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Es gibt kaum einen traurigeren Anblick, als Soldaten, die geschlagen aus einem Krieg zurückkehren.

Großvater presste seine Stirn gegen die Scheibe des Zuges. Ein Wunder. Er hatte überlebt. Er sah die vorbeiziehende Landschaft und hustete dabei Blut in sein Leinentuch. Das Rote Kreuz hatte es tatsächlich geschafft, die Gefangenen, die zu krank für die Arbeit in den Lagern waren, aus Russland rauszuholen. Großvater litt, wie so viele Andere auch, an Schwindsucht, hustete und spuckte Blut. Seit Wochen. Um die Epidemie in den Lagern unter Kontrolle zu bekommen und nicht noch mehr Arbeitskräfte zu verlieren, wurden die erkrankten Häftlinge ausgeliefert. Warum man sie nicht einfach exekutierte, denn es wurde ja schließlich auch einfach zum Spaß exekutiert, blieb ein Rätsel. Schnaufend kam der Zug zum Stehen. Ein kleiner Bahnhof irgendwo in Polen. Eine weitere Ladung ausgemergelter Kriegsgefangener wurde wie Vieh in die Waggons verfrachtet. Beim Anblick der grünen Blätter an den Bäumen kamen ihm die Tränen. In den letzten zwei Jahren hatte er oft an den Frühling gedacht, an eine Zeit in der er jung war, unbeschwert und glücklich. In seinen Gedanken war er frei und rannte über Wiesen, pflückte Äpfel und spielte Fußball mit seinen Freunden. Er dachte an die Abende vor dem Kaminfeuer, mit einem Buch in der Hand. Sein Vater Pfeife rauchend im Sessel und seine Mutter die Melodie des Transistorradios summend. Es waren schöne Erinnerungen, auch wenn das, was Erinnerung ist, unter die Obhut der narrativen Transformation gerät. Dennoch, seine Gedanken an früher halfen ihm, an eine Realität außerhalb des Zaunes zu glauben. Dort im Lager gab es nichts weiter als Leid und Tod. Ein Wunder. Er hatte überlebt. Ein Wunder. Er hatte überlebt. Überlebt! Ruckelnd setzte sich der Zug in Bewegung. Auf dem Bahnsteig stand ein kleines Mädchen und ließ eine Fahrradfelge um ihre Taille rotieren. Sie lächelte und winkte Großvater zu. Großvater lächelte und winkte zurück.

Die Fahrt wollte nicht enden. Röchelnden und stinkende Männer, manche an der Schwelle des Todes, klammerten sich mit jedem zurückgelegtem Kilometer an die aufkeimende Hoffnung. Großvater fiel es schwer sich vorzustellen, dass er den ganzen Weg, wenn auch in entgegengesetzte Richtung, mal zu Fuß gegangen war. Es schien ihm so lange her, so unwirklich, so falsch. Er lauschte den Gesprächen der Anderen, ihren Plänen, Sehnsüchten und Ängsten. Die Stimmung war alles andere als ausgelassen oder euphorisch, viel mehr erfüllte eine Melancholie, eine Unsicherheit die Wagons. Keiner konnte es so richtig glauben, der Hölle entkommen zu sein. Jeder rechnete unterschwellig mit einer erneuten Inhaftierung, aber keiner sprach es aus und als dann schließlich die Deutsche Grenze passiert wurde, brach tatsächlich Jubel aus.

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