschehen verabschiedete.
Hadsch Brahim dagegen gab nicht so schnell auf. Er bückte sich nach seiner Waffe. Parker, der mit einer Fortsetzung der Unfreundlichkeiten gerechnet hatte, war jedoch auf der Hut.
Ruckartig ließ er seinen schwarzen Universal-Regenschirm vom angewinkelten Unterarm senkrecht in die Höhe steigen. Die schwarz behandschuhte Rechte umfaßte die Spitze, während der gebogene Bambusgriff einen Halbkreis beschrieb.
Der Hausherr antwortete mit dumpfem Brüllen, als der bleigefüllte Bambusgriff auf seine Schädeldecke pochte. Einen Augenblick lang streckte er sich bäuchlings auf dem kalten, harten Boden aus. Doch sein Widerstand war noch nicht gebrochen.
Mit letzter Kraft versuchte der Gangster, sich hochzustemmen. Er wollte den Butler mit bloßen Fäusten angreifen, aber Arme und Beine versagten den Dienst.
Aus blutunterlaufenen Augen starrte Hadsch Brahim den Butler an, während er mit unendlicher Mühe sein Gesicht vom Boden erhob. Der Mund murmelte unhörbare Flüche. Die braune Haut hatte eine gelblich-weiße Farbe angenommen, die lebhaft an die Kreidefelsen von Dover erinnerte. Die Stirn war mit winzigen Schweißperlen übersät.
»Hundesohn!« stieß er zähneknirschend hervor, während sein Kopf haltlos von einer Seite auf die andere pendelte. Anschließend gab er einen Laut von sich, der an eine altersschwache Dampfmaschine erinnerte, und ließ den Kopf vornüber sinken. Entspannt streckte er sich auf dem Boden aus. Der eben noch hektische Atem beruhigte sich zusehends.
In diesem Moment tauchte eine schwankende Gestalt in der Türöffnung auf. Dem entgeisterten Gesicht des Leibwächters war deutlich anzusehen, welche Schwierigkeiten er hatte, sich über die Situation vor seinen Augen klarzuwerden.
Agatha Simpson nahm dem etwas überfordert wirkenden Mann das mühsame Nachdenken ab. Begeistert ließ sie ihren ledernen Beutel kreisen und schickte ihn dem verwirrten Leibwächter entgegen.
Der Mann hatte das Gefühl, ein Pferd hätte ihn getreten, als der Pompadour sich mit klatschendem Laut an seine Brust schmiegte und die Elastizität seiner Rippen testete. Abwegig war dieser Eindruck nicht, wenn man sich an die Herkunft von Myladys eisernem Glücksbringer erinnerte.
Fassungslos glotzte der Mann aus hervorquellenden Augen die resolute Dame an. Er schien unter akuter Atemnot zu leiden, obwohl die offene Tür reichlich frische Nachtluft hereinließ. Ein Zittern durchlief seinen Körper, ehe er jammernd in der Hüfte zusammenklappte wie ein Taschenmesser.
Hustend und würgend probierte der Mann eine Art Kosakentanz. Er schien jedoch nicht ausreichend trainiert zu haben und brach die wenig eindrucksvolle Darbietung schon nach einigen Sekunden ab.
Kaum hatte er es sich zu Füßen der Detektivin auf dem Boden bequem gemacht, ließen auch die würgenden Hustenanfälle nach, die ihn eben noch gequält hatten. Seine Züge entspannten sich. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes, während er friedlich seufzend ins Reich der Träume hinüberglitt.
»Sorgen Sie dafür, daß die Schurken mir unverzüglich für ein Verhör zur Verfügung stehen, Mister Parker«, ordnete die resolute Lady an. »Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
»Dieses Umstandes ist meine bescheidene Wenigkeit sich durchaus bewußt, Mylady«, antwortete der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung. »Man wird sich deshalb intensiv bemühen, Mylady keinesfalls zu enttäuschen.«
»Dreimal ließ Parker Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl zuschnappen. Dann erst zog er das Fläschchen mit Riechsalz aus der Tasche und schraubte den Deckel ab ...
*
»Oh, mein Kopf!« waren Achmed Abdullah Hadsch Brahims erste Worte, als er irritiert die Augen aufschlug und Lady Agatha in der Pose einer zürnenden Walküre über sich sah. Der stechende Geruch der gelblichen Kristalle in Parkers Fläschchen hatte ihn schnell wieder in die schmerzliche Wirklichkeit zurückgeholt.
Gleich darauf schloß der Gangster aus dem Morgenland wieder die Augen und ließ den Kopf an die Wand zurücksinken, gegen die Parker ihn in sitzender Haltung gelehnt hatte. Doch im nächsten Moment schienen die Kopfschmerzen vergessen.
Mit einem verzweifelten Satz wollte Hadsch Brahim vom Boden aufspringen, doch die Handschellen setzten seinem Bemühen ein vorzeitiges Ende. Jammernd ließ er sich wieder zurückfallen.
»Na gut«, preßte der Hausherr mit schmerzverzerrtem Gesicht mühsam hervor. »Sie haben gewonnen. Ich muß zugeben, daß ich Sie unterschätzt habe.«
»Sie sind nicht der erste, der meine Fähigkeiten unterschätzt, Mister Matschbraten«, triumphierte die ältere Dame.
»Was wollen Sie von mir?« fragte der Gangster mißtrauisch.
»Ich werde Sie jetzt verhören, bis Sie ein umfassendes Geständnis ablegen«, kündigte die Detektivin an und maß den am Boden hockenden Gangsterboß mit verächtlichen Blicken.
»Mein Name ist Hadsch Brahim«, wagte er die resolute Dame zu korrigieren, »wobei Brahim der eigentliche Familienname ist und Hadsch ein Ehrentitel, den nur ein Moslem tragen darf, der schon einmal zu den heiligen Stätten von Mekka gepilgert ist.«
»Wie auch immer, Mister Matschbraten«, fuhr Agatha Simpson unbeirrt fort. »Namen sind Schall und Rauch. Mich interessiert nur Ihr Geständnis.«
»Aber was für ein Geständnis denn, Mylady?« spielte der Hausherr den Ahnungslosen. »Achmed Abdullah Hadsch Brahim ist ein durch und durch ehrenwerter Geschäftsmann, der nichts zu gestehen hat.«
»Das wird sich zeigen«, entgegnete die Detektivin kühl. »Mister Parker wird Ihnen jetzt die Fragen stellen, die ich vorbereitet habe. Und wagen Sie es nicht, auch nur einen Millimeter von der Wahrheit abzuweichen. Eine Kriminalistin merkt das sofort.«
»Darf man sich bei Ihnen zunächst nach dem Verbleib von Miß Jane Auckhill erkundigen, Mister Hadsch Brahim?« kam der Butler dem Wunsch seiner Herrin nach.
»Jane Auckhill?« wiederholte sein Gegenüber. »Ich kenne niemanden, der so heißt.«
»Kaum macht der Schurke den Mund auf, kommt schon eine Lüge heraus!« empörte sich Agatha Simpson. Und sie ließ es nicht bei Worten bewenden.
Hadsch Brahim jaulte wie ein Hund, der mit dem Schwanz in eine Drehtür geraten ist, als Mylady ihn eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen kosten ließ. Das luxuriöse Brillengestell flog an die Wand. Tränen traten in die Augen des Mannes, während Myladys gespreizte Finger sich auf seiner Wange abzuzeichnen begannen.
»Das war nur eine Kostprobe, Mister Matschbraten«, herrschte Agatha Simpson den Hausherrn an. »Sollten Sie noch mal die Dreistigkeit aufbringen, mir ins Gesicht zu lügen, müßte ich eine deutlichere Sprache sprechen.«
»Nur nicht«, rief Hadsch Brahim entsetzt aus. »Das war deutlich genug. Mit dem Namen Jane Auckhill kann ich aber wirklich nichts anfangen.«
»Bei Miß Auckhill handelt es sich um die junge Dame, die heute abend aus der Diskothek ›Flashlight‹ entführt und vor etwa einer Stunde von zwei Männern in einem dunkelgrünen Volvo zu Ihnen gebracht wurde, Mister Hadsch Brahim«, wurde der Butler deutlicher.
»Ach, die meinen Sie!« nickte der Gangster. »Sie ist nicht hier.«
»Er lügt schon wieder«, stellte Lady Agatha fest und versetzte genüßlich ihren Pompadour in Schwingung.
»Nein!« schrie Hadsch Brahim und wollte schützend die Hände über den Kopf heben, was ihm aber wegen der Handschellen nicht recht gelang.
»Möglicherweise darf man um Auskunft darüber bitten, wohin Miß Auckhill gebracht wurde, wenn sie wirklich nicht mehr hier ist, Mister Hadsch Brahim«, blieb Parker am Ball.
»Ich habe die Burschen mit dem Mädchen wieder weggeschickt«, behauptete der Gangster. »Ich ahnte ja, daß Sie mir auf der Spur waren. Deshalb war es mir zu heiß, die Kleine hier im Haus zu behalten.«
»Ich glaube dem Schuft natürlich kein Wort, Mister Parker«, fuhr Lady Simpson mit ihrem sonoren Organ dazwischen und ließ demonstrativ ihren Pompadour wippen.
»Darf man Sie darauf aufmerksam machen, daß ein Zipfel von Miß Auckhills Kleid unter der Kofferraumhaube des genannten Fahrzeugs eingeklemmt war, als die Entführer bei Ihnen vorfuhren, Mister Hadsch Brahim«, setzte der Butler das Verhör fort. »Als die Herren wieder davonfuhren, war das verräterische Läppchen verschwunden, sofern der Hinweis gestattet ist.«
»Ich weiß«, bestätigte Hadsch Brahim resigniert. »Ich selbst habe die Trottel darauf aufmerksam gemacht.«
»Eine plausibel klingende Behauptung, deren Wahrheitsgehalt man zu einem späteren Zeitpunkt eingehend überprüfen sollte, Mister Hadsch Brahim«, merkte Parker an. »Falls man sich nicht täuscht, sind Sie aber bisher eine konkrete Antwort auf die Frage nach Miß Auckhills Verbleib schuldig geblieben.«
»Ich habe den Burschen gesagt, sie sollen das Mädchen zu ihrem Chef zurückbringen«, gab Hadsch Brahim zur Antwort.
