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Kapitel 3

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Susan registrierte einen Piepton in schneller Folge, der allmählich immer lauter wurde. Sie konnte das Geräusch nirgendwo zuordnen – hatten die Kinder einen neuen Handyton? Darüber hätten sie bestimmt erzählt. Dann stellte sie fest, dass der penetrante Ton hier in ihrem Schlafzimmer war. Gleichzeitig bemerkte Susan am Spiegelschrank ein rot blinkendes Licht.

„Frank!“ Sie schubste ihren schlafenden Mann an. „Frank, was ist das für ein seltsames Geräusch? Woher kommt das? Und da blinkt was. Hast du eine Alarmanlage einbauen lassen?“

„Wahrscheinlich spielen uns die Kinder mal wieder einen Streich“, knurrte ihr Mann ganz schlaftrunken.

„Frank! Tu endlich was! Das Ding wird ja unausstehlich.“

Nun erst nahm Frank Random bewusst den inzwischen unerträglich lauten Geräuschpegel wahr, öffnete langsam die Augen und sah gleichzeitig das rot blinkende Licht auf der Kommode.

Alarm im Raumfahrtzentrum! Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Susan konnte gerade einen Schrei unterdrücken. Frank griff zu seinem Handy, stoppte den Alarmton und wählte die für solche Fälle eingespeicherte Nummer. „Hallo“, rief er, „hier ist Frank Random.“

„Frank, hier ist Branden. Kommen Sie sofort zum Center. Es gibt ein ernsthaftes Problem.“ „Bin schon unterwegs.“

Er zog sein weißes Hemd vom Vortag an, nahm in Eile den Anzug vom Bügel, der am äußeren Kleiderschrankhaken hing und schlüpfte in Hose und Jacke.

Leise öffnete sich die Schlafzimmertür und der sechsjährige Luca blinzelte ihm verschlafen entgegen. „Papa, was ist das für ein Krach hier?“

„Papa hat zum ersten Mal einen Alarmeinsatz“, sagte seine Mutter. „Es wird wohl hoffentlich nichts Schlimmes sein...“

„Musst du jetzt zur Raumstation fliegen?“, fragte Luca nun sehr neugierig.

„Nein, bestimmt nicht. Da ist wohl irgendetwas nicht in Ordnung. Vielleicht arbeitet ein System nicht einwandfrei“, beschwichtigte Frank, bestimmt bin ich heute Mittag zurück und wir werden dann das ganze Wochenende über campen. Nun geh wieder schlafen.“

„Na gut“, antwortete Luca „du hast es aber versprochen, dass wir campen.“

Frank hatte sich zwischenzeitlich fertig angekleidet. Er gab Susan einen Kuss. „Ich werde bald zurück sein...“

„Hoffentlich“, meinte Susan nachdenklich.

Frank lief die wenigen Stufen zur Garage hinunter, stieg ins Auto und wählte über Handy die Rufnummer von Branden.

„Hallo Frank, sind Sie unterwegs?“ Branden war sofort am Telefon.

„Ja, ich komme so schnell es geht. Können Sie einen Hinweis geben, welches Problem vorliegt?“

„Bedaure. Leider nicht!“, Stimme und Aussage von Branden waren jetzt korrekt dienstlich. Das Handy von

Frank war nicht völlig abhörsicher. Daher durften nur allgemein gehaltene Informationen über Handy weitergegen werden. Branden konnte keinen pauschalen Tipp formulieren. Daraus schloss Frank, dass eine ernsthafte Problematik auf ihn wartete.

„Schon in Ordnung.“ Frank beendete das Gespräch und gab Gas. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit fuhr er durch die nächtlichen menschenleeren Straßen in Richtung Space Center.

Als Frank den hell erleuchteten Eingang des Raumfahrtzentrums erreicht hatte, reduzierte er die Geschwindigkeit des Autos und rollte im Schritttempo weiter. Vor dem schweren Gittertor hielt er an. Einer der wenigen bewaffneten Posten kam auf ihn zu. Frank händigte ihm seinen Spezialausweis aus, damit er gescannt werden konnte. Nach der Überprüfung seiner Daten glitt das Tor auf Schienen langsam zurück und gab die Zufahrt frei. Frank nahm von dem grüßenden Posten seinen Ausweis wieder entgegen und fuhr in das Parkhaus. Nur sehr wenige Autos standen um diese Zeit hier. Frank suchte seinen für ihn reservierten Parkplatz, sprang aus dem Auto und ging mit schnellen Schritten zum Aufzug. Die warme, nächtliche Sommerluft trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er griff nach seinem Handy und rief erneut Branden an.

