Читать книгу Butler Parker Staffel 21 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9

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»Bereitsein ist alles», sagte Major Williams und wies voller Stolz auf die Batterie von Fernrohren, Stativen und Foto- und Filmapparaten, die unter einem Schutzdach nahe der Turmbrüstung standen. Die diversen Optiken waren auf den See hinausgerichtet und mußten ein kleines Vermögen gekostet haben.

»Darf ich unterstellen, Sir, daß Sie fest damit rechnen, das Ungeheuer von Loch Ness abzulichten?« erkundigte sich Josuah Parker. »Hundertprozentig«, gab Major Williams zurück und zupfte einen Putzlappen aus der Innentasche seiner bunten Weste. Dann begann er das Gehäuse der Optiken peinlich genau abzuwischen und zu polieren.

Major Williams war etwa 65 Jahre alt, mittelgroß und der Besitzer eines kleinen Bauches. Er hatte ein rosiges, sehr gepflegtes Gesicht, listige, graue Augen und einen Schnurrbart, der offensichtlich dunkel eingefärbt war. Sein Haar war schütter und wies bereits große Kahlschläge auf.

Williams lief grundsätzlich nur im schottischen Kilt herum, dessen Saum um seine nackten, vollen Knie spielte. Die bunten Strümpfe endeten in derben Schuhen.

»Wissen Sie«, sagte Major Williams und drehte sich plötzlich fast abrupt zu Parker um. »Ende vergangener Woche habe ich das Monster wieder gesehen. Nur ganz kurz, als wollte es mich foppen.«

»Sie haben das Ungeheuer von Loch Ness bereits gesehen?«

»Mit meinen eigenen Augen«, bestätigte Major Williams und nickte. »Es tauchte auf für drei, vier Sekunden und sah mich an. Mit fast menschlichen Augen, listig und voller Spott, als hätte es gewußt, daß ich keinen Fotoapparat bei mir hatte.«

»Ich muß gestehen, daß ich beeindruckt bin«, räumte Parker ein.

»Das war nicht das erste Mal, daß Nessie mir begegnete«, redete Williams weiter. »Es vergeht kaum eine Woche, daß wir uns sehen.«

»Demnach scheinen Sie ein durchaus intimes Verhältnis zum Ungeheuer von Loch Ness zu haben, Sir.« Parkers Gesicht blieb undurchdringlich.

»Intimes Verhältnis. Das ist es!« Major Williams nickte nachdrücklich. »Aber Nessie ist schlau. Es läßt sich einfach nicht fotografieren. Doch eines Tages werde ich es überlisten. Und dann werde ich der Welt beweisen, daß es Nessie gibt.«

Während er noch sprach, beugte er sich über das Okular eines Fernrohrs und suchte den See ab. Parker, der seitlich hinter dem Major stand, brauchte kein Fernrohr, um die einmalige Schönheit der Landschaft in sich aufzunehmen. Der langgestreckte See war eingebettet in eine bergige Landschaft mit teils sanften, teils schroffen Uferpartien. Die bewaldeten Hügel und Berge wirkten wie eine kostbare Fassung, die einen Edelstein umschließt.

Parker war ehrlich froh darüber, daß sein junger Herr sich ausgerechnet für Loch Ness entschieden hatte. Hier wollte er für eine Woche Ferien machen und dem Angelsport frönen. Vivi Carlson hingegen, Randers Sekretärin, erhoffte sich von diesem Besuch natürlich, das sagenhafte Ungeheuer von Loch Ness zu sehen.

Das Trio Parker, Rander und Vivi Carlson wohnte in einer altehrwürdigen Pension, die Major Williams geerbt und weitergeführt hatte. Bis auf seine Loch-Ness-Monster-Marotte war der ehemalige Major Ihrer Majestät ein erstklassiger Gastronom und Hotelier.

Die Pension stand auf den Mauern und Resten einer ehemaligen Benediktiner-Abtei. Das Haus mit seinen trotzigen Mauern glich einem Schloß, einem wehrhaften Schloß sogar. Davon zeugte der eckige und hohe Turm, auf dessen Plattform sich Parker und Major Williams befanden.

Nicht weit von dieser Hotelpension entfernt erhob sich am Ufer des Castle Urquhart, jener Uferpartie, von wo aus man das Ungeheuer von Loch Ness am häufigsten gesehen haben wollte.

»Geben wir uns keinen Hoffnungen hin«, meinte Major Williams und richtete sich auf. »Nessie will heute nicht. Es weiß bestimmt, daß ich hier oben auf dem Turm bin!«

»Ein intelligentes Tier«, stellte Parker fest, »es müßte inzwischen ein methusalemisches Alter erreicht haben, nicht wahr?«

»Richtig, Mister Parker«, bestätigte Major Williams. »1932 wurde es zum erstenmal in den Zeitungen erwähnt, aber in Wirklichkeit, das geht aus alten Klosterschriften hervor, wurde es bereits vor Jahrhunderten gesehen.«

»Eine bemerkenswerte Fähigkeit des Überlebens«, stellte Parker fest.

»Nicht wahr?« Major Williams nickte fast selbstzufrieden, »aber es hat ja schließlich keine Feinde.«

»Woher stammt es Ihrer Ansicht nach?«

»Aus dem Erdtertiär«, kam prompt die Antwort. »Durch Erdverschiebungen wurde damals Loch Ness zu einem riesigen Binnensee. Die darin befindlichen Tiere wurden von dem späteren Entwicklungs- und Ausleseprozeß ausgenommen und konnten sich ungestört weiter fortpflanzen.«

»Eine bestechende Theorie, Sir!«

»Die wissenschaftlich fast bewiesen ist«, erklärte Major Williams. »Sobald ich aber die entscheidenden Fotos besitze, wird die Wissenschaft ihre echte Sensation haben.«

*

»Ein reizender, alter Bursche«, meinte Anwalt Rander lächelnd, nachdem Parker seinen Bericht erstattet hatte. »Hoffentlich bekommt er irgendwann mal seine Fotos.«

»Sie glauben an das Ungeheuer von Loch Ness?« Vivi Carlson, die sich mit Parker in Randers Hotelzimmer befand, sah den jungenhaft aussehenden Anwalt lächelnd an.

»Ich hoffe, daß es existiert«, erwiderte Rander, »wäre doch mal eine nette Abwechslung in unserer technisierten Welt, finden Sie nicht auch?«

»Wie soll es denn aussehen?« fragte Vivi, sich an den Butler wendend.

»Eine etwas abstruse Kreuzung zwischen einer riesigen Seeschlange, einem Drachen und einem Wal mit Schlangenkopf«, erläuterte der Butler höflich, »der Phantasie dürften kaum Grenzen gesetzt sein.«

»Hört sich ja direkt unheimlich an«, meinte Vivi und schüttelte sich in gespieltem Entsetzen.

»Ich fahre raus auf den See, angeln«, sagte Rander zu Vivi. »Kommen Sie mit, vielleicht beißt Nessie an!«

»Gern«, sagte die reizende Vivi, »ich zieh mich schnell um.« Sie stand auf und verließ Randers Eckzimmer, durch dessen Fenster man weit auf den See hinaussehen konnte.

Rander wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Was machen unsere beiden Dauerschatten?« erkundigte er sich dann bei Parker.

»Nach meinen Ermittlungen sind die Herren Cleveland und Longless bisher noch nicht in Erscheinung getreten«, erwiderte Josuah Parker gemessen, »aber man sollte wohl sicherheitshalber, davon ausgehen, daß sie unsere Spur aufgenommen haben.«

»Was soll ich außer dem Angelgerät mit aufs Wasser nehmen?« fragte Rander.

»Ich werde alles vorbereiten, Sir«, gab der Butler zurück, »ich denke, daß man außer einer Handfeuerwaffe vielleicht noch ein zusammensetzbares Gewehr vom Kaliber 22 mitnehmen sollte. Es ließe sich unauffällig in einem zusätzlichen Angelgerätköcher unterbringen.«

»Ich verlasse mich ganz auf ihre Erfahrung, Parker.« Rander nickte ernst. »Hoffen wir, daß wir es nur mit Nessie zu tun haben werden. Mein Bedarf an Abenteuern ist bereits reichlich gedeckt.«

*

Cleveland und Longless, die beiden Superkiller aus den Staaten, hatten es sich am Seeufer bequem gemacht und beobachteten die burgartige Hotelpension.

Sie waren schon seit einigen Wochen hinter Parker und Rander her. Sie hatten den strikten Auftrag, diese beiden Männer ins Jenseits zu befördern. Rander und Parker hatten einen der ganz großen Männer des Syndikats in einen Prozeß verwickelt und dafür gesorgt, daß es zu einer Anklage kam.

Pikanterweise war dieser große Boß des Syndikats der Vater von Longless, und Longless senior hatte die einmalige Gelegenheit gesehen, seinen Junior richtig erziehen zu lassen. Der Junge sollte endlich in die Welt des Syndikats eingeführt werden. Dazu war Cleveland engagiert worden, der nun als Ausbilder und Lehrmeister fungierte.

Longless, total unbegabt und ein Elefant im Porzellanladen, war ein Riesenbaby, groß, dick und im Grunde schrecklich gutmütig. Er mühte sich verzweifelt ab, ein guter Killer zu werden, was ihm bisher aber nicht gelungen war.

Eines hatte er allerdings geschafft: Cleveland war seit Wochen einem totalen Nervenzusammenbruch nahe. Cleveland, mittelgroß, schlank und gutaussehend, zweifelte an seinem bisherigen Können. Gewiß, er galt als professioneller Killer, aber in Wirklichkeit hatte er auch in der Vergangenheit nie die echte Probe aufs Exempel machen müssen. Er war mehr Theoretiker, der die Dinge und Probleme des Tötens abstrakt sah.

Und nun war er zum Ausbilder geworden und sollte dem Syndikat gegenüber beweisen, daß er auch ein erstklassiger Praktiker war. In der bisherigen Zusammenarbeit mit seinem Schützling Longless war ihm das allerdings noch nicht gelungen.

Diese beiden Superkiller aus den Staaten saßen also geruhsam am Ufer von Loch Ness und beobachteten wechselseitig durch ein starkes Fernglas die Hotelpension des Major Williams.

»Alarm«, sagte Longless plötzlich und setzte das Fernglas ab. »Rander verläßt den Bau, Clevie!«

Cleveland ergriff das Glas und vergewisserte sich.

»Na!?« fragte Longless stolz.

»Tatsächlich«, gab Cleveland zurück, »er geht runter zum Bootssteg.«

»Zusammen mit der kleinen Blonden«, fügte Longless hinzu, »ich sehe schon die Überschrift der Tagespresse: Bedauerlicher Unglücksfall mit tödlichem Ausgang auf dem Loch Ness.«

»Bietet sich direkt an«, sagte Cleveland.

»Wer wird schießen?« erkundigte sich Longless, offensichtlich vom Jagdfieber erfaßt. Er griff nach dem Behälter für Golfschläger, der auf dem Rücksitz des kleinen, schnellen und offenen Sportwagens lag.

»Das ist was für ’nen Könner«, meinte Cleveland, »aber du darfst die Spritze zusammensetzen, Junge.«

Longless zog die beiden Hälften eines Gewehres hervor und setzte sie etwas sehr umständlich zusammen. Er brauchte dazu gut und gern drei Minuten, was erheblich über der Norm lag. Und als er Cleveland die Waffe reichte, sah der ihn fast anklagend an.

»Der Kolben ist falsch herum angesetzt«, sagte Cleveland verweisend.

»Kleiner Fehler«, entschuldigte sich Longless hastig, »kam mir gleich so komisch vor.«

Er korrigierte den kleinen Fehler und baute sich dann hinter seinem Ausbilder auf.

»Runter ins Gras«, kommandierte Cleveland, »wir warten, bis er hier ins Ziel wandert, Junge. Und dann ...«

»... die große Totenklage«, meinte Longless optimistisch, »ich spür’s in den Fingerspitzen, diesmal haut’s hin!«

Er ließ sich neben Cleveland ins Gras gleiten und beobachtete den Bootssteg der Hotelpension.

Mike Rander und Vivi Carlson nahmen gerade in einem mittelgroßen Ruderboot Platz, das mit einem kleinen Außenborder versehen war. Rander warf den Motor an und steuerte auf den See hinaus. Dabei mußte er fast zwangsläufig an der kleinen Landzunge vorbeisteuern, auf der die beiden Killer sich plaziert hatten.

*

Josuah Parker hatte sich zurück auf den Turm der Hotelpension begeben und benutzte die optischen Geräte, um die Ausfahrt seines jungen Herrn und Vivi Carlsons zu beobachten.

Sein stets waches Gefühl sagte ihm deutlich, daß Gefahr in der Luft lag. Er hatte sich bisher auf dieses Gefühl immer verlassen können.

Das optische Angebot des Majors war wirklich beeindruckend.

Parker hatte sich ein Fernrohr ausgewählt, das auf einem starken Stativ stand. Er korrigierte ein wenig die Tiefenschärfe und hatte Rander und Vivi Carlson zum Greifen nahe vor seinen Augen. Sie unterhielten sich. Mike Rander schien diese Ausfahrt offensichtlich zu genießen. Vivi hatte ihren rechten Arm über Bord gehängt und ließ die gespreizten Finger durch das Wasser gleiten.

Das Boot näherte sich in langsamer Fahrt einer kleinen Landzunge, die wie ein ausgestreckter Finger weit in den See hineinragte.

Parker suchte diese Landzunge ab und entdeckte, hinter Strauchwerk verborgen, einen kleinen, offenen Sportwagen, der leer war. Auf dem schmalen Rücksitz konnte er eine Golftasche ausmachen.

Er dachte sofort an Cleveland und Longless. Die beiden Killer hatten bisher immer solche Sportwagen bevorzugt. Es schien sich dabei um eine Marotte von Cleveland zu handeln.

Waren die beiden Profis in der Nähe? War es ihnen doch gelungen, die Spur von London nach Schottland aufzunehmen?

Parker suchte die bewaldete Landzunge nach etwaigen Schützen ab, konnte wegen des hohen Grases und der vielen dichten Sträucher aber nichts entdecken.

Er blieb unruhig.

Parker hob das schwere Fernrohr eine Spur an und suchte das weiter entfernt liegende Ufergelände ab – und erkannte plötzlich zwei Gestalten, die im Schatten der Bäume standen und jetzt hinter dichtem Strauchwerk verschwanden.

Cleveland und Longless!?

Parker ahnte nicht, daß er zwei völlig fremde Männer für die Gesuchten hielt. Die Optik reichte nicht aus, um die Gesichter der beiden Männer genau zu erkennen. Was er sah, genügte ihm. Sein junger Herr hatte immerhin vor, diesen Uferstreifen anzusteuern, um dort seine Angel auszulegen.

Parker griff nach einem seiner vielen Kugelschreiber, die sich in seiner Westentasche befanden. Er verdrehte die beiden Hälften gegeneinander und machte den Kugelschreiber damit schußbereit. Dann ein leichter Druck auf den Haltclip, und zischend schoß eine kleine Miniaturleuchtkugel zum Himmel hoch. Sie entfaltete sich und kam als roter Funkenregen herunter auf den See.

*

»Oh, wie hübsch!« meinte Vivi Carlson arglos und deutete hoch, »sehen Sie doch, Mister Rander.«

Der Anwalt hatte bereits gesehen.

Er wußte sofort, was dieser rote Funkenregen zu bedeuten hatte.

Gefahr!

Parker mußte irgend etwas entdeckt haben und warnte ihn. Rander sah sofort hinüber zur nahen Landzunge. Nur von dort aus konnte Gefahr drohen.

Er handelte blitzschnell.

Er griff nach Vivi Carlsons Beinen und zog sie blitzartig zu sich heran. Vivi Carlson rutschte von ihrem Sitz, schrie überrascht auf und verschwand hinter den schützenden Planken.

Rander duckte sich ab und schätzte die Spitze der Landzunge ab. Hohes Gras, Sträucher, Bäume, genügend Verstecke für einen Gewehrschützen.

Rander nahm die Pinne des kleinen Außenborders herum und steuerte von der Landzunge weiter in den See hinaus. Er steigerte die Geschwindigkeit, um aus einer eventuellen Gefahrenzone herauszukommen.

»Bleiben Sie unten«, rief er Vivi zu, die sich wieder aufrichten wollte. Dann griff er in die Ziertuchtasche seines Jacketts und holte jenen Gegenstand hervor, den sein Butler ihm zusätzlich mit auf den Weg gegeben hatte.

Es handelte sich ebenfalls um einen Kugelschreiber. Parker war in der Präparierung dieser kleinen schlanken Schreibgeräte von einem sagenhaften Erfindungsreichtum.

*

»Die haben Lunte gerochen«, rief Longless und richtete sich auf. Er wies auf den See hinaus, auf dem das kleine Boot mit Rander und Vivi Carlson an Bord zu sehen war. Der Außenborder sirrte auf Hochtouren und lieferte die Geräusche einer gereizten Stechmücke.

»Durchblicker«, gab Cleveland kühl zurück. Er korrigierte die Richtung des Gewehrlaufes und ließ das Boot wieder ins Fadenkreuz seines Zielfernrohrs ein wandern.

Cleveland war vollkommen ruhig.

Diesmal mußte es klappen, diesmal konnte er seinen heiklen Auftrag endlich erledigen. Er brauchte nur noch Druckpunkt zu nehmen und dann weich durchzuziehen.

Doch innerhalb einer knappen Sekunde war das Boot mit seinen gefährdeten Insassen nicht mehr zu sehen. Es war in einer dichten weiß-grauen Nebelwolke völlig verschwunden. Es schien sich sogar in Nebel aufgelöst zu haben.

»Was ist denn das?« wunderte sich Longless laut.

»Verdammt«, stieß Cleveland wütend aus, »wieder so ein Butler-Trick. Langsam werde ich aber sauer!«

Er setzte das Gewehr ab und starrte auf die dicke Nebelwolke, die sich immer weiter ausbreitete. Die einmalig günstige Gelegenheit war beim Teufel. Er konnte sich nicht erklären, wieso Rander plötzlich Verdacht geschöpft hatte.

»Wenn das so weitergeht, macht einem die Sache ja keinen Spaß mehr«, ärgerte sich Longless. »Immer diese faulen Tricks.«

»Völlig unfair«, pflichtete Cleveland seinem enttäuschten Schützling bei. »Wie soll man denn da zu ’nem Kernschuß kommen?«

Sie standen auf und nahmen übel. Die beiden Profikiller hatten eingesehen, daß vorerst nichts mehr zu machen war.

»Und jetzt?« fragte Longless, als sie den kleinen Sportwagen erreicht hatten.

»Ich hab’s«, sagte Cleveland und blieb wie von einer blitzartigen Erleuchtung getroffen plötzlich stehen.

»Was?«

»Die Lösung. Denk mal an das Handbuch für Profis, Seite 81, Absatz drei.«

»Mann!« antwortete Longless gedehnt und nickte begeistert. »Das ist es. Damit haben wir sie schon in der Tasche, Clevie!«

*

»Haben Sie’s mitbekommen? Nessie ist auf dem See.«

Major Williams rannte mit wippendem Schottenrock an Parker vorbei und warf sich förmlich auf seine optischen Geräte. Er visierte mit dem Fernrohr und der mächtigen Gummilinse seines Filmgeräts den breiten Nebelfleck auf dem See an. Geschickt hantierten seine kurzen, dicken Finger mit den Schrauben, Rändelrädchen und Hebeln der Geräte. Er glühte vor Eifer und arbeitete an beiden Apparaten zugleich. Dabei stieß er das Schnauben eines Walrosses aus.«

»Ein völlig neues Phänomen«, redete er dabei aufgeregt. »Nessie stößt neuerdings Atemwolken aus. Wie mächtig muß das Ungeheuer sein!«

»Ein Außenborder«, widersprach Parker höflich, »und was die Atemluft angeht, Sir, so handelt es sich um die Auswirkungen einer gezündeten Miniatur-Nebelbombe.«

»Sie sind ein Ignorant!« stieß Major Williams hervor und drehte sich entrüstet zu dem Butler um. »Ich weiß, was ich sehe. Das ist Nessie! Eindeutig! Gleich werde ich den Beweis antreten.«

Er beugte sich erneut über seine optischen Geräte und korrigierte und ließ dann die Filmkamera surren, die er auf den großen Nebelfleck gerichtet hatte. Williams nahm ein schweres Fernglas in die Hand und beobachtete zusätzlich die See. Er schien fest davon überzeugt zu sein, das Ungeheuer von Loch Ness erwischt zu haben.

Nach knapp zehn Sekunden setzte Major Williams jedoch das Glas jäh ab und stellte die festeingestellte Filmkamera ab.

»Ein Irrtum«, sagte er, »nur ein Motorboot. Es dürfte Nessie verjagt haben.«

Parker nahm das Fernglas entgegen, das Major Williams ihm reichte. Er sah auf den ersten Blick, daß Mike Rander und Vivi Carlson nichts passiert war. Sie befanden sich in einem völlig intakten Boot, hatten eine Position im See erreicht, die für einen Gewehrschützen unerreichbar war und trieben jetzt abwartend auf dem Wasser.

Parker sah zur Landzunge hinüber.

Der kleine offene Sportwagen war nicht mehr zu sehen.

Der Butler wollte das Glas gerade absetzen, als er im oberen Blickfeld eine Bewegung feststellte.

Er hob das Glas an und erkannte auf dem jenseitigen Ufer die beiden Gestalten, die schon einmal sein Mißtrauen und sein Interesse erregt hatten.

Jetzt war deutlich zu sehen, daß es sich auf keinen Fall um die beiden Killer Cleveland und Longless handelte.

Einer von ihnen hielt – deutlich erkennbar – ein Gewehr in der Hand.

Parker setzte das Glas ab, trat an Major Williams vorbei und richtete die Filmkamera mit der schweren Gummilinse auf diese Uferpartie. Dann ließ er einige Meter Film durch das Gerät laufen. Er wollte die Gesichter dieser beiden Männer festhalten.

»Haben Sie was entdeckt?« fragte Williams, nervös vor Ungeduld.

»Möglicherweise«, sagte Parker.

»Ich – ich kann nichts sehen«, beschwerte sich der Major, der sich neben dem Butler aufgebaut hatte und durch eines der anderen Fernrohre den See absuchte. Dann beugte der kleine Mann sich vor und schwenkte das Fernrohr.

»Oh!« sagte er überrascht und elektrisiert. »Sehen Sie doch – dort vor den Bäumen!«

Parker blieb mit seinem Auge am Sucher und schwenkte die Filmkamera nach links. Sie ließ sich auf dem schweren Stativ wie geschmiert bewegen.

Im Sucher des Gerätes erschien ein kleines Motorboot, das auseinandergebrochen war und gerade sank.

Im Wasser kämpften zwei Menschen um ihr Leben.

*

Es war Vivi, die das auseinandergeborstene Motorboot sah.

Sie war derart überrascht und entsetzt, daß sie sprachlos mit ausgestrecktem Arm auf die Unglücksstelle zeigte. Rander drehte sich schnell herum und erkannte sofort, was passiert war, und gab Vollgas.

Es dauerte fast zwei Minuten, bis sie die Unglücksstelle erreicht hatten.

Ein Mann schwamm verzweifelt im Wasser, tauchte, kam prustend wieder an die Oberfläche und verschwand wieder. Dieser Mann schien die nahe Rettung überhaupt nicht wahrgenommen zu haben.

»Hierher!« rief Rander und winkte, als der Mann gerade wieder auftauchte und sich verzweifelt umsah.

Erst jetzt wurde der Mann aufmerksam. Er winkte, schwamm hastig an das sich nähernde Boot heran, in dem Rander und Vivi Carlson saßen, und rief mit keuchender Stimme etwas, was man nicht verstehen konnte.

Mit einem Stechpaddel drückte Rander das Boot an den Schwimmenden heran und streckte hilfreich seine Hand aus.

»Meine Frau!« keuchte der Schwimmende gurgelnd und spuckte Wasser. »Meine Frau. Sie kann nicht schwimmen. Suchen Sie! Helfen Sie doch!«

Vivi stellte sich im Boot auf und blickte über das Wasser. Die Reste des sinkenden Motorbootes sackten gerade ab. Von einer Frau war weit und breit nichts zu sehen.

»Kommen Sie an Bord!« rief Rander dem Schwimmenden zu. »Sie sind ja restlos fertig.«

Statt zu antworten, tauchte der Mann wieder weg. Durch das klare Wasser des Sees war er deutlich zu erkennen. Mit kraftvollen Stößen arbeitete er sich nach unten.

