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Tag 1
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Endlich Urlaub. Nach reichlich Arbeit durch mehrere Projekte endlich Ruhe, entspannen, einfach abhängen und relaxen. Ich bin auf dem Weg in das schon seit längerem reservierte Ferienhaus am Meer. Schon auf der Fahrt dorthin lasse ich es gemächlich angehen. Es ist wenig Verkehr und so lasse ich den Wagen ohne Eile einfach dahinrollen. Kurz bevor ich am Ziel bin, halte ich an einem Supermarkt, an dem ich vorbei komme, um ein paar Sachen einzukaufen, damit ich zumindest für´s Frühstück am morgigen Sonntag nicht vor einem leeren Kühlschrank stehe. Schnell dann noch den Schlüssel für das Ferienhaus abholen, das Auto ausladen und dann als allererstes erstmal auf den Deich. Nachsehen ob Wasser da ist … den Wind um die Nase wehen lassen … Gehirn ausschalten. So ganz nebenbei stelle ich im Ferienhaus erfreut fest, dass ich dort keinen, oder zumindest nur sporadisch und dann sehr mäßigen Mobilfunkempfang habe. Wie schön, …auch in dem Punkt stört niemand. Nachdem ich meine Sachen im Haus untergebracht habe, mache ich mich auf den Weg zum Deich und steige die Treppe zur Krone hoch.
Siehe da … es ist auch Wasser da. Von See her weht auch eine leichte Brise und am Himmel schieben sich Wolken gegenseitig an. Es ist auch angenehm warm und so bewege ich mich von den Häusern und Leuten weg auf dem Deich entlang. Zur Meeresbrise mischt sich der Geruch von frisch gemähtem Gras. Nicht lang und es wird ruhig. Der Sandstrand mit Bevölkerung liegt hinter mir und vor mir ist nur freie Landschaft, durch die sich der Deich in langen Bögen schlängelt. Nur ein paar Möwen am Himmel und das gleichmäßige Rauschen der kurzen Wellen, die auf das Ufer rollen. Der Weg auf dem Deich ist in regelmäßigen Abständen durch einen Zaun unterbrochen. Es grasen Schafe in den abgezäunten Bereichen. An jedem der Zäune sind unten am Deich Durchgänge und oben auf dem Deich Überstiegsmöglichkeiten angebracht, so dass man nicht jedes Mal mühselig über den Zaun klettern muss. Auf dem Weg unterhalb des Deichs auf der Seeseite erkenne ich einzig in weiterer Entfernung einen Radfahrer, der mir, so wie es aussieht entgegenkommt. Ich steige derweil über den nächsten Zaun, bleibe jedoch mit einem Hosenbein irgendwo hängen, greife instinktiv noch nach der Haltestange, verfehle diese allerdings und stürze auf der anderen Seite des Zauns von der Treppe. Es wird eine harte Landung. Dann wird es um mich herum dunkel. Als es wieder hell wird durchzieht mich ein sehr stechender Schmerz und ich sehe nur blau. Im Unterbewusstsein höre ich eine als weiblich einzuordnende Stimme die mich fragt ob ich sie hören könne. Völlig benommen habe ich noch nicht realisiert ob das echt ist und frage instinktiv zurück, ob ich jetzt im Himmel sei.
Das Blau bewegt sich. Ich blicke erst in die Wolken und dann in ein Gesicht was da antwortet. „Nein, gefühlt zwar 10 Meter näher dran, aber derzeit nur oben auf dem Deich.“ Es schmerzt. Ich versuche mich aufzurichten. „Können sie sich bewegen ? Kann ich helfen ? Ich war da unten mit dem Rad unterwegs und hab den Absturz gesehen. Und da sie nicht gleich wieder hoch sind bin ich erstmal hier hoch um nachzusehen was passiert ist … das sieht nicht sehr schön aus … ich denke wir sollten vielleicht besser einen Krankenwagen bestellen.“ „Nein,“ antworte ich, „es wird schon gehen“. Immer noch ein wenig benommen richte ich mich auf. Erst jetzt merke ich, dass meine linke Hand blutet. Mein linkes Knie schmerzt und auch der linke Arm lässt sich nur unter Schmerzen vorsichtig bewegen.
