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Kapitel 2

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Im Mannschaftsraum der ISS versuchte Rayhn zum wiederholten Mal eine hauchdünne Faser in den Kabelkanal zu stecken. Wieder vergeblich. Er fluchte leise vor sich hin und schaute sich nach John um. Der hat die ruhigste Hand von uns allen und müsste es mit Leichtigkeit schaffen, diese blöde Faser einzufädeln. John hatte eben an seinem Notebook gearbeitet.

„Wo steckt John?“, rief er Lauren zu, die etwa sechs oder sieben Meter weiter ihre täglichen Muskelaufbauübungen praktizierte. „Keine Ahnung“, rief sie zurück. „Ich habe ihn vor einer halben Stunde zuletzt an seinem Notebook gesehen.“

„Wahrscheinlich ist er in seinem Modul und hält ein Nickerchen“, meinte Rayhn. „Wenn du ihn siehst, so sag ihm, er möchte mal kurz zu mir kommen. Ich brauche seine ruhige Hand.“

„Willst du damit verdeutlichen, dass ich keine ruhige Hand habe? Schau dir meine schlanken, gepflegten Hände an.“

„Selbstverständlich, Lauren, hast du schöne und gepflegte Hände. Hättest du genau hingehört, dann wäre dir aufgefallen, dass ich von einer ruhigen Hand gesprochen habe. Und da ist mir aufgefallen, dass du bereits die Geduld verlieren kannst, wenn du einen Faden in die Nähnadel bugsieren willst. Ist es nicht so, dass du nach John rufst, der das große Problem dann umgehend löst?“

„Schon gut, schon gut. Weißt du, was es heute zu essen gibt?“ „Was soll ich denn heute zu messen haben?“

„Essen – Rayhn – Essen“, rief Lauren von ihrem Muskelaufbautrainer.

„Nein, ich weiß nicht, was wir heute im Fach haben: Frag unten mal Branden. Der verrät manchmal, welche Speise uns als nächste erwartet. Ist dir das so wichtig?“

„Naja, ein bisschen schon. Vielleicht kann ich mich darauf freuen – oder nicht.“

„Dann lass es eine persönliche Überraschung bleiben.

„Nein, ich will es wissen“, kam es etwas trotzig zurück.

Lauren schnallte sich die Haltegurte ab. Das Trainingspensum hatte sie zunächst einmal absolviert. Sie stieß sich sanft ab und schwebte in der völligen Schwerelosigkeit hinüber zu ihrem Headset, drückte die Sprechtaste und hauchte: „Hallo Branden, kannst du mir ein Geheimnis verraten?“

„Lauren Rolstadt“, rief Branden aus dem Kontrollzentrum Houston erfreut in ihrem Kopfhörer, „dir verrat ich jedes Geheimnis!“

„Branden, welches Mittagessen wird mich heute erwarten?“

„Als Belohnung für dein soeben absolviertes Training bekommst du Huhn mit Curry und Reis.“

„Naja, das hatten wir bereits vor einer Woche“, entgegnete Lauren jetzt leicht muffig und mit gar nicht mehr erotisch hauchender Stimme.

„Lauren, soll ich dir ein Shuttle hochschicken mit chinesischen Gerichten, deinen Lieblingsspeisen?“ „Ja“, rief Lauren, „tu es!“

„Wie bitte?“, schaltete sich Rayhn jetzt ein, „was geht denn bei euch ab? Schalt mal auf Lautsprecher. Ich kann leider nur hören, was du sagst.“

„Ha, das Geheimnis verrat ich dir nicht“, rief Lauren mit

verschmitzter Miene.

