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Empörung

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Auch am nächsten Morgen hatte sich die Marga noch nicht beruhigt, zumindestens nicht so weit, dass sie ihren alltäglichen Aufgaben in gewohnter Weise nachkommen konnte. Unmittelbar nach dem eiligst eingenommenen Frühstück verließ sie das Haus in Richtung Kirche, wo sie unverzüglich an der elektrischen Klingel des Röthenbacher Pfarrhauses Sturm läutete.

„Ja! Ich komm ja schon“, konnte man von drinnen eine ungeduldige Stimme vernehmen. Allerdings gehörte sie nicht dem Hochwürdigen Herrn Geistlichen Rat, dem eher gemütlichen Ortspfarrer Willibald Stiegler, sondern seiner seit kurzem im Amte waltenden neuen Haushälterin. Dazu ist es nötig zu wissen, dass nach dem unfreiwilligen Tod von Anneliese Lohmaier vor einigen Jahren, der Pfarrer sich nicht gleich aufraffen konnte zur Tagesordnung überzugehen und eine feste Nachfolgerin einzustellen. Irgendwie hatte sich in ihm wohl unterschwellig das Gefühl festgesetzt, dass es nicht schicklich sei, sich sofort nach Ersatz umzusehen. Er verhielt sich in dieser Frage nicht viel anders als ein Witwer, der sowohl aus kirchlicher, als auch aus traditioneller Sicht ja auch nicht im ersten Trauerjahr auf Freiersfüßen wandeln soll. Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Das Verhältnis zwischen Pfarrer Stiegler und seiner getreuen Anneliese war durchaus nie erotischer oder gar sexueller Natur. Aber gemocht hatte er sie schon sehr. Sie war wohl eher die Tochter, die er aufgrund seiner Berufung niemals haben würde.

Da er aber trotzdem unmöglich vom Fleisch fallen dufte und weil der Haushalt eine ordnende Hand brauchte, hatten sich zunächst einige ältere Frauen der Gemeinde in den einschlägigen Tätigkeiten abgelöst. Das war zwar gut gemeint, führte aber letztendlich nur zu einem heillosen Durcheinander, einem schier unübersehbaren Chaos, das letztendlich seinen Höhepunkt in einem handfesten Skandal fand. Als nämlich eine der laienhaften, in Ehren ergrauten Helferinnen mit viel Enthusiasmus, aber keinerlei Ahnung von modernen Hilfsmitteln wie Computern oder gar Online-Terminplanern, eine vorgesehene Hochzeit zum falschen Zeitpunkt in den Wandkalender eingetragen hatte, da war es endgültig so weit. Das Fass war übergelaufen. Es kam zum Eklat. Das festlich herausgeputzte Brautpaar nebst einer großen Schar von Freunden und Verwandten hatte sich vor der verschlossenen Kirchentüre eingefunden und wartete vergeblich auf den Segen der heiligen Mutter Kirche, der aber wegen der ausgebliebenen Information des Pfarrers leider ausbleiben musste. Eine endgültige Beendigung der Vakanz war unverlich geworden. Und so sorgte Pfarrer Willibald Stiegler höchstpersönlich dafür, dass die größtmögliche alle denkbaren Lösungen nun schon seit einigen Monaten in Gestalt von Walburga Prell mit tüchtiger Hand im Pfarrhaus für Zucht und Ordnung sorgte. Willibald und Walburga! Fehlte nur noch ein Wunibald, dann hätte die Dreiheit der Geschwister aus dem englischen Wessex, die im frühen Mittelalter Franken erfolgreich missionierte, in Röthenbach auf perfekte Art und Weise eine Wiedervereinigung feiern können. Alle drei Missionare waren seither Heilige der römischen Kirche, ein Umstand, der auf unsere aktuelle Röthenbacher Walburga leider nicht zutraf. Die Aussichten, es auf die geheime Kandidatenliste des Vatikans für künftige Ernennungen und damit eventuell sogar die Aufnahme in die Allerheiligenlitanei zu schaffen, waren auch eher gering, um nicht zu sagen aussichtslos.