»Darf man vermuten, daß Sie den Inhaber der Diskothek ›Flashlight‹ zu meinen belieben?«
»Wen sonst? Soll Marbert doch selbst die Suppe auslöffeln, die seine unfähigen Leute ihm eingebrockt haben.«
»Man darf aber als gesichert ansehen, daß Sie den Auftrag zur Entführung der jungen Dame gaben, Mister Hadsch Brahim?«
»Nicht direkt«, wich Parkers Gegenüber aus.
»Eine Antwort, die Mylady fraglos nicht zufriedenstellen wird, Mister Hadsch Brahim.«
»Weitere Auskünfte kann ich Ihnen beim besten Willen nicht geben, Parker«, wand sich der Gangster. »Ich würde mein eigenes Leben aufs Spiel setzen.«
»Das ist ohnehin keinen Pfifferling mehr wert, Mister Matschbraten«, schaltete Mylady sich wieder ein. Ruckartig zog die resolute Dame eine der martialischen Hutnadeln, die das Format von Grillspießen besaßen, aus dem abenteuerlichen Filzgebilde auf ihrem Kopf. Drohend fuchtelte sie mit der nadelscharfen Spitze vor Hadsch Brahims Nase herum.
»Nein, nein!« rief der Gangster weinerlich. »Ich habe Frauen und Kinder daheim im Scheichtum. Denken Sie an das Schicksal der armen Waisen.«
»So, so«, entgegnete die Detektivin süffisant. »Eine Familie haben Sie auch?«
»Fünf Frauen?« entrüstete sich die konservative Lady. »Das ist an sich schon ein Ausbund von Unzucht. Und dann wollten Sie noch dieses arme Mädchen ...?«
»Nein«, wehrte Hadsch Brahim heftig ab. »Die Kleine war doch nicht für mich bestimmt.«
»Ich werde doch andere Saiten aufziehen müssen, Mister Parker«, sagte Lady Agatha. »Sehen Sie mir genau zu, damit Sie endlich lernen, wie man das macht.«
Hadsch Brahim atmete erleichtert auf, als Mylady die Hutnadeln an ihren Platz zurücksteckte, doch er hatte sich zu früh gefreut. Beherzt faßte die resolute Dame den am Boden hockenden Gangster bei den Ohren und begann an den fleischigen Hörorganen zu drehen, als hätte sie die Knöpfe eines Radios in der Hand.
Der Hausherr jammerte und wand sich, aber aus dem Griff der Lady gab es kein Entrinnen.
»Wird’s bald, Mister Matschbraten?« herrschte sie den Mann an und stellte sich mit ihren rustikalen Schnürschuhen auf seine Füße, was weitere Jaultöne auslöste. »Was hatten Sie mit der armen Jane vor?«
»Ich ... ich wollte sie aufs Schiff bringen«, stieß der Gangster eilig hervor, sobald Mylady seine Lauschtrichter wieder freigegeben hatte.
»Darf man gegebenenfalls um nähere Auskunft darüber bitten, welches Schiff Sie zu meinen geruhen, Mister Hadsch Brahim?« nahm Parker wieder die Fäden in die Hand.
Der Orientale zögerte eine Sekunde. Man spürte deutlich, wie er sich zu einer Antwort durchringen mußte.
»Das Schiff heißt Fatimah«, gab er schließlich Auskunft. »Es ist die Privatyacht unseres verehrten Herrschers, Scheich Abdul XXIII, die seit ein paar Tagen hier in London vor Anker liegt.«
»Demnach kann und muß man wohl davon ausgehen, daß der genannte Herrscher den Befehl gab, Miß Auckhill zu entführen?« hakte der Butler nach.
»So ist es, Mister Parker«, bestätigte Hadsch Brahim. »Als gehorsamer Untertan hatte ich natürlich keine Wahl: Die Wünsche meines höchsten Gebieters sind für mich Gesetz.«
»Dennoch dürfte Ihnen bekannt sein, Mister Hadsch Brahim, daß derartige Wünsche in eklatanter Weise gegen die Gesetze Großbritanniens verstoßen«, merkte Parker an, und sein Gegenüber nickte schuldbewußt.
»Ich werde mir das Ganze eine Lehre sein lassen«, zeigte der Hausherr sich reumütig. »Nie wieder wird Achmed Abdullah Hadsch Brahim sich für ungesetzliche Handlungen zur Verfügung stellen.«
»Ein Vorsatz, den man nur mit Beifall aufnehmen kann«, äußerte der Butler. »Allerdings dürften Sie in nächster Zeit kaum Gelegenheit finden, sich auf ungesetzliche Weise zu betätigen, falls die Anmerkung gestattet ist, Mister Hadsch Brahim.«
»Ich hoffe, man wird mir diesen einmaligen Fehltritt verzeihen, Mister Parker.«
»Bedauerlicherweise sieht man aber Grund zu der Annahme, daß der erwähnte Fehltritt keineswegs so einmalig war, wie Sie es nun darzustellen versuchen, Mister Hadsch Brahim«, entgegnete Parker ungerührt.
»Warum?« fragte der Orientale mit der Miene eines Unschuldslammes. »Was wollen Sie mir denn noch vorwerfen?«
»Mylady wäre Ihnen mit Sicherheit sehr verbunden, wenn Sie sich bereitfänden, auch über den Verbleib der anderen zwölf Mädchen Auskunft zu geben«, antwortete der Butler.
»Die anderen zwölf?« Hadsch Bra-Him wollte sich ahnungslos geben, aber das nervöse Zucken um die Mundwinkel verriet ihn.
»Falls man sich nicht täuscht, diente dieser Raum bis vor wenigen Stunden als Unterkunft für eine größere Zahl unfreiwilliger Gäste, Mister Hadsch Brahim«, wurde Parker deutlicher. »Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß es sich dabei um zwölf junge Damen handelte, die in den Polizeiakten als vermißt geführt werden.«
Der Hausherr ließ ein Lachen hören, das belustigt klingen sollte, aber nicht sehr überzeugend wirkte.
»Da hat Ihnen Ihre Phantasie aber einen Streich gespielt, Mister Parker«, versicherte er mit Nachdruck. »Der Raum dient als Unterkunft für Hausdiener und Gärtner. Junge Damen waren noch nie hier untergebracht.«
»Ertappt«, fuhr Mylady dazwischen. »Der Schurke lügt schon wieder. Das kommt davon, weil Sie so nachsichtig sind, Mister Parker.«
Grimmig setzte die resolute Lady ihren Pompadour in Schwingung und trat näher an Hadsch Brahim heran. Erschrocken drückte sich der Gangster an die Wand, als der perlenbestickte Beutel an seinem Gesicht vorbeizischte.
»Hilfe!« schrie er. »Nein!«
Doch der Pompadour ging schon in die nächste Runde. Diesmal führte die Kreisbahn nur wenige Millimeter an Hadsch Brahims Nasenspitze vorbei. Der Luftzug ließ die Haare des Gangsters flattern.
»Helfen Sie mir doch, Mister Parker!« schrie der Mann in höchster Not. Doch damit spornte er die Detektivin nur an.
»Ihr Wimmern können Sie sich sparen, Mister Matschbraten«, fuhr sie den völlig verschüchterten Mann an. »Mister Parker denkt ganz in meinem Sinn.«
»Eine Feststellung, die man mit allem Nachdruck unterstreichen kann«, bestätigte der Butler mit leichter Verbeugung.
»Sie werden sich schon bequemen müssen, mir die volle Wahrheit zu beichten«, fuhr die ältere Dame mit triumphierendem Lächeln fort. »Oder ...«
»Nein!« kreischte Hadsch Brahim mit überschnappender Stimme. »Ich gestehe alles, was Sie wollen.«
»Das hört sich schon besser an«, stellte Agatha Simpson befriedigt fest und ließ ihren perlenbestickten Pompadour sinken. »Mister Parker, Sie dürfen das Verhör fortsetzen.«
»Man dankt in aller Form für diesen außerordentlichen Vertrauensbeweis, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. »Man wird sich aufs Intensivste bemühen, Myladys Wünschen gerecht zu werden.«
»Darf man vermuten, daß Sie inzwischen bereit sind, Näheres über das Schicksal der erwähnten jungen Damen mitzuteilen, Mister Hadsch Brahim?« setzte der Butler die Befragung fort.
»Die Mädchen waren wirklich für kurze Zeit hier untergebracht«, gestand der Hausherr, dem noch immer der Angstschweiß auf der Stirn stand.