„Ich bin jetzt im Aufzug“, meldete ihm Frank.

„Kommen Sie direkt zu meinem Platz.“

Wenig später stand Frank neben Branden, der sich gerade mit Rayhn in der Raumstation unterhielt. Im großen Kontrollraum saßen nur ein paar Techniker an ihren

Bildschirmen und erfüllten Routinearbeiten. Branden deutete Frank an, sich zu setzen. Er unterbrach das Gespräch mit Rayhn mit dem Hinweis, dass der Chef eingetroffen wäre und er ihn nun informieren würde.

„Frank“, begann Branden, „was ich Ihnen jetzt erzähle, werden Sie zunächst nicht glauben wollen. Ich falle einfach mit der Tür ins Haus. Wir müssen dringend handeln. John ist verschwunden...“

„Wie bitte?“

„Ja, es ist so...“

„Nochmal Branden, Sie meinen jetzt ganz bestimmt nicht unseren John auf der Station? Sie meinen nicht unseren Biologen John Hudges?“

„Wir, das heißt Lauren, Alexej, Rayhn und ich haben alles getan, was bisher möglich war, um ihn zu finden…“

Frank schaute Branden verständnislos an.

„Was soll der Quatsch? Dann sollen die suchen. John wird nicht außerhalb der Station herumspazieren“, reagierte Frank ärgerlich und allmählich etwas wütend.

„Glauben Sie mir. Wir haben alles versucht. Es ist so.“

Frank sprang von seinem Stuhl auf. „Das ist unmöglich!“

„Frank, bitte setzen Sie sich. Ich werde Ihnen jetzt knapp und nur auf das Wichtigste bezogen den bisherigen Ablauf schildern.“

Während Branden berichtete, ging Frank nervös vor ihm auf und ab.

„Das Ganze ist für mich völlig unwirklich und widerspricht jeder Logik. Branden, wir haben irgendetwas übersehen. Da oben kann niemand einfach so verschwinden.“ Frank setzte sich auf einen Drehstuhl und ließ sich den Bericht

von Branden nochmals durch den Kopf gehen. Da musste eine Schwachstelle sein. „Ein Ausstieg ist also völlig auszuschließen?“

„Völlig“, antwortete Branden knapp. „Hier..“ Er tippte auf seinen Bildschirm. „Die Protokolle sind an dieser Stelle abrufbereit. Da ist nichts Ungewöhnliches. Alles reine Routine. Nicht die Andeutung eines Ausstiegsversuchs ist erkennbar.“ „Die müssen nochmal suchen.“

„Frank, tun Sie denen das nicht an. Die Mannschaft ist überzeugt, dass mehr als gründlich gesucht wurde. Sie sind alle zwischenzeitlich ziemlich genervt.“

„Dann müssen wir eben das Ganze mit System anpacken. Wir werden jetzt weiter mit stillem Alarm arbeiten. Holen Sie nur die Techniker aus dem Bett, die sich mit den Modulen und sämtlichen räumlichen Gegebenheiten der Station bestens auskennen. Keine weiteren Techniker sonst. Rufen Sie meine Sekretärin Ashley Winters an. Sie soll schnellstens hierher kommen. Alle sollen sich im Besprechungsraum 7b versammeln. Und ich bin sicher, die ganze Aktion wird in einer Riesenblamage enden.“

Frank holte tief Luft und erhob sich von seinem Drehstuhl. „Ich muss jetzt handeln und werde es auch verantworten müssen. Ich möchte auf der Stelle mit unseren Leuten da oben reden.“

Sämtliche Kameras an Bord der ISS waren weiterhin eingeschaltet. Frank rief als erstes Rayhn:

„Hallo Rayhn, hier ist Frank. Ich kann Sie, Lauren und Alexej sehen und hören. Alle Kameras an Bord sind auf Sendung. Rayhn, ich bin über die Situation soweit informiert. Wir sind dabei, bestimmte Techniker aus den Betten zu holen. Die kennen sich bestens mit den Räumlichkeiten der Station aus. Wir werden John finden.“

„Ich habe Angst“, rief Lauren dazwischen.

