Читать книгу Für immer vereint - Grace R. Duncan - Страница 9
Kapitel 4
ОглавлениеMiles warf seine Schuhe in den Kofferraum seines kleinen Honda und schloss die Klappe. Seine Schlüssel verstaute er in der magnetischen Box, die er extra dafür gekauft hatte, und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Er hatte das Rudelgebiet schon immer geliebt. Die frische Bergluft, den Geruch von Kiefer, Tanne und Fichte, der ihn daran erinnerte, wie es war, bevor sein Leben kompliziert geworden war.
Beinahe derselbe Geruch hatte ihn schon in seiner Kindheit umgeben. Dieser bestimmte Nadelbaumgeruch war in Ost-Washington anders, doch die Düfte waren sich ähnlich. Es erinnerte ihn jedoch daran, wie er als Welpe durch den Wald gelaufen war, sich in Blättern und Gras gewälzt und mit den anderen Welpen in seinem Rudel gespielt hatte.
Er schüttelte diese Gedanken ab und konzentrierte sich stattdessen auf seinen Wolf. Für eine Weile musste er die komplizierte Situation vergessen. Nachdem Quincy angerufen hatte, um ihn wissen zu lassen, dass er okay war, und vorgeschlagen hatte, seinen Wolf ein wenig rauszulassen, hatte Miles erkannt, dass sein Gefährte recht hatte. Es war viel zu lange her gewesen, dass Miles sich außerhalb des Vollmonds verwandelt hatte. Auch wenn das nicht gleich bedeutete, dass er auf Hausschuhen herumkauen würde, musste er seinen Wolf öfter mal rauslassen.
Mit einem weiteren tiefen Atemzug lockerte er die Dominanz über seinen Wolf und übergab ihm die Kontrolle. Wie immer genoss er die Verwandlung, die für sie so natürlich wie das Atmen war, und binnen Sekunden betrachtete er die Welt aus einem gänzlich anderen Blickwinkel.
Er schüttelte sich kräftig, während er sich daran gewöhnte, wieder in seinem Fell zu sein, dann hob er die Schnauze und schnüffelte. Als er die Fährte eines Hasen entdeckte, rannte er los, ohne noch einmal darüber nachzudenken.
Es entbrannte eine richtige Verfolgungsjagd, durch die Miles daran erinnert wurde, wie lange er schon nicht mehr hier draußen gewesen war. Statt auf dem Rudelgebiet hatte er sogar ein paar Vollmonde eingeschlossen in seinem Apartment verbracht, weil er so viel gearbeitet hatte. Er rannte noch etwas schneller und schließlich gelang es ihm, den Hasen zu fangen. Sein Wolf genoss die Jagd und ging im Töten auf.
Das war eine wirklich widersprüchliche Seite an ihm. Sein Wolf konnte ein Killer sein – und war es auch. Er verfolgte, jagte, erlegte und hatte in dieser Hinsicht keine Skrupel. Doch die menschliche Seite an ihm war Mediziner und von ihm verursachte Gewalt und Tötung hätte ihm zutiefst widerstrebt, wenn seine menschliche Seite im Augenblick mehr Kontrolle gehabt hätte.
Als er aufgegessen hatte, putzte er sich und trank ausgiebig von dem kühlen Bergwasser. Anschließend rannte er um die Bäume herum und durch das Unterholz, sprang über Baumstämme und Bäche, rannte immer schneller und fühlte einfach nur die Freiheit des Winds in seinem Fell.
Er hatte sich diese Freiheit viel zu lange verwehrt. Es war verständlich; er war mit einem gewissen Tunnelblick auf Quincy fokussiert gewesen. Doch er musste sich daran erinnern, wie gut es sich anfühlte, zu rennen, wie sehr er es brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen und so viele seiner Gedanken loszulassen.
Miles fand seinen Lieblingshügel und legte sich hin, sodass er den Wald überblicken konnte. Pittsburghs Lichter waren in der Ferne zu erkennen und erleuchteten den Himmel. Der Hügel hatte die perfekte Höhe und Ausrichtung, um zur Stadt schauen zu können.
