Читать книгу Die Gejagte - Grace Goodwin - Страница 9
3
ОглавлениеQuinn, Latiri 4, Integrationszentrum der Hive, Sektor 437
Meine Wange lag auf den kalten, harten Zellenboden gepresst und die Vibration der nahen Transportfläche ließen meinen Schädel dröhnen. Bestimmt trafen gerade noch mehr Gefangene in dieser Hölle ein. Noch mehr Krieger, die ich nicht retten konnte.
Scheiß drauf, ich konnte mich nicht einmal selbst retten.
Die letzte Spritze, die der Nexus mir hatte verabreichen lassen, ätzte sich wie Säure durch meinen Organismus.
Schlimmer noch, ich konnte sie jetzt in meinem Schädel hören, ein Hintergrundgeräusch wie das ständige Geschwirre der Insekten auf den Bäumen von Everis. Ssss. Rassel. Summ. Der Lärm war konstant. Der Kopfschmerz ließ mich frustriert die Zähne knirschen. Aber ich kämpfte weiter gegen das Geräusch, egal wie sehr es auch schmerzte. Sollte ich aufgeben, dann würden sie mich übernehmen und lieber wäre ich tot.
Das Hive-Trio, das die Transportfläche leitete, bewegte sich wie lautlose Drohnen im perfekten Gleichklang. Zwar schmerzte es, Koalitionskrieger zu sehen, die voll integriert und in stumpfsinnige Maschinen verwandelt worden waren, aber der Anblick war lange nicht so grausig wie der Gedanke, genauso zu enden wie sie.
Leer.
Empfindungslos.
Eine Waffe, die der Nexus gegen meine Brüder richten konnte.
Diese Basis war eigentlich als Koalitionsstützpunkt gebaut worden. Latiri 4 und Latiri 7, beide im Sektor 437 und unter Kommandant Karters Schutz, verkörperten seit Langem die Frontlinie dieses Krieges. Seit Jahren. Dieser Weltraumsektor war für den Versorgungstransport und als Ausgangspunkt zu mehreren bewohnten Planeten unerlässlich.
Die Koalitionsflotte konnte es sich nicht leisten, die Kontrolle über diesen Sektor zu verlieren. Also war diese unterirdische Basis errichtet worden, heimlich, als dieser Felsbrocken noch uns gehört hatte.
Und dann hatten wir sie reingelassen. Hatten wir die Hive glauben lassen, sie hätten unser Gebiet erobert.
In Wahrheit aber war es eine Falle, um hinter feindlichen Linien Informationen zu sammeln. Die Basis hatte fast ein Jahr gedient, um die Aktivitäten der Hive auszuspionieren. Das Wissen, das wir hier gewonnen hatten, hatte das Blatt langsam zu unserem Vorteil gewendet.
Bis vor etwa einer Woche, als wir von Hive-Soldaten und Drohnen überfallen und überrannt worden waren. Die Integrationseinheiten waren direkt hinter ihnen eingezogen und die Folter, der Tod und die Integration meiner Kumpels und Waffenbrüder hatte begonnen.
Der Nexus war am zweiten Tag eingetroffen. Seine Ankunft war das Ende der Elitejäger unter meinem Kommando. Wir wurden ausgesondert. Beiseitegestellt. Die Injektionen, die uns verabreicht wurden, machten das Werk der Hive für die Außenwelt unsichtbar.
Aber ich konnte spüren, was sie in meinem Inneren anrichteten. Die mikroskopisch kleine Technologie fraß sich wie ein Virus durch meine Zellen, sie brach Dinge auf und reparierte sie. Sie machte mich zu etwas anderem.
Ich hatte mitangesehen, wie sie diesen versteckten Zufluchtsort in eine Produktionsstätte für Hive-Soldaten umfunktioniert hatten und mich gefragt, warum niemand zu unserer Rettung kam.
Wie konnte es sein, dass das Schlachtschiff Karter nicht wusste, was hier passiert war? Wir mussten uns alle paar Tagen mit aktuellen Informationen bei der Koalition melden. Und ich saß seit acht Tagen in dieser Zelle fest.
Ich blinzelte benommen, als das Wummern der Transportfläche nachließ. Das Trio Vikenscher Drohnen vor meinen Augen erstarrte und richtete seine Waffen auf etwas, das ich nicht sehen konnte.
