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Zweiter Stremel

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Klaus Störtebeker stand auf dem Deich, hatte die Hände hohl um den Mund gelegt und rief die Leute. »Kap Horn und Hein, wat eten! Wat eten! Wat eten!«

Endlich entstiegen sie der Kombüse, winkten mit der Hand zum Zeichen, daß sie verstanden hätten, und kamen über das Eis.

Dann setzten sie sich drinnen zu Tisch, wie es sich gehörte. Auf der Bank mit dem Blumenkranz, dem Namen und der Jahreszahl saß zuoberst der Schiffer, rechts von ihm der Knecht, der Bestmann, vor ihm der Junge, Störtebeker aber neben ihm auf dem bunten Bankkissen.

Gesa trug die vollen, dampfenden Schüsseln auf. Es gab frische Suppe mit bunten Korinthenklütjen. Safran, Suppenkraut und Muskatnuß fehlten nicht daran, und ein Stück Fleisch, wie ein halber Ochse groß, kam dazu auf den Tisch.

Eine stille Pause, dann ergriff Klaus Mewes den großen, blanken Schöpflöffel und füllte sein Fatt, seinen Teller. Als er genug hatte, gab er den Löffel dem Knecht. Störtebeker bekam ihn zuallerletzt, obgleich er vielleicht am hungrigsten war. An der alten Schiffsordnung, die am Deich galt, durfte nicht gerüttelt werden, obschon Klaus Mewes sich sonst wahrlich nicht an das alte Wort kehrte: Flesch förn Schipper, Klütjen förn Knecht, Kantüffeln förn Jungen. Er gab ein Essen, wie es selbst die großen Bauern nicht besser geben konnten.

Bi Disch ward ne snackt. Das war nichts für Klaus Mewes, da hätte ihm wohl einer ein Pechpflaster auf den Mund kleben müssen, wenn er das gesollt hätte. Er sprach und lachte, ohne sich etwas dabei zu denken, und ließ sich auch durch die verweisenden Blicke seiner Frau nicht aus dem Kurs bringen.

Störtebeker aß fünf Klöße, Gotts den Donner, wat kunnt angohn! »Vörre Hand weg, Vadder«, versicherte er, »ohn uttoseuken; wenn ik no de lütjen langt harr, harr ik wenigstens söben upkregen.«

»Oder söbenuntwintig«, gab der Knecht trocken drein, aber Störtebeker verstand den Spott nicht.

»Ik wull, wi eten irst lebennige Schullen, Vadder, de smeckt noch en barg beter!«

»Dat wull ik ok«, rief Klaus Mewes und blickte nach seinem Ewer hinaus.

Er hätte ja die Schollen annehmen können, die Jan-Ohm von der Aue geschickt hätte, meinte Gesa, aber er wehrte ab und sagte, das wäre ja noch schöner, wenn der Fischermann sich die ersten Schollen ins Haus bringen ließe! Gott solle ihn bewahren: Die müsse er selbst aus der See geholt haben, oder sie schmeckten ihm nicht. Er sah seinen Jungen an: »Ne, Störtebeker?«

»Jo, Vadder!«

Nachmittags standen die drei am Fenster und knütteten, Klaus, der Schiffer, Kap Horn, der Knecht, und Klaus Störtebeker. Hein Mück, der Junge, hatte Urlaub genommen. Die drei aber klapperten mit den Schegern und fuhren mit den Nadeln in der Luft herum, obgleich Gesa mit der Sabbatschändung uppen Sünndagnomerdag keineswegs einverstanden war und eine Lippe zog. Aber die Netzmacher ließen sich nicht stören.

Kap Horn war der Bestmann, der Steuermann, Klaus Mewes‘ Knecht. Er hieß eigentlich anders, aber auf Finkenwärder nannten sie ihn allgemein Kap Horn. Viele sagten auch Korl Horn, namentlich die Gören.

Er war ein Janmaat alten Schlages, der lange Jahre auf großen Schiffen gefahren hatte, auf hamburgischen und englischen, der im Südatlantik Albatrosse geangelt und bei Grönland Walfische harpuniert hatte und dreißigmal unter der Linie durchgekommen war. Warum er von der großen Fahrt abgemustert hatte und vom Viermastvollschiff auf den Fischerewer geklettert war, wußte niemand. Er fuhr schon zwölf Jahre bei Klaus Mewes und war fast zu einem Finkenwärder geworden, nur in seiner Sprache war noch ein hamburgischer Ton, und ergab oft ein englisches Wort drein. Auch hielt er sich als alt- und weitbefahrener Matrose für etwas Besseres als die anderen Fischerknechte, die doch höchstens holländisch oder dänisch sprechen gehört hatten.

Wenn jemand mit Fahrten und Reisen prahlte, dann pflegte er einfach zu fragen: »Kap Horn?« Und wußte der andere dann nicht einmal, was gemeint war, so spuckte er verächtlich aus; verneinte er, so drehte er sich um und sagte, mit Bierfahrern verkehre er nicht. Bekam er aber ein Ja als Antwort, so fragte er schnell: »Veel mol?« »Dree oder so.« Dann lachte er und sagte: »An mi kannst nich klingeln, old boy: Ik bün soßtein Mol um Kap Horn seilt, un nu lot dien Prohlen man en bitten no.« Bei einer solchen Gelegenheit war er auch Kap Horn getauft worden.

Nun stand er backbords von seinem Schiffer am Fenster und war bei einer weißen Manilakurre. Klaus Mewes arbeitete an einem Zungensteert, mit dem er nur langsam weiterkommen konnte, und Störtebeker hatte etwas in der Mache, von dem er steif und fest behauptete, daß es eine Bunge werden sollte, ein Reifenkorbnetz für Hechte und Schleie, während Kap Horn auf ein Zwiebelnetz tippte und Klaus Mewes es für eine Staatsgardine für den Krähenkäfig hielt. Wie Weberschiffchen flogen die Nadeln hin und her, und auf den Schegern reihte sich Masche an Masche. Dabei aber wurde ausgiebig geklönt, denn niemand hatte uppen Stutz zu mindern und Maschen zu zählen, also besonders aufmerksam zu sein. Einmal frischte Kap Horn sogar ein altes Matrosendöntje, von St. Pauli auf und begann zu singen:

»In England geiht dat lustig her,

dor bot se Scheepen grot und swor,

een bannig Deert von Ungetüm

dat sall jo de Gretj Astern sien!