»Kann und muß man von der Annahme ausgehen, daß alle Entführungen von Ihrem Herrscher angeordnet wurden?« bohrte Parker weiter. »Wenn man Miß Blooming und Miß Auckhill mitrechnet, dürfte es sich um insgesamt vierzehn Fälle handeln, sofern man sich nicht gründlich irrt.«
»Dreizehn sollten es sein«, bekannte der Orientale. »So lautete der Befehl, dem ich gehorchte.«
»Möglicherweise sehen Sie sich auch in der Lage, Auskunft darüber zu geben, was mit den entführten jungen Damen geschehen sollte, Mister Hadsch Brahim?«
»Scheich Abdul XXIII. feiert nächsten Monat seinen 50. Geburtstag«, gab sein Gegenüber Auskunft. »Die Mädchen waren als Geschenk gedacht.«
»Das ist doch schon wieder eine faustdicke Lüge«, empörte sich Agatha Simpson. »Was soll denn ein Mann mit dreizehn Mädchen?«
»Nein, nein«, korrigierte Hadsch Brahim mit ängstlichem Seitenblick auf die Detektivin. »Umgekehrt: Scheich Abdul wollte die Mädchen an seinem Geburtstag den dreizehn Ministern seines Kabinetts zum Geschenk machen.«
»So?« meinte Mylady mit zweifelndem Gesichtsausdruck. »Was halte ich von dieser Behauptung, Mister Parker?«
»Die Klärung dieses Sachverhalts sollte man möglicherweise auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, falls meine Wenigkeit einen solchen Vorschlag unterbreiten darf«, antwortete der Butler. »Myladys vordringliches Interesse dürfte der Frage gelten, wo sich die schon mehrfach erwähnten jungen Damen zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden.«
»Diesen Aspekt wollte ich natürlich auch gerade ansprechen, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson eilig. »Schließlich habe ich nicht nur die Pflicht, die Verbrecher zu fangen und zu überführen, sondern auch ihre bedauernswerten Opfer zu befreien.«
»Nach dem Überfall auf Marberts Leute gestern abend mußte ich mit einer Durchsuchung und unbequemen Fragen rechnen«, erläuterte Hadsch Brahim. »Deshalb habe ich die Mädchen zu einem Freund bringen lassen. Dort sind sie sicher untergebracht, bis morgen abend das Schiff ausläuft.«
»Sie werden hoffentlich verstehen, Mister Hadsch Brahim, daß Mylady interessiert ist, Namen und Anschrift dieses Freundes zu erfahren«, meldete Parker sich wieder zu Wort.
»Er ist Geschäftsmann wie ich und heißt Omar Ben Abbas«, behauptete Hadsch Brahim. »Das Haus, in dem er wohnt, liegt an der Tedworth Street in Chelsea.«
»Warum nicht gleich so, Mister Matschbraten?« spottete Mylady. »Sie hätten mir viel Zeit und sich selbst einige Unannehmlichkeiten ersparen können, wenn Sie gleich mit der Wahrheit herausgerückt wären.«
»Und was geschieht jetzt mit mir?« wollte Hadsch Brahim wissen.
»Gegebenenfalls haben Mylady daran gedacht, dem Herrn eines der Gastzimmer in Shepherd’s Market zur Verfügung zu stellen, bis die Ermittlungen endgültig abgeschlossen sind«, schlug Parker vor, als er das Zögern seiner Herrin bemerkte.
»Richtig, Mister Parker«, nickte die ältere Dame. »Ich werde Mister Matschbraten die Ehre meiner Gastfreundschaft erweisen.«
Hadsch Brahims Miene hellte sich auf. »Gastzimmer«, hörte sich vielversprechend an. In der Tat verfügten die Zimmer im Souterrain des Hauses in Shepherd‘s Market über allen erdenklichen Komfort. Nur Fenster gab es keine. Und die stählernen Feuerschutztüren waren mit komplizierten Schlössern gesichert.
Mit festem Griff half Parker dem in seiner Bewegungsfreiheit eingeengten Gangsterboß vom Boden auf. Seine Spießgesellen, die nicht in den Genuß des Riechsalzes gekommen waren, schlummerten immer noch friedlich. Sie konnten hier Zurückbleiben, bis die Polizei sich ihrer annahm.
»Einen Moment noch, Mister Parker«, bremste die Detektivin, als Parker mit Hadsch Brahim schon die Tür ansteuerte. »Dieses anstrengende Verhör hat meinen sensiblen Kreislauf ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Vielleicht kann Mister Matschbraten mir vor der Abfahrt noch eine kleine Stärkung reichen.«
»Eine Stärkung?« erkundigte sich der Hausherr irritiert. »Sie meinen – ein Medikament?«
»Ich bin doch nicht krank«, entrüstete sich Lady Simpson. »Mein Kreislauf ist nur etwas sensibel und benötigt eine Aufmunterung.«
»Mylady bevorzugt alkoholische Getränke edelster Provenienz, um den Kreislauf zu therapieren, Mister Hadsch Brahim«, setzte Parker den Hausherrn diskret im Flüsterton ins Bild.
»Ach so«, nickte der Orientale. »Nur kann ich damit leider nicht dienen. Sie wissen vielleicht, daß der Prophet allen Moslems streng verboten hat, Wein zu trinken. Im Wein steckt der Teufel, wie wir sagen.«
»Wie auch immer, Mister Matschbraten«, fegte Agatha Simpson den Einwand souverän beiseite. »Ihr Prophet hat von Wein gesprochen. Über Kognak hat er nichts gesagt.«
Hadsch Brahim grinste. Parkers Miene blieb dagegen glatt und ausdruckslos. Er fragte sich lediglich, wann und wo Mylady ihre Koran-Kenntnisse erworben hatte.
*
Um möglichen Komplikationen vorzubeugen, hatte der Butler Myladys Gefangenen eine entspannende Schlaftherapie verordnet, ehe er sich an das Steuerrad seines hochbeinigen Monstrums setzte. Hadsch Brahim hatte zwar instinktiv den Kopf weggedreht, als Parker ihm das Sprühfläschchen unter die Nase hielt, der zarte Nebel hatte aber dennoch seine Atemwege erreicht und war sekundenschnell über die Blutbahn bis zum Gehirn vorgedrungen.
Jetzt hatte der Gangster aus dem Morgenland sich so behaglich in den Beifahrersitz gekuschelt, wie die Handschellen dies zuließen. Ein glückliches Lächeln umspielte seine Züge. In seinen Träumen schien Lady Agatha nicht mehr zu existieren.
»Sie werden die Angaben dieses Schurken natürlich eingehend überprüfen müssen, Mister Parker«, sagte Mylady, während das schwarze, eckige Gefährt aus der Einfahrt der ehemaligen Finsbury-Villa rollte und Fahrt aufnahm. »Das ist eine Aufgabe, an der Sie sich bewähren können. Ich kann mich mit derartigen Kleinigkeiten nicht aufhalten.«
»Dieser Umstand ist meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus geläufig, falls die Anmerkung gestattet ist«, gab der Butler zurück. »Darf man Myladys Äußerungen entnehmen, daß Mylady an Mister Hadsch Brahims Darstellung Zweifel hegen?«
»Zweifel?« wiederholte Agatha Simpson. »Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, daß der Lümmel immer noch lügt wie gedruckt.«
»Was Mister Hadsch Brahims Auftraggeber und den Auftrag selbst angeht, wäre man durchaus geneigt, den Aussagen des Herrn Glauben zu schenken«, meinte Parker. »Dagegen dürfte der angebliche Aufenthaltsort der zwölf entführten jungen Damen und der genannte Auslauftermin des Schiffes einer Überprüfung wert sein, falls der Hinweis erlaubt ist, Mylady.«
»Die Adresse des Freundes ist mit Sicherheit falsch«, nickte die Detektivin. »Das haben Sie richtig erkannt, Mister Parker. Aber warum sollte der Mann behaupten, das Schiff läuft übermorgen aus, wenn das gar nicht stimmt?«
»Wie Mylady sich fraglos erinnern werden, sprach Mister Hadsch Brahim von morgen abend, nicht von übermorgen abend«, korrigierte der Butler vorsichtig.
»Wie auch immer, Mister Parker«, antwortete die ältere Dame irritiert. »Was macht das schon für einen Unterschied?«
»Falls man Mister Hadsch Brahims Aussagen im übrigen Glauben schenken darf, sollen die jungen Damen mit dem erwähnten Schiff außer Landes gebracht werden«, gab Parker zu bedenken.
»Das werde ich natürlich verhindern«, trumpfte Agatha Simpson auf. »Nicht umsonst gelte ich als bedeutende Detektivin meines Jahrhunderts.«
»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als diese Feststellung anzuzweifeln, Mylady«, versicherte Parker in seiner höflichen Art. »Unabdingbare Voraussetzung dürfte jedoch sein, daß Mylady rechtzeitig zur Stelle sind, um die jungen Damen zu befreien.«
»Natürlich werde ich rechtzeitig kommen, gleich, ob das Schiff morgen oder übermorgen abend ausläuft. Bis dahin ist noch viel Zeit. Ich kann meditieren und meinen Kreislauf pflegen ...«
»Fraglos haben Mylady die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß das Schiff auch schon heute nacht auslaufen könnte«, wandte Parker auf diplomatische Weise ein.
»Heute nacht?« wiederholte die Detektivin entgeistert.
»Die Herren Entführer dürften ausreichend gewarnt sein, um an einen beschleunigten Abschluß ihres Vorhabens zu denken«, meinte der Butler, während er in das stille Viertel einbog, in dem Myladys repräsentatives Anwesen lag. »Vermutlich dürfte der Kapitän der ›Fatimah‹ lieber mit zwölf Mädchen an Bord auslaufen als gar nicht.«
»Auf diese Möglichkeit wollte ich Sie im Moment hinweisen, Mister Parker«, erwiderte die ältere Dame unbekümmert. »Ich werde also unverzüglich zum nächsten Einsatz starten, sobald mein Kreislauf ausreichend gestärkt ist.«
»Wie Maylady wünschen«, ließ Parker sich vernehmen. Inzwischen hatte man den Vorplatz des Hauses erreicht. Beflissen öffnete der Butler den Wagenschlag und half seiner Herrin beim Aussteigen.
Als Parker in den Flur trat, fiel sein erster Blick auf den Zettel, den jemand unter der Tür durchgeschoben hatte.
»Bitte dringend um Anruf«, stand darauf. Unterzeichnet war der knappe Satz mit den Initialen M.R.
Mike Rander mußte sich allerdings noch ein paar Minuten gedulden, bis in seiner Wohnung das Telefon läutete.
Weisungsgemäß brachte Parker seiner Herrin die gewünschten Stärkungsmittel ins Obergeschoß, bevor er sich den friedlich schlummernden Hadsch Brahim auf die Schulter lud und in einem der Gästezimmer sicher verwahrte.
