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ОглавлениеElitejäger Quinn, Latiri 4, Integrationszentrum der Hive, Sektor 437
An meinem Hals und meinen Handgelenken waren schwere Schellen angebracht, mein getrocknetes Blut war der einzige Hinweis auf das, was die Integrationseinheiten mir antun wollten.
Sie wollten mich zu einem von ihnen machen.
Hive.
Mich übernehmen. Meine Kraft und meine Fähigkeiten übernehmen. Meinen Geist übernehmen.
Eher würde ich sterben, als diesem summenden Gedröhne in meinem Schädel nachzugeben. Mit jeder Injektionsrunde wurde das Rauschen intensiver. Ich verlor ein weiteres Stück von meinem Verstand, auch wenn ich spürte, dass mein Körper kräftiger wurde.
Ich hatte mitangesehen wie zwei lebenslange Freunde, beide Elitejäger wie ich, in ihren Zellen dahingesiecht waren. Aber sie hatten sich nicht in den Feind verwandelt. Bis zum Schluss hatten sie gekämpft und den Hive das verweigert, was sie wollten. Mehr Krieger. Elitekrieger.
Meine Kumpels hatten dem blauen Chef dieser Basis nicht das gegeben, was er wollte. Ich war der letzte von uns. Der letzte Elitejäger in diesen unterirdischen Zellen. Seine letzte Aussicht auf Erfolg.
Die anderen hatten sich bis zum Schluss zur Wehr gesetzt. Und das würde ich auch tun.
“Wie ich sehe, bist du wach, Jäger.” Der dunkelblaue Alien war ein Flickwerk aus Silber und kräftigem, leuchtendem Blau. Seine Augen waren fast schwarz. Sie waren völlig undurchsichtig, hinter den Augäpfeln gab es nichts, kein Schimmer von Gefühl, keine Seele. Kein Himmelblau, sondern etwas Dunkleres und sehr viel Unheimlicheres. Ich wusste, dass ich dem berüchtigten Nexus gegenübersaß, einem der geheimnisvollen Anführer—oder Schöpfer—der Hive-Systeme. Meine Informationen kamen direkt vom Geheimdienst. Weniger als eine Handvoll von ihnen waren je gesichtet worden und das nur von Frauen von einem neuen Koalitionsplaneten namens Erde.
“Was willst du? Ich stehe nicht auf Männer und ich stehe auch nicht auf Blau, also krieg dich wieder ein.” Der Nexus kniff die Augen zusammen, zeigte jedoch keine weitere Reaktion. Aber er wusste, was ich gemeint hatte. Ich konnte seine Gereiztheit spüren.
“Ich habe nicht die Absicht, mich mit dir zu paaren.”
“Den Göttern sei Dank.”
Das ärgerte ihn sogar noch mehr: “Du versuchst es mit Humor, Jäger, aber das wird dir nichts nützen. Am Ende wirst du mir gehören.”
Ich schüttelte den Kopf und starrte ihm in die Augen. Die Geste ließ das Rauschen in meinem Kopf zu einem Brüllen anschwellen und der Schmerz bohrte sich wie Nadeln in meine Augen, aber ich wandte nicht den Blick ab. Sollte er mich doch töten. “Nein. Ich werde nur noch ein toter Krieger sein und du wirst versagt haben.”
Der Nexus fauchte, hob seine Klaue und verpasste mir eine Ohrfeige.
Die Nexus-Kreaturen waren anders als ihre Drohnen. Sie zeigten Reaktionen. Sie sprachen von sich in der ersten Person, nicht in der dritten. Sie waren lebendig. Sie waren Individuen.
Sie konnten manipuliert werden. Erschreckt werden.
Verhöhnt.
Ich lächelte die blaue Kreatur an, als sie die Hand hob und einer ihrer Drohnen ein Zeichen machte mit einer weiteren Runde Injektionen fortzufahren. Die Nadeln bohrten sich tief in meine Hals- und Handgelenkadern und pumpten mich mit mikroskopisch kleiner Hive-Technologie voll; Nanozyten, die so winzig waren, dass die Ärzte der Koalition keine Hoffnung hatten, sie jemals von kontaminierten Kriegern wie mir zu entfernen. Sollte ich überleben, wären meine Tage als Jäger wohl gezählt. Je nach Ausmaß der Integrationen könnte ich als unbrauchbar und vergessen in die Kolonie verbannt werden.