„Das geht so nicht,“ höre ich sie sagen, „das sieht nach einem Besuch beim Arzt aus.“ „Nein, und wenn überhaupt dann erst morgen wegen der paar Kratzer,“ entgegne ich. „Ich hab Urlaub und das kann ich auch in den nächsten Tagen selbst auskurieren.“ „Na, dann wollen wir mal sehen was geht. Mein Fahrrad steht da unten. Dann werden wir jetzt erstmal da runter und dann weiter auf dem befestigten Weg. Da sind wenigstens keine weiteren Zäune mehr über die man dann klettern muss.“ Humpelnder Weise hangele ich mich am Zaun entlang nach unten. Mir tut gefühlt alles weh. Ich will aber nicht schon am ersten Tag zum Doc. So nehme ich mein Taschentuch und bedecke damit meine blutende Hand. Also Zähne zusammenbeißen und möglichst nix anmerken lassen. Ich bin dann wahrscheinlich heute Abend beim Landfrauentreff eh schon Gesprächsthema, dass die Touris zu blöd sind auf drei Stufen über ´nen Zaun zu steigen…
„Sie sind das erste Mal an der See ?“, fragt sie während wir gemächlich wieder in Richtung der Ferienhäuser gehen. „Nein, warum ?“ „Dann sind sie aber wohl eher so der pure Naturgewaltenliebhaber oder so was ähnliches…“ kommt noch hinterher. „Riskieren sie mal ´nen Blick zum Himmel…“ Ich blicke nach oben und stelle fest, dass es nun von mir unbemerkt ringsherum dunkler geworden ist und aus den zuvor einzelnen Wolken eine geschlossene Wolkendecke entstanden ist. „Da wird gleich einiges von oben herunter kommen … ich hoffe wir schaffen es noch vorher wieder zurück.“ Ich versuche etwas schneller zu humpeln, doch bereits etwa 200 Meter weiter beginnt es zu tröpfeln.
Zum ersten Mal nehme ich die Frau neben mir nun wirklich in Augenschein. Verpackt in einem längeren, dunkelblauen Friesennerz mit Schmuddelwedda® Schriftzug -wie passend, denke ich- und schwarzer Regenhose. Und so wie das aussieht dazu unter der Hose vermutlich Gummistiefel. Damit ist sie wirklich besser dran als ich. Es wird mehr an Regen und sie stülpt sich die Kapuze über die zusammengedrehten dunkelblonden Haare. Mitleidsvoll blickt sie nun zu mir herüber und bleibt stehen. Aus der Satteltasche ihres Fahrrads holt sie erst etwas schwarzes hervor. „Hier, ein Südwester. Nicht unbedingt das modischste Teil, ist aber wasserdicht. Das was ich sonst noch habe ist dies hier…“ Dabei reicht sie mir einen größeren Plastiksack. „Mehr kann ich momentan nicht tun, ein wenig hält es den Regen aber immerhin ab. Bis wohin müssen sie denn noch ganz ?“ möchte sie dann noch wissen. „Die erste Ferienhaussiedlung, gleich von hier aus den ersten Weg rein und dann ist´s das zweite Haus rechts.“ „Na dann haben wir ja denselben Weg. Da muss ich auch hin ... allerdings bis ganz hinten rechts.“ O.k., denke ich. Immerhin fällt dann das Gesprächsthema bei den Landfrauen wohl weg. Sie scheint demnach hier auch im Urlaub zu sein. Ich setze den Südwester auf und verkrieche mich so gut es geht in, bzw. unter dem Plastiksack. Je mehr wir uns den Häusern nähern desto stärker wird der Regen. Wenigstens ist kein starker Wind und der Regen kommt fast senkrecht herunter.
