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Die Straße der Makrelen

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Dreimal in der Woche fuhr Jakob Poppelreuter-Freunde durften ihn auch Jäcky nennen-mit seinem Tiefkühlsattelzug nach Bremerhaven, um dort Fisch für einen international operierenden Diskonter abzuholen, der in der Stadt eine seiner Verteilerstationen hatte. Es kam aber auch vor, dass der Fisch mit ihm und seinem Sattelzug zu Niederlassungen in Süddeutschland Österreich oder anderswohin reiste

Jakob Poppelreuter- ein kräftiger Mann um die sechzig- erblickte in Münstertal im Schwarzwald als erstes von fünf Kindern des Forstarbeiters Wilhelm Poppelreuter und seiner Frau Beatrice das Licht dieser Welt.

Nach seiner Schulzeit sowie einer Ausbildung zum Bäcker und Konditor verschlug es ihn ins Ruhrgebiet. Dort angekommen verliebte sich der Jungbäcker in die Tochter seines Arbeitgebers, des Bäckers und Konditors Theodor Hellingrath. Seine Frau Verena gebar ihm zwei Kinder: Seinen Sohn Frank, sowie seine Tochter Marlene. Die ersten Jahre arbeitete er noch in der Bäckerei seines Schwiegervaters, doch als seine Kinder erwachsen waren, übernahmen seine Tochter das zum Hause gehörende Café, sowie sein Sohn die Bäckerei. Schon als Kind träumte Jakob Poppelreuter davon, einmal als Kapitän der Landstraße unterwegs zu sein. Er hatte bei der Bundeswehr seinen Lastwagen -Führerschein erworben, das war zwar schon lange her, doch nachdem seine Kinder die Bäckerei übernommen hatten, ergab sich für ihn eine günstige Gelegenheit um ins Fuhrgeschäft einzusteigen. Vor ungefähr zwanzig Jahren erwarb er von einem Stammkunden der Bäckerei das Fuhrunternehmen zu einem günstigen Preis. Die damalige, auch im Hinblick auf seine Familie nicht einfache Entscheidung- die Jakob Poppelreuters berufliches Leben(Achtung: Witz).in eine andere Bahn lenken sollte, hat er nie bereut.

Das Betriebsgelände der Spedition befand sich im Emscher-Park, einem Industriegebiet an dem Fluss Emscher. Zu seinem Betrieb gehörten zwei Sattelzüge, eine Werkstatt, sowie ein Lagerraum. Er beschäftigte einen Fahrer, sowie einen Werkstatt-Mitarbeiter, der bei Bedarf auch als Fahrer aushalf. Heute war ein besonderer Tag: Jakob Poppelreuter feierte im Café Hellingrath im Kreise seiner Familie und seiner Freunde seinen fünfundsechzigsten Geburtstag, sowie das zwanzigjährige Betriebsjubiläum seiner Spedition. Gefeiert wurde bei laufendem Betrieb im Gesellschaftsraum des Cafés. Die Feier begann vormittags gegen neun, mit dem Besuch des SPD Bezirksbürgermeisters Joachim Saborowski, sowie dessen Kollegen CDU Ratsmitglied Hans Wilhelm Butterberg. Auch der Bundestagsabgeordnete der Linken Otto Meerkamp hatte sich zusammen mit seiner Frau Angelika-allgemein Gela gerufen- zur Feier eingefunden. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, als Bezirksbürgermeister Joachim Saborowski zur Laudatio anhob: „ Wir kennen uns jetzt schon seit über vierzig Jahren: Icherinnere mich noch genau an den Tag, als sich damals die Tür des Cafés öffnete und du- ein noch junger Mann aus dem Schwarzwald-den Raum betratst, dich kurz umschautest, und dann zielstrebig zur Backstube gingst. Ich saß mit einigen Freunden hinten links in der Ecke, am alten Stammtisch, und wir rätselten darüber wer du sein magst, bis dann einer meinte: Du wärest der neue Geselle. Seit dem ist viel Wasser die Emscher hinunter geflossen. Ich vermute du stimmst mir zu wenn ich behaupte: Im Laufe dieser langen Zeit sind wir beide Freunde geworden. Möge dir ein langes Leben im Kreise deiner Familie sowie deiner Freunde beschieden sein.“