Vivi sah sich hastig nach allen Seiten um. Sie konnte den Mann im Wasser sehr gut verstehen. Er suchte verzweifelt nach seiner Frau, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben.

Mike Rander fuhr in langsamer Fahrt um die letzten Wrackteile des Motorbootes und hielt ebenfalls Ausschau nach einer Frau. Dabei vergaß er aber nicht den Mann, der jetzt wieder auftauchte und völlig erschöpft war. Stoßweise und keuchend ging sein Atem.

Diesmal hatte der Schwimmende nichts dagegen, an Bord genommen zu werden. Mike Rander und Vivi Carlson mußten sich sehr anstrengen, bis sie den total entkräfteten Mann endlich geborgen hatten. Er blieb wie erschlagen auf dem Boden des Bootes liegen, hatte die Augen geschlossen und keuchte.

»Es war ein Schuß«, sagte er schließlich mühsam und richtete sich etwas auf. »Es war ein Schuß – Sie – Sie müssen ihn doch gehört haben. Es war ein Schuß!«

*

Cleveland und Longless hatten ihr augenblickliches Standquartier erreicht. Es handelte sich um einen komfortablen Wohnwagen, der schon fast ein Trailer war. Sie hatten sich ihn regulär gemietet und hierher ans Ufer schleppen lassen. Der zweiachsige Wohnwagen stand auf einem kleinen Plateau oberhalb der Seeuferstraße. Eine Rampe führte von der Straße hinauf zum Standplatz.

Die beiden Killer waren hier ungestört.

Der Standplatz gehörte einem Bauern, der gegen Zahlung einiger Scheine bereit war, ihnen dieses Plateau zu vermieten. Unten auf der Straße befand sich eine Baustelle. Eine Firma aus dem nahen Inverness zementierte und asphaltierte hier ein großes Straßenstück.

Diese Baustelle sorgte ungewollt dafür, daß die beiden Campingfreunde kaum mit Störungen zu rechnen hatten. Der Verkehr wurde umgeleitet, das Plateau lag damit in einem toten Winkel.

Cleveland und Longless waren nach ihrem mißglückten Attentat in Drumnadrochit gewesen und hatten ausgiebig eingekauft. Jeder von ihnen legte jetzt eine große Einkaufstasche auf die Sitzbank des Wohnwagens.

»Hoffentlich lohnt sich die Ausgabe«, meinte Longless skeptisch, als er auspackte.

»Ohne Einsatz kein Gewinn«, erwiderte Cleveland und befaßte sich ebenfalls mit dem Inhalt seiner Tasche. »Bevor Parker sich von seiner Überraschung erholt hat, ist er bereits, auf dem Steilflug in den Himmel, Junge.«

»Komm, probieren wir das Zeug mal an«, schlug Longless neugierig vor. »Wann soll unser Besuch denn über die Bühne gehen, Clevie?«

»Pünktlich zum Lunch«, sagte Cleveland, »wir werden Parkers Nachtisch sein.

*

»Von einem Schuß habe ich nichts gehört«, wiederholte Mike Rander noch mal.

»Ich ebenfalls nicht«, fügte Vivi Carlson hinzu. Sie und Mike Rander befanden sich in Josuah Parkers Hotelzimmer im Turm der Pension. Das Trio tauschte seine Beobachtungen aus und besprach den Todesfall auf dem Loch Ness.

»Ich möchte mich Ihrer Beobachtung vollinhaltlich anschließen«, erklärte der Butler würdevoll, »aber ich möchte noch mal auf die beiden Männer verweisen, von denen ich eben sprach. Einer von ihnen trug allerdings ein Gewehr in der Hand.«

»Sie sind sicher, daß es nicht Cleveland und Longless waren?« vergewisserte sich der Anwalt noch mal.

»Mit letzter Sicherheit, Sir«, gab der Butler zurück. »Die Auswertung der erwähnten Filmaufnahmen wird das bestätigen.«

»Komische Geschichte«, meinte Rander nachdenklich. »Ravens blieb steif und fest bei seiner Behauptung ein Geschoß habe den Benzintank seines Motorbootes getroffen.«

»Mister Ravens ist der Eigner des verunglückten Bootes, Sir?«

Peter Ravens«, bestätigte der Anwalt, »ein Geschäftsmann aus London.«

»Und die Frau an Bord war seine Frau Rose«, fügte Vivi Carlson hinzu.

»Ein schreckliches Unglück«, meinte Parker.

»Ich hätte große Lust, Loch Ness so schnell wie möglich zu verlassen«, sagte Mike Rander. »Irgend etwas braut sich mal wieder zusammen.«

»Sie denken an die Herren Cleveland und Longless, Sir?«

»Sie schossen immerhin ihre Alarmrakete ab, Parker!«

»In einer peinlichen Verkennung der Situation, Sir«, erwiderte der Butler, »hielt ich die beiden Unbekannten für unsere Dauerschatten. Die Herren Cleveland und Longless konnten bisher nicht ermittelt werden, Sir.«

»Aber sie treiben sich bestimmt hier in der Gegend herum. Bisher haben wir sie noch nie abschütteln können. Wir sollten fahren!«

»Darf ich vorschlagen, Sir, noch ein wenig zu warten?« bat der Butler gemessen.

»Warum? Was versprechen Sie sich davon?«

»Darf ich noch mal auf die beiden Fremden verweisen, Sir, von denen einer ein Gewehr trug.«

»Dann habe ich also doch richtig begriffen.« Rander schüttelte entschieden den Kopf. »Sie rechnen natürlich mit einem neuen Kriminalfall, Parker, oder? Aber daraus wird nichts! Wir wollen Urlaub machen, wenn ich daran erinnern darf. Nach dem Lunch werden wir fahren. Treffen Sie alle Vorbereitungen!«

Vivi Carlson schickte dem Butler einen schnellen, bedauernden Blick zu, aus dem deutlich hervorging, daß sie gegen einen neuen Kriminalfall überhaupt nichts einzuwenden hatte.

Parker deutete eine seiner leichten Verbeugungen an und zeigte, daß er den Wünschen seines jungen Herrn selbstverständlich nachkommen würde. Dabei überlegte er allerdings schon intensiv, wie er die Reisevorbereitungen durchkreuzen konnte.

*

Cleveland kam sich in seinem Kilt mehr als komisch vor.

Das knielange Röckchen mit dem großen Karomuster schlenkerte um seine Beine und machte ihn völlig unsicher. Er kam sich hilflos und nackt vor.

Ganz anders Longless.

Das Riesenbaby mit den vielen rosigen Speckpolstern hatte einen Kilt erwischt, der viel zu kurz war. Longless trug eine Art Mini, kam sich darin aber ungemein zünftig vor. Besonders stolz war er auf das Messer, das in seinem Strumpf steckte, und auf die neckische Ledertasche, die vom Gürtel herab über seinen Bauch baumelte.

In diese Ledertasche, die zürn schottischen Rock einfach gehörte, hatte er seinen schallgedämpften 38er gesteckt. Wie übrigens auch Cleveland, der sich mit der Ledertasche vor seinem Bauch einfach nicht abfinden konnte.

Diese beiden Originalschotten standen vor der Hotelpension und liefen Major Williams direkt in die Arme. Der kleine, quirlige Hotelbesitzer schien auf Opfer nur gewartet zu haben.

»Ich weiß, weswegen Sie kommen«, rief er Cleveland und Longless zu.

»Machen Sie keinen Unsinn«, erwiderte Cleveland unsicher.

»Wegen Nessie«, behauptete Major Williams.

»Wegen Parker. Äh, wegen wem?« Longless hatte sich wieder mal versprochen und sah seinen Ausbilder Cleveland entschuldigend an.

»Wegen Nessie«, wiederholte Major Williams. »Sie haben es auch gesehen, nicht wahr?«

»Natürlich«, antwortete Cleveland, der den Eindruck hatte, einem Irren gegenüberzustehen.

»Ich hab’s gewußt. Ich hab’s gewußt«, freute sich der arglose und skurrile Major. »Immer herein in die gute Stube. Nehmen wir einen Drink. Und dann müssen Sie mir erzählen, wie Sie’s gesehen haben!«

»Eigentlich wollten wir zu Mister Rander und seinem Butler«, meinte Cleveland vorsichtig.

»Die kommen gleich runter zum Lunch. Zeit für uns, schnell zu den Fakten zu kommen. Kommen Sie!«

Cleveland und Longless folgten Williams durch die große Eingangshalle hinüber in die Pensionsbar, die neben dem Eßraum eingerichtet war. Alles in dieser Hotelpension war großzügig geplant worden. Es handelte sich immerhin um eine Art Schloß aus früheren Zeiten, als Architekten noch Sinn für räumliche Weite und künstlerische Gestaltung hatten.

»Rander und Parker werden runterkommen?« erkundigte sich Cleveland noch mal.

»Natürlich. Sie lunchen und wollen dann abreisen. Schade, dieser Butler schien die richtige Nase für Nessie zu haben!« Major Williams zog und zerrte die beiden Originalschotten an die Bar und füllte drei Gläser.

Ziemlich randvoll, was mit seiner Begeisterung zusammenhing.

»Erzählen Sie«, bat er, sich an Cleveland wendend. Longless, der auf einen Barhocker geklettert war, zupfte sich den viel zu kurzen Rock über die Knie.

»Was wollen Sie hören?« erkundigte sich Cleveland.

»Alles über Nessie«, sagte Major Williams eifrig. »Cheerio, die Herren. Nehmen wir einen auf Nessie!«

Sie nahmen einen Drink auf Nessie, und Cleveland verstand es geschickt, Major Williams sprechen zu lassen. Er und Longless hörten sich ziemlich gelangweilt an, was der Pensionsbesitzer von dem Ungeheuer zu berichten hatte. Und zwischendurch tranken sie immer wieder auf Nessie.

»Dolles Biest«, stellte Longless nach dem dritten Drink fest und kümmerte sich nicht mehr weiter um seinen Minirock.

»Du bist ’ne Wucht, Opa«, behauptete Cleveland mit schwerer Zunge, »sowas wie dich müßte man einmotten!«

»Wann spießen wir Nessie auf?« erkundigte sich Longless und kokettierte ganz offensichtlich mit einer bereits sehr angejahrten, vertrocknet aussehenden Dame, die im Wintergarten saß und den beiden Dauerkillern mißbilligende Blicke zuwarf. Longless zupfte seinen kurzen Rock wieder höher und grinste die Dame neckisch an.

»Auf zum Fischfang«, grölte Cleveland verhalten und genehmigte sich seinen vierten Drink.

»Auf Nessie!« toastete Major Williams, der auch leicht angeheitert war. »Auf alle Menschen, die an Nessie glauben!«

»Hallo, Süße?« rief Longless, das Riesenbaby, der Dame im Wintergarten zu. Er nahm den Rock weit über seinen stämmigen linken Oberschenkel und zwinkerte ihr zu.

»Immer sauber bleiben«, warnte Cleveland und schickte Longless’ Rocksaum zurück in Richtung Knie.

»Finger weg!« warnte Longless und schlug seinem Ausbilder auf die Hand.

»Und jetzt zu Ihnen«, sagte Major Williams, sich an Cleveland wendend, »was haben Sie gesehen? Beschreiben Sie genau, was Sie gesehen haben! Ich brauche Ihren Augenzeugenbericht für meine Unterlagen.«

»Dolles Biest«, meinte auch Cleveland mit schwerer Zunge.

»Sage ich doch die ganze Zeit«, warf Longless ein und sah zu der Dame im Wintergarten hinüber. Er kokettierte schamlos mit ihr und spielte wieder am Rocksaum.

»Wie ’n dicker Karpfen!« behauptete Cleveland, der nicht wußte, wovon sein Schützling sprach.

»Goldfisch«, widersprach Longless.

»Interessant«, stellte Major Williams überrascht fest. »Nessie erinnert Sie also an einen Goldfisch?«

»Karpfen«, behauptete Cleveland mit inzwischen noch schwererer Zunge.

»Goldfisch«, sagte Longless und meinte ganz offensichtlich die angejahrte Dame. Der Alkohol in seinem Kopf verjüngte die Dame entscheidend.

»Und der Kopf?« erkundigte sich Major Williams in gespannter Erwartung.

»Mies!« stellte Cleveland fest und bekam einen Schluckauf.

»Muffel!« sagte Longless. Er winkte der angejahrten Dame jetzt respektlos zu, rutschte vom Barhocker und tänzelte auf sie zu.

Das Schottenröckchen wippte kokett.

Die Dame im Wintergarten sah betont hinaus auf den See, als Longless sie erreicht hatte.

»Darf man mal kurz ’ne Zwischenlandung machen?« erkundigte sich Longless und wollte sich setzen. Die Dame fuhr herum und bestäubte ihn kurz und nachhaltig mit dem Inhalt eines Pfefferstreuers.

Was Longless überhaupt nicht bekam.

Er heulte auf, rieb und wischte sich die Augen, verlor die Orientierung und fiel krachend über einige Stühle, die er unter sich begrub.

Cleveland, der die Szene beobachtet hatte, erlitt einen mittelschweren Lachkrampf und kippte vom Hocker. Er wieherte wie ein Pferd und trommelte mit seinen Händen vor Begeisterung auf den Boden.

Major Williams kam zu der Erkenntnis, daß seine beiden Gäste und Augenzeugen im Moment nicht mehr ansprechbar waren. Er drückte auf den Klingelknopf an der Wand, um sein Personal zu alarmieren.

*

Josuah Parker, der nach seinem hochbeinigen Wagen sehen wollte, stutzte leicht, als zwei offensichtlich stark angeheiterte Herren in einen Kombi verladen wurden. Major Williams leitete wortreich diese Arbeit und kümmerte sich nicht weiter um die lautstarken Gesänge der beiden Gäste, die Schottenröcke trugen.

Erst im letzten Augenblick entdeckte Parker, wer diese Männer waren.

Cleveland und Longless!

Parker wartete, bis Major Williams sich ans Steuer des Kombi gesetzt Hatte und losfuhr. In Schlangenlinien übrigens, die irgendwie beschwingt wirkten.

Dann begab Josuah Parker sich hinüber zu seinem hochbeinigen Wagen und fuhr dem Kombi nach. Er ahnte nicht, wie Major Williams an die beiden Superkiller geraten war, doch Williams schien zumindest zu wissen, wohin er Cleveland und Longless zu bringen hatte.

Die Verfolgung des Kombi dauerte etwa eine halbe Stunde. Dann war eine Baustelle erreicht, von der ein schmaler, steiniger Weg hinauf auf ein kleines Plateau führte.

Parker verließ seinen Wagen und brachte die Reststrecke zu Fuß hinter sich. Aus sicherer Entfernung beobachtete er, daß Williams’ Kombi vor einem großen, zweiachsigen Wohnwagen hielt, in dem Cleveland und Longless anschließend laut grölend verschwanden.

Parker wartete, bis der Major mit seinem Kombi verschwunden war. Dann näherte er sich vorsichtig dem Wohnwagen und lauschte an der Tür.

Cleveland war nicht zu hören, er schien bereits zu schlafen. Longless hingegen versuchte sich gerade an einem gängigen Schlager, den er laut und völlig falsch sang. Doch seine Stimme wurde schnell schwach und schwächer und ging bald in Schnärchtöne über.

Parker nahm sich die Freiheit, den Wohnwagen der beiden Superkiller ein wenig zu untersuchen. Ihm ging es darum, seine technischen Fähigkeiten an den Mann zu bringen.

*

»Mister Ravens behauptete, daß Sie den Schuß gehört haben müssen«, sagte Inspektor Girvan zu Mike Rander. Seine Stimme klang desinteressiert und müde. Sie entsprach seinem Äußeren. Inspektor Girvan war untersetzt, leicht korpulent, hatte dicke Tränensäcke unter den müden Augen und bewegte sich mit der Schwerfälligkeit eines alten Mannes. Er war aus Inverness gekommen, wie er gesagt hatte, um den Unglücksfall auf dem Loch Ness zu klären.

Er stand am Fenster von Mike Randers Zimmer und sah beiläufig auf den See hinaus.

»Ich muß passen«, erwiderte Rander und sah Vivi Carlson an.

»Ich habe ebenfalls nichts gehört.« Vivi schüttelte den Kopf. »Hat man Mistress Ravens inzwischen gefunden?«

»Noch nicht«, meinte Inspektor Girvan, »wir müssen wohl mit ihrem Tod rechnen.«

»Sie drücken sich sehr vorsichtig aus«, stellte Rander fest.

»Ich halte mich an Tatsachen«, sagte der Inspektor. »Sie sind sicher, daß Sie eine Frau im Motorboot gesehen haben?«

»Darüber herrscht kein Zweifel«, antwortete der Anwalt.

»Ich habe sie ebenfalls ganz deutlich gesehen«, schaltete Vivi Carlson sich ein.

»War es diese Frau?« erkundigte sich der Inspektor und reichte Vivi ein Foto.

»Das ist schon möglich«, erwiderte Randers Sekretärin vorsichtig. »Haarfarbe und Haarlänge stimmen auf jeden Fall.«

»Und was sagen Sie, Mister Rander?« Jetzt erhielt der Anwalt das Foto.

»Sie könnte es gewesen sein«, erklärte Mike Rander, »aber mit letzter Sicherheit kann ich das nicht behaupten. Ich war zu aufgeregt, offen gesagt. Ich hatte nur das Bestreben, so schnell wie möglich an das Wrack heranzukommen.«

»Haben Sie deshalb so etwas wie eine Nebelwolke um Ihr Boot gesetzt?« wollte Inspektor Girvan wissen. Er fragte, ohne seine gleichgültige Stimme anzuheben.

»Nebelwolke ?« fragte Rander zurück, um etwas Zeit zu gewinnen.

»Nebelwolke!« versicherte der Inspektor.

»Es gibt da Augenzeugen, die das deutlich gesehen haben.«

»Ach ja«, erinnerte Mike Rander sich jetzt etwas gequält. »Mein Butler ist Amateurbastler. Er bat mich, sie auszuprobieren.«

»Eine Nebelbombe?« fragte Inspektor Girvan, ohne sich zu wundern.

»Okay«, bestätigte der Anwalt, »wozu er sie entwickelt hat, müssen Sie ihn schon selber fragen.«

»Lassen wir das«, redete der Inspektor weiter. »Sie kennen Mister Ravens nicht, nein?«

»Völlig unbekannt.«

»Sie wissen auch nicht, wer er ist?«

»Das sagte ich schon, Inspektor«, gab Rander lächelnd zurück, »aber Sie wissen doch sicher mehr, oder?«

»Natürlich«, bestätigte Girvan gleichmütig. »Peter Ravens ist ein Geschäftsmann aus London, der sich hier am Loch Ness vor Monaten einen Urlaubssitz gekauft hat.«

»Warum legt er Wert darauf, daß wir einen Schuß gehört haben sollen?« erkundigte sich Mike Rander.

»Seine Frau Rose konnte nicht schwimmen.«

»Na, und?« Rander sah den Inspektor irritiert an.

»Keine Ahnung«, meinte Girvan und zuckte die Achseln, »scheint eine Marotte von ihm zu sein.«

»Wenn wirklich geschossen wurde, müßte er doch Feinde haben«, warf Vivi Carlson ein.

»Richtig«, bestätigte Inspektor Girvan, »aber das streitet er ab.«

»Rätselhafte Geschichte«, bemerkte Rander kopfschüttelnd, der sich instinktiv hütete, von den Filmaufnahmen seines Butlers zu sprechen.« Aber reden Sie doch mal mit meinem Butler. Er stand oben auf dem Turm und hat vielleicht Dinge gesehen, die wir unten auf dem See nicht erkannt haben.«

»Wo erreiche ich Ihren Butler?«

»Wo erreiche ich Sie?« konterte Rander, »er wird sich sofort mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald er zurück ist.«

»Ich habe mir drüben im Dorf ein Zimmer gemietet, im Hotel Finnan. Er sollte mich aber vorher anrufen. Kann sein, daß ich viel unterwegs bin.«

*

Parker brauchte knapp zehn Minuten, bis er seine technischen Fähigkeiten nutzbringend an den Mann gebracht hatte.

Auf dem Tisch des Wohnwagens lagen diverse Schußwaffen, mit denen die beiden schlafenden Dauerkiller sich wieder ausgerüstet hatten: Revolver, Pistolen, eine Maschinenpistole und einige Schlag- und Schneidinstrumente.

Parker sorgte dafür, daß die Schußwaffen nicht mehr funktionierten, vor allem, daß die Schlagbolzen nicht mehr in der Lage waren, Patronen zu zünden. Anschließend räumte er die Mordgeräte wieder sorgsam weg. Cleveland und Longless brauchten nicht zu wissen, daß ihr spezielles Handwerkszeug nicht mehr funktionstüchtig war.

Nach getaner Arbeit begab Parker sich zurück zu seinem Wagen und fuhr hinunter zu einem Bootsverleih, wo er sich nach dem Eigentümer des gesunkenen Motorboots erkundigte.

Hier am Steg hatte sich der schreckliche Unfall bereits herumgesprochen. Parker bekam schon nach wenigen Minuten den erforderlichen Hinweis auf Peter Ravens und dessen Haus am See.

»Wollen Sie etwa bei dem als Butler arbeiten?« fragte der Bootsverleiher, ein älterer, neugierig aussehender Mann von etwa 55 Jahren.

»Dies liegt möglicherweise im Bereich der Wahrscheinlichkeit«, gab Josuah Parker zurück.

»Da würde ich an Ihrer Stelle aber verdammt vorsichtig sein«, redete der Bootsverleiher weiter, »ich will ja nichts gesagt haben, aber ein sonniger Bursche ist dieser Ravens gerade nicht.«

»Sie erschrecken mich«, gestand Parker.

»Ravens ist sogar ’ne unangenehme Type«, redete der Mann weiter.

»Wie darf ich das verstehen?« wollte der Butler wissen, »tyrannisiert er sein Personal?«

»Vor allen Dingen seine Frau«, behauptete der Bootsverleiher, »gestern erst noch hatten sie einen Riesenkrach. Und wissen Sie, was er getan hat?«

»Ich vermag es noch nicht mal zu ahnen.«

»Er ohrfeigte sie!«

»Wie peinlich«, stellte Parker fest, »und dies haben Sie selbst gesehen?«

»Mit meinen eigenen Augen! Drüben auf dem Parkplatz. Es gab zuerst ’nen Wortwechsel, und dann knallte er ihr eine. Und wissen Sie auch, warum?«

»Auch diesmal dürfte ich total überfragt sein«, räumte Parker ein und beugte sich gespielt neugierig vor.

»Wegen der anderen.«

»Ich möchte behaupten, daß Sie jetzt eine Frau meinen.«

»Richtig! Wegen der anderen Frau. Sie scheint dahinter gekommen zu sein.«

»Demnach leistet Mister Ravens sich eine Gespielin?«

»Und was für eine! Mein lieber Mann, ’ne blonde Sexbombe!«

»Die sich hierher an den See verirrt hat?«

»Die da drüben im Seehotel wohnt. Schon seit fast ’ner Woche. Wissen Sie, hier draußen am Wasser hat man ja kaum was zu tun. Und man sieht so ’ne Menge, was man eigentlich nicht sehen sollte.«

»Durchaus verständlich und erklärlich«, sagte Parker. »Ich danke Ihnen für diese vertraulichen Hinweise. Stand Mister Ravens in Scheidung, wie ich hörte?«

»Ob die sich scheiden lassen wollen, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er sagte, sie solle sich zum Teufel scheren.«

»Eine äußerst unfreundliche Äußerung«, fand Josuah Parker. »Fuhr das Ehepaar Ravens oft auf den See hinaus?«

»Nee, eigentlich nie, Mistress Ravens hatte Angst vor dem Wasser, war schon fast ’n Tick von ihr. Und ausgerechnet bei der ersten Ausfahrt mußte das passieren, nicht?«

Der Bootsverleiher sah den Butler irgendwie listig und abwartend an.

»Man könnte fast erschrecken«, gab der Butler prompt zurück. »Ein tödlicher Zufall!«

»Natürlich ein Zufall, was dachten Sie denn?« reagierte der Bootsverleiher und grinste. »Verdammt gut, daß Mister Ravens schwimmen konnte, nicht wahr?«

»Wieso?« fragte Parker gespielt naiv.

