Читать книгу Die Kanarische Bolle-Fibel - Günter Voss - Страница 4
Biografisches
ОглавлениеAm 17. Februar 1909 endete in Berlin das Leben von Carl Bolle. Sein Grab auf dem Berliner Matthäikirchhof ist nicht mehr vorhanden. Einige der 752 Bäume, Sträucher, Farne und Blumen, die er aus dem Ausland mitbrachte und auf der Insel Scharfenberg im Tegeler See anpflanzte, sind noch vorhanden.
„Das beifolgende Bild von 1902 gibt Bolles wohlwollenden, dabei leicht sarkastischen Ausdruck gut wieder. Es ist auf der Rückseite von ihm bezeichnet: »Der Überlebende eines verflossenen Jahrhunderts, 1902 Carl Bolle«“, wie es im Nachruf seines Freundes Ernst Friedel in der Brandenburgia steht.
Carl Bolles Leben begann am 21. November 1821 in Schöneberg. Schöneberg wurde zwar erst 1920 kommunalpolitisch ein Teil von Berlin, aber die Schöneberger waren schon damals Berliner. Berliner, bei denen sich Geburt, Reichtum, Talent und Wissen in wunderbarer Weise vertrugen. Sein Vater David Bolle war Besitzer einer Bierbrauerei.
So war es wohl möglich, dass Christian Ludwig Brehms Handbuch der Naturgeschichte aller Vögel Deutschlands bei seinem Erscheinen 1831 auf dem Geburtstagstisch des jungen Bolle lag und auch ihm die ersten, einfachen Kenntnisse über Vögel gab und in ihm die Liebe zur Tierwelt erwecken konnte.
Er belegte an den Universitäten Berlin und Bonn außer den Hauptfächern der Medizin auch Philosophie, Botanik, Mineralogie, Chemie, Physik, Physiologie, Geographie, Zoologie und Geschichte und promovierte am 11. Juli 1846 zum Doktor ‚in medicina et chirurgia’; seinen vornehmlichen naturwissenschaftlichen Interessen gemäß über ein aktuelles Problem: Über die alpine Vegetation in Deutschland ausserhalb der Alpen.
In seiner Promotion wurde er zu einem naturgeschichtlichen Problem geführt, das seit Jahrzehnten die Botaniker und Erforscher der aus der Eiszeit verbliebenen Relikte hochalpiner Formen unablässig beschäftigte. Man hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die chaotischen Ablagerungen in Nordeuropa und im Alpenraum von den darunter liegenden geordneten Schichten zu unterscheiden gelernt und ihre Verschiebung weit von ihrer Herkunft der Wirkung des Wassers zugeschrieben. Die Anlehnung nahm man aus biblischen Nachrichten über die Sintflut oder den noch üblichen Anschauungen des Neptunismus. Wasser war ja schon fast richtig, nur war es gefrorenes in bisher nicht vorstellbarem großem Ausmaße. Die Eiszeit war noch kein anerkanntes Ereignis.
Die Bierbrauerei seines Vaters gab hinreichen Gewinn Carl Bolle zu gestatten, die Heilkunde Heilkunde sein zu lassen und seinen naturwissenschaftlichen Liebhabereien nachzugehen. Im Frühjahr 1851 riefen ihn die Kanarischen Inseln und bald durchstreifte er die Insel Fuerteventura.
„Wenn man die Frage aufwirft, was den Ruf der glücklichen Inseln am weitesten in die Welt hinausgetragen habe, so muss die Antwort sein: der Canarienvogel, dieser reizende kleine finkenartige Sänger, der von allen seinen Gattungsgenossen allein der Zähmung würdig befundene, über ganz Europa verbreitete, dem zivilisierten Menschen jetzt in alle Zonen folgende.“ So charakterisiert der Berliner Vogelkundler Carl Bolle den kleinen Finken in seinen Bemerkungen über die Vögel der Canarischen Inseln von 1854.
Sich selbst charakterisiert er dort so: „Der Schreiber dieser Zeilen, der es zu den günstigeren Schicksalen seines Lebens rechnet, ein Jahr lang unter dem schönen Himmel jenes tiefen Südens verlebt zu haben, gesteht, dass ihn mehr Neigung, als streng wissenschaftliche Befähigung, den Fuß mit Schüchternheit gerade auf dieses Gebiet setzen lässt. Zu jener Zeit nur allein botanischen Studien und seiner Gesundheit in einem reinen, ungetrübten Naturgenusse inmitten der großartigsten Szenerien lebend, waren ornithologische Forschungen für ihn in den Hintergrund gerückt: so dass die Lust an Beobachtungen, zu denen er sich jetzt lebhaft angeregt fühlt, nur in Zwischenräumen, je nach der stoßweise gleichsam aufflammenden Liebhaberei, in ihm rege wurde. Aber baut sich das Gebäude der Wissenschaft nicht aus tausend kleineren Tatsachen auf, von denen keine, wenn aufrichtig und treu wiedergegeben, eine Lücke auszufüllen verfehlt? Ist der kleinste Baustein zur Vollendung des großen Ganzen nicht eine annehmbare Gabe?“
Den Bemerkungen von 1854 folgten zwei Fortsetzungen 1857 und 1858. Bolle war nicht der erste der über die kanarischen Vögel schrieb, aber seine Arbeiten sind die reichhaltigsten. Er konnte sich auf die Forschungen von André Pierre Ledru (1761 - nach 1830) und Mac-Gregor (1783 - 1876) beziehen.
Bei Sabin Berthelot der in seiner Jugend ein intimer Freund Mac-Gregors war und Hand in Hand mit ihm manche seiner so höchst interessanten Fußwanderungen durch Teneriffa gemacht hat, genoss Bolle an seinem gastfreundlichen Herd auf Teneriffa die Sympathien vertrauter Freundschaft einer zweiten Heimat. Philip Barker Webb (1793 – 1854) und Sabin Berthelot (1794 - 1880), schrieben die neun Bände der L’Histoire Naturelle des Îles Canaries.
Bolle stellt fest, dass von den 134 auf den Kanarischen Inseln überhaupt vorkommenden Vogelarten 84 Land- und 50 Wasservögel sind. Im Lande selbst brüten 72 und 61 berühren dasselbe nur auf dem Zuge oder Striche und von den letzteren nur vierzehn regelmäßig und mehr oder minder häufig.
Aber auf den fremden Inseln wurde nicht nur geforscht. Am Tage genossen die Naturforscher die schöne Farbe und den eleganten Flug ihrer Vögel, am Abend genossen sie ihr Fleisch – gebraten – nachdem sie tagsüber das Abschießen ihrer Lieblinge genossen hatten.
Bolle, der spätere Ornithologen-Präsident, schoss fast alles: Alpendohlen als höchst mittelmäßiges Wildpret, Fringilla hispaniolensis holte er mit einem Schusse 10 bis 20 herunter, den Kanarienvogel – diesen reizenden kleinen Sänger – auf einen Schuss ein Duzend von ihnen und mehr und vom Wiedehopf sogar unendlich viele. Das Letztere ist aber wohl als Jägerlatein einzuordnen. Den Storch ließ er leben, er wurde vom kanarischen Landmann als Vogel mit günstiger Vorbedeutung begrüßt, den zu töten ein großes Unrecht wäre.
Tauben aller Art waren gemeinstes Federwildpret der Inseln. Gewöhnlich brüteten sie in Felslöchern. Auf Lanzarote bestand ein besonderes Jagdvergnügen darin, im Dunkeln mit Fackeln in diese Grotten einzudringen, den Eingang zu verstopfen und dann mit Stangen und Knütteln unter den überraschten Tauben, von denen auch viele lebendig gefangen wurden, eine große Niederlage anzurichten.
Steinhühner, Wachteln, Becassinen, Trappen, Lerchen, „deren Fleisch nicht minder wohlschmeckend und dieselbe, obwohl kleiner, doch nicht weniger fett, als unsere besten Leipziger Lerchen. Hinsichtlich des Genießens kleiner Vögel sind jedoch die Islennos zum Vorteil der Individuenzahl jener, aber zu großem Nachteile ihres Küchenzettels, das wahre Gegenteil der Bewohner Italiens“.
