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Der zweite Streich

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Giselas Birkenstockschuhe verursachten auf dem harten Fliesenboden des Verkaufraums ein klackerndes Geräusch, ähnlich dem eines Paars gegeneinander geschlagener Holzstöcke. Das Echo hallte durch das ganze Haus. Sie kam eben von der Wohnung und durch die Wurstküche in den angebauten Laden, um für einen neuen, hoffentlich eher ruhigen Tag aufzuschließen. Es war Dienstag früh. Nach dem allgemeinen Schlemmen am Wochenende war nun wieder die übliche kleine Flaute zu erwarten, die bis zur Wochenmitte dauern würde.

Gisela war gerade im Begriff, die Ladentür aufzusperren, als ihr unvermittelt ein Plakat in die Augen stach, das jemand unbefugt an die gläserne Eingangsfront geklebt hatte. Das ging aber gar nicht. Sie war ja wirklich nicht so. Sie war selbstverständlich immer gerne bereit auf ihrer Theke Reklamezettel für den Sportverein oder andere kleinere Geschäfte auszulegen, zum Beispiel die Änderungsschneiderei, die eine örtliche Hausfrau nebenbei betrieb, um die geringen Einkünfte ihres Mannes ein wenig aufzubessern. Das war überhaupt keine Frage. Man unterstützt die Dorfgemeinschaft ja wo man kann. Die Ladentüre aber war tabu. Der Eingang gehört, wie Gisela anlässlich eines Fortbildungskurses der Metzgerinnung gelernt hatte, zum öffentlichen Erscheinungsbild eines Betriebs. Er hat einen ordentlichen, in jedem Fall sauberen Eindruck zu machen, was den potentiellen Kunden im Gegenzug ein überzeugendes Bild von der ebenso ordentlichen und sauberen Arbeitsweise des Geschäftsinhabers vermitteln soll. Es ist schließlich immer der erste Eindruck, der zählt. Aus diesem Grund und weil die betreffende Schulung noch gar nicht so lange zurück lag, riss Gisela den störenden Zettel schwungvoll von der Glasscheibe und wischte mit einem feuchten Lappen sogleich die verschmierten Stellen nach, die der Klebestreifen hinterlassen hatte. Sie wollte das Blatt schon achtlos in den Abfalleimer werfen, als sie sich anders besann. Sie faltete das bereits zerküllte Papier noch einmal auseinander und nahm den Inhalt genauer in Augenschein. Vielleicht musste man mit dem oder der Verfasserin ein freundliches, aber bestimmtes Wort sprechen, damit so etwas nicht noch einmal vorkam.

Bereits nachdem sie die ersten Worte gelesen hatte schlug ihre anfangs noch heitere Miene urplötzlich um. Allmächtiger! Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Bei dem was da stand verflog ihre gute Laune, mit der sie wie meist den neuen Tag begonnen hatte, sofort schlagartig. Sie löste sich ins Nichts auf, so wie ein Tropfen Wasser, der auf der heißen Herdplatte zischend verdampfte.

Die Stunde der Rache ist nah. Auch wenn Du bereuest deine Missetaten, es wird kein Entkommen für dich sein. Denn siehe, der Herr spricht: „Selig sind die, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen gesättigt werden.“

Na sauber! Es fehlte jeglicher Hinweis auf den Ursprung, insbesondere auf den Verfasser dieser unverhohlenen Drohung. Was sollte das Ganze bedeuten? Meinte derjenige etwa gar ihren Simon? Wenn sich Gisela recht entsann, dann war im ersten Schreiben, das ihre Freundin Marga am Sonntag gefunden hatte, von „dem Sünder“ und „dem Anhänger des Satans“ die Rede gewesen, also von einer Einzelperson, genauer betrachtet von einem männlichen Mitbewohner. Die Wahl der Metzgereitüre als Ort der Veröffentlichung ließ in ihren Gedanken die Vermutung reifen, dass die Botschaft an den Besitzer des Geschäfts, also an Simon direkt gerichtet war. Aber wieso sollte jemand ausgerechnet ihn einer Tat beschuldigen, die der Herr mit seiner Rache überziehen würde? Ausgerechnet ihren Simon, den gemütlichsten und wohl harmlosesten Bürger Röthenbachs. Für Simons Friedfertigkeit könnte die Gisela jederzeit ihre Hand ins Feuer legen. Ihr Mann war schon immer die Harmlosigkeit in Person. In jeder Beziehung! Leider auch auf eine ganz bestimmte Art und so sehr, dass sie diese seine Eigenschaft in gewissen Momenten sogar bedauerte. Etwas mehr stürmische Leidenschaft wäre eher zu wünschen gewesen.