Ich rappelte mich auf und stützte mich an der Wand ab, um mich aufzurichten, dabei ignorierte ich den brennenden Schmerz in meinen Beinen. Von früheren Erfahrungen wusste ich, dass der Schmerz nachlassen würde, sobald ich wieder aufrecht stand.
“Der Transport wurde nicht genehmigt, Frau. Wo sind deine Wachen?” Der Chef des Trios sprach langsam und deutlich, als ob er ein paar Momente brauchte, um ihre Anwesenheit zu verarbeiten. Hatte er gerade Frau gesagt? Was hatte verdammt nochmal eine Frau hier zu suchen? Es gab zwar nicht wenige weibliche Koalitionskrieger, aber die wurden bei einer Gefangennahme woanders hingebracht. Nahm ich jedenfalls an, denn ich hatte keine einzige durch den Transportraum eintrudeln gesehen. Oder wieder hinausgehen sehen, ohne Kopf und Verstand und mit voll integrierten Körpern, um ihre ehemaligen Freunde und Verbündete zu bekämpfen.
Ich trat so nah wie möglich an die Energiebarriere und erstarrte. Ich lauschte. Das Energiefeld würde einem Atlanen im vollen Bestienmodus standhalten. Das wusste ich; ich hatte zugesehen, wie sich mehrere davon blutig geschlagen hatten, als sie versucht hatten, auszubrechen. Ich konnte die Barriere zwar nicht durchbrechen, aber ich konnte mich vorbereiten. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas fühlte sich … anders an und dabei handelte es sich nicht um das Gesumme in meinem Schädel. Alles, was die Hive aufmischte, war aus meiner Sicht gut.
Ich wartete auf die Antwort der unbekannten Frau, genau wie die drei Hive-Drohnen, die nebeneinander aufgereiht im Transportraum standen.
Statt eine Antwort zu bekommen wurden alle drei in rascher Folge mit Ionenschüssen ausgelöscht. Hatte sie sie getötet? War sie eine Kundschafterin vom Schlachtschiff Karter? Der erste Schlag eines ReCon-Teams? Hoffnung stieg mir zu Kopf und mir wurde schwindelig.
Sekunden später rannte eine Frau in einer seltsamen Panzerung hinter die Transportsteuerung, ihre Hände huschten so schnell über das Panel, dass ich mich anstrengen musste, um ihren Bewegungen zu folgen. Ich musste blinzeln. Sie war umwerfend. Langes, brünettes Haar, das zu einer einfachen Frisur zurückgezogen war, die ich noch nie gesehen hatte. Ihre Panzerung bedeckte jeden Zentimeter von ihr und saß wie eine zweite Haut, aber es war das Abzeichen an ihrer Brust, das mich schockte.
Ein Vizeadmiral? Allein?
Sollte das eine Art Witz sein?
Wer war diese Frau? Und warum war sie hier?
“Hallo! Hier drüben!” Ich rief ihr zu und seufzte erleichtert, als sie aufblickte. Sie drehte sich zu mir um und mir blieb die Luft weg, jede Zelle meines Körpers reagierte auf diese Frau vor mir. Ihr dunkelbrauner Blick bohrte sich in meinen wie ein Schlag in die Magengrube und alle Qualen, die ich in den letzten Tagen erlitten hatte, verpufften ins Nichts. Die Integrationen, die Folter, nichts davon war von Bedeutung. Das einzige, was mir jetzt noch etwas bedeutete, war sie. Ich musste überleben; nicht, damit ich auch nur einen weiteren Tag lang kämpfen konnte, sondern damit ich sie erobern konnte. Um meinen Schwanz tief in sie hineinzustecken, ihren Körper zu beherrschen, sie meinen Namen kreischen lassen. Ich hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, oder an Verpartnerungsprotokolle. Nicht einmal an die Markierung in meiner Hand. Ich hatte gesehen, wie andere Everianer ihre markierte Partnerin gefunden hatten und hatte die krasse Verbindung gesehen, die sie miteinander teilten, aber ich hatte es mir nie für mich so vorgestellt.
Meine Markierung fing nicht zu brennen an, sie flackerte nicht auf. Sie war also nicht meine markierte Partnerin. Aber das war kaum überraschend. Einer von hundert, wenn überhaupt, fand seine markierte Partnerin. Die meisten Everianer wählten ihre Gefährten nach denselben Maßstäben wie auf vielen anderen Welten auch; Anziehung, Respekt, Gemeinsamkeiten.