Irgendwo dort draußen war sein Gefährte. Quincy hatte ihm von seinem Hotel aus geschrieben, dass er im Moment sicher war und gerade eine neue Bleibe suchte, bevor er weitere Schritte unternahm. Er wollte Miles nicht sagen, wohin er ging, zweifellos für den Fall, dass ihre Unterhaltungen abgehört wurden. Quincy konnte einiges unternehmen, um sich vor anderen zu verstecken, doch der Umstand, dass er im Krankenhaus gewesen war, bewies wohl, dass er nicht alles schaffte.
Miles versuchte, den Schmerz nicht die Überhand gewinnen zu lassen, doch sein Wolf vermisste ihren Gefährten genauso sehr wie er. Sie wussten beide, dass neben ihnen jetzt ein nachtschwarzer Jaguar mit zuckendem Schwanz sitzen sollte. Stattdessen war dieser Merkur wusste wo und tat Diana wusste was für Dinge.
Miles war dankbar, dass er Quincy gefunden hatte. Er war sich nicht sicher gewesen, was für einen Gefährten – ob männlich oder weiblich – er finden würde, doch er hatte nie erwartet, dass dieser einer anderen Spezies angehörte. Doch wie er Quincy gesagt hatte, vertraute er darauf, dass die Götter wussten, was sie taten. Er erschauderte beim Gedanken daran, was vielleicht passiert wäre, wenn sich sein Leben in jungen Jahren anders entwickelt hätte.
Er hatte seine sexuellen Vorlieben von klein auf gekannt. Er war verwirrt gewesen – da gab es keinen Zweifel –, denn er hatte verstanden, dass er schwul oder hetero sein konnte, doch er mochte beide Geschlechter, was ihn für eine Weile frustriert hatte. Als er es in der Highschool schließlich verstanden hatte, hatte er das getan, was er darüber gelesen hatte, was viele bisexuelle Menschen taten: Er hatte einen Teil von sich versteckt. Seine Vorliebe für Männer nicht zugegeben, sondern sie eisern für sich behalten.
Doch als ein paar andere Kerle in seinem Rudel sich als schwul geoutet hatten und seine Eltern deswegen nicht durchgedreht waren, hatte er dies als gutes Zeichen gesehen. Dennoch war er noch nicht bereit gewesen, sich zu offenbaren.
Bis er Jacob kennengelernt hatte.
Bei der Erinnerung daran schnaubte Miles, denn ihm wurde bewusst, dass Jacob und Quincy einige optische Ähnlichkeiten aufwiesen. Groß, schlank, sehnig, langes, schwarzes Haar und helle Haut. Er war von diesem Menschen fasziniert gewesen. Jacob war gerade erst aus einer kleinen Stadt in der Coleville-National-Forest-Region in ihr Gebiet gezogen und er und Miles waren in der Schule schnell Freunde geworden. Miles hatte nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass Jacob schwul war. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie er damit umgehen sollte, dass Jacob ein Mensch war, doch er hatte angenommen, dass dafür noch Zeit wäre.
Als ihr letztes Jahr an der Highschool dem Ende zugegangen war und Miles, statt des netten weiblichen Wolfs, den seine Eltern für ihn ausgesucht hatten, Jacob zum Abschlussball hatte ausführen wollen, war jedoch die Hölle losgebrochen. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass es bei anderen Männern okay gewesen war, schwul zu sein, aber bei ihrem Sohn nicht. Miles hatte seine Eltern noch nie derart erlebt.
Tagelang hatten sie ihn angeschrien. Jedes Mal, wenn er aufgetaucht war, hatte sein Vater wieder damit angefangen, ihn zu schikanieren. Meistens war es darum gegangen, dass er diesen schwulen Scheiß vergessen und ein nettes Mädel finden sollte, und oft genug hatte sein Vater geschrien: »Mein Sohn nicht!«. An diesem Punkt hatte Miles meistens nicht mehr zugehört.