Erst dann lenkte er seine Schritte in die Diele und griff zum Hörer.
*
Mike Rander schien neben dem Telefon gewartet zu haben. Schon nach dem ersten Klingeln wurde der Hörer abgenommen.
»Gut, daß Sie anrufen, Parker«, war die Stimme des Anwalts zu hören. »Jane ist entführt!«
»Dieser beklagenswerte Umstand ist meiner Wenigkeit durchaus bekannt, falls der Hinweis erlaubt ist, Sir.«
»Wir haben ein paar Minuten zu lange gezögert, Parker. Als Kathy und ich zum Geschäftsführer der Diskothek vordrangen, war das Mädchen schon nicht mehr im Haus.«
»Inzwischen dürfte Miß Auckhill jedoch wieder an den genannten Ort zurückgekehrt sein, falls man sich nicht gründlich täuscht, Sir.«
»Sind Sie sicher, Parker?«
»Zumindest dürfte die Annahme einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit beanspruchen, Sir«, meinte der Butler. Anschließend setzte er den Anwalt über den Besuch bei Achmed Abdullah Hadsch Brahim ins Bild.
»Hätte ich doch nur nicht den blödsinnigen Vorschlag gemacht, Jane als Lockvogel einzusetzen«, machte Rander sich selbst Vorwürfe. »Wir müssen sofort aufbrechen, um das Mädchen zu befreien.«
»Diesen Vorschlag wollte meine Wenigkeit auch soeben unterbreiten, Sir«, sagte Parker.
»Holen Sie mich ab, Parker?« fragte der Anwalt. »Ich warte vor meiner Kanzlei auf Sie.«
Als Parker kurz darauf an der nahegelegenen Curzon Street eintraf, stand nicht nur der Anwalt am Straßenrand, sondern auch Kathy Porter. Beide machten recht betretene Gesichter.
»Hoffentlich ist es nicht schon zu spät«, meinte die junge Dame. »Wenn ich daran denke, daß wir Janes Eltern unser Wort gegeben haben, daß dem Mädchen nichts passiert.«
»Man wird nichts unversucht lassen, Miß Porter, um Miß Auckhill aus den Händen der Gangster zu befreien«, versuchte der Butler die junge Dame zu beruhigen.
»Kann ich nicht mitfahren?« bat Kathy Porter. »Wenn ich hier untätig herumsitze und warte, werde ich noch verrückt.«
»Eine Entwicklung, die es zweifellos zu verhindern gilt, Miß Porter«, zeigte Parker Verständnis für ihr Anliegen. »Dennoch würde man es unter den obwaltenden Umständen begrüßen, wenn Sie sich bereitfinden könnten, eine andere Aufgabe zu übernehmen.«
»Welche denn, Mister Parker?«
»Unmittelbar nach der hoffentlich erfolgreichen Befreiung von Miß Auckhill plant Mylady, Mister Omar Ben Abbas ihre Aufwartung zu machen«, gab der Butler Auskunft.
»Das ist der Bursche, bei dem angeblich die anderen zwölf Mädchen untergebracht sind?« vergewisserte sich die junge Dame.
»So ist es, Miß Porter«, bestätigte Parker.
»Und das soll noch in dieser Nacht ablaufen?«
»Gewisse Anzeichen scheinen darauf hinzudeuten, daß das Schiff mit den jungen Damen an Bord vorzeitig auslaufen könnte, Miß Porter.«
»Dann ist wirklich Eile geboten«, meinte die attraktive Kathy. »Und was macht Lady Simpson im Moment, Mister Parker?«
»Mylady widmet sich der Pflege ihres Kreislaufs«, ließ der Butler verlauten.
»Und Sie befürchten, daß Mylady diese Pflege so gründlich betreiben könnte, daß sie im entscheidenden Moment nicht einsatzbereit ist, Mister Parker?«
»So könnte man die Bedenken, die meine Wenigkeit hegt, in der Tat umschreiben, Miß Porter.«
»Also soll ich Mylady wecken?«
»Wer anders als du könnte diese heikle Aufgabe übernehmen?« warf Rander spöttisch ein.
»Immer ich«, maulte Kathy Porter. »Bin ich denn Myladys Babysitter?«
»Du siehst das einfach zu eng, Kathy«, hielt der Anwalt entgegen. »Die Aufgabe erfordert eben ein Maß an Fingerspitzengefühl, das Männer nicht aufbringen.«
»Ich geh’ ja schon«, schickte Myladys Gesellschafterin sich ins Unvermeidliche und steuerte ihren Mini-Cooper an, der ein paar Schritte weiter am Straßenrand parkte.
*
»Schon geschlossen«, bemerkte Rander, als der Butler wenig später sein hochbeiniges Monstrum an der Diskothek »Flashlight« vorbeirollen ließ. Die Leuchtreklame über dem Eingang war verloschen. Das Gebäude machte einen verlassenen Eindruck.
Hinter der nächsten Straßenecke stellte Parker sein altertümliches Gefährt ab. Niemand begegnete den Männern, als sie sich zu Fuß der Hofeinfahrt näherten. Randers Armbanduhr zeigte inzwischen kurz nach zwei.
Schon von der Straße aus war zu erkennen, daß im rückwärtigen Teil des Hauses noch Licht brannte.
»Am besten würden wir wohl von der Hofseite her eindringen, Parker«, schlug Rander vor. »Dort gibt es einen Nebeneingang, durch den man direkt zu Marberts Büro und zu seiner Wohnung gelangt.«
»Auch meine bescheidene Wenigkeit würde den Weg über den Hof vorziehen, falls die Anmerkung erlaubt ist, Sir«, willigte Parker ein. »Allerdings sollte man unbedingt damit rechnen, daß Mister Marbert Wachposten aufgestellt hat.«
Der Hof selbst war von der Straße aus nicht einzusehen. Auf leisen Sohlen pirschten Rander und Parker durch die Toreinfahrt und spähten um die Ecke.
Die gepflasterte Fläche war unbeleuchtet. Im schwachen Lichtschein, der aus zwei beleuchteten Fenstern fiel, waren zwei parkende Autos zu erkennen.
»Doch keine Wache an der Tür«, flüsterte Rander und wollte schon weitergehen, aber der Butler hielt ihn am Arm zurück.
Wortlos deutete Parker auf einen der beiden Wagen, einen schwarzen Daimler. Sekunden später sah auch der Anwalt, wie in dem Fahrzeug ein rotes Fünkchen aufglomm und wieder verlosch.
Die Männer brauchten keine Worte, um sich zu verständigen. Parker bückte sich, hob einen Kieselstein vom Boden, drückte ihn Rander in die Hand und zeigte auf die Batterie von Mülltonnen an der gegenüberliegenden Hofseite.
Der Anwalt nickte und sah dem Butler nach, wie er lautlos von Mauervorsprung zu Mauervorsprung auf den Daimler zuglitt. Die Insassen saugten derweil ahnungslos an ihren Zigaretten. Selbst wenn sie in Parkers Richtung geblickt hätten, wären sie nicht aufmerksam geworden. Tiefe Schlagschatten verschluckten die schwarzgekleidete Gestalt des Butlers.
Bis auf wenige Schritte hatte Parker sich dem Wagen genähert, als Rander den kleinen Stein schleuderte. Klappernd hüpfte der Kiesel über die Deckel mehrerer Tonnen, ehe er mit leisem Klicken auf den gepflasterten Boden fiel und liegenblieb.
Das Geräusch war den Männern nicht entgangen. Angestrengt blickten sie zu den Mülltonnen hinüber, drückten ihre Zigaretten aus und entsicherten die Automatikwaffen, die auf ihren Knien lagen.
Parker hatte inzwischen ein kleines Kunststoffröhrchen aus der Tasche gezogen, das auf den ersten Blick an einen Kugelschreiber erinnerte. Mit zwei schnellen Schritten war der Butler neben dem Auto, verdrehte die beiden Hälften des Röhrchens gegeneinander und ließ seinen Gruß an die Wachmannschaft durch das halbgeöffnete Seitenfenster in den Wagen fallen.
Lautlos und unbemerkt, wie er gekommen war, tauchte Parker wieder im Schatten unter.
Währenddessen verteilte sich die glasklare Flüssigkeit aus dem Röhrchen auf dem Wagenboden und bildete eine kleine Pfütze, die schon im nächsten Augenblick eine außerordentlich heftige Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft einging.
Dem unterdrückten Husten und Keuchen war zu entnehmen, daß der feine Nebel sich schon im Innenraum verteilt hatte. Ein Insasse versuchte mit letzter Kraft die Tür aufzustoßen und ins Freie zu gelangen, doch mitten in seinen Bemühungen verließen ihn die Kräfte.
Als Parker und Rander näher traten, waren die Männer schon ins Reich der Träume hinübergeglitten. Selig lächelnd lagen sie in den Polstern und atmeten friedlich.
Kurz entschlossen zogen der Butler und der Anwalt die schlummernden Wächter aus dem Wagen und wiesen ihnen Plätze in zwei fast leeren Mülltonnen an. Die Deckel sicherte Parker mit zähem Paketklebeband, von dem er stets eine Rolle bei sich führte.
Auch die Waffen verschwanden in einer Tonne, bevor Parker und Rander sich dem Gebäude zuwandten.
*
»Da oben liegt Marberts Privatwohnung«, erläuterte der Anwalt im Flüsterton und deutete auf das helle Fenster im zweiten Obergeschoß. »Das erleuchtete Fenster im Hochparterre muß zu seinem Büro gehören.«
»Möglicherweise sollte man versuchen, zunächst einen Blick durch das Bürofenster zu werfen, ehe man zu Mister Marbert vordringt, Sir«, schlug der Butler vor, und Rander nickte.
Parker erklomm die Sprossen einer Feuerleiter, die dicht am Bürofenster vorbeiführte. Eine Hand an der Leiter, neigte er sich langsam zum Fenster hinüber.