Verlangen. Die wenig greifbare Verbindung zwischen Liebenden. Diese Frau mochte zwar nicht meine markierte Partnerin sein … aber sie würde mir gehören.
Ich hatte mich vor einiger Zeit testen lassen. Und jeder Tag der verstrich, ohne das meine interstellare Braut eingetroffen war, hatte mir bewiesen, dass ich richtig lag. So etwas wie die perfekte Frau gab es nicht. Zumindest nicht für mich.
Jedenfalls nicht bis jetzt, bis ich sie erblickt hatte. Scheiße. Sie.
Ich dachte, sie würde zu meiner Zelle eilen und mich befreien. Stattdessen neigte sie den Kopf zur Seite; wahrscheinlich hörte sie dasselbe wie ich—noch mehr Hive-Soldaten, die durch die Gänge gerannt kamen. War sie eine Everianerin? Ein Mensch? Vike? Definitiv keine Atlanin. Von hier aus konnte ich es einfach nicht erkennen, nicht, ohne sie aus der Nähe zu sehen, sie zu berühren, ihre Haut zu riechen. Und die verfluchte Energiebarriere verhinderte genau das.
Sie machte sich wieder an der Transportsteuerung zu schaffen.
“Stopp. Sie kommen!” warnte ich. Ich schloss meine Augen und zählte die Schritte. “Es sind nochmal drei. Schwer.” Die Schritte wurden immer lauter, als größere, langsamere Kreaturen sich auf uns zu bewegten. Es musste sich entweder um Prillonen oder Atlanen handeln, die zu Kampfmaschinen der Hive integriert worden waren. Ich wusste, dass der Feind seine gefährlichsten Krieger in diesem Bereich unterbrachte, aber die Atlanischen Gefangenen waren auch auf dieser Etage und es brauchte eine Bestie, um gegen eine andere Bestie zu kämpfen. Die leichteren, schnelleren Soldaten wurden eine Etage drüber untergebracht oder bewachten die Landedecks. Mit einem Angriff so tief in der Basis hatten sie nicht gerechnet. Ich ebenfalls nicht.
War das überhaupt ein Angriff? Eine einzelne Frau rechtfertigte kaum einen größeren Gegenschlag. Allerdings hatte sie gerade eben drei ihrer Soldaten ausgeschaltet.
Die Hive hatten sich geirrt, wenn die gedacht hatten, dass sie hier sicher wären. Genau wie wir. Und ich würde ihnen die Hölle heiß machen, sollte ich je aus dieser Zelle rauskommen.
Die Frau ignorierte mich, also brüllte ich erneut: “Hier drüben! Du musst das Energiefeld von meiner Zelle deaktivieren! Ich kann helfen.”
Das ließ sie aufhorchen. Sie beugte sich runter und riss einem der toten Hive die Ionenpistole aus der Hand. Ein integrierter Vike. Dann kam sie herübergerannt und hielt lange genug inne, um das Steuerpanel neben meiner Zelle zu zerballern. Das Energiefeld brach sofort in sich zusammen und ich preschte vorwärts und nahm ihr die Pistole aus der Hand.
“Was ist hier los? Ich dachte, das ist ein Koalitionsstützpunkt.”
“Das war es auch, bis vor einer Woche. Die Hive sind reintransportiert und haben uns überrannt. Ohne Vorwarnung. Wir dachten, hier unten wären wir sicher.”
“Gibt es noch mehr Krieger? Andere Gefangene?” wollte sie wissen. Allerdings schaute sie mich nicht an. Sie blickte auf den Flur, wo in etwa fünf Sekunden drei weitere Hive auftauchen würden. Größer dieses Mal. Stärker.
“Es wurden viele hereintransportiert. Ich habe jeden einzelnen von ihnen gesehen. Keine Ahnung, wie viele davon noch leben.”
Ich lauschte wieder. Ein Atlane und zwei Prillonen, hätte ich raten sollen. Mist. Die würden nicht mit einem einzelnen Schuss niedergehen. Nein, sie wären sehr viel schwieriger totzukriegen.
Irgendetwas in meiner Stimme ließ sie aufhorchen, denn dieser dunkle Blick wanderte zu mir zurück und ich erblickte so etwas wie Trauer oder Mitleid in ihren Augen. Ich konnte nicht ausmachen, was genau von beiden es war und ich wollte weder das eine noch das andere.