Eigentlich konnte es sich nur um einen Irrtum handeln. Trotzdem verlor Gisela keine Sekunde Zeit, die erschreckende Neuigkeit ihrem Ehemann mitzuteilen. Schließlich ging es allem Anschein nach um ihn und wenn die Drohungen nicht nur leere Worte waren, dann drohte ihm sogar ernste Gefahr, möglicherweise von einem gefährlichen Fanatiker, der auch vor einem hinterhältigen Anschlag nicht zurückschrecken würde.

„Simon!“

„Sie-moon! Schnell kumm amal her!

Die Aufregung schwang in jeder Silbe mit. Simon, der in der Werkstatt zu Gange war, kam, das blutige Beil beiläufig wie eine mittelalterliche Streitaxt schwingend, herbeischlurft.

„Wossn lous? Warum schreisd denn so?“ Und als seine Gisela nicht sofort antwortete setzte er hinzu: „Etz saach hald scho woss lous iss, ich hobb doch nedd ewich Zeid. Maansd die Koddledd haggn si von selber?“

„Dir wern deine Krämbf glei vergäih. Dou schau her, wossi grad an der Ladndüür hänger hobb seeng.“

Mit diesen Worten reichte sie im das verknitterte Machwerk des unbekannten Verfassers hin. Simon nahm es in seine freie, allerdings blutverschmierte Hand und fing an zu lesen. Mit jedem Wort wurden sein Augen weiter und ungläubiger.

„Na, dess gibbds doch nedd. Wer schbinnd sinn dou aso zamm. Und dess war an unsrer Ladndüür hiebabbd?

„Wenner ders saach. Horch amal, woss maansdn woss der will?“

Und auf Simons unverständiges Schulterzucken hing fügte sie erklärend hinzu: „Ich glaab, der Kerl maand dich, Simon. Der drohd uns. Ich fürchd mich ja nedd vor irgndanner Strafe Goddes, weecher woss denn aa, abber mer wass ja nedd woss dess für a närrischer Zeidgenosse iss. Aufd Letzt will der dir woss ohdou.“ Und sichtlich mitgenommen fügte sie hinzu: „Allmächd Simon, etz glaabi werds mer schlechd.“

Das wollte etwas heißen. Gisela machte so leicht nichts Angst. Aber im vorliegenden Fall ging es um ihren geliebten Simon, der ob seiner Naivität immer noch nicht recht begriffen hatte, dass er bedroht wurde, eventuell sogar mit Gewalt, ja vielleicht gar dem Tod. Natürlich würde seine Gisela sofort den gemeinsamen Freund und Hobbyermittler Peter anrufen und ihm den Sachverhalt schildern, dass er sich um die Angelegenheit kümmern könnte. Angesichts des Ernstes der Sache musste aber auf jeden Fall auch die Polizei verständigt werden. Mit einer Morddrohung ist keinesfalls zu spaßen.

Peter war sofort am Telefon, als es noch nicht einmal zweimal geläutet hatte. Ein sicheres Anzeichen, dass die Marga nicht zu Hause war, vermutlich befand sie sich auf ihrer morgendlichen Einkaufsrunde.

„Kleinlein“. „Meine Frau ist nicht da“, wollte er schon routinemäßig ergänzen, als er die außergewöhnlich aufgeregte Stimme Giselas am anderen Ende erkannte. Die sonst so souveräne Metzgermeistersgattin schien völlig aus dem Häuschen zu sein.

„Beruich di hald erschd amal, Gisela. Woss gibbdsn so Aufreechndes?“

Es dauerte eine ganze Weile bis die heftig schnaufende Freundin den Vorfall geschildert hatte. Peter versprach sofort vorbeizukommen und sich die neuerlichen Ergüsse des bislang unbekannten Propheten unverbindlich anzusehen.

