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Al Kahira – die Siegreiche
ОглавлениеAlles fürchtet sich vor der Zeit,
aber die Zeit fürchtet sich vor den Pyramiden.
Die Reisegruppe hatte ihre erste Nacht in einem der vielen Touristenhotels der riesigen Metropole verbracht. Morgens, gleich nach dem Frühstück, das nicht nur aus starkem Kaffee und pappigen Brötchen mit zuckersüßer Marmelade bestand, wie es die Kleinleins von ihrem ersten Besuch kannten, sondern ein reichhaltiges Buffet einschloss, hatte der Bus der einheimischen Travel Agency MISR-Tours vor dem Eingang auf die unternehmungslustige Gruppe gewartet.
Marga und Peter hatten trotz der Strapazen der Anreise nicht besonders gut geschlafen. Es war bereits sehr heiß für Ende März und der Temperaturunterschied zum heimischen Röthenbach betrug ganz bestimmt mehr als 25 Grad. Simon und seine Gisela hatten damit offenbar kein Problem. Beide kamen soeben gut gelaunt über den staubigen Teppich, der zwischen Hoteleingang und Straße ausgebreitet lag, freudestrahlend auf den Bus zugelaufen. In ihrem Schlepptau Lothar, der offenbar die frühen Morgenstunden bereits mit ausufernder Körperpflege verbracht hatte. Sein Haar und sein kunstvoll gezwirbelter Schnurrbart zeugten von fachmännischer Behandlung. Iwan, der sechste im Bunde hatte bereits im Bus Platz genommen. Der Rest der Gruppe kam nach und nach aus dem muffigen Hoteleingang heraus in die frische Morgenluft. In Kairo können die Nachtstunden gut und gerne um mehr als zwanzig Grad kühler sein als die Temperaturen während der Hitze des Tages.
Im Bus saßen die Kleinleins und die Bräunleins natürlich jeweils zusammen. Lothar und Iwan hätten auch gerne nebeneinander liegende Plätze geteilt, doch das ging einigermaßen schief. Nachdem Iwan zu Beginn des heutigen Ausflugs schon als Erster im Bus Platz genommen hatte, während Lothar geschwind noch gegen eine letzte widerspenstige Locke kämpfte, geschah es, dass eine offenbar Alleinreisende, gut aussehende Dame um die Fünfzig mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen auf Iwan zuschwebte und ihn fragte, ob denn der Platz neben ihm noch frei sei. So oft geschah es nicht, dass man in Iwans Alter noch derart verlockende Angebote erhielt und so entschied er spontan, dass Lothar sicher nichts dagegen hätte, wenn er auch die Chance auf eine neue Bekanntschaft erhalten würde.
Als Lothar dann endlich eingestiegen war und sich neben seinen Freund setzen wollte, wurde er herb enttäuscht. Auf dem Platz neben seinem Freund hatte bereits eine Dame Platz genommen. Als diese sah, dass die beiden Herren miteinander bekannt waren, wollte sie freiwillig ihren Sitz räumen, damit die beiden zusammen sitzen konnten. Lothar winkte höflich ab. Ganz Gentleman entschuldigte er sich für die Störung und schaute sich suchend im Bus um. Leider war er, wie so oft, der Letzte gewesen. Als Folge seiner berufsbedingten Höflichkeit hatte er alle anderen Fahrgäste zuerst einsteigen lassen und jetzt war nur noch ein einziger Sitzplatz frei. Es war natürlich kein Fensterplatz, denn den hatte sich bereits eine extrem blonde Frau in Jeans und blendend weißer Bluse gesichert. Nicht gerade Marylin Monroe, dachte Lothar, aber schon flott und sehr gepflegt. Sie musste etwa Mitte bis Ende Fünfzig gewesen sein, denn die aufkommenden Falten konnten auch von einer gekonnt aufgetragenen Schicht Make-Up nicht ganz weggeleugnet werden.
Lothar machte eine leichte Verbeugung, so als ob er die Dame zum Tanzen auffordern wollte und fragte, ob denn der Platz noch frei sei. Eine rein rhetorische Frage, denn es war der einzige und wenn der Reiseveranstalter keinen schlimmen Fehler gemacht hatte, dann konnte er gar nicht belegt sein. Auf das zustimmende Nicken seiner Nachbarin hin, ließ er sich endlich nieder. Er war sofort etwas beklommen, denn, obwohl er doch tagtäglich mit den Röthenbacher Damen zu tun hatte, war dies schon etwas anderes. In seinem Salon saßen die Frauen immer und er stand hinter ihnen mit Schere und Bürste in der Hand. Da war er der Agierende, der Fachmann. Da war er viel selbstsicherer. Und die Themen waren auch immer klar, eben alles, was in den ausliegenden Frauenzeitschriften und Boulevardmagazinen stand oder der neueste Dorftratsch, den er als Friseur immer als einer der Ersten mitbekam. Aber das hier, das war etwas ganz anderes. Andererseits war er trotz aller Schüchternheit auch nicht der Typ, der lange seinen Mund halten konnte und so stellte er sich seiner Nachbarin erst einmal vor, wie es sich gehörte.