Die vogelfleischfreundlichen Islennos nutzten die Padelas – Seemöwen – „indem man die sehr feilen Jungen durch Frettchen aus den Erdlöchern, in denen sie ausgebrütet wurden, hervorholen lässt und sie fassweise einsalzt, eine in jenem Lande sehr beliebte, obwohl etwas fischig schmeckende und fast allzu fette Speise. Die Salvajes, zwischen Madera und den Canaren gelegen, sollen jährlich 30 000 Stück liefern“.
Und Bolle reiste weiter. Vom Dezember 1851 und März 1852 findet man Angaben in seinen Bemerkungen zu Teneriffa, dann auch zu Fuerteventura, Lobos und Palma. Im November 1852 ist er auf den Capverden.
Die Zeitschrift Bonplandia berichtet am 1. Februar 1853: Den letzten eingelaufenen Nachrichten zufolge ist Dr. Bolle nach einem mehrmonatlichen Aufenthalte auf den canarischen Inseln nach den Cap Verden zurückgekehrt und befand sich, seinem letzten Briefe zufolge, auf St. Vincent. Die auf seiner früheren Reise auf den Cap Verden, so wie die von ihm auf den canarischen Inseln gesammelten Pflanzen sind wohlbehalten in Paris angelangt.
In der 1. April-Nummer bringt die Bonplandia diesen letzten Brief aus St. Vincent.
St. Vincent, 1. Nov. 1852. (Auszug aus einem Briefe des Dr. C. Bolle an H. Webb.)
Eine weiße bewegliche Sandfläche, auf welcher sich elende, baufällige Häuser, Hütten gleichend, aneinander reihen, deren schwarze und in Lumpen gehüllte Bevölkerung krank oder kaum vom Fieber genesen auf Stöcke gestützt sich mühsam fortschleppen, deren bleiche Gesichter und erloschenen Augen nur zu deutlich das Übel bezeichnen, an dem sie leiden; ein Boden, bald durch Regenströme überschwemmt, bald durch tropische Sonnenhitze ausgedörrt; eine mit Miasmen geschwängerte Luft, deren Einathmen nur mit Misstrauen und Besorgnis geschieht; ein Hafen, einer der schönsten des atlantischen Oceans; Matrosen; hie und da auf nahe dem Seegestade liegenden Hügeln große Heerden egyptischer Habichte; Tamarisken-Büsche; im Hintergrunde endlich Gebirge, die das Ganze begrenzen. Hiernach mögen Sie sich ein Bild der Insel St. Vincent vorstellen, auf welcher mein Aufenthalt nun wieder einige Wochen sein wird. Am 23. October kam ich hieselbst nach einer viertägigen glücklichen Überfahrt von Teneriffa an. Melancholisch und trübe waren meine ersten Empfindungen bei diesem zweiten Landen auf St. Vincent. Es ist dieser Inselgruppe eigenthümlich, dass die Einbildungskraft sie sich unter angenehmem Farben vorstellt, als die Wirklichkeit sie darbietet. Dieses Mal jedoch fand ich sie beim ersten Anblicke einladender, als bei meiner ersten Reise. Ein zarter grüner Teppich schien sich von den Hügeln bis zum Strande hinabzuziehen, und in den Thälern ließen sich an ihrem dunklen Grün Gruppen von baumartigen Euphorbiaceen erkennen. Ein Freudenschrei erhob sich unter den Reisenden des Dampfbootes: Que bonito! Que pintoresco! Aber wie bald änderte sich die Scene. Wir waren eben gelandet, als es sich ergab, dass sich nicht einmal eine hinreichende Anzahl tauglicher Arme vorfand, um das Dampfboot mit dem nöthigen Steinkohlen-Vorrathe zu versehen; so sehr hatte das Fieber gewüthet und wüthete noch fort. – Herr Rendall, der englische Consul, war abwesend; er hatte mit Frau und Kindeskindern auf Madera eine gewissere und schnellere Genesung gesucht. Von seinen beiden Söhnen, die mich mit ausgezeichneter Güte aufnahmen und seitdem immer als alten Freund und Unglücksgefährten betrachteten, fand ich den einen vom Fieber so abgezehrt, dass ich ihn kaum wieder erkannte, der andere war wirklich noch fieberkrank. Von ihm erfuhr ich, dass seit meiner Abreise die Krankheit wahrhaft epidemisch geworden, schrecklich unter der Bevölkerung gewüthet habe und erst seit Kurzem im Abnehmen sei. Von einer nicht sehr starken Bevölkerung, die schwebende der Handelsschiffe mit eingeschlossen, starben an 600 Personen in diesem unheilvollen Jahre. Bald getraute ich mich nicht mehr nach Freunden und Bekannten zu fragen; denn stets hieß es: todt, oder am sterben. – Die Unterhaltungen, die sich nur auf solch traurige Gegenstände, als Krankheit, Sterbefälle und Begräbnisse beschränkten, haben meine Anfangs sehr reizbaren Nerven jetzt abgehärtet; ich fühle mich jedoch immer traurig gestimmt, wenn ich auf meinen botanischen Wanderungen diese ausgestorbenen Hütten erblicke, deren ganze Familien das Fieber weggerafft, und die nun traurig und verödet, dem Verfalle nahe, dastehen. – Meine Lage hier ist unsicher und gefahrvoll; glauben Sie jedoch nicht, dass ich als Feigling zittere und verzage, und seien Sie in dieser Hinsicht meinetwegen ohne Sorgen. Meine gute Gesundheit soll Sie über mein Schicksal und den Erfolg meiner Unternehmungen beruhigen, und ich glaube, die Organisation meines Körpers ist besonders dazu geeignet, den bösartigen Einflüssen dieses Klima’s Trotz zu bieten. Ich werde keine Gelegenheit entschlüpfen lassen, Ihnen Nachrichten von meinen Wanderungen und deren Erfolg zukommen zu lassen; da aber mehrere der Inseln, die ich zu durchforschen gedenke, nur seltenen Verkehr unter sich und mit Europa haben, so möge Sie ein vielleicht etwas langes Stillschweigen keineswegs beunruhigen.
Nach langem Suchen habe ich endlich eine anständige Wohnung beim Consul der Vereinigten Staaten gefunden. Ich habe daselbst ein kleines Schlafzimmer mit einem guten Bett und den Genuss eines großen, allen Bewohnern des Hauses gemeinschaftlichen Salons, der mir zum Trocknen der Pflanzen äußerst wichtig und bequem ist. So sehe ich mich also nicht mehr gezwungen, um einen eben so hohen Preis eine jener afrikanischen Hütten zu bewohnen, deren Besitzer vor Kurzem dem Fieber erlegen sind. Was das Leben anbelangt, das ich so wie fast ohne Ausnahme Jedermann hier führt, so gleicht dies ziemlich dem eines „Backwoodsman“, wohlverstanden ohne „Woods“. Die dienstfähigen Leute, die Knaben sogar, sind, in Folge der zahlreichen Sterbefälle so selten und zu den Haus- und Feldarbeiten so unentbehrlich geworden, dass ich auf einen Führer gänzlich verzichten muss. Leicht geschürzt, wie das Klima es gestattet, mache ich also allein meine Ausflüge ins Innere der Insel, zwei oder drei Orangen als Vorrath in der Tasche.
Die Vegetation ist in gutem Zustande und verspricht eine ziemlich ergiebige Erndte; auf der Küste ist sie jedoch, da es im September wenig regnete, etwas spärlich. Die jetzt täglich herunterströmenden Regengüsse aber, die mich manchmal in meinen Ausflügen hemmen, werden das Verspätete nachholen. Ich habe letzthin den Monte Verde besucht, welcher mir nichts Neues darbot; ein anderer entfernterer Berg, der Maderal, scheint bis daher den Nachforschungen der Botaniker entgangen zu sein, obschon er durch seine Höhe, seinen Überfluss an Wasser und seine isolirte Lage die Aufmerksamkeit hätte auf sich ziehen sollen. Ich verspreche mir viel Gutes und Schönes von ihm. Ich bin erst bis zu seinem Fuße vorgedrungen, wo kleine von Sykamoren beschattete und gut bewässerte Schluchten, reizende und pflanzenreiche Landschaften sich darbieten. Der ihn umgebenden Ebene verdanke ich eine mir unbekannte kleine Composite (Habitus einer Conyza oder Solidago) und eine andere mir völlig unbekannte, vielleicht neue Pflanze. Morgen gedenke ich den Maderal zu ersteigen.