Der Mann am Schreibtisch, der dem Butler den Rücken zukehrte, mußte Disko-Chef Fred Marbert sein. Aber er war nicht allein. Der Besucher, mit dem er sich angeregt unterhielt, war in einen arabischen Burnus gekleidet. Ein dichter, schwarzer Vollbart und kleine, listig blinkende Augen prägten sein dunkelhäutiges Gesicht.
Bedächtig griff Parker in die linke Außentasche seines schwarzen Covercoats und zog ein Stethoskop heraus, wie Ärzte es zum Abhören ihrer Patienten verwenden. Vorsichtig drückte er die Gummimuschel mit dem hochempfindlichen Mikrofon gegen die Fensterscheibe, bis sie sich an der glatten Fläche festsaugte. Immer noch auf der Leiter stehend, steckte er sich die Hörer in die Ohren und lauschte auf die Stimmen, die nun klar und deutlich zu vernehmen waren.
»Hadsch Brahim hat dafür gesorgt, daß die ›Fatimah‹ vorzeitig ausläuft«, hörte Parker einen der Männer sagen. Dem fremdländischen Akzent nach mußte es sich um Marberts Besucher handeln.
»Ist auch vernünftig«, stimmte der Diskotheken-Inhaber zu. »Dieses verrückte Gespann in dem altertümlichen Taxi scheint wirklich unberechenbar zu sein.«
»Im Morgengrauen soll das Schiff auslaufen«, fuhr der Orientale fort. »Deshalb muß ich das Mädchen, das Hadsch Brahim Ihnen zurückgeschickt hat, sofort mitnehmen. Scheich Abduls Zorn würde uns alle treffen und vernichten, wenn er nur zwölf Mädchen erhielte statt dreizehn.«
»Jammerschade«, murrte Marbert. »Zu gern hätte ich mich mit der Kleinen etwas näher befaßt. Sie wartet schon ungeduldig in meinem Schlafzimmer. Aber Geschäft ist Geschäft.«
»Allerdings«, bekräftigte der Besucher. »Und ein derart lukratives Geschäft fällt Ihnen nicht alle Tage in den Schoß.«
»Entsprechend ist aber auch das Risiko«, wandte Marbert ein. »Übrigens: Wie steht es mit der Bezahlung für Nummer dreizehn?«
»Die Ware ist draußen im Wagen«, teilte der Besucher mit. »Sobald das Mädchen im Kofferraum liegt, gehören die fünfzig Kilo Ihnen.
»Die Kleine wiegt aber mindestens fünfundfünfzig«, konterte Marbert.
»Ganz so wörtlich war das mit dem Aufwiegen doch nicht gemeint, Mister Marbert«, war wieder die Stimme des orientalischen Besuchers zu hören. »Dafür handelt es sich um erstklassige Qualität, die Sie zu einem attraktiven Preis losschlagen können.«
»Die bisherigen Lieferungen waren einwandfrei«, bestätigte Marbert. »Ich habe schon fast alles abgesetzt.«
»Also – worauf warten Sie noch?« drängte der Besucher. »Meine Zeit ist knapp bemessen.«
»Ich werde das Chloroform mit nach oben nehmen«, meinte Marbert und erhob sich. »Dann zappelt die Kleine nicht so beim Verladen. Wollen Sie nicht mitkommen und helfen, das Mädchen die Treppe herunterzutragen?«
»Das werden Sie wohl allein schaffen, Mister Marbert«, erwiderte der Orientale mürrisch. »Ich gehe in der Zwischenzeit zu meinen Leuten hinaus und sage ihnen, daß sie den Stoff ausladen sollen.«
»Okay«, willigte Marbert ein, während Parker rasch sein Stethoskop in die Tasche gleiten ließ.
*
»Würden Sie so freundlich sein, Sir, den Herrn in Empfang zu nehmen, der gleich aus der Tür treten wird?« bat der Butler Mike Rander, der am Fuß der eisernen Leiter wartete.
»Mit Freuden, Parker«, gab der Anwalt zurück und bezog neben der Tür Posten.
Parker selbst hangelte sich mit einer Geschmeidigkeit, die man seiner würdevollen Erscheinung nie zugetraut hätte, auf den Sprossen weiter nach oben. Im Handumdrehen hatte er das beleuchtete Fenster im zweiten Obergeschoß erreicht und sah hinein.
Sein Blick fiel sofort auf Jane Auckhill in ihrem rosefarbenen Kleid. Mit einer Wäscheleine an Händen und Füßen gefesselt, hockte das Mädchen auf der Kante des breiten französischen Betts und starrte apathisch vor sich hin.
Erschreckt fuhr Jane zusammen, als der Butler leise an die Scheibe klopfte. Doch im nächsten Moment glitt ein erleichtertes Lächeln über ihre Züge. Sie hatte das glatte, alterslos wirkende Gesicht unter dem schwarzen Bowler, das sich hinter der Scheibe zeigte, sofort erkannt.
Schon hatte Parker sein handliches Spezialbesteck gezogen. Geschickt ließ er eine der stählernen Zungen in den Schlitz zwischen den Fensterflügeln gleiten. Ein, zwei routinierte Handbewegungen genügten, und der Riegel gab seinen ohnehin schwachen Widerstand auf.
»Mister Parker!« flüsterte Jane Auckhill überglücklich, als der schwarzgewandete Butler im Zimmer stand. Doch Parker gab ihr ein Zeichen, still zu sein und stellte sich neben der Tür auf, um Fred Marbert eine kleine Überraschung zu bereiten.
Näher kamen die Schritte im Treppenhaus. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet.
»Na, Schätzchen?« begrüßte Marbert seine blonde Gefangene mit höhnischem Grinsen. »Ich hoffe, du bist nicht allzu traurig, auf die Nacht mit mir verzichten zu müssen. Die Scheichs haben den Fahrplan geändert. In zwei Stunden geht die Reise in den Orient.«
Jane Auckhill sprach kein Wort. Sie streifte Marbert lediglich mit verächtlichem Blick.
»Und damit du unterwegs keine Dummheiten machst, darfst du jetzt noch mal eine ordentliche Prise Chloroform nehmen«, fuhr der Diskotheken-Besitzer fort.
Jane Auckhill zerrte an ihren Fesseln und wollte von der Bettkante hochspringen, als Marbert auf sie zutrat und die Gefangene grob auf das Lager zurückstieß. Anschließend zog er den Stöpsel aus der braunen Arzneiflasche und schüttete etwas von der klaren Flüssigkeit auf einen Wattebausch.
Der Ganove kam jedoch nicht mehr dazu, sein Vorhaben auszuführen. Plötzlich stand Parker hinter ihm, faßte die Hand mit dem chloroformgetränkten Wattebausch und drückte sie unwiderstehlich gegen Marberts Nase.
»Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, pflegt der Volksmund in seiner manchmal recht treffenden Art zu sagen«, bemerkte der Butler gelassen, während Marbert ohne weiteren Kommentar in sich zusammensackte und auf dem Boden eine bequeme Lage einnahm.
Sekunden später war Jane Auckhill von ihren Fesseln befreit. Überglücklich schloß sie den Butler in die Arme. In ausgesprochen würdevoller Haltung ließ Josuah Parker den Sturm der Freude über sich hinwegfegen. In seinem glatten, undurchdringlichen Pokergesicht regte sich nicht der kleinste Muskel. Nur die steife, schwarze Melone rutschte ihm aufs linke Ohr.
»Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie Ihre Gefangenschaft körperlich unversehrt überstanden haben, Miß Auckhill?« erkundigte er sich in seiner höflichen Art.
»Danke, es geht, Mister Parker«, entgegnete das Mädchen. »Aber wie haben Sie mich denn gefunden?«
»Darüber wird man Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt berichten, sofern es genehm ist«, gab der Butler zurück und schob seine Kopfbedeckung wieder in die vorgeschriebene Position. »Im Augenblick drängt die Zeit. Mylady bleiben nur noch knapp zwei Stunden, um die zwölf jungen Damen zu befreien, die Ihr Schicksal teilen.«
Ehe Parker mit Jane Auckhill das Zimmer verließ, schritt er noch mal ans offene Fenster und blickte in den Hof hinunter.
Gerade trat Marberts Besucher aus der Tür und schlug die Richtung zu dem schwarzen Daimler ein. Sein wehender, weißer Burnus war auch in der Dunkelheit deutlich zu erkennen.
Mike Rander hielt sich noch im tiefen Schatten neben der Tür. Er ließ den Mann an sich vorbeischreiten, um sicher zu sein, daß kein zweiter folgte.
»Es geht los!« war die Stimme mit dem orientalischen Akzent zu hören, während Marberts Besucher mit den Knöcheln gegen die Heckscheibe des Wagens pochte. Doch nichts rührte sich.
»Seid ihr schon wieder eingedöst, verdammte Schlafmützen?« fluchte der Araber. Wütend umrundete er das Fahrzeug und riß mit einem Ruck die Fahrertür auf »Feuern werde ich euch!« drohte er, als sein Blick auf die leeren Sitzpolster fiel. »Was sind das für Leibwächter, die sich herumtreiben, wenn man sie braucht?«
Knurrend kehrte er zum Heck des Wagens zurück und schloß den Kofferraum auf. Als der Mann sich hineinbeugte und an einer schweren Last zu zerren begann, hielt Mike Rander den Zeitpunkt zum Eingreifen für gekommen.
Der Araber stöhnte leise, als der Anwalt seinen Nacken mit einem präzisen Handkantenschlag bedachte. Der Mann wollte sich aufrichten. Doch bei dieser reflexartigen Bewegung kam sein Hinterkopf auf unsanfte Weise mit der halboffenen Haube in Berührung. Postwendend knickte er in den Knien ein, kippte wieder vornüber und blieb wie ein nasses Handtuch über dem Rand des Kofferraumes hängen.