Schließlich hatte er gelernt, für sich selbst zu sein. Er war gekommen und gegangen, wenn sein Vater nicht zu Hause oder im Bett gewesen war. Er hatte nebenbei für das Rudel gearbeitet, sodass er sogar einen Teil seines Geldes dafür ausgegeben hatte, um auswärts zu essen. Als die Gefährtin des Beta erkannt hatte, dass er am vierten Tag in Folge im Diner gegessen hatte, hatte sie versucht, mit ihm zu sprechen, doch Miles war noch nicht bereit gewesen, ihnen zu erzählen, was vor sich gegangen war.
Natürlich hatte Jeannie sich um ihr Rudel gekümmert und gewusst, dass etwas nicht stimmte. Daher war sie zum Alpha gegangen, der Miles am Tag darauf im Diner abgefangen hatte. Wenn Miles jemals ein Alpha hätte sein wollen, dann einer wie Karl Phillips. In all den Jahren, die Miles ihn gekannt hatte, hatte Karl seine Stimme nicht ein einziges Mal erhoben und seine Stärke als Alpha nur weniger als ein Dutzend Male eingesetzt.
Karl hatte ihm im Diner gegenübergesessen und Jeannie hatte ihnen Kaffee gebracht. »Wie wäre es, wenn wir zusammen einen Happen essen?«
Er mochte gefragt haben, doch Miles hatte es besser gewusst, als den Alpha durch eine Ablehnung zu verärgern. »Sicher, Alpha«, hatte Miles gesagt, als er sichergestellt hatte, dass sich in diesem Teil des Lokals keine Menschen aufhielten.
Mit einem Lächeln hatte Karl den Zucker genommen und einen Löffel voll davon in seinen Kaffee rieseln lassen und umgerührt. Miles hatte sich auf seine eigene Tasse konzentriert, während er langsam seinen Kaffee getrunken hatte, denn er hatte gewusst, dass Karl sprechen würde, wenn er so weit war.
»Also, ich versuche, es als meine Aufgabe anzusehen, zu wissen, was in meinem Rudel so los ist. Wenn einer meiner Wölfe unglücklich ist, möchte ich wissen, warum, denn wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann, dann werde ich das tun.«
Das hatte Miles bereits gewusst. Er hatte über die Jahre hinweg mehr als einmal erlebt, wie Karl einer Familie geholfen hatte, einen Job zu finden oder Ähnliches. Es war einer der Gründe, warum er diesen Mann so sehr respektierte.
»Ich muss nicht danach fragen, ob etwas los ist. Ich werde jedoch – vorerst – fragen, was es ist.« Der Zusatz, dass er kein zweites Mal fragen würde, war unausgesprochen geblieben.
Miles hatte tief durchgeatmet. Wyatt war nicht aus dem Rudel geworfen worden, als er sich geoutet hatte. Der Alpha würde auch ihn nicht rausschmeißen. Das Problem war, dass er sich nicht mehr sicher gewesen war, ob er hatte bleiben wollen. Er hatte durch seine Wimpern hindurch aufgesehen. »Ich... habe mich meinen Eltern gegenüber geoutet.«
Die einzige Reaktion Karls war das leichte Anheben seiner Augenbrauen gewesen. »Du bist schwul?«
Miles hatte den Kopf geschüttelt. »Ich bin bi. Aber... da ist dieser Junge. Ich wollte ihn zum Abschlussball ausführen.« Er hatte mit den Schultern gezuckt. »Zum Teufel, ich weiß nicht mal, ob ich es getan hätte, aber ich wollte es versuchen. Als ich also meinen Eltern gesagt habe, dass ich nicht mit Layla gehen möchte – das Mädchen, das sie für mich ausgesucht haben – und stattdessen mit Jacob gehen will...«
Karl war sogar zusammengezuckt. »Ich vermute, Martin mochte das nicht.«
Miles hatte humorlos aufgelacht. »Nein, nein, das hat er nicht. Ähm... sein Lieblingssatz ist: Mein Sohn nicht, obwohl ich nicht weiß, was danach kommt, denn da habe ich aufgehört zuzuhören.«
Karl hatte genickt. »Das kann ich verstehen.«
Miles hatte noch einen Schluck seines Kaffees getrunken, dann in die schwarze Flüssigkeit gestarrt, als könnte sie ihm die Weisheit geben, die ihm gefehlt hatte.
