Читать книгу Minna von Barnhelm - Г. Э. Лессинг, Gotthold Ephraim Lessing - Страница 13
2. Akt
Оглавление1. Szene
(Die Szene ist in dem Zimmer des Fräuleins.) (Minna von Barnhelm. Franziska.)
Fräulein (im Negligé, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr früh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.
Franziska Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals— das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als zur Ruhe. —Eine Tasse Tee, gnädiges Fräulein?—
Fräulein
Der Tee schmeckt mir nicht.—
Franziska
Ich will von unserer Schokolade machen lassen.
Fräulein
Laß machen, für dich!
Franziska Für mich? Ich wollte ebensogern für mich allein plaudern als für mich allein trinken.—Freilich wird uns die Zeit so lang werden.—Wir werden vor langer Weile uns putzen müssen und das Kleid versuchen, in welchem wir den ersten Sturm geben wollen.
Fräulein
Was redest du von Stürmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der Kapitulation zu fordern?
Franziska Und der Herr Offizier, den wir vertrieben, und dem wir das Kompliment darüber machen lassen; er muß auch nicht die feinste Lebensart haben; sonst hätte er wohl um die Ehre können bitten lassen, uns seine Aufwartung machen zu dürfen.—
Fräulein Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich ließ ihm das Kompliment auch bloß machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach diesem bei ihm zu erkundigen.—Franziska, mein Herz sagt es mir, daß meine Reise glücklich sein wird, daß ich ihn finden werde.—
Franziska Das Herz, gnädiges Fräulein? Man traue doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul ebenso geneigt wäre, nach dem Herzen zu reden, so wäre die Mode längst aufgekommen, die Mäuler unterm Schlosse zu tragen.
Fräulein Ha! ha! Mit deinen Mäulern unterm Schlosse! Die Mode wäre mir eben recht!
Franziska
Lieber die schönsten Zähne nicht gezeigt, als alle Augenblicke das Herz darüber springen lassen!
Fräulein
Was? Bist du so zurückhaltend?—
Franziska Nein, gnädiges Fräulein, sondern ich wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto öftrer von der, die uns fehlt.
Fräulein
Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung gemacht.—
Franziska
Gemacht? Macht man das, was einem so einfällt?—
Fräulein Und weißt du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.
Franziska
Was hätte bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?
Fräulein Freund und Feind sagen, daß er der tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.
Franziska
Von was für Tugenden spricht er denn?
Fräulein
Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.
Franziska
Das wollte ich nur hören.
Fräulein
Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Ökonomie.
Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.
Franziska Noch eins, gnädiges Fräulein. Ich habe ihn auch sehr oft der Treue und Beständigkeit gegen Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeist wäre?
Fräulein
Du Unglückliche!—Aber meinest du das im Ernste, Franziska?
Franziska
Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?
Fräulein
Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.
Franziska Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte nur das Böse wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerrüttet auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein!—Und wie lange haben wir schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig Neuigkeiten gibt.—Umsonst gehen die Posten wieder richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.
Fräulein
"Es ist Friede", schrieb er mir, "und ich nähere mich der Erfüllung meiner Wünsche." Aber daß er mir dieses nur einmal, nur ein einziges
Mal geschrieben—
Franziska Daß er uns zwingt, dieser Erfüllung der Wünsche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten!—Wenn indes der Mann doch Wünsche erfüllt hätte, und wir erführen hier—
Fräulein (ängstlich und hitzig). Daß er tot wäre?
Franziska
Für Sie, gnädiges Fräulein, in den Armen einer andern.—
Fräulein Du Quälgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken!—Doch schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein.—Sein Regiment ward nach dem Frieden zerrissen. Wer weiß, in welche Verwirrung von Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiß, zu welchem andern Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiß, welche Umstände—Es pocht jemand.
Franziska
Herein!
2. Szene
(Der Wirt. Die Vorigen.)
Wirt (den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnädige Herrschaft?—
Franziska
Unser Herr Wirt?—Nur vollends herein.
Wirt (mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnädiges Fräulein, Ihnen einen untertänigen guten Morgen zu wünschen—(zur Franziska) und auch Ihr, mein schönes Kind—
Franziska
Ein höflicher Mann!
Fräulein
Wir bedanken uns.