»Na, sonst wäre doch auch er jetzt tot«, meinte der Bootsverleiher. »Jetzt kann er meinetwegen ein neues Leben beginnen. Wie neugeboren!«

*

Es handelte sich um ein ehemaliges, sehr altes Bauernhaus, kleingedruckt und mit einem Strohdach versehen. Dieses Haus, das aus Steinen verschiedener Größe gemauert war, stand in einem Garten, durch den ein Kiesweg hinunter zum See und privaten Bootssteg führte.

Parker näherte sich würdevoll und gemessen dem Haus. Er hatte es noch nicht ganz erreicht, als die Tür geöffnet wurde und ein Mann heraustrat, den der Butler sofort als Peter Ravens identifizierte.

»Mister Ravens, nicht wahr?« fragte Parker aber dennoch. »Ich habe Sie sofort wiedererkannt«

»Wiederkannt?«

»Ich beobachtete Ihren Unglücksfall auf dem See«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«

»Sie haben den Unglücksfall auf dem See beobachtet?« hakte Peter Ravens sofort ein. »Sie haben alles mitbekommen?«

»So könnte und müßte man es ausdrücken«, antwortete Parker. »Darf ich mir übrigens erlauben, Ihnen mein Beileid auszudrücken?«

»Von wo aus haben Sie alles gesehen?« wollte Ravens wissen, ohne auf Parkers Kondolation einzugehen.

»Vom Turm jener Pension, die Major Williams betreibt, Mister Ravens.«

»Weiter, weiter! So erzählen Sie doch.«

»Das Motorboot, in dem Sie und eine Dame saßen, explodierte plötzlich.«

»Nicht wahr? Es explodierte. Der Tank flog in die Luft. Ich hörte den Einschlag, und dann war es auch schon passiert.«

»Welchen Einschlag, Mister Ravens?«

»Den Einschlag einer Kugel«, sagte der mittelgroße, schlanke Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er wirkte durchtrainiert und hatte ein gutgeschnittenes Gesicht. Seine blauen Augen schienen allerdings unterkühlt und verliehen den gebräunten Zügen etwas maskenhaft Starres.

»Dies erinnert mich in der Tat an meine Beobachtung, die ich zusätzlich machen konnte«, sagte Parker.

»Und?«

»Am Ufer hielten sich zwei Männer auf, von denen einer ein Gewehr trug.«

»Zwei Männer? girier mit einem Gewehr?«

»In der Tat!«

»Zwei Männer«, wiederholte Ravens und wurde nachdenklich. »Haben Sie sie erkannt?«

»Ich war sogar in der glücklichen Lage, sie fotografieren zu können«, erwiderte Parker. »Um genau zu sein, ich hielt sie auf dem Film einer Kamera fest!«

»Den Film muß ich haben.«

»Ich werde mir erlauben, Ihnen eine Kopie zur Verfügung zu stellen«, antwortete Parker. »Das Original werde ich selbstverständlich den zuständigen Behörden übergeben müssen.«

»Natürlich«, sagte Ravens übertrieben einlenkend. »Ist ja klar, Mister Parker. Sie wohnen bei Major Williams?«

»Zusammen mit meinem Herrn, Anwalt Rander, und dessen Sekretärin.«

»Kann ich mich darauf verlassen, daß ich den Film bekomme?«

»Mit Sicherheit, Mister Ravens, ich werde ihn noch heute entwickeln. Major Williams verfügt über eine erstaunlich umfassend und gut eingerichtete Dunkelkammer.«

»Wann kann ich vorbeikommen?«

»Darf ich zwanzig Uhr vorschlagen?« antwortete Parker würdevoll.

»Ich werde pünktlich sein. Sagen Sie, Mister Parker, haben Sie bereits mit der Polizei über diesen Film gesprochen?«

»Dies werde ich unverzüglich nachholen«, äußerte Parker, »bisher ergab sich dazu noch keine Möglichkeit. Darf ich mir erlauben, mich zu verabschieden?«

Parker lüftete seine schwarze Melone und schritt dann würdevoll zurück zu seinem Wagen. Er hatte das sichere Gefühl, den ersten Interessenten für seine Filmarbeit gefunden zu haben.

*

»Was war’n das für’n Knilch?« fragte Lemmie mißtrauisch und sah dem davonfahrenden Butler nach. Lemmie war ein mittelgroßer, rundlicher Mann von dreißig Jahren mit einer ausgeprägten Mönchstonsur, die sein rundliches Gesicht noch runder machte.

»Drück auf die Tube«, sagte sein Beifahrer Archie. Klein und hager, sah er wie ein gealterter Jockey aus. Er mochte etwa vierzig Jahre zählen.

Diese beiden Männer sahen keineswegs wie Gangster aus dem Bilderbuch aus. Sie trugen saloppe Ferienkleidung und paßten hierher an den See, dem Ziel vieler Erholungssuchender.

Doch Lemmie und Archie waren Gangster, und sogar innerhalb der Londoner Unterwelt bekannt.

Lemmie ließ den Morris anrollen und hängte sich geschickt an Parkers hochbeinigen Wagen. Bisher hatten sie das Haus von Peter Ravens beobachtet, doch das Auftauchen des Butlers hatte ihren Sinn geändert.

»Was tippst du, ein Bulle?« fragte Archie.

»Nee, niemals«, gab Lemmie zurück. »Harmloser Trottel, siehste schon am Regenschirm.

»Was hat er von Ravens gewollt?«

»Wollen wir ihm mal auf die Zähnchen fühlen?«

»Erst mal sehen, wo sein Stall ist«, war die Antwort. Sie zündeten sich wie auf ein geheimes Kommando hin Zigaretten an und blieben an Parkers Wagen kleben.

Lange dauerte die Fahrt nicht.

Als Josuah Parker in die Auffahrt zu Major Williams’ Hotelpension einbog, ließen die beiden Spezialisten aus London sich zurückfallen und hielten.

»Holzauge, sei wachsam«, meinte Lemmie plötzlich und wies hinauf auf den Turm der Pension.

»Da bin ich doch total geplättet«, stellte Archie fest und beugte sich etwas vor, um besser sehen zu können.

»Wie ’ne kleine Sternwarte«, sagte Lemmie.

»Mit Optik und so«, fügte Archie hinzu. Sie sahen sich an und stiegen dann kurz aus dem Wagen, um noch besser beobachten zu können. Vom Wagen aus war die Batterie der optischen Geräte oben auf der Plattform des Turms deutlich zu sehen.

»Sieht übel aus«, konstatierte Lemmie.

»Verdammt mies sogar«, antwortete Archie, »zum Teufel mit dem Zeug da oben. Damit kann man ja glatt über den See sehen!«

»Und sogar noch in Großaufnahme«, schloß Lemmie.

*

Es dauerte genau sechs Minuten, bis die Türklinke vorsichtig heruntergedrückt wurde.

Parker sah es und wartete geduldig ab. Er war in dem dunklen Raum, der nur von Rotlicht schwach erhellt war, kaum zu erkennen. Parker hatte die beiden Verfolger natürlich bemerkt und sich einen Reim darauf gemacht.

Seine Rechnung ging also auf!

Er hatte vorn in der Anmeldung der Hotelpension dem Hausmeister aufgetragen, etwaige Besucher, die sich nach ihm erkundigten, hierher zur Dunkelkammer zu schicken. Dieser Raum befand sich im Souterrain der Pension. Sie war vom Garten aus nicht zu betreten, sondern nur über die breite Treppe, die von der Hotelhalle aus nach unten führte.

Die Besucher vor der Tür waren sehr geschickt, wie Parker neidlos anerkannte. Sie hatten inzwischen gemerkt, daß die Tür verriegelt war und schalteten jetzt um.

»Hallo, da drin!« war plötzlich eine entsetzte Stimme zu hören. Gleichzeitig trommelten Fäuste gegen das Türblatt. »Hallo, schnell... Feuer!«

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms schob Parker den kleinen Riegel zurück und blieb dicht an der Wand stehen. Er wollte von den Eintretenden nicht sofort gesehen werden.

Was auch nicht der Fall war, wie sich sehr schnell zeigte.

Die Besucher draußen vor der Tür hatten das Zurückschieben des Riegels gehört und warfen sich kraftvoll gegen die Tür. Sie wollten blitzartig eindringen und zur Sache kommen.

Doch sie hatten nicht mit Parkers Vorbereitungen gerechnet.

Genau gegenüber der Tür hatte Parker einen von Major Williams Fotoapparaten aufgebaut. Mit aufgesetztem Blitzlicht, wie man sich denken kann.

Als die beiden Besucher nun hereinstürmten, löste Parker das Blitzlicht, und Lemmie und Archie wurden total geblendet. Sie sahen sich einer flammend hellen Wand gegenüber und waren hilflos.

Parker erlöste sie aus ihrer peinlichen Überraschung. Dazu benutzte er den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms. Er klopfte zweimal, worauf Lemmie und Archie fast wohlig aufstöhnten und sich zur Ruhe begaben.

*

»Ich hätte sie der Polizei übergeben«, meinte Anwalt Rander eine halbe Stunde später.

»Ein Schluß, Sir, der im ersten Moment nahe liegt«, antwortete der Butler. »Doch der von Ihnen erwähnte Inspektor hätte mit diesem Geschenk kaum etwas anfangen können.«

»Na, hören Sie mal!« Rander war anderer Meinung. »Die beiden Kerle schleppten doch Schußwaffen mit sich herum.«

»Und hätten dennoch kaum ausgesagt«, erwiderte Parker gemessen, »man kennt doch das Verhalten dieser Herren.«

»Wissen Sie wenigstens, wer sie sind?« wollte Mike Rander wissen.

»Eine genaue Untersuchung der Anzugtaschen verlief leider, aber erwartungsgemäß ohne jeden Erfolg!«

»Demnach wissen wir nur, daß sie wahrscheinlich mit dem Unglücksfall auf dem See im Zusammenhang stehen, wie?«

»In der Tat, Sir! Die Beschattung des Hauses, in dem Mister Ravens wohnt, deutet ebenfalls auf solch einen Zusammenhang hin.«

»Also doch Mord?« schaltete Vivi Carlson sich ein. Sie befand sich ebenfalls in Mike Randers Hotelzimmer.

»Dies, Miß Carlson, müßte erst noch bewiesen werden«, antwortete der Butler, »wie übrigens auch eine Verbindung zwischen den beiden Waffenträgern und Mister Ravens.«

»Eine gute Sache für die Polizei«, lenkte Mike Rander wieder ab, »warum sollen wir uns darüber den Kopf zerbrechen? Wir haben andere Sorgen.«

»Die denken jetzt an die beiden Syndikat-Killer, Mister Rander?« erkundigte sich Vivi Carlson.

»Natürlich«, sagte der Anwalt, »weiß Gott kein schönes Gefühl, von zwei Killern beschattet und bedroht zu werden.«

»Im Augenblick dürften die Herren Cleveland und Longless nicht ganz handlungsfähig sein«, schränkte der Butler ein.

»Aber das wird sich ändern«, antwortete Rander, »noch haben wir Zeit, unsere Koffer zu packen. Wir sollten diese günstige Gelegenheit gründlich nutzen.«

*

»Ich sterbe!« behauptete Longless am Nachmittag, nachdem er aus seinem Tiefrausch erwacht war. Er faßte vorsichtig nach den Schläfen und stöhnte.

»Ich bin bereits tot«, steigerte Cleveland und drückte sich die Handballen gegen die schmerzenden Augen.

»Dieser Knilch muß uns Gift verpaßt haben«, erklärte Longless.

»Wie sind wir eigentlich hierher in den Wohnwagen gekommen?« fragte Cleveland halblaut, »haben wir das etwa allein geschafft?«

»Ich bestimmt nicht. Bei mir fehlt ein Stück Film«, sagte Longless.

»Bei mir ist der Streifen auch gerissen. Hauptsache, wir sind erst mal aus der Gefahrenzone, Junge.«

Die beiden Profis ließen sich kraftlos zurück auf die Betten fallen und legten einen Erholungsschlaf ein, der bis gegen Abend dauerte. Dann erwachten in ihnen wieder die alten mörderischen Instinkte.

»Zeit für unsere Schicht.« Cleveland erhob sich vorsichtig. »Das Syndikat erwartet, daß wir unsere Pflicht tun.«

»Bist du sicher?« erkundigte sich Longless ohne jede Begeisterung.

»Ich hab schließlich ’nen Ruf zu verlieren«, erwiderte Cleveland. »Los, hoch! In einer Stunde haben wir’s hinter uns.«

»Was?«

»Parker und Rander. Du kannst jetzt schon mal den Daddy formulieren.«

»Und wie stellst du dir das vor?«

»Rander und Parker werden ihren letzten Happen beim Dinner nehmen. Wir knipsen sie vom Garten der Pension aus ab. Ganz einfache Sache, wie auf ’nem Schießstand!«

*

»Natürlich hat er unsere Fotos«, sagte Lemmie gereizt, »sogar prima ausgeleuchtet. Denk doch mal an das Blitzlicht!«

»Die Fotos müssen verschwinden. Lemmie«, fügte Archie gedankenvoll hinzu.

»Und zwar so schnell wie möglich.«

»Schnappen wir uns also diesen komischen Opa.«

»Das allein genügt nicht. Er muß verschwinden. Er weiß schließlich, wie wir aussehen.«

»Was hältst du von ’nem zweiten Bootsunglück auf dem See?«

»Von mir aus. Hauptsache, er kann nicht mehr quasseln.«

Das Duo hatte sich nach dem Niederschlag in der Dunkelkammer im Keller der Hotelpension wiedergefunden und sofort den Rückzug angetreten. Es befand sich jetzt, am späten Nachmittag, im Zimmer eines kleinen Gasthofes und war fest entschlossen, zur Sache zu kommen.

Lemmie und Archie kontrollierten ihre Waffen, verließen das Gasthaus und setzten sich in ihren Morris. Sie wollten zurück zur Hotelpension des Major Williams und einen tödlichen Besuch machen.

Es dunkelte bereits, als sie das schloßartige Haus am Seeufer erreichten.

Sie ließen den Wagen auf der Straße stehen, schlugen einen weiten Bogen und überkletterten einen Zaun. Dann pirschten sie sich routiniert durch den Garten an das Haus heran.

Die Fenster des Speisesaals waren festlich erleuchtet. Durch die große Scheiben erkannte man die Hotelgäste deutlich. Sie saßen an Einzeltischen und nahmen das Dinner ein.

»Irgendwas zu sehen?« erkundigte sich Archie bei Lemmie, der durch ein Nachtglas die Gäste beobachtete.

»’ne Menge«, gab Lemmie zurück, »aber die Type kann ich nicht entdecken.«

»Wir haben ja Zeit«, meinte Archie und lehnte sich gegen einen der vielen Bäume im Hotelpark. Dann, wie von einer Tarantel gestochen, schob er sich wieder nach vorn und duckte sich.

»Peile mal nach links!« flüsterte er Lemmie zu, da, hinter dem Strauch am Springbrunnen!«

»Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt«, stieß Lemmie überrascht hervor. »Was sind denn das für Typen?«

»Auf jeden Fall sind Sie nicht astrein«, meinte Archie warnend, »warum verstecken die sich? Und warum peilen auch die rüber zum Speisesaal?«

»Männer in Schottenröckchen«, mokierte sich Lemmie, »die sehen wir uns mal aus der Nähe an.«

*

»Fehlanzeige, Clevie«, flüsterte Longless seinem Ausbilder zu. »Parker, Rander und die kleine Blonde scheinen Lunte gerochen zu haben.«

»Quatsch«, gab Cleveland zurück, »die müssen jeden Augenblick auf der Bildfläche erscheinen.«

Die beiden Syndikatkiller hatten sich in der Nähe des Springbrunnens hinter dichtem Strauchwerk aufgebaut und beobachteten den Speisesaal. Sie hatten sich mit diversen Schußwaffen ausgerüstet und warteten auf ihre Gelegenheit.

Sie hatten nicht die Spur einer Ahnung, daß sje bereits belauert wurden.

»Vielleicht mampfen die oben im Zimmer?« sagte Longless besorgt.

»Ausgeschlossen, die wissen doch nicht, daß wir im Land sind, Junge. – Mach bloß nicht in Panik! Unsere Stunde wird schon noch schlagen.«

Um besser sehen zu können, verließen sie ihre Deckung und stiegen auf den Rand des Brunnens, der etwa einen Meter hoch war. Sie reckten ihre Hälse und warteten voller Ungeduld auf das Erscheinen ihrer Opfer. Sie wollten endlich zur Sache kommen.

Plötzlich aber quiekten die beiden Profis erschreckt auf. Was mit derben und hart zupackenden Händen zusammenhing, die sich um ihre Fußknöchel spannten. Dann ein kurzer Ruck, und Cleveland und Longless hatten keinen festen Halt mehr unter ihren Schuhsohlen. Es riß ihnen die Beine weg.

Sie schwebten für Bruchteile von Sekunden in der Luft, kippten dann ab, gingen in einen Steilflug über und landeten mit wehenden Schottenröckchen im aufspritzenden Wasser des Springbrunnens. Sie gingen auf Tauchstation und litten unter Sauerstoffmangel, wofür Lemmie und Archie nachdrücklich sorgten, denn sie drückten die Köpfe der beiden Killer ausgiebig unter Wasser.

Prustend und gurgelnd konnten Cleveland und Longless sich schließlich erheben.

Sie sahen sich in wilder Panik nach allen Seiten um, doch von einem Gegner war nichts zu bemerken.

»Parker«, gurgelte Longless und spuckte Wasser.

»Genau!« bestätigte Cleveland. »Taktischer Rückzug, Junge.«

Wie zwei klitschnasse Hasen hüpften und sprangen sie durch den nächtlichen Garten hinüber zur nahen Straße. Die wasserschweren Schottenröcke schlugen um ihre nackten Oberschenkel. Ohne sich gedanklich ausgetauscht zu haben, waren sie der festen Ansicht, daß diese Aktion fehlgeschlagen war.

*

Lemmie und Archie hielten sich die Bäuche vor Lachen.

Sie standen hinter einem Strauch und beobachteten die Absatzbewegung der beiden Männer, die jetzt seitlich neben der Hotelpension verschwanden.

»Bullen?« fragte Lemmie.

»Privatdetektive«, präzisierte Archie.

»Oder vielleicht Kollegen?«

»So doofe Kollegen gibt’s doch gar nicht. Die müßte man sonst aus der Branche ausschließen«, gab Archie grinsend zurück, »’n Anfänger im ersten Lehrjahr ist doch cleverer. Die sehen wir nie wieder, und das ist die Hauptsache.«

Lemmie, und Archie bezogen nach dem amüsanten Zwischenfall wieder ihre alte Stellung und warteten auf das Erscheinen des Butlers, der allerdings gar nicht so weit war, wie sie glaubten.

Josuah Parker saß entspannt, aber dennoch würdevoll auf einem Klappstuhl, der in einem kleinen Gartenhäuschen stand. Er hatte den Zwischenfall mit Cleveland und Longless interessiert verfolgt und sich jetzt wieder den beiden Männern gewidmet.

Mit ihrem erneuten Auftauchen hatte er fast gerechnet.

Nicht umsonst hatte Parker das Blitzlichtgerät in der Dunkelkammer verwendet. Gangster schätzten es überhaupt nicht, wenn man sie fotografiert. Er war von der Überlegung ausgegangen, daß die beiden Männer aus dem Morris bei Einbruch der Dunkelheit zurückkommen würden, um sich ihre Paßfotos abzuholen.

Diese Rechnung war nun aufgegangen.

Parker hob seinen Universal-Regenschirm an und richtete die Spitze auf die beiden Männer.

Der Schirmstock, der als Blasrohr eingerichtet war, spuckte in schneller Reihenfolge je einen kleinen Blasrohrpfeil aus der Mündung. Es handelte sich um Pfeile, die nicht größer waren als Stricknadeln. Sie wurden durch Preßluft aus dem Blasrohr getrieben und entwickelten dank ihrer Befiederung einen äußerst stabilen Flug.

Was Lemmie und Archie schnell merken sollten.

»Au!« stöhnte Lemmie auf und faßte instinktiv und blitzschnell nach seiner linken Gesäßhälfte.

»Verdammt!« stöhnte Archie und faßte nach seiner rechten Gesäßhälfte.

Fast synchron zogen sie dann je ihren Blasrohrpfeil aus dem jeweiligen Sitzmuskel und drehten und wendeten ihn angewidert in ihrer Hand.

»Was’n das?« fragte Lemmie verblüfft.

»Giftpfeil!« gluckste Archie mit ersterbender Stimme, verdrehte die Augen und sackte zu Boden.

»Nein!« knirschte Lemmie, der sich plötzlich ungemein müde fühlte. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft, sich ein nettes Plätzchen auf dem Boden auszusuchen. Er sank über Archie, der bereits tief und fest schlief.

Das Betäubungsmittel, mit dem die Spitzen der beiden Blasrohrpfeile versehen war, tat wieder mal prompt seine Wirkung.

Josuah Parker verließ den Platz in der kleinen Hütte und schritt hinüber zu den beiden Männern. Er barg seine beiden Blasrohrpfeile und ließ sie in den kleinen Köchern verschwinden, die sich neben den Drahtstreben des Regenschirms befanden. Er kümmerte sich um die Schußwaffen der beiden Männer und lustwandelte dann gemessen, als sei überhaupt nichts passiert, zurück zur Hütte, um sich jene Schubkarre zu holen, die er dort gesehen hatte. Parker war, was Improvisation anging, ein Meister seines Fachs.

*

»Alles klar?« erkundigte sich Rander gewohnheitsgemäß, als er zusammen mit Vivi Carlson den Speisesaal betrat, wo der Butler ihn bereits erwartete.

»Diese Ihre Frage, Sir, kann ich vollinhaltlich und ohne jeden Abstrich bejahen«, gab Parker zurück. Ihm war nichts von dem Zwischenfall im Hotelgarten anzusehen. Er stand steif, würdevoll und untadelig vor dem Anwalt.

»Schön, nehmen wir das Dinner«, meinte Rander erleichtert. Er nickte Parker zu, der sich plötzlich innerlich zu sträuben schien. Was mit Parkers Einstellung zusammenhing, daß ein Butler am Tisch seiner Herrschaft absolut nichts zu suchen habe, sofern er nicht dienstlich dort zu tun hatte.

Mike Rander, der auf solche Formen noch nie Wert gelegt hatte, bestand darauf, daß Josuah Parker zusammen mit ihm und Vivi Carlson aß. Wogegen der Butler schon wiederholt protestiert hatte, was Mike Rander sich aber nicht hatte ausreden lassen.

»Haben Sie sich inzwischen schon mit Inspektor Girvan in Verbindung gesetzt?« fragte Rander, als sie saßen. Parker hatte weit vorn an der Kante des Stuhls Platz genommen, derart steif, als habe er einen Ladestock verschluckt.

»Dies hat sich bisher leider noch nicht ergeben, Sir.«

»Nein?« wunderte sich Rander. »War Ihr Nachmittag vollbesetzt?«

»So möchte auch ich es ausdrücken, Sir. Ich hatte in der Dunkelkammer zu tun.«

»Was hat der Film ergeben?« wollte Vivi Carlson wissen.

»Die Gesichter der beiden Männer, die während des Unfalls am anderen Seeufer standen, sind in aller Deutlichkeit zu erkennen.«

»Was den Inspektor freuen wird, Parker. Sie werden ihm diesen Film natürlich zur Verfügung stellen, oder?«

»Gewiß, Sir.«

»Ohne jeden Trick«, bat Rander mißtrauisch, überrascht darüber, daß sein Butler mit den Behörden Zusammenarbeiten wollte.

»Gewiß, Sir«, war Parkers Antwort, die jetzt allerdings etwas unkonzentriert wirkte. Er hatte nämlich Major Williams entdeckt, der vorn am Eingang zum Speisesaal stand und ihm ziemlich ungeniert zuwinkte.

»Darf ich mir erlauben, mich einen Moment zu entfernen?« bat Parker, stand auf und verließ den Saal, ohne sich um Randers Erlaubnis zu kümmern.

Major Williams kam ihm entgegen, aufgeregt und zappelig vor Ungeduld.

»Nessie...« flüsterte er Parker zu. »Nessie ist aufgetaucht. Sie müssen unbedingt mit nach oben auf den Turm kommen. Nessie ist deutlich zu hören!«

*

»Hiiilfe...!« schrie Archie und formte seine Hände zu einem Trichter.

»Halt doch endlich die Klappe«, brüllte Lemmie seinen Partner wütend an.