Während der Jubilar zu tiefst gerührt die Glückwünsche und Huldigungen entgegennahm, erkundigte sich Otto Meerkamp bei Karl Heinz Dreiseitl nach dem Stand der Dinge, bezüglich seiner Einstellung bei dem Obst und Gemüsehändler Theodor Buttgereit. „ Einen Tag vor Beginn meiner Tätigkeit, ist mir in meiner Wohnung eine Pfand-Glas-Flasche entglitten und auf meinem nacktem Fuß zerschellt, dabei erlitt ich eine Schnittwunde, die in der Notaufnahme der Helenen-Klinik behandelt werden musste. Leider hinderte mich die erlittene Verletzung daran meinen Dienst anzutreten.“

„Wie hat er auf deine Absage reagiert?“

„Es schien mir so als sei er verärgert“, schätzte Kalli die Situation ein, „ möglicherweise denkt er jetzt ich hätte die Verletzung nur vorgeschoben, weil ich kein Interesse mehr an der Arbeit habe, oder weil ich sie mir nicht zutraue.“

„Ich werde mit ihm reden“, versprach Otto Meerkamp, „ bringe ihm so schnell wie möglich ein ärztliches Attest vorbei.“

An einem großen Tisch am Kopfende des Saales, unter einem Bild des Firmengründers Wilhelm August Hellingrath, saß die Familie des Jubilars, angeführt von dem fünfundneunzigjährigen Seniorchef Theodor Hellingrath. Neben Jakob Poppelreuter thronte seine Frau Verena, die in ihrem entzückenden Abendkleid, sowie mit ihrem tief ausgeschnittenen üppigen Dekolleté eine wahre Augenweide darstellte. Auf dem Tisch stand eine gewaltige Schwarzwälder-Kirsch-Torte, auf der fünfundsechzig Kerzen befestigt waren. Das Konditoren-Team unter der Leitung von Junior-Chef Frank Poppelreuter hatte ganze Arbeit geleistet. Nach dem Ausblasen der Kerzen, machte sich die Geburtstagsgesellschaft über die Schwarzwälder-Kirsch-Torte her, allen anderen voran der Jubilar, der seit Kindesbeinen eine ausgeprägte Leidenschaft für selbige empfand. Es gab Zeiten da verließ er sein Haus nicht, ohne vorher ein bis zwei Stücke Schwarzwälder-Kirsch Torte zu verzehren. Nach dem Verzehr der opulenten Torte servierte Marlene, die Tochter von Jakob Poppelreuter den Gästen zur Verdauung Schwarzwälder Kirschwasser, die diesen Gaumenschmaus mit Genuss hinunter spülten. Der kulinarische Höhepunkt des Tages war zweifelsohne ein köstlich mundender Fasan mit Madeira, serviert von Marlene und ihrem Team, dazu gab es Blumenkohl in Butter, als Nachtisch wurde Bayrische Erdbeercreme gereicht. Nach dem Verzehr des opulenten Mahls, erhob sich der Jubilar, bedankte sich bei seinen Gästen für ihr Kommen und sagte gerührt um Fassung ringend: „Ohne meine Familie- da möchte ich insbesondere meine über alles geliebte Frau, die Mutter meiner Kinder hervorheben- hätte ich das alles nicht geschafft.“

Für diese wahrlich eindrucksvolle Darstellung seiner familiären Situation hätte Jakob Poppelreuter eigentlich einen Oskar für herausragende schauspielerische Leistungen verdient, denn in Wahrheit lag in der Beziehung der Eheleute so einiges im Argen. Sie glich einem Apfel mit glänzender Hülle, dessen Inneres vermoderte. Verena vergnügte sich schon seit langem mit wechselnden Liebhabern, währenddessen Jakob mit einer Bordell-Eigentümerin aus Bremerhaven liiert war. Opa Hellingrath der Senior-Chef des Hauses kannte nur noch eine Leidenschaft: nämlich sein Schwarzwälder Kirschwasser, mit dem er sich schon am frühen Morgen verwöhnte. Wären da nicht die beiden Kinder Marlene und Frank, gäbe es die Konditorei möglicherweise schon gar nicht mehr.