Branden meldete sich wieder in Laurens Kopfhörer: „Hallo Lauren“, war jetzt seine dienstliche Stimme vernehmbar, „du kannst mir bei dieser Gelegenheit zunächst Alexej und anschließend John geben. Ich brauche von beiden einige Informationen.“

„Aye Sire“, sagte auch Lauren mit übertrieben dienstlicher Stimme, „ich werde beide suchen.“

„Hallo John, hallo Alexej, hier ist Branden am Rohr. Er braucht einige Infos von euch. Bitte übernehmt.“

Alexej Droski meldete sich aus dem russischen Modul mit seinem merkwürdigen russischen Akzent auf der Gegensprechanlage.

„Eine Rohr vierhundert Kilometern lang? Sehr interessant“, rief Alexej über die Sprechanlage. „Ich übernehmen.“

„Ich muss einige Auswertungen vornehmen“, meinte Lauren und schwebte davon.

Rayhn holte sich auf seinen Bildschirm eine Schaltkreisdarstellung. Irgendwo musste ihm ein Fehler unterlaufen sein. Er studierte nochmals eingehend das Schaltbild auf dem Bildschirm und verglich es mit seinen Ausführungen.

„Hallo Rayhn“, kam die dunkle, unverwechselbare Stimme Alexejs aus der Sprechanlage, „ist John bei dir? Hier sein nochmal Branden. Er muss sprechen mit John.“

„Nein“, sagte Rayhn, „ich habe ihn ungefähr seit zwei Stunden nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hat er sich schlafen gelegt.“

„Okay“, meinte Alexej, „ich melden an Branden.“

Es begann nun zu dämmern in der ISS. Die Raumstation flog der sonnenabgewandten Seite der Erde entgegen. Die Lichtsensoren reagierten und schalteten automatisch die Beleuchtung in den einzelnen Modulen und im Gemeinschaftsraum ein, sofern es von der vorher vorgenommenen manuellen Einstellung zugelassen wurde.

Rayhn flog das zweite Mal mit auf der Raumstation. Als Kommandant verfügte er über Entscheidungsbefugnisse. Rayhn bemühte sich, Entscheidungen weitgehend demokratisch vorzunehmen, wenn sie sich im Rahmen der Bestimmungen bewegten. Lag eine Entscheidung außerhalb der festgelegten Bestimmungen für diese Raummission, so musste Rayhn entscheiden. Seine Entscheidungsbefugnisse waren wiederum eingekleidet in einen Entscheidungsrahmen. Musste auch dieser Entscheidungsrahmen verlassen werden, war vorher umgehend die Bodenstation zu informieren.

Nach dem Mittagessen ruhte Rayhn ein wenig in seinem Modul. Er schnallte sich an und schlief dann bald ein.

Drei Uhr Bordzeit. Rayhn begab sich wieder an seinen Arbeitsplatz. Dieser recht einfache Schaltplan ließ ihm keine Ruhe. Außerdem sollte John die Faser in den Kabelkanal stecken. Wo war er eigentlich? Wenn er sich schlafen gelegt hatte, so müsste seine Ruhezeit bereits längst beendet sein. Litt er erneut an seiner Übelkeit? Die Tabletten hatte er jeweils griffbereit. Rayhn wurde unruhig und rief John über die Bordanlage. „Hallo John. Hast du endlich ausgeschlafen?“

Keine Antwort.

„John, was ist mit dir?“

Wieder keine Reaktion.

Rayhn löste sich von seinem Haltegurt, schwebte von seinem Arbeitsplatz quer durch die schmale Verbindungsröhre und steuerte das Modul von John an.

„Hallo John, schläfst du?“

Keine Antwort.

„John, geht es dir nicht gut?“

Nichts.

„John, ich öffne jetzt den Verschluss!“ Nichts regte sich in Johns engem Modul. Rayhn löste die beiden Klettverschlüsse, schob die Falttür zur Seite und schaute hinein. Das Modul war leer.

Da wird er sich wohl bei Lauren aufhalten. Rayhn schwebte zum nahe gelegenen Modul von Lauren. Sie hatte die Falttür offen stehen. An der Seite hatte sie sich mit ihrem Gurt eingehakt und studierte in einem Buch.