“Geh in Deckung. Ich erledige sie.” Ich brauchte keine Mitleidsorgie. Jetzt, als ich befreit war und mit einer Waffe an der Hand, konnte die schwirrende Hilflosigkeit in meinem Kopf sich gefälligst zum Teufel scheren.
“Drei von ihnen werden gleich da sein. Und einer davon ist … war ein Atlane.”
“Ich weiß.”
Sie wusste es? Woher? Konnte sie ihn etwa auch hören?
Sie schaute mich nicht länger an, sondern war hinter der Ecke in Deckung gegangen, genau, wie ich es vorgeschlagen hatte, sodass nur ihre Schulter und ihre Ionenwaffe den Hive als Zielscheibe dienten.
Sie kniff die Augen zusammen und zielte.
Die Götter mochten mir helfen, sie war umwerfend. Wie zum Teufel hatte sie den feinen Unterschied in den schweren Schritten des integrierten Atlanen herausgehört? Mir war es klar gewesen, aber ich hatte Jägersinne. Sie war kein Elitejäger. Ich wusste nicht, was sie war, abgesehen davon, dass sie hübsch war—ich blickte kurz rüber auf die drei toten Viken auf dem Boden hinter ihr—und tödlich. Effizient. Skrupellos.
“Wer bist du?” Ich konnte mir die Frage einfach nicht verkneifen, auch wenn wir gerade auf den Feind warteten. Sie war ein Rätsel. Ein komplettes, totales Rätsel, das ich sehnlichst lösen wollte. “Und wie bist du hierhergekommen?”
Sie war offensichtlich hereintransportiert. Aber wo hatte sie die Koordinaten her? Woher wusste sie über das geheime Integrationszentrum der Hive Bescheid?
Natürlich ignorierte die vertrackte Frau die Fragen.
Mit dunklen, scharfen Augen blickte sie zu mir auf. “Wirst du wie eine Zielscheibe hier rumstehen oder wirst du mir helfen uns hier rauszuschaffen?”
Ich erkannte ihre Sprache als eine verbreitete Erdensprache wieder. War sie etwa ein Mensch? Und wenn ja, wie konnte sie die nahenden Soldaten hören? Wie hatte sie einen davon als Atlanen identifiziert? Menschen waren für ihre Hartnäckigkeit und ihren Mut bekannt, nicht für ihre überragenden Sinne.
“In Deckung, Krieger. Sofort.”
Diesen Tonfall—der eines Kommandanten, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte—hatte ich nur selten von einer Frau gehört, und ganz bestimmt nicht von einer, die so zierlich und hübsch war wie sie. Es war egal, von welchem Planeten sie kam. Hier, inmitten eines verfluchten Integrationszentrums, wurde ich hart. Mein Schwanz schien sich nicht darum zu kümmern, dass der Feind uns gleich einheizen würde. Ich wollte sie. Und ihre dominante Art. Oh ja, sie hatte Wirkung auf mich. Mein verborgener Jäger wollte ihr zeigen, wer wirklich das Sagen hatte. Vielleicht nicht präzise in diesem Moment, aber sobald ich erstmal diesen reizenden Körper seiner Uniform entledigt hatte, würde sie einsehen, dass ich der Boss war.
Ich grinste. Oh ja. Ich war der Jäger und sie würde schon bald herausfinden, dass sie die Gejagte war.
Ein Brüllen tönte durch den Korridor, die integrierte Atlanische Bestie gab uns eine Warnung. Bei den Atlanen war ich mir nie sicher, ob sie komplett den Hive-Implantaten erlegen waren oder ob sie immer noch dagegen ankämpften. Manchmal zögerten sie einen tödlichen Schuss hinaus, um einem ReCon-Kämpfer oder einem Krieger auf dem Schlachtfeld die Chance zu geben, sie auszuschalten.
Ein rascher Tod war in diesem Falle eine Gnade.
Ich positionierte mich so, damit ich die Stellung der Frau decken konnte und prüfte das Energielevel der Waffe. Sie war vollständig geladen und ich stellte die Ionenpistole auf maximale Feuerkraft. “Ich werde sie aufhalten. Kennst du dich mit der Transportsteuerung aus?”
Sie blickte über ihre Schulter und warf mir einen gereizten Blick zu, ihre Lippen waren schmal und fest. “Halt sie von uns fern und ich werde uns hier rausschaffen. Für die restlichen Gefangenen werden wir später zurückkehren.”