„Lauren, bitte beruhigen Sie sich. Es wird sich alles aufklären…“

„Ich weiß, wie ich mit Verletzungen umzugehen habe. Ich weiß mir bei Krankheiten zu helfen. Aber dies hier? Ein solches Vorkommnis haben wir bei unseren Trainings nicht mal in Erwägung gezogen“, entgegnete Lauren mit leiser Stimme sichtlich verängstigt.

„Lauren, wenn Sie möchten, können Sie aus der Bordapotheke eine Beruhigungstablette nehmen...“

„Danke, ich verzichte“, kam die Antwort etwas unsicher.

„Frank“, meldete sich nun Alexej, „wurde unseres russisch Raumfahrtzentrum bereits informiert?“

„Nein“, entgegnete Frank, „ich will erst absolute Klarheit haben. Dass es sich hier irgendwie um ein Missverständnis oder etwas Ähnliches handelt, liegt auf der Hand. Warten wir ab, bis die Techniker alle nur erdenklichen Möglichkeiten durchgecheckt haben. Die Sache wird sich dann aufklären...“

Das gedehnte „Okay“ von Alexej klang nicht gerade überzeugend.

Die ersten Techniker kamen nach einer guten halben Stunde an und versammelten sich im Raum 7b. Neun Leute waren angefordert worden, aber zwei waren bereits ins Wochenende, verreist nach Utah und Kentucky. Bei Alarm bestand für alle eine vertragliche Verpflichtung, sofort anzurufen und auf Anforderung den schnellsten Weg zum Space Center zu nehmen. Daher hatten beide gefragt, ob sie mit dem nächsten Flieger zurückkommen sollten. Frank entschied, dass es nicht erforderlich wäre. Er wollte den Aufwand auf ein Minimum begrenzen.

Die Uhren zeigten 1:30 Uhr mittelamerikanischer Zeit. Als die sieben Techniker sich im Besprechungsraum versammelt hatten, verließ Frank den Arbeitsplatz von Branden und eilte dorthin. Nachdem Frank den Raum betreten hatte, schauten ihn alle voller Erwartung an. Für die meisten unter ihnen war es zum ersten Mal, dass sie einen „echten“ Alarm erlebten. Kurz und präzise berichtete Frank über die Vorkommnisse der letzten Stunden. Zwei der Techniker konnten ihr Lachen nicht unterdrücken. Einer meinte grinsend, die drei da oben sollten mal im Kühlschrank nachsehen. Vielleicht hätte sich dort John versteckt und bekäme von innen die Tür nicht mehr auf. Frank herrschte ihn an: „Sie heißen?“

„Hank Melone, Sir“, antwortete der, sichtlich irritiert über die Reaktion seines Chefs.

„Mr Melone, das ist eine verdammt ernste Sache. Jedenfalls im Moment. Ich habe Sie nicht aus Jux und Tollerei aus den Betten holen lassen. Bestimmt wird sich die Situation auf eine, so hoffe ich sehr, harmlose Weise aufklären...“ Frank sprach jetzt entschlossen und autoritär. Etwas leiser fügte er hinzu: „Hoffentlich können wir anschließend darüber lachen. Ich hoffe es.“

Dann erteilte er seine Anweisungen: „Jedem von Ihnen sind bestimmte Bereiche der ISS bestens vertraut. Sie wissen, welche Gegenstände sich wo befinden, welche Einbauten an welchen Stellen sind und so weiter. Ich erwarte, dass die ISS systematisch an den Bildschirmen visuell durchsucht wird. Jeder Raum, in dem sich ein