Ich werde vermuthlich nur bis zum 10. November auf St. Vincent bleiben. Ein kleines portugiesisches Kriegsschiff soll an besagtem Tage von daselbst nach Brava abgehen und auf Sal und Boavista anlegen. Brava und Fugo sind zwei sehr nahe gelegene Inseln. Das Klima von Santiago ist berüchtigt, während der einen Hälfte des Jahres eben so tödtlich zu sein, als das von Angola oder Sierra Leone. Ich gedenke Ende Dezember, also in der gesundesten Jahreszeit, dahin abzureisen.
Ich kann wirklich vom Glück sprechen, mich nicht auf einem Küstenfahrer eingeschifft zu haben, der vor drei Tagen von hier nach Brava absegelte. Die Heftigkeit des Windes verhinderte mich an Bord zu gehen, wie ich es beabsichtigte. Fünf oder sechs Stunden später scheiterte das Schiff auf den Felsen der östlichen Küste von St. Vincent und nur mit Mühe rettete die Schiffsmannschaft das Leben.
Und weiter aus der Bonplandia vom 15. April 1853: Als letzthin Bolle das traurige Bild der Fieberverheerungen entwarf, welches sich ihm bei seiner Ankunft auf den Cap Verdischen Inseln darstellte, glaubte er wol nicht, wie bald auch er dieses schreckliche Loos theilen würde. Laut seinem letzten Briefe von der Insel Brava vom 24. Januar war er wol jeglicher Gefahr glücklich entronnen; aber die Folgen der Krankheit dauern leider, besonders wenn keine Veränderung des Klima eintritt, lange fort. „Seit 4 Wochen“ sagt er, „schreitet meine Genesung kaum merklich vor. Eine außerordentliche Schwäche lähmt jede meiner Bewegungen. Auf einen Stock gestützt, einem Greise gleich, schleppe ich mich mühsam daher; ein viertelstündiger Spaziergang ist für mich ein weiter und mühevoller Ausflug.“ Er will jedoch noch einige Wochen abwarten und dann erst, wenn ihm seine zu langsame Genesung nicht gestatten sollte, der Wissenschaft, der auch er beinahe als Opfer fiel, weitere Dienste zu leisten, nach Europa zurückkehren.
Bonplandia vom 15. April 1853; Paris, 2. April 1853. Ein folgender Brief von Dr. Bolle von St. Vincent (Cap Verd) vom 12. März lässt uns seine glückliche Rückkehr daselbst wissen. Seine Genesung schreitet ihren langsamen, jedoch sichern Gang vor. In dem milden und reinen Klima der canarischen Inseln hofft er seine Gesundheit vollkommen herzustellen und dann nach Europa zurückzukehren. Eine neue Sendung Cap Verdischer Pflanzen ist wohlbehalten in Paris angelangt.
Bonplandia, 1. Juni 1853; Paris, 21. Mai 1853. Von Dr. Bolle, der leider seine Rückreise nach Europa hat antreten müssen, werden Sie nun wol in Hannover nähere Nachrichten haben, als wir in Paris. Von London schrieb er den 22. April, dass er hoffe, in 3 oder 4 Tagen in Berlin zu sein, und dass seine Gesundheit so ziemlich hergestellt sei.
Bonplandia, 15. Juni 1853. Hr. Dr. Bolle von Berlin wird auf nächstens in Paris erwartet, um seine Cap-Verdischen Sammlungen zu bearbeiten.
Bonplandia, 1. August 1853. Der vor kurzer Zeit von dem Cap Verden zurückgekehrte Dr. C. Bolle geht Mitte Juli über Halle, Leipzig und Heidelberg nach Paris, um seine dorthin gesandte Ausbeute mit Webb gemeinschaftlich zu ordnen, was, wie er hofft, in zwei Monaten abgethan sein wird.
Bonplandia, 15. August. Die Herren Dr. Bolle aus Berlin und Dr. Giurao aus Murcien befinden sich in Paris.
Bonplandia, 15. Dezember. Herr Dr. Bolle ist von Paris zurückgekehrt und hofft im Verlaufe des Winters das Verzeichniss der von ihm auf den Cap Verdischen Inseln gesammelten Pflanzen zu publiciren.
Die Bonplandia vom 1. Dezember 1854 veröffentlicht Bolles Die Palmen auf den canarischen Inseln.
Aus dem Frühjahr und Sommer 1854 gibt es Nachrichten von Bolle aus Teneriffa und vom Mai auch aus Lobos.
Am 31. August 1854 stirbt in Paris sein Freund und Kollege Philip Barker Webb. In der Leopoldina – am 15. Oktober 1855 wurde Carl Bolle in die Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinische Deutsche Akademie der Naturwissenschaftler aufgenommen – trägt Bolle seinen Namen als Beinamen. Barker Webb vermachte sein Herbarium dem Großherzog von Toscana testamentarisch und Prof. Parlatore packte die Sammlung ein.
Bonplandia, 15. Januar 1855. Prof. Parlatore gedenkt Webb’s durch den Tod unterbrochenes Werk Synopsis fl. Canar. fortzusetzen und zu vollenden. Er hat Dr. Bolle in Berlin deswegen gebeten, seine Sammlungen canarischer Pflanzen, die sich in Webb’s Hause befinden, für’s Erste behalten und mit nach Italien nehmen zu dürfen, wozu ihm auch Dr. Bolle bereitwillig seine Zustimmung ausgedrückt hat.
Ob Bolle im Jahre 1855 auf den Kanarischen oder Kapverischen Inseln war, konnte ich nicht feststellen. Erst ab Februar 1856 gibt es Nachrichten aus Madeira und danach aus Teneriffa, Gran Canaria und Gomera. Später veröffentlicht die Bonplandia solche persönlichen Einzelheiten nicht mehr.
Bonplandia, 15. März 1856. Am 1. Febr. verließ Dr. Bolle England, um sich nach Teneriffa zu begeben; das Schiff, auf dem er sich befand, bekam jedoch einen starken Leck und war genöthigt, wieder nach Plymouth zurückzukehren. Die Pumpen waren 5 Tage beständig in Bewegung; glücklicher Weise war das Wetter gut, sonst wäre das Schiff höchst wahrscheinlich untergegangen.
Bonplandia, 1. Mai 1856; London, 17. April. Einem Privatbriefe Carl Bolle’s an Berthold Seemann, datiert St. Cruz de Tenerife, den 15. März 1856, entnehmen wir folgende Stellen:
Meine Reise hieher, nachdem wir England endlich definitiv verlassen, ist eben so schnell als glücklich von Statten gegangen. Ein frischer Nordostwind, mit kurzen Ausnahmen ununterbrochen wehend, trieb uns mit vollen Segeln Madeira zu, welches wir nach einer Fahrt von 6 Tagen erreichten, und wo in heiterer Gesellschaft ein höchst iteressanter Rasttag gemacht wurde. Das reizende Funchal hat sich ja auch wol Deinem Gedächtnisse unverlöschlich eingeprägt. Du kennst die wilden, lustigen Ritte zwischen den hohen Mauern, die die Palme überragt und die Rosenguirlanden krönen, die stiergezogenen Schlitten, die seltsamen Mützen, die Landhäuser und Drachenbäume, den südlich-blauen Himmel, das blaue Meer, kurz alle die Vorzüge und Seltsamkeiten, welche die einst den Gottheiten des Weins geweihte Insel so verführerisch erscheinen lassen. Jetzt herrscht leider großes Elend unter den Einwohnern. Seit 4 – 5 Jahren hat es keine Weinlese gegeben; nicht nur die Trauben verdarben, nein, an vielen Orten starben sogar die Stöcke bis zur Wurzel. Cochenille und Zuckerrohr, die man jetzt vorzugsweise baut, liefern für den Verlust der Reben nur einen unvollkommenen Ersatz; doch gab das frische Frühlingsgrün der Rohrplantagen der Landschaft schon von Weitem einen überaus heitern Anstrich. Es wird kein Zucker bereitet, nur Branntwein aus der Caña gewonnen. Die Noth lehrt nicht nur beten; auch arbeiten. So suchen denn die Madeirenser durch Betriebsamkeit zu ersetzen, was die sonst so gütige Natur ihnen jetzt stiefmütterlich versagt. Sie bieten dem Fremden tausend kleine Arbeiten zum Verkauf an: Körbchen, aus Rohr geflochtene Stühle und Vogelbauer, Kästchen aus einheimischen Lorbeerholze, Schnitzwerk, gemachte Blumen, – ja sogar, – um auch die Botanik nicht leer ausgehen zu lassen, kleine Farrn-Herbarien, in denen die Filicin-Flora des Eilands ziemlich vollständig repräsentirt ist. – Bald ging es weiter; der nicht zu versäumende Kanonenschuss rief uns an Bord des „Retrievers“ zurück, nachdem ich vergeblich das Meinige gethan, mir an Bananen – deren erste ich einst hier genossen – eine Indigestion zuzuziehen. Nach 36 Stunden Wellengeschaukel, bei dem man in enger Koje die Theorie der Pendelschwingungen an sich selbst studiren konnte und die Gipfel der Canaren brachen durch Regen und Wolken. Vergessen war die Seekrankheit, vergessen war due „Biscay’s sleeples bay“ und alle kleinen und großen Leiden der Überfahrt. Noch ein Händedruck den freundlichen Gefährten, mit denen ich in Plymouth 14 vergnügte Tage verlebte – und ein Boot trug mich an’s Land; ich sprang die Treppe des Molo hinauf, „Buenos dias Dr. D. Carlos!“ riefen ein paar bekannte Stimmem; das Ziel meiner Reise war erreicht.
