Читать книгу Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart - Günter Huth - Страница 8

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Am nächsten Tag, kurz nach zehn Uhr, trafen sich im Café Michel am Oberen Markt zwei Herren. Der Erstankömmling hatte sich einen Platz im hinteren Bereich des Cafés in einer Nische ausgesucht, wodurch er den gesamten Raum im Auge behalten konnte. Er trug einen dunklen Nadelstreifenanzug, sein schwarzes Haar war eng an den Kopf gegelt. Neben ihm auf der Sitzbank lag ein silberfarbener Aktenkoffer.

Kurz nachdem er sich niedergelassen hatte, betrat ein älterer grauhaariger Mann in grauem Anzug das Café. Kurz hinter dem Eingang blieb er stehen und ließ seinen Blick suchend durch den Raum schweifen. Er wirkte etwas nervös. Als er den Grund seines Besuches entdeckte, schlängelte er sich zielstrebig durch die besetzten Tische. Dabei musste er verschiedentlich nach beiden Seiten die Grüße mehrerer Gäste erwidern. Er war offensichtlich eine in der Stadt bekannte Persönlichkeit. Sein dabei wie ins Gesicht getackertes Lächeln verschwand in dem Maße, in dem er sich dem Mann in der Nische näherte. Ohne Begrüßung ließ er sich am Tisch nieder. Kaum saß er, zischte er seinem Gegenüber zu: „Verdammt, Sanson, wie kommen Sie dazu, sich mit mir an einem derart öffentlichen Ort zu verabreden, wo mich jeder kennt?“

„Aber lieber Herr Stadtrat, bleiben Sie doch gelassen. Im Auge des Orkans ist man immer noch am sichersten. Eine alte Binsenweisheit, das muss ich Ihnen doch nicht erzählen.“

Die Bedienung trat an den Tisch, zückte ihren Bestellcomputer und sah die beiden Herren fragend an.

„Bringen Sie mir bitte einen Latte macchiato … und dem Herrn Stadtrat …“ Er sah sein Gegenüber fragend an. Da keine Reaktion kam, fuhr er fort: „… einen großen Cappuccino.“

Die Bedienung gab die Bestellung ein, bedankte sich und ging. Das Gegenüber des Stadtrats beugte sich leicht nach vorne und kam mit gesenkter Stimme gleich zur Sache. „Mein Lieber, ich kann Ihre ungehaltene Reaktion nicht ganz nachvollziehen und schon gar nicht akzeptieren. Die Person, in deren Auftrag ich hier handele, hat Ihnen meines Wissens vor einiger Zeit einen erheblichen Gefallen getan, der die Ursache dafür ist, dass Sie sich heute in einer recht komfortablen beruflichen Lage befinden. Er hat Ihnen auch gesagt, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem auch von Ihnen ein kleiner Gefallen einzufordern sei. Dieser Tag ist heute. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie sich weigern werden, ihm diese Bitte zu erfüllen.“ Der Mann sah den Stadtrat mit durchdringendem Blick an.

Ehe der Angesprochene antworten konnte, trat die Bedienung mit den bestellten Heißgetränken an den Tisch. Sie stellte sie ab und entfernte sich wieder. Während dieser Unterbrechung hatte der Stadtrat Gelegenheit, sich seine Reaktion zu überlegen. Ihm war völlig klar, dass trotz des relativ verbindlichen Tonfalls, hinter den Worten seines Gegenübers eine Mahnung, um nicht zu sagen eine latente Drohung steckte. Er wusste, weigern konnte er sich nicht. Dazu stand zu viel auf dem Spiel.

„Was kann ich tun?“, fragte er daher mit leiser Stimme.

Der Mann, den der Stadtrat mit Sanson angesprochen hatte, nahm einen kleinen Schluck von seinem Latte macchiato, dann erklärte er seinem Gegenüber ausführlich seinen Auftrag. Als er nach einigen Minuten endete, sah er sein Gegenüber prüfend an.