Als Josuah Parker und Jane Auckhill sich hinzugesellten, hatte der Anwalt schon den schweren Jutesack geöffnet, der im Kofferraum des Daimler lag. Vorsichtig zog er eines der vielen Päckchen heraus, die in weißes Leinen eingeschlagen waren, und hielt es dem Butler entgegen.
»Haben Sie eine Ahnung, was das sein kann?« wollte er wissen.
»Allem Anschein dürfte es sich um Haschisch handeln, Sir«, meinte der Butler, nachdem er die Verpackung aufgerissen hatte. »Farbe und Konsistenz scheinen darauf hinzudeuten, daß es sich um die begehrte Sorte ›Roter Libanon‹ handelt, falls man sich nicht gründlich täuscht.«
»Eine beachtliche Menge«, staunte der Anwalt. »McWarden wird seine Freude haben an diesem Fund.«
»Bei einem geschätzten Gewicht von fünfzig Kilogramm dürfte die Droge einen Wert von rund fünfzigtausend Pfund repräsentieren. Ein Vielfaches dieser Menge dürfte Mister Marbert bereits als Gegenwert für die entführten jungen Damen erhalten haben«, kommentierte Parker.
»Alle Achtung«, meinte Rander und pfiff leise durch die Zähne. »Mit kleinen Geschäften scheint dieser Marbert sich nicht abzugeben.«
Während der Anwalt Jane Auckhill zu ihrer Befreiung gratulierte, durchsuchte Parker rasch den bewußtlosen Araber. Waffen fanden sich – abgesehen von einem kostbar ziselierten Dolch – keine. Dafür aber einen Reisepaß.
»Omar Ben Abbas«, las der Butler im Schein seiner kleinen Bleistiftlampe. Seine Vermutung, daß es sich bei dem Mann im Burnus um Hadsch Brahims Freund und Komplizen handelte, war nun Gewißheit. Auch die Anschrift, die Hadsch Brahim genannt hatte, stimmte mit den Angaben im Paß überein.
Gemeinsam mit Rander hievte Parker den Orientalen in den geräumigen Kofferraum des Daimler. Anschließend begaben sich die Männer noch mal ins Haus, um Fred Marbert zu holen, der bisher keine Anstalten machte, aus seiner tiefen Betäubung zu erwachen. Auch für den Diskothekenbesitzer reichte der Platz im Kofferraum des Daimler noch aus.
Sorgfältig schloß Parker die Haube ab, ehe das Trio mit eiligen Schritten den Hof verließ und die Richtung zum hochbeinigen Monstrum einschlug.
*
»Jane!« rief Kathy Porter erleichtert aus, als sie den drei Einlaßbegehrenden die Tür öffnete. »Mir fällt ein Stein vom Herzen.«
»So ging es mir, als Mister Parker plötzlich durchs Fenster stieg«, gab Jane lächelnd zurück. »Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben.«
»Habt ihr denn auch etwas über die anderen Mädchen herausbekommen, Mike?« wandte sich Kathy Porter an den Anwalt.
»Immerhin haben wir bei Marbert den Typ angetroffen, der die Mädchen aufnahm, als Hadsch Brahim die Sache zu heiß wurde«, gab Rander Auskunft. »Jetzt schlummert er mit Marbert im Kofferraum seines Wagens.«
»Der Polizei wird es eine Freude sein, die Kerle befreien zu dürfen«, vermutete Lady Simpsons Gesellschafterin.
»Noch mehr wird die Polizei sich freuen, wenn sie entdeckt, auf was für einer Matratze die beiden Herren ruhen«, setzte Rander hinzu.
»Wieso, Mike?«
»Fred Marbert und Omar Ben Abbas liegen auf einem Sack mit rund fünfzig Kilogramm Haschisch.«
»Haschisch?«
»Die Abmachung zwischen Marbert und seinen arabischen Geschäftspartnern lief offenbar darauf hinaus, daß die entführten Mädchen in rotem Libanon aufgewogen wurden«, erläuterte der Anwalt. »Ein ausgesprochen einträgliches Geschäft für beide Seiten.«
»Und was ist mit den Mädchen?« kam Kathy Porter zum Thema zurück, während man in der weitläufigen Wohnhalle Platz nahm.
»Das Schiff, auf dem sie in den Orient gebracht werden sollen, läuft in schätzungsweise zwei Stunden aus«, teilte der Anwalt mit.
»In zwei Stunden?« wiederholte Kathy Porter entgeistert. »Dann dürfen wir keine Zeit verlieren.«
»Stimmt«, nickte Rander. »Wie weit ist denn Mylady?«
»Sie wollte eigentlich schon vor einer Stunde herunterkommen«, berichtete die junge Dame. »Am besten gehe ich noch mal hinauf und sehe nach.«
»Dieses Vorhaben dürfte sich erübrigen, falls man sich nicht täuscht, Miß Porter«, warf Parker ein. Er hatte das explosionsartige Räuspern der älteren Dame und ihre Schritte im Obergeschoß vernommen.
Sekunden später erschien die majestätische Gestalt der Hausherrin auf der Galerie. Huldvoll winkend kam Agatha Simpson die geschwungene Treppe herab, als wäre sie Mittelpunkt eines Staatsempfangs.
»Nun, Mister Parker?« erkundigte sich Mylady. »Haben Sie die erteilten Aufträge ausgeführt?«
»Man hatte Gelegenheit, gemeinsam mit Mister Rander Miß Auckhill aus der Gewalt der Entführer zu befreien«, erstattete der Butler Bericht. »Im Laufe der Aktion wurden Mister Marbert und Mister Ben Abbas nebst zwei Leibwächtern überwältigt und ausbruchsicher untergebracht. Dabei konnte man zusätzlich die beachtliche Menge von fünfzig Kilogramm Haschisch sicherstellen, falls der Hinweis erlaubt ist, Mylady.«
»Sehr gut, Mister Parker«, lobte die Detektivin. »Dann ist ja alles so verlaufen, wie ich es geplant habe. Eigentlich schade, daß der Fall schon abgeschlossen ist. Es hat mir wieder mal richtig Spaß gemacht.«
»Darf man Mylady höflich daran erinnern, daß noch zwölf junge Damen darauf harren, von Mylady befreit zu werden?« wandte Parker ein.
»Richtig«, rief die Detektivin aus. »Darauf wollte ich sie auch gerade aufmerksam machen, Mister Parker. Es gibt also doch noch etwas zu tun.«
»Das kann man wohl sagen, Mylady«, pflichtete Rander der Hausherrin bei. »Und die Zeit drängt. In zwei Stunden ist vermutlich alles zu spät.«
»Ich weiß, mein Junge, ich weiß«, entgegnete Mylady. »Deshalb werde ich auch unverzüglich aufbrechen.«
»Ein Vorhaben, das man nur begrüßen und nach Kräften fördern kann, Mylady«, meldete sich der Butler wieder zu Wort.
»Ich bin startbereit, Mister Parker«, verkündete die Detektivin und zupfte an der Jacke des derben Tweedkostüms, das die üppigen Formen der älteren Dame nur mit Mühe unter Kontrolle halten konnte. »Von welchem Flughafen aus sollte die Maschine noch mal starten?«
»Meine bescheidene Wenigkeit darf daran erinnern, daß die entführten jungen Damen auf einem Schiff außer Landes gebracht werden sollen«, gab Parker höflich und gemessen zu bedenken.
»Das meine ich ja auch, Mister Parker«, erwiderte Lady Agatha pikiert. »Aus kleinen Versprechern macht man doch keine Staatsaffären. Ich erinnere mich sogar noch an den Namen des Schiffes: Arabia.«
»Mister Hadsch Brahim nannte den Namen Fatimah, falls man nicht irrt, Mylady«, korrigierte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Namen sind Schall und Rauch, Mister Parker. Wann begreifen Sie das endlich?«
»Selbstverständlich, sofern Mylady wünschen«, antwortete der Butler in seiner unerschütterlichen Höflichkeit.
»Dann werde ich jetzt an Bord des Schiffes gehen und die armen Dinger befreien«, kündigte Agatha Simpson an. Energiestöße durchpulsten ihre wogende Fülle. Der Pompadour am muskulösen Handgelenk wippte unternehmungslustig.
»Bedauerlicherweise liegen Mylady noch keinerlei konkrete Informationen über den Liegeplatz des fraglichen Schiffes vor«, gab Parker zu bedenken. »Bei der Weitläufigkeit der Londoner Hafenanlagen könnte die Suche Stunden in Anspruch nehmen, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Diese Kleinigkeit hätten Sie doch schon klären können, Mister Parker. Ich muß wohl alles allein in die Hand nehmen?«
»Ich habe gute Beziehungen zur Hafenpolizei, Mylady«, schaltete Mike Rander sich ein. »Die Wache in Wapping ist die ganze Nacht besetzt. Dort müßte, zu erfahren sein, wo die ›Fatimah‹ vor Anker liegt.«
»Ein außerordentlich hilfreicher Vorschlag, dem man unverzüglich nähertreten sollte, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei.
»Für eine Lady Simpson ist es unter ihrer Würde, als Bittstellerin bei der Hafenpolizei zu erscheinen«, machte die Detektivin klar.
»Falls man sich nicht täuscht, planten Mylady ohnehin, das Haus von Mister Ben Abbas in Chelsea einer näheren Inspektion zu unterziehen«, baute Parker seiner Herrin eine Brücke. »Man sollte nicht ausschließen, daß die jungen Damen aus Sicherheitsgründen erst in letzter Minute von dort zum Schiff gebracht werden. Die Nachfrage bei der Hafenpolizei könnte Mister Rander übernehmen, falls man die Anregung unterbreiten darf.«
»Klar, das mache ich schon«, bestätigte der Anwalt.