Lang is dat Deert twee dütsche Mil,

hoch annerthalf von Deck to Kiel,

Soß Masten, hoch bet an den Moon,

acht Dog brukt een, um roptogohn…«


Weiter kam er aber nicht, denn Gesa, die beim Graben gewesen war und die Enten gefüttert hatte, trat in die Dönß und untersagte ihm den Hymnus mit den Worten: »Sünndogs ward ne sungen, Korl!«

Gesa, die ihren Jungen stets Klaus nannte und von seinem gräßlichen Seeräubernamen nichts wissen wollte, gab auch Kap Horn nicht seinen Spitznamen, sondern nannte ihn ehrbar Korl und meinte ihm wunder was für einen Gefallen damit zu tun.

Janmaat verteidigte sich aber: »Wenn ik arbein sall, mutt ik ok singen, Gesa.«

»Arbein schall? Keen seggt die dat? Pack dien Kurr man getrost tohop un mok man Fierobend un les man mol inne Bibel«, priesterte sie, und als Klau Mewes herzlich lachte, fuhr sie erregter fort: »Ji dree sündt jo woll ne, sünd woll rein mall worden, stillt jo uppen Sünndag vört Finster hin und knütt! Weet ji ok, keen sünndogs arbeit?«

»Uns Herr Pastur!« sagte Klaus.

»Ne, de Bedelmann! För uns Lüd is de Week dor!«

Klaus erwiderte gelassen, es müsse aber sein, denn es sei Tauwetter, und das Eis könne mit jeder Tide abtreiben, so daß sie fahren müßten. Er wolle die beiden Kurren bis dahin aber fertig haben, denn bei der Fischerei unterbliebe das Knütten doch wieder.

Und er müsse seine Bunge auch klar haben, verteidigte Störtebeker sich, denn sein Vater solle sie ihm noch einstellen. Was sie wohl meine, die ganzen Gräben säßen voller Hechte.

Dann sollten sie mit ihrem Kram nach der Küche oder nach dem Boden oder nach dem Ewer gehen, fing Gesa wieder an, die sich über sie ärgerte. Sie sollten sich doch nicht von den Leuten sehen lassen, denn am Deich sprächen sie sicherlich wieder davon und hielten sich darüber auf.

»Lot jüm, Mudder«, erwiderte Klaus sorglos, »ik blief doch hier, mag to giern sehn, wenn welk uppen Diek langs goht un mi inne Finstern kiekt.«

Und er füllte die Nadel, die leer geworden war, und knüttete weiter.

Gesa aber ging kopfschüttelnd aus der Stube und machte sich in der Küche zu schaffen, von wo sie über die Bauerndächer und Obstbäume nach ihrer Heimat sehen konnte, nach den blaugrauen Bergen der Geest. Sie konnte die Fischer nicht verstehen. Sie war noch keine Fischerfrau geworden und fühlte wieder mit bitterem Schmerz, daß aus ihr niemals eine werden konnte. Immer noch graute ihr vor dem Wasser, und alle Schiffahrt war ihr fremd und unverständlich. Sie konnte sich nicht helfen. Das eine ließ sich nicht abschütteln und das andre nicht lernen. Klaus rüstete mit Gewalt zur Fahrt; sie sah ihre böse Zeit kommen, sie hörte schon den Regen gegen die Fenster schlagen und den Wind an der Tür saugen und wußte nicht, wie sie es wieder ertragen sollte, ihren Mann auf See zu wissen. Sie liebte ihn tief und heiß und lag in seinen Armen wie im Sonnenschein, aber seine Fahrten machten ihr bange, und sie wünschte im Herzen nichts sehnlicher, als daß er kein Seefischer wäre, sondern Bauer oder Handwerker oder sonst etwas an Land. Konnte er nicht sein Fahrzeug verkaufen, wie andere Fischer es getan hatten?

Aber Klaus Mewes – und das tun? Sie mußte doch lächeln über den Gedanken. Bis Blankenese müßte es gewiß zu hören sein, sein Lachen, wenn sie davon spräche, daß er an Land bleiben solle.

Da saß sie nun in ihrem Glück, um das die ganze arme Heide sie beneidete, war eine große Seefischerfrau mit Haus und Hof und Deich, der jede Reise die Hundertmarkscheine auf den Tisch flogen, und war doch nur ein armes Weib voll Unruhe und Bangigkeit, was immer und überall Wetter und Wolken aufsteigen sah und seines Lebens nicht froh werden konnte. So manchen Tag sehnte sie sich nach der stillen, einsamen Geest zurück, wo sie nichts von Schiffen und von Seefahrt gewußt hatte, manchen Tag, wenn die Elbe in Gischt und Schaum einherging. Wie ließ der Wind sie nicht einschlafen, wie oft jagten die Blitze sie aus dem Bett, wie oft schreckten sie die Stimmen der geängstigten Schiffahrt im Nebel! Und immer allein zu sein! Der Mann war auf See, der Junge auf der Elbe. Mit den Finkenwärder Frauen hatte sie wenig Verkehr und Freundschaft, weil sie fühlte, daß sie als Binnenländerin nicht ganz für voll angesehen wurde.

Wie wichtig sie sich in der Dönß taten! Als wenn sie sie gar nicht vermißten! Wie sie lachten, Klaus Mewes am lautesten!