Sie nassglänzend und ich mittlerweile ringsherum durchgeweicht liefert sie mich vor meiner Tür ab. „Haben sie was vernünftiges zum Verarzten der ganzen Blessuren da ?“ Eh ich antworten kann fügt sie noch dran „Ich hol eben schnell was und bin dann damit gleich zurück. Wenn sie selbst nicht zum Arzt gehen dann muss der eben kommen…“, steigt auf ihr Rad und entschwindet in Richtung der anderen Häuser die Straße entlang. Es schmerzt als ich versuche die Tür unter gleichzeitigem ziehen aufzuschließen. Als ich dann endlich drin bin entledige ich mich direkt hinter der Tür im Flur des Plastiksacks und des Südwesters. Ich begebe mich Richtung Bad um erstmal die nassen Klamotten loszuwerden, aber schon klingelt es an der Tür. Ich öffne. „So, da bin ich schon wieder“, begrüßt sie mich und tritt ein. Sie stellt einen kleinen schwarzen Koffer ab und hängt ihren triefnassen Friesennerz an die Garderobe. Auch die Stiefel zieht sie aus und stellt sie dort mit ab. Hübsch, denke ich. Schwarze Hunter® Stiefeletten mit Absatz. „Na los, erstmal raus aus den nassen Klamotten.“ fordert sie mich auf. „Ich hänge hier nur eben meine nassen Sachen auf.“ Ich verschwinde im Bad. Mühselig entledige ich mich der nassen Klamotten, trockne mich so gut es geht ab und steige in eine Jogginghose wieder ein. Dazu noch ein T-Shirt und obendrüber einen langen flauschigen Bademantel. Das blutige Taschentuch lasse ich auch im Bad, wickele meine Hand in ein Handtuch und gehe zurück.
Sie sitzt in der Küche und hat den Koffer auf dem Tisch abgestellt und steht auf als ich durch die Tür komme. „Nun wollen wir mal sehen, was wir da hinbekommen können. Erstmal bitte das Handtuch entfernen.“ Ich gehorche und strecke ihr meine Hand entgegen. „Da hat’s ´ne ganz schön tiefe Schramme gegeben. Das waschen wir jetzt erstmal unter fließendem Wasser. Anschließend werd´ ich das verbinden. Damit wird es dann aufhören zu bluten.“ Gesagt – getan. Aus dem Koffer entnimmt sie ein sehr dickes Verbandpäckchen und wickelt meine Hand darin ein. Als sie damit fertig ist, ist meine Hand ziemlich unbeweglich und fast doppelt so groß wie vorher. Als nächstes verarztet sie dann die Schrammen auf meinem rechten Arm. „Machen sie sowas häufiger ?“ will ich wissen. „Das sieht sehr professionell aus.“ Sie grinst mich an. „Nein, eigentlich nicht. Und wenn, dann in der Regel auch nicht an lebenden Objekten und dann auch eher aus- als einpacken…“ „Wir haben uns ja auch noch nicht vorgestellt. Susi Notbom … Dr. rer. nat., … eigentlich Susanne … ich arbeite für die Gerichtsmedizin.“ Ich grinse zurück. „na dann hab ich aber Glück gehabt … bestens versorgt egal ob lebendig oder tot … Uwe Gromann … kein rer. nat. … nur Dipl. Ing. … Verfahrenstechniker. Damit wäre dann die berufliche Verwendung geklärt,“ grinse ich weiter.