Als Peter endlich eintraf hatte er seine Ehefrau Marga im Schlepptau. Sie war im selben Augenblick von ihren Einkäufen zurück gekommen, als er das Haus verlassen wollte und so war es selbstverständlich, dass sie mit wollte, sobald sie von dem neuerlichen Anschlag auf die Röthenbacher Sicherheitslage erfuhr. Da Peter seinerseits keinerlei unmittelbare Gefahr vermutete, hatte er auch nichts dagegen gleich in voller Mannschaftsstärke anzutreten. So ersparte er sich eine nervenaufreibende Diskussion, die er ohnehin nicht gewinnen würde und er musste bei seiner Rückkehr keinen ausführlichen Bericht abliefern.

Der Metzgerladen war abgesperrt und ein offenbar rasch angefertigtes handschriftliches Schild verständigte die werte Kundschaft, dass heute aus familiären Grunden erst um 10 Uhr geöffnet werden konnte. Die beiden Kleinleins klingelten zwei Mal kurz hintereinander, das übliche Zeichen, dass sie es waren, die Einlass begehrten.

Gleich darauf streckte die Gisela dem Peter mit einem stummen, aber viel sagendem Blick das reichlich blutverschmierte Machwerk entgegen.

„Sauber soochi, glei mid an halbn Lidder Bloud verzierd, dou maands anner abber ernsd“, war dessen erster, noch reichlich lockerer Kommentar.

„Naa“, berichtigte ihn Gisela sofort, „dess ganze Bloud schdammd vom Simon. Der hodd grad hindn in der Werkschdadd Fleisch zerleechd, wäi in grufn hobb. Und dann hodders hald mid seine babberdn Händ angfassd. Männer hald! Alles Dreegbärn. Drotzdem, mir iss dess ganze unheimlich genuch!“

„Ja“, gab ihr der herbeigerufene Freund Recht. „Dess klingd ganz aso, als ob jemand den Simon beschuldichd, irgndwoss angschdelld zu haben, woss auf jedn Fall gerächd wern muss. Hossd villeichd gor an umbrachd, Simon?“, lachte Peter etwas aufgesetzt, denn bei genauer Betrachtung kam auch ihm kam die ganze Sache nicht mehr recht geheuer vor.

„Nedd dassi wüssd, außer anner Zwaazendnersau gesdern im Schlachdhof“, antwortete dieser in seiner gewohnt trockenen Art und ohne eine Miene zu verziehen. Das Lachen war allerdings selbst ihm gründlich vergangen. Mit entsprechend ernster Stimme fügte er deshalb hinzu: „Wen sollerdn ich na umbringer? Mir hodd doch kanner woss dou.“

„Naja, ner freilich nedd“, beeilte sich Peter ihn zu beruhigen. „Abber ich denk scho, dass äs Gscheidesde iss, wemmer bei der Bollizei a Anzeige geecher Unbekannd macherd. Stelld eich no bloß amal vor, woss dess für eier Gschäfd bedeuded, wenn des bubbligg wird. Den dreggerdn Schmierfinkn muss mer unbedingd ausfindich machen und derfür sorgn, dass a End damid iss.“

Da es sich aber nicht um einen Mordfall handelte, sondern erstmal lediglich um eine üble Nachrede, musste Gottseidank nicht der allseits bekannte Kriminalhauptkommissar Schindler eingeschaltet werden, von dessen Fähigkeiten nicht nur Peter keine allzu hohe Meinung hatte. Eine Anzeige auf der Erlenbacher Polizeistation tat es vorerst auch. Simon und Gisela wollten auch gleich losfahren und die leidige Sache hinter sich bringen. Um den Beamten das ganze Ausmaß des Skandals vermitteln zu können, nahmen sie auf dem Weg dorthin gleich auch noch die erste anonyme Drohung des bibelfesten Rächers mit, die Marga am Sonntag gefunden und immer noch zusammengefaltet im heimischen Wohnzimmerschrank liegen hatte.

Mords-Fasching

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