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SECHS WOCHEN SPÄTER

IM LÄNDLICHEN EINZUGSGEBIET

VON WÜRZBURG

Die Fassade der doppelstöckigen, im neoklassizistischen Landhausstil erbauten Villa war dank des dichten Baumbestandes und der das große Grundstück umgebenden Mauer von der Straße aus kaum zu erkennen. Ein Stück vom Hauptgebäude entfernt stand die einstige Remise, die früher als Unterstand für die Pferdekutschen diente. Heute befanden sich in dem Gebäude die Garagen für drei PKWs und zwei Wohnungen für das Personal. In beiden Wohnungen brannte Licht, denn der Butler und der Chauffeur hatten für heute Abend von ihrem Arbeitgeber frei bekommen.

Aus einigen Fenstern des oberen Stockwerks der Villa drang gedämpftes Licht.

Die bequeme dunkelrote Lederottomane befand sich in der Ecke des geräumigen Herrenzimmers, vor ihm ein niedriger Glastisch, auf dem zwei halbgefüllte Champagnergläser zu erkennen waren. Auf der anderen Seite des Tisches standen zwei gleichfarbige schwere Ledersessel, auf deren matt glänzendem Bezug das Licht der gedimmten Deckenleuchte einen edlen Schimmer erzeugte. Fast alle Wände des Raumes waren mit Bücherregalen vollgestellt, auf denen sich zeitgenössische Literatur, Sachbücher und eine ganze Reihe wertvoller antiquarischer Folianten dicht aneinanderdrängten. In der Luft lag der dezente Geruch eines würzigen Pfeifentabaks. Aus den in den Bücherregalen eingebauten vier Lautsprechern erklangen im dezenten, trotzdem raumfüllenden Quadrosound die einschmeichelnden Klänge des Violinkonzerts in G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart.

Das eilige Trippeln näherkommender nackter Füße erzeugten auf dem gepflegten Parkett tapsige Geräusche, die aber auf den letzten Metern vor der Ottomane von dem dichten Flor des wertvollen orientalischen Teppichs vollständig geschluckt wurden. Die junge, in einen japanischen Seidenkimono gekleidete Frau sprang mit einem lockeren Satz auf die Liegestatt und landete mit einem freudigen Quieken sehr weich auf dem rundlichen Bauch eines dort in römischer Manier halb liegenden, halb sitzenden älteren Herrn, dessen Kopf vollständig unter einer Latexmaske verborgen blieb. Der Mann stieß mit einem vernehmlichen Ächzen übertrieben heftig die Luft aus und nahm die Frau in die Arme.

„Jasmin Cheyenne, bitte, du solltest mit mir wirklich etwas sanfter umgehen. Ich bin doch keine Luftmatratze!“

„… aber mindestens genauso gemütlich und bequem, Papilein“, ergänzte Jasmin Cheyenne augenzwinkernd und pikste mit dem Zeigefinger spielerisch in seinen barocken Bauch.


„Außerdem sollst du mich nicht immer Papilein nennen!“

„Aber so haben wir uns doch im Netz kennengelernt und ich finde diese Anrede wirklich treffend. So lieb, wie du zu mir bist.“

Die Empörung des Herrn war natürlich gespielt, enthielt aber durchaus einen ernsten Kern. Es war nicht immer ganz einfach, eine Freundin zu haben, die achtunddreißig Jahre jünger war als man selbst. Wobei er sich nicht der Illusion hingab, dass sie beide sich in einer Liebesbeziehung befanden. Jasmin Cheyenne wusste sehr wohl seinen Reichtum und seinen Einfluss zu schätzen und auch zu nutzen. Was er ihr gerne zugestand, solange aus seiner Sicht das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte. Die junge Frau stammte, wie er ermittelt hatte, aus dem verarmten Zweig der sächsischen Adelsfamilie von und zu Köddel und genoss gerne ein ausgeprägtes Maß an Wohlstand. Womit man ihrer beider Beziehung durchaus unter dem Begriff Win-win einordnen konnte. Kennengelernt hatte er sie, wie fast alle seine Freundinnen davor, über die in seinen Kreisen als Geheimtipp gehandelte Internetplattform „Girls to go“. Schon seit gut zehn Jahren jagte er in einem Account unter dem bezeichnenden Nickname „Papilein“ nach weiblicher Beute. Jasmin war ein ausgesprochener Glückstreffer gewesen. Sie fuhr auf gut situierte ältere Herren voll ab und vermittelte ihnen das Gefühl, der Einzige zu sein.

„Aber du weißt doch, Schatzi, du bist für mich ein Freund, aber auch so etwas wie ein Papilein. Das ändert doch nichts daran, dass ich sehr gerne mit dir kuschle.“ Sich an ihn schmiegend drückte sie ihm einen dicken Kuss auf den Mund, dann richtete sie sich etwas auf und griff nach den beiden Champagnergläsern. Dabei klaffte ihr Kimono leicht auseinander und gewährte ihm einen freizügigen Einblick auf ihr beeindruckendes Angebot. Sie reichte ihm eines der Gläser, dabei griff sie gleichzeitig in die Tasche ihres Kimonos und holte einen kleinen Gegenstand heraus. Während beide einen kräftigen Schluck nahmen, hielt sie mit einem verschmitzten Lächeln zwischen Daumen und Zeigefinger eine blaue Tablette in die Höhe und fragte mit einem harmlosen Augenaufschlag: „Meinst du nicht, dass es wieder einmal an der Zeit für deine Vitamintablette ist?“ Sie führte die Tablette an seinen Mund und schob sie ihm sanft zwischen die Lippen. Lächelnd schluckte er sie mit dem Rest des Champagners hinunter.

„Du bist mir heute aber wieder eine ganz Wilde!“

„Ach, Papilein, mein Bärchen, du machst mich ganz einfach tierisch an.“ Mit einem gekonnten Augenaufschlag fuhr sie fort: „Was ich dich noch fragen wollte: Wie steht es eigentlich um meine Bewerbung für die Wahl zur Miss Grafeneckart? Du hast mir doch versprochen, dass ich die Wahl mit Sicherheit gewinnen werde.“ Dabei kraulten ihre langen roten Fingernägel die grauen Haarbüschel auf seiner Brust. „Du weißt, dass mich das enorm motivieren würde …“ Sie zwickte ihn spielerisch in die linke Brustwarze. Er grunzte angeregt, dann erklärte er: „Jasmin Cheyenne, mein Schatz, da mach dir mal keine Gedanken, wenn ich etwas in die Hand nehme, dann gelingt das auch.“ Wie um seine Aussage zu unterstreichen, glitt seine fleischige Hand tapsig über ihren Rücken nach unten und fand ihren knackigen Po, den er kernig zusammenkniff. Die junge Frau quiekte leise, sprang dann elastisch von der Liege auf den Teppich und bemühte sich dabei angestrengt, ihren gewichtigen Liebhaber mit sich auf die Beine zu ziehen.

„Langsam, langsam, ein alter Mann ist doch kein D-Zug!“, stellte er mit sattem Lachen fest und ließ sich von ihr quer durch den Raum in Richtung Schlafzimmer ziehen. Dass er dabei etwas kurzatmig wurde, ignorierte er, schließlich wollte er keine Minute der Wirkung des blauen Glücksbringers versäumen. Sein Teil von Win-win begann jetzt.

Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart

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