Mensch auch nur halbwegs befinden oder aufhalten könnte, wird unter die Lupe genommen. Sie geben die gefundenen Möglichkeiten an Branden weiter. Der wird anschließend die von Ihnen angegebenen Bereiche der ISS auf seinem Bildschirm rot markieren. Dann gibt er die markierte Stelle weiter an die Station. Alexej, Lauren und Rayhn werden den auf diese Weise gekennzeichneten Bereich durchsuchen und den Vollzug zurückmelden. Verläuft die Suche für den Bereich negativ, so wird er nach der Vollzugsmeldung von Rayhn grün gekennzeichnet. Nach diesem Schema gehen wir Schritt für Schritt weiter. Ich erwarte von Ihnen präzise Arbeit. Und noch etwas. Seit der Alarmmeldung unterstehen Sie ausnahmslos alle der absoluten Schweigepflicht. Es wird ohne mein Wissen kein Gespräch nach draußen gehen; weder über Festnetz noch über Handy. Vorkehrungen sind bereits getroffen. Jeder Versuch wird registriert und sofort auf einem meiner Monitore angezeigt, auch versuchte Handygespräche. Diese und weitere Maßnahmen in der jetzigen Ausnahmesituation sind Ihnen bekannt. Ich möchte nur darauf hinweisen. Falls jemand nicht die Gelegenheit hatte, seine Familie oder Angehörige zu informieren, derjenige kann das gleich meiner Sekretärin Mrs Winters melden, die in Kürze hier sein wird. Sie und nur sie hat die Ausnahmegenehmigung, nach draußen zu telefonieren. Mrs Winters kann dann Ihre Angehörigen entsprechend verständigen. Alles klar? Und jetzt an die Arbeit.“

Frank ging in sein großräumiges Büro, schaltete die Deckenbeleuchtung und anschließend die beiden Monitore auf seinem Schreibtisch an. Mit einem Taschentuch wischte

er sich den Schweiß von der Stirn. Auf einen Monitor holte er sich das Synchronbild von Brandens Bildschirm. Frank konnte so den Fortschritt der Sucharbeiten mitverfolgen.

Er zog seine Jacke aus und hängte sie in den Garderobenschrank, setzte sich anschließend in seinen ledernen, luftgepolsterten Schreibtischsessel und schloss die Augen. Das bisher Erlebte erschien ihm unrealistisch und fremd. Mit tausend technischen Problemen hatten er und seine Leute sich herumschlagen müssen. Organisatorische Aufgaben, die als unmöglich eingestuft wurden, fanden letztlich eine Lösung. Dass er mit einer Lage konfrontiert wurde, in der ein Mensch auf der ISS quasi verschwinden würde – daran hatte niemand auch nur im Traum gedacht. John musste gefunden werden, bevor die Situation Wellen schlagen würde und vor allem, bevor die Russen diese Aktion ins Lächerliche ziehen konnten. Um sechs Uhr würden sich die russischen Kollegen bei Alexej melden. Das waren noch knapp vier Stunden. Hoffentlich ruft Alexej seine Bodenstation nicht früher an, überlegte Frank.

Leise öffnete sich die Bürotür. Ashley Winters betrat mit einer Tasse Kaffee den Raum.

Frank öffnete die Augen und schaute kurz auf. Selbst in dieser Nachtstunde sah sie mit ihrer schlanken Figur, der geschäftsmäßigen und schicken Kleidung und ihrem jugendlichem Lächeln so aus, als hätte sie soeben zu Beginn der normalen Bürozeit den Raum betreten. Mitte dreißig war sie und Frank verließ sich auf seine Sekretärin hundertprozentig.

„Ich komme gerade von Branden und bin bereits bestens informiert“, sagte sie. „Guten Morgen, Frank. Lassen Sie sich nicht stören. Ich dachte, eine Tasse Kaffee kann nur gut tun…“

„Vielen Dank, Ashley. Sie wissen, dass keine Anrufe nach draußen gehen dürfen außer über Sie?“ „Ja..“

„Danke, dass Sie so schnell hierhergekommen sind...“

„Das ist selbstverständlich“, meinte sie halblaut und ging zurück in ihr Büro.

Auf seinem Monitor erkannte Frank, dass sich bereits ein roter Bereich grün gefärbt hatte. Und wenn sie John nicht finden, überlegte er, was dann? Das kann nicht sein. Das widerspricht jeder Logik und Vernunft, beruhigte er sich selbst. Aber je mehr grüne Bereiche er in den folgenden Stunden auf seinem Bildschirm sah, umso mehr stieg seine Unruhe.

Frank stand von seinem Schreibtisch auf, um sich bei Branden vor Ort über den weiteren Ablauf zu informieren. In Ashleys Büro stritt ein Techniker lautstark mit ihr. Er bestand auf seinem freiheitlichen Recht, mit zu Hause telefonieren zu dürfen. Frank blieb stehen.

„Hank Melone! Hatten wir nicht eben bereits das Vergnügen, uns kennen zu lernen?“, frage er scharf.

Melone verstummte und schaute betreten zu Seite.