Dieses Lachen hatte es ihr angetan, als er um sie geworben hatte, denn so hatte sie noch nie jemanden lachen gehört. Das hatte sie in seine Arme gedrängt, hatte sie von der Geest in die Marsch gelockt, von dem Heidehof in das Fischerhaus, und hatte sie nicht an die Not und Schwere des Seefischerlebens denken lassen. Vergessen war, was sie gehört und gelesen hatte von Sturm und Untergang. Wo einer so lachen konnte, da konnte weder Unglück noch Gefahr sein, hatte sie gemeint, als Klaus um sie freite.

Er lachte noch just so wie damals, er hatte es noch nicht verlernt, aber sie konnte es jetzt nicht mehr ohne Schmerz hören, es schnitt ihr ins Herz, wenn sie an das Finkenwärder Elend, an die Witwen und Waisen, an all die Tränen und unruhigen Stunden dachte, es kam ihr wie ein Frevel, wie eine Sünde vor. Daß er so verwegen war, machte ihr das Herz noch schwerer, und die trübe Ahnung früher Witwenschaft hing wie dunkles Gewölk über ihrem Leben.

Wie laut sie erzählten, die beiden Seefischer! Gewiß von nichts anderem als von Fahrt und See, und die durstige Seele des Jungen trank es. Der war schon der See verfallen, war dem Deich und ihr schon entfremdet und wurde es von Tag zu Tag mehr. Es war ja schon ausgemacht, daß er den Sommer mit an Bord solle; all ihr Bitten war bisher vergeblich gewesen.

Es war ein hartes Leid. An sie und ihre Heide dachte kein einziger, niemand kümmerte sich darum. Wie lange Zeit war sie nicht mehr zu ihren Eltern gekommen, die ihren Enkel kaum kannten! Klaus lachte, wenn sie davon sprach, sie solle gern hingehen und alle grüßen, aber was er auf der Geest solle? Er könne so weit nicht laufen. Den Jungen bekam sie fast nur mit Gewalt dazu, daß er mitging. Seitdem er wußte, daß sein Vater sich nichts aus der Geest machte, trug auch er kein Verlangen danach. Dort sei für einen Seefischer nichts zu lernen, echote er, dort gäbe es ja nur Heide und Sand und Steine und weiter gar nichts.

Schließlich aber ging Gesa doch in die Stube zurück, weil ihr zu kalt wurde, suchte ihr Strickzeug hervor und setzte sich neben den weißen Kachelofen.

»Kiek mol an, Mudder knütt ok, Vadder«, rief der Junge lustig. »Kiek mol an, Kap Horn, un uns will se wat seggen!«

Da mußte sie wider Willen doch mitlachen.

»Wat sä de Pastur denn Godes, Klaus?« fragte der Knecht. »Hette ok beet, dat dat Is bald doldrifft un wi no See seilen könnt?«

»Jo, dat segg man«, sagte Klaus und riß grimmig an seiner Kurre. »Ick wull, dor keum mol Westenwind achter!«

Er blickte über die Schallen, auf denen die Fleek, das dicke Eis, schon seit Fastelabend lag. Bis an den Nienstedter Fall, bis in die Mitte der Elbe stand es noch, zwar schwärzlich und mürbe, aber es hing doch noch zusammen. Dagegen war das Fahrwasser drüben schon fast frei von Eis, dort trieben nur noch große und kleine Schollen. Dort segelten denn auch schon die Fischerfahrzeuge vom Audeich, dem anderen Ende des Eilandes, dort kreuzten schon die Dreuchewer und Jalken, dort fischten schon die Altenwerder Jollen nach Stinten und Sturen und die Hamburger Smietnettfischer nach Butten, während das Neßgeschwader, das aus dreißig Ewern, neun Kuttern, sieben Wattjollen, einigen fünfzig Elbjollen und Booten bestand, noch im Eise festsaß und nicht mitkonnte. Die Auer und Blankeneser kamen schon mit den ersten lebendigen Schollen die Elbe herauf, einige hatten schon große Reisen nach der Weser gemacht. Klaus Mewes aber und seine Nachbarn saßen noch fest. Wenn der Eisbrecher binnen Wasser genug gehabt hätte, wäre ihnen längst geholfen gewesen, aber der große Beißer konnte nur eben den Rand ein wenig glattfressen.

Klaus Mewes sah, daß zwei weiße Kutter von einem kleinen Schlepper von Blankenese heraufbugsiert wurden, die sicherlich den Bünn voller Schollen hatten, und kam sehr in Fahrt. Seine Gedanken zertrümmerten das Eis und brachen sich einen Weg nach dem offenen Wasser.

»Kap Horn, wat meenst dorto, wenn wi sülben Isbreker speelt?« rief er.

»Wat seggst du, Klaus? Du wullt en Isbreker utgeben?« fragte der alte Janmaat, der gerade mit brausendem Monsun in den Segeln zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Singapur schipperte und deshalb nicht zugehört hatte.

»Wi weut di bi Isbrekers«, warf Störtebeker laut dazwischen, »swarten Kaffee schallst du hebben!« Klaus aber hatte seinen Plan schon unter Segeln. »Wi möt allemann bi«, rief er. »Hütz mitte Mütz, Lütjfischers un Seefischers, Schippers und Lüd! Wi stekt uns beiden Kurrlienens ut un spannt uns alltohop vör un denn teht wi an! Schallst mol sehn, wo gau wi denn not Fohrwoter raf kommt!«

»Jä!«

»Wat jä? Meenst, wat wi ne soveel Hölpslüd uppen Hümpel kriegt?« fragte der Schiffer.

»Ik hilp ok mit«, versicherte der Junge wichtig, »ik kann wat tehn, Vadder!«

»Du bliffst hier, Klaus«, kam es aber mit Gegenwind vom Ofen her. »Meenst du, wat du dor ünnert Is kommen schallst!«

An Hilfsleuten würde es wohl nicht fehlen, gab der Knecht zu, aber wer würde sein Fahrzeug zum Eisbrecher machen wollen? Das sei der Knoten!