Inzwischen, der Abend war hereingebrochen, Opa Hellingrath war laut schnarchend eingeschlummert, als es an einem der Gästetische zu einem lautstarken verbalen Disput kam, welcher möglicherweise jederzeit in eine physische Auseinandersetzung münden konnte. Was war der Anlass, dieser von allen anderen Gästen als unpässlich und störend empfundenen verbalen Auseinandersetzung? Heinz Willi Husemann hatte seinen beiden Gartenhelfern Waldemar Malinowski und Werner Stresemann wegen erheblicher Mängel bei der Arbeitsausführung das Honorar gekürzt

Plötzlich ließ ein lautes Poltern die Gäste erschreckt auffahren, was war geschehen: Waldemar Malinowski war aufgesprungen, packte den um einen Kopf kleineren, am ganzen Leibe wie Espenlaub zitternden Heinz Willi Husemann an seiner schwarzen Krawatte, und schrie außer sich vor Zorn: „ Wenn ich meine volle Vergütung nicht bekomme, mache ich dich um einen Kopf kürzer!“

Peng das saß!

„Ich habe euch gesagt, ihr sollt die Sträucher und Bäume zurückschneiden!“, knurrte Heinz Willi Husemann, nachdem er sich aus dem Würgegriff seines Kontrahenten befreit hatte und einige Schritte zurückgetreten war, „ und was macht ihr Schwachköpfe? Ihr sägt zwei meiner Lieblingsbäume ab, zu denen meinerseits eine tiefe emotionale Verbindung bestand.“

„Das ist mir schei egal“, ereiferte sich Werner Stresemann, und trank sein volles Glas Pils in einem Zug leer „ich will mein Geld!“

Nun mischte sich Hennes Wingenbach mit einem Kompromiss-Vorschlag in den Disput ein: „ Ich schlage vor, ihr schmeißt eine Runde, und im Gegenzug zahlt euch Heinz Willi Husemann euren vollen Lohn.

Die streitenden Parteien stimmten trotz aller Vorbehalte nach kurzem Überlegen dem Kompromissvorschlag zu, sodass einem unbeschwerten Fortgang der Geburtstagsfeier nichts mehr im Wege stand.

Bremerhaven eine Industrie und Hafenstadt an der Nordsee, besitzt den zweitgrößten Seehafen Deutschlands, sowie einen großen Fischereihafen. Die angelandeten Fische wurden in den dort ansässigen Fischverarbeitungsbetrieben und Konservenfabriken verarbeitet, verpackt, in Gläsern oder Dosen verschlossen, und über den Handel an die Konsumenten weitergeleitet.

Das Restaurant und Gästehaus „Zur alten Fähre“ lag in der Nähe vom Fischereihafen an der Hafenstraße-im Volksmund auch Makrelenallee genannt-, gegenüber dem Werkseingang der alteingesessenen Werft Adolf Meckenstock, vormals Salomon Meyer u. Co. In unmittelbarer Nähe des Restaurants gab es mehrere Fisch verarbeitende Betriebe, sowie die Fischkonservenfabrik Nord West Fischkonserven AG, im Volksmund auch als Nord West Fisch tituliert, einer der größten Arbeitgeber Bremerhavens.

Obwohl erst früher Abend- man könnte aber auch sagen später Nachmittag- hatten sich schon viele Gäste im Restaurant „ Zur alten Fähre“ eingefunden. Kriminal-Hauptkommissar Manfred(Manni) Stöger, Leiter der Mordkommission Bremerhaven, der hier gerne relaxte, hatte heute seinen Kollegen Ober-Kommissar Paul Richter mitgebracht. Die beiden standen an der Theke und wurden unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs das die Wirtin Babette Sanders, in ihrer Nähe mit Jakob Poppelreuter führte. „Babette, rede mit mir! Bitte! Du bist irgendwie anders zu mir in den letzten Wochen.“

Babette sah ihn lange anschweigend an, doch dann setzte sie mehrmals zu sprechen an, und schließlich brach es aus ihr heraus: „Ich…ich…Jakob, ich weiß einfach nicht wie ich es dir sagen soll.“

„Ist irgendwas mit deinem Laden? Oder hast du gesundheitliche Probleme?“

„Nein, ich habe m…“ Babette brach ab, und ihre Stimme zitterte verdächtig.