»Du hast geplant, an die EWU in Spokane zu gehen, richtig?«
Miles hatte genickt. »Ja. Ich habe eine Zusage für ihr Biologie- und Grundlagen-der-Medizin-Programm.«
»Und dann?«
»Hatte ich gehofft, nach Seattle an die UW zu wechseln, um dort Medizin zu studieren.« Er hatte die Stirn gerunzelt. »Ich weiß nicht, ob ich das jetzt noch hinkriege. Eine der Sachen, die mein Vater gesagt hat, war, dass er nicht für das Studium aufkommen wird, wenn ich mit diesem schwulen Scheiß weitermache, wie er es nennt. Ich weiß nicht mal, ob er es überhaupt könnte.« Miles hatte erneut mit den Schultern gezuckt.
Für eine Weile hatte Karl nichts dazu gesagt und Jeannie hatte ihnen dicke Burger, einen riesigen Berg Pommes und eine Flasche Ketchup gebracht. »Darf ich noch etwas bringen?«
»Nein, danke«, hatte Karl lächelnd erwidert.
Sie hatte Miles zugezwinkert und war wieder hinter den Tresen zurückgegangen. Miles hatte sich damit beschäftigt, Ketchup auf seinen Burger zu geben und sich eine Handvoll Pommes in den Mund zu stopfen.
»Guter Gott, Junge. Ich sollte deinem Vater allein schon wegen deiner Tischmanieren einen Besuch abstatten.«
Miles war rot geworden. »Äh...«, hatte er mit vollem Mund begonnen und war noch mehr errötet. Als er jedoch aufgeblickt hatte, hatte er Karl grinsen gesehen und die Hitze in seinen Wangen hatte nachgelassen.
»Willst du immer noch nach Spokane gehen? Hast du diese Schule aus einem anderen Grund als der Lage gewählt?«
Miles hatte die Stirn gerunzelt, dann den Kopf geschüttelt. »Nein, nicht wirklich. Sie liegt näher an zu Hause, am Rudel. Ich könnte bei Vollmond immer noch hierherkommen.«
Karl hatte genickt und in seinen Burger gebissen. Für ein paar Minuten hatten sie schweigend gegessen, bevor Karl sich zurückgelehnt hatte. »Ich könnte Martin für sein Verhalten dir gegenüber aus dem Rudel werfen.«
Mit geweiteten Augen hatte Miles seinen Alpha angestarrt. »Aber –«
Karl hatte die Hand gehoben. »Ich könnte. Aber ich glaube nicht, dass es für dich oder das Rudel das Beste wäre. Stattdessen habe ich eine andere Idee.«
Miles hatte nicht geantwortet, sondern ihn einfach nur blinzelnd angestarrt und gewartet.
»Hast du was dagegen, etwas früher nach Seattle zu gehen?«
Miles hatte darüber nachgedacht, doch er hatte seine Familie schon mehr oder weniger verloren gehabt. Er wäre niemals in der Lage gewesen, sie glücklich zu machen, es sei denn, er wäre bereit gewesen, einen Teil von sich zu ignorieren. Und ehrlich gesagt, wäre er so niemals glücklich geworden.