»Hilfe ...!« schrie Archie erneut und duckte sich ängstlich ab, als Lemmie aufstand, um ihm eine Ohrfeige zu verabreichen. »Bleib bloß sitzen. Wir schlagen um!«

»Ich schlag dir eine hinter die Löffel«, brüllte Lemmie aufgebracht. »Mußt du denn den ganzen See alarmieren?«

»Ich will hier weg«, greinte Archie und kauerte sich nieder.

»Dann tu was dafür«, fauchte Lemmie seinen Partner an. »Schreien reicht nicht!«

Während er noch tobte, tauchte er seinen linken Arm ins Wasser und benutzte ihn als Paddel. Archie war weniger entschlossen. Er getraute sich nicht, dem Beispiel seines Partners zu folgen.

Die beiden Gangster saßen in einem recht kleinen, labilen Schlauchboot und befanden sich mitten auf dem Loch Ness. Sie trieben schon seit geraumer Zeit auf dem leicht bewegten Wasser, weitab vom rettenden Ufer, das in der Dunkelheit ohnehin nur zu erahnen war. Spärliche Lichter am Seeufer deuteten auch die Richtung an, die sie zu nehmen hatten.

»Mach endlich mit!« knurrte Lemmie nervös.

»Und wenn’s zuschnappt?«

»Wer...!?« fragte Lemmie verblüfft.

»Das Loch-Ness-Monster!«

»Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, wie?« brauste Lemmie erneut auf. »Loch-Ness-Monster. Wenn ich das schon höre! Nichts als Märchen. Mach endlich mit, oder ich kipp dich über Bord!«

»Nein, nein, ich kann nicht schwimmen«, stöhnte Archie und ließ seinen rechten Arm vorsichtig ins Wasser gleiten.

»Dafür schneid ich den Butler in handliche Streifen«, schwor Lemmie, der eifrig paddelte.

»Wie hat er uns überhaupt hier auf den See gebracht?« wollte Archie wissen.

»Das frage ihn, bevor ich ihn tranchiere«, sagte Lemmie. »Verdammt, warum bewegt sich das Mistding nicht?«

Er hatte keine Ahnung, daß Parker einen Treibanker in Form eines Plastikeimers unten am Schlauchboot befestigt hatte. Dieser improvisierte Treibanker machte fast alle ihre Anstrengungen zunichte. Nebel war von der Wasseroberfläche aufgestiegen und schuf eine unwirkliche und unheimliche Umgebung. Die Lichter am Ufer wurden milchiger und blasser. Schon nach wenigen. Minuten hatten Lemmie und Archie den sicheren Eindruck, sich irgendwo auf dem Atlantik zu befinden.

Was ihrer Stimmung überhaupt nicht zuträglich war.

*

»Da drüben – in südlicher Richtung – auf Invermoriston zu, da hab ich’s gehört«, sagte Major Williams um diese Zeit und peilte durch sein stärkstes Fernrohr auf die See hinaus.

»Gesehen?« fragte Parker, der neben ihm stand.

»Und auch gehört«, behauptete Major Williams. »Seltsame Geräusche. Wie fettes Grunzen oder Rülpsen. Nessie scheint zu verdauen!«

»Wie schade für Sie, daß der Nebel hochsteigt«, stellte Parker höflich fest. Er konnte sich leicht erklären, was Major Williams gesehen und gehört haben mochte: Lemmie und Archie im Schlauchboot.

»Da! Hören Sie doch!« Der Major tänzelte nervös von einem Bein auf das andere und horchte auf den See hinaus.

»In der Tat«, stellte Parker fest, »ein dumpfes Schnauben.«

»Nicht wahr!?« Major Williams drehte sich zu Parker um und sah ihn triumphierend an. »Sie sind mein Zeuge, Mister Parker. Sie haben es doch auch gehört, nicht wahr?«

»Ganz sicher«, beruhigte Parker den Inhaber der Pension, »sollte man vielleicht hinaus auf den See rudern?«

»Unmöglich, das würde Nessie sofort mißtrauisch machen.«

»Wahrscheinlich«, räumte Parker ein. »Dann schlage ich vor, das Tier unbehelligt zu lassen. Irgendwann wird es sich schon wieder beruhigen.«

Major Williams kümmerte sich nicht weiter um den Butler, sondern hantierte jetzt an einem Tonbandgerät, um die seltsamen Laute des Loch-Ness-Monsters aufzunehmen.

Parker wollte nicht weiter stören und empfahl sich leise und höflich.

*

»Hier wären die beiden Herren, von denen ich sprach«, sagte Parker und legte Peter Ravens die Fotos vor, die er in der Dunkelkammer von Lemmie und Archie geschossen hatte.

Nach dem Dinner war Parker ausgegangen, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Er war hinüber zum Ferienhaus seines jetzigen Gesprächspartners gefahren und wartete auf eine Reaktion.

Sie kam prompt.

Peter Ravens, der Mann, der seine Frau auf dem See verloren hatte, konnte sich einfach nicht verstellen. Zu groß war wohl seine Überraschung. Nachdem er die Fotos entgegengenommen hatte, beugte er sich ruckartig über sie und starrte den Butler entgeistert an.

»Sind Sie sicher, daß es diese beiden Männer gewesen sind?« wollte er dann sicherheitshalber noch einmal wissen.

»In der Tat! Dieser Herr hier trug das Gewehr in der Hand. Den entsprechenden Filmausschnitt werde ich noch nachliefern, wenn ich es so ausdrücken darf.«

Peter Ravens sah sich wieder die Fotos an, auf denen Lemmie und Archie nebeneinander zu sehen waren. Übrigens mit Schußwaffen in ihren Händen. Die Schnappschüsse waren eindeutig.

»Ich darf und muß wohl unterstellen, daß diese Herren Ihnen bekannt sind, ja?« erkundigte sich Parker jetzt gemessen.

»Wie, bitte? Bekannt? Nein! Die habe ich noch nie gesehen«, behauptete Ravens jetzt unverfroren. »Wie kommen Sie darauf, daß ich diese beiden Typen kennen müßte?«

»Ich war so frei, dies Ihrem Gesichtsausdruck zu entnehmen«, gab Josuah Parker höflich zurück.

»Irrtum auf der ganzen Linie«, sagte Peter Ravens nervös. »Ich kenne die beiden Kerle nicht. Nie gesehen.«

»Darf ich vorschlagen, dieses Thema vorerst auszuklammern?« erkundigte sich der Butler. »Die Polizei wird die Identität dieser beiden Männer ohnehin bald klären.«

»Falls die Polizei die beiden Typen erwischt«, antwortete Ravens nervös.

»Die Voraussetzungen dafür dürften im Moment äußerst günstig sein«, sagte Parker, »die beiden Herren befinden sich zur Zeit in einem Zustand, den ich als eine Art Seenot bezeichnen möchte.«

Parker hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als plötzlich ein ausgeprägter Wirbelsturm ins Zimmer brach.

Dieser Tornado war superblond und besaß ungemein ausgeprägte Formen, die man nur als äußerst schwellend bezeichnen konnte und einen kindlichen Schmollmund, der eine einzige Einladung war.

Die Blonde fegte durch die rückwärtige Tür in den Wohnraum und brachte Peter Ravens ganz offensichtlich aus dem Gleichgewicht.

*

»Jetzt wird’s interessant«, stellte Mike Rander eine halbe Stunde später schmunzelnd fest, als Parker ihm und Vivi Carlson Bericht erstattet hatte.

»Es handelte sich um eine Miß Norma Weather, Sir, die meiner privaten Schätzung nach etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein müßte«, berichtete Parker zusätzlich.

»Seine Freundin also, von der der Bootsverleiher berichtet hat, oder?«

»Offensichtlich, Sir.«

»Die Nachfolgerin der toten Mistress Ravens«, warf Vivi Carlson sehr nüchtern ein.

»Offensichtlich, Miß Carlson«, erklärte Josuah Parker.

»Dann sehe ich schwarz für Ravens«, meinte der Anwalt nachdenklich.

»Offensichtlich, Sir«, wiederholte Parker zum dritten Mal.

»Was ist denn los mit Ihnen, Parker?« wunderte sich Rander. »Haben Sie auf Telegrammstil umgeschaltet?«

»Keineswegs, Sir«, gab Josuah Parker zurück. »Ich wollte damit nur die Gedankengänge unterstreichen. Was Mister Ravens betrifft, so dürfte er ohne die bereits bekannten Film- und Fotoaufnahmen sich in einer schwierigen Situation befinden.«

Mike Rander, Vivi Carlson und Josuah Parker befanden sich im geräumigen Hotelzimmer des Anwalts und konnten von den geöffneten Fenstern und vom Balkon aus hinaus auf die See blicken.

Loch Ness hatte sich in undurchdringliche Nebelschwaden gehüllt. Die Landschaft sah unwirklich aus, direkt unheimlich und drohend.

»Wann wollen Sie Inspektor Girvan informieren?« erkundigte sich der Anwalt.

»Zu dieser späten Stunde möchte ich den Herrn nicht stören«, wich Parker aus.

»Er wird sich über diese Störung freuen«, korrigierte Rander lächelnd. »Wissen Sie was, Parker, wir werden uns jetzt gemeinsam ein wenig die Füße vertreten.«

»Bedenken Sie das Wetter, Sir«? gab Parker abwehrend zurück, »Sie könnten sich möglicherweise eine Verkühlung holen. Nebelschwaden sind der Konstitution nicht sonderlich zuträglich.«

»Ich werde das schon überstehen«, erwiderte Rander ironisch. »Kommen Sie, Parker! Inspektor Girvan braucht die Aufnahmen. Sie beweisen doch immerhin mit einiger Sicherheit, daß Ravens seine Frau nicht umgebracht hat.«

»Wie Sie meinen, Sir.«

Es war Parker andeutungsweise anzusehen, daß er mit diesem nächtlichen Spaziergang keineswegs einverstanden war, was Mike Rander selbstverständlich wußte. Parker gab nur ungern Beweismaterial aus der Hand, sofern die Dinge seiner Ansicht nach noch nicht geklärt waren.

*

»Klarer Fall, daß wir ab sofort auf ’ner anderen Welle senden werden«, verkündete Cleveland und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. Er trug einen Bademantel, nachdem er sich die nassen Kleider abgestreift hatte.

»Verdammt unsportlich von Parker, daß er sich jetzt zwei Bodyguards zugelegt hat«, fügte Longless hinzu, der ebenfalls einen Bademantel trug, »wo bleibt da das Gleichgewicht der Kräfte?«

»Das bekommen wir wieder hin«, schwor Cleveland, »Parker wird noch Bauklötze staunen. Auch mit den beiden Leibwächtern wird er gegen uns keine Chance haben.«

»Und was hast du ausgeheckt?«

»Wir müssen ihn da stellen, wo er mit uns nicht rechnet.«

»Der scheint aber immer mit uns zu rechnen«, beschwerte sich Longless beleidigt.

»Aber nicht auf dem Wasser!«

»Auf dem Wasser?«

»Er und Rander sind morgen bestimmt wieder unterwegs und werfen ihre Angeln aus. Dabei wird es sie erwischen.«

»Bist du sicher, Clevie?«

»Vollkommen, Junge. Schon mal was vom Tauchsport gehört?«

»Tauchsport? Wenn ich das Wort Sport schon höre, bekomm ich ’ne Allergie.« Das Riesenbaby Longless schüttelte sich angewidert.

»Wenn schon«, redete Cleveland eindringlich weiter. »Das wirst du überstehen. Morgen ist Parker reif! Von Rander erst ganz zu schweigen.«

»Wie wär’s denn mit ’nem Tip für mich?« fragte Longless nervös. »Was willst du aufziehen?«

»Schon mal von Nessie gehört?« fragte Cleveland und kniff seinem Schützling ein Auge zu.

»Das Loch-Ness-Monster!?«

»Haargenau, Junge. Das werden wir morgen aktivieren. Die Sensationspresse wird sich wundern. Nessie wird zuschlagen!«

*

»Das sind Lemmie Lake und Archie Model«, sagte Inspektor Girvan, nachdem er einen flüchtigen Blick auf die Fotos geworfen hatte. »Sie können von Glück sagen, Mister Parker, daß Sie diese Begegnung heil überstanden haben.«

Parker und Rander hatten Inspektor Girvan aufgesucht und ihm zu den Fotos auch die zusätzliche Geschichte erzählt. Sie befanden sich in Girvans kleinem Hotelzimmer.

»Darf ich Ihren Worten entnehmen, Sir, daß es sich bei diesen Herren um relativ gefährliche Individuen handelt?« wollte der Butler wissen.

»Sie treffen den Nagel auf den Kopf«, gab Inspektor Girvan zurück. Der müde wirkende, schwerfällig aussehende Mann mit den schweren Tränensäcken unter den Augen nickte nachdrücklich. »Lemmie und Archie sind als Duo bekannt. Sie morden gegen Bezahlung, doch nachweisen konnte man ihnen nie etwas. Sie arbeiten ungewöhnlich geschickt.«

»Wen wollten Sie auf dem Loch Ness ermorden?« stellte Mike Rander die entscheidende Frage!«

»Mistress Ravens ertrank immerhin«, fügte der Anwalt hinzu.

»Und Mister Ravens behauptet, auf das Motorboot sei geschossen worden. Ferner, ein Geschoß habe den Tank des Motors getroffen.«

»Richtig, das will er mir ebenfalls einreden«, bestätigte Inspektor Girvan.

»Sie glauben ihm nicht?« fragte Rander.

»Lassen Sie mich so fragen, Mister Rander, wie soll ich ihm das Gegenteil beweisen. Das Motorboot ist gesunken und läßt sich bei der bekannten Wassertiefe wohl niemals bergen.«

»Könnte man nicht Froschmänner tauchen lassen?«

»Daran habe ich auch schon gedacht, aber der See ist dafür einfach zu tief.«

»Könnte Ravens dieses Duo engagiert haben, um seine Frau umbringen zu lassen?« warf Rander jetzt ein. »Könnte es nicht so gewesen sein, daß der Tank wirklich bewußt anvisiert wurde?«

»Sie denken jetzt an Ravens blonde Freundin, diese Weather, nicht wahr?«

»Die Ehe zwischen den Ravens soll nicht mehr intakt gewesen sein.«

»Sie war eigentlich schon geplatzt«, bestätigte Inspektor Girvan, »ich habe Erkundigungen eingeholt, Mister Rander. Mister Ravens betreibt einen Handel mit Gebrauchtwagen, doch seine Ausgaben übersteigen weit seine Einnahmen. Frage also, woher bezieht er sein Geld?«

»Auf diese Frage werden Sie sicher eine Antwort haben.«

»Einen Verdacht«, bestätigte der Inspektor müde. »Ravens betreibt illegale Buchmacherei. Aber auch er konnte bisher nicht erwischt werden.«

»Darf man fragen, Sir, ob Mister Ravens sich scheiden lassen wollte?« schaltete der Butler sich ein.

»Mistress Ravens wollte sich scheiden lassen«, lautete Inspektor Girvans Antwort, »das ist bereits durch Zeugenaussagen erhärtet. Meine Dienststelle in London hat das inzwischen herausgefunden.«

»Wäre das seinen Plänen nicht entgegengekommen?« wollte Rander wissen.

»Sie meinen, wegen seiner blonden Freundin, dieser Weather? Täuschen Sie sich nicht, Mister Rander! Mistress Ravens soll vermögend gewesen sein. Und der Gebrauchtwagenhandel war auf ihren Namen registriert. Bei einer Scheidung hätte Ravens sehr viel Geld eingebüßt.«

»Bleibt die Frage, ob er die beiden Mörder engagiert hat«, gab Mike Rander zu überlegen.

»Darauf werden Lemmie und Archie nie antworten«, gab Inspektor Girvan kopfschüttelnd zurück, »sie werden sich freiwillig nicht anklagen. Und die Fotos und der Filmstreifen, so wertvoll das alles ist, reichen als Beweis nicht aus, aber das dürften Sie ja wissen.«

»Uns sind also die Hände gebunden«, stellte Rander fest.

»Nur scheinbar, Sir«, brachte Josuah Parker sich in Erinnerung, »man sollte den Herren Lemmie und Archie ein wenig Spielraum einräumen und sie herausfordern. Ich hätte, was dies anbetrifft, einige ganz bestimmte Vorschläge zu unterbreiten.«

*

Nach harter Ruderarbeit mit ihren Händen erreichte das Duo endlich das rettende Ufer.

Lemmie Lake und Archie Model taumelten an Land und fielen erschöpft in die Knie. Sie hatten sich wie Galeerensklaven abgerackert und einige Male wegen der Nebelschwaden die falsche Richtung gewählt. Jetzt hatten sie es geschafft, aber sie waren ausgepumpt, fertig und ausgebrannt.

Sie blieben keuchend im taunassen Gras liegen und schnappten nach Luft.

»Ich brauche was Geistiges«, sagte Lemmie schließlich und klapperte dazu angeregt mit seinen Zähnen. Es war kühl geworden, der Nebel drang durch die Kleidung bis auf die Haut.

»Ich brauche was Flaches, auf das ich mich hinhauen kann«, erklärte Archie und erhob sich vorsichtig. »Wir hätten diesen Job nicht annehmen sollen.«

»Keine Sorge, dafür bekommen wir Gefahrenzulage«, sagte Lemmie. »Los, weiter!«

»Das Bett ruft«, bemerkte Archie sehnsüchtig.

»Nee, Parker«, korrigierte Lemmie, »dem Knilch rücken wir sofort wieder auf den Pelz. Den scheuche ich so hoch, daß er das Atmen vergißt!«

»Wir sollten besser die Kurve kratzen, Lemmie.«

»Erst ist Parker an der Reihe«, war die Antwort. »Augenzeugen dürfen nicht alt werden. Du kennst doch unser Motto.«

*

Major Williams hatte sich von der Plattform des Turms zurückgezogen und Parker die Nachtwache überlassen.

Der Inhaber der Hotelpension hatte natürlich keine Ahnung, warum der Butler sich die restliche Nacht um die Ohren schlagen wollte. Williams glaubte, Parker interessiere sich für Nessie. In Wirklichkeit aber wartete der Butler auf das Erscheinen von wenigstens zwei Männern.

Er hatte es sich auf der Plattform bequem gemacht, trug seinen schwarzen, streng geschnittenen Covercoat und die obligate Melone. Er war in der Dunkelheit kaum zu erkennen.

Parker rechnete also mit dem Erscheinen von Lemmie und Archie.

Es konnte aber auch durchaus sein, daß die beiden Dauerkiller sich noch mal auf den Weg machten, um ihren Syndikatsauftrag zu erfüllen. Alle vier hatten etwas gegen ihn und seinen jungen Herrn. Alle vier Männer mußten das Tageslicht scheuen.

Butler Parker hatte seine speziellen Vorbereitungen getroffen, um die nächtlichen Gäste zu empfangen. Diese Vorbereitungen entsprachen dem Turm, auf dem er stand. Er hatte sich in die Verteidigungsvorstellung seiner Zeit zurückversetzt, als man Angreifer auch mit flüssigen Mitteln begegnete.

Wohlverteilt an der Brüstung standen einige Plastikeimer, die nur darauf warteten, zielsicher entleert zu werden. Was diese Plastikeimer enthielten, sollte für etwaige Besucher eine nette Überraschung darstellen.

Es war allerdings recht kurios, daß die Plastikeimer, die pro Stück vielleicht fünf Liter faßten, mit einer Folie verschlossen waren. Parker mußte dafür einen ganz bestimmten Grund gehabt haben, den bisher nur der Butler kannte.

Josuah Parker mußte fast eine gute Stunde warten, bis sich etwas tat.

Von der Brüstung des Turms aus entdeckte er zur Gartenseite hin einige irreguläre Bewegungen, die nicht in die Nacht hineinpaßten. Sie wurden begleitet von einigen Geräuschen, die auf keinen Fall von irgendwelchem Nachtgetier herrühren konnten.

Parker beugte sich ein wenig über die Brüstung, um genauer sehen zu können. Nebelschwaden umwehten das schloß- und burgähnliche Haus des Majors. Dennoch machte Parker durch das lichtstarke Nachtglas zwei Schatten aus, die auf das Gebäude zuhielten. Um wen es sich genau handelte, konnte er allerdings nicht sehen. Die beiden Schemen an der Hintertür der Pension hielten sich dicht nebeneinander.

Parker ging ans Werk.

Er zog die Plastikfolien von den ersten beiden Eimern und hütete sich dabei einzuatmen.

Was so war klar, seinen Grund haben mußte.

Er nahm den ersten Eimer in die behandschuhten Hände und kippte ihn dann gezielt nach unten.

Die beiden Gestalten tief unter ihm hörten das Rauschen der improvisierten Dusche zu spät.

Als sie es registrierten, wurden sie bereits vom ersten Vollguß erwischt.

Die beiden Kerle kieksten überrascht auf und gingen erst mal in die Knie.

Dann, als sie schreckvoll nach Luft schnappten, traf sie der pestilenzartige Gestank, der sie einhüllte wie ein Mantel. Es war ein imaginärer Mantel, wie man ihn sich dichter und hautnaher nicht vorstellen kann.

Und dieser flüssige Mantel verströmte einen Gestank, der intensiv nach faulen Eiern roch.

Die beiden nächtlichen Schemen schnappten nach Luft, würgten und husteten, röchelten und spuckten. Sie vergaßen vor lauter Entsetzen, das Weite zu suchen, und blieben dummerweise wie angenagelt stehen. Entsprechend mußten sie folgerichtig die zweite Parker-Dusche über sich ergehen lassen.

Eingehüllt von dem Gestank nach faulen Eiern, gingen sie erneut in die Knie. Sie merkten nicht, daß Parker diesmal für eine Art Nachspülung sorgte. Diese zweite Dusche enthielt keine Duftstoffe mehr, dafür aber einen intensiven Farbstoff.

»Weg!« gurgelte Lemmie Lake und schleppte sich auf schwachen Beinen zurück in den dichteren Nebel des Pensionsgartens. Ihm folgte Archie Model, den es kräftig würgte. Gegen den Geruch von faulen Eiern war er eigentlich schon immer allergisch gewesen.

Parker verfolgte von der Plattform des Turms aus den Rückzug der beiden Männer.

Er verzichtete darauf, weitere Güsse nach unten zu schicken. Er hatte sehr genau beobachtet, daß er zwei Volltreffer erzielt hatte. Als sparsamer Mensch wollte er seine Spezialmunition nicht unnötig vergeuden. Immerhin gab es ja noch zwei weitere Männer, mit deren Besuch möglicherweise zu rechnen war.

*

Lemmie läutete die Nachtglocke der kleinen Gaststätte, in der er und sein Partner Archie für die Dauer ihres Aufenthaltes am Loch Ness abgestiegen waren.

Sie hatten inzwischen zwei Bäder im See genommen, mußten aber feststellen, daß der grausame Geruch nicht wich. Sie sehnten sich jetzt nach einer warmen Dusche.

Es dauerte eine Weile, bis der Nachtportier durch die kleine Halle heranschlurfte und sich der Tür näherte.

»Beeilung«, rief Archie ungeduldig dem Nachtportier zu, der die Tür fast erreicht hatte, plötzlich aber scharf abbremste.

»Was hat er denn?« wollte Lemmie wissen. Er sah deutlich im Licht der Nachtbeleuchtung, daß der Nachtportier prüfend die Luft schnüffelte.

»Aufmachen!« forderte Archie gereizt und trommelte mit der Faust gegen die Türscheibe.

Der Nachtportier, ein älterer, grauhaariger Mann, schob sich zögernd an die Tür heran und schnüffelte erneut. Dann wich er entsetzt zwei Schritte zurück und schnappte nach frischer Luft.

»Los, Opa!« brüllte Lemmie, »wir sind’s – Lake und Model.«

Der Nachtportier wich noch weiter zurück und hielt sich deutlich sichtbar die Nase zu.

»Ich schlag die Tür ein!« drohte Archie laut: »Los, aufmachen ... Wir sind Hotelgäste!«

Der Nachtportier winkte beschwichtigend, hielt sich immer noch die Nase zu und kam vorsichtig zurück zur Tür.

»Na, also«, meinte Lemmie erleichtert, »ich wußte doch gleich, daß der Urahn spuren würde.«

Lemmie hatte sich in der Beurteilung nicht getäuscht. Das Spuren des Nachtportiers allerdings fiel erheblich anders aus, als Lemmie es sich vorgestellt hatte. Der Nachtportier griff blitzschnell hinauf zur oberen Türkante und zog eine rasselnde Eisengittersicherung herunter. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und wetzte mit weiten Sprüngen zur Rezeption. Hier ging er hinter dem kleinen Anmeldetresen in Volldeckung und ließ sich nicht mehr sehen.