„Ich hoffe, es ist Ihnen klar, dass mein Auftraggeber auf einer absolut zuverlässigen Ausführung besteht. Wenn alles erledigt ist, dann rufen Sie mich bitte an.“ Er griff nach einer Zeitung, die neben ihm auf der Sitzbank lag. Langsam legte er sie auf die Tischplatte und schob sie dem Stadtrat hinüber. „Für den Fall, dass Sie Auslagen haben.“ Er ergriff seinen Aktenkoffer und erhob sich. „Ich gehe davon aus, dass Sie diese Kleinigkeit übernehmen.“ Dabei wies er mit dem Finger auf die Getränke, dann nickte er knapp und eilte zum Ausgang. Die Hose seines Achthundert-Euro-Anzugs zeigte dabei eine extrem scharfe Bügelfalte, die dem Stadtrat den abstrusen Gedanken durch den Kopf fahren ließ, dass man damit Tomaten schneiden könne.

Der Stadtrat wartete einen Augenblick, bis er sicher sein konnte, nicht beobachtet zu werden, dann holte er mit einer unauffälligen Handbewegung einen Umschlag aus der zusammengefalteten Zeitung und ließ ihn diskret in der Brusttasche seines Jacketts verschwinden. Nachdem er gezahlt hatte, verließ er ebenfalls das Café. Er befand sich in einer höchst angespannten Stimmung. Der Gefallen, den der Mann erwähnte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Mit großer Beklommenheit marschierte er Richtung Rathaus.

Kopfschüttelnd räumte die Bedienung die beiden fast noch vollen Getränke vom Tisch. Es gab schon schlimme Verschwender unter den Menschen. Aber beim Trinkgeld wurde natürlich geknausert!

Eine Viertelstunde später traf sich der Mann mit dem Aktenkoffer mit einer weiteren Persönlichkeit der Stadtregierung in der Mainmühle an der Alten Mainbrücke, eine Zeitspanne danach mit einem Bürgervertreter im Café der Buchhandlung Hugendubel. Auch in diesen Fällen erteilte der Mann mit dem Aktenkoffer klare Anweisungen und gab jeweils einen Briefumschlag identischen Inhalts weiter.

Etwas später saß er wieder an seinem Schreibtisch in einem kleinen Büro in der Zellerau. Sofort griff er zum Telefon und meldete seinem Mandanten die erfolgreiche Erledigung seines Auftrags.

AM SPÄTEN NACHMITTAG DESSELBEN TAGES

Oberbürgermeister Merlin Schluckthardt raufte sich erneut sein üppiges Haupthaar, wodurch er seinen exakt gezogenen Seitenscheitel zerstörte, was ihm aber in der augenblicklichen Situation völlig gleichgültig war. Dabei drehte er bestimmt zum fünften Mal eine Runde um den großen Besprechungstisch in der Ecke seines Dienstzimmers. Sein Blick glitt dabei über genau einhundertfünf Farbfotografien in der Größe neun mal dreizehn, die, ordentlich nummeriert nach dem Eingangsdatum, in Reih und Glied auf der polierten Edelholzplatte aufgelegt waren. Präzise, wie der Chef der Würzburger Stadtregierung war, korrigierte er seinen Gedanken sofort: Reih war sicher richtig, von Glied konnte man aber nicht sprechen, da auf den Fotos ausnahmslos ein repräsentativer Querschnitt Würzburger Stadtschönheiten abgelichtet war. Alle in mehr oder weniger ansprechenden Posen, fast ausnahmslos alle in mehr enthüllender als verhüllender Badebekleidung, jede mit einem schmelzenden Lächeln auf den Lippen. Niemals hätte sich das Stadtoberhaupt träumen lassen, dass der vor einigen Wochen an die volljährige weibliche Bevölkerung gerichtete Aufruf des Würzburger Stadtrats, sich für die erstmals seit der Existenz der Stadt erfolgende Wahl einer Miss Grafeneckart zu bewerben, eine derartige Resonanz auslösen würde. Die Misswahl war die Idee der dreiköpfigen Fraktion der „Freudigen Wähler“ gewesen, die sich am Ende dank seiner Intervention im Rat durchgesetzt hatte. Selbstverständlich hatten auch alle anderen Fraktionen weitere Vorschläge unterbreitet, die von einer Weinolympiade über einen Bratwursttriathlon bis hin zu einer Schnitzeljagd durch alle Bauruinen der Stadt reichten. Reflexartig, wie es die Damen und Herren Stadträte gewohnt waren, hatten sie natürlich sofort die Anregungen der jeweils anderen Fraktionen als absolut untauglich abgelehnt. Einige forderten ein Gutachten, konnten sich aber nicht auf das Worüber einigen. Andere forderten den Einsatz eines Beraters. In mehreren Nachtsitzungen, in denen sich sogar das Interesse einiger Hinterbänkler so entzündete, dass sie nicht nur körperlich, sondern auch geistig anwesend waren, hatte man sich so nachhaltig zerstritten, dass einige Ratsherren die Entscheidung bis zur 750-Jahr-Feier vertagen wollten. Wohl in der Hoffnung, dass sie dann wegen natürlicher Fluktuation nicht mehr die schwere Bürde des Amtes zu tragen haben würden. Selbst als eine kleine Anzahl Bürgervertreter diese Problematik zum Anlass genommen hatten, wieder einmal aus Gewissensgründen, wie sie es nannten, Parteienhopping zu praktizieren, also die Partei zu wechseln, veränderten sich die Mehrheitsverhältnisse nicht signifikant.