Es gab keine Hoffnung mehr für mich, aber ich lächelte trotzdem, als der Nexus sich von mir entfernte. Sobald er weg war, sackte ich wieder zu Boden. Sie hatten mir meine Uniform gelassen, allerdings hatten sie mir meine Waffen abgenommen. Der Anzug hielt zwar meine Körpertemperatur stabil, konnte aber nichts ausrichten, um meinen Geist vor der krassen Realität dieser Höhle abzuschirmen. Die gesamte Basis. Die Transportstation in Sichtweite meiner Zelle. Ich sah dutzende neue Gefangene eintreffen: Prillonen, Viken und Menschen, Atlanen und Xerimianer—wenn auch nur wenige von letzteren beiden; sie waren zu gefährlich, um sie in großen Mengen zu holen. Noch seltener waren Everianische Jäger wie ich. Die Tatsache, dass der Nexus genau hier, unter Kommandant Karters Nase eine Integrationsanlage betrieb, war mehr als verstörend. Wahnsinn sogar. Niemand wusste, dass wir hier waren. Hier, wo sie nicht nach uns suchten, weil angenommen wurde, dass das Gebiet von den Hive befreit war.
Der Gedanke machte mich stinkwütend und das Adrenalin in meinen Adern ließ den Lärmpegel in meinem Schädel einmal mehr ansteigen. Ich konnte mir jetzt keine Gefühle leisten. Ich musste die Ruhe bewahren, wenn ich der Hive-Technologie in meinem Körper widerstehen und meinen Verstand wahren wollte. Dieser blaue Mistkerl wollte mich brechen und ich musste diesen Kampf gewinnen.
Also atmete ich tief durch, verlangsamte meinen Puls und stellte mir vor, wie mein narbenübersäter Kumpel Zee und seine neue Partnerin auf Everis ein friedliches, erfülltes Dasein lebten. Wenn Zee Glück hatte, dann würden zwei oder drei Knirpse um ihn herumtollen und seine hübsche Erdenfrau Helen würde sich Nacht für Nacht seinen Berührungen hingeben.
Ich hatte auf eine eigene Partnerin für mich gehofft; eine liebliche, unterwürfige Frau, die eine starke Hand brauchte, um ihr sowohl Trost zu spenden als auch Vergnügen zu bereiten. Ich war sogar zum Programm für interstellare Bräute gegangen und hatte ihren Auswahltest mitgemacht, ihre Protokolle durchlaufen. Das war jetzt Jahre her. Keine Braut war eingetroffen, um mein Leben zu teilen, keine Frau war mir zugeordnet worden. Vielleicht war ich zu kaputt. Innerlich zu ramponiert. Zu zornig. Ich wusste, dass ich nicht mehr hundertprozentig fit war und dennoch hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Als ich aber in den vergangenen Tagen in die kalten, schwarzen Raubtieraugen des Nexus’ gestarrt hatte, hatte ich die Hoffnung auf eine Partnerin schließlich begraben. Ich brauchte keine Hoffnung, jedenfalls nicht hier. Was ich brauchte, war Stärke. Entschlossenheit. Willenskraft.
Der Nexus würde mich nicht bezwingen. Er würde mich vielleicht töten, aber er würde mich nicht brechen.
Niobe, Testzentrum für interstellare Bräute, die Kolonie
Kira kam zu mir herüber und umarmte mich völlig überraschend, worauf ich verkrampfte. “Doch, das tust du,” sprach sie. Wir mochten zwar in der Akademie und auf Geheimmissionen gearbeitet haben, aber das bedeutete nicht, dass ich von ihr geknuddelt werden wollte. “Es ist vorbei. Wie eine Impfung beim Kinderarzt. Die Vorstellung war schlimmer als der eigentliche Pieks. War der Test nicht klasse?”