„Hallo Rayhn, welch hoher Besuch“, spöttelte sie ein wenig.

„Hallo Lauren, entschuldige die unvorhergesehene Störung. Ich suche John.“

„Den habe ich seit Stunden nicht mehr gesehen. Wenn du schon hier suchst, dann kann ich davon ausgehen, dass er sich nicht in seinem Modul aufhält.“ „Genauso ist es, Lauren.“

„Ah, du brauchst ihn also immer noch, um dieses Drähtchen in den Kabelkanal zu drücken. Auf meine zarten Händchen willst du ja leider verzichten. Lass es mich mal versuchen.“ Sie schaute Rayhn dabei mit ihren dunklen Augen an.

„Wenn du dir ganz große Mühe gibst, könntest du mir bestimmt eine große Hilfe sein und das Drähtchen in den Kanal einfügen. Eigentlich bezweifle ich das auch nicht. Wenn du ein wenig Geduld aufbringst, wirst du das bestimmt schaffen.“

„Aha, versöhnliche Worte. Ich helfe dir gerne.“ Lauren legte wieder ein etwas erotisches Timbre in ihre Stimme und lächelte Rayhn geheimnisvoll an.

„Lauren, bitte lass das. Du weißt, der Feind könnte mithören.“ Damit meinte Rayhn die Bodenzentrale, die sich jederzeit einschalten und hören konnte, was gesprochen wurde. Fairerweise, wurden, so hofften jedenfalls Rayhn und alle anderen Besatzungsmitglieder auch, das Einschalten der Mikros und das Mithören von der Bodenstation vorher angekündigt.

„Schau mal bei Alexej vorbei. Dort wird er bestimmt sein.“ Ihre Stimme klang leicht unterkühlt.

„Bitte sei mir nicht böse. Ich bin nur etwas unruhig wegen John, weil er zu Beginn unseres Aufenthalts hier oben einige Tage seine Übelkeit hatte.“

„Schon gut“, lächelte nun Lauren, „das mit der Übelkeit ist längst vorbei. Da fällt mir ein, dass John gestern erwähnt hat, dass er im Lagerraum nach einer Plastikschale oder so was Ähnlichem suchen wolle.“

„Also gut, ich ‚spaziere erst mal zu Alexej, obwohl ich weiß, dass der seit Tagen fast verbissen an seinem Projekt arbeitet und vermutlich für Besuch keine Zeit hat.“

Rayhn schwebte in Richtung russisches Modul und rief einige Meter vorher: „Hallo Alexej, ist John bei dir?“

„Nein, ich ihn haben vorher gesehen, heute Morgen.“

„Danke, Alexej, ich werde auch nicht weiter stören.“

Rayhn flog als nächstes zum Toilettenraum, schob die Falttür zur Seite und schaute in den engen Raum hinein. Leer.

Anschließend schwebte er zum Lagerraum. Er war verschlossen. Rayhn drückte dennoch die Verschlusshebel nach unten, öffnete die Tür, schaute flüchtig hinein und drückte wieder sorgfältig die Verschlusshebel nach oben.

Merkwürdig, dachte Rayhn, wo kann der sich denn verkrochen haben?

Er schwebte zu den beiden restlichen Modulen, die während dieser Besatzungszeit nicht benutzt wurden und schaute hinein. Leer. Beide leer.

Die Unruhe von Rayhn steigerte sich. Wo konnte John stecken?

Die Bodenstation meldete sich über die allgemeine Sprechanlage, bei der jeder mithören und auch reden konnte. Rayhn erkannte Andrews Stimme. „Hallo Jungs und Mädel, wie ist euer Wohlbefinden?“

„Bestens“, rief Lauren.

„Haben dir Huhn und Reis geschmeckt?“, spöttelte Andrew ein wenig, „Branden hat mir erzählt, du wärest total begeistert gewesen.“

„Die nächsten Hühner mit Reis werde ich hier aus dem Fenster werfen, damit sie für die nächste Ewigkeit euren Planeten umkreisen“, rief Lauren.