Schließlich hatte OB Schluckthardt ein Machtwort gesprochen und konnte damit den gordischen Knoten durchschlagen. Man einigte sich in offener Abstimmung, ohne Fraktionszwang, auf einen Losentscheid. Jede Fraktion reichte ihren Vorschlag schriftlich im verschlossenen Umschlag ein. Zweiter Bürgermeister Andy Farmer stellte aus seinem Dienstzimmer ein absolut gewaltfrei getöpfertes Aborigine-Tongefäß, das er von seinem letzten Abnehmurlaub im australischen Outback als Souvenir mitgebracht hatte, zur Verfügung, in dem dann die Vorschläge eingelegt wurden. Es hatte einer weiteren Nachtsitzung bedurft, bis man sich in der dritten Abstimmung auf die deutsche Weinkönigin als Glücksfee für die Auslosung einigte. Da die derzeit Regierende aus terminlichen Gründen keine Zeit hatte, an den Main zu kommen, wurde die emeritierte Sommeracher Weinhoheit Nikki Feen aus dem Jahre 1981 um Hilfe gebeten. Als sie erfuhr, dass die spätere Krönungszeremonie vom Bayerischen Fernsehen übertragen würde und man ihr die Moderation anvertrauen wolle, war sie gerne bereit gewesen, ihr schlankes Händchen in den Lostopf zu versenken. Sie zog den Vorschlag der Freudigen Wähler.

Der Einsendeschluss für die Bewerbungsfotos der Misswahl war seit drei Tagen vorüber und nun oblag es einem eigens hierfür gegründeten Arbeitskreis, bestehend aus Schluckthardt und den Fraktionsvorsitzenden der im Stadtrat vertretenen Parteien, eine Vorauswahl zu treffen. Eine höchst schwierige und undankbare Aufgabe, bei der man eigentlich nichts richtig machen konnte. In zehn Minuten würden sich die Fraktionsvorsitzenden bei ihm einfinden, um das Prozedere der Vorauswahl zu besprechen.

Da klopfte es auch schon an der Tür. Der OB wurde aus seinen grüblerischen Gedanken gerissen. Auf sein „Herein“ betrat Sepp Steinklopfer, der Fraktionsvorsitzende der Freudigen Wähler, beschwingt das Büro.

„Sorry, ich bin etwas zu früh“, warf er mit einem freundlichen Winken in den Raum. „Aber wie sag ich immer, man kommt besser zu früh als gar nicht.“ Sein schallendes Gelächter brach sich an den Wänden der Amtsstube. Steinklopfer war bekannt für seine scharfe Zunge und seinen skurrilen Humor, Eigenschaften, die in schwierigen Stadtratssitzungen immer wieder für Auflockerung sorgten, weil sie nicht von jedem verstanden wurden.

„Zunächst einmal einen wunderschönen Nachmittag, Herr Oberbürgermeister, wie ich sehe, befassen Sie sich bereits intensiv mit den Schönsten der Stadt.“

„Grüß Gott, Kollege Steinklopfer, da haben wir uns ja was Tolles eingebrockt, das kann ich Ihnen sagen!“ Er gab Steinklopfer die Hand und wies dabei mit der anderen Hand auf die Bilder.