Sie konnte es einfach nicht lassen, denn auf die Frage folgte ein unmissverständliches Zwinkern.
“Du weißt genau, was ich von Männern halte. Ich bin sechsunddreißig und bis jetzt sehr gut ohne klargekommen, also hört es sich jetzt irgendwie albern an.”
“Und doch hast du dich aus freien Stücken auf den Stuhl gesetzt. Wir haben dich zu nichts gezwungen,” sprach Rachel schließlich.
Sie lag richtig. Und dafür hasste ich sie auch. Ich seufzte. In der Akademie waren jetzt Ferien, aber ich hatte keine Familie, die ich besuchen konnte. Obwohl ich halb Everianerin war und vor meiner Karriere bei der Koalition zwei Jahre auf dem Planeten gelebt hatte, fühlte ich mich dort nicht heimisch. Ich würde niemals auf einem der äußeren Planeten mal eben Urlaub machen und ich wäre auch nicht zur Kolonie gekommen, hätte Kira mich nicht eingeladen. Es war nicht ihre erste Einladung und bis jetzt hatte ich immer abgewiegelt—nicht, weil ich sie nicht gern hatte, sondern weil es mir widerstrebte, meinen Job liegenzulassen—und jetzt hatte ich nachgegeben und war in diesem dämlichen Teststuhl gelandet. Ich war nicht betrunken, dank meiner russischen Gene mütterlicherseits und meiner Vorliebe für Vodka konnte ich den größten Atlanen unter den Tisch saufen.
Was mir nicht sonderlich in den Genen lag, war der Kinderwunsch. Eine Familie. Alles, was ein Partner von einer Braut erwarten würde. Ich hatte zwar einen Uterus, aber der stand fürs Fortpflanzungsbusiness nicht zur Verfügung. Keine Chance.
“Ich weiß,” entgegnete ich und strich mit den Händen über meine Uniform, um imaginäre Knitterfalten zu glätten. Sie hatten mich zwar nicht gezwungen den Test zu durchlaufen, aber ich hatte ihn ohne jeden Enthusiasmus hinter mich gebracht. Was sollte dabei schon für mich herausspringen? Ich war halb Mensch, halb Everianerin. Auf der Erde hatte ich als Kind nie wirklich dazugehört und auf Everis war ich die Erdentussi. Ich war ungewöhnlich, anders. Ich hasste es, aus der Rolle zu fallen oder die Kontrolle zu verlieren und jetzt gerade fühlte ich mich so zerzaust, schwitzig und durcheinander als hätte ich gerade Sex gehabt. Hatte ich aber nicht. Gott, wer war dieses Pärchen, von dem ich geträumt hatte? Die hatten aber eine Beziehung. Die Verbindung war intensiv gewesen, unglaublich. Aber die Art und Weise, mit der die Frau sich ihrem Partner unterworfen hatte? Nee, bei mir würde das nicht klappen. Ich war eine Vizeadmiralin und für die gesamte Koalitionsakademie verantwortlich. Ich brauchte keinen Mann, um mich herumkommandieren zu lassen.
Einen schönen dicken Schwanz könnte ich allerdings schon gebrauchen. Damit würde er mich bestimmt bei der Stange halten, besonders wenn er ihn mir genauso verabreichen würde wie dieser Typ aus dem Traum. Gott, ja. Aber ein Schwanz ohne Mann war nur ein Dildo und davon hatte ich schon mehr als genug zu Hause.
“Du bist nicht verpflichtet Kinder in die Welt zu setzen,” rief Kira mir in Erinnerung, als ob sie Gedanken lesen konnte. Oder sie hatte mein andauerndes Gemotze gehört, warum ich keine Braut werden sollte, nachdem Rachel und sie mit dem Vorschlag aufgekommen waren.
“Ihr habt Kinder,” konterte ich und blickte zwischen den beiden hin und her. Ich hatte nicht viele Freunde, denn in der Akademie musste ich zu den Studenten und den meisten Angestellten eine gewisse Distanz wahren. Ich war schließlich der Boss und konnte nicht einfach einen auf Kumpel machen.