Die zuvor angesprochene Zucht war nie das Problem, denn Pfarrer Stiegler war auch ohne die nunmehr allgegenwärtige Aufsicht von je her ein äußerst korrekter Mann, doch was die neue Haushälterin unter Ordnung verstand, sollte die Gemeinde bald mit staunenden Blicken erfahren. Zugang zum Hausherrn gab es nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des staatlich geprüften Hausdrachens. Das fragliche Diplom stammte von einer anerkannten Hauswirtschaftsschule und bestätigte der Besitzerin hervorragende Leistung in Küche und Haushaltsführung. Zudem konnte Frau Prell ein Zeugnis vom Landesverband der Pfarrhaushälterinnen in Bayern über eine erfolgreiche Fortbildungsmaßnahme bezüglich religionsspezifischer Belange vorweisen. In keinem der beiden Leistungsnachweise fand sich allerdings ein Hinweis auf das Fach Sicherheitstechnik oder gar auf eine Ausbildung als Personenschützerin, trotzdem hatte Frau Walburga, wie sie auf ihren eigenen Wunsch genannt wurde, eigene, sehr limitierte Vorstellungen von den Zugangsregeln zu ihrem Schützling. Die Verplanung ihres Vorgesetzten, der diese Bezeichnung schon nach nach wenigen Tagen kaum mehr verdiente, war bald schon perfekt organisiert. Auch der Ton im Pfarrhaus hatte sich seither massiv verändert, Verbote waren an der Tagesordnung. Selbst sein geliebtes Glas Rotwein am Abend war dem nominalen Hausherrn nicht mehr vergönnt. Die Kenntnisse seiner neuen Beherrscherin erstreckten sich leider auch auf die gesunde Ernährung. Alkohol war jetzt tabu, mit Ausnahme des Schlückchen Messweins natürlich, von dem Pfarrer Stiegler seither offensichtlich immer einen größeren Schluck nahm als man das jemals zuvor erlebt hatte. Der neue Chef hieß Walburga Prell, dem Pfarrer blieb nur noch die untergeordnete Abteilung religionstechnischer Service.

Die Pfarrhaustür ging einen winzigen Spalt weit auf.

„Guten Morgen. Was möchten sie?“

Leutseligkeit gehört ganz sicher nicht zu den hervorstechenden Eigenschaften von Walburga Prell. Zu ihrer Ehrenrettung muss man allerdings hinzufügen, dass in ihrem Bewerbungsschreiben auch keinerlei Anspruch auf diese Eigenschaft erhoben wurde.

„Grüss Godd! Ich muss unbedingd middn Herrn Bfarrer schbrechn, es iss wichdich“, gab Marga, die die abweisende Absicht sofort herausgehört hatte, kampfeslustig zurück. Doch die Frau hinter der feindlichen, hochgezogenen Zugbrücke war unnachgiebig. Fehlten nur noch ein Wassergraben und oben angespitzte Palisaden.

„Das ist im Moment leider nicht möglich. Der Herr Pfarrer ist beschäftigt. Er bedarf seiner Ruhe und kann jetzt nicht gestört werden. Schließlich muss er sich konzentrieren, wenn er seine Predigt vorbereitet!“

„Woss? Bredichd? Am Monndaach in der Früh? Dess glaubns doch selber nedd!“, empörte sich Marga über diese offensichtliche Unwahrheit. Dabei schwoll ihre Stimme mächtig an, teils aufgrund der Erregung über das bedrohliche Pamphlet, das sie aufgeregt wedelnd in ihren Händen hielt, teils wegen der abweisenden Haltung der unbeliebten und anscheinend auch vor glatten Lügen nicht zurückschreckenden neuen Haushälterin. Der kleine Konflikt schaukelte sich unaufhaltsam hoch.

„Was erlauben sie sich? Wollen sie etwa behaupten, ich würde ihnen die Unwahrheit sagen? Das ist ja unerhört!“, schimpfte die Verteidigerin der Pforte wutschnaubend zurück.

Von der Lautstärke des erregten Wortwechsels alarmiert kam Pfarrer Stiegler mit fragender Miene und schlurfenden Schrittes in den Hausflur. Gerade noch rechtzeitig um eine Eskalation in Richtung Handgreiflichkeiten zu verhindern. Marga hatte die Ellenbogen schon verdächtig ausgefahren.