“Verstanden.”
Sie stand auf und drehte sich, sodass sie mit dem Rücken zur Wand war, während ich weiter den Korridor ins Visier nahm. “Wie lautet dein Name?” fragte sie.
“Quinn.”
Sie blinzelte langsam, als ob mein Name sie verwunderte und ihr Blick musterte interessiert mein Gesicht. Mit etwas mehr als nur einfachem Kampfinstinkt. “Du bist Everianer? Ein Elitejäger?”
Ich nickte. “Ja.” Sie schien viel über meine Spezies zu wissen. Ungewöhnlich. Die meisten Aliens von der Erde hatten kaum etwas von meinem Planeten gehört.
“Gut. Dann solltest du es schaffen, sie mir vom Leib zu halten.”
Jetzt war ich auf einmal gereizt. “Selbstverständlich.”
Sie grinste und am liebsten wollte ich sie küssen, als ich das Funkeln in ihren Augen sah. Scheiße. Im Ernst, ich wollte sie gegen die Wand nageln und meinen Schwanz in ihr vergraben. Aber das würde warten müssen, bis wir diesem Felsbrocken entkommen waren. Diese Unverfrorenheit würde ich ihr schon austreiben. Sie in heißes Keuchen verwandeln. In hauchiges, lustvolles Stöhnen.
Ohne noch ein Wort zu verlieren, stürmte sie zur Steuerung und ich wandte mich wieder dem Korridor zu, als auch schon der erste Angreifer auftauchte. Der integrierte Atlane war vorne in der Mitte. Die Decken in dieser Basis waren drei Meter hoch und trotzdem duckte er sich, als ob er fürchtete, er könnte sich den Kopf einschlagen.
Das würde er nicht, es sei denn, er würde zum Sprung ansetzen.
Ich feuerte nonstop, bis die Bestie auf die Knie fiel. Wie Wasser, das einen Felsen umströmte, liefen die anderen beiden um ihn herum und kamen näher. Prillonische Krieger, jedenfalls waren sie das einmal. Um sie machte ich mir kaum Sorgen. Zwei Schüsse für jeden und sie waren außer Gefecht gesetzt; sie krümmten sich auf dem Boden, während sich der Atlane hinter ihnen wieder aufrappelte.
“Beeil dich,” rief ich. “Die Bestie ist wieder im Anmarsch.”
“Bin schon dabei.” Die Frau war nach vorne gebeugt, ihre Finger huschten fanatisch über die Steuerung. Die Konzentration auf ihrem Gesicht war eine weitere, faszinierende Bereicherung ihres Repertoires, aber mir blieb keine Zeit, sie anzustarren. Ich speicherte den Anblick für später ab, wenn ich mir ausreichend Zeit nehmen und eventuell mit den Fingerspitzen ihre Lippen nachzeichnen könnte, während ich zusah, wie ihr Gesichtsausdruck sich unter meiner Berührung wandelte.
“Wir. Töten.” Der integrierte Atlane war voll im Bestienmodus und scheinbar hatte er den Befehl bekommen mich zu töten. Wahrscheinlich würde er sie ebenfalls töten.
“Aber nicht heute.” Ich feuerte, gründlich, und traf alle empfindlichen Stellen in der Panzerung der Bestie. Seinen Hals. Seine Knie. Sein Gesicht, sobald ich Zeit für einen Extraschuss hatte.
Ich hörte, wie sein Helm aufbrach und unterdrückte einen Triumphschrei. Vor meinen Augen nahm er den Helm ab und warf ihn gleichgültig beiseite.
Götter, er war verdammt nochmal gigantisch.
Ich wollte ihn nicht töten. Wirklich nicht. Ein Kopfschuss und er wäre erledigt, aber ich kannte ihn. Hatte die letzten Monate mit ihm zusammen gedient. Bevor wir gefangengenommen wurden. Seit dem Einmarsch der Hive in diese Basis hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Bis jetzt. Bis er ausreichend integriert worden war, um von ihnen gesteuert zu werden. Um zu kämpfen, mich zu töten.
Er war ein anständiger Typ. Ehrbar. Ein wahrer Krieger.
“Scheiße verdammt, Zan.”