Die Mädels hatten mich während meines Besuches unter ihre Fittiche genommen, auch wenn ich nicht allzu begeistert darüber gewesen war. Sie wussten, dass ich leicht reizbar und oftmals nervig war, weil ich alles immer nur schwarz-weiß sah—nicht buchstäblich, aber im übertragenen Sinne. Aber sie stammten von der Erde und es tat gut über Erdendinge zu schwatzen. Wie Haartrockner oder echte Eiscreme. Kühe gab es nämlich nur auf der Erde. Ich hatte mich nicht ganz so … anders gefühlt.
Irgendwie hatten sie mich die ganze Zeit auf mein Singledasein festgenagelt. Ich war ganze sechs Beförderungen drüber, um getestet und verpartnert zu werden. Ich war eine alte Jungfer und das war völlig in Ordnung so.
“Wir sind nicht wie du,” erwiderte Kira. “Wir wollten Kinder.”
Autsch.
“Dr. Surnen, erklären Sie der Vizeadmiralin, dass sie nicht verpflichtet ist, ihrem Partner Alienbabys zu gebären,” verlangte Kira.
Der Doktor, der sich darauf auf einen geräderten Stuhl setzte, blickte in meine Richtung: “Das muss ich der Vizeadmiralin nicht noch einmal erklären. Ich werde nicht ihre Intelligenz infrage stellen.”
Kluger Prillone.
Ich lächelte und nickte ihm zu.
“Na schön,” murrte Kira. “Dann werde ich es dir nochmal verklickern. Du bist clever, aber was diese Sache angeht, liegst du daneben. Der Test wählt deinen perfekten Partner aus. Was bedeutet, der Test weiß genau, wenn du keine Babys willst. Er wird dich nicht mit einem Typen verpartnern, der sich zwölf Kinder wünscht. Es ist dein perfektes Match.”
Ich blickte zum Doktor und er nickte.
“Ja, aber so ein Match ergibt sich nicht von jetzt auf gleich,” erwiderte ich und ging Richtung Tür. “Ich werde zur Akademie zurückkehren und abwarten. Wie ich gehört habe, warten einige Krieger hier seit Jahren.”
Der Doktor räusperte sich und wir alle blickten in seine Richtung. “Tut mir leid Sie zu enttäuschen, Vizeadmiralin, aber Sie haben ein Match.”
Mir klappte die Kinnlade runter. Das Herz rutschte mir in die Hose. “Was?”
Kira und Rachel fingen an zu kichern und klatschten sich wie Cheerleader auf einer Wahlkampfparty in die Hände. Warum war ich mit ihnen befreundet?
“Sie haben ein Match.”
“Ich habe Sie bereits beim ersten Mal gehört,” fauchte ich den Doktor an. “Was soll das heißen?”
“Es bedeutet Sie wurden Everis zugeordnet. Einem Elitejäger.”
“Natürlich wurdest du Everis zugeordnet,” rief Kira. “Macht Sinn, immerhin bist du halb Everianerin und du hast eine Markierung.”
Ich drehte meine Hand um und starrte auf das Zeichen in meiner Handfläche. Als ich auf der Erde aufgewachsen war, hatte ich gedacht, dass es sich um ein einfaches Geburtsmal handelte. Als ich aber nach Everis gegangen war, hatte ich erfahren, dass es so viel mehr bedeutete. Den anderen jedenfalls. Mir bedeutete es überhaupt nichts. Ich hatte die Hoffnung auf einen markierten Partner offensichtlich aufgegeben, schließlich war ich soeben getestet worden. Und erfolgreich zugeordnet. “Ich wusste nicht einmal, dass ich halb Everianerin war, bis mich mit vierzehn diese Jäger auf der Erde gefunden hatten. Für mich wäre es Hokuspokus, sollte meine Markierung zum Leben erwachen. Ich glaube nicht an solche Sachen. Ich bin … realistisch.”
Rachel neigte den Kopf zur Seite und warf mir einen milden Blick zu: “Realistisch? Das würde ich so sagen. Ich habe dich in der Kampfgrube gesehen.”