„Sag mir bitte, was dich so runterzieht. Wie soll ich dir sonst helfen?“

„Ich…ich…habe mich in einen anderen Mann verliebt.“

„Nein, sag das es nicht wahr ist, ich…ich… glaubte wir lieben uns“, stammelte Jakob Poppelreuter mit belegter Stimme.

„Ja, ich habe dich geliebt, aber im Laufe der Zeit ist meine Liebe zu dir erloschen. Du warst selten da, oft schlecht gelaunt, und die versprochene Trennung von deiner Frau hast du auch nicht vollzogen.“

„Wer ist es? Kenn ich ihn?“

„Nein, er kommt nicht aus dieser Stadt.“

Polizei-Hauptkommissar Manfred Stöger wandte sich an seinen Kollegen, und flüsterte: „Hast du es gehört, die beiden haben einen ganz gewaltigen Beziehungsstress.“

„Ja“, meinte dieser, „es sieht nicht gut aus für Jakob.“

Jennifer, die gerade mit ihrer Freundin Annika zur Türe hereingekommen war-die beiden hatten in einer der oberen Etagen des Hauses jeweils ein geschmackvoll eingerichtetes Apartment, in denen sie bei Bedarf ihre Dienstleistungen anboten-, sah Manfred Stöger an der Theke, ging zu ihm, nahm ihn freundschaftlich in den Arm, und sagte: Darf ich dir meine Freundin Annika vorstellen, sie ist neu hier.“

„Aber gerne! Wie geht es dir? Ich habe dich einige Wochen nicht gesehen.“

„Ich war bei meinen Eltern in Freiburg, meiner Mutter ging es nicht so gut.“

„Das ist übrigens ein Kollege von mir“, sagte eher beiläufig Hauptkommissar Manfred Stöger, und wies dabei auf Paul Richter.

Der ließ sich nicht lumpen, und bestellte beim Barkeeper zur Feier des Tages eine Flasche Schampus. Jennifer schaute sich um, stieß ihrer Freundin Annika in die Rippen, und rief: „Da hinten sitzt ja unsere Chefin mit Jakob Poppelreuter. Die machen ja ein Gesicht, als hätten sie in eine Zitrone gebissen. Ich glaube die beiden haben Streit.“

Sie hatte ihren Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da sprang Jakob Poppelreuter wütend von seinem Stuhl auf, schmiss einige Geldscheine auf die Theke, und schrie außer sich vor Zorn und Enttäuschung: „Hier hast du deinen Huren-Lohn, Schlampe, du wirst mich nie mehr wiedersehen!“

„Was war das denn“, fragte Jennifer erstaunt Babette Sanders, die vollkommen aufgelöst herangetreten war.

„Ich…ich…habe gerade mit ihm Schluss gemacht“, schluchzte Babette, und dabei rannen zwei große Tränen über ihre Wangen.

„Schade!“, bedauerte Jennifer, und nahm Babette liebevoll in ihre Arme „ ich mochte ihn eigentlich sehr.“

„Dann nimm du ihn doch!“, stieß diese schluchzend hervor.

„Echt! Babette, ich habe es doch nur gut gemeint. Ich habe überhaupt kein Interesse an Jakob Poppelreuter.“

„Verzeih mir bitte“, entschuldigte sich Babette, „ich bin einfach emotional noch zu sehr aufgewühlt.“

Inzwischen war Hendrik Meckenstopck, der etwa fünfzigjährige Juniorchef der gleichnamigen Weft, sowie einer der Hauptdarsteller in diesem Liebesdrama eingetroffen. Er nahm Babette in seine starken Arme, wischte eine Träne aus ihrem Gesicht, und erkundigte sich nach dem Anlass ihrer desolaten psychischen Verfassung.

„Jakob war hier“, seufzte sie, „ich habe ihm gesagt, dass ich einen anderen Mann liebe, und mit ihm Schluss gemacht.“

„Hast du ihm gesagt, dass ich es bin, den du liebst.“

„Nein, ich wollte nicht; das die Aussprache noch weiter eskaliert.“

Noch ehe Babette den Satz zu Ende gesprochen hatte, öffnete sich die Eingangstür, und Jakob Poppelreuter taumelte herein. Er baute sich vor Babette auf und wütete: „Ist das dein neuer Kerl?“, dabei wies er mit seinem ausgestreckten Arm auf Hendrik Meckenstock.