Dieser Winter ist für die Canarischen Inseln ein ungemein rauher gewesen; noch in den letzten 14 Tagen, den ersten meines hiesigen Aufenthalts, ist der Regen oft in Strömen geflossen. Dies und die im Gebirge rollenden Steine haben bis jetzt jede weitere Ausflucht unmöglich gemacht. Mein alter, verehrter Freund Berthelot (1848 kunsularischer Vertreter, 1867 – 1874 Konsul für Frankreich) hat mit gewohnter Liebenswürdigkeit alles Mögliche gethan, mir den Aufenthalt hieselbst angenehm zu machen. Ich bewohne in einer spanischen Fonda ein großes, sehr einfaches Zimmer, das schon anfängt sich mit botanischen und anderen Trophäen zu decorien, sporne mein Maulthier durch die Barrancos und erleichtere mein Herz durch kräftige Caramba’s, wenn einmal der Puchero zu Mittag weniger gut gekocht auf den Tisch erscheint oder der catalonische Wein allzu sauer schmeckt. Denn auch hier sind seit 3 Jahren die Trauben gänzlich missrathen und man trinkt fremde Sorten auf canarischen Boden, der bereits Shakespeare in Hinsicht auf den Wein ein classischer war.
A propos, was meinst Du zu einer Serie von „botanischen Briefen aus Teneriffa etc.?“ Ich wäre der Mann, sie aus meiner Feder fließen zu lassen, trotz der göttlichen Trägheit, die man hie mit der Luft der 7 gläcklichen Inseln einathmet. Ich bin auch im Bergiff, einen Aufsatz über die Geschichte und Statistik des Cochenillebaus hieselbst zu schreiben, dessen Materialien Berthelot mir liefern will. Überhaupt denke ich es mir ganz hübsch, hier auch literarisch thätig zu sein und mich dem Publikum der Bonplandia im Gedächtnis frisch zu erhalten. Wenn diese Vorsätze Dir angenehm sind und Du mich darin bestärken willst, so schreibe mir bald.
Binnen Kurzem trete ich einen weiteren Ausflug in die Banda del Sul, nach Guimar und Chasna an: setze vielleicht auch bald nach Gran Canaria hinüber. … Dein etc. Carl Bolle.
Bonplandia, 1. Oktober 1856; Sta. Cruz de Tenerife, 1. August1856. Wie stehts mit der Bonplandia? Sagen Sie diesem würdigen Organe, dass ich die botanisch unbekannten Reiche der großen Canare auf das Eifrigste durchforscht und mich mit ihrer Vegatation, nicht ohne einige glückliche Funde, vertraut gemacht habe; überhaupt wol unter den jetzt Lebenden, wozu der akademische Name, den ich führe (Webb), mich, ohne unbescheiden zu sein, berechtigt, diejenige Persönlichkeit bin, welche die so unerschöpflich reiche canarische Flora, mit all ihren Eigenthümlichkeiten, am genauesten studirt hat und kenne. Ich habe unter Andern auch eine Chara und eine Fluviatile Isoëtes aufgefunden. Alle Länder der Welt, sagte mir Alex. Braun, ehe ich abreiste, haben Chara; sollten die Canarien allein keine besitzen!? Wenigstens ist bis jetzt keine auf ihnen entdeckt worden. Diese Frage des großen Charalogen hat nun ihre Antwort. Im feuchten Sandgrunde des Lagunen von Maspalomas steht sie geschrieben. – Ich bleibe noch etwa 14 Tage auf Teneriffa und werde dann nach der kleinen, einsamen Waldinsel Gomera hinübersegeln. Ich liebe große Städte oder die stillsten und verschollensten Winkel der Welt. Da athme ich freier; da lächelt mir die ewig gütige Mutter Natur am freundlichsten zu und es spricht aus dieser gütigen Geberde, dass ich, wenn auch vernachlässigt und unvollkommen organisirt, doch nicht ganz ihr Stiefkind bin. Im October denke ich in England zu sein. …
Hier campiert jetzt ein schottischer Astronom, Mr. Smyth aus Edinburgh, mit einem enormen Telescop auf der Cumbre am Fuße des Teyde. Er ist verraten und verkauft hier, da er kein Wort Spanisch versteht.