Ich drosselte die Feuerkraft meiner Waffe und hoffte, die geringere Ladung würde ihn außer Gefecht setzen, aber nicht töten. Die Prillonen, die ich erschossen hatte, waren nicht von dieser Basis. Die waren nicht wie dieser Atlane eben erst integriert worden. Sie waren alte Bekehrte, ihre Persönlichkeiten längst verschwunden. Leere Hüllen, deren Körper mit so vielen Integrationen versehen waren, dass sie gänzlich zu Hive geworden waren. Durch und durch der Feind. Ich hatte gehört, dass die Hive ihre zuverlässigen, vollständig integrierten Soldaten wie diese beiden Prillonen zusammen mit den Atlanischen Bestien losziehen ließen, um sie im Zaum zu halten.
Da die integrierten Prillonen erledigt waren, bestand darauf keine Hoffnung mehr. Zan war jetzt dabei auf mich loszugehen, er war fuchsteufelswild.
Scheiße.
Ich hob meine Waffe und zielte. Feuerte einen Betäubungsschuss.
Sein Kopf flog zurück und er fiel um wie ein Baumstamm. Ich eilte zu ihm und prüfte seinen Puls.
Er atmete noch. Gut. Die Betäubung hatte gewirkt, sogar bei einer Bestie.
Ich hielt inne und lauschte, dann hörte ich das hastige Fluchen der Frau, als weitere Schritte auf uns zukamen. Sie konnte sie ebenfalls hören. Sie waren wahrscheinlich noch zwei Korridore von uns entfernt, aber uns blieben nur wenige Minuten. Höchstens drei. Und diesmal waren es mehr als drei Soldaten. Sehr viel mehr.
Und der riesige Atlane musste gerettet werden. Solange er eine Überlebenschance hatte, konnte ich ihn nicht einfach zurücklassen, selbst wenn man ihn in die Kolonie schicken würde.
Also packte ich notdürftig sein Bein und zog ihn in den Transportraum. Auf dem Boden lagen die drei Transporttechniker, die sie erledigt hatte. Tot. Vergessen. Die Frau blickte von der Steuerung auf, warf einen Blick auf den Atlanen und runzelte die Stirn.
“Er ist ein Freund von mir.” Zan war ein anständiger Krieger, ich würde ihn nicht zurücklassen. Und sollte der blaue Mistkerl hier unten nach dem Rechten sehen, dann würde sowieso keiner von uns überleben. “Du musst uns hier rausschaffen bevor die Nexus-Einheit kommt. Gegen die hat Zan keine Chance.”
Sie erstarrte. “In dieser Basis befindet sich eine Nexus-Einheit?”
“Ja.” Ich wollte nachfragen, woher sie wusste, was ein Nexus war, schließlich war diese Information nur für hochrangige Agenten und Kommandanten bestimmt, aber ich war zu sehr mit dem überdimensionierten Leib der Bestie beschäfigt, um nachzufragen.
“Es gibt ein dringenderes Problem. Ein Transport kommt gerade herein und ich kann den Befehl nicht aushebeln. Es ist zu spät.”
Ich ließ Zans Bein los und er blieb reglos auf dem Boden liegen. Es gab kaum Platz, denn er und die toten Transporttechniker nahmen fast den gesamten Raum ein. Ich drehte mich zur Transportfläche um. Wie sie angekündigt hatte, füllte sich der Raum mit elektrischer Ladung und unter meinen Füßen fing es an zu vibrieren. “Freundlich?”
“Nein. Ich glaube nicht.” Sie schnappte sich die Waffen der toten Techniker und warf mir eine davon zu. Ich prüfte die Ladung, entsicherte sie. Eine zweite Waffe konnte nicht schaden. “Sie bringen mehr Koalitionskrieger … Gefangene, um sie zu integrieren.”
Sie machte ihre eigene Ionenpistole klar, ging auf ein Knie runter und hatte wie ich je eine Waffe in der Hand. Sie nutzte die Steuerkonsole als Deckung und wartete.
“Wie viele?” wollte ich wissen.
“Sieben.”
Scheiße. Das war eine ganze Menge, sollte es sich ausschließlich um Hive handeln. “Die Hive arbeiten in Dreiergruppen. Immer. Sie sind verdammt konsequent. Sie würden nicht zwei Trios für einen Gefangenen losschicken. Es müssen drei Aufpasser mit vier Gefangenen sein. Das kommt mehrmals täglich vor. Ich weiß es.” Leider wusste ich das nur allzu genau.
Sie nickte, blickte aber nicht in meine Richtung. Ich wandte mich wieder der Transportfläche zu, als sieben Gestalten auftauchten.