„Ja, Hendrik ist mein neuer Freund. Ich möchte dich bitten jetzt zu gehen!“

„Ich denke gar nicht daran, du niederträchtige Schlampe!“

Nun mischte sich Hauptkommissar Manfred Stöger ein, legte seine Hand auf die Schulter von Jakob Poppelreuter, schaute ihm in die Augen, und äußerte verständnisvoll: „Ich verstehe, dass die Trennung dich betroffen macht und runterzieht, möglicherweise überrascht sie dich auch Wir kennen uns jetzt schon einige Jahre, in dieser Zeit sind wir Freunde geworden, und darum, oder besser gesagt gerade deshalb, rate ich dir, gieße nicht noch mehr Öl ins Feuer, und ziehe dich erst einmal zurück “

Jakob Poppelreuter drehte sich abrupt um, wankte zur Tür, und verschwand grußlos im Dunkel der Nacht.

Einige Häuser weiter die Straße hinauf, in unmittelbarer Nähe der Nord-West-Fisch-Konserven AG; hatte die Kneipe „Zum Heilbutt“ ihren Standort. Das dort verkehrende Publikum zählte zwar nicht zu den feinsten Kreisen der Stadt, war aber ehrlich bis auf die letzte Gräte, wenn es denn sein musste. Sogar Björn Hildebrandt, der erste stellvertretende Bürgermeister der Stadt, ließ sich hin und wieder dort blicken. Inhaber des Etablissements war der ehemalige Fischkuttereigner Ole Bramsen. Am späten Abend, die Kneipe war gut gefüllt, Nord-West-Fisch hatte gerade Schichtwechsel- dort arbeitete man im drei Schichtbetrieb-, betrat Jakob Poppelreuter die Stätte der Gastlichkeit, und stellte sich zu Ole Bramsen an die Theke. Der murmelte so etwas wie: Geht’s gut, und schob ihm ein Bier über den Tresen. „Es ging mir schon mal besser“, nuschelte bedrückt Jakob Poppelreuter.

„Gibt’s Probleme mit deinem Truck?“

„Nein, mit dem ist alles ok, nur mit mir nicht, Babette hat mit mir Schluss gemacht. Sie ist jetzt mit Hendrik Meckenstock zusammen.“

„Schei…!“, fluchte Ole Bramsen und spendierte dem verlassenen Liebhaber einen doppelten Stroh Rum.

Ritschi Rasmussen, Andreas Backfisch, sowie Knud Harmsdorf, lebten in einer WG in einem baufälligen Altbau, direkt am Fischereihafen. Die drei, die in unmittelbarer Nähe standen, wurden ungewollt stumme Zeugen des Gesprächs. Einer der drei Jungs, der etwa fünfzigjährige Fischverwertungsarbeiter Andreas Backfisch äußerte voller Empathie: „Ich kann gut nachvollziehen wie dir jetzt zu Mute ist. Auch ich habe die traurige Erfahrung des aussortiert Werdens ertragen müssen.“

„Hat…hat deine Frau dich auch verlassen?“, stammelte Jakob Poppelreuter betroffen.

„Nein, bei mir lag der Fall ein wenig anders. Ich war über zwanzig Jahre als Vorarbeiter bei der Nord-West-Fischkonserven-AG beschäftigt. Vor geraumer Zeit haben mich die Herrschaften betriebsbedingt gekündigt.“

„Wie kam es dazu?“

„Im Rahmen von Rationalisierung und Digitalisierungsmaßnahmen wurden an die hundert Leute entlassen. Denn dieser Industrie, die zetert und stöhnt, wenn sie nicht jedes Jahr ihre Kapitalanlage aus den Profiten zurückgewinnt, sind die arbeitenden Menschen gleichgültig. Wenn sie vermittels Buchhaltung und PC Makrelen einlegen und konservieren könnten, ja das wäre den Fabrikherren am liebsten.“

Ritschi Rasmussen, der bis vor kurzen noch als Kranfahrer auf der Meckenstock Werft gearbeitet hatte, äußerte sarkastisch: „Ich kenne Hendrik Meckenstock gut, dass ist ein Blender und Aufschneider, der alles daransetzt, dass Vermögen das sein Großvater sich angeeignet hat zu verprassen.“

„Wie soll ich das verstehen- was sein Großvater sich angeeignet hat?“, fragte berufsmäßig neugierig Ludger Beckmann, der hinzugetretene, neu in der Stadt lebende Kulturredakteur des Bremerhavener Weser Echos.