„Naja“, entgegnete Andrew, „in drei Wochen ist es auch wieder dein Planet und du wirst bestimmt nicht erfreut sein, wenn du weißt, dass ihn tote Hühner mit Reis umkreisen.“ Er lachte. „Hallo Rayhn, alles okay?“

„Nna, eigentlich schon“, entgegnete der etwas unsicher.

„Was ist los, Rayhn?“, erkundigte sich Andrew sofort, „du hörst dich etwas besorgt an.“

„Es geht um John.“ „Was ist mit ihm?“

„Ich glaube, er spielt Verstecken mit uns.“

„Das ist aber gar nicht die Art von John“, bemerkte Andrew. „Wo ist er jetzt?“

„Ich denke, dass er vorne im Versorgungsraum ist und die Sprechanlage nicht gehört hat“, sagte Rayhn. „Es ist der einzige Raum, in dem er nicht nachgeschaut hatte und nur dort konnte er sein.“

„Sag John, er soll sich mal kurz bei mir melden, damit wir wissen, dass alles okay ist.“

„Wird gemacht“, entgegnete Rayhn.

Andrew fragte Informationen ab von Alexej, Lauren und Rayhn und verabschiedete sich wieder.

Rayhn schwebte zum Versorgungsraum und öffnete die Stahltür. Überwachungscomputer und Versorgungsgeräte summten und brummten. Von John keine Spur.

Nun ergriff Rayhn die Unruhe. Er schwebte nochmals zu allen nicht benutzen Räumen und schaute erneut hinein. Nichts. Das konnte nicht wahr sein. Wer spielte hier mit ihm einen Streich? Als er bei Lauren gewesen war, hatte sie ihn mit ihren dunklen und frechen Augen so merkwürdig angeschaut. Bestimmt führte sie ihn an der Nase herum, beruhigte er sich selbst.

Rayhn schwebte zu seinem Arbeitsplatz und begann wieder, seine Arbeit aufzunehmen. Sicher würden gleich Lauren und John hier erscheinen und Rayhn lachend den gelungenen Streich erzählen. Dennoch, die Art von John war es nicht, sich auf derartige Albernheiten einzulassen. Bei Lauren hingegen konnte sich Rayhn das gut vorstellen. Er beugte sich über die Schaltpläne und versuchte erneut, den Fehler zu finden. Die Konzentration bei Rayhn war

dahin. Nach einer halben Stunde war seine Geduld zu Ende. Er rief Lauren über die Gegensprechanlage: „Lauren, ich mag zwar deinen Witz und deine Kapriolen, aber allmählich könntest du John wieder herausgeben.“

Es folgten einige Sekunden Schweigen vom anderen Ende der Sprechanlage.

„Rayhn, ich spiele hier keinen Streich oder was auch immer du denkst und John ist bestimmt nicht hier“, meldete sich nun Lauren mit ernster Stimme.

Langsam wurde die gesamte Situation für Rayhn nervig.

„Also gut“, und mit verärgerter Stimme kam die Anweisung, „dann werden wir jetzt sofort alle zusammen suchen. Komm bitte in den Gemeinschaftsraum!“

Rayhn betätigte nochmals die Sprechanlage und forderte auch Alexej auf, sich auf den Weg zu machen.

„Rayhn, haben das nicht einen Stunde Zeit? Ich gerade bin kurz vor einen Lösung.“

„Nein, leider nicht“, erwiderte Rayhn. „Bitte komm jetzt her.“

Lauren war die erste, die herein schwebte. Sie hakte sich an einer Metallstange ein. „Was soll das, Rayhn?“

Bevor er antworten konnte, kam Alexej Droski herein, leicht verärgert, wie sein Gesichtsausdruck erkennen ließ. „Warum ist etwas so dringend“, fragte er. „Ich müssen wegen Unterbrechung mindestens eine Stunde länger an Lösung arbeiten.“

Rayhn schaute beide Kollegen an.