Der am weitesten im Eis stecke, erwiderte Klaus. Er selbst! Er wolle es wagen, sein Ewer sei einer der stärksten und könne es am besten ab, er wolle gleich am andern Morgen alles klarmachen, und Kap Horn solle dann den Deich abklopfen und es aussingen, daß die Eisbrecherei mit Hochwasser anfangen solle. »Denn könnt wi offermorgen all up de Schullen dol, Mudder!«

»Huroh, offermorgen geiht no See!« rief der Junge, warf die Bunge hin und machte, daß er hinauskam. In voller Fahrt lief er den Deich entlang, daß die Enten im Graben ein lautes Gequark anstimmten und sich erst nach und nach von dem grünköpfigen Wart beruhigen ließen: Wat, wat hebbt ji egentlich, dat, dat is de Jung doch jo bloß, so schnatterte der Wart.

»Du kummst ober noch ne mit«, wollte Klaus gerade sagen, aber er kam gar nicht mehr dazu. Der Junge war schon um die Huk, er hörte auch nicht mehr, daß Gesa laut ans Fenster klopfte und ihn zurückrufen wollte.

»Wat will he? All Bescheed seggen?« fragte Kap Horn lachend, aber sein Schiffer lachte noch lauter und sagte: »De? Ne, de will no den Schoster hin un sien Seestebeln holen. Wenn de klor sünd, schall he jo mit an Burd, un he will woll all gliek de irste Reis giern mit.«

»Dor hest du ok wat scheunes mokt, Klaus«, sagte Gesa kopfschüttelnd, »dat du ein de Stebeln anmeten loten hest! He löppt elken Dag söbenmal hin und kött an! De Schoster seggt, he kann em all gorne mihr hinholen.«

»Jä – du liebe Zeit«, erwiderte er, »endlich will de Bur de Koh betohlt hebben und de Jung will toletzt ok mol sien Stebeln hebben. De Schoster kanns ok jo man klor moken, denn hett he jo wedder sien geruhigten Nachten.«

»Un denn?«

»Denn nehm ik den Jungen mit no See, Mudder, dat weest du jo, dor is jo all genog ober snackt worden«, sagte er sicher.

Sie war aufgestanden und erwiderte mit erregter, heiserer Stimme: »Un ik segg di soveel, Klaus Mees, du kriegst den Jungen ne mit no See. Wenn he noher grot is un ut de Schol, denn nimm em in Gotts Nomen hin, denn will ik nix mihr ober em to seggen hebben. Aber so lang hürt he mi, mien Mudderrecht lot ik mi ne nehmen! Is genog, wat ik em soveel uppe Ilw loten mütt: no See schall he noch ne!«

»Geef di, Gesa«, beschwichtigte Klaus gelassen, während Kap Horn, der zu dem Streit nichts sagen wollte, heimlich aus der Tür ging und mal über den Westerdeich guckte. »De Jung kummt düssen Sommer mit no See, dat is so gewiß as de Heben. He schall bitieds seefast warrn!«

»Ik lied dat ne un lied dat ne!« beharrte sie leidenschaftlich. »Du hest en reinen Vogel mit dienen Jungen, weest dat? Keen een van de Seefischers nimmt son lütjen Boitel all mit an Burd, de kum en Büx mit Verstand dregen kann.«

Er machte geruhig seine Maschen. »De hebbt ok ne son Jungen as ik«, sagte er. »Lot mi man, Gesa. Ik bün en rechten Fischermann un will en rechten Fischerjungen ut em moken, un ut di will ik ok wat rechts moken, Diern! Weest, wat dat is?«

Sie gab keine Antwort.

»En rechte Fischerfro, Gesa! Weest du wat, Diern? Du geihst ok mit no See, man to, denn wardt irst mooi! Kiek di mien Fischeree mol mit egen Ogen an!«

Sie schüttelte starr den Kopf: »Dat kann ik ne, Klaus! Wenn ik dat kunn, denn harr ik dat vullicht all lang don, ober ik kannt ne!«

»Dat kummt uppen Verseuk an«, erwiderte er. »Goh man mol mit, un du schallst mol sehn: Buten ist en barg beter as binnen!«

»Klaus, gläuf mi dat doch to: Ik kann dat ne, ik warr seekrank und starf di all vör Angst. Mi grot to dull vört Woter!«

»Jo, du büst en grote Bangbüx«, schalt er, dann aber tat ihm sein herber Ton leid, und er tröstete: »Ober dat schall sik woll noch all geben, mien Diern, paß man up, du warst noch en gode Fischerfro, de Banghaftigkeit gifft sik mit de Johren.«

»Ne, de gifft sik ne, dat weet ik«, sagte sie tonlos und ging aus der Stube, weil ihr die Tränen kommen wollten.

Da blieb der große Seefischer allein bei seinen Kurren, aber er ließ sich den klaren Sinn auch durch die Stille nicht verwirren und ging nicht von seinem Kurs ab. Kap Horn kam herein und nahm seine Arbeit schweigend auf.

»De Jung kummt doch mit no See«, ließ Klaus Mewes sich vernehmen. Dann blickte er nach seinem Ewer und wartete auf Kap Horns Meinung.

»Klaus, ik will di mol wat seggen: Ik kunn dien Vadder sien. Als du geborn weurst, do krüz ik all bi Kap Horn rum un greep Albatrossen! De Mudder hett noch en Recht op den Jungen!«

»Och wat!« fiel Klaus ihm barsch ins Wort. »Ik hebb dat eenmol seggt un dorbi blifft dat: He kummt mit an Burd! Bi de Dierns geiht dat no de Mudder, ober bi de Jungens geiht dat no den Vadder! Sien Mudder seh jo upt leefst, wenn he Schoster oder Snieder warrn dä un keen anner Woter to sehn kreeg as dat innen Teeputt. Un wenn wi blieben schulln, Kap Horn, denn mokt se ok en Schoster oder Snieder ut em. Ober man keen Bang, Klaus Mees kann ne blieben!«

Der alte Knecht erhob warnend die Hand.