»Und ich könnte Jane nach Hause bringen«, bot Kathy Porter an. »Ihre Eltern werden schon auf heißen Kohlen sitzen.«
»Mit Sicherheit«, nickte Jane Auckhill. »Zum Glück ahnen Ma und Pa nicht, was ich in der Zwischenzeit erlebt habe.«
Minuten später verließ man das Haus. Der Morgen war nicht mehr fern, aber noch lag tiefe Dunkelheit über der Stadt. Mike Rander zwängte sich zu Kathy Porter und Jane Auckhill in den Mini-Cooper, um an der Curzon Street in den dort parkenden Austin umzusteigen.
An der Einmündung in die breite Durchgangsstraße trennten sich die Wege. Kathy Porter bog nach rechts ab. Parkers hochbeiniges Monstrum rollte in Richtung Chelsea davon.
*
Omar Ben Abbas’ Wohnsitz an der Tedworth schlicht als »Haus« zu bezeichnen, wäre einer eklatanten Untertreibung gleichgekommen. Die Bezeichnung »Residenz« paßte auf den prachtvollen Bau aus weißem Marmor schon eher.
Zur Straße hin war das weitläufige Anwesen durch ein schmiedeeisernes Gitter abgeriegelt. Die schweren Torflügel waren geschlossen, die Fenster an der Vorderfront dunkel.
»Darf man vermuten, daß Mylady persönlich die Erkundung vorzunehmen wünschen?« fragte Parker, während er sein schwarzes, eckiges Gefährt hundert Schritte weiter am Straßenrand ausrollen ließ.
»Das dürfen Sie übernehmen, Mister Parker«, gestattete die Detektivin großzügig. »Falls Sie wirklich fündig werden, können Sie mich ja rufen, damit ich die Mädchen befreie.«
»Wie Mylady wünschen«, sagte Parker, lüftete ein wenig die schwarze Melone und verließ den Wagen.
Das altertümliche Schloß des schmiedeeisernen Tores hätte Parkers Spezialbesteck kaum Widerstand entgegengesetzt. Dennoch zog er es vor, einen Bogen über das Nachbargrundstück zu schlagen.
Bald hatte er eine Stelle gefunden, wo ein Baum mit ausladenden Zweigen die Überwindung des mehr als mannshohen Gitters erleichterte. Der Butler erklomm den Stamm und hangelte sich an einem überhängenden Ast über den Zaun.
Die Blätter raschelten nur leise. Dennoch blieb Parkers Ankunft nicht unbemerkt.
Kaum stand der Butler auf dem grünen Teppich des kurzgeschorenen Rasens, als bedrohliches Knurren ihn aufmerken ließ. Zähnefletschend schossen zwei Doggen in der erst langsam weichenden Dunkelheit auf ihn zu.
Die Tiere hielten sich nicht mit Bellen auf, sondern griffen den Eindringling von beiden Seiten an. Parker bewahrte die Nerven, und das war seine Rettung.
Kurz entschlossen streckte er dem von rechts anstürmenden Hund den schwarzen Universal-Regenschirm wie eine Lanze entgegen. Das Tier stutzte kurz und schlug dann die Zähne in die Spitze des altväterlich gebundenen Regendachs. Allerdings bekam der bleigefüllte Bambusgriff den Beißwerkzeugen des wütend zuschnappenden Tieres ausgesprochen schlecht.
Nahtlos ging das aggressive Knurren in wehleidiges Jaulen über. Parker half noch ein wenig nach, indem er den Schirm in den Rachen des Tieres schob, das seinen Biß gerade gelockert hatte.
Der zweiten Dogge, die den Butler von links angriff, erging es nur wenig besser. Während Parker mit dem Schirm den ersten Hund abwehrte, zog er mit der schwarzbehandschuhten Linken eine weiße Spraydose aus der Außentasche seines Zweireihers.
Mit weit aufgerissenem Rachen sprang der Hund in den betäubenden Nebel, den der Butler per Knopfdruck freisetzte. Das Tier japste und würgte, bevor es wie ein Stein zu Boden plumpste und alle viere von sich streckte. Gleich darauf war auch der zweite vierbeinige Angreifer durch ein Wölkchen aus der Spraydose schachmatt gesetzt.
Lauschend blieb Parker stehen. Außer dem Atem der Hunde, der jetzt sanft und ruhig ging, war kein Geräusch zu vernehmen. Die Fenster an der Straßenseite des Gebäudes waren immer noch dunkel. Offenbar hatte niemand den Zwischenfall bemerkt.
Unbemerkt erreichte der Butler die Rückseite von Omar Ben Abbas’ Villa. Auch hier war alles dunkel – bis auf ein Zimmer, das auf eine großzügig angelegte Terrasse hinausging. Die Vorhänge waren nur halb zugezogen. Die gläserne Tür stand einen Spaltbreit offen.
Geräuschlos schwang Parker sich über die Marmorbrüstung und spähte vorsichtig in den Raum.
An einem kleinen, runden Messingtisch saßen zwei Männer in orientalischen Gewändern auf niedrigen Sitzpolstern. Vor ihnen stand eine Wasserpfeife mit kostbar ziseliertem Silbergefäß und einem voluminösen Pfeifenkopf aus türkisfarbig glasiertem Porzellan.
Die beiden machten einen leicht nervösen Eindruck. Einer von ihnen sah gerade auf seine Armbanduhr und schüttelte unwillig den Kopf.
Parker bedauerte, die früher erworbenen arabischen Sprachkenntnisse in den letzten Jahren nicht gepflegt zu haben. Sie reichten aber immerhin aus, um das Gespräch der Männer wenigstens sinngemäß zu verstehen.
»Was fällt Ben Abbas eigentlich ein, uns so lange warten zu lassen?« knurrte der Linke mürrisch. »Wenn er in einer Stunde immer noch nicht hier ist, müssen wir los – auch ohne das dreizehnte Mädchen.«
»Das gibt Ärger«, prophezeite sein Gegenüber und machte ein ausgesprochen betretenes Gesicht.
»Wieso?« entgegnete der andere. »Wir können doch nichts dafür.«
»Aber an uns wird der Scheich seine Wut auslassen.«
»Weißt du was?« schlug der erste Mann vor. »Wir rauchen noch eine gute Wasserpfeife, bis Ben Abbas kommt. Ich weiß ja, wo er den Stoff versteckt hat.«
»Gute Idee«, willigte der zweite ein. »Dann wird uns die Zeit nicht zu lang. Und falls Ben Abbas wirklich nicht mehr kommt, läßt uns der Ärger kalt, mit dem wir an Bord auf jeden Fall rechnen müssen.«
Der erste Mann stand auf und schickte sich an, den Raum zu verlassen.
»Warte!« rief der zweite und lief eilig hinter ihm her. »Ich will Ben Abbas’ Vorräte auch mal sehen.«
Der Butler wartete ab, bis die Schritte der Männer sich entfernt hatten. Anschließend drückte er die Terrassentür ganz auf und trat ins Zimmer.
Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, ein Lächeln wäre über Parkers glattes Gesicht gehuscht, als er in eine der zahlreichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats griff.
Im nächsten Moment hielt er einen kleinen Knallkörper chinesischer Herkunft zwischen Daumen und Zeigefinger. Behutsam ließ er das rote Pappröhrchen in den geräumigen Kopf der Wasserpfeife fallen.
Schon näherten sich wieder die Schritte der beiden Araber, und der Butler zog sich diskret hinter die bodenlangen Vorhänge zurück.
Die Männer hatten eines der weißen Leinensäckchen mitgebracht, wie Parker sie schon im Kofferraum von Ben Abbas’ Daimler gesehen hatte. Rasch rissen sie die Verpackung auf und entflammten ein Zündholz, um ein Stück des zähen Harzes zerbröckeln zu können.
In der hohlen Hand wurde das Haschisch mit Zigarettentabak vermischt und anschließend in den Pfeifenkopf gefüllt. Daß Parker die Füllung durch einen ebenso unüblichen wie brisanten Zusatz ergänzt hatte, fiel keinem von beiden auf.
Genießerisch lehnte einer der Männer sich zurück und sog an einem der Mundstücke, die durch elastische Schläuche mit der Pfeife verbunden waren. Sein Kumpan hielt derweil ein brennendes Streichholz über den Pfeifenkopf.
Dichte, schwer duftende Rauchwolken stiegen auf. Da griff auch der zweite Mann nach einem Mundstück und begann, tief zu inhalieren.
Der illegale Genuß, dem sich die Männer unter Parkers wachsamen Blicken hingaben, wurde jedoch empfindlich gestört, sobald die Glut sich tiefer in den Pfeifenkopf gefressen und die Zündschnur des kleinen Feuerwerkskörpers erreicht hatte.
Ein ohrenbetäubender Knall zerriß die Stille. Gleichzeitig verwandelte sich der Pfeifenkopf in einen Miniaturvulkan, der eine Fontäne von Glut und Funken spie.
Vor Schreck ließen die Männer ihre Saugröhrchen fahren, stießen unterdrückte Schreie aus und kippten samt ihren Sitzkissen hintenüber.
»Darf man den Herren möglicherweise beim Löschen des Brandes behilflich sein?« erkundigte sich Parker höflich und trat aus seinem Versteck. Er griff nach dem bauchigen Behälter der Wasserpfeife, zog mit einem Griff den Kopf ab und schickte sich an, die Funken zu löschen, die auf den luxuriösen Teppich gefallen waren. Dabei sorgte er jedoch dafür, daß auch die geschockten Raucher eine kräftige Dusche des nicht mehr ganz frischen Wassers abbekamen.
»Was soll die Schweinerei? Was haben Sie überhaupt hier zu suchen?« erkundigte sich einer der Männer nach der ersten Schrecksekunde in gebrochenem Englisch.
»Man kam lediglich in der Absicht, den Herren eine einzige Frage zu stellen«, gab Parker gelassen Auskunft.
»Eine Frage?« wiederholte der Mann stirnrunzelnd und raffte sich mühsam auf.