„Hendrik Meckenstocks Großvater war ein Bruder des ehemaligen nationalsozialistischen Gauleiters von Bremen, Werner Meckenstock Die Werft befand sich seit über zweihundert Jahren im Besitz der Familie des jüdischen Kaufmanns Salomon Meyer, dieser wurde von den Nazis enteignet, nach Auschwitz verschleppt, und in den dortigen Gaskammern umgebracht. Die Nationalsozialisten übereigneten die Werft damals an Hendrik Meckenstocks Großvater Adolf, seitdem befindet sich die Werft im Besitz der Familie Meckenstock.“

„Was ist aus der Familie von Salomon Meyer geworden?“, erkundigte sich Ludger Beckmann.

„Seine Frau starb mit ihm in Auschwitz, seinen drei Kindern gelang es, zusammen mit seiner Schwester und deren Mann in die Vereinigten Staaten zu entweichen.“

„Haben die Familienangehörigen, die den Holocaust überlebt haben eine materielle Entschädigung für ihre Leiden bekommen?“

„Soweit ich weiß“, meinte Ritschi Rasmussen, „kämpfen die drei Kinder, sowie deren Nachkommen bis heute erfolglos vor den Gerichten um die Rückgabe der Werft, oder ersatzweise um eine entsprechende Entschädigung.“

„Das ist eine Sauerei“, entfuhr es Knud Harmsdorf, „da haben die Nazis Millionen Menschen jüdischen Glaubens umgebracht, doch der Nachfolgestaat sieht sich Außerstande den Nachkommen der Ermordeten eine angemessene Entschädigung zu zahlen.“

Während an der Theke dieses entsetzliche Kapitel deutscher Geschichte noch weiter thematisiert wurde, kam es im hinteren recht schummrig beleuchteten Bereich der Gaststätte zu einer verbalen Konfrontation zwischen zwei Fischkuttereignern und deren Crews. Die Mannschaften saßen an zwei sich gegenüber liegenden Tischen, und labten sich ausgiebig ohne Unterlass an Bier und Rum.

„Es soll Eigner geben, habe ich mir sagen lassen, bei denen wird in letzter Zeit immer sehr gut gewogen“, äußerte der Makrelenfischer Otto Wolter, führte sein Bierglas zum Munde, und trank es in einem Zug leer.

„Hast du jemanden bestimmtes ins Auge gefasst?“, zischte Knut Herders, mit zusammen gepressten Lippen.

„Fühlst du dich angesprochen?“

„Du kleiner Hungerleider! Kannst du überhaupt noch deine Leute bezahlen?“

„Beachtet diesen Schandfleck der christlichen Seefahrt überhaupt nicht!“, meinte, sich an seine Männer wendend Otto Wolter.

„Hier, nimm das du Ratte“; schrie wutschnaubend Knut Herders, und schlug diesen mit einer knallharten rechten Geraden gegen das Kinn, zu Boden.

Gegen das nun aufkommende Handgemenge war kein Kraut mehr gewachsen. Wie entfesselt hieben die Fischkuttercrews aufeinander ein. Als dann Jakob Poppelreuter- der an der Theke seinen Rausch ausschlief- vom Kampfeslärm aufgeschreckt, schlichtend in den Streit eingreifen wollte, fing er sich einen krachenden linken Haken ein, der ihn umgehend wieder ins Reich der Träume beförderte. Nachdem die von Ole Bramsen herbeigerufene Polizei, die Schlacht unter Kontrolle hatte nahmen sie die Rädelsführer der Auseinandersetzung mit zur Wache, wo diese in einer Ausnüchterungszelle, den restlichen Teil der Nacht über ihre Missetaten nachdenken konnten. Währenddessen hatten Ole Bramsen und sein Team alle Hände voll damit zu tun, die vom „Krieg der Fischer“ in eine Trümmerlandschaft verwandelte Kneipe wieder so einigermaßen auf Vordermann zu bringen.

Schwarzwälder Kirsch

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