»Nein, habe ich nicht.«
Karl hatte genickt. »Alles klar. Einer vom Rainier-Rudel sitzt in der Zulassungsstelle der UW. Ich werde Alpha Scott morgen anrufen und sehen, was ich tun kann. Ich denke, du wärst mit einem Neuanfang sehr viel glücklicher.«
Miles hatte dem Knoten in seinem Hals entgegengeschluckt und versucht, sich daran zu erinnern, wie man atmete. Er hatte nicht verlassen wollen, was er kannte. Er war im Colville-Rudel glücklich gewesen. Aber Karl hatte recht gehabt und Miles wäre es dort nicht länger gewesen.
»Danke, Alpha. Es tut –«
»Wage es nicht, dich zu entschuldigen, Junge.« Karl hatte ein finsteres Gesicht gemacht. »Dein Vater ist derjenige, der sich entschuldigen muss. Ich kann ihn jedoch nicht dazu zwingen, dich zu akzeptieren.« Er hatte den Kopf geschüttelt. »Ich kann dir helfen, einen guten Start zu bekommen. Colville wird dich in Seattle unterbringen und für dein College bezahlen, zumindest bis du den Abschluss hast. Für alles, was dann kommt, musst du selbst sorgen.«
»Danke schön. Das ist... mehr, als ich erwarten kann.«
Wieder hatte Karl den Kopf geschüttelt, das Thema jedoch ruhen gelassen und stattdessen gesagt: »Iss. Jeannie zieht uns das Fell ab, wenn wir unser Abendessen nicht aufessen.«
Miles hatte gelacht.
Er war nach Seattle gegangen und hatte sich voll und ganz auf sein Studium konzentriert, das er mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Er war ein offizielles Mitglied des Rainier-Rudels geworden, das sehr viel toleranter war als sein Vater. Tatsächlich war Seattle generell dem Thema LGBT gegenüber aufgeschlossener. Miles hatte sich die folgenden acht Jahre in sein Studium gekniet. Hin und wieder war er zusammen mit dem Rainier-Rudel gelaufen, doch auch wenn sie ihn alle sehr freundlich aufgenommen hatten, hatte er sich nicht zu Hause gefühlt.
Als Miles seinen Doktor in Medizin bekommen hatte – zu Miles' Schock hatte das Rainier-Rudel die Kosten für seine Promotion übernommen –, hatte Alpha Scott ihn nach Denver zur nationalen Wolfszentrale geschickt, wo er die Physiologie der Gestaltwandler studieren konnte. So hatte er zwei Jahre damit verbracht, alles über die Unterschiede zwischen Menschen und Gestaltwandlern zu lernen. Erst als er diesen Teil seines Studiums abgeschlossen hatte, war ihm klar geworden, dass er nicht wusste, was er anschließend machen sollte. Er war so konzentriert darauf gewesen, zu lernen und ein Doktor zu werden, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, was danach kommen würde.
So sehr Miles den pazifischen Nordwesten auch geliebt hatte, hatte er dort weggemusst, um einen echten Neuanfang zu starten. Alpha Scott hatte sich wieder um ihn gekümmert und vorgeschlagen, mit Alpha Noah vom Forbes-Rudel im Südwesten Pennsylvanias zu sprechen.
Miles war sich noch nicht sicher gewesen, ob er wirklich in einen gänzlich anderen Teil der Staaten ziehen sollte, doch Noah war mehr als froh darüber gewesen, einen Gestaltwandlerarzt in der Nähe seines Rudels zu haben, und als er Miles direkt gefragt hatte, ob er kommen würde, hatte Miles ihn nicht zurückweisen können.
Forbes, der Wald im Südwesten Pennsylvanias und die Stadt Pittsburgh waren seit Colville für ihn zu einem echten Zuhause geworden. Er hatte keinen Zweifel, dass Diana ihn hierhergeführt hatte. Dass er seinen Gefährten hier gefunden hatte, wenn er Quincys Weg andernfalls wahrscheinlich niemals gekreuzt hätte, räumte jeden noch so kleinen Zweifel darüber aus, ob er vielleicht am falschen Ort gelandet war. Hier war jetzt sein Zuhause.