„Was ist denn da los?“ Und als er die beiden Damen sah, die offenbar im Begriff waren sich ganz unchristlich an die Gurgel zu gehen, versuchte er beruhigend einzugreifen. „Aber meine Damen, was ist denn nur so wichtig, dass sie sich derart aufregen, wo doch heute so ein schöner Tag ist?“

„Schöner Daach? Dess werd gleich verbei sein mid dem schöner Daach, Herr Bfarrer, wenns dess erschd amal gleesn haben!“, ereiferte sich Marga, noch immer wütend wegen der versuchten Abweisung und streckte ihm vor Aufregung zitternd die rechte Hand mit dem verdächtigen Schriftstück entgegen. „Schauers no woss ich gesdern gfundn hobb auf unsern Sonndaachnachmiddachschbaziergang. Herr Bfarrer, dou will ihner scheinds irgndjemand Konkurrenz machen.“ Und verschwörerisch fügte sie hinzu: „Villeichd iss ja blouß a Schbinner, abber möglicherweis sogar aso a Seggdnheini, woss wass mer denn!“

Man wusste es nicht. Zumindestens solange der Geistliche den Text nicht gelesen und seine fachmännische Meinung dazu Kund getan hatte. Also bat er zu diesem Zweck die Marga herein. Anlass genug, ihrer Gegenerin im Vorübergehen einen entsprechend triumphierenden Blick zuzuwerfen. 1:0 für Marga Kleinlein. Pfarrer Stiegler ging voraus in das kleine Eßzimmer, wo immer noch die Reste seines unterbrochenen Frühstücks herum standen. Von wegen Predigtvorbereitung! Mit einer einladenden Handbewegung bat er die immer noch hell empörte Marga Platz zu nehmen.

„Kann ich ihnen noch ein bisschen was zum Essen anbieten oder einen Kaffee, Frau Kleinlein oder haben sie schon gefrühstückt?“

„Danke, Herr Pfarrer“, winkte Marga ab, „dess hobbi grad noch gschaffd, bevor ich mich zu ihnen aufgmachd hab. Und woss sangsn zu dem Schrieb?“

Der Priester nahm den mittlerweile schon etwas abgegriffenen Zettel zur Hand, rückte seine Lesebrille zurecht und las sich sorgfältig die darauf abgedruckte Drohung durch. Ein paar Augenblicke schien er noch zu überlegen, was er davon halten sollte. Dann aber hatte er sich offenbar entschieden, die Sache von der humorvollen Seite zu nehmen.

„Naja, Frau Kleinlein“, fing er an, „so ein richtiges Bibelzitat haben wir da nicht vor uns. Der Schreiber scheint eher alle möglichen Stellen aus dem alten Testament zusammengewürfelt zu haben, um seinen Zorn über einen Teil der Menschheit oder auch nur eine bestimmte Person auszudrücken. Er schreibt an einigen Stellen von dem Sünder und dem Freund des Satans. Vielleicht hegt er einen Groll gegen einen ganz bestimmten Mitbürger. Aber solange er das Handeln unserem Herrgott überlässt, scheint mir kein Grund zu ernsthafter Sorge zu bestehen.“

Mit diesen Worten nahm er seine Lesebrille wieder ab und schaute Marga bedauernd an.

„Aber“, wollte Marga ansetzen, doch der anerkannte Experte in Sachen biblischer Sprüche bedeutete ihr die Ruhe zu bewahren.

„Ich glaube, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen, liebe Frau Kleinlein. Solange diese Person nicht konkreter wird in ihren Anschuldigungen, können wir sowieso nichts unternehmen.“ Und eher scherzhaft fügte er hinzu: „Sie können ja einmal mit ihrem Mann sprechen, unserem allseits geschätzten Meisterdetektiv. Vielleicht hat er ja eine Idee oder es macht ihm sogar Spaß, Nachforschungen anzustellen. Für die heilige Mutter Kirche sehe ich jedenfalls keine Gefahr, die von diesem wirren Machwerk ausgehen würde.“

Nun war es an der zuvor überstimmten Walburga Prell, die immer noch abwartend im Raum verharrte, das verkniffene Gesicht zu einem triumphierenden Siegerlächeln zu verziehen. Ausgleich, es stand zumindest wieder 1:1. In der eigentlichen Sache hatte Hochwürden Stiegler ein klein wenig zur Beruhigung Margas beigetragen, wenngleich er ihre Bedenken nicht völlig ausräumen konnte.