„Darf ich mich vorstelln? Mein Name ist Loodar Schwarm aus Rödnbach. Das is in Middlfrankn, nicht weid von Nürnberch weg, des kennen sie bestimmd. Lebkuchn, Christkindlesmarkd, wissens schon.“
Er bemühte sich so gut es eben ging seinen heimatlichen Dialekt an das Hochdeutsche anzugleichen, was natürlich nicht hundertprozentig gelang. Er wollte eben, wie es seiner Natur entsprach, höflich sein. Die Dame sollte ihn schließlich verstehen. Was sie erstaunlicherweise auch tat. Die Überraschung war groß, als sie in reinstem oberpfälzisch ihren eigenen Namen und Wohnort nannte.
„Und I bin die Maria Leimer aus Schöikirch in der Oberpfolz. Schöi sie kenna zu learna, Herr Schwoarm. “
Ab sofort soll auf die korrekte Zitierung des oberpfälzischen Dialekts mit Ausnahme einiger leichter Andeutungen verzichtet werden, da der Leser sonst leicht zwischen lang gezogen Mischlauten aus A und O, OUs und ÖIs der Oberpfälzer und dem ohnehin schwierig schriftlich festzuhaltendem Fränkisch gänzlich verzweifeln könnte.
Der Herr Schwoarm war auch erfreut, dass es sich bei seiner neuen Bekannten wenigstens um jemand aus einem befreundeten Regierungsbezirk handelte und es wurde gleich etwas zutraulicher.
„Ich hab einen Friseursalon daheim in Rödnbach und bin also mehr odder wenicher Exberde. Also ihr Haar iss wirklich wunderbar, hädd ich selber nedd besser machn können.“
Die Konversation schien sehr gut in Gang zu kommen. Doch es kam noch besser.
„Ich bin ja aa so was ähnlichs wöi a Exbertin. Ich bin nämli a Kosmetikerin mit oin eigena kloin Studio für Noglpflege und Kosmetik dahoim in Schöikirch. Do samma ja fast su wos ähnlichs wöi Kollegn, Herr Schwoarm.“
Sie verfügte tatsächlich über ein herzerfrischendes Lachen. Das Gespräch wurde ab sofort nur noch flüsternd weiter geführt, denn endlich war auch der Reiseleiter in den klimatisierten modernen Reisebus eingestiegen und hatte seinen Platz neben dem ägyptischen Fahrer eingenommen. Er begrüßte die Reisenden in fließendem Deutsch, hieß sie danach mit einem fröhlichen „Marhaba“ auch auf Arabisch willkommen. Seine perfekten Deutschkenntnisse waren nicht verwunderlich, denn der Mann hieß Rainer Stützle und stammte, seinem leichten Dialekt nach zu urteilen, aus dem Schwäbischen. Zuletzt wünschte er allen einen angenehmen Aufenthalt im Land der Pharaonen und gab dem Fahrer das Zeichen zur Abfahrt. Der Bus fädelte geschickt in den vorbeifließenden Verkehr ein und im Nu schwamm das Fahrzeug in einem Meer von permanent hupenden, teils abenteuerlich anmutenden Automobilen langsam aber stetig, wie von wilden Wellen getragen, dahin.
Am Vormittag stand die Besichtigung des Ägyptischen Museums auf dem Programm. Wie Peter wusste, würde ein halber Tag allenfalls für eine oberflächliche Tour reichen, denn die Ausmaße der Ausstellungsflächen sind gigantisch und die Räume zum Bersten gefüllt mit den edelsten Schätzen, die im Laufe der Jahrhunderte von mehr oder weniger professionellen Ausgräbern zutage gefördert wurden. Viele der wertvollsten Stücke waren allerdings in der Zeit der britischen und französischen Oberherrschaft ins Ausland geschafft worden. Die aufwändigen Grabungen wurden damals wie heute größtenteils von den bedeutenden Museen der Welt finanziert und als Gegenleistung die besten Stücke mit und oft genug auch ohne den Segen der ägyptischen Antikenverwaltung kurzerhand in die entsprechenden Länder verfrachtet. Zu mindestens diese Praxis gibt es heute nicht mehr.
Wahrscheinlich würde die Zeit gerade mal für einen Schnelldurchgang und den obligatorischen Besuch bei den Artefakten aus dem Grab des wohl bekanntesten, wenn auch geschichtlich völlig unbedeutenden Pharaos Tut-anch-Amun reichen.