Bonplandia, 15. Dezenber 1856; Bolle auf den Canarischen Inseln. Sta. Cruz auf Teneriffa, den 12. August 1856. Du weißt, dass ich 3 Monate auf Gran Canaria zugebracht habe. Seit Kurzem bin ich nach Teneriffa zurückgekehrt und habe mein altes Standquartier zu Sta. Cruz wieder bezogen, von wo aus ich, nach einigen Excursionen, die ich hier noch vorhabe, nach Gomera hinüberzusegeln entschlossen bin und mit der Durchforschung dieser wenig gekannten, waldreichen Insel den botanischen Feldzug dieses Jahres zu schließen gedenke. – Hier macht der Sommer jetzt seine Rechte geltend; vom nie bewölkten Himmel ergießt die Sonne ihre fast senkrechten Strahlen über die versengte Erde, über das tiefblaue Meer, an dessen fernem Horizonte die anderen Eilande ihre duftigen Silhouetten abzeichnen. Nur wo Wasser in natürlichen Rinnsalen oder künstlicher Überrieselung vorhanden ist, spricht noch frisches, blüthenerzeugendes Grün von der nie erlöschenden Lebenskraft der Natur. Die seltsame Kleinia neriifolia allein entfaltet auf den Hügeln ihre schwefelgelben Blumen, denen die Blätter später folgen und Solidago viscosa beginnt zu knospen. Ringsum starrt der steinige Boden pflanzenarm von gebleichten Skeletten riesenhafter Disteln; der cactusähnliche Dom der Euphorbia canariensis, hier Cardon genannt, lässt seine rothen Kapseln, aufspringend und die Samen weithin verstreuend, wie seine im Habitus so verschiedenen Schwestern: E. piscatoria und balsamifera ihre Blätter, – fallen; die Bäche der Barranco’s sind zu einer Reihe unregelmäßiger Lachen in den tiefen Felsenkesseln zusammengeschrumpft; man schreitet trockenen Fußes über ihre Mündungen ins Meer. Nur die meisten Bäume und viele immergrüne Sträucher bewahren, zum größten Theile mit Früchten beladen, ihr Laub. So siehts am Littoral aus, während hoch oben freilich noch der Lorbeerwald in ewiger Frische prangt und eine reiche Welt von Farrn in seinem Schatten birgt. Nachts röthen hin und wieder Gluthmeere den Himmel; man überliefert die hohen und starken Stoppeln der Cerealien der Flamme, um durch ihre Asche die Felder zu düngen. Das täuscht dann wohl einmal den Seefahrer, der vom hohen Meere aus sich der Illusion eines vulcanischen Ausbruchs hingiebt, wie das ganz neuerdings noch meinen Landsleuten von der Corvette „Amazone“, die ein paar Tage lang hier anlegte, auf sehr zu entschuldigende Art wiederfahren ist. Doch glücklicher Weise ruht der alte Teyde seit vielen, vielen Jahren und begnügt sich damit, uns armen Erdensöhnen Eis zur abendlichen Erfrischung, neben dem kühlen Bade in der See hier so unentbehrlich, zu spenden. Mehr als ein halbes Jahrhundert durch hat Teneriffa weder Lava fließen, noch Aschenregen fallen sehen. Wie fruchtbar und folgenreich ist diese Epoche nicht allein für diese eine, nein für alle sieben canarischen Inseln gewesen! Die Cultur ist mächtig fortgeschritten; sie hat, Terrassen auf Terrassen thürmend an den Flanken des Gebirgs, dem Pflug und der Hacke unterworfen, was zu unterwerfen war; sie hat in kühnen Aquäducten das segenverbreitende Wasser überall hingeführt; sie hat mit der Cochenille ein neues und mächtiges Element des Nationalwohlstandes aus dem einst spanischen Amerika hierher verpflanzt. Fremde Forscher, große und berühmte Namen unter ihnen, sind gekommen ein helles Licht über die Naturgeschichte des Archipels zu verbreiten, an hier Gegebenes anknüpfend die wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft zu lösen. Zahllose Dampfer, die fast täglich anlegen, haben in jüngster Zeit Teneriffa zu einem Centrum der Schifffahrt des atlantischen Oceans gemacht. Aber in den letzten 4 - 5 Jahren ist auch ein schlimmer Gast erschienen, das nie tief genug zu stellende, energisch genug zu verwünschende Oidium Tuckeri, das Grab aller Winzerfreuden, der Ruin Madera's, dies schnöde Cryptogam, welches mich zwingt im Gasthofe schlechten catalonischen Tinto, statt des schon von Shakespeare gefeierten Canariensektes, zu trinken. Du weißt, dass es auf Madera mit der Weincultur zu Ende ist; bis auf die Wurzel sind die Reben ohne Ausnahme abgestorben; man ist zum Anbau des Zuckerrohres, mit dem man im 15. Jahrhundert begonnen, zurückgekehrt und destillirt Branntwein aus dessen Safte. Hier ist es nicht ganz so arg. In der Mehrzahl der Fälle hat die Krankheit sich damit begnügt, Zweige, Blätter und Trauben zu befallen, den Stamm der Rebe unversehrt lassend. Aber die Verluste sind nichtsdestoweniger unermesslich gewesen. An nur allzuvielen Orten hat man vollkommen auf den Weinbau verzichten müssen und den cochenilleerzeugenden Cactus (Opuntia Tuna) dafür angepflanzt. So hat das weltberühmte Thal von Orotava, welches Humboldt so enthusiastisch feiert, einen großen Theil seiner landschaftlichen Reize eingebüßt und pflanzenphysiognomisch ein ganz anderes Gewand angelegt. Zum Glück ist ein Fortschritt zum Besseren fühlbar. Die Geduld des Menschen scheint die Wuth des Cryptogams zu ermüden, das böse Princip der Reue zugänglich zu machen. Eine liebenswürdige junge Frau sagte mir noch vor Kurzem, als Christin betrachte sie den Wein wie ein Sacrament, ein solches aber könne nicht verloren gehen. Beiläufig gesagt, sie hat noch andere Gründe, seinen Verlust nicht zu wünschen, da ihr Gatte der Chef eines der größten hiesigen Wein-Exportgeschäfte ist. Auf dem Lande giebt es fromme Seelen, die in dem Oidium eine Zuchtruthe des Himmels wegen Abschaffung des Zehnten an die Geistlichkeit erblicken. Wie dem auch sein möge, die Intensität der Pilzbildung scheint sich in etwas erschöpft zu haben. 1856 giebt es wenigstens Trauben zum Essen, während 2 Jahre hindurch der Nachtisch vollkommen verwittwet dastand und an einigen Orten ist selbst Hoffnung vorhanden, etwas Wein zu erndten. Merkwürdig genug, hat auf Canaria die blaue, auf Teneriffa die weiße Traube besser widerstanden. Leider sollen mehrere der vorzüglichsten Sorten, namentlich der herrliche Muskateller gänzlich erlegen sein. Auch die Kartoffelkrankheit ist im Nachlassen; nur die Winterfrucht hat in diesem Lande der 3 Ernten starke Symptome derselben gezeigt; die des Sommers ist gut gerathen, was um so größere Wichtigkeit hat, da neben dem Salzfisch die Knolle von Solanum tuberosum hier, wie in Deutschland, Volksnahrungsmittel ist. Gegen die Ausfuhr dieser Frucht nach Havanna hat Canaria vor Kurzem sogar eine Kartoffelrevolulion erlebt. — Leider hat ein ähnliches Übel andre Culturpflanzen, hier den Apfelbaum, auf Ferro den Feigenbaum befallen. Wir leben nun einmal in einer Periode vegetativer Epidemien. – „Region botanique“ nennt Berthelot, und mit Recht, die canarischen Inseln. Sie sind den Freunden der Pflanzenkunde in der Neuzeit lange gewesen, sind ihm zum Theil noch, was das alte Creta zur Zeit der Renaissance, als unsre Wissenschaft in Bologna und Padua, am Rhein und in den Niederlanden wieder zu erwachen begann, der Botanik des 16. Jahrhunderts war. Reichthum und Mannigfaltigkeit der Formen, Farbenpracht der Blüthen, Reminiscenzen an Heimisches zu idealeren Gestaltungen emporgehoben, was wir als Kraut zu sehen gewohnt waren, die Echien, die Staticen, die Chrysanthemen, zum zierlichen Bäumchen geworden, das Grün der Blätter bei so vielen Labiaten und Compositen in weichen, weißen Sammt verwandelt; dazu Überfluss an Farrn und Schönheit der immergrünen Waldriesen; die strotzende Üppigkeit zahlreicher Semperviven zuletzt: das Alles sind Vorzüge, die der Flora dieses Archipels in ästhetischer Hinsicht einen hohen Rang, den zweiten vielleicht unter allen cxistirenden, nach der des Caps anweisen. Was sie außerdem noch characterisirt, ist ein bedeutender Grad von Localität. Sehr viele ihrer schönsten und hervorragendsten Bürger sind an äußerst