„Mr Melone, in dem Arbeitsvertrag, den Sie hier abgeschlossen haben, wurde von Ihnen und allen anderen Ihrer Kollegen die Klausel unterschrieben, dass bei Alarmeinsätzen Sonderregelungen gelten, die von Vorgesetzten je nach Situation mündlich ausgesprochen werden können und sofort in Kraft treten. Und da ich nun mal Ihr Vorgesetzter bin, habe ich in dieser Situation die mündliche Anweisung erteilt, dass absolut keine

Telefongespräche nach draußen geführt werden dürfen. Diese Anweisung gilt. Es wird nicht telefoniert außer von Mrs Winters!“

Der Techniker ging mit rotem Kopf hinaus.

Mit schnellen Schritten eilte Frank den hell erleuchteten langen Gang hinunter bis zum Aufzug. Der brachte ihn einige Stockwerke tiefer in die Ebene des Kontrollsaals. Er ging zu Branden, dem mittlerweile von drei weiteren Ingenieuren assistiert wurde. Branden sah angespannt und erschöpft aus. Ständig bekam er auf seinen Bildschirm Nachrichten, die neue Suchhinweise von den in ihren Büros arbeitenden Technikern enthielten. Die Ingenieure rechts und links neben Branden hatten auf ihren Bildschirmen Darstellungen der ISS. Rechts der Mitarbeiter schaute sich den jeweils neu gemeldeten Bereich der Raumstation an und kennzeichnete ihn rot. Branden wartete ab, bis das nächste Ergebnis der Suchmeldung von Rayhn durchgegeben wurde und sagte den folgenden Bereich an. Der Ingenieur links neben Branden hörte gleichzeitig das Suchergebnis und markierte sofort auf der Bildschirmdarstellung mit dem Cursor den Ergebnisbereich grün. Der dritte Ingenieur stand ständig zur Verfügung, wenn von der ISS Rückfragen kamen, so zum Beispiel wie ein Gegenstand sinnvoll aus der Verankerung zu lösen und wieder zu befestigen sei. Dreiviertel der ISS war bereits grün markiert.

„Hallo Branden, möchten Sie abgelöst werden?“, fragte Frank.

„Nein, ich ziehe das durch“, antwortete Branden und gab bereits wieder Meldungen weiter an die ISS.

Frank schaut auf seine Uhr. 2:30 Uhr. „Wie lange brauchen wir?“

„Ich denke, eine knappe Stunde“, antwortete Branden und bekam gleichzeitig wieder eine Meldung von Rayhn aus der Raumstation.

Es war nicht die Art von Frank, nervös zu werden. Allmählich wurde er mehr als das. Er ging zurück in sein Büro. Ashley schaute ihren Chef besorgt an, als er an ihr vorbeieilte.

„Nichts?“, frage sie.

„Nichts“, antwortete er knapp. Er ließ die Tür zum Vorzimmerbüro offen und setzte sich an seinen Schreibtisch.

Noch eine knappe Stunde hatten sie Zeit – und wenn bis dahin John nicht gefunden wurde? Dann musste er den Alarm ausweiten. Die gesamten Notfallmaßnahmen mussten vorsichtig in Gang setzten. Nur keine Presse. Das wäre eine weitere Katastrophe, wenn die derzeitige Situation weiter eskalieren würde. Was sollte er um sechs Uhr den Russen erzählen? Erstmals drängte sich bei ihm ein Gedanke auf: übernatürliche Einflussnahme. Sofort verscheuchte er ihn wieder. Er hatte logisch und konstruktiv sein Hirn einzusetzen. Solche Ideen können niemand weiterbringen, der eine Abteilung von fast hundert Mitarbeitern leitet!

Zum wiederholten Male ging Frank alle für ihn in Betracht kommenden Möglichkeiten für das Verschwinden von John durch. Ausstieg aus der Luke im selbstmörderischen Alleingang? Unmöglich. Die Luke war von innen verschlossen und die Öffnungsmechanismen konnten von außen nicht betätigt werden. Bewusster Mord? Jemand öffnet die Luke und stößt John hinaus und verschließt die Luke wieder. Wer von den drei Besatzungsmitgliedern wäre dazu in der Lage? Und wenn es dazu gekommen wäre, dann hätte sich John wohl bestimmt gewehrt. Es sei denn, er war aus irgendeinem Grund zuvor ohne Bewusstsein. Außerdem hätte der- oder diejenige vorher sämtliche elektrische und elektronische Schaltkreise unterbrechen müssen, um keinen Alarm auszulösen bei der Öffnung der Druckkammer und der Luke. Das alles schien für Frank weit hergeholt. Wo lag der Gedankenfehler?