Miles stand auf, schüttelte sich und gab dem Schmerz für einen kurzen Moment nach. Dann hob er den Kopf und heulte den Sternen seine Sorgen entgegen. Er hatte eigentlich gar keine Antwort erwartet, doch er bekam nicht nur eine, sondern zwei Rückmeldungen. Er legte den Kopf schief, während er versuchte herauszufinden, zu wem die Stimmen gehörten. Er heulte noch einmal und wieder antworteten sie. Da erkannte er sie: Jamie und Chad.
Mit voller Geschwindigkeit rannte er los, wich Bäumen und Felsen aus, folgte ihren Stimmen, als er wieder heulte, um sie zu finden. Nach kurzer Zeit brach er durch die Bäume und fand beide auf einer kleinen Lichtung. Jamie rannte auf ihn zu, warf sich ihm entgegen und fegte ihn von den Beinen. Er schnaubte und arbeitete sich unter seinem Freund hervor, nur um direkt wieder von Chad umgeworfen zu werden. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er gelacht. Chad war noch wie ein Welpe, da er erst vor ein paar Monaten verwandelt worden war. Er rangelte spielerisch für eine Weile mit den beiden und ließ die Sorgen und Angst einen Moment lang in den Hintergrund treten.
Schließlich ließ er sich schwer atmend ins Gras fallen. Die anderen zwei kamen zu ihm und zu seiner Überraschung kuschelten sich die beiden von jeder Seite an ihn. Miles schloss die Augen und erlaubte sich, die Nähe zu genießen. Er hatte sein Rudel vermisst. Er musste öfter hier rauskommen, mit seiner eigenen Spezies zusammen sein. Er hoffte, dass ihnen in nicht allzu ferner Zukunft eine Katze Gesellschaft leisten würde.
Als er seine Augen wieder öffnete, kam ein großer Wolf, von dem er trotz seiner momentanen Schwarz-Weiß-Sicht wusste, dass er rotes Fell hatte, auf die Lichtung, während ihm sein schwarzhaariger Gefährte hinterher trottete. Miles konnte ein Wolfgrinsen nicht unterdrücken. Finley rannte auf ihn zu und leckte ihm ein paarmal über das Gesicht, bevor er sich neben ihm ins Gras fallen ließ. Tanner hingegen begrüßte ihn ein wenig würdevoller... und stupste seine Nase stattdessen mit der Pfote an.
Miles schnaufte. Das – seine Freunde – hatte er gebraucht. Doch er realisierte, dass sie mehr als das geworden waren. Sie waren eher seine Familie als Freunde. Sicher, er war Teil des Rudels, und im weitesten Sinne war das Rudel so etwas wie eine Familie. Doch Tanner, Finley, Jamie und Chad waren sehr viel mehr als Freunde oder das Rudel für ihn geworden.
Für eine Weile lagen sie ruhig beieinander. Dann sprang Finley auf und zupfte an seinem Ohr. Miles schüttelte ihn ab, stand jedoch auf und schubste ihn im Gegenzug um. Finley schnaubte und Tanner mischte mit, indem er an Finleys Nacken knabberte. Sie spielten eine Zeit lang, wobei Miles sich leichtherziger fühlte, als dies eine Weile lang der Fall gewesen war.
Schließlich verwandelte Finley sich, damit er sprechen konnte. »Wollen wir zu uns gehen? Einen Kaffee trinken und so?«
Tanner nickte und die anderen drei bellten zustimmend, daher verwandelte Finley sich zurück. Zu fünft rannten sie durch den Wald zurück, schreckten Hasen und Eichhörnchen auf und tobten durch den Bach hinter Tanners und Finleys Haus, bevor sie in den Hauswirtschaftsraum gingen. Finley reichte ihnen Handtücher, während Tanner eine Sweathose schnappte und sie Miles gab. Chad und Jamie gingen in das Zimmer, das sie derzeit nutzten, und Finley und Tanner zogen sich die Kleidung an, die sie im Hauswirtschaftsraum zurückgelassen hatten. Anschließend gingen sie ins Esszimmer vor, in dem ein großer Tisch stand.