»Dat hett dien Vadder ok dacht oder seggt, Klaus Mees, un he is doch ne wedderkommen mit sien Ewer!«

Aber Klaus Mewes, der seinen Ewer für den besten von der Elbe hielt und sich für den besten Fischermann, blieb dabei, daß er nicht bleiben könne. Das war sein Wort von jeher gewesen, und seine gewisse, sturmgewohnte, sonnenfreudige Seele hielt daran fest: »Ik kann ne blieben, un ik blief ok ne!«

Störtebeker ließ sich auch wieder sehen, er nahm seine Bunge und fing wieder an zu knütten, aber er machte ein Gesicht wie ein Fischer, der nichts gefangen hat, und ließ die Unterlippe vorstehen, als wenn ein Schock Hühner darauf sitzen sollte. Der Knecht sah ihn belustigt von der Seite an und stichelte: »Na, Klaus Störtebeker, großer Seeräuber, wat sä de Schoster? Hett he de Söbenmielenstebeln noch nich klor?«

Da brach es bei dem Jungen los wie bei einer Stintflage, und er ballerte wie ein Großer: »Ik gläuf, de Knappen is verrückt oder splienig! Dat is oberhaupt keen Schoster, gläuf ik, de kan gorne schostern un gorkeen Stebeln moken! Dat is en Leisegänger, Vadder…«

Schiffer und Knecht konnten sich nicht mehr vor Lachen helfen, aber der Junge fuhr in seinen Schmähungen fort. »Jedesmol, wenn ik komm, seggt he: morgen; ober he kummt ne wieder as he is, de Tüffel.«

»Wat scheut de Stebeln denn all, Störtebeker?« fragte Klaus ernsthaft.

»Ik will doch mit no See, Vadder, un du hest doch seggt, wenn de Stebeln klor würn, denn schull ik mit«, antwortete der Junge zuversichtlich.

»Büst du denn ok nich mehr bang?« fragte nun Kap Horn lauernd. »No See dörft blot welk, de nich bang sünd.«

»Ne, Kap Horn, bang bün ik ne«, erwiderte der Junge treuherzig.

»Vörn dode Mus woll nich, Störtebeker, un vörn brodten Gnurrhohn ok woll nich, ober wenn di en lütjen Rottenbieter inne Meut kummt, denn neihst ut, wat kannst, un schreest: Mudder, Mudder, Mudder!«

»Lögen, Lögen, Lögen!« stritt Störtebeker und pikte ihn mit der hölzernen Knüttnadel. »Ik bün vör keen Hund bang un vör gornix!«

»Wenn du ober op See keen Land mehr sehn kannst, denn geiht dat Bölken doch los?«

»Ne, schreen do ik gewiß ne.«

»Denn warst du ober seekrank!«

»Ne, Kap Horn, ik warr ne seekrank!«

Das klang gerade so, als wenn sein Vater sagte: Ik blief ne! Und Klaus Mewes sah seinen Jungen an und dachte: Was soll in dem wohl anders stecken als ein Fahrensmann? Dann sagte er, und es klang wie ein Gelübde: »Man still, Störtebeker, du kummst to Sommer mit an Burd!«

Der Junge freilich hatte für die Feierlichkeit keinen Sinn und ließ ein enttäuschtes: »Och, to Sommer irst!« fallen, das den Knecht zu der Bemerkung veranlaßte, es wäre jetzt noch zu kalt auf See.

»Un dien Stebeln sünd ok jo noch ne klor«, gab Klaus zu bedenken, und Kap Horn kam noch einmal mit der bitterbösen Seekrankheit an den Wind.

Sie knütteten fleißig weiter; als es aber Flut geworden war und das Eis aufstand, die Ewer sich erhoben und das Wasser auf das Bollwerk stieg, hielt Störtebeker es nicht mehr aus, er ließ die Bunge liegen und nahm französischen Abschied.

»Neem schallt no to?« fragte sein Vater, aber er erwiderte beiläufig, er wolle füttern – und weg war er.

»Dat keum jo bannig zaghaft rut«, sagte der Knecht und sah ihm nach. »Wenn de man nix anners in de Lur hett.«

Klaus dachte dasselbe, denn sonst pflegte Störtebeker die Fütterung seiner Krähe und seiner Kaninchen mit dem von seiner Mutter gelernten Spruch einzuleiten: Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes.

Als einige Zeit vergangen war, legte Klaus Mewes den Scheger beiseite und ging binnendeichs. Wie er sich schon gedacht hatte, war von Störtebeker nichts zu erblicken. Die Kaninchen machten Männchen, als er den Deckel des Kobens lüftete, und ließen ihre Nasen in der Luft tanzen. Kluß aber, die alte Nebelkrähe, die er selbst einmal auf See gegriffen hatte, saß unbeweglich auf ihrer Stange und wagte nicht mehr als ein halbes Auge an seine Gegenwart. Er rief halblaut, damit Gesa ihn nicht hören sollte, aber er bekam keine Antwort. Dann guckte er nach den Stichlingsnetzen, die neben dem Hühnerwiem hingen; sie waren alle drei am Nagel: Fischen war der Junge also nicht. Er machte den Warbel vor und blickte über Wischen, Stegel und Binnendeich, aber da rührte sich nichts als Hannis Holsts gelber Kater, der um einen Mäusebraten verlegen war und die Stubben untersuchte. Tiefes Schweigen lag über den dunklen Gräben, und in den kahlen Wipfeln der Eschen und Erlen saß das nächtliche Grauen, das die See nicht hat, sondern nur das Land, und das den Seefischer darum einigermaßen bedrückte, als er sich nun aufmachte, seinen Jungen zu suchen. Er dachte aber nicht nach Weiberart an das Wasser und daß er hineingefallen sein könnte; übrigens wußte er ja, daß Störtebeker schwimmen konnte und nicht in einen Graben fiel, ohne wieder herauszuklettern. Aber er wollte wissen, wo er abgeblieben war.

So ging er über die Wurt zum Deich zurück und guckte mit seinen scharfen Augen über das Eis, er lief über die Blöschen nach dem Ewer, die Waken und Löcher umgehend; nichts war zu sehen als im Fahrwasser die Lichter, die gelben, grünen und roten, nichts zu hören als das raschelnde alte Reet und das Krachen der zusammenbrechenden Sickberge in der Weite.