„Lauren, Alexej, bitte sagt mir jetzt, wo sich John befindet. Wenn ihr mir einen Streich spielen wolltet, okay. Dann betrachtet ihn als gelungen. Es wäre meiner Meinung nach zwar ein kindlicher, einfältiger Streich. Aber egal. Also, wo ist John?

„Ich weiß es nicht“, antwortete Lauren.

Alexej meinte etwas irritiert: „Seien er denn nicht aufgetaucht?“

Rayhn schaute in die Gesichter der beiden, die Ratlosigkeit widerspiegelten.

„Hast du im Versorgungsraum nachgeschaut?“, fragte Lauren.

„Also, ich habe in allen Modulen, im Lager, im Versorgungsraum und auf den Toiletten gesucht und John bisher nicht finden können. Bevor wir uns in Houston lächerlich machen, werden wir jetzt gemeinsam suchen. Und zwar gründlich. Lauren, du nimmst dir den mittleren Teil vor. Alexej, du schaust dir die leeren Module und den Versorgungsraum an. Ich werde mir die restlichen Möglichkeiten vornehmen. Los gehts.“

Lauren und Alexej schwebten davon.

Rayhn schaute sich jede Ecke, jeden Winkel und jede nur erdenkliche Möglichkeit an. Nicht den geringsten Hinweis auf die Anwesenheit Johns konnte er entdecken. Nach etwa zwanzig Minuten kam Lauren zurück.

„Nichts“, sagte sie beinahe tonlos.

Schweigend warteten beide auf Alexej. „Habt ihr ihn gefunden?“, rief er bereits im Verbindungstunnel.

„Nein, haben wir nicht.“ Eine leichte Wut stieg in Rayhn hoch. „Leute, es kann nicht sein, dass hier, vierhundert Kilometer über der Erde, in einer Raumstation, einfach jemand verschwindet. Das kann nicht sein. Das ist völlig unlogisch. Es sei denn, er begibt sich in die Schleuse, öffnet die Außentür und steigt aus der Station aus, wobei jeder hier weiß, dass eine solche Aktion nicht alleine und mal einfach so durchgeführt werden kann.“

„Die Schleuse“, bemerkte Lauren, „die haben wir nicht geöffnet. Nur da kann er sein.“

„Und was er sollen darin?“, fragte Alexej.

Rayhn dachte nach. „Wir werden jetzt folgendermaßen vorgehen: Lauren, du kontrollierst den Bereich, den ich soeben durchsucht habe. Alexej prüft nochmals alles, was Lauren durchsucht hat und ich schau mir anschließend zusammen mit Alexej erneut den etwas unübersichtlichen Versorgungsraum, die leeren Module und die Schleuse an. Danach treffen wir uns wieder hier. Okay?“

„Okay“, kam es von beiden.

Rayhn flog hinter Alexej durch den Verbindungstunnel. Alexej kontrollierte wiederum die leeren Module mit größter Sorgfalt und kam dann zu Rayhn, der jede nur denkbare und nicht denkbare Möglichkeit im Versorgungsraum überprüft hatte. Alexej half ihm, einige Geräte aus der Verankerung zu lösen, um die Möglichkeit zu haben, hinter die Geräte zu schauen. Anschließend mussten die Geräte wieder sorgfältig verankert werden. Kein Hinweis auf John.

„Dann bleibt nur die Schleuse. Aber das kann überhaupt nicht sein. Zumindest hätte ich vorne ein akustisches und optisches Signal erhalten müssen, sobald eine Veränderung hier vorgenommen worden wäre“, sprach Rayhn mehr zu sich selbst als zu Alexej. „Jeder hier an Bord weiß welcher Aufwand notwendig ist und welche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, um in diesen Bereich zu gelangen.