Miles liebte ihr Haus. Es vermittelte ein rustikales Ambiente, ohne auf den Komfort oder die Technologie zu verzichten, die die beiden liebten. Über dem Kamin aus Flusssteinen hing ein riesiger LCD-Fernseher. Die Küche war vielleicht aus poliertem Palisanderholz mit Kupferbeschlägen gefertigt, doch das komplettierte die Edelstahlgeräte lediglich, mit denen es sich einfacher kochen ließ.
Er fragte sich, was für eine Art Haus Quincy und er bauen würden. Er konnte sich vielleicht etwas mit japanischem Einfluss in der Nähe eines Bachs vorstellen. Sie könnten sich auch einen kleinen Teich und einen eigenen Flusslauf anlegen, wenn sie keinen finden würden, an dem sie bauen könnten. Er stellte sich ein gedecktes Dach und Türen im Shoji-Stil vor. Innerlich lächelte er, als er sich Quincys Gesicht vorstellte, wenn er ihm den Vorschlag unterbreiten würde, und beschloss sogleich, es zu tun.
»Also, was bringt dich heute Abend hier raus?«, fragte Finley, während er Kaffeetassen zum Tisch trug. Tanner und er setzten sich auf Stühle auf der einen Seite und Miles setzte sich ihnen gegenüber.
Bevor er jedoch antworten konnte, kamen Chad und Jamie zu ihnen. »Ich vermute, dass es etwas mit seinem Gefährten zu tun hat.«
Überrascht sah Finley ihn an und Tanner grinste. »Gefährte?« Finley schüttelte den Kopf. »Wann hast du einen Gefährten gefunden? Und warum erfahre ich erst jetzt davon?« Er sah Jamie mit zusammengekniffenen Augen an, der den Kopf einzog.
»Ich hab versprochen, dass ich nichts sagen würde. Es gibt einen guten Grund dafür«, sagte er und hob abwehrend die Hand.
Chad küsste Jamies Wange. »Den gibt es wirklich.«
Die Erklärung schien Finley etwas zu besänftigen, auch wenn er noch immer die Stirn runzelte. »Kannst du es mir jetzt erzählen?«
Miles seufzte, nickte aber. »Ja, also... Mein Gefährte... ist der Jaguar, den du mal bei Chad getroffen hast.«
Finleys Augen wurden riesig. »Dein Gefährte ist eine Katze?«
Tanner, Chad und Jamie lachten und Miles nickte, während er selbst etwas zerknirscht lächelte. »Ja. Weißt du, ob Mann oder Frau war mir egal, aber nein. Diana muss echt Sinn für Humor haben.«
Finley schnaubte. »So kann man das auch sehen.«
Miles grinste. »Aber... ich bin nicht unglücklich mit ihrer Wahl. Ich bin nur nicht glücklich darüber, was gerade passiert.«
»Was passiert denn gerade?«, fragte Tanner.
Miles sah zu Chad und Jamie hinüber und seufzte. »Ich weiß nicht alles, aber...«
Es brauchte zwei Tassen Kaffee und eine gefühlte Ewigkeit, um alles zu erzählen, was in den letzten Tagen und den zwei Monaten, in denen sie getrennt gewesen waren, passiert war. Chad regte sich tierisch über die Auseinandersetzung und den damit verbundenen Krankenhausaufenthalt auf und Jamie wollte Diedeldei, Dumm und Dümmer auf der Stelle ausfindig machen. Miles machte sich in Gedanken die Notiz, Quincy davon zu erzählen.
»Ich meine, wir wussten, dass er im Krankenhaus war, aber wir wussten nicht, dass es so schlimm war«, meinte Chad kopfschüttelnd. »Um Dianas willen, was denkt sich sein Vater dabei?«
Miles schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich wüsste es. Ich meine... ich bin immer noch sprachlos darüber, wie man so etwas jemandem antun kann, weißt du? Aber... deinem eigenen Kind? Ich finde nur...«
»Warte, er war aber nicht dabei, oder?«, fragte Finley.