Die ockerfarbene Fassade des altehrwürdigen Gebäudes am Tahrirplatz, welches das berühmte Ägyptische Museum von Kairo beheimatet, wurde von der frühen Morgensonne in ein angenehm warmes, gelbliches Licht getaucht. Die Sonnenstrahlen vermischten sich mit der Farbe des Gebäudes zu einem wunderbaren Leuchten, so als ob die mächtige Eingangshalle, die eher zu einem Bahnhof, denn zu einem der eindrucksvollsten Museen der Welt gepasst hätte, von riesigen Scheinwerfern angestrahlt und zur Theaterbühne umfunktioniert worden wäre. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die siegreiche ägyptische Armee, angeführt von ihrem General Radames, zu den mitreißenden Klängen des Triumphmarsches aus Verdis Aida, die Bühne betreten würde. Selbst die staubigen Palmen vor dem Eingang ließ der Sonnengott Re in einem satten, leuchtenden Grün erstrahlen. Einen wesentlich weniger strahlenden Eindruck machten dagegen die unzähligen, schwarz gekleideten Männer mit ihren schweren Schnürstiefeln und den umgeschnallten Maschinengewehren. Wie eine endlose Perlenkette umstanden sie die Mauern des historischen Baus.
Peter hatte dies schon einmal erlebt, während der ersten Ägyptenreise der Kleinleins vor über dreißig Jahren. Damals war Jehan, die Gattin des damaligen Staatspräsidenten Anwar al Sadat zusammen mit der Ehefrau des Präsidenten irgendeines unbedeutenden Kleinstaates im Schlepptau vorgefahren, um dem Gast die antiken Schätze persönlich vorzuführen. Touristen hatten für einen ganzen Tag keinen Zutritt. Als Peter seine diesbezügliche Befürchtung dem Reiseleiter, Herrn Stützle, mitteilte, schüttelte dieser nur resignierend den Kopf.
„Sie waren bestimmt schon lange nicht mehr in Kairo. Seit Jahren, genau genommen seit den schrecklichen Anschlägen der islamischen Fundamentalisten mit dem Höhepunkt des Massakers am Hatschepsuttempel, hat sich in Ägypten die Lage für Touristen völlig verändert. Wir sind hier nicht am Roten Meer, sondern inmitten eines der größten sozialen Brennpunkte der Welt, in der die moslemischen Bruderschaften enormen Zulauf haben. Polizeipräsenz ist zu ihrem Schutz mittlerweile leider unabdingbar“.
Und mit einem Seufzen in der Stimme fügte er hinzu:
„Man braucht sich auch nicht zu wundern, wenn man sieht, wie wenig Respekt den Einheimischen von Seiten der Touristen entgegen gebracht wird. Da trampeln Menschenmassen in kurzen Hosen lärmend durch Moscheen, europäische Frauen in knappen Tops provozieren aufs äußerste die religiösen Gefühle der Gläubigen, die sich mehr und mehr ausgenützt und erniedrigt fühlen, begafft wie exotische Artefakte in den Ausstellungsräumen eines Völkerkundemuseums. Wenn sie glauben, das wäre nicht mehr zu steigern, dann warten sie bis wir erst in Luxor angekommen sind und sie das dekadente Treiben auf den luxuriösen Nilschiffen erleben werden. Kein Wunder, wenn die einfachen Menschen sich radikalisieren. Die Auswüchse des Tourismus spielen den Scharfmachern unter den Verteidigern der wahren Lehre des Propheten geradezu zwangsläufig in die Hände.“
Inzwischen war der größte Teil der Reisegruppe aus dem Bus geklettert und stand neugierig bereit für die anstehende Besichtigung. Der Reiseleiter musste sich nun wieder um seine Schäfchen kümmern und Peter fand Zeit, sich seine Mitreisenden einmal ein bisschen näher anzusehen. Als Marga und er noch jung waren und jedes Jahr große Entdeckungsreisen, meist mit dem Bus in ferne Länder unternommen hatten, war es ihnen zu einer unterhaltsamen Angewohnheit geworden, die anderen Reisenden zu taxieren und ihnen aufgrund ihres Aussehens oder ihren Eigenheiten mehr oder weniger zutreffende Spitznamen zu verpassen.
Dort, die beiden älteren Damen waren eindeutig pensionierte Lehrerinnen. Von der ersten Minute an hatten sie ihre umfangreichen Reiseführer aufgeschlagen und sich pflichtgemäß für die anstehenden „Unterrichtsstunden“ präpariert. Die eine wirkte aufgrund ihrer hageren Gesichtszüge und der sehr spitzen Nase ein bisschen altbacken, aber als sie heute Morgen beim Frühstück ihren Kaffee nicht schnell genug bekam, hatte Peter bereits ihr Durchsetzungsvermögen und ihre perfekten Englischkenntnisse kennen gelernt. Englischlehrerin vielleicht, ledig und stolz darauf. Er musste unwillkürlich an Minerva McGonagall, die resolute Professorin aus den Harry-Potter-Romanen denken. Damit hatte die Dame ihren Beinamen auch schon erhalten. Ihre Begleiterin könnte rein optisch gesehen deren Schwester sein, allerdings schien ihr bei weitem das sichere Auftreten der mutmaßlichen Älteren der Beiden zu fehlen. Minerva und kleine Schwester also.