Franziska
Und wünschen Ihm auch einen guten Morgen.
Wirt Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet?—
Franziska Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten hätten besser sein können.
Wirt
Was höre ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große Ermüdung von der Reise—
Fräulein
Es kann sein.
Wirt
Gewiß, gewiß! denn sonst—Indes sollte etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu befehlen.
Franziska Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß man im Gasthofe blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern hätten.
Wirt Hiernächst komme ich zugleich—(indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).
Franziska
Nun?—
Wirt
Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer Polizei.
Fräulein
Nicht im geringsten, Herr Wirt—
Wirt
Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige Geschäfte, vermutliche Dauer des Aufenthalts und so weiter gehörigen Orts schriftlich einzureichen.
Fräulein
Sehr wohl.
Wirt Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen—(indem er an einen Tisch tritt und sich fertig macht zu schreiben).
Fräulein
Sehr gern—Ich heiße—
Wirt
Einen kleinen Augenblick Geduld!—(Er schreibt.) "Dato, den 22.
August a.c. allhier zum Könige von Spanien angelangt"—Nun Dero Namen, gnädiges Fräulein?
Fräulein
Das Fräulein von Barnhelm.
Wirt (schreibt). "von Barnhelm"—Kommend? woher, gnädiges Fräulein?
Fräulein
Von meinen Gütern aus Sachsen.
Wirt (schreibt). "Gütern aus Sachsen"—Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnädiges Fräulein? aus Sachsen?
Franziska
Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Sünde, aus
Sachsen zu sein?
Wirt Eine Sünde? Behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde!—Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen!—Aber wo mir recht ist, gnädiges Fräulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere—wie soll ich es nennen?—Distrikte, Provinzen.—Unsere Polizei ist sehr exakt, gnädiges Fräulein.—
Fräulein
Ich verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.
Wirt
Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist genauer.
–(Schreibt und liest.) "Das Fräulein von Barnhelm, kommend von ihren Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten"—
Franziska
Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?
Wirt
Ja, mein schönes Kind.—
Franziska Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer.—Ich höre, die Polizei ist sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer und heiße Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen. Mein Vater war Müller auf einem von den Gütern des gnädigen Fräuleins. Es heißt Klein-Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem gnädigen Fräulein erzogen. Wir sind von einem Alter, künftige Lichtmess einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.
Wirt
Gut, mein schönes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken.
–Aber nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier?—
Fräulein
Meine Verrichtungen?
Wirt
Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Königs Majestät?
Fräulein
O nein!
Wirt
Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?
Fräulein
Auch nicht.
Wirt
Oder—
Fräulein
Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.
Wirt
Ganz wohl, gnädiges Fräulein, aber wie nennen sich diese eigne Angelegenheiten?
Fräulein
Sie nennen sich—Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.
Franziska
Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines
Frauenzimmers zu wissen verlangen?
Wirt Allerdings, mein schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.
Franziska
Ja nun, gnädiges Fräulein; was ist zu tun?—So hören Sie nur, Herr Wirt—aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt!—
Fräulein
Was wird ihm die Närrin sagen?
Franziska
Wir kommen, dem Könige einen Offizier wegzukapern—
Wirt
Wie? was? Mein Kind! mein Kind!—
Franziska
Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.
Fräulein Franziska, bist du toll?—Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. —
Wirt Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei—
Fräulein Wissen Sie was, Herr Wirt?—Ich weiß mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte zwei Meilen von hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, daß mich dieser Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.
Wirt
Nun ja, gnädiges Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.
Fräulein Er wird auf Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften anzeigen muß und was er davon verschweigen darf.
Wirt Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen (die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, daß es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft traktiere—
Fräulein
Und die Zimmer für ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?
Wirt
Völlig, gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine—
Franziska Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben müssen?
Wirt Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr mitleidig.—
Fräulein Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie uns nicht einnehmen sollen.
Wirt
Wieso, gnädiges Fräulein, wieso?
Fräulein
Ich höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden—
Wirt
Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein.—
Fräulein
Wenn schon!—
Wirt
Mit dem es zu Ende geht.—
Fräulein
Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.
Wirt
Ich sage Ihnen ja, daß er abgedankt ist.
Fräulein
Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen.
Wirt
O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle.—
Fräulein
So kann er sie nicht alle belohnen.