Читать книгу Ave Maria für eine Leiche - Günther Tabery - Страница 4

2

Оглавление

Nachdem die restlichen Gäste angereist waren, trafen sich alle um 18 Uhr zum Abendessen im Aufenthaltsraum. Martin schaute in die Runde. Ihm gegenüber saß eine von Natur aus schöne Frau, blond, blauäugig mit einem unglaublich großem strahlenden Mund. Ihre Figur war üppig und sie war stilvoll angezogen mit einem rot-goldenen Seidenkleid, bestückt mit Pailletten und Stickereien. Sie trug auffallend schönen Schmuck und war vielleicht Anfang 30, dachte Martin. Ihm hatte sie sich als Martha Lindeau vorgestellt. Zu seiner rechten saß Ole Roggenstern, ein junger, sportlicher Student Ende 20, mit träumerischen Augen und einem schelmischen Lachen. Zu seiner Linken zwei weitere Frauen: Eine etwas spröde mit kurzen blonden Haaren und Brille, Jeans und Kapuzenshirt, die einen leicht frustrierten Gesichtsausdruck hatte, Petra Neuzinger, daneben eine vollbusige Urmutter, mit langen braunen Haaren, roten Wangen und beigefarbenem Leinenkleid, Karen Randur. Beide waren etwa Anfang 40. Neben Ole Roggenstern ruhte zu seiner Rechten ein mittelalter Mann, Maximilian Dörflein, mit hellen, wachen Augen und kurz gelocktem Haar.

Beatrice Rissmann eröffnete als Besitzerin das erste gemeinsame Essen mit einer kleinen Ansprache: „Meine Lieben, ich freue mich Sie hier bei uns willkommen heißen zu dürfen. Vor Ihnen liegt eine Woche der Ruhe, in der Sie sich ganz zurückziehen können. Frei nach Marc Aurel, dem römischen Kaiser und Philosoph gesprochen: `gibt es nirgends eine stillere und ungestörtere Zufluchtsstätte als die Menschenseele´. Dies soll unser Leitspruch sein für unsere gemeinsame Zeit.“ Sie strahlte in die Runde. Organisatorisch fuhr sie fort: „Den Leiter des Yogakurses Herrn Ballhaus werden sie morgen früh gleich kennen lernen. Ich selbst werde die Kunstkurse anleiten und hoffe, dass wir einiges Kreatives zustande bringen werden. Wenn Ihnen irgendetwas missfällt, Sie Anregungen oder Kritik haben, dann lassen Sie es uns wissen und wir werden versuchen, Ihre Vorschläge umzusetzen. Lassen Sie uns nun vor dem Essen gemeinsam anstoßen.“ Sie nahm ein Glas Sekt und hielt es in die Höhe. „Auf eine schöne gemeinsame Woche.“

Alle stießen ihre Gläser zusammen. „Und nun wünsche ich Ihnen einen guten Appetit.“ Mit diesen Worten bedankte sie sich für die Aufmerksamkeit.

Maximilian Dörflein sagte gleich darauf laut in die Runde: „Lasst uns nicht so förmlich sein. Sagen wir "du" zueinander? Ich bin der Maximilian.“

Die andern stimmten mit ein. Alle nahmen ihre Gläser und stießen mit jedem an auf "du" und "du". Die Stimmung war gleich etwas gelöster und verlor diesen offiziellen Touch. Es duftete exotisch nach indischem Curry, Lamm und frischem Gemüse. Dazu wurde Basmatireis gereicht. Zum Nachtisch gab es hausgemachten Pudding und Obstsalat. Das Essen schmeckte zur Zufriedenheit Rosa Blums allen.

Als die Teller leer auf dem Tisch standen und alle zufrieden waren, verteilte sich die Gruppe im Raum. Martha Lindeau und Maximilian Dörflein saßen auf der Couch, Karen Randur und Petra Neuzinger standen an der Terrassentür und Ole und Martin blieben mit einer Tasse Kaffee am Tisch sitzen.