Ashley hatte den Raum fast geräuschlos betreten.

„Frank, Sie denken daran, dass heute Mittag ISS-Familientag ist?“

Familientag, den konnte er jetzt am wenigsten gebrauchen. Der Tag in der Woche, an dem die Astronauten ausführlich mit ihren Familien reden konnten. Es wurden Telefonverbindungen geschaltet von der ISS jeweils zu den Familien der Astronauten. Bis dahin war es aber noch lange hin und bestimmt würden sich die Umstände bis zu diesem Zeitpunkt geklärt haben.

„Daran habe ich gar nicht gedacht“, räumte Frank ein. „Danke für die Info. Ashley, wenn wir in den nächsten zehn Minuten, also bis fünf Uhr, keinen Erfolg haben, so muss der stille Alarm auf Stufe 2 ausgeweitet werden. Beginnen Sie bitte mit den Vorbereitungen...“

„Die habe ich bereits weitgehend abgeschlossen“, entgegnete Ashley lächelnd.

„Danke“, sagte Frank kurz. Er bewunderte diese Mrs Winters, die in hektischen und kritischen Situationen souverän reagierte und dabei zusätzlich eine beruhigende Atmosphäre ausstrahlte, mit der sie ihre direkte Umgebung anzustecken schien.

Die digitale Uhr auf Franks Schreibtisch zeigte 3:15 Uhr. Ein Blick auf den Bildschirm bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen: Die ISS war in allen Bereichen grün markiert. Frank hielt es nicht mehr aus in seinem Sessel.

Im Kontrollzentrum sah er von weitem, wie Branden an seinem Arbeitsplatz den Kopf in den Händen stützte und völlig ratlos auf seinen Bildschirm blickte. Die Mitarbeiter rechts und links neben ihm saßen an den Terminaltischen und blätterten in Unterlagen.

Frank blieb neben Branden stehen. Dieser schaute müde zu ihm auf.

„Was sollen wir jetzt tun? Ich weiß nicht mehr weiter.“

„Ashley wird jetzt in diesen Minuten Alarmstufe 2 auslösen. Branden, gehen Sie in den Quartiertrakt und schlafen Sie sich aus, sobald die Ablösung hier ist. Sie haben sehr viel geleistet. Mehr können Sie jetzt nicht tun. Das Gleiche gilt auch für Sie beide.“ Damit schaute er die Ingenieure links und rechts neben Branden an.

„Danke Mr Random, aber schlafen können wir bestimmt nicht“, meinten beide übereinstimmend. „Wir werden zunächst hierbleiben…“

„Das gilt auch für mich“, bemerkte Branden.

Franks Handy summte.

„Ja, Ashley?.“

„Mr Spoks ist auf dem Weg in Ihr Büro.“

Bill Spoks war Franks Vorgesetzter. Im Notfallplan stand, dass er bei Alarmstufe 2 zu benachrichtigen war und er dann ins Raumfahrtzentrum zu kommen hatte.

Frank war gerade dabei, sich in seinem Sessel niederzulassen, als die Tür zu Ashleys Büro aufgerissen

wurde. Mit großen und schnellen Schritten durchquerte es Bill Spoks, ohne die Sekretärin zu bemerken, und stürmte durch die offenstehende Verbindungstür in Franks Raum.

Bill Spoks war ein Südstaatler. Mit seiner Größe von über einsneunzig und seiner oft grimmigen Mine konnte er Respekt und manchmal auch Furcht einflößen. Wenn er auf Stabskonferenzen mit seiner dunklen Stimme lospolterte, konnte er sich stets der Aufmerksamkeit der anwesenden Ressortleiter gewiss sein. Er hatte klare, nachvollziehbare Gedanken und großes Durchsetzungsvermögen. Man schätzte ihn um die fünfzig. Nicht zuletzt war er aufgrund seiner schlanken, hochaufgerichteten Gestalt, den dunkelbraunen Augen und den schwarzen, an den Schläfen leicht ergrauten Haaren, der Schwarm vieler Frauen. Die meisten von ihnen wussten, dass er sehr galant sein konnte und wann immer er sich der Aufmerksamkeit der Damenwelt bewusst war, versprühte er Charme.