Sollte der Junge wieder in der Kombüse sitzen, wie er es schon mehrmals gemacht hatte, um sich an die Ewerluft zu gewöhnen? Klaus Mewes turnte auf das Deck und stieg in die stille, dunkle Kajüte hinab, die ihm nun beinahe fremd vorkommen wollte, so tot erschien sie ihm ohne das sonst ständig brennende Licht.

Wo mochte der Junge sein?

Wieder an Deck, horchte er von neuem, aber er vernahm nur das Tuten eines Dampfers, der dwars von der Nienstedter Kirche fuhr. Seine Flagge auf dem Besan regte sich leicht im Abendwind, als er hinaufsah. Da schoß ihm jäh der Gedanke durch den Kopf: Wenn ik di bloß ne halfstock holen mütt! Aber er jagte ihn von dannen, kletterte über das Schwert und schritt über das Eis zum Bollwerk zurück. Im Osten glomm der Lichtschein von Hamburg auf, der dem Landfremden eine weit entfernte, ungeheure Feuersbrunst vortäuschte. Da dachte Klaus Mewes an die alte Fischfrau Beeken Focken, die 1842 schon verheiratet gewesen war, so alt war sie. Die hatte einmal bei ihm auf dem Deich gestanden und mit ihren braunen, knochigen Fingern nach dem östlichen Abendrot gewiesen und gesagt: Viel anders hätte das 1842 vom Deich aus auch nicht ausgesehen. Nun wäre Hamburg schon so groß, daß es jede Nacht einen so großen Brand hätte.

»Jä, Beeken, dat magst du woll seggen. Bi de veelen Wirtschaften«, hatte er lachend geantwortet.

Mit einem Mal drehte er sich um und sah Seemann auf dem Bollwerk stehen. »Neem ist Störtebeker, Seemann? Such! Such!« rief er hastig.

Seemann wedelte mit dem Schwanz zum Zeichen, daß er verstanden hatte, und setzte sich gemächlich in Bewegung. Er schwankte von dem langen Leben an Bord wie ein wirklicher Seemann von einer Seite nach der anderen, wenn er lief.

Klaus wußte schon Bescheid, es ging zur Neßkuhle, in der der Kahn lag. Der Junge schipperte gewiß oder goß das Wasser aus seinem Fahrzeug, das etwas ziepte. Da lag aber der Kahn unter den krummen Wicheln und war nicht abgeleint wie sonst, der Riemen lag dwars, und kein Junge war dabei. Jäh befiel ein ungeheurer Schreck den Fahrensmann, der auf der Doggerbank den bösesten Stürmen furchtlos in die Augen blicken konnte, und er lief in Sprüngen den Deich hinab.

»Klaus!«

Der Störtebeker blieb ihm dies eine Mal doch in der Kehle stecken.

»Hier bün ik, Vadder, wat schall ik?« rief Störtebeker, und eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten der Baumstämme, die den Schleusengraben wie Gespenster umstanden. Taumelnd kam sie näher und wäre umgefallen, wenn der Seefischer sie nicht aufgefangen hätte.

»Wat ist dor los, Störtebeker? Wat fehlt di? Büst du krank?«

Der Junge sah blaß aus, aber er lächelte doch schon wieder verloren. »Jo, Vadder, ik bün seekrank un mütt mi jümmer speen.«

»Wat kummt dat denn?«

Der Junge wies auf seinen grünen Kahn. »Ik will mi seefast moken, Vadder, wat ik mi noher up See ne mihr to speen bruk. Un Jakob Husteen hett to mi seggt, denn müß ik jümmer miten Kohn dümpeln. Örk, örk – wat bün ik nu slecht toweg, Vadder, wat hebb ik förn bittern Gesmack innen Mund!«

Klaus wollte lachen, konnte es aber nicht, weil ihn die Tapferkeit des kleinen Kerls tief rührte, der so lange mit dem Kahn gedümpelt hatte, bis ihm schwindelig wurde, nur um sich seefest zu machen.

»Jä, Störtebeker, so geiht dat buten den ganzen Dag! Nu wullt doch gewiß ne mihr mit no See, wat?«

Aber der Junge nickte herzhaft und sagte: »Doch, Vadder! Morgen dümpel ik wedder, un offermorgen un den Dag, de denn kummt, ok, bit ik ne mihr düsig warr und mi ne mihr breken mütt! Ik will mi doch to Sommer van Kap Horn und Hein Mück nix utlachen loten!«

Klaus Mewes vertäute den Kahn in schiffergerechter Art, nahm seinen Jungen bei der Hand und ging mit ihm nach dem Neß zurück.

In der Dönß brannte schon die Lampe.

Als sie sich vor der Tür die Füße abschrapten, sagte Klaus halblaut: »Brukst Mudder dor ober nix van to seggen, hürst?«

»Segg du man nix, Vadder, ik will woll swiegen«, flüsterte Störtebeker kameradschaftlich und setzte sich in der Dönß gleich neben den Ofen, möglichst weit weg von der Lampe, bückte sich tief und zog umständlich die Stiefel aus, um sein Gesicht vor der Mutter zu verbergen, die gleich in richterlichem Ton fragte: »Non, neem kommt jü denn her?«

»Wi sünd mol no de Neßkul wesen«, berichtete Klaus Mewes der Wahrheit gemäß.

»Hest du ok natte Strümp, Klaus?«

»Ne, Mudder, knokendreuch!«

»Lot mol feuhlen! De un dreuch? De leckt jo vör Nattigkeit. Gliek treckst jüm ut!«

Störtebeker machte ein saures Gesicht, aber er freute sich doch, daß sie weiter nichts merkte, und wischte heimlich die letzten Spuren des Seefestigkeitskurses ab.

Nach dem Abendbrot wurde das Knütten noch eine Weile wieder aufgenommen, dann aber packten sie das Kurrengut zusammen und machten Feierabend.