Es war einfach, die Hive von den Koalitionskämpfern zu unterscheiden. Wir zielten. Feuerten. Töteten. Die drei Hive-Soldaten hatten nicht damit gerechnet in ihrer eigenen Einrichtung angegriffen zu werden, genau wie ich es erwartet hatte. Gefangene konnten nicht ausbrechen. Schlugen nicht zurück.
Ich allerdings schon. Genau wie … sie. Sie hatte zwei von ihnen fast genauso schnell erledigt wie ich einen. Sie war fabelhaft. Verdammt, und ich kannte noch nicht einmal ihren Namen.
Die vier Koalitionskämpfer fielen auf die Knie und duckten sich zum Schutz. Sie konnten nichts anderes ausrichten, hatten keine Waffen. Sie waren gefesselt.
Binnen Sekunden war es vorbei. Die Aufpasser waren tot. Die Gefangenen blickten verwundert auf.
“Wo zum Teufel sind wir?” fragte ein Prillone, weil er wahrscheinlich bemerkt hatte, dass er auf einer Transportfläche der Koalition angekommen war.
“Latiri 4. Den Rest erkläre ich später. Holt den Atlanen. Wir müssen raus hier,” kommandierte sie.
Sie ignorierte mich bereits wieder und erwartete, dass ich ihrer Anweisung folgte, während ihre Finger über die Steuerung huschten. Verdammte Frau, ich wollte sie und ich wollte sie meinem Willen beugen, sie mit Leib und Seele erobern. Jetzt war aber weder der richtige Zeitpunkt noch der passende Ort, um mit ihr zu streiten. Und sie hatte recht.
Ich nahm einem der toten Viken den elektronischen Schlüssel von der Hüfte und machte den vier Gefangenen ein Zeichen. Sie kamen prompt zu mir herüber und ich schloss ihre Handfesseln auf. Der nächste, ein grimmiger Prillonischer Krieger, dem die anderen zu gehorchen schienen, winkte die drei zu dem Atlanen rüber.
“Ihr habt den Befehl gehört, schafft den Atlanen auf die Transportfläche.”
Die Frau hinter der Konsole blickte auf, als sie seine Stimme hörte. “Prax, schön dich zu sehen. Lang ist’s her.”
Der Prillonische Captain, Prax, grinste sie an. Sie grinste zurück, der Ausdruck war völlig neu und nicht für mich bestimmt. Ich blinzelte und versuchte sie nicht anzustarren. Götter, sie war ein verdammtes Prachtstück. Und wie kam es, dass dieser Prillone sie kannte und ohne zu zögern ihren Befehlen folgte? Der Prillone trug das Abzeichen eines Captains an der Uniform und ich bezweifelte nicht, dass er die Lage einzuschätzen wusste. Sie kannten sich offenbar, aber woher?
Gehörte sie zu ihm? War sie seine Partnerin? Hatte er ein Auge auf meine Frau geworfen?
Meine Frau. Der Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich dem unbekannten Prillonischen Captain meine zweite Waffe überreichte und dabei half, den enormen Atlanen auf die Transportfläche zu schleifen.
Wir alle arbeiteten zusammen, um ihn auf die Plattform zu hieven. Sogar fünf kräftige Krieger hatten mit der Bestie ihre Mühe. Sobald wir ihn an der richtigen Stelle hatten, überließ ich meine Waffe einem der anderen Krieger und trat an die Frau heran. Ich nahm ihre Ersatzwaffe, warf sie einem dritten Krieger hin und las ihre kleine Ionenpistole auf, die sie griffbereit auf der Steuerkonsole abgelegt hatte.
Die Krieger gingen um den bewusstlosen Atlanen in Stellung und ich stellte mich zwischen meine Frau und die offene Tür. Ich konnte die Hive kommen hören und mir war klar, dass die Männer bis zum Tod kämpfen und mehr als gerne jeden Hive erschießen würden, der sich jetzt mit uns anlegte.
“Kannst du uns hier rausbringen?” fragte ich sie. Sie hatte seit gefühlten Stunden an der Steuerung herumhantiert, ihre kleinen Hände hatten unaufhörlich schnelle, geschickte Bewegungen vollführt.
“Ja. Aber zuerst sperre ich die gesamte Basis.”
Was sagte sie da?
Ich drehte mich zu ihr um. “Wie?”