Und dann war da dieses ungleiche Ehepaar. Er schien um viele Jahre älter zu sein als seine Partnerin. Der Mann war Peter bereits in Frankfurt beim Check-in aufgefallen. Dort hatte er sich überschwänglich von einer aus den Fugen geratenen Blondine verabschiedet, die altersmäßig viel eher zu ihm gepasst hätte, als seine jetzige Begleiterin. Er war eher eine auffällig gepflegte Person, abgesehen von einer hässlichen Narbe am Haaransatz, was man von der blonden Dame in Frankfurt nicht hatte behaupten können und er schien über große Erfahrung mit Auslandsreisen zu verfügen. Jedenfalls trat er entsprechend selbstsicher auf, ganz im Stil eines Vielfliegers. Aber wie passten die zwei Frauen ins Bild? Vielleicht war die Blonde nur eine Bekannte oder eine besorgte Haushälterin, die das Paar zum Flugplatz gebracht hatte. Die Ehefrau hatte Peter erstmals auf dem Kairoer Flughafen zu Gesicht bekommen. Sie war eher unauffällig, einmal abgesehen von ihren leuchtenden kupferfarbenen Haaren, die ihr mit einer Art Rolle in die Stirn fielen, ansonsten aber akkurat Strähne für Strähne streng nach hinten gekämmt waren. Die großspurigen Gesten ihres Mannes schienen ihr eher peinlich zu sein. Jeder konnte schließlich tun und lassen, was er wollte und die Manieren anderer Leute waren letztendlich auch nicht Peters Sache. Mit dem Spitznamen für die beiden würde er sich noch etwas Zeit lassen müssen bis er sie, was während jeder Gesellschaftsreise unvermeidlich ist, näher kennen lernen würde. Auf eine entsprechende Bemerkung gegenüber seiner Marga war diese offensichtlich überrascht.
„Na bei denne Zwaa brauchd mer si doch nedd lang Gedankn machen. Für sie allaans schon mit ihre rodn Hoar fälld mer doch soford a Namen ei. Für mich is dee äs Kubferdächla und er schaud gelackt aus wäi a professioneller Speichllecker. Groupier odder Gebrauchdwonghändler däd ich sagn, dess basserd zu dem.“
Man einigte sich auf Gebrauchdwoonghändler, weil es lockerer von der Zunge ging und zugegebenermaßen auch bedeutend negativer klang.
Ganz in der Nähe der Beiden stand eine Dreiergruppe, bestehend aus zwei Männern um die Fünfzig und einer etwa fünf Jahre jüngeren Frau, die eben dem einen der Beiden heftige Vorhaltungen zu machen schien und zwar auf eine Art, wie es nur unter gut vertrauten Personen geschehen konnte. Man konnte eben noch hören, wie die resolute Dame ihre Schimpftirade mit den Worten beendete:
„So was passiert eben immer nur dir, Walter Steinmann! Hast du schon mal jemand anderen gesehen, der noch vor der ersten Besichtigung schon wieder seinen Hut verloren hat.“
So wie sie das S-t ausgesprochen hatte, schienen die Herrschaften aus dem hohen Norden zu kommen. Der arme Walter hatte noch nicht einmal Gelegenheit gehabt Luft zu holen, geschweige denn sich eine Rechtfertigung zurecht zu legen, da brauste der Orkan schon wieder mit Windstärke 12 los.
„Nimm dir ein Beispiel an Klaus, dem passiert so was nicht oder an dem jungen Mann dort, der hat seinen Hut wenigstens in der Hand, wenn schon nicht auf dem Kopf. Auch unvernünftig, bei dieser stechenden Sonne.“
Klaus schien der andere der beiden Männer zu sein, dessen Rolle in der Dreiergruppe allerdings nicht klar erkennbar war. Der junge Mann kam, den Hut immer noch in der Hand, auf die drei Nordlichter zu.