beschränkte Standorte gebunden; benachbarte, durch hohe Gebirgsrücken von einander geschiedene Thäler bieten nicht selten einen ganz abweichenden physiognomischen Anblick dar; der Gegensätze kaum einmal zu gedenken, die in vielen Beziehungen zwischen den verschiedenen Eilanden selbst herrschen. Hierin und in der großen Zerrissenheit des Terrains liegt das Geheimniss des fast unerschöpflichen Reichthums dieser Flora, die nach Menschenaltern noch den Sammlern und Forschern ihr letztes Wort nicht gesagt haben wird. Und doch ist dieser Boden quantitativ und qualitativ ausgebeutet wie kaum ein anderer. Mit vollen Händen haben die Herbarien, hat die Gartenkunst hier geschöpft. Ich will nur eine einzige Gattung erwähnen; nehmen wir die Cinerarien, deren Typen, in Europa durch Bastardirung verwischt und fast verloren gegangen, wir hier in ihrer ganzen Ursprünglichkeit artenreich im feuchten, frischen Waldesschatten wuchern sehen. Bereits im 17. Jahrhundert waren die Gärten Englands reich an canarischen Gewächsen, wie vielmehr 100, 150 Jahre später, als der unermüdliche Masson, der Bourgeau seiner Zeit, dem Hortus Kewensis, dessen bloßer Name damals, wie Du selbst so glücklich gesagt, identisch mit botanischer Wissenschaft war, in reichen Sendungen das Beste und Ausgezeichnetste dieser Inseln gab. Freilich ist manche Pflanze, die der Stolz und die Freude unserer Väter war, seitdem aus den Gärten wieder verschwunden, von der übergroßen Menge des Neuen erstickt worden, in dem Maaße verloren gegangen, dass selbst die Tradition an ihre Heimath, an ihren Standort, im Gedächtniss der Botaniker erlosch. Ja, mein Freund, es giebt auf den Canaren mysteriöse Species, die den älteren Pflanzenkundigen wohl bekannt, sich seit 60 - 70 Jahren in solches Geheimnis zu hüllen gewußt haben, dass ihr Wiederauffinden noch lange ein Problem bleiben wird. Die Linné-sche Schule war nicht sorgsam im Aufzeichnen der Localitäten, sie begnügte sich mit Angaben vager Allgemeinheit. Broussonet hatte wenig eigenhändig gesammelt; das meiste sich durch seinen treuen Diener zutragen lassen. Wenn man ihn, lange nachher, zu Montpellier über die exactere Heimath der Seltenheiten seines Herbariums befragte, pflegte er, der im Greisenalter fast ganz das Gedächtnis eingebüßt hatte, zu antworten: „Demandez à Joseph“. Und Joseph, derselbe Diener, der ihm auf der Flucht vor den Schrecken der Revolution nach den Inseln des Oceans gefolgt war, traf dann auch wohl meist das Richtige und wusste anzugeben, ob Marocco oder die Fortunaten der Boden sei, dem das fragliche Gewächs entstamme; mehr jedoch selten und ob ersteres immer, mag dahingestellt bleiben. So dürfte denn mehr als eine mauritanische Art als canarisch figuriren und der künftigen Erforschung des Littorals vom Magreb und der Atlasthäler des Westens entgegenharren, um ihr Alibi zu beweisen. In der Botanik ist es nicht ganz wie in der Algebra; die Auffindung des Halbgekannten reizt in ihr oft mehr, als die des ganz Unbekannten. Lass uns daher hier in kurzen Worten die Species dieser Categorie durchmustern. Ich werde nicht so viel von Räthseln reden, ohne wenigstens einige derselben lösen zu können. Ein Recht, den Gegenstand zu behandeln, möchte ich mir aus dem Grunde nicht ganz absprechen, da es mir gelungen ist, 3 - 4 dieser Pflanzen wieder zu entdecken und somit den Schleier ihres Geburtsortes zu heben. Niemand weiß bis auf den heutigen Tag, in welchem „Thal bei stillen Hirten“ Masson die Bryonia latebrosa Soland. in Hort. Kew aufgefunden hat. Kein sterbliches Auge kann sich rühmen, sie nach ihm erblickt zu haben, obwohl Berthelot und Webb auf das Emsigste nach ihr gesucht haben. Ein Exemplar im Banks’schen Herbarium ist, glaube ich, Alles was wir von ihr kennen oder besitzen. – Cytisus albidus ist ein netter, kleiner Strauch mit schneeweißen Blüthen, den ich in dem verwilderten botanischen Garten von Orotava angepflanzt gesehen habe. Er erhält sich dort ohne Zuthun des Menschen. Ich hoffe, Samen davon mitbringen zu können. Aus einem entlegenen und verborgenen Thale haben die eingebornen Sammler des Gartengründers D. Juan de Nava, Marquis de Villa Nueva del Prado, ihn zugleich mit jener scharlachblüthigen Malvacee, der Navaea, und andern Seltenheiten, geholt. Dies Thal kennt Niemand zur Zeit, ich denke aber es wird gefunden werden und beneide den künftigen Entdecker um seine Freude. — Dorycnium Broussonetii Webb und B., Lotus B. Chosy in DC prodr. vol. 2, p. 211. Icon in Webb’. pl. Nr. 57. Standort unbekannt. Wir zweifeln nicht daran, sagen die beiden Autoren, dass dies Dorycnium unserer Flora angehöre. Ein einziges Exemplar,von Broussonet gesendet, von Heyland gezeichnet, befindet sich im Decandolle’schen Herbarium. - Schöner noch und von ebenso ungewisser Herkunft ist Dorycnium spectabile W. B., Lotus, Choisy in DC. prodr., zweifelsohne aus Teneriffa. Unser verstorbener unvergesslicher Freund Webb hatte Gelegenheit, diese Art im Broussonet’schen Herbarium, damals im Besitz des Herrn Bouché Doumeny in Montpellier zu sehen und einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Er fand sie auf der Etikette von Broussonet eigenhändig als Lotus polycephalus bezeichnet. Beigefügt lag eine gute Abbildung von dem canarischen Künstler Don Lorenzo Pastor. „Nos, sagt Webb in seinem Werke, nullibi invenimus. Icon nostra sumpta est a specimine herbarii Candolleani atque ejusdem ramo, quem viri illustris manificentiae debemus ad descriptionem nostram usi sumus.“ Mithin existiren von Dorycnium spectabile nur 2 Herbarienexemplare, ein in Genf, das andre in Montpellier. — Centaurea canariensis Broussonet ist von diesem bei Laguna gefunden; seitdem von Niemand wieder gesehen worden. — Greenovia (Sempervivum) dodrantale Willd. soll im Barranco de Martianez bei Orotava wachsen; jetzt in denselben Falle, wie die Vorige. Nicht minder die der Statice arborescena nah verwandte St. Preauxii, auf Canarîa von Deapréaux gesammelt und nach Pa ris gesandt; Scilla Berthelotii (in rupestribus maritimis humidiusculis, Berthelot, aber wo?); Scilla iridifolia, von welcher ein Broussonetsches Exemplar in Desfontaine’schen Hb. liegt; Urginea hesperia W. B., die in Gesellschaft von Scilla maritima vorkonmen soll; Si lene canariensis Spr., nur auf Sprengels Autorität hin als canarische Species angenommen, ferner die halbweifelhaften Semperviven: S. frutescens Haw, S. laxum Haw und Youngianum W. B., wenn Letzteres sich nicht als identisch mit einer großen und schönen Art herausstellt, die ich im Juni d. J. am Fuß des Cumbre von Tenteniguada auffand, aus Mangel an literarischen Hülfsmitteln jedoch nicht genau zu bestimmen im Stande war. — Auf einem meiner ersten botanischen Spaziergänge in Teneriffa, December 1851, hatte ich das Glück am hohen Meeresufer hinter Taganana im äußersten Norden der Insel, Salvia Broussonetii wieder aufzufinden. Diese schöne Labiate war von Webb und Berthelot nach einem Exemplar abgebildet worden, welches wahrscheinlich von Broussonet gesammelt, aus dem Lambert’schen Herbarium in den Besitz des leider bereits verstorbenen Dr. C. Lemann zu London übergegangen war. Ein zweites Exemplar befindet sich in dem an interessanten canarischen Pflanzen reichen Willdenow’schen Herbarium, sub No. 5870. Dies ist ausdrücklich ,,Broussonet“ signirt und trägt, — ob richtig oder nicht, — als Angabe der Nativität die Bezeichnung „e Mauritania tingitana“. Die oben schön hellgrünen, unten weißfilzigen, netzförmig geaderten Blätter dieser Salvia werden sehr groß, „comme des choux“ schrieb mir Herr Berthelot von einem durch mich in seinen Garten verpflanzten Specimen. Webb wusste noch nicht, ob die Pflanze perennirend sei, ich konnte ihm versichen und