»Der Kerl muß verrückt sein«, regte sich Lemmie sofort auf.

»Möglich, aber er hat bestimmt ’ne gute Nase«, konterte Archie, »hier können wir nicht mehr landen, Lemmie. Los, Stellungswechsel! Wir müssen erst mal den Gestank loswerden.«

»Ich laß mich aber nicht aussperren«, brüllte Lemmie aufgebracht.

»Bist du ja schon«, stellte Archie fest, du riechst wie ein Stinktier!«

»Und du wie ’ne Jauchegrube«, erwiderte Lemmie wütend, »aber das werde ich diesem Parker heimzahlen. Der leckt mich noch ab, bis ich wie nach Rosen dufte.«

Die beiden Killer, die als Duo bekannt waren, traten den Rückzug an, zumal durch ihr Gebrüll einige Hotelgäste aufgewacht waren. Diese Leute hatten ihre Zimmerfenster geöffnet.

Leichtsinnigerweise!

Sie wollten sich durch Augenschein vergewissern, wer die Frechheit besaß, zur nächtlichen Stunde so zu lärmen.

Die gerade geöffneten Fenster schlossen sich wieder blitzschnell. Hinter den Scheiben war anschließend ein mehr oder weniger lautes und intensives Husten und Würgen zu hören. Parkers Duftstoffe hatten es in sich!

Lemmie Lake und Archie Model trollten sich zurück in die mit Nebelschwaden vermischte Dunkelheit.

Zwei Katzen, die sich im Frühstadium eines Liebesspiels befanden, miauten entsetzt, als die Männer sie passierten. Die beiden Vierbeiner hetzten in langen Sprüngen davon.

Ein Nachtkäuzchen, das auf Beutesuche war und im Gleitflug schwebte, geriet ebenfalls ungewollt in den Dunstkreis der beiden Profikiller.

Es zog das Höhensteuer, hustete röchelnd und sorgte für Positionswechsel, um hinaus auf den See zu streichen, wo die Luft wieder sauber war.

Ein Marder, der sich für die Eierlieferanten der kleinen Gäste interessierte, kreuzte den Weg der beiden Duftliferanten.

Das Tier erhielt fast einen elektrischen Schlag, als es die menschliche Fährte passierte, nieste dann ausgiebig und verzichtete für diese Nacht auf frisches Hühnchen. Der Marder jagte entsetzt zurück in den nahen Wald in nasses Moos, um sich von dem entsetzlichen Gestank zu befreien.

Lemmie Lake und Archie Model merkten nichts von diesen kleinen Tragödien, die sich in der Tierwelt abspielten. Ziellos wanderten sie zurück zum See, um es dort erneut mit Wasser zu versuchen. Sie hatten längst das Stadium erreicht, in dem sie sich gegenseitig nicht mehr riechen konnten.

*

»Nessie! Nessie muß am Haus gewesen sein«, schwärmte und erregte sich Major Williams am anderen Morgen.

Die Sonne hatte bereits den Nebel vertrieben, der See lag klar und deutlich in der riesigen Talsenke und sah eigentlich nicht danach aus, als beherberge er ein Monster aus dem Erdtertiär.

Major Williams geriet aus dem Häuschen.

Er hatte Mike Rander und Butler Parker abgefangen und schleppte sie hinter die burgähnliche Pension. Dabei schnüffelte er wie ein Jagdhund und deutete auf den Rasen vor dem Hintereingang.

»Penetrant«, stellte Rander fest und hielt sich die Nase zu. Parkers nächtliche Dusche war deutlich zu riechen, obwohl der Butler noch in der Nacht mit einem chemischen Gegenmittel gearbeitet hatte.

»Nessie!« wiederholte Major Williams. »Dieser faulige Geruch entspricht dem, was ich von Nessie erwartet habe.«

»Sie glauben wirklich, das Ungeheuer von Loch Ness sei hier auf dem Rasen gewesen?« fragte Rander vorsichtig. Er mochte den etwas skurrilen Major und wollte ihn nicht unnötig kränken.

»Nessie muß auf dem Rasen gewesen sein«, behauptete Williams und sah sich ruckartig nach allen Seiten um. »Es müßten eigentlich Spuren zu sehen sein.

»Begnügen Sie sich mit dem Geruch«, erklärte Rander lächelnd, »der ist Beweis genug, finde ich.«

»Ich möchte nur wissen, was Nessie hier am Haus wollte«, fragte sich der phantasievolle Major halblaut und zog die Stirn kraus. »Wollte es vielleicht Kontakt mit mir aufnehmen?«

»Warten Sie halt auf die nächste Nacht«, vertröstete Rander seinen Gastgeber. »Nessie wird bestimmt zurückkommen, falls es etwas von Ihnen will.«

Major Williams hörte schon nicht mehr zu, sondern lief durch den weiten Hotelpark hinunter in Richtung Seeufer. Er suchte nach Spuren und war im Moment nicht mehr ansprechbar.

»Jetzt sind Sie an der Reihe«, meinte Rander und wandte sich seinem Butler zu, »was hat sich wirklich abgespielt?«

Josuah Parker erstattete seinem jungen Herrn Bericht. Kurz und knapp, wie es seiner Art entsprach. Er war schon nach fast zehn Minuten damit fertig.

»Sowas kann auch nur Ihnen einfallen«, meinte Rander und schmunzelte. »Was bezwecken Sie damit, Parker?«

»Mir geht es darum, Sir, die beiden Schützen ein wenig zu reizen, sie zu zwingen, emotionell zu reagieren.«

»Mit diesem Gestank werden Sie das sicher schaffen«, sagte der Anwalt, »kommen Sie, Parker, nur weg von hier, sonst wird mir noch schlecht. Sie hoffen also, daß dieses Duo tätlich wird?«

»Gewiß, Sir.«

»Und bei der Gelegenheit wollen Sie herausbekommen, ob sie geschossen haben und in welchem Auftrag?«

»Dies, Sir, ist in der Tat der Endpunkt meiner bescheidenen Bemühungen. Ich darf noch mal zusammenfassen. Schossen die Herren Lake und Model wirklich auf das Motorboot, in dem sich Mister Ravens samt Ehefrau befanden? Wollten Sie den Tank des Außenborders absichtlich treffen? Wem galt der Mordanschlag und in welchem Auftrag führten sie ihn aus?«

»Da haben Sie sich aber verdammt viel vorgenommen, Parker. Sie wissen doch, daß Inspektor Girvan wenig Hoffnung hat, diesen Fall zu klären.«

»Desto intensiver müßten meine bescheidenen Bemühungen ausfallen, Sir.«

»Und wenn Lake und Model sich nun absetzten, weil sie spüren, daß ihnen der Boden zu heiß geworden ist?«

»Dafür trägt der Duftstoff Sorge«, bemerkte Parker. »Er dürfte für etwa drei bis vier Tage in voller Intensität Vorhalten. Mit anderen Worten, die Herren Lake und Model sind außerstande, sich in dichter belegtere Gegenden zu begeben. Hinzu kommt noch eine kleine Spezialmischung, die beide Herren hinnehmen mußten.«

»Ich verstehe kein Wort, Parker.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich auch dieses Detail erklären. Verbunden mit dem Duftstoff, Sir, sind die Herren Lake und Model förmlich gezwungen, sozusagen einsame Waldbewohner zu werden, die das Tageslicht unbedingt scheuen müssen.«

*

Parker hatte wieder mal nicht übertrieben.

Lemmie und Archie hatten den Rest der mißlungenen Nacht in einer kleinen Jagdaufseherhütte oberhalb des Sees verbracht und waren wach geworden.

Worauf Lemmie seinen Partner Archie entgeistert anstarrte.

Klapp den Kiefer zu, sonst rosten deine Plomben«, warnte Archie, der schon wieder einen leicht gereizten Eindruck machte. Was sicher mit dem üppigen Gestank zusammenhing, von dem er und Lemmie dicht eingehüllt waren.

»Wie siehst du denn aus?« fragte Lemmie und beugte sich interessiert vor.

Wobei er um ein Haar mit der vorschnellenden Stirn Archies zusammengestoßen wäre, denn auch Archie hatte sich blitzartig vorgebeugt und starrte Lemmie an.

»Hast du die Masern?« fragte Archie dann mit belegter Stimme.

»Wieso ...!«

»Du bist so bunt wie’n Poppgemälde«, meldete Archie und grinste vorsichtig.

»Du bist so bunt wie’n Popgemälwand«, stellte Lemmie nun seinerseits fest. »Das kann doch nicht wahr sein!«

Beide hatten nicht übertrieben.

Ihre freien Hautstellen schillerten in allen Farben der sprichwörtlichen und oft zitierten Palette. Besonders das Gesicht und die Hände strotzten nur so von Farben. Und je nach Lichteinfall wirkten diese Körperpartien fluoreszierend und magisch.

»Nein ...« stöhnte Archie, nachdem er und Lemmie eine erste Bestandsaufnahme gemacht hatten. »Mit den Farben können wir uns doch nie unters Volk wagen.«

»Parker!« stellte Lemmie fest.

»Genau«, meinte Archie. »Dieser Hund hat uns das eingebrockt!«

»Wir müssen das Zeug runterwaschen«, forderte Lemmie.

»Sinnloser Versuch«, meinte Archie traurig. »Wenn’s vom Butler kommt, hat er dafür gesorgt, daß wir mindestens ’ne Woche damit rumlaufen müssen.«

Sie redeten sich in heiße Wut und beratschlagten, auf welche Art und Weise sie einen gewissen Josuah Parker umbringen wollten. Sie kamen im Verlauf dieser angeregten Diskussion auf Möglichkeiten, die in Kreisen der Unterwelt bisher noch nicht mal vage erörtert worden waren. Lemmie und Archie erwiesen sich als ausgesprochen kreative Menschen, was ihre Mordabsichten betraf.

Die Branche konnte stolz auf Lemmie und Archie sein.

*

»Lassen Sie sich nur nicht stören«, meinte Inspektor Girvan, als er den Frühstückstisch erreichte, an dem Mike Rander und Vivi Carlson saßen.

Girvan sah noch müder aus als sonst.

Die schweren Tränensäcke unter seinen Augen schienen sich um das Doppelte vergrößert zu haben. Er wirkte gebeugter und energieloser als sonst. Schwer ließ er sich auf einen Stuhl nieder und nickte Vivi automatisch-höflich zu.

»Sie bringen Neuigkeiten?« erkundigte sich der Anwalt.

»Wir haben Mistress Ravens gefunden«, sagte Inspektor Girvan. »Ein Sportfischer hat sie in Strandnähe aus dem Wasser gezogen.«

»Und weiter!?« Rander war, gespannt, was Girvan noch zu berichten hatte.

»Keine Schußverletzungen«, sagte Girvan.

»Tod durch Ertrinken also ...!?«

»Sieht ganz danach aus«, redete Girvan müde und scheinbar desinteressiert weiter. »Und um gleich Ihre nächste Frage zu beantworten, Mister Rander, es handelt sich einwandfrei um Mistress Ravens.«

»Hatten Sie daran gezweifelt, Inspektor?«

»Ich hatte mal mit einem Unglücksfall zu tun, der sich später als geplanter Versicherungsbetrug herausstellte«, erwiderte Girvan. »Diese Möglichkeit scheidet aus!«

»Also echter Unglücksfall?« warf Vivi provozierend ein.

»Durch Ertrinken«, wiederholte Girvan noch mal. »Das wird die Obduktion ergeben.«

»Bleibt die Frage, wie es zu diesem Unglücksfall gekommen ist«, meinte Rander.

»Die Sache mit dem Schuß und dem danach explodierten Benzintank«, redete Inspektor Girvan weiter, »hatte Peter Ravens diesen Schuß bestellt? Oder galt ihm der Anschlag?«

»Woran glauben Sie persönlich?« wollte Mike Rander wissen. »Sie werden sich doch eine Theorie aufgestellt haben, oder?«

»Die beiden Möglichkeiten bieten sich an.« Inspektor Girvan sah nachdenklich und müde auf den Fußboden. »Ich darf auf keinen Fall vergessen, daß Ravens in London Feinde hat.«

»Wollen Sie nicht endlich mit allen Tatsachen über Ravens herausrücken?« fragte Rander.

»Habe ich das nicht schon getan? Ravens hat einen Gebrauchtwagenhandel.«

»... und gibt mehr aus, als er verdient«, warf Vivi Carlson lächelnd ein. »Sie deuteten an, er betätige sich als illegaler Buchmacher.«

»Okay.« Girvan nickte. »In dieser Branche gibt es oft Ärger mit Konkurrenten. Durchaus möglich also, daß Ravens von solchen Konkurrenten ausgeschaltet werden sollte.«

»Durch Lemmie und Archie«, bestätigte Inspektor Girvan. »Spezialisten für Mord. Der Schuß auf Peter Ravens kann in den Tank des Außenborders geraten sein.«

»Ein Schuß von Spezialisten?« bezweifelte Vivi laut und spontan. Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

»Auch Spezialisten haben ihre schwachen Minuten«, meinte Girvan und schmunzelte plötzlich. »Denken Sie doch an Parker! Er hat die beiden Kerle ganz schön verunsichert. Wo steckt er eigentlich? Hätte mich gern mal mit ihm unterhalten.«

»Parker vertritt sich wieder mal die Beine«, sagte Vivi schnell. »Ich glaube, er macht einen Spaziergang am See.«

»Und was werden Sie nach dem Frühstück unternehmen?« fragte Inspektor Girvan.

»Ausspannen«, sagte Rander ausweichend. »Genaues weiß man noch nicht, Inspektor.«

»Passen Sie auf«, warnte Girvan und stand auf. »Gesund dürfte die Luft hier draußen am See im Moment nicht sein. Es treiben sich immerhin zwei potentielle Mörder herum!«

»Richtig«, bestätigte Rander, aber er hütete sich von zwei weiteren, zusätzlichen Profikillern zu reden, die sich am See niedergelassen hatten.

*

Parker hatte es sich auf einem umgestürzten Baumstamm bequem gemacht und beobachtete durch sein Fernglas den Wohnwagen der »Dauerkiller« Cleveland und Longless.

Die beiden Spezialisten aus den Staaten schienen einen ungewöhnlich großen Einkauf hinter sich zu haben. Sie hatten gerade ihren Wohnwagen betreten und stellten eine Reihe von größeren Paketen ab.

Josuah Parker, der die Abwesenheit der beiden Superprofis genutzt hatte, schaltete sein kleines Transistorradio ein. Und prompt waren auch schon die vertrauten Stimmen von Cleveland und Longless zu hören.

Sie unterhielten sich angeregt und schienen voller Optimismus zu sein.

Cleveland und Longless hatten natürlich keine Ahnung, daß ein von Parker im Wohnwagen installierter Minisender Wort für Wort mit Hifi-Klangqualität ins Transistorradio übertrug. Wenn es um Technik ging, konnte man sich auf den Butler stets verlassen.

Cleveland und Longless waren also ahnungslos.

Und entsprechend detailliert fielen daher auch die Sätze aus, die der Butler zu hören bekam. Sie bezogen sich auf ein geplantes Unternehmen der beiden einmaligen Spezialisten, die es sich zum wiederholten Mal in den Kopf gesetzt hatten, einen gewissen Parker und dessen Arbeitgeber umzubringen.

Parker nahm dies alles interessiert zur Kenntnis, wunderte sich allerdings ein wenig, wie umständlich und kompliziert Cleveland und Longless diesmal vorgehen wollten. Parker hatte das sichere Gefühl, daß die beiden Killer sich bei diesem Vorhaben ein wenig übernehmen würden.

Nachdem er sich ausgiebig informiert hatte, schaltete der Butler seinen Transistor ab und lustwandelte zurück zum See. Er passierte die Baustelle, an der mit Hochdruck gearbeitet wurde. Aus großen Druckleitungen wurde Flüssigbeton in starkwandige Verschalungen gepreßt. Es ging offensichtlich um die Errichtung einer schweren Stützmauer, die zur Trassenführung der Straße gehörte.

Parker registrierte diese Arbeiten eigentlich nur im Unterbewußtsein. Aber diese Dinge prägten sich ihm dennoch genau ein. Sie standen ihm zur Verfügung, falls er sie brauchte.

Er erreichte die Strandpromenade und entschied sich, einem gewissen Peter Ravens einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Für Neuigkeiten war er ja stets zu haben.

*

»Mein Name ist Parker. Ich bin der Butler«, stellte Josuah Parker sich vor, als die Tür des netten Bauernhauses geöffnet wurde. Er zog überaus höflich seine schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an.

Die üppige Blondine sah ihn überrascht an.

»Was wollen Sie?« fragte sie dann zurückhaltend und mißtrauisch.

»Läßt es sich möglicherweise einrichten, Mister Ravens zu sprechen?«

»Er ist unten im Dorf«, gab sie zurück, »die Leiche seiner Frau ist gefunden worden!«

»Mein tief empfundenes Beileid«, antwortete der Butler. »Ihr freundliches Einverständnis voraussetzend, werde ich warten.«

Bevor die üppige Blondine überhaupt protestieren konnte, schritt Parker bereits an ihr vorbei in den ihm bereits bekannten Wohnraum.

»Es kann aber sehr lange dauern, bis Peter ... ich meine, bis Mister Ravens zurückkommt«, sagte Norma Weathers, um die es sich natürlich handelte. Sie hatte sich unentschlossen vor dem Butler aufgebaut und sah ihn nervös an.

»Geduld, Madam, ist eine der wenigen Tugenden, über die ich verfüge«, klärte der Butler sie würdevoll auf. »Die bedauerns- und beklagenswerte Mistress Ravens ist also gefunden worden?«

»Vor einer Stunde«, sagte sie.

»Wie gut für Mister Ravens. Natürlich nur kriminalistisch gesehen«, stellte der Butler fest, »jetzt kann und wird man ihm nicht mehr vorwerfen, daß er für den Tod seiner Frau verantwortlich zeichnet.«

»Hat... Hat man das denn getan?« fragte die üppige Weathers.

»Nun, der Verdacht lag leider recht nahe«, meinte Parker gemessen. »Die Frau eines Mannes, der sich bereits offensichtlich menschlich anders und neu orientiert hat, die Frau dieses Mannes stirbt durch einen bedauerlichen Unglücksfall. Man weiß schließlich, wie schnell und verantwortungslos Menschen zu reden pflegen.«

»Peter hätte seine Frau nie umgebracht«, protestierte die üppige Blonde, zitternd vor Empörung.

»Sie, Madam, stellen einen Grund dar, der nicht zu übersehen ist«, formulierte der Butler barock.

»Auch wegen mir hätte Peter nie einen Mord begangen«, erklärte Norma Weathers mit Nachdruck. »Sie kennen ihn eben nicht.«

»Mister Ravens wollte sich scheiden lassen?« stellte Parker seine nächste Frage.

»Wir lieben uns!« war die Antwort der üppigen Blondine.

»Oder wollte vielleicht Mistress Ravens sich scheiden lassen?« korrigierte der Butler.

»Er oder sie ... Wir lieben uns und wollen heiraten«, gab Norma Weathers in aller Naivität zurück.

»Sie haben sehr viel Mut, Madam«, stellte Parker fest.

»Mut!?« Sie wußte mit seiner Frage nichts anzufangen.

»Mister Ravens lebt gefährlich. Immerhin wurde auf ihn geschossen.«

»Die Sache auf dem See? Als der Benzintank des Außenborders in die Luft flog? Zufall!«

»Das Explodieren der Tanks oder die Tatsache, daß Mister Ravens noch lebt«, wollte der Butler wissen. Er verzog keine Miene.

»Der Schuß«, meinte sie. »Peter hat mir gesagt, daß er sich das alles überhaupt nicht erklären kann. Und ich glaube ihm! Ich kann’s mir ja auch nicht erklären.«

»Nun, ich darf Sie beglückwünschen, Madam«, schloß Parker höflich, »einer baldigen Eheschließung dürfte ja jetzt nichts mehr im Weg stehen, nicht wahr?«

»Wir werden natürlich noch die Trauerwochen abwarten«, erwiderte Norma Weathers und schlug züchtig die Augen nieder. »Man weiß ja, was man einer Verstorbenen schuldig ist.«

»Welch lobenswertes Feingefühl«, sagte Parker, der wirklich nicht genau wußte, ob sie tatsächlich so naiv war, wie sie sich gab, oder ob sie etwa eine erstklassige Schauspielerin mimte.

*

»Wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?« fragte Rander, als sein Butler erst nach Mittag zurück in die Hotelpension kam. »Hier haben sich inzwischen sehr interessante Dinge abgespielt.«

»Ich war so frei, Sir, nach einer kurzen Unterhaltung mit Miß Norma Weathers nach Inverness zu fahren«, antwortete der Butler. »Es galt, einige kleinere Einkäufe zu tätigen.«

»Mister Ravens ist von Inspektor Girvan verhaftet worden«, platzte Vivi Carlson heraus.

»Und zwar steht Ravens unter Mordverdacht«, fügte Rander hinzu.

»Dann muß und darf ich wohl annehmen, Sir, daß Inspektor Girvan über lückenlose Beweise verfügt.«

»Keine Ahnung! Muß wohl...«

»Fragen Sie ihn doch selbst«, warf Vivi schnell ein und deutete auf den Eingang zum Klubraum der Hotelpension, in dem Inspektor Girvan zu sehen war.

Mit müden, schleppenden Schritten kam er und nickte dem anwesenden Trio zu.

»Darf man Ihnen gratulieren, Sir?« erkundigte sich Parker sofort.

»Von mir aus.« Inspektor Girvan ließ sich erschöpft in einem alten Ledersessel vor dem Kamin nieder. »Die Sache hat sich schneller geklärt, als ich glaubte.«

»Hat Mister Ravens demnach ein Geständnis abgelegt?« wollte Rander wissen.

»Natürlich nicht«, entgegnete der Inspektor, »aber die Beweise sind erdrückend.«

»Kann man Einzelheiten erfahren?« Rander beugte sich interessiert vor.

»Es sind die Würgemale am Hals seiner Frau«, antwortete Inspektor Girvan überraschend.

»Würgemale?« wunderte sich der Butler.

»Eindeutig! Das hat die Obduktion und gerichtsmedizinische Untersuchung ergeben.«

»Wann soll er denn seine Frau gewürgt haben?« fragte Rander.

»Sehr einfach«, meinte der Inspektor, »als er unter Wasser nach ihr suchte. Er tat so, als strampele er sich nach ihr ab. Er fand sie auch, würgte sie aber solange, bis sie versank.«

»Schrecklich«, rief Vivi unterdrückt aus. »Davon hat man ja überhaupt nichts gemerkt, nicht wahr, Mister Rander!«

»Wir brauchten einige Zeit, bis wir die Unglücksstelle erreichten«, gab Rander zurück. »Als wir dort eintrafen, waren gut und gern drei bis fünf Minuten vergangen.«

»Und genau in dieser Zeit hat er es geschafft.«

»Ein äußerst raffinierter Plan«, schaltete der Butler sich gemessen ein. »Mister Ravens verdient dafür fast so etwas wie Bewunderung.«

»Wie, bitte...?« Inspektor Girvan fühlte sich leicht schockiert.

»Nun«, begann Parker in seiner barocken Art, »Mister Ravens lockt sein Opfer, sprich seine Frau, hierher an den See Loch Ness und bringt sie dazu, zusammen mit ihm eine Bootspartie zu unternehmen. Gleichzeitig bedient er sich zweier Schützen, die in Kreisen der Unterwelt als Killer gelten. Sie haben die Aufgabe, vom Ufer aus einen gezielten Schuß auf den Tank des Außenborders abzugeben, damit besagter Tank explodiert und das Boot sinkt. Als Mister Ravens Frau dann in den Fluten untergeht, taucht ihr Mann nach ihr und würgt sie zu Tode.«

»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Inspektor Girvan.

»Es handelt sich um meine Bewunderung dafür, wie gut Mister Ravens solch ein kompliziertes Unternehmen erfolgreich zu Ende führen konnte.«

»Ravens ist ein raffinierter Bursche!« Girvans Stimme klang nicht sehr überzeugend.

»Mit einem Umkippen des Bootes hätte er das Gleiche erreicht«, warf Vivi ein.

»Oder mit einem kleinen Zeitzünder am Außenborder«, meinte Anwalt Rander.

»In diesen beiden gerade erwähnten Fällen hätte Mister Ravens dann auf unbequeme Mitwisser verzichten können«, schloß der Butler.

»Und die Würgemale am Hals der Toten?« fragte Girvan müde.