„Guten Morgen, Robert Wohlleben mein Name, kann es sein, dass dies ihr Hut ist? Ich glaube, den haben sie beim Aussteigen verloren.“
„Siehst du Walter, nun müssen schon die jungen Leute auf dich aufpassen. Du wirst tatsächlich mit jedem Tag tüdelicher. Das macht drei Punkte Abzug für dich!“
Besagter Klaus stand selbstzufrieden lächelnd dabei, seinen schrecklich altmodischen, dazu noch grell blauen Hut fest auf dem Kopf. Es war sehr schwer zu entscheiden, welcher der beiden Herren wohl die Ehre oder das Pech hatte, mit der strengen Dame verheiratet zu sein. Peter tippte auf den blauen Klaus, blau wegen des Hutes und in Erinnerung an die gleichnamige Zeichentrickfigur aus Wim Thoelkes Fernsehshow „Der große Preis“, ein Außerirdischer mit blauem Haut und einer Antenne auf dem Kopf. Bei Walter schien es sich eher um den vertrottelten Bruder zu handeln, den man nicht zuhause lassen konnte, weil er sonst bei seinem Talent oder besser seinem mangelndem Talent unweigerlich im Chaos untergehen würde. Wie sich später herausstellen sollte, hatte tatsächlich Walter vor Jahren das große Los gezogen und war als Ehemann auserwählt worden. Schwer vorstellbar, aber er musste wohl früher in wesentlich besserer Verfassung gewesen sein, sonst hätte sie ihn bestimmt nicht genommen. Klaus schien dann wohl eher der verständnisvolle Freund des Hauses zu sein.
Die Besichtigung des Kairoer Museums verlief genau wie es Peter bereits voraus geahnt hatte. Im Eiltempo wurde die Gruppe durch die endlosen Reihen Jahrtausende alter Zeugen einer einmaligen Hochkultur geschleust. Nur im Saal mit den Funden aus dem Grab des Tut-anch-Amun war eine längere Besichtigungszeit vorgesehen, denn diese Schätze zählten, besonders bei den an den Feinheiten der antiken Geschichte Ägyptens weniger Interessierten, zu den unverzichtbaren Höhepunkten der Reise. Von dem Kindkönig mit der Goldmaske hatten schließlich auch die größten Kulturbanausen schon gehört. Abschließend gab es noch einen kurzen Abstecher in den Mumienraum, wo die größten und mächtigsten Herrscher unter den Pharaonen in einfachen Glaskästen ausgestellt und wehrlos den gaffenden, teilweise angewiderten Blicken und den ebenso unpassenden Kommentaren der Besucher hilflos ausgeliefert waren. Zu Lebzeiten dieser mächtigen Herrscher hätte sich sicherlich keiner der Musemsbesucher auch nur bis auf eine Meile an den Pharao heran wagen dürfen, ohne sofort sein Leben zu verwirken.
Lothar war besonders überrascht, dass der große Ramses tatsächlich zu Lebzeiten rote Haare gehabt haben musste, was man an den spärlichen noch vorhandenen Resten deutlich ablesen konnte.
„Mich däd scho indressiern, mit welche Middl die dreidausend Jahr vor Wella und Schwarzkopf scho solche wunderbare Färbeprodukde herstelln homm könner, dass die Haar sich bis heut so perfekd ghaldn homm.“
„Ganz einfach, Lothar, die Farb is echd“, bemerkte Peter, der sich hobbymäßig intensiv mit alten Kulturen, speziell mit der ägyptischen beschäftigte und daher wusste, dass Ramses nicht nur ein sehr hohes Alter erreicht und mit seinen zahllosen Haupt-und Nebenfrauen über einhundert Kinder gezeugt hatte, sondern eben auch, dass er rötliches Haar hatte. „Der Ramses war keine Ausnahme, roode Haar warn gar nedd so seldn, sogar blonde Menschn hodds gebn. Ka Wunder, über die Jahrdausende hodds ja immer widder Einwanderungen gebn und der Vadder vom Ramses und er selber auch, warn ja Generäle beim ägybdischen Milidär. Und da hadds vor ausländische Söldner blouß a so gwimmeld.“
„Vielleichd warn dann seine Vorfahrn sogar Germanen, aufd Letzd sogar Frankn, so wie mir“, mutmaßte die überraschte Gisela.
„Bestimmd nedd, die Franken hamm in Euroba erschd um achdhunderd nach Christus Bedeudung erlangd, der Ramses hodd abber mindesdns zwölfhunderd vor Christus regierd. Dou sinn goud und gern zwaadausnd Jahr derzwischen. Wäi die Ägybder a Hochkuldur warn, homm die Germanen nu in Erdhöhln ghausd. Des muss mer si amol vorstelln“, kam die Belehrung prompt von Peter zurück.
Lothar und Iwan standen etwas abseits. Sie hatten deshalb auch nicht an dem Gespräch teilgenommen. Sie hatten Wichtigeres zu diskutieren.