»Mylady wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Auskunft darüber geben könnten, wo sich die zwölf jungen Damen befinden, die Scheich Abdul XXIII. seinen Ministern zum Geschenk machen will«, wurde der Butler konkret.
Bei den Männern stieß Parkers höfliches Ersuchen auf wenig Gegenliebe. Sie versuchten, sich der Antwort durch eilige Flucht zu entziehen. Ihr Pech war, daß sie nicht mit der schnellen Reaktion des Butlers gerechnet hatten ...
*
Der Mann, der Parker so unfreundlich begrüßt hatte, sprang mit einem Satz hoch und versuchte, durch die halboffene Terrassentür in den dunklen Garten zu entkommen. Beim Versuch blieb es allerdings.
Gleichzeitig hatte Parker nämlich seinen schwarzen Universal-Regenschirm an der Spitze gefaßt. Dicht über dem Boden ließ er den bleigefüllten Bambusgriff einen Halbkreis beschreiben, bis sich die Krücke unwiderstehlich um die Knöchel des Flüchtenden ringelte und seine Vorsätze im Keim erstickte.
Der Mann absolvierte einen tadellosen Salto vorwärts, kam kurz vor den Kakteenköpfen auf der Fensterbank wieder auf die Füße und schloß gleich noch eine eindrucksvolle Pirouette auf einem Bein an.
Leider verließ ihn nach einer Weile die Orientierung, so daß er ins Schleudern geriet und in dem gediegen eingerichteten Zimmer beträchtlichen Flurschaden anrichtete. Der Mann beschloß seine Darbietung mit einem Handstand, der allerdings den eleganten Abgang vermissen ließ. Der inzwischen etwas erschöpft wirkende Turner nahm dankbar zur Kenntnis, daß es ein ledernes Sitzkissen war, auf das sein Kopf aufschlug.
Sein Mitraucher schien für sportliche Höchstleistungen keinen Sinn zu haben. Er nutzte die Darbietung, um tatsächlich durch die Terrassentür ins Freie zu hechten.
Da Parker die Tür inzwischen mit dem Fuß zugestoßen hatte, ging das Flugmanöver aber nicht ohne ein paar häßliche Schnitte ab. Auch der Burnus war nicht mehr das, was er kurz vorher noch war. Aber der Mann raffte sich auf, sprang über die Brüstung und rannte, so schnell ihn die Beine trugen.
Er war noch nicht weit, als ihn das Geschick in Gestalt eines kaum stricknadelgroßen, gefiederten Pfeils ereilte. Von komprimierter Kohlensäure angetrieben, war der zierliche Flugkörper aus dem hohlen Schaft von Parkers Regendach geglitten und hatte sich unbeirrbar sein Ziel gesucht.
Als der noch etwas benommen wirkende Turner sah, wie Parker die Flucht seines Komplizen vereitelt hatte, stimmte er augenblicklich ein jämmerliches Gezeter an. Der Butler ließ ihn in dem Glauben, der kleine Pfeil wäre mit dem tödlichen Urwaldgift Curare präpariert.
»Im Moment dürfte es nur eine einzige Möglichkeit geben, wie Sie Ihr Leben retten können, Sir«, bemerkte Parker gelassen und zielte spielerisch mit der Schirmspitze auf den ohnehin eingeschüchterten Mann. »Mylady begehrt zu wissen, wo die entführten jungen Damen gefangengehalten werden.«
»Sie sind schon auf dem Schiff«, gab der Mann bereitwillig preis.
»Darf man zusätzlich um Auskunft darüber bitten, in welchem Teil des Schiffes sich die fraglichen jungen Damen aufhalten?« bohrte der Butler zielsicher weiter.
»Im Lagerraum hinter der Küche«, verriet der glücklose Turner.
»Man dankt in aller Form für die freundliche Auskunft, Sir«, sagte Parker, zog ein Sprühfläschchen aus der Tasche und hielt es dem verdutzten Mann unter die Nase.
Der Traumspray wirkte augenblicklich. Sanft lächelnd folgte er seinem Komplizen auf dem Ausflug in eine andere Wirklichkeit.
Diskret überzeugte sich Parker, daß die Männer unter ihren Gewändern weitere Kleidungsstücke trugen und nahm dann beide Burnusse an sich. Wenig später durchschritt er in würdevoller Haltung das schmiedeeiserne Flügeltor und kehrte zu seiner Herrin zurück.
Dem Butler war es durchaus recht, daß Mylady inzwischen ein Nickerchen eingelegt hatte. So konnte er ungestört über Sprechfunk Mike Rander rufen.
Schon nach wenigen Sekunden war die Verbindung hergestellt.
»Ich sitze im Wagen und sehe die ›Fatimah‹ in rund vierhundert Metern Entfernung«, meldete der Anwalt. »An Bord ist alles dunkel und ruhig. Nur auf der Kommandobrücke brennt Licht. Wahrscheinlich wird es noch eine Weile dauern, bis sie ablegen.«
»Was zu hoffen ist, Sir«, merkte der Butler an und ließ sich von Rander den Weg zum Liegeplatz der »Fatimah« erklären.
»Die Mädchen sind also nicht mehr in Ben Abbas’ Haus?« vergewisserte sich der Anwalt.
»Die Damen dürften sich in einem Lagerraum hinter der Kombüse befinden, falls man nicht falsch informiert wurde, Sir«, teilte Parker mit, bevor er das Funkgerät ausschaltete und seinem hochbeinigen Monstrum die Sporen gab.
*
Niemand wurde aufmerksam, als das schwarze, eckige Gefährt, gefolgt von Mike Randers Austin, mit ausgeschalteten Scheinwerfern auf den Kai rollte. Parkers Chronometer zeigte fünf Minuten vor vier.
»Dürfte man Sie höflich bitten, für einen bedeutsamen Zweck Ihren Schal zur Verfügung zu stellen, Sir?« wandte sich der Butler im Flüsterton an Rander, als die Männer an der Kaimauer zusammentrafen.
Der Anwalt blickte zwar ungläubig, gab seinen leichten Wollschal aber bereitwillig.
Parker hatte eine beängstigend dünne Strickleiter mitgebracht, die aus einer reißfesten Nylonfaser hergestellt war. An einem Ende war ein stabiler Stahlhaken befestigt, den der Butler mit Randers Schal umwickelte.
»Diese Art Schalldämpfer ist mir entschieden lieber als die Dinger, die auf Pistolenläufen sitzen«, kommentierte der Anwalt. »Aber die Reling ist ganz schön hoch. Meinen Sie, Sie schaffen es, Parker?«
»Man wird sein Bestes versuchen, Sir«, versprach der Butler. »Andererseits würde meine Wenigkeit es als Ehre empfinden, Ihnen den Vortritt lassen zu dürfen, Sir.«
»Nein, nein«, wehrte der Anwalt ab. »Ich bin viel zu nervös.«
Daß Parker nicht im geringsten nervös war, zeigte sich schon beim ersten Wurf. Lautlos blieb der Haken am Geländer hängen.
Sehr vertrauenerweckend kann die dünne Strickleiter nicht gewirkt haben. Jedenfalls verzichtete Mylady freiwillig darauf, bei der Befreiung der entführten Mädchen mit Hand anzulegen.
So streiften Parker und Rander die Burnusse über und hangelten sich nach oben. Sie hatten erst wenige Schritte in einem düsteren Gang zurückgelegt, als ihnen ein Mann entgegenkam.
»Wo geht’s denn zur Küche?« murmelte Parker im besten Arabisch.
»Geradeaus und dann links«, antwortete der Mann im Vorbeigehen. Als er doch noch stutzig wurde und wie angewurzelt stehenblieb, war es schon zu spät.
Nachdrücklich klopfte der bleigefüllte Bambusgriff von Parkers Regendach auf seine Schädeldecke. Wortlos bettete der Mann sich auf die Planken und vergaß die Fremdlinge.
Nicht ganz so geräuschlos ging es ab, als Parker und Rander durch die Küche in den Lagerraum wollten. Die beiden Männer, die sich ihnen in den Weg stellten, gehörten mit Sicherheit nicht zum Küchenpersonal. Dafür sprachen schon die langläufigen Revolver, mit denen das unfreundliche Paar herumfuchtelte.
Der Butler und der Anwalt ließen sich jedoch nicht einschüchtern und waren wieder mal um die entscheidenden Sekundenbruchteile schneller. Nur geriet dabei die sorgfältig aufgeräumte Kombüse etwas in Unordnung. Außer den Mädchen, die aufgeregt hinter der Tür ihres Gefängnisses lauschten, bekam jedoch niemand den Lärm mit.
Josuah Parker und Mike Rander hatten einige Mühe, den jungen Damen, die hastig aus ihren Schlafsäcken krochen, einen Freudentanz an Ort und Stelle auszureden.
Sobald die Schar in mühsam bewahrtem Schweigen die Strickleiter erreicht hatte, kletterte Parker als erster nach unten und hielt das Ende fest. Eine nach der anderen folgten die Befreiten.
Als Rander, der die Nachhut übernommen hatte, wieder auf festem Boden stand, waren die meisten jungen Damen schon in den beiden Autos verschwunden.
Mürrisch nahm Agatha Simpson es hin, daß sie den Fond des hochbeinigen Monstrums mit drei jungen Mädchen in knappen Nachthemden teilen mußte.
Weniger unglücklich zeigte sich Mike Rander, in dessen Wagen immerhin sechs Mitfahrerinnen Platz fanden. Die drei letzten Mädchen quetschten sich auf den Beifahrersitz neben Parker.
Mike Rander konnte es sich nicht verkneifen, triumphierend auf die Hupe zu drücken, als der kleine Konvoi in Richtung Stadt davonrollte.
Josuah Parkers Miene jedoch blieb glatt und ausdruckslos. Der Butler schien gegenüber jeder Verführungskunst immun.