Martin beobachtete gerne andere Menschen. Andere würden vielleicht sagen, er wäre neugierig. Er selbst empfand es als äußert interessant, die Eigenheiten anderer zu entdecken. Er ließ seine Blicke schweifen. Maximilians Stimme ertönte. „Ich bin so froh Martha, dass wir uns hier wieder sehen. Es ist ja schon lange her. Was macht die Karriere? Wirst du nächste Spielzeit auch wieder in Frankfurt singen?“

Martha Lindeau war eine lyrische Sopranistin, die ursprünglich aus Berlin stammte, in Hannover studiert hatte und seit sechs Jahren Mitglied der Oper Frankfurt war. Sie war verheiratet und lebte mit ihrem Mann zusammen in Mannheim.

„Leider nein. Mein Vertrag wurde nicht verlängert.“ Sie lächelte ihn an. „Ich werde nicht weiter im Ensemble singen, sondern Stückverträge eingehen. Da gibt es wunderbare Angebote aus Stuttgart, Hamburg und Berlin.“

„Und welche Rollen wirst du singen? Wieder die Desdemona in Otello, von Verdi? Darin warst du wunderbar“, fragte er interessiert.

Sie nickte und ihr Blick schwebte in die Ferne: „Genau, ich werde mich auf Verdi und Puccini spezialisieren.“

„Sehr schön.“ Er machte eine Pause. Martha beobachtete ihn genau. „Und du weißt“, fuhr er fort, „wenn du wieder Hilfe brauchst - ich bin jederzeit für dich da.“

Martha Lindeau schwieg daraufhin und trank einen Schluck. Maximilian schenkte sich noch ein Glas Wein ein. Martin blickte weiter er, hörte zu seiner Linken:

„Hast du Familie? Mann und Kinder?“

„Nein“, erwiderte die andere.

„Warum nicht?“ fragte die eine verdutzt.

„Weil jetzt nicht die Zeit dazu ist. Ich habe viel zu tun auf der Arbeit. Und außerdem gehört dazu auch ein Vater. Und der ist momentan nicht in Sicht.“

„Aha“, erwiderte Karen Randur. „Ich habe drei ganz tolle Kinder und auch einen Hund und ich möchte sie um nichts auf der Welt wieder hergeben. Sie sind das Allerbeste, was mir in meinem Leben passieren konnte.“ In ihrer Stimme klang etwas Salbungsvolles. „Neulich geschah etwas ganz Tolles: Da kam Finn, mein Kleiner, zu mir, der ist erst vier und hat von ganz alleine `Mama´ auf ein Blatt Papier geschrieben. Ist das nicht toll?“ Ihre Stimme bebte. „Nicht, dass ich das unterstützen würde“, sie machte eine abwehrende Geste, „aber irgendwie ist das schon toll. Da habe ich ihn geküsst und er durfte sich aus unserem Süßigkeiten-Schrank etwas ganz Besonderes aussuchen.“

Petra Neuzinger konnte das ganz und gar nicht verstehen. Was ist schon besonderes daran, an einem frühreifen Kind, dachte sie. „Aha, das klingt ja interessant“, meinte sie nur kurz.

Martin schmunzelte in sich hinein. Die beiden scheinen Gegensätze zu sein, zumindest was das Thema Familie anbelangt. Dann wurden seine Gedanken unterbrochen. Eine junge Stimme fragte ihn:

„Ich habe gehört, du bist Fotograf?“

Martin drehte sich Ole Roggenstern zu, der mit offenen und einnehmenden Augen zu ihm herüber sah.

„Ja, das stimmt. Ich bin Fotograf in einem kleinen Studio in Karlsruhe.“ Bei diesem Thema kontrollierte er seine Tics und saß beinahe still da.