„Horch amal, du hasd mich villeichd in a Lage brachd, des konn er der sagn. Dee Frau nebn mir is zwar ganz nedd, abber dee fraachd mer di ganze Zeid a drummer Loch in Bauch. Dee hodd mi schon von oben bis unten taxierd und auf mei Dauglichkeid als Gsellschafder gedesded, inglusive a eingehende Befragung bezüglich Alder, Herkunfd, Familienstand, Gesundheid und Freizeidinderessn. Grod dass ser si nu nedd nach meine finanziellen Verhäldnisse erkundichd hodd. Genauso goud häddi aa an Fragebogn von einer Heiradsvermiddlung ausfülln könner. Des konn ja nu heider wern. Ner bloß mei berufliche Erfahrung als Inhaber eines florierenden Friseursalons und die damid verbundne Daadsache, dass ich im Umgang mit allerlei neugieriche ältere Damen a enorme Erfahrung hobb, hodd mi erschd amal geredded. Dou dergegn war die heiliche Inquisition a Kindergebordsdooch.“
Es dauerte nicht mehr lange, da näherte sich der Reiseleiter dem Rödnbacher Debattierklub und mahnte zum Aufbruch.
„So meine Lieben, beeilen sie sich bitte, wir treffen uns in zehn Minuten am Ausgang. Wir wollen doch heute noch die Pyramiden von Gizeh besichtigen und davor noch einen kleinen Imbiss zu uns nehmen. Yallah, yallah!“
So viel hatten die Reisenden in den wenigen Stunden seit ihrer Ankunft schon von ihrem Guide gelernt. Yallah bedeutete so viel wie „Auf geht’s, tempo, hopp hopp“ oder bei Bedarf auch „schau, dassd die schleichsd“. Dass Ägypten ein Land im Aufbruch sei, das hatten sie schon gelesen, dass man das aber so wörtlich nehmen musste, das war ihnen neu.
Kurz darauf setzte sich der Komfortbus in Richtung Süden über die Nile Corniche nach Gizeh in Bewegung.
Verkehrsregeln scheint es in Kairo nicht zu geben. Noch wichtiger als ein funktionierender Motor scheinen hier Hupe und Bremse zu sein. Man hat den Eindruck die Fahrzeuge gehen gleich kämpfenden Stieren auf einander los, bis der Fahrer mit den schlechteren Nerven im letzten Moment klein bei gibt und abbremst. Roten Ampeln kommt offenbar allenfalls die Rolle einer bunten Straßenbeleuchtung zu. Auch die Touristenbusse beteiligen sich, wenn auch etwas moderater als andere Fahrzeuge, an diesem Nerven aufreibenden Spiel.
So erschien es beinahe wie ein Wunder, dass der Bus schließlich frei von Zusammenstößen über die Giza Bridge in die King Faisal Street einbiegen konnte und wenig später wohlbehalten auf dem Plateau von Gizeh ankam. Was für ein Menschenauflauf, was für ein Spektakel! Zig Busse parkten zu Füßen der Pyramiden, Kameltreiber versuchten für horrende Summen ihre geschundenen Reittiere an unbedarfte Touristen zu vermieten, um sie die letzten hundert Meter zu den Resten des mächtigsten Weltwunders der antiken Welt zu tragen. Trotz der eingehenden Instruktionen der Reiseleiter bezüglich des angemessenen Bakshishs schafften es die Besitzer der Reittiere immer wieder, nicht selten unter üblen Beschimpfungen und Drohungen, den normalen Verdienst eines ganzen Tages aus einem einzelnen, unbedarften Touristen, herauszuschlagen. Da gab es schon mal einen heimlichen Klaps mit der Gerte, um das Kamel zu einer antrainierten, aber trotzdem Angst einflößenden Pirouette zu bewegen. Und in mehr als zwei Metern Höhe erübrigt sich für jeden ungeübten Reiter die Frage nach dem, was ihm wichtiger ist: Geld oder Leben.
Die Pyramiden selbst machten einen nachhaltigen Eindruck auf die Besucher. Die beiden Lehrerinnen, Minerva und ihre vermutliche Schwester - das würde sich sicher noch zeigen - blätterten in ihren voluminösen Reiseführern und versorgten die Umstehenden mit beeindruckenden Zahlen.
„Hoffndlich müss mer nedd aa nu an Aufsatz drüber schreiben“, raunte Marga heimlich ihren Gemahl zu. Es schien, als hätte sie tatsächlich Angst, von einer der beiden beim Schwätzen ertappt, vor die Klasse zitiert und mit reichlich Strafarbeit bedacht zu werden.