Ganz anders sah es in den beiden Kommunikationszentren des Dorfes aus, wo die offenkundige Bedrohung der öffentlichen Sicherheit bereits heftigst diskutiert wurde. Marga hatte noch am Sonntagnachmittag bei Gisela und Simon Bräunlein angerufen, um den beiden von ihrem Fund zu berichten. Diese wiederum hatte die Meldung postwendend an die örtliche Verschönerungsanstalt von Lothar Schwarm und seiner Lebensgefährtin Maria Cäcilia Leimer weitergereicht, in deren Frisörgeschäft beziehungsweise Kosmetikstudio das Thema bereits ebenso hitzig diskutiert wurde wie in der Metzgerei Bräunlein. Jeder Kunde trug seinen Teil an Vermutungen bei, so dass sich bald ein regelrechter Flächenbrand in Röthenbach auszubreiten begann. Ein Brand, den weder die Feuerwehr noch vernunftbegabte Argumente zu löschen im Stande sein würden. Und wie es bei der Verbreitung diffuser Gerüchte unvermeidlich ist, kam bei jeder weiteren Station das eine oder andere erfundene, aber äußerst interessante Detail dazu. Es war wie mit einem winzigen Schneeball, der sich, einmal ins Rollen gekommen, im Verlauf kürzester Zeit zu einer veritablen Lawine entwickeln kann.

Eben diskutierte Gisela, die beste Fleischereifachverkäuferin des Ortes, die Auswirkungen der anonymen Schrift auf die Meinungsfreiheit des Dorfes mit einer der entsetzten Kundinnen.

„Und steht dou daadsächlich drin: Allah wird seine Engl sendn, mid flammende Schwerder und so? Allmächd, mier wern doch nedd aa nu Islamisdn odder gar Sallerfisdn dou her gräing. Allmächd na, dee schneidn doch sugor die Leit bei lebendichn Leib die Köbf ab! Dou sachd mer lieber nix verkehrds, sonsd kummd dou affd Letzd nu asu a Killerkommando.“

So weit wollte die Gisela denn doch nicht gehen. Nichts gegen ein interessantes Gesprächsthema, aber sie sah keinen Grund darin, unnötige und unberechtigte Panik zu verbreiten. Daher bremste sie die aufgeregte Kundin rasch ein.

„Wo homms nern dess her? Von an Allah stäihd dou nirgns woss. Blouß, dass anner im Ord iss, der wo middn Saddan im Bund iss und dass nern der Herr scho strafn wird. Der Herr, kanne Addndääder in lange Umhäng und anner Handgranaadn im Gürddl. Wemmer ner wissd, um woss dass dou genau gäihd und vor allem, wer der Sauhund iss, den die Rache des Herrn dreffn soll!“

„Und wosser genau angschdelld hodd. Dess müsserd mer hald rausgrieng! Dann kummerd mer villeichd aa drauf, um wen dass dou eigndlich gäihd“, warf eine der interessierten Damen ein.

„Schdimmd!“, rief Gisela und zeigte dabei anerkennend nickend mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Vorrednerin, genauso wie es früher der Lehrer Wohlgemuth immer gemacht hatte, wenn der seltene Fall eingetreten war, dass sie einen brauchbaren Beitrag zum Unterricht beigesteuert hatte.

„Abber bis etz wiss mer erschd amal nix, außer dass jemand andere Leit beschuldichd und ihner irgndwelche Racheengl aufn Hals wünschd.“

„Ein bisschen was sagt uns das schon, meine ich“, ließ sich Frau Sebald hören. Als Gattin eines bekannten, in der nahen Großstadt agierenden Anwalts schien sie die Sache analytischer anzugehen als die anderen Damen. „Zum einen könnte die Wortwahl darauf hin deuten, dass der Schreiber dieses anonymen Traktats eigentlich gar nichts weiß und nur seinem allgemeinen Frust über die verdorbene Welt freien Lauf lassen will. Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass sich die Vorwürfe gegen eine konkrete Person richten, der Ankläger aber nicht den Mut oder die Möglichkeiten hat, sich persönlich zu wehren. Ich, für meinen Teil, tippe auf Letzteres.“

So oder so ähnlich liefen die Verkaufsgespräche, besonders die sie begleitenden müsigen Reden, den ganzen Tag über ab. Man wusste zwar nichts, hatte dazu aber eine konkrete Meinung. Also alles wie immer, nur eine ganze Stufe höher angesiedelt als der übliche Dorftratsch, bedenklich nahe an der Hysterie.

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