„Da kann ich Ihnen nur beipflichten, da sind ja ein paar echte Sahneschnitten dabei, wenn ich das so sagen darf.“ Steinklopfers Augen bekamen einen ganz feuchten Glanz.

„Aber Herr Kollege …!“ Der OB kam nicht weiter, weil es in diesem Augenblick erneut klopfte und mehrere Personen das Dienstzimmer betraten. Es handelte sich um sämtliche Fraktionsvorsitzenden der zehn vertretenen Parteien des Stadtrats von Würzburg. Der OB gab allen die Hand, dabei erklärte er entschuldigend: „Es tut mir leid, es ist hier etwas ungemütlich, aber ich wollte die Bilder nicht in einem anderen Raum auslegen lassen, da ich vermeiden wollte, dass Unbefugte sie zu sehen bekommen.“

Unter allgemeinem Volksgemurmel verteilten sich die Damen – als zweite Frau für den verhinderten Rochus Hirschruf war seine Stellvertreterin Aisha Ludmilla Brandner erschienen – und Herren im ganzen Raum rund um den Tisch und musterten konzentriert die Fotos.

Die beiden Damen, die sich natürlich deutlich in der Unterzahl befanden, warfen ihren männlichen Kollegen kritische Blicke zu. Unter Berücksichtigung der teilweise sehr freizügigen Badebekleidung, die die Bewerberinnen auf den Bildern trugen, waren sie sich insgeheim darin einig, dass in dieser Frage aus hormonellen Gründen nur von den wenigsten Herren eine objektive Beurteilung zu erwarten war. Da würde selbst die ältesten Semester ein Frühlingsahnen ereilen.

Der Oberbürgermeister räusperte sich, um sich Gehör zu verschaffen. Nachdem etwas Ruhe eingetreten war, erklärte er: „Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nachdem unser Aufruf unter der weiblichen Bevölkerung von Würzburg eine derartig erfreuliche Resonanz gefunden hat, aber natürlich nur eine der Damen den Titel erringen kann, müssen wir uns nun dem undankbaren Geschäft der Vorauswahl unterziehen. Ich habe mir daher folgendes Prozedere überlegt: Jede der im Stadtrat vertretenen zehn Parteien schließt in einem ersten Auswahlverfahren jeweils zehn Bewerberinnen aus. Damit sind dann schon mal hundert Damen ausgeschieden. Die dann verbleibenden fünf Kandidatinnen müssen sich dann einem noch näher zu beschließenden Auswahlverfahren durch dieses Gremium stellen. Das sollte dann, etwa vergleichbar mit der Wahl der Weinkönigin, öffentlich geschehen.“

Der Oberbürgermeister suchte in den Gesichtern der Bürgervertreter nach einer Reaktion. Meist vergeblich. Zumindest die männlichen Volksvertreter hatten überwiegend nicht zugehört, weil sie sich immer noch intensiv mit den Bildern beschäftigten. Der OB wiederholte noch einmal seinen Vorschlag, diesmal lauter.

Jetzt begann eine heftige Diskussion. Ging es am Anfang noch recht sachlich und gesittet zu, änderte sich das Verhalten schlagartig, als erste Fraktionsvorsitzende sich Fotos schnappten und lauthals Ausscheidungsmerkmale verkündeten. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, dass die Kandidatin, die von dem einen Stadtrat abgelehnt, sofort von einem anderen als einzig wahre Favoritin bezeichnet wurde. Rufe wie „Du hast doch kei Ahnung, die sieht doch echt super aus!“ oder „Lass mich halt aa amal guck!“ oder „Ich habs gsenn, du hast des Bild eigsteckt! Tu‘s sofort widder raus!“ schallten von den Wänden des Büros wider.

Sehr schnell kam der Oberbürgermeister zu der Erkenntnis, dass er mit dieser Vorgehensweise gewissermaßen die Büchse der Pandora geöffnet hatte. Nur unter Aufbietung seiner gesamten Stimmgewalt schaffte er es, die Herren wieder in zivilisatorische Bahnen zu lenken.

„Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich denke, auf diesem Wege kommen wir zu keinem Ergebnis. Wir müssen das vereinfachen! Mir schwebt vor, dass die Fraktionen in einem ersten Wahlgang aus allen Bildern zunächst eine optische Auswahl treffen. Dazu wird jede Fraktion eine Fotomontage aller Bilder auf einer großen Tafel erhalten und kann jeweils zehn Bewerberinnen herausstreichen. Die Kandidatinnen, die bei einer anschließenden Gegenüberstellung von allen Fraktionen abgelehnt wurden, scheiden aus. Danach werden die verbliebenen Bilder mit den noch im Rennen befindlichen Bewerberinnen wiederum auf die Fraktionen verteilt und es kann eine bestimmte Anzahl, die dann noch zu bestimmen ist, herausgestrichen werden. Wieder werden die übereinstimmend Abgewählten gestrichen. Dies setzen wir so lange fort, bis noch fünf Kandidatinnen übrig sind. Wie Sie sehen, sind auf den Rückseiten der Fotos fortlaufende Nummern notiert, anhand derer man später die einzelne Kandidatin identifizieren kann. Die genauen Persönlichkeitsdaten sind auf einer eigenen externen Liste erfasst, die im Tresor der Verwaltungsgeschäftsstelle eingeschlossen ist. Diese Vorgehensweise halte ich für sinnvoll, um bei der ersten Auswahl primär das Aussehen der Kandidatinnen bewerten zu lassen.“

„Das ist doch wieder typisch Mann“, flüsterte Melinda Burgfried der neben ihr stehenden Aisha Ludmilla Brandner ins Ohr. Stadträtin Brandner vertrat bei diesem Termin Rochus Hirschruf, weil er in seiner Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrats der WBB, Würzburger Bahnund Bus bGmH (beschränkte Gesellschaft mit Haftung), verhindert war. „Es geht wieder nur um BuBeiPo, Busen, Beine, Po! Neandertaler allesamt!“

„Na ja, liebe Kollegin Burgfried, sie sollten nicht so streng sein, irgendwie kann ich unsere männlichen Kollegen schon ein bisschen verstehen. Da sind wirklich einige ganz leckere Mädchen dabei.“ Wie beiläufig ließ sie etwas verträumt ihre Finger sanft über ein Hochglanzfoto gleiten, auf dem eine blonde Schönheit im knappen Bikini abgelichtet war.

Melinda Burgfried warf ihr von der Seite einen schrägen Blick zu. Anscheinend war an den Gerüchten, die schon seit Monaten im Haus hinter vorgehaltener Hand über ihre zwischenmenschliche Orientierung kursierten, etwas Wahres dran. Aber das war ihr letztlich egal.

Es dauerte mehr als drei Stunden, in denen sich die Damen und Herren Stadtabgeordneten die Köpfe heißredeten, ob sie dem Vorschlag des OB folgen sollten oder nicht. Erwartungsgemäß kamen sie zu keinem vernünftigen Ergebnis.

Der Oberbürgermeister ließ die Sitzung unterbrechen, weil die Sekretärinnen des Chefbüros zwei Platten mit l eckeren Kanapees auftrugen, damit sich die Mitglieder der Jury stärken konnten.

Danach ging die Sitzung gnadenlos weiter. Um kurz nach Mitternacht erhob sich Oberbürgermeister Schluckthardt und beendete völlig ausgelaugt die Besprechung. Einvernehmlich vertagte man sich auf den nächsten Nachmittag. Man war sich darin einig, dass die Besprechung der Auswahlregularien dann im Casino fortgesetzt werden sollte. Hier, im Büro des Oberbürgermeisters, empfand man die Atmosphäre irgendwie als sehr arbeitslastig, wodurch die Damen und Herren Bürgervertreter die Kreativität und Inspiration ihres freien Geistes massiv belastet sahen. Die Herrschaften waren in diesem Punkt in seltener Einigkeit der Meinung, dass man mit Hilfe von Küchlers Blauen Zipfeln und einem ordentlichen Schoppen wesentlich schneller zu einem Ergebnis kommen würde als hier auf dieser „trockenen Baustelle“, wie Sepp Steinklopfer sich in seiner üblichen feinen Art ausdrückte.

OB Schluckthardt schluckte ob dieses subtilen Vorwurfs hart, musste aber schließlich das Mehrheitsvotum akzeptieren und löste die Versammlung auf.

Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart

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