Ich war mitgekommen, um mit ihnen zusammen die Spiele anzuschauen, allerdings hatte ich mich freiwillig gemeldet und selber mitgemacht. Es kam nicht oft vor, dass Jäger an den Kämpfen teilnahmen. Und schon gar keine Frau.
“Komm schon, ich kann mir vorstellen, was die Leute in der Schule alles über dich erzählt haben. Du warst im Leichtathletikteam, oder?”
Damals war ich mir wirklich nicht bewusst gewesen, dass ich nicht ganz menschlich war. Ich hatte einfach geglaubt, ich wäre eigenartig. Genau wie alle anderen, mit denen ich in Minnesota aufgewachsen war, besonders nachdem meine Mutter gestorben und ich bei einer Pflegefamilie gelandet war. Das Waisenmädchen, das die unmöglichsten Sachen vollbrachte. Als ich klein war, konnte ich Gespräche hören, von denen ich eigentlich nichts hätte mitbekommen sollen, und das hatte mir eine Menge Ärger eingebrockt. Ich dachte zurück an die wenig rosige Zeit in meinem Leben, als ich gelernt hatte mitzuhören aber Stillschweigen zu bewahren, als ich lächerlich schnell und athletisch wurde und nicht verstehen konnte, warum.
Plötzlich kam alles wieder hoch. Das Gefühl nicht dazu zu passen, die Unsicherheit, der Zorn. Ich war eine Außenseiterin gewesen, genau wie das Gothic-Girl, das tonnenweise schwarzen Eyeliner auftrug, nur um die Leute anzupissen. Ich hatte nie Eyeliner getragen, aber ich wusste genau, wie sie sich fühlte. Ich war damals die Vorzeigeathletin einer riesigen Schule, denn ich hatte sämtliche Leichtathletik- und Langlaufrekorde des Bundesstaats gebrochen und war zu einer Art Heldin geworden. Ich hätte mühelos die nationalen Wettbewerbe gewinnen können, aber ich hatte mich zurückgehalten, weil ich mich beim Sport kaum verausgabt hatte. Mein Puls war selbst nach einem acht-Kilometerlauf kaum angestiegen. Ich wollte den Ruhm damals nicht. Ich wollte keine College-Stipendien, wo ich mir dann hätte den Kopf zerbrechen müssen, wie viel genau ich von meinen Fähigkeiten zeigen konnte, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erwecken. Die Eliteunis der Ivy League oder die Olympischen Spiele waren mir egal. Damals hatte ich nur meine Mutter vermisst. Ich erinnerte mich an nicht viel, ihr Lächeln, ihren Duft, ihre Stimme, aber mir fehlte das Gefühl von ihr. Gott, wie es war von ihr in den Arm genommen zu werden. Ich war allein in der Welt und die einzige Person, die mich je akzeptiert hatte, war tot.
Ich wollte keine Aufmerksamkeit. Ich wollte Antworten. Damals wollte ich herausfinden, warum ich ein Freak war.
Jetzt wusste ich es. Ich hatte Everianisches Blut in meinen Adern. Ich hatte keine Ahnung, wie meine Mutter in Minnesota mit einem Everianer angebandelt hatte, aber das hatte sie. War mein Samenspender nach einem kurzen Fick auf der Erde wieder nach Everis zurückgekehrt? War er getötet worden? Ich würde es nie erfahren. Verdammt, wären diese Everianer nicht zur Jagd auf die Erde gekommen und hätten sie dabei nicht zufällig von meinem Sieg bei der Laufmeisterschaft gelesen, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich noch auf der Erde. Sie hatten mir nicht wirklich die Wahl gelassen zu bleiben, nachdem sie meine Markierung entdeckt und mein Tempo gesehen hatten. Ich war gezwungenermaßen mit ihnen nach Everis zurückgekehrt, um als Everianerin zu leben. Was, obwohl es mir in den Genen lag, nicht wirklich einfach gewesen war. Thema Kulturschock.
“Ich werde unmöglich jetzt nach Everis zurückgehen und bis ans Ende meiner Tage glücklich und zufrieden mit meinem Partner zusammenleben,” verkündete ich und funkelte dabei den Doktor an, damit er ja verstand, wie ernst ich es meinte. “Ich bin der Akademie verpflichtet und ich habe nicht die Absicht, mich zur Ruhe zu setzen.”