es durch Exemplare beweisen, daß sie als Halbstrauch wachse, der seine hübschen, weißen Blüthen ziemlich das ganze Jahr durch zu entfalten scheint und wie die 3 Arten, von denen in den folgenden Zeilen die Rede sein wird, der Region des Littorals angehört. Ich habe Salvia Broussonetii später noch an einem andern Orte, im Thale Ygueste und auf den umliegenden Bergen, der Atalaya gegenüber, angetroffen, und sie ist durch mich nicht allein in den Garten des französischen Consulats zu Sta. Cruz, sondern auch in den Berliner Institutsgarten, in welchen letzteren ich sie unter der Pflege meines Freundes, Herrn Emil Bouché, aus Samen aufgehen und kräftig gedeihen sah, überge gangen. — Eine der elegantesten aus dem zahlreichen Gattungen der den atlantischen Inseln eigenthümlichen arborescirenden Cichoraceen, ist ohne Zweifel Prenanthes arborea Brouss., Sonchus D.C. Ein schlanker, wenig verzweigter, markiger Stamm entfaltet an seiner Spitze einen Schopf zarter, fein fiederspaltiger Blätter, die durch Form und anmuthige Wölbung den 5 - 7’ hohen Bäumchen vor der Blüthe Ähnlichkeit mit einem Baumfarrn verleihen. Die Blüthen selbst, nicht groß, aber vom schönsten Goldgelb und effectvoll durch ihre Menge, füllen eine langgestielte Trug dolde auf das Reichste. In Webb’s Atlas befindet sich eine gelungene Abbildung dieser Art. Seit langer Zeit war sie von Niemand wildwachsend beobachtet worden; doch besaßen sie früher aus canarischem Samen, wahrscheinlich von Broussonet mitgebracht, einige botanische Gärten Europa’s, aus denen sie sich nun verloren zu haben scheint. Kaum irgend eine andre Art verdiente mehr, wieder eingeführt zu werden als diese, welche namentlich jetzt, wo so viel Vorliebe für Blatt- und Decorationspflanzen herrscht, neben Prenanthes pinnata und einigen andern Gattungsverwandten eine Zartheit der Wirkung hervor bringen würde, die sich in unseren Gruppirungen durch eine Lücke fühlbar macht. Mir ist der Vorzug zu Theil geworden, Prenanthes arborea wieder zu ent decken. Sie wächst im Krater eines erloschenen, vulcanischen Eruptionskegels, der Montaña de Taco bei Sta. Cruz, da wo der erkaltete Lavastrom einst hervorgebrochen sein muss. Das weithin leuchtende Gelb der Inflorescenz machte mich von fernher auf das Bäumchen aufmerksam. Es war im Februar 1852. Aber die Eroberung kostete Mühe! Die „rara avis“ hatte sich in eins jener gewaltigen, von Dornen star renden, mehr aber noch durch ihre leichtfließende, giftige Milch vertheidigten Dickichte von Euphorbia canariensis geflüchtet, die so vielen schönen Pflanzen ein fast unverletzliches Asyl, namentlich vor dem Zahn der Ziegen, gewährt. Ich habe in April dieses Jahres den Standort wieder besucht und mich reichlich mit Samen versehen, den ich mitzubringen gedenke. Es sind zur Zeit an jenem Orte nicht mehr als 3 Exemplare von P. arborea vorhanden: 2 in Büschen der Eu phorbia versteckt aber stolz ihr Haupt über die blau-grüne Säulen-Masse erhebend, ein reizendes vegeta tives Bild; das 3. fast unzugänglich über einen Abgrund sich neigend. — Beinahe gleichzeitig mit Pr. arborea fand ich am Fuße eines andern vulcanischen Kegelberges zwischen Sta. Cruz und Laguna, Montaña de Enchofa oder de la Diosa genannt an ein und dem selben Tage zwei Pflanzen der uns hier beschäftigen den Kategorie. Convolvulus fruticosus Desrouss. (Rhodorhiza Webb) und Hypericum platysepalum, letzteres mit H. canariense und floribundum nahe verwandt und mit diesen, nebst einigen andern nahestehenden Arten von dem gern theilenden Spach zu einer kaum haltbaren Gattung Webbia erhoben. H. platysepalum bildet buschige Sträucher von 4 - 5’ Höhe und blüht sehr reich das Ende des Winters und den ganzen Frühling hindurch. Man hatte es nie wild gesehen, seit Ledru ein von ihm in Teneriffa 1797 gesammeltes Exemplar nach Frankreich geschickt hatte, besitzt es aber im Jardin des plantes zu Paris. Ein vollkommen Gleiches fand mit C. fruticulosus statt. 1787 sandte Collignon Samen davon nach Paris, wo die Pflanze jetzt nicht mehr existirt. Smith und Buch entdeckten ihn bei Taganana, wo alle Späteren ihn vergeblich gesucht haben. Ich fand ihn an einem Orte wieder auf, der so nah an der großen Heerstraße zwischen Sta. Cruz und Orotava liegt, dass der C. fruticulosus mit den vie len auf derselben passirenden Botanikern gleichsam Versteck gespielt zu haben scheint. Es ist eine aller liebste kleine Liane, mit violetten, rosa gestreiften Blüthen, deren dünne, aber dicht gedrängte holzige Ranken die Gebüsche von Bosea Yervamora und an dere Sträucher vollkommen umspinnen. Die Blüthen erscheinen schon im Winter und dauern bis in den Juni hinein. Die Samen, nach denen ich lange vergeb lich suchte, entwickeln sich indes erst unter dem Ein flusse der Sommerhitze. — Gestern habe ich von die ser interessanten Schlingpflauze einen zweiten Standort, wo sie häufig ist, auf der Höhe des Berges Pino de Oro, an einer Stelle, die Las Meses genannt wird, ganz zufällig aufgefunden. — Ich will nur noch einiger weni ger Pflanzen Erwähnung thun. Parolinia ornata, eine interessante Crucifere im Habitus dem Cneorum pulverulentum sehr ähnlich, wurde von Deapréaux auf Canaria ent deckt und lebend nach Frankreich gesandt, wo ich sie im Jardin des plantes selbst gesehen habe. Ihr nähe rer Standort ist ganz unbekannt. — Aspidium fuscatum Hb. Willd. Nr. 19791 (frondibus bipinnalis, pinnulis rhombeo-ovatis, obtuse dentatis, utrinque pilosis, stipite rachibusque pateaceis) von Bory de St. Vincent gesammelt, A. mohriuoides genannt und von der Bemerkung begleitet: „Teneriffa, auf Felsen, dem vestitum Sw. benachbart, aber verschieden; nie größer, stets mit gelber Wolle bekleidet, sehr schuppig, von Ansehn der Mohria thurifraga.“ Wenn hier keine Verwechselung mit einer an deren Species, etwa mit der auf den Canaren sehr häu figen Notochlaene vellea, dem Vaterlande nach obwaltet, wäre dies Farrnkraut eines der interessantesten unserer Hemisphäre. Keiner der Autoren, die über die canarische Flora schrieben, weiß ein Wort von ihm: ich selbst habe es im Willdenow’schen Herbarium gesehen und muss es für eine im Habitus höchst eigenthümliche Species erklären. — In gleiches Dunkel gehüllt sind noch 2 andere Arten von hier: das nur im Willd. Herbarium zu findende Aspid. canariense Willd. nec Alex. Braun und eine kleine, im Buch’schen Herbarium, ebenfalls zu Berlin vorhandene Art, frondibus integris, wenn ich nicht irre, als Grammitis griminea oder graminifolia bezeichnet. — Doch ich sehe, dass ich weitläufig geworden bin und Deine Geduld auf die Probe gestellt habe; ich muss es mir daher versagen, noch von einigen anderen inter essanten und wenig bekannten Pflanzen zu handeln, von denen ich allenfalls auch Lust hätte, mich mit Dir zu unterhalten; wie die herrliche Navaea phoenicea, einst zu Malmaison eine Lieblingsblume der Kaiserin Josephine, Gemahlin Napoleon’s, jetzt aus den Gärten verschwunden, das Arum cansriense W. B., die Lyperia canariensis, die nur in der Caldera von Bandama wächst. — Ich bitte Dich nur noch unserm gemeinsamen Freunde Mr. Newman, dem gediegenen Farrn kenner, zu sagen, dass Dicksonia Culcita im äußersten Norden Teneriffa’s durch den Vicomte de la Peyraudière entdeckt worden ist. Dein etc. Carl Bolle.
Bonplandia, 15. Dezenber 1856; London, 10. Dezember. Dr. Carl Bolle ist im vorigen Monate nach Deutschland mit einer reichen Ausbeute der Canarischen Flora zurückgekehrt. Er hat die Absicht, im nächsten Jahrgange der Bonplandia eine Reihe botanischer Briefe über die Canaren drucken zu lassen.
Mit dem Titel Addenda ad floram Atlantidis, praecipae insularum Canariensium Gorgadunque wurden dann in den Jahren 1859 – 1861 mehrere dieser botanischen Briefe gedruckt.