»Sie stellen in der Tat eine Überraschung und zugleich ein gewisses Rätsel dar«, antwortete der Butler gemessen, »ein Rätsel übrigens, das zu lösen sich lohnen würde.«

»Ravens bleibt natürlich dabei, es sei auf ihn und das Boot geschossen worden.«

»Es existieren immerhin die Fotos von den beiden Berufsmördern Lemmie Lake und Archie Model«, warf Rander ein.

»Eben«, sagte Girvan und lächelte andeutungsweise, »ein Beweis für meine Theorie, die Parker haargenau Umrissen hat. Das Duo ist von Ravens engagiert worden. Er plante den perfekten Mord.«

»Der ihm auch gelingen wird, wenn Sie sich nur auf die Würgemale stützen«, sagte Rander zweifelnd. »Irgendwelche Sachverständige werden mit Sicherheit nachweisen, daß die Würgemale harmlosen Ursprungs sind, die durch eine Veränderung nach dem Tode entstanden sind.«

»Und die beiden Berufsmörder werden nie etwas aussagen«, fügte Vivi eifrig hinzu, »abgesehen davon, daß auch Peter Ravens nicht gestehen wird.«

»Man wird sehen«, Girvan ging zur Tür. »Ich habe die Fahndung nach Lake und Model ausgeschrieben. Sobald ich sie habe, werden sie mir einige Fragen beantworten müssen.«

*

Parker hatte sich in die Lage von Lake und Model versetzt.

Er überlegte, wie er als Berufsmörder handeln und das Handicap ausgleichen würde, das durch den penetranten Gestank und die Einfärbung entstanden war. Ob Lemmie und Archie nach ihren peinlichen Pannen noch am See waren, oder ob sie sich bereits in Richtung London abgesetzt hatten?

Da waren immerhin die belastenden Fotos, die von den beiden Berufsmördern existierten. Auf diesen Bildern waren Lake und Model mit einem Gewehr zu sehen. Würden Lake und Model es darauf ankommen und sich von der Polizei diese Fotos präsentieren lassen?

Sie warteten mit Sicherheit nur auf die Chance, ihn anzufallen. Auf einen augenblicklichen Mord würden sie es bestimmt nicht ankommen lassen. Sie brauchten die Fotos, damit ihr Image nicht litt. Sprach es sich in Kreisen der Unterwelt erst mal herum, daß Lake und Model mit der Waffe in der Hand abgelichtet worden waren, brauchten sie in Zukunft nicht mehr mit Aufträgen zu rechnen. Ihr Ruf gründete sich auf die totale Diskretion, die sie bisher hatten walten lassen und darauf, daß sie arbeiteten, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.

Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und hatte die Hotelpension des Majors bereits weit hinter sich gelassen. Er fuhr überraschend langsam, um etwaigen Verfolgern die Chance zu geben, sich an ihn zu hängen. Er wollte Lake und Model aus ihrer Reserve locken.

Natürlich hatte Parker seine speziellen Vorbereitungen getroffen. Lake und Model brauchten nur noch zu erscheinen.

*

»Das sind doch Augentropfen für meine Pupillen«, sagte Lemmie und richtete sich steil auf. Während er noch sprach, deutete er mit ausgestrecktem Arm hinunter auf die schmale Straße, die hinauf in den Bergwald führte.

»Parker?« erkundigte sich Archie sofort.

»Genau«, bestätigte Lemmie, »sieh doch mal! Kommt uns direkt entgegen, der Opa.«

»Freifahrt in die Hölle«, stellte Archie genußvoll fest. »Den schnappen wir uns!«

Sie waren viel zu eifrig, um Verdacht zu schöpfen. Sie sahen nur den hochbeinigen Wagen des Butlers und wußten, daß Parker am Steuer saß. Damit wurden all ihre Wünsche erfüllt. Sie brauchten nur noch die Hand nach diesem fleischgewordenen Alpdruck auszustrecken, um alle Sorgen endgültig loszuwerden.

»Der muß unten an der Hütte vorbeikommen«, sagte Lemmie.

»Und genau da spielen wir Straßensperre«, freute sich Archie. »Sobald wir die Fotos haben, knüpfen wir ihn an den nächsten Ast.«

»Und wenn er die Bildchen nicht mit sich herumschleppt?«

»Dann können seine Leute damit antanzen«, antwortete Archie. »Und die funktionieren wir dann auch noch als Vogelscheuchen um.«

Sie nickten sich entschlossen zu und rutschten über einen Steilhang des Bergwaldes hinunter zur Hütte, die Parker mit seinem hochbeinigen Monstrum unbedingt passieren mußte.

Lake und Model brauchten knapp fünf Minuten, bis sie die Waldhütte erreicht hatten, in der sie die Nacht und den halben Tag verbracht hatten.

Sie blieben an der Ecke der Hütte stehen. Es handelte sich um ein solides Blockhaus aus dicken Baumstämmen, das Deckung in Hülle und Fülle bot.

»Da kann ich doch nur noch leicht staunen«, stellte Lemmie fest.

»Letzte Rast vor dem Tod«, sagte Archie lakonisch. »Auf ihn mit Gebrüll. Lemmie, der ist ahnungslos!«

Wie gesagt, sie waren viel zu eifrig und auch zu gereizt, um sich Gedanken zu machen. Sie schienen vergessen zu haben, wer dieser Butler war. Sie kannten wohl nicht seine Tricks und hatten sein Reaktionsvermögen aus ihren Hirnzellen verbannt.

Die beiden Ganoven sahen nur die geöffnete Fahrertür und den Butler, der steif und würdevoll vor dem Lenkrad saß und offensichtlich den Frieden des Waldes genoß.

Lake und Model hatten ihre Schußwaffen längst in den Händen.

Gekonnt pirschten sie sich von hinten an das hochbeinige Monstrum heran.

Parker rührte sich nicht, das heißt, er beugte sich etwas vor, um scheinbar einen Blick auf das Armaturenbrett zu werfen. Entdeckt aber hatte er sie mit Sicherheit nicht.

Sie kamen Meter für Meter näher und nahmen sich Zeit. Sie wußten inzwischen mit letzter Sicherheit, daß sie Parker bereits fest in der Tasche hatten. Der endgültige Coup war nur noch eine Frage von Sekunden.

»Flossen hoch!« sagten Lake und Model dann fast gleichzeitig, als sie die geöffnete Wagentür erreicht hatten.

Parker reagierte nicht.

Er schien eingeschlafen zu sein.

»Flossen hoch, aber ein bißchen dalli!« schnauzte Archie und drosch dann mit dem Lauf hart und brutal auf den Hinterkopf des Butlers, worauf Josuah Parker sehr beeindruckt total in sich zusammenrutschte.

Er sah schrecklich aus.

Sein Kopf verschwand förmlich unter der Wucht des Zuschlages zwischen den Schultern.

Ein seltsamer, quietschender Laut war zu hören, der durch Mark und Bein ging.

*

»Wie wär’s denn mit der Kleinen?« fragte Longless interessiert. Er und sein Ausbilder Cleveland hatten vor geraumer Zeit ihren Wohnwagen verlassen und sich an die Fersen von Rander und Vivi Carlson gehängt.

Der Anwalt und seine Sekretärin waren ins nahe Inverness gefahren, um einige Einkäufe zu tätigen. Sie hatten sich dazu den Kombiwagen ihres Gastgebers ausgeliehen.

Mike Rander und Vivi Carlson hatten die sanft geschwungene Brücke über den River Ness hinter sich gebracht und befanden sich auf der Flußpromenade. Sie sahen vor sich den älteren Teil von Inverness mit seiner beherrschenden Kirche. Rechts von der Promenade parkten in langen Reihen die Autos der Touristen.

»Wir führen keinen Krieg gegen die Kleine«, entschied Cleveland.

»Wollen wir ja auch nicht«, antwortete Longless schnell, »aber wenn wir uns die Kleine schnappen, kommen wir ganz elegant an Parker und Rander ran.«

»Sie trennen sich«, stellte Cleveland interessiert fest. »Rander marschiert rüber in den Kiosk.«

»Und wir marschieren rüber zu der Kleinen«, entschied Longless in einem deutlichen Anflug von Entschiedenheit und Energie. »Daddy wartet auf die Erfolgsmeldung, Clevie. Wir können ihn nicht länger hinhalten!«

Cleveland nickte zögernd und folgte dann seinem Zögling und Schüler.

Longless wurde von einer selten beobachteten Energie durchglüht. Was mit dem Telefonat zusammenhing, das er mit seinem Daddy drüben in den Staaten geführt hatte. Daddy Longless hatte seinem Sprößling lautstark und drohend klargemacht, daß das Problem Parker und Rander endlich gelöst werden müsse. Longless junior hatte immer noch den Ton der Vaterstimme in den Ohren. Dieser Ton hatte ihn unter Starkstrom gesetzt.

Die Gelegenheit, Vivi Carlson zu entführen, schien wirklich einmalig günstig. Solch eine Gelegenheit hatte sich bisher noch nie ergeben.

Da war die Promenade am River Ness, die vielen abgestellten Autos, und da war die zierliche Vivi, die unschuldig, zerbrechlich und irgendwie kindlich wirkte. Eine Kleinigkeit, solch eine junge Frau hochzunehmen.

Cleveland schien sich inzwischen mit dem Gedanken angefreundet zu haben, Vivi zu kidnappen. Über sie kam man tatsächlich an Rander, vor allen Dingen aber an den Butler heran. Mit Vivi als Faustpfand in der Hand konnte man die beiden Opfer Rander und Parker in eine Falle locken und dieses Kapitel dann endgültig abschließen.

»Pirsch dich an sie ran«, ermunterte Cleveland seinen Zögling, »aber keine Brutalität, wenn ich bitten darf!«

»Man ist doch schließlich Gentleman«, gab Longless fast beleidigt zurück, »die Kleine wird überhaupt nicht merken, was mit ihr passiert.«

Er löste sich von seinem Ausbilder Cleveland und begab sich auf den Kriegspfad. Geschickt die parkenden Wagen als Deckung benutzend, arbeitete er sich an Vivi Carlson heran. Cleveland hatte es übernommen, Rander abzulenken, falls er vorzeitig aus dem Kiosk kam.

Cleveland und Longless hatten längst darauf verzichtet, Mike Rander als erstes Opfer anzunehmen. Rander durfte erst nach Josuah Parker angenommen werden. Geschah das vor dem Butler, dann, so hatten sie sich ausgerechnet, würde der Butler sofort in den Untergrund gehen und nicht mehr zu stellen sein.

Longless hatte Boden gewonnen.

Der Abstand zwischen ihm und Vivi Carlson wurde immer geringer. Und die junge, zerbrechlich aussehende Frau schien keine Ahnung zu haben, was sich hinter ihrem Rücken zusammenbraute. Vivi Carlson schlenderte entspannt und ohne Argwohn über die schmale Uferpromenade und blieb am Eisengeländer stehen, um hinunter in den Fluß zu sehen.

»Hallo, Miß Carlson!« stellte sich Longless in diesem Moment vor und baute sich neben ihr auf. Er wirkte wie ein harmloser Tourist, der eine gute Bekannte getroffen hat.

»Hallo, Mister Longless«, antwortete Vivi, die keinerlei Überraschung zeigte. Worüber Longless sich eigentlich hätte wundern sollen, doch er kam nicht darauf.

»Wie wäre es mit ’ner kleinen Ausfahrt?« erkundigte sich Longless in jenem typischen Tonfall, in dem Kinogangster auf der Leinwand zu reden pflegen, lässig, lakonisch, drohend und doppelbödig zugleich.

»Aber gern«, lautete Vivis Antwort.

Longless schluckte und war irritiert. Mit solch einer Antwort hatte er nicht gerechnet. Sie brachte ihn aus dem Konzept.

»Wie, bitte?« fragte er sicherheitshalber, obwohl er genau wußte, daß er sich nicht verhört hatte.

»Ich komme sehr gern mit«, wiederholte Vivi Carlson erneut. »Hauptsache, Mister Longless, Sie machen mir einen netten Vorschlag!«

Longless verzichtete auf eine deutliche Geste, die er eigentlich vorgehabt hatte. Er hatte ihr seine Schußwaffe zeigen wollen. Zur Unterstreichung seiner Einladung.

»Wie wär’s denn mit – mit...« Longless stotterte herum und überlegte krampfhaft, wie die Schläger seines Daddy sich in solchen und ähnlichen Situationen zu verhalten pflegten.

»Schauen Sie doch dort hinunter«, meinte Vivi lächelnd. »Ich wette, Sie werden Augen machen.«

Während Vivi Carlson noch sprach, deutete sie mit dem ausgestreckten Arm in den River Ness, der etwa anderthalb Meter unter ihnen vorbeifloß und dicht an die Mauerfassung heranreichte.

Longless beugte sich automatisch vor.

»Was ist denn?« fragte er dann neugierig.

»Sehen Sie wirklich nichts?« wunderte sich Vivi. »Ich hab’s schon die ganze Zeit über gesehen.«

Longless wurde noch neugieriger und neigte sich weiter über das Geländer. Bruchteile von Sekunden später kiekste er überrascht auf, als er waagerecht in der Luft schwebte.

Er spürte kleine, aber energisch zupackende Hände, die seinen schweren, massigen Körper hochgerissen hatten und ihn losließen.

Longless stieß einen entsetzten Schrei aus und näherte sich im Sturzflug der schäumenden Wasseroberfläche. Er streckte abwehrend seine Arme aus und absolvierte auf diese Art und Weise fast so etwas wie ein Hechtsprung in die Fluten.

Vivi schaute dem Killerzögling lächelnd nach, der jetzt im aufspritzenden Wasser verschwand. Dann wandte sie sich ab und schlenderte langsam zurück.

Longless war inzwischen wieder aufgetaucht und kämpfte mit den an sich nicht gefährlichen Fluten. Er schlug und planschte im Wasser herum wie eine leicht angetrunkene Riesenrobbe und wurde abgetrieben. Dabei schluckte er Wasser wie ein leckes Schiff und gurgelte dazu wie ein Anginakranker.

Darüber hinaus hatte er das fast sichere Gefühl, von Vivi Carlson hereingelegt worden zu sein.

*

Killer Cleveland, der Ausbilder von Longless, hatte sich vor dem Kiosk aufgebaut, in dem Mike Rander verschwunden war.

Er wartete darauf, daß der Anwalt herauskam. Dann wollte er die einmalig günstige Gelegenheit nutzen und Rander hochnehmen. Longless sollte Bauklötze staunen und mal sehen, wie ein Profi arbeitete.

Cleveland wanderte vor dem Eingang des Kiosk herum und zählte die Sekunden. Er wurde langsam unruhig. Es konnte doch unmöglich solch eine Zeit dauern, bis Rander sich seine Zeitung gekauft hatte. Oder traute er sich nicht mehr heraus, weil er ihn, Cleveland, ausgemacht hatte?

Cleveland wollte es genau wissen.

Er öffnete die Tür zum Kiosk, der nicht größer war als ein normales Zimmer.

Der Gangster wußte sofort Bescheid.

Mit seinem taktisch und strategisch geschulten Blick erkannte er auf Anhieb, daß dieser Kiosk leider über einen zweiten Ein- und Ausgang verfügte.

Von Rander war nichts mehr zu sehen.

Cleveland verfluchte die Verschwendungssucht moderner Architekten, die selbst einfache Verkaufsbuden mit zwei Türen aus statteten und es einem Profi verdammt schwer machten, am Opfer zu bleiben. Er sauste hinüber zur zweiten Tür, riß sie auf, trat ins Freie und sah sich verzweifelt nach Mike Rander um.

Nichts!

Dafür wurden seine Augen aber von einer mittelgroßen Menschenmenge gefesselt, die sich auf ihn zubewegte. Im Mittelpunkt dieser Menschenmenge befand sich sein Schützling Longless, der einen sehr leidenden, aber auch pitschnassen Eindruck machte. Er zog eine deutliche Wasserspur hinter sich her.

»Hast du ’ne Pfundnote bei dir?« fragte Longless erleichtert, als er seinem Ausbilder gegenüberstand.

»Der Bursche hier will mir nicht glauben, daß ich ins Wasser gefallen bin.« Longless wies auf einen Bobby, der hinter ihm sichtbar wurde.

»Na, und?«

»Er behauptet, ich hätte das absichtlich getan. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses.«

»Der Bobby hat recht!« antwortete Cleveland und schickte einen qualvoll-ergebenen Blick zum Himmel.‹ »Er hat recht. Du bist ein öffentliches Ärgernis, Junge! Ich weiß es jetzt ganz genau.«

*

Die beiden echten Killer aus London, Lemmie Lake und Archie Model hatten das durch Mark und Bein gehende Quietschen gehört, nachdem Archie mit dem Revolverknauf hart und gnadenlos zugeschlagen hatte.

Sie musterten sich, total verblüfft und verwirrt, denn der Butler, eben noch in ganzer Größe vor dem Steuer sitzend, war plötzlich nicht mehr zu sehen.

Er war förmlich explodiert und hatte sich in einige längere Gummifetzen aufgelöst.

Die Killer merkten mit erheblicher Spätzündung, daß sie nur eine geschickt aufgemachte Gummipuppe überfallen hatten, die dem Butler bis aufs Haar glich.

»Da bin ich doch reichlich geplättet«, stellte Archie fest und sah sich mißtrauisch nach allen Seiten um.

»Sowas müßte man glatt verbieten«, beschwerte sich Lemmie, »wo bleibt da der Anstand!?«

Lemmie und Archie wußten nicht, was sie tun sollten. Parker war weit und breit nicht zu sehen, aber er mußte sich ganz in der Nähe befinden.

Aber wo?

»Wir machen ’ne Fliege«, flüsterte Archie entschlossen. »Ab, durch die Mitte!«

Sie wollten sich gerade auf Zehenspitzen davonmachen, als Archie plötzlich senkrecht hochsprang, etwa zwölf Zentimeter.

Dicht vor seinem linken Schuh hatte sich ein bunt gefiederter Blasrohrpfeil in den Waldboden gebohrt. Archie blieb dann wie angewurzelt stehen und duldete es, daß Lemmie gegen ihn auflief.

»Was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte Lemmie nervös.

Statt zu antworten, trat Archie etwas zur Seite und deutete auf den Blasrohrpfeil, worauf Lemmie echte Schluckbeschwerden hatte.

»Parker?« rief Archie mit gepreßter Stimme ins nahe Unterholz, das wie ein Wall den schmalen Pfad begrenzte. »Parker! Wir wollen mit Ihnen reden!«

Keine Antwort.

»Parker!« meldete sich jetzt Lemmie zu Wort. »Machen Sie doch keinen Unsinn. Wir wissen genau, wo Sie stecken.«

Was gelogen war, denn während er redete, drehte er sich hilfesuchend nach allen Seiten um.

»Wir machen Ihnen ’nen Vorschlag«, übernahm Archie wieder das Wort, »ist sehr wichtig für Sie.«

Keine Antwort.

Oder doch? Rechts vor Lemmie raschelte es deutlich im dichten, grünen Unterholz, worauf Lemmie automatisch schoß. Es ploppte aus seiner schallgedämpften Waffe. Das Geschoß riß eine kleine Miniaturschneise in das Blattwerk.

»Idiot! zischte Archie seinem Partner zu. Dann schnellte er los und rannte im Schweinsgalopp davon, ohne sich um Lemmie zu kümmern.

Lemmie brachte sich ebenfalls in Schwung und jagte hinter seinem Partner her. Dabei wurde er das Gefühl nicht los, daß ein Blasrohrpfeil vielleicht doch noch schneller war als seine Anfangsgeschwindigkeit.

Keuchend, erschöpft und nervlich überstrapaziert, erreichten sie die schützende Hütte, in der sie die Nacht verbracht hatten. Sie ließen sich vor der Hütte auf einem Baumstamm nieder, der als Sitzbank diente.

»Geschafft!« stammelte Lemmie endlich, als seine flatternden Lungen sich wieder etwas beruhigt hatten.

»Wir hauen noch heute ab«, schlug Archie vor. »Zum Teufel mit dem Film und den Fotos!«

»Einverstanden«, erklärte Lemmie, »uns kann ja sowieso keiner was nachweisen.«

»Den nächsten Auftrag sehen wir uns aber genauer an«, meinte Archie und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.

»Wir werden erst mal Urlaub machen«, erklärte Lemmie, »wer konnte denn ahnen, daß diese Ravens-Geschichte so kompliziert werden würde?«

»Hauptsache, wir haben unseren Auftrag erfüllt«, beruhigte sich Archie. »Ravens steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten.«

»Glaubst du, daß sie ihm ’nen Mord ans Bein hängen werden?«

»Vielleicht nicht direkt.«

»Und das hätte so prima geklappt, wenn der verdammte Butler uns nicht fotografiert hätte.«

Lemmie und Archie hingen ihren Gedanken nach. Sie beruhigten sich immer mehr und schienen den Zwischenfall unten am Auto bereits vergessen zu haben.

»Die Aufnahmen beweisen gar nichts«, sagte Archie plötzlich.

»Beweiswert gleich Null«, pflichtete Lemmie ihm bei. »Die können zu jeder anderen Zeit geschossen worden sein.«

»Sag ich doch«, erklärte Archie. »Wer will uns anhängen, daß wir in den Tank geballert haben?«

»Kein Mensch«, sagte Lemmie zufrieden.

»Ravens sitzt ganz schön in der Tinte«, behauptete Archie.

»Totschlag?« fragte Lemmie.

»Das wird dabei für ihn rausspringen. Hauptsache, er wandert hinter Gitter. Mehr soll ja wohl nicht erreicht werden.«

Sie schwiegen zufrieden und entspannten sich. Sie hatten das Gefühl, einer großen Gefahr entronnen zu sein. Und wie gesagt, die von Parker gemachten Aufnahmen interessierten sie nicht mehr.

»Auf, holen wir uns die zweite Rate«, schlug Archie jetzt vor und stand auf. »Die will ich bar sehen, bevor wir zurück nach London brausen.«

»Brausen? Das ist das Stichwort!« Lemmie grinste selbstzufrieden. »Unten wartet ein toller Schlitten auf uns, Archie. Wir brauchen nur einzusteigen. Mit so ’nem Taxi fallen wir bestimmt nicht auf.«

Sie machten sich umgehend auf den Weg, das heißt, sie wollten es tun, doch sie kamen nicht weit.

Plötzlich stand Josuah Parker vor ihnen.

Der Butler lüftete mit der linken Hand seine schwarze Melone.

In der rechten Hand hielt er seinen altväterlich gebundenen Regenschirm. Die Spitze dieses Regenschirms wanderte von Lemmie hinüber zu Archie und dann wieder zurück, als sei sie unentschlossen, an wen sie sich halten solle.

»Es wird Ihrer Gesundheit dienlich sein, wenn Sie Ihre Waffen nicht ziehen, was sie zweifellos beabsichtigen«, sagte Josuah Parker in seiner unnachahmlich-würdevollen Art. »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß mein Regenschirm geladen ist.«

*

Sie glaubten es einfach nicht.

Archie Model faßte blitzschnell nach seiner Schulterhalfter, doch mitten in dieser Bewegung erstarrte sein Arm. Während er verdutzt-überrascht aufröhrte wie ein Hirsch während der Brunft, starrte er auf den stricknadelgroßen Blasrohrpfeil, der erstaunlich tief in seinem Oberarm steckte.

Lemmie Lake hatte diesen Zwischenfall nicht registrieren können, da er seinerseits mit seiner Halfter beschäftigt war.

Er sah plötzlich etwas Schwarzes, Kreisrundes auf sich zufliegen. Und bevor er sich ducken konnte, landete Parkers stahlblechgefütterte Melone auf seiner Nase.

Der Effekt war frappierend.

Lemmie schossen wahre Tränenfluten in die Augen, die ihn blind werden ließen. Ein stechender Schmerz breitete sich in seinem Gesicht aus. Er hörte sich stöhnen und merkte, daß er dabei bereits deutlich in die Knie ging.

»Dieser Zwischenfall ist mir außerordentlich peinlich«, entschuldigte sich Parker gemessen, »ich möchte aber hier und heute bekräftigen, daß Sie mich durch Ihre unverantwortliche Handlungsweise dazu gezwungen und provoziert haben!«

Lemmie Lake und Archie Model hörten nicht sehr intensiv zu.

Archie starrte nach wie vor auf den Blasrohrpfeil in seinem Oberarm und fühlte bereits eine angenehme Schwäche, die sich in seinem Körper ausbreitete. Es handelte sich um eine wohlige Müdigkeit, die dringend nach einem Bett verlangte. Archie schloß bereits die Augen und legte sich vorerst mal ins Gras.