“Das müssen Sie auch nicht, aber Sie sollten zu ihm gehen,” entgegnete er darauf. “Die Details können Sie später gemeinsam klären …”
Ich zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich sollte zu ihm gehen? Morgen kehre ich zur Akademie zurück. Er kann selber transportieren und mich dort treffen.”
“So ist die Tradition. Ich bedaure. Die Braut wird immer zum Mann transportiert. Sollten Sie sich weigern, dann würden sie seine Ehre verletzen.”
Ich runzelte die Stirn. “Ich werde jetzt nicht auf Gründe eingehen, warum diese Tradition geändert werden sollte.”
“Wollen Sie das Match ablehnen? Ihn entehren?”
Zum Teufel verdammt. Das war das Allerletzte, was ich einem edlen Krieger antun wollte. “Nein. Will ich nicht.”
“Ausgezeichnet.” Der Doktor hielt die Hände hoch, als wolle er meinen verbalen Angriff abwiegeln: “Sie transportieren zu ihm. Wie Sie sich dann entscheiden, wo Sie leben werden, bleibt allein Ihnen beiden überlassen.”
“Du kannst die Hosen anbehalten,” sprach Kira und zwinkerte mir zu. “Geh einfach zu ihm.”
Ich verdrehte nur die Augen. Dann knurrte ich sogar. Denn ehrlich gesagt liebte ich diesen Testtraum. Jeden einzelnen Moment davon. Ich wollte überhaupt keine Hose anhaben. Ich wollte heiß, feucht und nackig sein, mit seiner Zunge—oder seinem Schwanz—tief in mir drin.
“Du wirst ganz rot, Frau Vizeadmiralin.” Kira grinste wie die närrische Deppin, die sie auch war. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Kriegsfürst Anghar war ein imposanter Krieger. Und ehrlich gesagt wäre niemand in der Lage gewesen, mich in den Teststuhl zu zwingen. Ich hatte mich bewusst von Kira und Rachel überreden lassen. Denn ich war es leid, länger allein zu sein.
“Gut.” Ich warf die Hände in die Luft und wiederholte es nochmal: “Na gut!”
Alle drei atmeten aus und entspannten sich sichtlich, was mich nur noch wütender auf mich machte, weil ich mir überhaupt erlaubt hatte, Schwäche und Unsicherheit zu zeigen. “Ich werde zu ihm transportieren.”
Der Doktor stand umgehend auf und Kira und Rachel waren schnurstracks dabei, mich aus der Tür und Richtung Transportzentrum zu drängeln, damit ich es mir bloß nicht anders überlegte. Ich stand auf der Transportplattform und der Doktor war dabei, dem Techniker die Koordinaten mitzuteilen. Ich blickte an mir herunter und stellte sicher, dass meine Vizeadmiraluniform der Koalitionsflotte tadellos saß und ich meine Waffe an den Schenkel geschnallt hatte. Wenn ich schon die Kolonie verlassen würde, dann in voller Montur.
Doktor Surnen räusperte sich: “Es ist üblich, dass die Bräute in einer etwas feminineren Aufmachung eintreffen …”
Ich warf ihm einen bösen Blick zu: “Treiben Sie es nicht zu weit, Doktor. Mein potenzieller Partner soll genau wissen, mit wem er es zu tun hat.”
Der Doktor grinste tatsächlich, was für einen Prillonen äußerst selten war, ganz besonders in der Kolonie. “Wie Sie wünschen, meine Dame.”
“Ich bin keine Dame.”
Noch mehr Grinsen, aber er sagte nichts darauf. Ein verdammt smarter Prillone.
“Gib’s ihm, Niobe! Dann sorg dafür, dass er um mehr bettelt.” Kira hatte die Hände auf die Hüften gestemmt und lachte. Der Doktor warf ihr für den unangebrachten Ratschlag einen finsteren Blick zu, ich aber ignorierte ihn und erwiderte ihr Lächeln.
“Das werde ich.” Betteln. Pushen. Verführen. Mich quer durch den Wald jagen.