Die Freunde standen staunend vor den drei riesigen Steinansammlungen. Von weitem sahen die Pyramiden immer so glatt poliert und ebenmäßig aus. Aus der Nähe konnte man sehen, dass sie im heutigen Zustand eher stufenförmig aus gewaltigen Quadern zusammengesetzt waren. In der Blütezeit des alten Reiches, also zu Zeiten der Pyramidenbauer Cheops, Chephren und Mykerinos, waren die Bauwerke tatsächlich mit polierten Abschlusssteinen verkleidet und absolut glatt. Der Lärmpegel auf diesem Platz war beachtlich und dem majestätischen Anblick des Bauwerks keineswegs angemessen. Ehrfurchtsvolle Stille wäre eher angebracht gewesen, Ehrfurcht und Staunen vor den Leistungen der Vorfahren, die wir moderne Menschen in unserer Überheblichkeit so gerne als primitiv und unterentwickelt ansehen.
Der Lärm war ohrenbetäubend. So fiel es überhaupt nicht auf, dass sich etwas abseits der großen Gruppe zwei der Reisenden offenbar in einem heftigen Streitgespräch befanden. Der eine war zweifellos der flotte Herr, der Peter schon in Frankfurt aufgefallen war und den seine Marga aufgrund seines glatten Auftretens als „den Gebrauchtwagenhändler“ bezeichnet hatte. Der andere war wesentlich jünger, etwas kleiner, aber fülliger. Er schien seinem Gegenüber ernsthafte Vorwürfe zu machen, die dieser mit einer wegwerfenden Handbewegung kommentierte.
Peter konnte gerade noch einen kurzen Gesprächsfetzen auffangen, bevor die beiden Männer voneinander abließen und sich in unterschiedliche Richtungen entfernten.
„Hosd des gseeng, die erschdn schdreidn scho“, machte Peter seine Marga auf die beiden Streithähne aufmerksam.
„.. kümmern sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten, hodd der Gebrauchtwagenhändler zu dem andern gsachd.“
„Wahrscheinlich is er also dadsächlich a undurchsichdiger Gebrauchtwagenhändler und der andere anner, den er gscheid bschissn hodd“, war Margas fachkundige Einschätzung.
Auch Lothar und Iwan standen schon wieder beisammen und fuchtelten mit den Händen in der Luft herum. Wer die beiden nicht kannte, konnte glauben, sie befänden sich in einer ernsthaften Auseinandersetzung. Die Besichtigungstour im Museum hatte Lothar zu einer weiteren, wenn auch zu kurzen Verschnaufpause verholfen, danach aber schien die Konversation erneut nicht nach Lothars Wunsch verlaufen zu sein, denn er jammerte dem Freund erneut die Ohren voll.
„Mensch Iwan, warum hosdn du mich bloß in aso a blöde Lage brachd? Ich sitz noch nedd amal a ganze Stund neber meiner Zwangsbekanndschafd und scho wass die mehrer über mich als ich selber wass. Hoffndlich is bloß neugierich, abber ich hobb den Verdachd, dee suchd a Opfer fürs Lebn. Etz hodds mich scho zweimal gfrachd, woss mei Gschäfd so im Monad abwerfd. Dess is doch im höchdn Grad verdächdich.“
„Unsinn, Lothar, die Dame will sich doch nur gut unterhalten. Du wirst sehen, ihr werdet euch bald bestens vertragen. Und wenns dir zuviel wird, dann stellt dich doch einfach schlafend oder sag, du hast Kopfweh. Das sagen die Frauen doch auch immer, wenn sie ihre Ruhe wollen. Das versteht sie dann schon“, versuchte Iwan den Lothar zu beruhigen, was nur teilweise gelang.
Weiter kamen die beiden nicht und der kleine Disput war auch bald vergessen, zum einen, weil die Ehepaare Kleinlein und Bräunlein eben auf die beiden zu kamen und zum anderen, weil eine harmlose Meinungsverschiedenheit innerhalb einer Reisegruppe so unvermeidlich war wie Kloß und Soß‘ zum Schäuferla.
Inzwischen waren zwei jüngere kräftige Männer dabei, die unteren Schichten der Cheopspyramide zu erklettern. Bei dem einen handelte es sich ganz sicher um den Fotografen, wir Marga ihn später wegen seiner Leidenschaft für die anspruchsvolle Fotografie und seine stets aufnahmebereite Profikamera taufen würde. Der andere, wohl etwa im gleichen Alter, aber sehr viel austrainierter wirkend, war bisher noch nicht besonders aufgefallen. Er hatte sich stets im Hintergrund gehalten und keine Gespräche mit Mitreisenden gesucht. Auch er war mit einer teueren Kamera mit Wechselobjektiv ausgerüstet. Die rechteckigen und tonnenschweren Quader forderten den beiden Männern eine gewisse Sportlichkeit ab. Der Kräftigere war bereits eine Stufe voraus, als aus der Gesäßtasche seiner khakifarbenen Jeans etwas herausfiel, das von weitem wie eine Brieftasche oder ein großer Geldbeutel aussah. Kleingeld und einige Karten lagen auf dem heißen Steinboden. Der nachfolgende Mann, der Fotograf, rief ihm etwas zu, worauf sich der andere umdrehte. Der Fotograf sammelte die Karten auf und hielt sie dem Besitzer zusammen mit dem Geldbeutel hin. Dabei war es unvermeidlich, dass er eine Visitenkarte mit dem Bild seines Begleiters sah und der Aufschrift: Robert Wohlleben, Privatdetektiv, Ermittlungen aller Art.