„Müssen wir beim Sie bleiben, oder können wir auch auf Du umstellen wo wir schon den Nachmittag zusammen verbracht haben ?“ möchte sie dann wissen. „Von mir aus können wir auch per Du weitermachen. Wie kann ich mich denn mal für die Behandlung revanchieren ? In dem Zustand jetzt zum Essen einladen möchte ich dich nicht unbedingt…“ entgegne ich. „Das können wir gegebenenfalls in den nächsten Tagen immer noch nachholen. Erstmal bleiben wir hier … und damit meine ich auch WIR. Ich bin mir noch nicht so ganz sicher ob da nicht vielleicht ´ne Gehirnerschütterung vorliegt. Und das möchte ich nicht verantworten, dass Du hier umfällst und dann wohlmöglich noch auf meinem Tisch landest.“ „O.k., dann mach ich uns für’s erste erstmal ´nen Tee.“ Ich greife nach der Kanne des Wasserkochers um diese zu befüllen. Es schmerzt sich mit der vollen Kanne zu bewegen. Sie scheint das zu registrieren, steht auf und nimmt mir die Kanne aus der Hand. „Laß mal gut sein, ich mache das. Wo steht der Tee ?“ „Oben rechts im Schrank, Tassen sind im Schrank daneben. Einen Keks dazu könnt ich auch noch anbieten. Die sind im Schrank links.“ „Na los, dann schon mal ab mit dir auf’s Sofa. Ich mach das hier fertig.“
Ich gehe ins Wohnzimmer und setze mich auf’s Sofa und kurze Zeit später kommt auch Susi mit dem Tee und den Keksen hinterher. Draußen entwickelt sich der Regen nun merklich heftiger werdend. Nach der ersten Tasse Tee springt Susi auf. „Ich muss eben nochmal in mein Haus. Das wird scheinbar doch mehr an Regen und ich hab da vorhin ein Fenster auf lüften gestellt. Ich komme gleich wieder.“ „Dann nimm den Schlüssel mit. Der liegt auf dem Bord im Flur. Wenn‘s nichts ausmacht bleib ich hier jetzt sitzen.“ Susi geht in den Flur und an den Geräuschen erkenne ich dass sie sich wieder die Regenhose und -jacke anzieht. Als sie die Tür öffnet zieht es ein wenig kalt um die Ecke. Dann höre ich wie sie die Tür wieder zu zieht. Boaahh … was für ein Tag. Warum lasse ich das eigentlich alles so über mich ergehen ? Ich bin ja sonst nicht so. Aber irgendwie ist es auch nicht unangenehm. Über den Gedanken greife ich nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Es dauert eine ganze Weile. Dann höre ich es vor der Tür klappern. Sie scheint tatsächlich wieder zurück zu kommen. Ich höre wie die Tür geöffnet wird und kurz darauf wieder geschlossen wird. Abermals nass und tropfend erscheint sie in der Tür zum Wohnzimmer. „Hallo, da bin ich schon wieder. Hat etwas länger gedauert. Vorsichtshalber die Sturmluken an der Rückseite auch geschlossen. Ganz schön was los da draußen.“ In diesem Moment kommt passend dazu im Fernsehen eine Unwetterwarnung für die Küste. „Na, mal sehen was dann morgen ist.“ fügt sie noch an. „Eigentlich liebe ich dieses Wetter. Wasserdicht verpackt … dann auf den Deich … Wind und Wasser von allen Seiten … Wellen beobachten … und einfach die Seele baumeln lassen,“ erzählt sie weiter während sie sich der nassen Regenklamotten entledigt.
„In der Form hab ich das noch nie so gemacht,“ entgegne ich, „ich glaube das könnt´ ich mir auch vorstellen sowas zu machen.“ Mit den Worten „Aber nicht mehr heute,“ kommt sie wieder ins Wohnzimmer. Sie setzt sich, schenkt sich einen Tee ein und wir beginnen uns zu unterhalten. Über Beruf, was man sonst noch so alles macht, Musik, Hobbys … lauter belangloses Zeug. Wir stellen dann beiläufig fest, dass wir beide 41 sind, beide geschieden, beide keine Kinder haben und eigentlich mit dem derzeit vorherrschenden Zustand ganz gut zurechtkommen. Auch wohnen wir nicht ganz weit voneinander entfernt. Sie in der Nähe von Hildesheim und ich in der Nähe von Hameln. Allmählich wird mir das Sitzen unbequem und mittlerweile halb schräg auf dem Sofa hängend bekomme ich von ihr zu hören, dass ich mich ruhig in eine bequemere Position begeben kann. „Leg dich ruhig richtig hin. Denke das schmerzt dann nicht so. Du musst dich eh mit dem Gedanken anfreunden, dass ich hier heute Nachtwache halte.“ grinst sie mich an. „Wenn ich hier zum Liegen komme dauert das nicht lange und ich bin eingeschlafen.“ entgegne ich. „Na und … ist doch nicht schlimm. Ist dir irgendwie übel oder schwindelig ?“ „Nein, nicht wirklich, nur ´nen Brummschädel hab ich.“ Mit den Worten begebe ich mich in die Liegeposition. Von draußen ist der Wind zu hören und in unregelmäßigen Abständen der gegen die Fenster prasselnde Regen. Im Fernsehen laufen grad die Spätnachrichten und dabei muss ich dann eingeschlafen sein.