„Was soll das Frank. Die Party lief gut. Warum holen Sie mich an meinem freien Tag aus der besten Stimmung?“, legte er los und warf sich unaufgefordert in den Besuchersessel gegenüber von Frank. „Also, was gibt’s?“

Frank stellte fest, dass Bill wohl nicht mehr so ganz nüchtern war und blieb gelassen. Er kannte seinen Chef. Ruhig schaute er ihn an und sagte provokant: „John ist verschwunden!“

„Wenn hier irgendein John verschwunden ist, dann hätten Sie mir das schlimmstenfalls am Montag in meinem Büro sagen können. Frank, sind Sie betrunken? So kenn ich Sie nicht!“, donnerte Spoks.

„Ich meine John Hudges auf der ISS.“ Frank blieb ruhig.

„Sie meinen John auf der ISS?“, wiederholte Spoks genervt.

Frank nickte. Zuerst musste bei Bill Spoks die Luft raus. Dann konnte man mit ihm reden.

„Frank, haben Sie schlecht geschlafen? Ist Vollmond? Verdammt, was ist hier los? Spinnt ihr alle hier?“

Ashley hatte Franks Büro mit einer Tasse Kaffee betreten. Spoks schaute sie an, als würde ein Geist vor ihm stehen.

„Ashley? – Wo kommen Sie denn her? Seid ihr alle durchgeknallt?“

„Nein, Mr Spoks“, erwiderte sie. „Trinken Sie ein paar Schluck Kaffee. Der wird Ihnen gut tun.“

„Ich brauche keinen Kaffee!“, herrschte er sie an und nahm dankbar die Tasse entgegen. Frank musste trotz der ernsten Situation grinsen.

„Also“, sagte Bill nun weniger laut, „schießen Sie los!“

Frank berichtete in knappen präzisen Sätzen den Hergang bis zum derzeitigen Status. Bill war verstummt und hörte konzentriert zu. Dabei trank er in kleinen Schlucken den Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Beistelltisch.

„Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee“, fragte Ashley, die im Vorzimmer gehört hatte, dass Bill seine Tasse abgestellt hatte.

„Ja, gerne Ashley“, erreichte sie Bills Stimme nun in normaler Lautstärke und versöhnlichem Ton.

Als Frank seinen Bericht beendet hatte, beugte sich Bill in seinem Sessel nach vorne und überlegte.

„Und es gibt an dieser Geschichte keine Zweifel?“ „Nein, keine Zweifel.“

„Und wie gehen wir jetzt vor?“ Bill hob den Blick und schaute Frank an, während er seine zweite Tasse Kaffee von Ashley entgegennahm.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Frank mit einem leichten

Seufzer. „Ich weiß es wirklich nicht. Allmählich glaube ich an eine andere Macht. Dabei bleibt die Frage: Ist sie irdischer Natur oder kommt sie aus dem Weltraum? Beides klingt paradox...“

„Hat Alexej oder jemand anderes einen Situationsbericht an die Russen weitergegeben?“ fragte Bill.

„Nein, es ist bisher keine Silbe nach draußen gegangen. Auch nicht von der ISS“, antwortete Frank.

Bill stand schwerfällig von seinem Sessel auf: „Ich werde den Part mit den Russen übernehmen. Das ist wohl meine Aufgabe. Um sechs Uhr werden die bekanntlich Alexej rufen. Prima von ihm, dass er bis jetzt dicht gehalten hat.“ Es folgen präzise Anweisungen von Bill: „Ashley soll den inneren Führungsstab aus den Betten werfen. Die sollen um 5:15 Uhr einschließlich Ihnen im Besprechungsraum 3b sein. Frank, kümmern Sie sich zunächst zusammen mit Branden oder dessen Ablösung um die ISS-Besatzung. Ashley soll die Psychologen für Katastrophenfälle dezent nach hier beordern. Die werden bestimmt in Kürze für die Besatzung wichtig sein. Ashley soll sich schnellstens eine Assistentin ihrer Wahl im Rahmen der Sicherheitsvorkehrungen aussuchen und sofort hierher bestellen. Die Assistentin wird für sie und uns in den nächsten Stunden dringend erforderlich sein. Wir sehen uns um 5:15 Uhr. Ich bin in meinem Büro.“ Mit festen Schritten verschwand Bill durch die offenstehende Tür.

Raumstation ISS

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