Meine Pussy zog sich zusammen, als die Erinnerungen wieder aufkamen. Gott, ich konnte es kaum erwarten.
“Mach bloß nichts, was wir nicht auch tun würden,” sprach Rachel vom unteren Ende der kleinen Treppe.
“Ihr habt drei Tage, dann komme ich nach und will Einzelheiten hören. Alle Einzelheiten.” Kira wackelte mit den Augenbrauen und ich funkelte sie an.
“Abgemacht.” Hoffentlich würde ich auch ein paar Einzelheiten zu erzählen haben. Ich wandte mich wieder dem Doktor zu. “Wohin gehe ich überhaupt? Everis?”
Er blickte kurz auf, dann schaute er zurück aufs Transportpanel. “Nein, Vizeadmiralin. Elitejäger Quinn ist gegenwärtig mit der Kampfgruppe Karter im Sektor 437 stationiert. Den Aufzeichnungen zufolge leitet er von einer unterirdischen Basis auf Latiri 4 aus Aufklärungspatrouillen gegen die Hive.”
Die Karter? Sektor 437? Der Doktor war dabei mich mitten in einen Kriegsschauplatz zu schicken. Ich wusste es. Kira wusste es scheinbar auch.
“Oh Gott. Das ist genau an der Front.” Ihr Blick sprang von Doktor Surnen zu mir. “Vielleicht solltest du warten. Er ist nicht einmal auf dem Schlachtschiff, Niobe. Er ist auf Bodenmission.”
Elitejäger Quinn.
Hübscher Name. Quinn. Meine Gedanken schweiften einen Moment lang ab. Er war ein Elitekrieger. Er würde stark sein. Schnell. Womöglich genauso schnell wie der Krieger aus meinem Traum …
“Niobe, nein! Das kann nicht dein Ernst sein. Du musst warten.”
Ich war so sehr damit beschäftigt, mir Quinn vorzustellen, dass es einen Moment dauerte, bis ich Kiras Worte registriert hatte. “Stopp. Er ist auf dem Boden? Ich dachte, er ist auf dem Schlachtschiff Karter.”
Doktor Surnen räusperte sich erneut, prüfte etwas auf seinem Tablet und wandte sich mir zu: “Normalerweise wäre ich nicht berechtigt es Ihnen mitzuteilen und ich könnte Sie auch nicht an seinen Standort transportieren. Aber wie ich sehe, verfügen Sie über ein sehr hohes Freigabelevel beim Geheimdienst.”
“Das tue ich.” Ich wusste über so ziemlich alles in diesem Krieg Bescheid. Nicht alles alles, aber fast. Meine Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst war umfangreich und langjährig.
Er seufzte. “Elitejäger Quinn ist zurzeit mit einer Jägereinheit im Einsatz und betreibt Aufklärung über die Hive. Seine Einheit ist in einer unterirdischen Basis hinter den feindlichen Linien stationiert.”
“Was?” Mein Partner war jetzt im Hive-Gebiet?
“Der Kampf um Latiri 4 und Latiri 7 ist für diesen Krieg entscheidend. Diese beiden Planeten und ihre Monde sind perfekt positioniert, um als Angriffsbasis für mehrere Weltraumsektoren zu dienen. Die Hive sind nicht bereit, sie aufzugeben und wir ebenso wenig.”
Das wusste ich. Ich wusste sogar, dass wir dem Beispiel der Hive gefolgt waren und mit dem Bau unterirdischer Stützpunkte begonnen hatten, um sie dazu zu bringen unser Territorium zu überlaufen. Wenn sie sich dann nichtsahnend auf der Oberfläche eingenistet hatten, sammelten unsere unterirdischen Aufklärungsteams wichtige Informationen über ihre Bewegungen, Pläne und technologischen Entwicklungen. Über die neuen unterirdischen Programme hatte ich vor ein paar Monaten in einem Briefing gelesen. Aber darüber zu lesen und in eine Untergrundfestung zu transportieren, die sich unter dem von den Hive kontrolliertem Gebiet befand, waren zwei sehr verschiedene Angelegenheiten.