Kap Horn suchte sich die alten Zeitungen aus der Bank hervor und las den Roman »Zehn Jahre unter der Erde oder Schuld und Sühne« mit aufgestützten Ellbogen. Wenn er dabei an Stellen kam, die ihm behagten, nickte er anhaltend, wogegen er bei Kapiteln, die nicht nach seinem Geschmack waren, ebenso ausdauernd den Kopf schüttelte. Ja, man konnte noch mehr aus seinem Gesicht erkennen, denn wenn er von Wind oder Sturm las (und in einem echten Seefahrtsroman weht und stürmt es ja alle drei Seiten), so pustete er leise vor sich hin. Las er von Liebe, so strich er sich über die Backen, gab es eine Mordgeschichte zu kauen, dann las er mit geballten Fäusten und so weiter. Wenn sie sturmeshalber hinter Norderney oder Wangerooge lagen, beobachtete Klaus, in der Koje liegend, seinen lesenden Knecht mitunter stundenlang und sagte dann zuletzt: »Nu will ik di mol vertillen, Kap Horn, wat du lest hest.« Und meistens stimmte es, was er dann erzählte, so daß der Knecht jedesmal erstaunt sagte: »Klaus Mees, ik gläuf, du kannst hexen.«

Diesen Abend aber kam der Schiffer nicht dazu, denn sein Junge ritt auf seinen Knien und bettelte um eine Geschichte.

»Ik weet uppen Stutz keen.«

»Och Vadder, vertill doch een! Du weest so veel.«

»Ne, ik kann nu keen tohopgrabbeln.«

»Och, man to, Vadder!«

»Non jo, denn ober ganz still wesen un eulich tohürn un noher ne wedder seggen, dat wür jo gorkeen Geschichte.«

»Ne, Vadder, dat segg ik ok nee«, versicherte Störtebeker, und sein Vater legte los.

»Non, denn hür to: Dor wür mol en Mann, de harr keen Kamm, to köfft he sik een, to harr he een…« Da hielt der Junge seinem Vater aber schon den Mund zu und schimpfte: »Dat ist keen Geschichte, dat ist Narrenkrom! Du schallst en euliche Geschichte vertillen!«

»Non, denn hör to: Dor wür mol en Mann, de wür in de Heid verbiestert, nu hür man god to! Dor wür mol en Mann, de wür in de Heid verbiestert…« Da hielt Störtebeker ihm wieder den Mund zu und sagte, das wäre auch Tüdelei.

»Non, denn hür to: To sett he sin Hot uppen Disch un seggt: Non denn so wißt, ich selbst bin Klaus Störtebeker!«

O weh – das hätte Klaus Mewes doch wohl lieber nicht vorbringen sollen, denn nun beutelte Störtebeker ihn regelrecht durch und heischte zwar etwas von Klaus Störtebeker, aber etwas anderes, nicht immer diesen einen Satz, den er schon tausendmal gehört habe.

Kap Horn legte den Finger auf das letzte Wort, das er gelesen hatte, sah auf und sagte: »Klaus Störtebeker büst du jo sülben, Junge, dor brukt di doch keen een wat von to vertellen.«

Gesa aber, die einen Flicken auf die englischlederne Hose setzte, sagte abweisend: »Lot den olen Seeräuber man ünnerwegens un näumt den Jungen man ne jümmer Störtebeker. Den olen slechten Nom ward he jo sien ganz Leben ne wedder los.«

»De Nom is gornich so slecht, Gesa«, sagte Kap Horn ernsthaft, während Klaus Mewes lachte und meinte, den Namen habe er einmal weg. Klaus Störtebeker sei übrigens gar kein schlechter Mensch gewesen, wohl habe er den reichen Kaufleuten und den Königen ihr Gold und Gut weggenommen, aber den Armen habe er viel Gutes getan, noch jetzt würden die armen Leute zu Verden von seinem Geld gespeist. Und mit den Fischern habe er es auch nicht bös gemeint: Er störte sie nicht, und wenn er Fische holte, so bezahlte er sie reichlich.

So erzählte Klaus Mewes, was die Sage an der Wasserkante zusammengetragen hat von den Vitalienbrüdern und ihrem Hauptmann Klaus Störtebeker – und der kleine Klaus Störtebeker saß mit funkelnden Augen und glühenden Backen dabei und konnte nicht genug hören, wie sie Kopenhagen in Brand steckten, wie die zerfetzte gelbe Flagge im Sturm flatterte, wie sie mit den Hamburger Schiffen umsprangen, wie sie Ritzebüttel und Neuwerk wegnahmen und wie sie den schottischen König gefangenhielten. Als Klaus aber weiterging und von dem großen, breiten Graben auf Finkenwärder erzählte, der die kleine Elbe hieß, und daß Störtebeker dort oft mit seinen Schiffen auf der Lauer gelegen habe, da sprang der Junge auf, daß Kap Horn ausrief: »Neem ist dat Füer?« Er fragte: »Vadder, neem is de Groben?«

Sein Vater beschrieb ihm diesen Graben und sagte, daß es damals noch keinen Deich gegeben habe und daß die kleine Elbe ein Priel von der großen gewesen sei. Aber er konnte es dem Jungen doch nicht recht verdeutschen, der sich einen so breiten Graben gar nicht vorstellen konnte, und es blieb schließlich nichts anderes übrig, als daß sie eine kleine, nächtliche Expedition zum Seeräubergraben ausrüsteten, die trotz aller Einwendungen von Gesa sofort ausrückte und der sich auch Kap Horn und Seemann freiwillig anschlossen.