»Oh nein, es waren nur die drei Schlägertypen«, erwiderte Miles. »Aber... es geschah in seinem Auftrag. Das ist genauso schlimm und vielleicht noch schlimmer. Er hat sich nicht mal die Mühe gemacht und ist persönlich aufgetaucht.«
Tanner runzelte die Stirn. »Ja. Ich weiß nicht... Ich bin mir nicht sicher, ob ich so einen guten Eindruck von der Welt der Jaguare habe, nach alldem, was ich über sie weiß.«
»Ich auch nicht, aber es sieht so aus, als wäre ich darin involviert, ob es mir nun gefällt oder nicht«, sagte Miles.
»Hey, äh, du bist aber vorsichtig, ja?«, bat Jamie.
Miles lächelte. »Sie wissen nicht einmal von mir. Und der einzige Grund, warum Quincy denkt, dass wir noch nicht zusammen sein sollten, ist seine Angst, dass ich… zum Ziel werde, wenn sie es rausfinden.«
Chad zog die Nase kraus. »Und damit hat er recht. Vielleicht solltest du für eine Weile hierbleiben. Ich würde mit dir in die Stadt kommen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich schon mit dem Lärm und Gestank klarkomme.«
»Oh verdammt, ich bin so mit Quincy beschäftigt. Wie geht es dir?«
»Er scheint noch immer nicht damit aufhören zu können, Stinktiere zu jagen«, sagte Jamie mit einem frechen Grinsen.
Chad verdrehte die Augen. »Diese verdammte Schwarz-Weiß-Sicht verwirrt mich. Sie sehen halt einfach wie große Eichhörnchen aus.«
»Hast noch nicht gelernt, deinen anderen Sinnen genauso zu vertrauen, hm?«
Chad errötete. »Daran arbeite ich noch, aber ja.«
Miles grinste. »Das schaffst du schon. Wurdest du vom Stinktier besprüht?«
»Zweimal. Mann, das Zeug kriegt man aber auch nicht aus dem Fell. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist?« Chad hob den Blick und Miles musste ein Grinsen unterdrücken. »Es klebt auch in menschlicher Gestalt in meinen Haaren. Bäh!«
Miles verlor den Kampf gegen sein Grinsen und nicht nur das, er musste laut lachen. »Ja. Also, die meisten von uns lernen das als Welpen.«
»Ich vermute, dass ich immer noch wie ein Welpe bin, hm?«
»Ja, aber das ist okay. Wie fühlst du dich sonst? Fühlt sich alles noch okay an? Sollte ich dich untersuchen?«
Chad schüttelte den Kopf. »Nee. Mir geht's gut. Wir haben doch gerade andere Probleme, um die wir uns sorgen müssen.«
Miles seufzte. »Ihr dürft euch da nicht einmischen.«
Jamie runzelte die Stirn. »Warum nicht?«
»Aus politischen Gründen. Sie sind eine andere Spezies«, antwortete Tanner für ihn. »Wenn wir uns einmischen, könnten die Katzen das schnell als Kriegserklärung verstehen.«
»Die werden sie auch bekommen, wenn Quincy irgendetwas zustößt«, sagte Miles leise. Er starrte in seine Kaffeetasse. »Es bringt mich um. Ich kann ihn nicht markieren. Wir können nicht mal miteinander schlafen.«
Jamie legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie. »Es wird alles gut gehen. Da bin ich mir sicher.« Er sah zu Chad hinüber, dann zurück zu Miles. »Manchmal ist es einfach ein steiniger Weg, bis man am Ziel ankommt.«
»Wir haben alle einiges durchmachen müssen, bevor wir eine Lösung für unsere Probleme gefunden haben«, stimmte Finley zu. »Es wird besser.«
Miles nickte. »Das wird es. Es muss. Ich werde ihn nicht gehen lassen.«