„Das muss ein toller Beruf sein“, mutmaßte Ole.

„Das stimmt“, bestätigte Martin. “Man benötigt ein gutes Auge, Sinn für Proportionen und ein Maß an Kreativität. Das Schöne daran ist, dass man mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun hat. Das mag ich sehr gerne. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen und man muss versuchen, diesen gerecht zu werden.“

„Und hast du ein spezielles Aufgabengebiet?“

„Ich fotografiere gerne Hochzeiten. Das macht mir am meisten Spaß. Weniger gut gefällt es mir, Portraitaufnahmen bei uns im Studio zu schießen. Da kann man sich kaum mit seinen Ideen einbringen.“

Ole nickte interessiert und bestätigte: „Das kann ich mir gut vorstellen. Ich möchte später auch gerne mit Menschen arbeiten.“

Martin fragte: „Ah, gut, was lernst oder studierst du?“

„Ich studiere Lehramt. Lehramt für Grundschule an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg."

„Dann studierst du Sport?“ Er sah Oles sportliche Figur.

„Ja, Sport und Mathematik. Eine sehr verbreitete Kombination.“ Er winkte ab.

„Aber Grundschullehrer müssen später ohnehin jedes Fach unterrichten oder?“ Ole bejahte. „Ich finde es toll, dass du Lehrer werden möchtest. Das ist ein sinnvoller Beruf und männliche Lehrer an Grundschulen werden gebraucht, nicht? Ich hoffe, dass du dran bleibst und den Mut nicht verlierst.“

Ole wehrte lachend ab: „Meine Mutter ist auch Lehrerin. Ich bin damit groß geworden.“

Beatrice Rissmann trat in den Aufenthaltsraum und räumte zusammen mit den Blums den Tisch ab. Danach erklärte sie den Gästen den Tagesablauf in ihrem Retreat-Center:

„Wer an den Kursen teilnehmen möchte, trägt sich bitte in die dafür vorgesehenen Listen ein. Die Listen hängen in der Halle aus.“

„Verzeih' bitte“, wandte Martha Lindeau ein, „Ist es möglich für mich am Nachmittag ein wenig in meinem Zimmer zu singen? Ich brauche jeden Tag mein Training."

Beatrice musterte Martha genau und meinte dann: „Aber natürlich meine Liebe. Ich denke nicht, dass dein Gesang jemanden hier stören wird.“

Sie schaute in die Runde und alle schüttelten die Köpfe und pflichteten Beatrice bei. Als der Tisch fertig abgeräumt war, ließ Beatrice die Gruppe wieder alleine.

„Dort liegen ja ein paar Spiele“, entdeckte Maximilian Dörflein. „Wir könnten doch eine Runde spielen!“

„Für mich ist das nichts. Ich werde lieber etwas lesen“, winkte Petra Neuzinger ab.

„Kennt jemand Doppelkopf?“, fragte Ole Roggenstern. „Das ist mein Lieblingsspiel.“

„Na klar.“ Martin kam heran und holte die Karten aus dem Schrank. „Wir brauchen noch zwei, die mitspielen."

Es meldeten sich noch Maximilian und Karen. Die vier setzten sich an den Tisch.

Ole, Karen Maximilian und Martin verbrachten einen vergnüglichen Abend mit Wein und Karten. Martha zog sich früh ins Bett zurück, um ihre Stimme zu schonen und Petra saß neben den Spielern auf der Couch und las ein Buch.

Als Martin am späten Abend in einem Bett lag, ließ er den Tag noch einmal Revue passieren. Er war sehr zufrieden. Es sind doch sehr unterschiedliche, aber sehr interessante Menschen hier. Die große Sängerin mit ihrem Verehrer: Martha und Maximilian. Die beiden Gegensätze: Petra und Karen. Und dann der interessierte Sportstudent mit den wachen, einnehmenden Augen.


Ave Maria für eine Leiche

Подняться наверх