Lemmie Lake hatte andere Probleme.

Die Nase schmerzte, Tränen ergossen sich über seine Wangen, und er fühlte sich hilflos, weil er kaum etwas sah. Er kniete nieder und geriet an und auf Archie, der diese Berührung vollkommen mißverstand.

Archie fühlte sich in seinem Ruhebedürfnis empfindlich gestört und handelte mit dem Rest der ihm noch verbliebenen Energie. Er knallte Lemmie die Faust gegen den Unterkiefer Und rollte sich dann zu einem Schläfchen zusammen.

Lemmie wurde voll erwischt. Er verdrehte die Augen, schnaufte und wurde dann ohnmächtig. Er blieb dicht neben seinem Partner liegen und gab sich ebenfalls der Ruhe hin.

Josuah Parker war zufrieden.

Er hatte nicht nur genug gehört, er hatte die beiden Killer aus London auch außer Gefecht gesetzt. Er brauchte sie jetzt nur noch eindeutig aus dem Verkehr zu ziehen.

*

»Ich bin völlig verzweifelt«, sagte Norma Weather, nachdem sie den Butler eingelassen hatte. »Sie wissen doch, daß Peter... Ich meine, Mister Ravens, verhaftet worden ist, nicht wahr?«

»In der Tat, Miß Weather.«

»Inspektor Girvan behauptet, Peter habe seine Frau ermordet.«

»Gewiß.«

»Aber das stimmt doch nicht«, beschwor Norma, die üppige Blondine, den vor ihr stehenden Butler. »Peter hätte so etwas nie getan!«

»Ähnlich äußerten Sie sich bereits, Miß Weather.«

»Sie müssen Peter helfen, Mister Parker!«

»Darf ich höflich fragen, Madam, wie Sie sich das vorstellen?« erkundigte sich Parker höflich.

»Ich weiß von Peter, daß Sie Fotos haben, auf denen zwei Londoner Killer zu sehen sind.«

»Diese Aufnahmen besitzen leider keinen Beweis wert«, erwiderte der Butler. »Sie können zu jeder möglichen Zeit geschossen worden sein, wenn ich es so ausdrücken darf. Gestern, vor einigen Wochen, im vergangenen Jahr.«

»Wie beurteilen Sie denn Peters Chancen?«

»Nicht sonderlich gut, Madam«, entgegnete der Butler reserviert, »ich darf auf die Würgemale hin weisen, die man am Hals der Verblichenen fand.«

»Peter hätte seine Frau nie gewürgt!«

»Sie setzen sich für Mister Ravens in einer bemerkenswerten Art und Weise ein.«

»Weil ich ihn liebe!«

»Sie kennen Mister Ravens schon seit geraumer Zeit?«

»Seit knapp einem halben Jahr.«

»Ich darf noch mal nach der Ehe fragen, die Mister Ravens geführt hat?«

»Sie stand nur noch auf dem Papier«, gab die üppige Blondine zurück. »Peter hat es mir immer wieder gesagt. Rose, ich meine Mistress Ravens, muß sehr zänkisch gewesen sein.«

»Sie kannten sie?«

»Nein. Das heißt, ich wußte natürlich, wie sie aussieht, aber mehr auch nicht.«

»Darf man fragen, wo Sie Mister Ravens kennenlernten?«

»In einem Klub. Und bevor Sie die nächste Frage stellen, Mister Parker, will ich Ihnen auch sagen, daß ich in einer Bar gearbeitet habe. Jetzt natürlich nicht mehr. Ich meine, seitdem Peter und ich uns kennen.«

»Wie hätten Ihre Pläne ausgesehen, falls Mistress Ravens nicht das Opfer dieses unglückseligen Unfalls geworden wäre?«

»Peter wollte sich scheiden lassen.«

»Nicht Mistress Ravens?« erkundigte sich Parker und hielt sich damit an die Version, die er von Inspektor Girvan her kannte.

»Er hätte sich auf jeden Fall von seiner Frau getrennt«, erwiderte Norma Weather, »und darauf allein kommt es an!«

»Nun, die Ereignisse der vergangenen Stunden haben manches Problem gelöst«, meinte Parker würdevoll. »Sie haben aber auch manche neue Schwierigkeit geschaffen.«

»Peter ist unschuldig! Man wird ihn bald wieder freilassen müssen.«

»Er befindet sich zur Zeit in Inverness?«

»Richtig«, bestätigte die üppige Blondine, »ich werde ihn noch heute nachmittag besuchen. Peter braucht mich jetzt.«

»Sie sollten vorsichtig sein, wenn ich das vielleicht zum Abschluß noch sagen darf.«

»Wieso?« Sie sah ihn naiv-erstaunt, sogar verwundert an.

»Ich erinnere an die beiden Herren, die ich fotografieren konnte«, sagte Parker. »Wem, so frage ich mich immer wieder, wem galt ihr Schuß? Mistress Ravens? Peter Ravens? Vielleicht Ihnen?«

»Mir?« Sie fragte gedehnt und schüttelte ratlos den Kopf dazu.

»Alles hängt davon ab, für wen dieser Schuß abgefeuert wurde«, stellte Parker fest. »Die Herren Lake und Model gehörten keineswegs zu den Leuten, die aus einer gewissen Langeweile heraus Munition vergeuden. Sie handeln stets im Auftrag. Es dürfte interessant sein herauszubekommen, wer der Auftraggeber dieser beiden Herren ist.«

*

»Und wo stecken Lake und Model?« erkundigte sich Mike Rander, als Parker seinen Bericht beendet hatte. Der Butler befand sich zusammen mit Vivi Carlson im Hotelzimmer der Pension. Parker hatte sich mit der Andeutung eines leisen Schmunzelns angehört, wie Vivi mit Longless verfahren war. Danach hatte er von seiner Unterhaltung mit Norma Weather und von seinem Erlebnis mit den beiden Londoner Killern berichtet.

»Ich trug Sorge dafür, Sir, daß die Herren Lake und Model vorerst nicht einzugreifen vermögen.«

»Könnte man vielleicht nähere Einzelheiten erfahren?« Rander sah seinen Butler ironisch an.

»Die derzeitige Unterbringung, Sir, bewegt sich hart am Rande der Legalität«, gab der Butler zurück. »Bestehen Sie nicht darauf, daß ich mich näher erkläre.«

»Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß, wie?«

»So könnte man die Situation ebenfalls umschreiben, Sir.«

»Schön, ich ziehe meine Frage damit zurück«, sagte Rander lachend. »Hauptsache, die beiden Schützen können keinen Ärger machen.«

»Damit ist mit Sicherheit nicht zu rechnen, Sir.«

»Okay, bleiben wir also bei Ravens, Inspektor Girvan rief an, Ravens hat sich bereits einen Anwalt genommen.«

»Wie beurteilt Inspektor Girvan seine Anklage, Sir?«

»Sie steht auf schwachen Beinen.«

»Die Anklage wird ihm beweisen müssen, daß er den tödlichen Unfall auf dem Loch Ness inszeniert hat, Sir.«

»Richtig, und Girvan wird es da schwer haben. Er hat übrigens doch Taucher angefordert. Er will nach dem Motorboot suchen lassen.«

»Bestehen demnach Aussichten, es zu finden? Der See soll ungemein tief sein.«

»Es existieren da einige Unterwasserströmungen, auf die Girvan setzt«, meinte Rander, »lassen wir uns also überraschen. Ein geborstener Tank würde Ravens kräftig entlasten.«

»Und die Würgemale, Sir?«

»Darauf setzt Girvan. Er meint... Moment...« Das Telefon hatte geläutet und Rander unterbrochen. Er griff nach dem Hörer, den Vivi Carlson ihm reichte und meldete sich.

Rander hörte einen Moment zu und nickte dann.

»Okay«, sagte er, »wir kommen sofort raus, Inspektor. Bis gleich!«

»Darf man unterstellen, daß das Motorboot gefunden wurde?« erkundigte sich Parker, während Vivi den Hörer wieder auflegte.

»Genau«, antwortete der Anwalt und ging unternehmungslustig zur Tür. »Jetzt wird sich zeigen, wie tief Ravens in der Patsche sitzt.«

*

Die Uferpartie war streng abgesperrt.

Bobbies aus dem nahen Inverness ließen niemand durch.

Eine Traube neugieriger Zuschauer hatte sich oben auf der Uferstraße versammelt und schaute hinunter auf den Strand des Loch Ness.

Dort stand ein leichter Kranwagen, der seine Arbeit aber bereits eingestellt hatte. Rechts von diesem Kranwagen parkte ein großer Lastwagen, dessen Ladefläche von einem Segeltuchaufsatz abgedeckt war.

Inspektor Girvan hatte Rander, Parker und Vivi Carlson bereits entdeckt und kam ihnen entgegen. Der müde wirkende Mann sah erschöpft und abgespannt aus.

»Sie haben also das Boot?« fragte Rander sofort.

»Reiner Zufall, daß es entdeckt worden ist«, meinte Girvan. »Ich brauchte die angeforderten Froschmänner noch nicht mal einzusetzen.«

»Darf man davon ausgehen, Sir, daß eine Unterwasserströmung die Wrackteile ans Ufer beförderte?« fragte Parker.

»Richtig«, bestätigte der Inspektor. »Die Luftkammern im Boot haben das Wrack in der Schwebe gehalten. Ein paar Meter unter der Wasseroberfläche. Und die Strömung trieb es schließlich hierher an den Strand.«

»Darf man fragen, Sir, wo sich das Wrack befindet?« erkundigte sich Parker.

»Steckt bereits unter der Lkw-Plane«, sagte Girvan.

»Und was ist mit dem Motor?« fragte Rander, »haben Sie irgend etwas feststellen können?«

»Nicht die Bohne«, gab der Inspektor zurück und dämpfte dabei unwillkürlich seine Stimme. »Der Motor ist mitsamt seiner Aufhängung abgerissen und dürfte jetzt ein paar hundert Meter tief im See liegen.«

»Aber das wollen Sie doch nicht in alle Welt hinausposaunen, wie?«

»Ich denke nicht daran«, erwiderte Girvan und lächelte müde. »Dieser nicht vorhandene Motor soll der Leim sein, auf den Lake und Model hoffentlich kriechen werden.«

»Wieso, Inspektor?« fragte Vivi interessiert.

»Falls sie wirklich geschossen haben, müssen sie daran interessiert sein, etwaige Spuren zu verwischen. Ich werde bekannt machen, daß das Wrack geborgen wurde, und werde durchsickern lassen, wo es lagert. Dann brauchen Lake und Model nur noch zu kommen. Tauchen Sie auf, dann werden sie mir einige Fragen beantworten müssen.«

»Sie sind davon überzeugt, daß Lake und Model noch hier am See sind?« fragte Rander vorsichtig.

»Ich kenne doch das Duo, Mister Rander«, sagte Girvan. »Die räumen nicht eher das Feld, bis sie genau wissen, daß sie keine Spuren hinterlassen haben.«

»Ihre Rechnung, Sir, könnte durchaus aufgehen«, sagte Parker mit neutraler Stimme. »Auch ich vermute die Herren Lake und Model noch hier am See.«

»Wie beurteilen Sie Ravens Chancen?« wechselte der junge Anwalt das Thema.

»Da sind die Würgemale. Über die wird er uns einiges sagen müssen. Die kann er nicht mit einem Trick aus der Welt schaffen. Ob er aber den Schuß in den Tank bestellt hat, steht auf einem anderen Blatt. Kann durchaus sein, daß der Schuß auch ihm galt!«

»Oder seiner Frau Rose«, warf Vivi ein, »haben Sie auch daran schon mal gedacht?«

»Rose Weather?« fragte Girvan und sah Vivi nachdenklich an.

»Typische Fehlleistung«, meinte Rander lächelnd zu Girvan. »Sie meinen natürlich die üppige Blondine. Norma Weather, nicht wahr?«

»Natürlich«, murmelte der Inspektor. »Norma Weather. Eine Frau kauft sich zwei Mörder, um eine im Weg stehende Ehefrau umbringen zu lassen.«

»Über diesen Punkt sollten Sie tatsächlich nachdenken«, schlug der Anwalt vor. »Wie denken Sie denn darüber, Parker?«

Rander hatte sich seinem Butler zugewendet und sah ihn prüfend an.

»Eine erfreuliche Vielzahl von etwaigen Motiven«, antwortete Josuah Parker zurückhaltend. »Man sollte sich überraschen lassen.«

*

Die beiden Superprofis aus den Staaten hatten sich wieder vertragen.

Nach der gemeinsamen Panne in Inverness waren sie in ihren Wohnwagen zurückgekehrt und beratschlagten nun, wie man Rander und Parker endlich umbringen könnte.

»Es geht nichts über ’nen gezielten Schuß«, sagte Cleveland kategorisch, »das hab ich in den Ausbildungskursen des Syndikats immer wieder gepredigt.«

»Dann laß uns doch endlich mal gezielt schießen«, erwiderte Longless, das rosige Riesenbaby. »Mit irgendwelchen Tricks ist diesem Parker doch nicht beizukommen.«

»Man muß den alten Fuchs mit echter Primitivität überraschen«, schlußfolgerte Cleveland. »Wir brauchen ein Gewehr, ein Zielfernrohr und ’ne sichere Hand.«

»So was hatten wir schon mal.« Longless war und blieb skeptisch.

»Wir waren eben nicht direkt genug, Junge«, redete Cleveland weiter, »aber das wird sich ändern.«

»Und dein Wasserplan? Wir haben immerhin ’ne hübsche Stange Geld für diesen Trick ausgegeben.«

»Wenn schon! Sobald wir ’ne Erfolgsmeldung nach Chikago absetzen können, wird dein Daddy nicht mehr über unnötige Spesen reden. Reich mir mal die Haubitze rüber!«

Longless nickte begeistert und griff nach, dem Gewehr, um dann auch gleich das Zielfernrohr nachzuliefern. Cleveland strich fast liebevoll über den Gewehrlauf und montierte das Zielfernrohr. Dann sah er auf seine Armbanduhr.

»Dinnerzeit«, sagte er. »Bevor Parker richtig am Tisch sitzt, bekommt er seine Freikarte fürs Jenseits, Junge. Jetzt wirst du mal einen Cleveland erleben, den du noch nicht kennengelernt hast!«

Die beiden Superkiller verließen den Wohnwagen, um zur Sache zu kommen.

»Wieder mal. Sie hatten übrigens keine Ahnung, daß Parker bereits im Wohnwagen gewesen war. Sonst wären sie mit Sicherheit nicht so optimistisch gewesen.

*

Zwei weitere Männer waren unterwegs: Lemmie und Archie Model.

Die beiden Killer aus London waren vor einer guten halben Stunde aus einem erholsamen Tiefschlaf erwacht und hatten sich in der Waldhütte wiedergefunden.

Sie hatten sich sehr schnell an ihre peinliche Begegnung mit Josuah Parker erinnert. Aber sie gingen auf dieses Thema nicht näher ein. Über Niederlagen sprach das sonst erfolggewohnte Duo nicht.

»Wollen wir uns wirklich noch die zweite Rate abholen?« fragte Lemmie, als sie die Hütte in Richtung Uferstraße verließen. Es war dunkel geworden, und die Straßenbeleuchtung brannte bereits.

»Das auch«, meinte Archie.

»Nicht nur die Moneten?« wunderte sich Lemmie.

»Nicht nur die Moneten«, bestätigte Archie, »bevor wir hier abhauen, schicken wir Parker noch auf Tauchstation!«

»Von dem sollten wir besser die Finger lassen«, warnte Lemmie. Über seinen Rücken ging ein nervöses Kribbeln, als er an den Butler dachte.

»Ich laß mich doch nicht von ’nem Amateur aufs Kreuz legen«, regte sich Archie auf.

»Wir sollten Parker einfach vergessen«, schlug Lemmie schlauerweise vor, »gar nicht mehr daran denken. So tun, als hätte es ihn nie gegeben!«

»Sitzt nicht drin«, gab Archie finster zurück, »so was wie den vergeß ich erst, wenn er in ’nem Sarg an mir vorbeigetragen wird.«

»Die Sache kann ins Auge gehen!«

»In Parkers Auge«, prophezeite Archie, »man lernt ja schließlich aus seinen Fehlern.«

Sie marschierten durch den Bergwald weiter in Richtung Uferstraße und taten genau das, worauf ein gewisser Butler Parker gelassen wartete.

*

Josuah Parker hatte es sich bequem gemacht.

Er saß auf einer öffentlichen Parkbank in der Nähe des Sees und genoß die Stille der Nacht. Es ging bereits auf zweiundzwanzig Uhr zu, und in den meisten Häusern war bereits das Licht erloschen. Nur in den nahen kleinen Hotels und Pensionen schien noch etwas Leben zu herrschen.

Nach gut fünfzig Minuten entdeckte Parker zwei Gestalten, die sich einem bestimmten kleinen Bauernhaus näherten. Sie bewegten sich vorsichtig und irgendwie lauernd durch die Nacht, erreichten das Haus und verschwanden auf der Rückseite.

Parker schaltete seinen kleinen Taschentransistor ein und ging damit auf Empfang. Im Haus, das er beobachtete, befand sich einer seiner speziellen Minisender, der für eine erstklassige Übertragung gut war.

Aus dem Ohrclip, den Parker sich in die Ohrmuschel geschoben hatte, war kurzes Anklopfen zu hören. Dann rückte ein Stuhl, waren Schritte zu hören und schließlich das Öffnen einer Tür, das mit feinem Quietschen einherging.

»Seid ihr verrückt?« sagte eine Stimme, die eindeutig einer Frau gehörte.

»Nee, nur sauer«, erwiderte Archies unverkennbare Stimme. »Wir werden die Platte putzen, Süße«, sagte jetzt Lemmie, »und schon sind wir wieder verschwunden.«

»Und die Fotos? Der Film?« Die Frau wußte sehr genau Bescheid.

»Sind anschließend dran«, behauptete jetzt Archie. »Nun mach schon!«

Parker hatte sich orientiert und stand auf.

Gemessen lustwandelte er auf das Bauernhaus zu. Er wollte aus nächster Nähe beobachten, was dort passierte. Er hatte das sichere Gefühl, wieder mal gebraucht zu werden.

*

Norma Weather stand Lemmie und Archie gegenüber.

Sie trat jetzt zurück und ging schnell in den großen Wohnraum. Die beiden Killer aus London folgten. Sie bauten sich am offenen Kamin auf und sahen die üppige Blondine kalt und abwartend an.

Norma Weather schien es jetzt eilig zu haben.

Sie ging auf einen an der Wand stehenden Sekretär zu und öffnete eine kleine Schublade im Oberteil. Als sie in diese kleine Lade griff, standen Lemmie und Archie plötzlich dicht hinter ihr. Sie hatten sich mit der Schnelligkeit und Geschmeidigkeit einer Katze bewegt.

»Nicht doch, Süße!« sagte Lemmie und umspannte ihr Handgelenk.

»Wir wollen Zaster, aber keine blauen Bohnen«, meinte Archie, als sein Partner Lemmie Normas Hand vorsichtig aus der Lade hob. Er schüttelte sie derb und heftig, worauf der Browning, der sich in Normas Hand befand, zurück in die Schublade fiel.

»Was soll denn das?« erkundigte sich Lemmie gespielt munter, »du mußt uns glatt mißverstanden haben, Süße.«

»Laßt mich frei!« fauchte Norma und machte sich frei. »Ihr seid verrückt! Glaubt ihr wirklich, ich hätte auf euch schießen wollen?«

»Bei dir ist alles drin, Norma«, gab Archie zurück, »man kennt sich ja schließlich.«

»Immerhin sitzen wir in einem Boot«, behauptete die üppige Blondine.

»Immer dran denken und nie vergessen«, gab Archie ironisch zurück, »also raus mit den Moneten, Norma!«

Die üppige Blondine verdrehte ergeben die Augen und deutete auf eine andere Schublade, die Lemmie öffnete. Er zog ein dickes Bündel Banknoten hervor und nickte zufrieden.

»Na, bitte«, sagte er sich an Archie wendend. »Wer sagt’s denn? Warum nicht gleich so, Norma?«

»Im Grunde habt ihr keinen Penny verdient«, brauste Norma böse auf. »Ihr habt euch wie die Anfänger benommen. Denkt mal an die Fotos, die der Butler geschossen hat? Damit ist der ganze Plan ins Wasser gefallen! Ohne diese Fotos säße Ravens jetzt ganz anders in der Tinte.«

»Sitzt er auch ohnehin«, meinte Archie beschwichtigend, »und die Sache mit den Fotos erledigen wir noch. Wenn dieser Butler nicht mehr quasseln kann, sagen die Fotos überhaupt nichts!«

»Dann würde ich an eurer Stelle nicht lange warten«, drängte Norma.

»Den kippen wir noch in dieser Nacht«, entgegnete Lemmie ab winkend.

»Übernehmt euch bloß nicht! Parker steckt euch mit der linken Hand in die Tasche.«

»Und wie sieht’s denn mit dir aus, Norma? Du scheinst dich verdammt sicher zu fühlen.«

»Na und? Hab ja auch allen Grund. Wer will mir schon was anhängen?«

»Wie wäre es denn mit meiner bescheidenen Wenigkeit?« war Parkers Stimme in diesem Moment zu vernehmen.

Lemmie und Archie wirbelten herum und rissen gleichzeitig ihre Schußwaffen aus der Halfter. Sie drückten fast miteinander ab.

*

Es klickte gefährlich, aber die Schüsse lösten sich nicht.

Lemmie und Archie hatten den unverzeihlichen Fehler begangen, ihre Waffen nicht zu kontrollieren, nachdem sie von Parker außer Gefecht gesetzt worden waren. Der Butler hatte sich die Freiheit genommen, die diversen Schußwaffen unbrauchbar zu machen.

Lemmie und Archie starrten leicht irritiert auf ihre Waffen und warfen sie dann in Richtung Parker.

Die beiden Wurfgeschosse lagen zwar sehr gut, was die Richtung anging, doch sie erreichten nicht ihr Ziel. Sie prallten gegen den Schirm, den der Butler blitzschnell geöffnet hatte. Und da die Seide mit Stahldraht durchzogen war, wirkte der Schirm wie eine nachgiebige Wand, die die Wucht des Aufpralls mühelos vertrug.

Die beiden Wurfgeschosse landeten scheppernd auf dem Boden.

Archie und Lemmie, die sich gerade anschickten, sich auf den Butler zu stürzen, traten auf die Bremse, als Parkers Schirmstock sich waagerecht hob und die Schirmspitze sie anvisierte. Archie und Lemmie wußten aus jüngster Erfahrung, was dieser Schirmstock an bösen Überraschungen barg.

»Los!« schrie Norma aufgebracht, als Lemmie und Archie nichts unternahmen.

»Die Herren scheinen verständlicherweise nicht in Stimmung zu sein«, stellte der Butler gelassen fest. »Sie verfügen bereits über einschlägige Erfahrungen.«

»Ihr Feiglinge!« schrie Norma wütend und griff in die Lade. Sie tat das derart schnell, daß Parker nicht mehr eingreifen konnte, zumal Norma Weather von Lemmie und Archie gedeckt wurde.

»Hände hoch!« rief Norma, die den Browning bereits in der rechten Hand hielt. Die Mündung zeigte auf den Butler, der ihrem Wunsch jetzt nachkam.

»Gar nicht so schlecht!« lobte Archie und näherte sich dem Butler von rechts.

»Klasse, Süße«, steigerte Lemmie und näherte sich Parker von links.

»Aus der Traum!« stellte Norma mit vor Triumph bebender Stimme fest. »Damit haben Sie nicht gerechnet, Parker, wie?«

»Sie haben meine bescheidene Wenigkeit in der Tat erheblich überrascht«, gestand Josuah Parker. »Darf auch ich Ihnen meine ehrliche Anerkennung aussprechen?«

Lemmie und Archie hatten sich hinter dem Butler aufgebaut und nahmen ihm mit spitzen Fingern den Universal-Regenschirm aus der Hand, wobei sie sich fast gegenseitig behinderten.

»Darf ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann sich ein wenig niedersetzen?« bat Parker in Richtung Norma.

»Sie können sich bald für immer ausruhen«, verhieß Norma dem Butler und lächelte kalt.

Parker setzte sich vorsichtig in einen Sessel und atmete erleichtert auf.

»Diese Aufregungen sind schon fast zu viel für mich«, stellte er dann fest.