„Das ist ja interessant. Verzeihen sie, ich bin sonst nicht so neugierig, aber dass sie ein Detektiv sind, das erscheint mir wie ein Wink des Schicksals zu sein.“
Danach waren beide für mehrere Minuten in ein angeregtes Gespräch verwickelt an dessen Ende sich beide wie um ein Geschäft zu besiegeln die Hände schüttelten.
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Noch während der Bus sich seinen Weg zurück durch den stockenden Verkehr nach Kairo bahnte, brach von einer auf die andere Minute die Dämmerung über die Stadt herein. In südlichen Ländern ist es aufgrund der stärkeren Erdkrümmung unvermeidlich, dass die Zeit zwischen Tag und Nacht kürzer ist als in den heimischen Breiten. Wie schnell der Übergang in Kairo von Statten ging, war aber doch sehr verblüffend.
Machte die Stadt im hellen Sonnenlicht doch einen sehr schmutzigen, von Staub und Sandpartikeln vollständig überzogenen Eindruck, so wurden in der Dunkelheit diese Aspekte völlig in den Hintergrund gedrängt. Allerorts wurden die Häuser und Straßenzüge von unzähligen farbigen Glühbirnen erleuchtet (wer tauscht die eigentlich alle aus, wenn die EU-Vorschriften über Energiesparlampen auch nach Ägypten dringen?), die Verkehrsampeln mit ihren wechselnden Farben schienen eigens dazu angebracht zu sein, um das Spektakel noch zu vergrößern. Die meisten Autos hatten ihre Scheinwerfer noch gar nicht eingeschaltet oder maximal das Standlicht angemacht. Peter war heilfroh, hier nicht selbst fahren zu müssen. Solange der Bus noch die Vororte der Riesenstadt durchquerte konnte man aus dem Fenster immer wieder das eine oder andere offene Feuer vor ärmlichen Behausungen brennen sehen. Kinder tanzten ausgelassen auf den Gassen herum und alte Menschen schleppten sich mühsam nach Hause. Es war alles so fremd, aber höchst interessant. Wenn der Bus anhielt, drangen an manchen Stellen Fetzen schriller Musik, begleitet von Gesang und rhythmischen Tamburinklängen an die Ohren der Touristengruppe. Mehrfach hatten sich die Menschen in riesigen, mit Teppichen ausgekleideten Zelten versammelt, die anscheinend für Familienfeiern aller Art genutzt wurden. Es gab eine ganze Menge davon auf dem Weg zurück zum Hotel. Die Ägypter schienen ein fröhliches Volk zu sein, trotz der Armut vieler Menschen.
Im Hotel angekommen war wiederum nur wenig Zeit zum Ausruhen und für die dringend nötige Körperpflege, bevor das Abendessen im großen Speisesaal begann. Marga und Peter waren nach einem langen Tag rechtschaffen müde und hatten keine große Lust mehr auf abendliche Vergnügungen. Gisela und Simon ging es genauso und nur weil sie keine Ehefrau dabei hatten und deshalb der Gegenstand weiblicher Nachstellungen waren, waren Lothar und Iwan auch nicht besser bei Kondition. Sie verzehrten ihr Menu, das zwar den Bezeichnungen der Speisen nach ebenso gut auf der Speisekarte im heimatlichen Franken stehen hätte können, trotzdem aber sehr exotisch schmeckte. In Ägypten sind die Schnitzel eben nicht vom Schwein, sondern eher vom Wasserbüffel.
„Nix gegen an Wasserbüffl“, brummte Simon. „Des wär ja aa blous a Rindfleisch. Abber wennst wassd, dass in Ägibbdn a su a Viech erschfd gschlachd wird, wenns a runde Million Arbeidsschdundn am Wasserrad hinder sich hodd, nou wassd warum dess schmeggd wäi a brodne Schouhsulln.“
Es konnte gut sein, dass Simon und Gisela heute noch ihre mitgebrachte und durch den Zoll gerettete Notration angreifen müssten. Nachdem die Tische abgeräumt waren, zogen sich die Röthenbacher, wie die meisten ihrer Mitreisenden, sofort auf ihr Zimmer zurück, wo sie sich nach einem anstrengenden Tag endlich lang ausstrecken konnten und bald einschliefen.
Man musste mit den Kräften haushalten, denn morgen früh gab es noch einen Ausflug nach Sakkara und für Nachmittag stand auch schon der Flug nach Luxor auf dem Programm.