»Klaus, blief hier, dor sitt de Brummkirl innen Groben un holt di!«

Der Junge lachte sie aus und sagte, während er sein wollenes Halstuch umband: »Brummkirl gifft ne, Mudder.«

»So?«

»Hett Vadder seggt! Dor ward bloß lütje Kinner mit bang mokt, wat se ne bit Woter gohn scheut.«

Dann schlug die Haustür knallend zu, und Gesa war wieder allein. Wie die Brechseen über dem kleinen Ewer, so schlugen die Gedanken über ihrem Kopf zusammen; sie konnte sich ihrer nicht erwehren und konnte auch die quellenden Tränen nicht hemmen. Warum mußte sie so geschaffen sein, daß sie nicht getroster Hoffnung und fröhlichen Herzens an die Seefahrt denken konnte, warum konnte sie sich der Keckheit ihres Jungen nicht freuen? Warum nicht? Sie war doch jung und gesund: Warum mußte sie da immer wieder zusammenbrechen und klein und verzagt werden, warum konnte sie ihn nicht loswerden, den furchtbaren Gedanken, daß sie den Ewer auf See untergehen und den Jungen ertrunken im Graben sehen solle? Warum wagte sie es nur mit heimlichem Grauen, helle Kleider zu tragen?

Sie begriff nicht, daß eine Seefischerfrau wie die kleine Metta Holst, die doch auch nicht am Deich großgeworden war, sondern wie sie von der Geest stammte, so fröhlich lachen und singen konnte und abends ruhig auf dem Deich unter den Linden hinter dem Spinnrad saß und spann; denn ihr Mann und ihre beiden Söhne fuhren auf einem Ewer, schwammen auf einem Stück Holz in der See. Ein Blitzstrahl, eine Brechsee konnte ihr ganzes Leben verschütten, ihr ganzes Haus verdunkeln, ihr alles, alles nehmen – und doch konnte sie singen und lachen, die Frau. Daß eine so fest stehen konnte!

Gesa schüttelte den Kopf.

Der Junge glitt ihr ganz aus den Händen. Sie hielt viel von ihm, gewiß ebensoviel wie andere Frauen von ihren Kindern. Und wenn sie ihn zügelte und ihm wehrte, wenn sie ihn dem Wasser fernzuhalten suchte, was trieb sie anderes dazu als die Liebe? Bis zu drei Jahren war der Junge ein rechtes Mutterkind gewesen, das ihr Schürzenband kaum losgelassen hatte, und sein Vater hatte sich wenig mit ihm abgegeben, sondern nur immer lachend erklärt, daß er mit so kleinen Gören nicht umzugehen wisse; ein Mann, der ein kleines Kind auf dem Arm habe, komme ihm vor wie ein Hahn, der auf Eier gesetzt sei. Zwar hatte er den Jungen zuerst alle zwei Stunden geweckt und dabei gesagt, das müsse er beizeiten lernen, denn später beim Schollenfang hieße es auch: alle zwei Stunden raus! Aber es war nur Spaß gewesen, wie es auch Spaß gewesen war, wenn er ihn auf und ab schaukelte, um ihn an die Dünung zu gewöhnen und ihn seefest zu machen. Wozu er sang: So dümpelt de Eber, so dümpelt de Eber, so dümpelt de Eber up See…

Dann aber, als der Junge anfing zu sprechen und zu begreifen, war es anders geworden; da kam der Ernst. Da wurde er ausgelacht, weil er ein Mutterkind war, und von ihren Wegen abgelenkt, da wurde das Wort gesprochen: ne bang wesen, Junge, anners kummst du ne mit no See! Ne schreen, Klaus, anners kann ick di noher an Burd ne bruken. Da war der Brand in die Kinderseele hineingeworfen worden und hatte sie verheert. Da war ihm der Kompaß in die Brust gesetzt worden, der ständig nach der See wies und all sein Tun und Lassen lenkte.

Dann kam der Kahn, der grüne, nordische Kahn, von dem Gesa glaubte, daß ihr Mann ihn vom Teufel gekauft hatte und nicht von dem norwegischen Schuner, wie er behauptete. Den bekam der Junge zu seinem vierten Geburtstag, und damit war er der Elbe und dem Wasser verfallen und nun mehr als die andern Jungen am Deich: Reeder und Schiffer. Da übertrugen die Finkenwärder den Namen des Fahrzeugs bald auf den Jungen, und aus dem kleinen Klaus Mewes wurde für jung und alt ein kleiner Klaus Störtebeker! Gesa seufzte tief, denn sie trug schwer an diesem gottlosen Namen.

Die vier Getreuen aber standen an dem breiten schwarzen Graben zwischen den dicken krummen Wicheln und den schlanken schiefen Erlen und suchten die Spuren von Klaus Störtebeker. Sie bestimmten den Baum, an dem er sein Admiralsschiff festgemacht hätte, und durchforschten die hohlen Stämme nach Gold, das er vielleicht hineingesteckt haben könnte. Das faule Holz glomm auch wirklich wie Silber, so daß der Junge alle Augenblicke ausrief: »Hier sitt dat Gild, hier sitt dat Guld!« und sie von einer Wichel zur anderen lockte.

Klaus Mewes aber guckte viel nach dem Bauernhof auf der zehn oder zwölf Ewerlängen entfernten deichhohen Wurt, der bei den alten Leuten noch der Grönlandshof hieß, weil in alten Zeiten die hamburgischen Walfischfänger neben ihm geankert hatten. Dorther stammten er und die ganze, weitverbreitete Sippe der Mewes. Auf dem Grönlandshof hatte der alte Vogt holländischen Blutes gesessen, der aus einem Bartholomäus zu einem Bartel Mewes geworden war. Seine Jungen und Enkel dann, die hatten herausgefunden, daß es besser war, die grüne See zu pflügen als das braune Land, und sie waren nach dem Deich gezogen und Schiffer und Fischer geworden. Das Bauerngeschlecht der Mewes war ausgestorben. Die seefahrenden Mewes aber waren immer noch groß am Ruder und machten ein Drittel der Fischerflotte aus, während das zweite und das letzte Drittel den Focken und Külper zukam.

Seefischerei… Klaus Mewes sehnte sich nicht nach der Bauerei zurück und hätte seinen lieben großen Ewer gewiß nicht gegen den ganzen Grönlandshof eingetauscht.

Seefahrt ist not!

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