Kira und der Doktor starrten mich beide an. Wollte ich lieber warten?
Nein. Nicht wirklich. Aber ich war auch nicht naiv.
“Ist der Stützpunkt gesichert?”
Der Doktor blickte wieder auf sein Tablet. “Ich bin sicher, dass Sie das mit besseren Quellen als mit mir abklären könnten, aber den gegenwärtigen Daten zufolge, ja.”
Das musste erstmal einen Moment lang einsickern. “Und wie lange ist Quinn auf der Basis stationiert?”
Er verlautete ein langes, tiefes Seufzen und ich wusste, dass die Antwort mir nicht gefallen würde. “Unbegrenzt. Jägereinheiten arbeiten nicht wie die anderen Koalitionstruppen. Sie kooperieren mit der Koalitionsflotte solange es ihrer Agenda entspricht. Er könnte morgen wieder aufbrechen. Er könnte jahrelang dort bleiben. Es gibt keine festen Regeln, sondern unterliegt dem Elitejäger, der für die Einheit verantwortlich ist und ihren Gefolgschaften auf Everis.”
Sicher, ich könnte zur Akademie zurückkehren und abwarten. Oder ich könnte transportieren und mich in ein wildes Abenteuer stürzen.
Ein aufgeregtes Kribbeln machte sich in mir breit. Ich hatte seit Jahren nicht mehr am Kampfgeschehen teilgenommen, aber die Vorstellung schreckte mich nicht ab. Was mich stattdessen zusammenzucken ließ, war die Vorstellung, in mein spärliches Büro in der Akademie zurückzukehren und noch einen einzigen Tag länger aus dem verdammten Fenster dort zu starren. Sicher, ich hatte eine wichtige Aufgabe. Ich bildete Kämpfer aus. Ich machte sie clever. Ich rettete Leben. Gelegentlich zog der Geheimdienst mich zu einer Mission hinzu. Heutzutage aber handelte es sich dabei eher um Diplomatie und Spionagetricks als offene Kriegstreiberei. Ich war ein Schreibtischjockey und dieses Dasein saugte mir regelrecht die Seele aus dem Mark.
Meine Hauptaufgabe bestand darin, neue Krieger auszubilden und dafür zu sorgen, dass sie sich da draußen auch zurechtfanden. Aber ich langweilte mich. Ich war einsam. Ein paar Tage Aufregung und schlüpfriger Sex klangen also echt toll.
“Ich habe über zehn Jahre bei der ReCon verbracht, ehe ich in die Akademie befördert wurde. Ich fürchte mich nicht, mir die Hände schmutzig zu machen, Kira.”
Kira war beim inneren Geheimdienst. Sie und ihr Partner, der Atlanische Kriegsfürst, standen immer noch im Dienst. Sie kannte mich und sie wusste, dass ich es ernst meinte. “Ich weiß.” Sie erwähnte nichts vom Geheimdienst, denn das war gegen das Protokoll, aber ihrem Blick zufolge wusste sie genau, wovon ich sprach. “Es sind nicht deine Hände, um die ich mir Sorgen mache.”
Rachel lachte laut auf, als die Vibrationen der Transportplattform unter meinen Fußsohlen aufstiegen. Eine Sekunde später standen mir die Härchen auf den Armen zu Berge.
“Ihr Transport beginnt in drei … zwei … eins.”
Dann waren meine beiden Freundinnen weg und ich fand mich auf einer anderen Transportfläche wieder.
Nicht in der Kolonie. Auf Latiri 4.
Statt von einem knackigen Elitejäger begrüßt zu werden, stand ich einem Hive-Trio gegenüber, das genauso geschockt war wie ich. Was zum Teufel war hier los?
Alle drei zückten ihre Waffen. Drei ehemalige Viken-Krieger, die jetzt mit Hive-Technologie überzogen waren. Da war keinerlei Licht in ihren Augen. Keine Seele. Sie waren wahrhaftig tot. Integriert.
Au Scheiße. Doktor Surnen musste seine Infos updaten.
Das hier war kein Koalitionsstützpunkt.
Das hier war die Hive-Hölle …