Rayhn entriegelte eine Metalltür. Hinter ihr lag eine weitere Tür, durch die man in die Sauerstoffschleuse, die sogenannte Sektion 1, gelangen konnte. Lichtsignale und akustische Laute ertönten. Beim Ausstieg für Außenarbeiten wurde, nachdem sich der Astronaut in diesen Raum gezwängt hat, der Sauerstoff herausgepumpt. Erst danach war es möglich, durch eine zweite Öffnung in die Sektion 2 zu gelangen, in der sich dann wiederum die Luke für den Ausstieg aus dem Raumschiff befand.

Rayhn und Alexej schauten in beide Sektionen. Sie waren leer.

„Dann kann ihn nur Lauren vorne gefunden haben. Was anderes ist nicht möglich.“

Die Schleusenöffnung wurden von Alexej wieder verschlossen und die Signale erloschen.

Rayhn dachte insgeheim immer noch an einen Scherz. Aber das wäre ein schlechter Scherz, den er eigentlich weder Lauren, noch John und ganz bestimmt nicht dem arbeitswütigen Alexej zugetraut hätte.

Rayhn und Alexej flogen zurück zu Lauren. Sie hatte sich an der Raumdecke in Ruhestellung begeben und schaute voller Spannung auf die zurückkehrenden Kollegen.

„Und“, rief sie, „war er also, wo wir ihn vermutet haben?“

Rayhn und Alexej schwiegen zunächst, bis ein leises „Nein“ von Alexej zu hören war.

„Ich habe Angst“, flüsterte Lauren.

„Es bleibt keine andere Wahl. Ich muss Houston informieren. Außerdem kann sich jeden Moment Houston melden und die achtstündige Situationsmeldung abrufen“, sagte Rayhn.

„Ja“, meinte Alexej. „In zehn Minuten wir haben 0:00 Uhr Houston-Zeit vor Ort.“

Rayhn griff zum Mikro, betätigte die Sprechtaste: „Hallo Houston, bei uns besteht ein Problem.“

„Hallo Rayhn, den Satz kennen wir“, rief Branden. „Er wurde von dir aber nicht korrekt zitiert. Du hättest sagen müssen ‚Hallo Houston, wir haben ein Problem. Was also kann ich für euch tun? Alle Systeme arbeiten einwandfrei, so wie ich das hier an den Monitoren erkennen kann. Jemand von euch ist in Sektion 1 gewesen und hat die Schleusentür geöffnet. Auf meinem Monitor hatte ich eine entsprechende Anzeige. Gibt es dort ein Problem?“

„Nein,“ entgegnete Rayhn.

„Ah, ich weiß, Lauren hat die Suppe heute nicht geschmeckt.“

„Branden, es ist verdammter Ernst. Wir haben ein Problem.“

„Also raus damit. Wie kann ich euch das Leben dort oben angenehmer gestalten?“

Rayhn schwieg für einige Sekunden und dachte nochmals kurz nach. Hatten sie hier alle Möglichkeiten in Betracht gezogen? Hatten sie wirklich nichts übersehen, ausgelassen oder vergessen?

„John ist verschwunden“, sagte Rayhn leise.

„Hallo Rayhn, ich habe hier etwas nicht verstanden. Kannst du das mal wiederholen?“

„John ist verschwunden“, wiederholte Rayhn etwas lauter.

„Und morgen kommt zu euch der Osterhase. Nun gut, da wir gerade auf Sendung sind, hätte ich von euch gerne die Situationsmeldungen.“

„Branden, du hast richtig verstanden. John ist verschwunden!“, rief Rayhn in das Mikro.

„Rayhn, habt ihr alle heimlich Alkohol getrunken? Hat Alexej Wodka in die Raumstation geschmuggelt?“

„Nein“, meldete sich Lauren. „Branden, du hast richtig gehört. John ist nicht mehr auffindbar.“

„Also Leute. Jetzt mal ganz langsam. Ihr habt John längere Zeit nicht gesehen. Richtig?“

„Richtig“, bestätigte Rayhn.