Sie blickte nicht einmal auf, sondern sprach stattdessen mit der Steuerkonsole. “Lockdown-Protokoll einleiten. Befehlscode …” Sie rasselte ein paar Worte in der Muttersprache von Prillon Prime runter und wartete. Dann ertönte ein Piepen und sie ließ erleichtert die Schultern sacken. “Sie sind nicht ins Hauptsystem eingedrungen. Meine Befehlscodes funktionieren noch.”
Was war gerade passiert? Niemand konnte eine ganze Basis abriegeln. Das war undenkbar. “Das ist unmöglich.”
“Ich habe Befehlscodes zweiter Stufe, Jäger. Niemand wird ohne meine Erlaubnis diese Basis betreten oder verlassen. Nicht mehr.” Sie warf mir einen Blick zu, als sie sich von der Steuerkonsole entfernte und auf den Prillonischen Captain zuging. Ich zog mich von der Tür zurück und rückte näher, weil ich nicht mochte, dass sie diesem Krieger so nahe kam.
Befehlscodes zweiter Stufe?
Stufe eins war für Prime Nial persönlich, dem Anführer der gesamten Koalitionsflotte, Herrscher der interstellaren Koalition. Er kontrollierte alles. Wenn sie die Wahrheit sagte, dann konnte nur der Prime persönlich die Sperrung dieser Basis außer Kraft setzen.
Schlachtschiffkommandanten, wie Kommandant Karter, verfügten nur über Codes der Stufe vier. Meine waren Stufe fünf.
Scheiße. Wer bitteschön war sie nur?
“Lasst uns gehen.” Captain Prax trat nach vorne. “Ich muss nach dem Rest meiner Männer sehen.”
Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass sie höchstwahrscheinlich bereits in Zellen gesperrt und integriert worden waren. Vernichtet.
Die Frau sprang auf die Transportplattform und der Prillonische Captain stellte sich schützend zwischen sie und den Korridor, ohne aber Anstalten zu machen, ein hilfloses Weibchen verteidigen zu wollen. Dafür lag zu viel Wissen in seinen Augen. Respekt.
Wer war sie? Geheimdienst? Ich kannte keinen einzigen Kämpfer mit Befehlscodes. Es sei denn, das war alles nur ein Versehen und ein Transporttechniker hatte sie unbeabsichtigt zum falschen Ort geschickt.
Klar, nee. Sie war zu intelligent, flott und aufmerksam für eine solche Lächerlichkeit. Und falls ein solcher Zufall sie zu mir gebracht haben sollte, dann würde der Transporttechniker wahrscheinlich in einen Koalitionsknast wandern.
Ich spürte die Vibrationen, hörte das Wummern.
“Alle Mann bereit?” sprach sie und blickte zu uns rüber. Die Gefangenen waren gerade mal eine Minute hier und schon ging es für sie wieder weg. Glück gehabt.
So ein verdammtes Glück nochmal. Und der Atlane, der wie eine tote Masse zu ihren Füßen lag auch.
“Ja, verdammt,” sprach ich. Die anderen fauchten und knurrten zustimmend. Sie waren besiegt worden, aber sie waren wieder im Rennen. Wir würden verdammt nochmal von hier verschwinden.
Mein Jägergehör nahm Fußgestapfe wahr. “Sie kommen,” sprach ich.
Sie nickte, entweder weil sie mir glaubte, oder weil sie die Hive ebenfalls hören konnte. Jetzt blieb keine Zeit um das zu erörtern.
“Fünf Sekunden,” sprach sie.
Ich gesellte mich schleunigst neben sie. Dann neigte ich ihr Kinn hoch, damit sie mich anblickte. Damit sie eine von diesen fünf Sekunden mir zugestand.
“Wer bist du?” fragte ich sie. Der bevorstehende Transport ließ mir sämtliche Haare am Körper zu Berge stehen.
Drei Sekunden.
Zwei Sekunden. Die Hive stürmten in den Raum. Aus dem Augenwinkel konnte ich ihre gezückten Waffen sehen. Die anderen Krieger eröffneten das Feuer, aber ich ignorierte alles um mich herum. Ich sah nur noch sie. Die Frau, die mein Leben gerettet hatte. Das Leben von sechs Kriegern.
“Ich bin deine Partnerin.”
Eine Sekunde.
Und weg waren wir. Dabei, aus der Hölle der Hive hinauszutransportieren und zurück in Sicherheit. Mit meiner …
Partnerin.