Bonplandia, 15. Februar 1857. Dr Bolle bringt von Madeira die Nachricht, dass Dr. Schacht diesen ganzen Winter auf jener Insel zuzubringen gedenkt.
Am 15. Oktober 1855 wurde Carl Bolle in die Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinische Deutsche Akademie der Naturwissenschaftler aufgenommen. Auch wirkte er in der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft und in der Brandenburgia, ein Heimatverein. Nach den Streitigkeiten in der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft war Bolle Mitglied der daraus sich abgegliederten Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und wurde 1884 ihr Präsident, nachdem die beiden Gesellschaften 1875 sich wieder vereinigten.
Seine kleine Sammlung von Vögelbälgen, die er im Laufe des Jahres 1856 zu Stande gebracht und für das Zoologische Museum in Berlin bestimmt hatte, ging während eines heftigen Sturmes zur See verloren. Seine ausgedehnten Herbarien hat das Herbarium in Berlin-Dahlem vererbt erhalten.
Für die Zeitschrift für allgemeine Erdkunde, 1861 - 1862, verwertete er seine mehrjährigen Studien auf den Kanaren: Die canarischen Inseln. Aus eigener Anschauung beschrieben. Als Naturforscher sieht er sich auf ihnen „von einer so kraftvoll selbstständigen Welt von Organismen umgeben, dass die Idee eines besonderen, seine Tätigkeit zugleich über Madeira und Porto-Santo, sowie über die Azoren und die Capverden erstreckenden Schöpfungsherdes ihm nicht aus dem Sinn will.“ In den botanischen Betrachtungen der Kanaren von Bolle, wie auch seiner Vorgänger und Nachfolger, werden die anderen ostatlantischen Inseln immer mit berücksichtigt, um etwas über ihre Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zu erfahren.
Im allgemeinen Teil dieser Artikelreihe schreibt er etwas zum Klima, zur geologischen Beschaffenheit, zum Gesundheitszustand – der wenig zu wünschen übrig lässt, über die reiche Ornithologie und über die Flora, die „durch Reichtum und Originalität der Formen, man möchte sagen durch eine Art Idealisierung der Species eine der merkwürdigsten der Welt“ ist. Nach dem Ackerbau schildert er auch seinen Eindruck von den Menschen, die den Acker bebauen, ihr Vergnügen an Singen, Tanzen und dem Genuss der Sinnenfreuden. Er schließt mit einem Blick auf die kartographischen Darstellungen.
Der zweite Teil ist ein historischer Umriss nach Plinius, der Entdeckungsfahrt von 1341 unter Niccoloso da Recco, der Ernennung Luis de la Cerda zum Herrscher (Princeps, nicht König wie oft falsch behauptet), den Eroberungsberichten von Bontier und Le Verrier. Dann beschreibt Bolle die Inseln einzeln, im dritten Teil Teneriffa, im vierten Gomera. Die anderen Inseln hat er leider nicht geschafft.
Auch in vier Teilen und ebenfalls in der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde machte er 1863 - 1866 seine Studien über die Standorte der Farrn auf den canarischen Inseln bekannt, nachdem einiges darüber schon in der Bonplandia erschien „Seit lange sind die canarischen Inseln wegen ihres Reichtums an Farrnkräutern berühmt. … Dabei verdient Berücksichtigung, wie, ungleich manchen anderen canarischen Florenbürgern, die Farrn als Urtypen einer echt aborigenen, unwandelbar sich gleichgebliebenen Vegetation dastehen. Die äußerst geringe Neigung zum Verwildern, welche sie an den Tag legen und ihr fast ausschließliches Vorkommen an von der Kultur unberührten Orten lassen uns in ihnen mit Bestimmtheit Bildungen erkennen, welche ungezählte Jahrtausende hindurch die Felseneilande der Atlantis, in deren Pflanzendecke sie eine so bedeutende Rolle spielen, mit Grün bekleidet haben und deshalb als Zeugen von deren ältesten Epochen zu betrachten sind.“
Zu allen 42 Farnarten gibt er an, wer schon darüber schrieb, nennt deren vorlinnésche Namen und die spanisch-kanarischen Namen. Dazu führt er deren Verbreitung nicht nur auf den sieben Inseln an, sondern auch das Vorkommen auf den kleinen Inseln, Azoren, Kapverden, Madeira und dem Rest der Welt. Das Vorkommen in seiner märkischen Heimat bemerkt er stets voller Stolz: der Adlerfarn auf dem Senziger Spitzberg, der schwarze Adlerfarn an den Mauern bei Sanssouci. Die dann folgenden Milieuschilderungen der Standorte sind brillant.
Mit dem für die Ernährung so wichtig gewesenen Adlerfarn – spanisch Helecho – beschäftigt er sich ausführlich. „… würde man versucht sein zu sagen, ein Unkraut des Kulturlandes, … eine zum Verzweifeln monotone jede fremde Vegetation erstickende Bodenbekleidung des Pinals und der Cumbren … Gemach! – Dies geschmähte Helecho ist ein Zeuge der glücklichen Armut der goldenen Guanchenzeit. In ihm liefert die Natur freiwillig einen Nahrungsstoff, dessen Anwendung sich in die Nacht vorgeschichtlicher Epochen verliert, der aber bis heute für die oft mit bitterer Not kämpfenden Bewohner der westwärts gelegenen kleineren Inseln (auf den übrigen scheint der Gebrauch unbekannt) eine wichtige Hilfsquelle geblieben ist und ihnen nicht selten, in Hungerjahren, über das Schlimmste hinweghalf. … Man begreift, wie wichtig dies Nahrungsmittel für die Hirtenstämme jener Gegenden sein musste, die außer Gerste kein Getreide kannten und, neben der Milch ihrer Herden, nur auf wenige wilde Früchte, sowie auf die Schaltiere und Fische eines Meeres, welches sie nicht zu befahren wagten, angewiesen waren.“
Nach diesen wissenschaftlichen Sammeln, Erforschen und Publizieren griff Bolle zu Hacke und Spaten, als er auf der Insel Scharfenberg – Berlin-Tegel – ein Arboretum mit 752 ausländische Gehölzen anlegte. Berlin hatte damit außer dem Botanischen Garten einen weiteren exotischen Park. 1922 wurde die ‚Schulfarm Scharfenberg’ – zunächst eine Sommerschule – im Wohnhaus von Bolle, als reformpädagogische Schule eingerichtet. Der Gründungsvater war der Lehrer Wilhelm Blume. Die Villa wurde 1951 abgerissen, einige von ihm gepflanzte Bäume haben sich erhalten.
Als nächste Veröffentlichung zur Botanik von Bolle kam 1891 die wichtige Florula insularum und 1892 Botanische Rückblicke auf die Inseln Lanarote und Fuerteventura heraus. „Ja, arm ist die Flora von Lanzarote und Fuertaventura; … Sie ist aus diesem Grunde, sowie ihrer Abgelegenheit vom Weltverkehr halber, von den Botanikern ziemlich bei Seite gelassen worden; wohl ein Motiv mehr, etwas Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden.“ „Es ist eine überaus bescheidene Flora, deren Umrisse hier schwach traciert worden sind. Das systematische Verzeichnis derselben habe ich im vergangenen Jahre … publiziert. Dasselbe enthält 415 Species. Was ich jetzt bringe, sind Betrachtungen über tatsächliche Zustände, die in der Floristik doch immer die Hauptsache bleiben, Erinnerungen und Zitate aus nicht Allen zugänglichen Schriften, von Raisonnement wenig, von Zahlenkram allein das Notdürftigste. Man wird aus der Unvollkommenheit dieser Studie herauslesen, wie schwer es fällt, selbst eine so einfache Natur, ich mag nicht sagen zu bemeistern, nein, nur liebevoll zu belauschen. Angesichts dieser langen Küstenlinie von Fels und Sand, dieser schwellenden Fruchtbarkeit neben saharischer Öde, wird der Mensch sich seiner Schwäche kosmischen Verhältnissen gegenüber bewusst. Er erkennt die Schwierigkeit, in jeden Erdwinkel nicht einmal großer und nur spärlich mit Grün gesprenkelter Inseln einzudringen. Den Eilanden ihr letztes vegetatives Geheimnis zu entreißen, kann nicht Aufgabe eines Einzelnen sein.“