„Dann habt ihr John gesucht. Und wo kann er jetzt sein? Er ist einfach dort, wo ihr nicht gesucht habt.“

„Branden“, meldete sich Rayhn, „so einfach ist das nicht. Wir haben die Station auf den Kopf gestellt. Wir haben gesucht, in jedem verdammten Winkel. Das Ganze mit wechselnden Personen und anschließend sind wir alles nochmals durchgegangen einschließlich Schleuse. John ist nicht auffindbar. Er ist weg. Einfach verschwunden.“

Es entstand eine Pause.

Dann meldete sich Branden: „Ich habe zwischenzeitlich sämtliche Kameras an Bord eingeschaltet. Alexej, ich geh davon aus, dass du ebenfalls die Geschichte bestätigen kannst.“

„Selbstverständlich, wir haben alles wirklich über den Kopf gestellt. John ist nicht auffindbar. Einfach weg.“

„Seit wann vermisst ihr ihn?“, fragte Branden.

„Das können wir nicht so genau sagen“, erklärte Rayhn. „Wir haben ihn zuletzt vor Mittag gesehen. Jeder ist hier bekanntlich mit seinen Aufgaben beschäftigt. Ich suchte ihn, weil er mir helfen sollte, eine Faser in einen Kabelkanal zu bugsieren. Ich konnte ihn nicht sofort finden und da habe ich die Suche wieder aufgegeben, weil ich davon ausging, er hätte sich in seinem Modul ‚hingelegt zu einem Schläfchen. Ernsthaft vermisst haben wir ihn einige Stunden später.“

„Leute, ihr wisst, dass Ton und Bild aufgezeichnet werden.“ Die Stimme von Branden war jetzt konzentriert und ernsthaft.

„Ihr wisst ebenfalls, dass wir hier jetzt nach Mitternacht haben. Könnt ihr es verantworten, wenn ich in dieser Minute Alarm auslöse? Ihr wisst, was dann hier passiert. Es werden duzende Leute aus dem Schlaf gerissen. Hier wird in kurzer Zeit der Teufel los sein. Soll ich vor mir auf meinem Schreibtisch die Glasabdeckung heben und den roten Knopf drücken? Könnt ihr das verantworten?“

„Ich möchte hier nochmals sagen, dass wir alles, wirklich alles überhaupt nur Mögliche getan haben, um John zu finden. Wir könnten nochmals ganz von vorne mit der Suche beginnen. Es würde uns nicht weiter bringen. Wir kämen zum gleichen Ergebnis.“

„Der Raum der Station, in der ihr euch befindet, ist sehr begrenzt. Wenn ihr ihn dort nicht finden könnt, dann kann es aber wohl auch nicht sein, dass John ausgestiegen ist. Oder?“

„Nein“, bestätigte Rayhn.

„Denn wenn es so wäre, dann hättet ihr es bemerkt. Sowohl akustisch als auch an optischen Signalen und hier bei mir hätten ebenfalls die Alarmglocken geläutet. Richtig?“ „Richtig!“

„Ich hatte eben die Anzeige, dass die Schleusentür geöffnet worden ist. Hat Rayhn die Tür geöffnet, um nachzuschauen, ob sich John dort befindet?“ „Ja, habe ich.“

„John muss also in der Station sein“, erklärte Branden entschieden.

„Nein“, entgegnete nun Lauren mit dünner Stimme, „hier ist er nicht. Es sei denn, es gibt Ecken, die wir nicht kennen. Und das ist wohl nach der langen Zeit unseres Aufenthalts hier kaum vorstellbar.“

„Okay“, seufzte Branden, „ich werde jetzt nicht den großen Alarm auslösen, sondern werfe zunächst Frank, unseren Chef, aus dem Bett. Bleibt bitte auf Empfang.“

Raumstation ISS

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