»In ein paar Minuten werden Sie diese Sorgen nicht mehr haben«, meinte Norma. »Woher wußten Sie, daß Lemmie und Archie hier erscheinen würden?«

»Instinkt, Kombination, Logik«, zählte Parker auf. »Ersparen Sie mir nähere Einzelheiten, Madam.«

»Ich will es aber wissen«, gab Norma böse zurück. Dann wandte sie sich an Lemmie. »Geh raus und paß auf! Wir brauchen jetzt keinen Besuch.«

»Darf ich unterstellen, daß Sie, Miß Weather, der Kopf dieses Unternehmens sind?« Parker beugte sich etwas vor.

»Von mir aus«, gab sie zurück. »Hauptsache, Ravens steckt in der Patsche. Wegen des Mordes an seiner Frau. Und darauf kam’s uns an!«

»Ihnen und den Herren Lake und Model?« Parker staunte sichtlich. »Ich war und bin nämlich der Meinung, daß Sie nur in einem Sonderauftrag gehandelt haben.«

»Stimmt«, mischte sich Archie jetzt ein, »und zwar für Ravens Konkurrenten.«

»Es ging also doch um Buchmacherei.« Parker nickte fast verständnisvoll. »Mister Ravens sollte auf elegante Art und Weise aus dem Londoner Geschäft verdrängt werden. Und zwar ohne offensichtlichen Mord. Die Behörden selbst sollten das übernehmen.«

»Natürlich«, fiel Norma ein. »Seine Anklage sollte auf Mord lauten, begangen an seiner Ehefrau Rose.«

»Daher also der Schuß in den Tank des Außenborders?«

»Richtig!« Archie grinste. »Diesen Schuß hätte ihm kein Mensch abgenommen. Und so wird es auch bleiben.«

»Wozu noch die Würgemale an Mistress Ravens’ Hals kommen!« stellte Parker fest.

»Für die sind wir aber wirklich nicht verantwortlich«, freute sich Norma sichtlich. »Der gute Peter scheint die günstige Gelegenheit konsequent genutzt zu haben.«

»Demnach darf ich also unterstellen, daß Sie, Miß Weather, nur der Lockvogel waren?«

»Richtig! Und zwar für die Polizei. Ich war die Frau, die Peter Ravens das Motiv liefern sollte.«

»Was Ihnen außerordentlich gut gelungen ist«, erklärte der Butler, »Sie haben die Rolle der Konkurrentin sehr gut gespielt!«

»Und ich werde Ravens noch zusätzlich derart reinreiten, daß er an einer Verurteilung nicht vorbeikommt. Ich werde naiverweise natürlich durchblicken lassen, daß Peter so oder so reinen Tisch mit seiner Frau machen wollte. Zwanzig Jahre Zuchthaus dürften drin sein, nicht wahr?«

»Ihr Auftraggeber hat da einen ungewöhnlich geschickten Plan entwickelt«, stellte Parker sichtlich beeindruckt fest.

»Auf Ernest kann man sich eben verlassen«, sagte Archie stolz, worauf er sich einen bitterbösen Blick von Norma einhandelte.

»Ernest also«, hielt Parker nachdenklich fest, »jener Herr scheint in London auf die Erfolgsmeldung zu warten.«

»Er wird sie bald zu hören bekommen«, erklärte Norma Weather, »und er wird froh sein, daß es Sie, Parker, dann nicht mehr geben wird!«

*

Die Lage spitzte sich deutlich zu, zumal Lemmie zurück ins Zimmer gekommen war. Er meldete, daß draußen die Luft rein sei. Mit irgendwelchen Überraschungen brauche man nicht zu rechnen.

»Dann sollten wir ...« sagte Norma und warf Archie einen schnellen Blick zu.

»Hier?« Archie war überrascht.

»Wir fahren mit ihm an den See«, schlug Lemmie vor, »vielleicht hat Parker Glück und entdeckt beim Wegtauchen das Ungeheuer von Loch Ness.«

Daß sie ihn umbringen wollten, war dem Butler natürlich klar. Zu offen hatten sie ihm ihre Karten ausgebreitet. Es hatte sich gezeigt, daß sowohl Norma als auch Lemmie und Archie von einem gewissen Ernest angeheuert worden waren, um Ravens eine tödliche Falle zu stellen.

Peter Ravens sollte als lästiger Konkurrent für immer ausgeschaltet werden. Aber nicht durch Mord, wie das bisher vielleicht der Fall gewesen war, sondern durch eine geschickt gesteuerte Mordanklage.

»Ich fürchte, daß ich mich Ihren Wünschen beugen muß«, sagte Parker und erhob sich.

»Fürchten ist gut.« Lemmie lachte meckernd. »Wo bleiben denn jetzt die faulen Tricks, Parker? Nichts mehr auf der Pfanne?«

»Verdammt enttäuschend«, lästerte jetzt auch Archie. »Von Ihnen hätte ich mehr erwartet.«

»Sie dürften mich ein wenig unterschätzt haben«, gab Parker würdevoll zurück. Er sprach ausschließlich in Richtung Norma Weather, die er für gefährlicher hielt als Lemmie und Archie.

»Unterschätzt?« Kurz und scharf fragte die üppige Blondine.

»In der Tat«, erwiderte Parker, »in meiner rechten Brusttasche befindet sich selbstverständlich ein kleiner Sender, der unsere Unterhaltung auf ein Empfangsgerät übertragen hat, das seinerseits wieder an ein kleines Tonband angeschlossen ist.«

Lemmie sah Archie, und Archie sah Lemmie betroffen an. Dann hüstelten sie leicht und betreten und sahen zu Norma hinüber, die intensiv an ihrer Unterlippe nagte.

»Sie lügen!« sagte sie dann.

»Sie wissen genau, daß ich keineswegs bluffe«, gab der Butler kühl zurück.

»Seht nach!« schrie Norma die beiden immer noch hüstelnden Berufskiller wütend an. »Worauf wartet ihr noch?«

Lemmie langte in die Tasche, von der Parker gesprochen hatte. Er zog überrascht, verblüfft und triumphierend eine Art Zigarettenetui hervor, dessen schwarzes Leder abgegriffen aussah. Aus einer Ecke dieses Klappetuis schlängelte und ringelte sich eine Art Schleppantenne hervor.

»Wo befindet sich das Empfangsgerät?« wollte Norma wissen.

»Falls ich den Standort nicht angebe, werden Sie es wohl nie finden«, behauptete der Butler, »aber gleichzeitig ist Sorge dafür getragen, daß dieses Gerät samt Tonband und Aufzeichnung spätestens morgen mittag in die Hände der Polizei gelangt.«

Norma Weather befaßte sich erneut mit ihrer Unterlippe.

Lemmie und Archie hüstelten wieder. Lemmie wog das Lederetui in der flachen Hand und spielte mit der Schleppantenne.

»Wir haben also Zeit und damit auch die Mittel, alles aus Ihnen herauszuholen«, warnte Norma.

»In solch einem Fall wird der Sender in Mister Lakes Hand ein Notsignal ausstrahlen«, behauptete Josuah Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lasen.

»Mach es auf!« schnauzte Norma in Richtung Lemmie. »Mach es schon auf!«

Archie beugte sich neugierig vor, als Lemmie seinen Daumen auf den Druckverschluß des Etuis legte. Selbst Norma, die den Butler nicht aus den Augen ließ, schielte mit vorgebeugtem Kopf auf das Etui.

»Werden wir gleich haben«, sagte Lemmie und drückte auf den Schnappverschluß.

Er hätte es besser nicht getan.

Die beiden Hälften des Etuis sprangen kraftvoll und blitzschnell auseinander, was mit einer starken Feder zusammenhing, die bisher im gespannten Zustand im Etui gewesen war.

Das Etui wirbelte aus der Hand des Killers und verstreute dabei ungemein freigiebig und reichlich ein graues Pulver, das schon fast bestürzend wirkte.

Lemmie und Archie brüllten auf und sahen plötzlich nichts mehr. Norma Weather schrie dazwischen und schoß in Richtung Parker. Doch sie traf nur die Glasfüllung eines Schrankes. Anschließend vereinigten sich Lemmie, Archie und Norma zu einem improvisierten, aber äußerst wilden Kriegstanz, den sie ohne Rücksicht auf das Mobiliar absolvierten. Sie wurden von einem unbezähmbaren Juckreiz erfaßt, der sie fast in den Wahnsinn trieb.

Parker, der vorher die Augen geschlossen hatte und Handschuhe trug, kam ungemein glimpflich davon, zumal er ja den Inhalt des Etuis kannte. Er war in der erfreulichen Lage gewesen, sich auf das Pulver einzustellen und sein Gesicht zu schützen.

Interessiert und aus sicherer Entfernung sah er zu, wie Lemmie gerade einen Tisch rammte, aufbrüllte und dann mit dem zusammenbrechenden Möbelstück zu Boden ging.

Archie rammte mit dem vorgeschobenen Kopf eine Standuhr, die prompt und dröhnend die Zeit gongte. Dann fiel sie über Archie und begrub ihn unter sich.

Norma Weather vollführte so etwas wie einen improvisierten Strip, der aus dem Juckreiz heraus erklärt werden konnte. Sie streifte sich gerade ihr Kleid und ihre oberen Dessous ab und kratzte sich mit der Intensität eines Wildschweins, das frisch aus der Suhle kommt.

Parker war ungemein zufrieden.

Er ging zur Tür und hütete sich, in den Dunstkreis der grauen Pulverwolke zu geraten. Dann zog er aus der linken Außentasche ein zweites Zigarrenetui hervor, aus dem ebenfalls eine Art Schleppantenne ragte.

»Ende des Wortprotokolls«, sagte er dann in den kleinen Lautsprecher des Etuis, der gleichzeitig als Mikrofon diente. »Die jetzt zu hörenden Geräusche beziehen sich auf einen Reizstoff, der mehr oder weniger unkontrollierbare Bewegungen auslöst. Nach Beendigung dieser Vorführung, werde ich die Herren Lake und Model, selbstverständlich auch Miß Weather, an einem sicheren Ort unterbringen, für den ich mich bereits entschieden habe.«

*

»Polente!« schnaufte Cleveland, der zusammen mit seinem Schützling Longless vor der Hotelpension des Majors auf der Lauer lag. Sie warteten auf die Rückkehr von Parkers hochbeinigem Wagen. Es war geplant, Parker beim Verlassen dieses Wagens durch einen endlich mal richtig gezielten Schuß aus dem Verkehr zu ziehen.

Und jetzt dieses auf und ab schwellende Geräusch einer Polizeisirene.

Longless zog es den Magen zusammen. Er konnte dieses Signal nicht hören. Es löste in ihm Allergien aus.

Cleveland hielt sich die Ohren zu und stand schnell auf.

»Verschieben wir’s auf morgen«, schlug er dann seinem Zögling vor. »Was du heute kannst besorgen, schieb es ruhig auf übermorgen!«

Die beiden Helden versteckten das Gewehr unter einem Laubhaufen und traten schleunigst den Rückzug an. Bevor sie in der Dunkelheit verschwanden, sahen sie noch den Streifenwagen der Polizei, aus dem ein alter, müder wirkender Mann stieg, der etwa fünfzig Jahre zählte.

Er wurde in der Tür zur Pension von Mike Rander empfangen.

*

»Hören Sie sich das mal an«, sagte Rander und deutete auf das Tonbandgerät, das auf einem schmalen Wandtisch stand. Vivi Carlson hatte sich davor aufgebaut und wartete auf das Zeichen, das Gerät in Betrieb zu setzen.

Inspektor Girvan stutzte, trat ein paar Schritte näher und nickte Vivi dann zu. Sie setzte das Gerät in Gang und lächelte unwillkürlich, als die Stimmen zu hören waren.

Girvans Lippen bildeten einen schmalen Strich, als er die Unterhaltung zwischen Parker, dem Duo und Norma Weather verfolgte. Als die Aufnahme beendet war, wandte er sich an Vivi.

»Kann ich’s noch mal hören?« bat er dann. Vivi nickte, spulte zurück und lieferte ihm die aufschlußreiche Unterhaltung erneut. Nach Parkers Absage schlug Girvan seine geballte rechte Hand in die linke Handfläche.

»Sagenhaft«, meinte er dann, »damit haben wir das Duo in der Tasche. Und auch die Weather.«

»Und Peter Ravens dürfte aus dem Schneider sein«, stellte Mike Rander lächelnd fest. »Ein raffinierter Plan, finden Sie nicht auch?«

»Wer ist dieser Ernest?« wollte Vivi wissen.

»Ernest Hornsback«, erklärte Girvan, »ein bekannter Gangster in London. Er scheint sich jetzt auf illegale Buchmacherei verlegen zu wollen.«

»Und darum wollte er Ravens auf elegante Art und Weise aus dem Weg räumen«, fügte Rander hinzu. »Er hetzte die Weather auf Ravens, der natürlich sofort anbiß, zumal seine Ehe längst in die Brüche gegangen war. Dann engagierte er das Duo und ließ auf das Boot schießen, in dem Ravens zusammen mit seiner Frau saß. Der Tank explodierte und Mistress Ravens ertrank. Ohne die Fotos hätten wir alle wohl kaum Verdacht geschöpft.«

»Es lebe Nessie«, schaltete Vivi Carlson sich lächelnd ein, »ohne dieses Ungeheuer von Loch Ness hätte Major Williams sich nie diese optische Batterie angeschafft.«

»... und hätte Parker Lake und Model nicht fotografieren können«, fügte Rander hinzu. »Aber wie ist das jetzt mit den Würgemalen am Hals von Mistress Ravens?«

»Hat Ravens die günstige Gelegenheit genutzt und den echten Zwischenfall, von dem er nichts wußte, für seine eigenen Pläne benutzt?«

»Sieht so aus«, erwiderte der Inspektor, »er muß sie während seiner Suche unter Wasser gefunden und dann erwürgt haben!«

»Falls die Sachverständigen sich einigen können«, meldete Rander seine Bedenken an.

»Man wird sehen«, erklärte Girvan. »Hat Ihr Butler sich inzwischen gemeldet?«

»Kurz vor Ihrem Eintreffen«, antwortete Vivi Carlson. »Nach seiner Spezialübertragung schaffte er das Duo und Miß Weather weg. An einen sicheren Ort, wie ich nur sagen kann.«

»Wir wissen selbst noch nicht, was er sich hat einfallen lassen«, schloß Mike Rander. »Wenn Sie Lust haben, fahren wir sofort los, Inspektor. Ich kann vor Ungeduld kaum noch warten.«

*

Es war ein Bild für Götter, wie der Volksmund es treffend ausdrückt.

Beleuchtet von einigen Tiefstrahlern, die zur Baustelle an der Uferstraße gehörten, war die hohe und massige Betonstützmauer zu sehen.

Und in dieser Stützmauer befanden sich die Herren Lake und Model.

Sie flankierten nicht gerade galant oder elegant Miß Norma Weather, die üppige Blondine.

Alle drei Personen hätten nur zu gern darauf verzichtet, sich derart zu präsentieren, doch sie waren nicht in der Lage, dieses Gruppenbild mit Dame von sich aus aufzulösen.

Was mit dem bereits erstarrten Schnellbeton zusammenhing, den der Butler so ganz offensichtlich verwendet hatte. Dieser Beton hielt die Gruppe unverrückbar fest. Sie war zum Bestandteil der Stützmauer geworden.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, schnaufte Girvan und sah plötzlich nicht mehr müde aus. Er grinste und wirkte dabei um Jahre jünger.

Parker hatte drei ausgesparte Einschnitte in der Mauer genutzt, die wie Mannlöcher aussahen. In jedem dieser Löcher steckte eine der drei Personen bis über die Hüften. Dann hatte Parker Schnellbeton benutzt, um die drei Gangster einzubetonieren. Bis zu den Hüften standen sie fest und sicher in der Mauer, und sie fühlten sich gar nicht sehr wohl.

»Ich bitte meine Wenigkeit entschuldigen zu wollen, falls ich meine Kompetenzen überschritten haben sollte«, ließ Parker sich vernehmen. Er war aus dem Dunkel hervorgetreten und zeigte sich den drei Beobachtern. »Darf ich hoffen, Inspektor, daß Sie die Privatsendung aus dem Haus Mister Ravens inzwischen abgehört haben?«

»Jedes Wort«, versicherte Girvan. »Und wie eisen wir die drei Figuren dort aus dem Beton?«

»Falls es innerhalb der nächsten Stunde versucht wird, Sir, dürften kaum Schwierigkeiten zu erwarten sein«, meinte Parker. »Ich habe die Betonmischung selbstverständlich nicht optimal zusammengestellt. Sie wird sich relativ leicht lösen lassen.«

»Daran wird das Duo Zeit seines Lebens denken«, meinte Girvan, »von der Weather mal ganz zu schweigen.«

»Ich hoffe, Sir, Sie waren zufrieden«, erkundigte sich Parker jetzt bei seinem jungen Herrn.

»Kein Ein wand«, meinte Rander und zwinkerte Vivi lächelnd zu. »Falls Girvan es richtig anpackt, werden die Figuren sich gleich gegenseitig belasten. Nur eine Frage der Taktik!«

»Und Mister Ravens, Sir?« erkundigte sich Parker bei Inspektor Girvan.

»Warten wir auf seine Reaktion, wenn er erfährt, wer ihm diese Falle gestellt hat. Vielleicht wird er dann etwas zu den Würgemalen sagen können.«

*

Es war ein strahlender Morgen.

Mike Rander und Vivi Carlson saßen in einem kleinen Ruderboot und hatten den Landungssteg der Hotelpension weit hinter sich gelassen. Rander hatte sich wieder mal mit Angelzeug ausgerüstet und hoffte auf eine veritable Forelle oder auf einen Lachs. Vivi genoß die ersten warmen Sonnenstrahlen an diesem Tag und hatte sich weit im Boot zurückgelehnt.

»Sie wollten von Ravens erzählen«, ermahnte sie ihren Chef. Rander war noch vor dem Frühstück bei Girvan gewesen.

»Ravens hat gestanden, seine Frau unter Wasser erwürgt zu haben«, sagte Rander trocken, »er hatte den Unfall, den er selbst nicht verschuldete, konsequent ausgenutzt, um seine Frau loszuwerden!«

»Schrecklich«, war alles, was Vivi äußern konnte.

»Und das Duo sitzt ebenfalls in der Patsche. Wie Norma Weather. Eindeutiger Mordversuch an Parker. Mit dem Mord an Mistress Ravens haben die drei Personen ja nun wirklich nichts zu tun. Der Schuß allein auf den Benzintank hätte aber auch für eine Verurteilung ausgereicht und für ein paar Jahre Zuchthaus. Girvan hat seinen Fall bereits abgeschlossen.«

»Dann dürften wir ja jetzt ein paar richtige Urlaubstage vor uns haben«, stellte Vivi zufrieden fest. »Freut mich für Sie, Mister Rander!«

»Beschreien Sie nur nichts«, sagte Rander und wehrte ab. »Bleibt immer noch Nessie. Und wie ich mein Pech kenne, wird es ... Was ist denn, Vivi?«

Vivi Carlson richtete sich langsam, fast in Zeitlupe auf und riß dabei weit die Augen auf. Sie zeigte mit halb ausgestrecktem Arm an Rander vorbei aufs Wasser.

Der Anwalt drehte sich blitzschnell um. Er schnappte nach Luft und sah nun seinerseits seinen Butler an, der im Heck des Bootes saß, steif und aufrecht, als habe er einen Ladestock verschluckt.

»Sir!« erkundigte sich Parker und beugte sich andeutungsweise vor.

»Da!« murmelte Rander und zeigte nun an Parker vorbei ebenfalls aufs Wasser.

Der Butler drehte sich um und hob seine linke Augenbraue. Was er im Wasser, nahe dem Boot, sah, ließ ihn sichtlich staunen. Er machte eine großschuppige Rückenflosse aus und dann eine warzige Monsterhand, die nach dem Bootsrand griff.

Diese Hand war so groß wie zwei Kohlenschaufeln und besaß narbige Schwimmhäute zwischen den kralligen Fingerausläufern.

»Das Monster von Loch Ness!« stöhnte Vivi und schloß sicherheitshalber die Augen.

»So was gibt’s doch gar nicht!« murmelte Rander betroffen, während die riesige Monsterhand sich bereits um den Bootsrand spannte.

»Eine außerordentlich interessante Erscheinung«, meinte der Butler fast erfreut. »Ich werde Major Williams davon berichten!«

Während er noch sprach, löste er das rechte Ruder aus dem Zapfen und schlug damit nachdrücklich auf die Hand des Monsters, das daraufhin dumpf und gurgelnd protestierte.

Parker hob erneut das Ruder und drosch es gegen den auftauchenden, gezackten Drachenkopf.

Das Monster gurgelte wie eine Wasserspülung und ging auf Tauchstation. Es hinterließ dicke Luftblasen, die knallend an der Wasseroberfläche zersprangen.

»Was ... Was war das?« fragte Vivi und schüttelte sich.

»Das kann doch nur ein Traum gewesen sein«, sagte Rander beeindruckt.

»Es muß sich entweder um Mister Cleveland oder um Mister Longless gehandelt haben«, stellte der Butler richtig. »Die Herren gaben sich wieder mal die Ehre, Sir.«

»Unsere Dauerschatten?« rief Rander ungläubig und zweifelnd aus.

»Ausgeschlossen«, behauptete Vivi. »So kann sich kein Mensch verkleiden!«

»Der Versandhandel, Miß Carlson, liefert auch solche Monsterkostüme«, stellte der Butler erneut klar. »Die Herren Cleveland und Longless haben sich offensichtlich dem Loch Ness angepaßt.«

»Und wir werden uns ebenfalls anpassen, nämlich zurück an Land rudern«, sagte Rander. »Wer weiß, was unsere Dauerverfolger sich noch einfallen lassen.«

»Sir, von einer augenblicklichen Rückkehr an Land möchte ich aber dringend abraten«, sagte Parker.

»Wieso?«

»Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Hotelpension richten«, redete Parker weiter, »speziell auf den Turm. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Major Williams dort Posten bezogen und offensichtlich ebenfalls das Monster beobachtet.«

Rander und Vivi Carlson schauten zum Turm hinüber.

Major Williams stand hinter den Zinnen und gestikulierte wie rasend.

Parker hatte die beiden Ruder übernommen und entwickelte sehr viel Kraft, um tiefer auf den See hinauszukommen. Er hatte es ungemein eilig.

»Wo wollen Sie denn hin?« fragte Rander, als ihm die Fahrt des Bootes auffiel.

»Möglichst weit weg von Major Williams«, gestand Parker. »Selbst wenn er sich beruhigt haben sollte, wird die Unterhaltung mit ihm immer noch sehr strapaziös werden.«

*

»Du Versager«, schnaufte Cleveland und schälte sich aus seinem Taucheranzug. Er meinte das rückengezackte Monster mit den warzigen Riesenhänden, das erschöpft im Uferdickicht lag und schaffte wie ein Blasebalg.

»Du kannst mir viel erzählen«, sagte das Monster, »du hast den Schlag ja nicht mitbekommen!«

Während das Monster noch redete, zog es sich den Echsenkopf vom echten Kopf herunter, wonach Longless Riesenbabygesicht zu sehen war.

»Wir hatten sie schon so gut wie in der Tasche«, beschwerte sich Cleveland.

»So gut wie, aber eben nicht ganz«, stellte das Monster fest. »Ich war ja von Anfang an gegen diesen Quatsch. Jetzt ist außer Spesen mal wieder nichts gewesen.«

»Wieso? Wir haben schließlich neue Erfahrungen gesammelt«, erklärte Cleveland leichthin.

»Wir?« Longless faßte nach seinem schmerzenden Hinterkopf, wo ihn das Ruderblatt voll erwischt hatte. »Ich habe diese neue Erfahrung gesammelt. Und ich bin restlos bedient. Ich werde noch heute mit Daddy telefonieren. Er muß uns ein paar Tage Urlaub geben. Und er wird sie uns geben, wie ich ihn kenne!«

»Na, bitte«, schloß Cleveland zufrieden. »Dann hat’s sich doch gelohnt, Junge. Und während wir Urlaub machen, überlegen wir uns genau, wie wir Rander und Parker erwischen.«

Cleveland war ausgesprochen beleidigt, als Longless ihm daraufhin die nasse Plastikmaske an den Kopf warf. Er konnte sich diese gereizte Reaktion überhaupt nicht erklären. Sah sein Schüler denn nicht ein, daß sie Rander und Parker um ein Haar fast wieder erwischt hatten.

Wie so oft in der Vergangenheit.

Butler Parker Staffel 21 – Kriminalroman

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