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Sie sollen uns nur kommen!

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uf dem schlossplatz vor dem Kaiserlichen schloss in Berlin stand dicht gedrängt eine vieltausendköpfige Menge.

Ein dumpfes Brausen und Summen ging durch die Masse, hervorgerufen durch das halblaute Fragen und Antworten und das allgemeine Sprechen.

Die Tausende von Augen derer, die dort unten harrten, waren auf das Portal des Schlosses und die Fenster gerichtet.

Ab und zu öffnete sich das schwere eiserne Gitter und Offiziere verschiedener Waffengattungen und Ranggrade gingen hinein oder kamen heraus.

Jedesmal, wenn das Tor sich öffnete, ging eine lebhafte Bewegung durch die versammelte Menschenmenge. Alle reckten sich auf den Zehen empor und streckten die Köpfe vor, um zu sehen, wer dort ging.

Waren es bekannte Persönlichkeiten, so flog der Name des Betreffenden halblaut von Mund zu Mund und die weiter Zurückstehenden drängten nach vorne, um ebenfalls etwas sehen zu können.

Denen stemmten sich die dem Schlosse zunächst Stehenden mit Macht entgegen, da eine Schutzmannskette in weitem Bogen den Platz gegen das schloss hin absperrte, unaufhörlich bemüht, den Raum frei zu halten und die andrängende Menge zum Zurückgehen zu bewegen.

Über dem schlossplatz, den Linden, dem Opernplatz und allen angrenzenden Straßen lag drückende Hitze eines heißen Sommervormittages, aber trotz der sengenden Glut hielt die versammelte Menschenmasse geduldig aus und keiner wich von dem einmal eroberten Platz.

Auch der Unbeteiligte konnte es gewissermaßen greifbar fühlen, dass über der ungeheuren Menschenmenge eine atemlose, gewaltige Spannung schwebte.

Trotz, des summenden Geräusches lag es wie drückendes Schweigen und dumpfes Drohen in der Luft.

„Ob es nun wirklich losgeht?“ fragte ab und zu einer der Wartenden in die Menge hinein, als ob er hoffte, dort irgend einen besser Orientierten zu finden, der ihm auf die Frage Auskunft geben könnte, aber Achselzucken und höchstens hier und dort ein halblautes „Man weiß ja auch nicht!“, oder „Wer kann’s wissen!“ war alles, was der Fragende zu hören bekam.

Seit Wochen schon lagerte über dem ganzen deutschen Volk ein dumpfer Druck, wie jetzt über der schweigenden Menge vor dem schloss.

Die Nachrichten über ernste Verwickelungen mit einer starken, fremden Großmacht hatten immer bedrohlicher gelautet, sodass nachgerade eigentlich niemand im deutschen Volk sich der Überzeugung entziehen konnte, dass nur noch ein Krieg die schwebenden Fragen zu lösen vermochte. Im Reichstag hatten die Sozialdemokraten durch Bebel eine Interpellation an den Reichskanzler eingebracht, die im Namen des gesamten deutschen Volkes für den Reichstag eine Aufklärung über die Lage der auswärtigen Politik forderte.


Die Menschenmenge auf dem schlossplatz vor dem Kaiserlichen schloss in Berlin.

„Wenn ich früher hier vor dein Hohen Hause ausgesprochen habe, dass ich bereit wäre, im Falle eines Krieges, bei dem es sich um die Ehre Deutschlands handelt, als erster der Arbeiterpartei die Flinte auf den Rücken zu nehmen und mit ins Feld zu ziehen, so muss ich demgegenüber heute erklären, dass nach allem, was wir bedrohliches haben erfahren können, es sich im Falle eines Krieges jetzt keineswegs um Deutschlands Ehre, sondern um die Interessen einer starken kapitalistischen Partei handelt, die für ihre Gelder und Besitzungen im Auslande fürchtet und durch ihr Angstgewinsel und Notgeschrei die Regierung dazu gebracht hat, einen Weg einzuschlagen, auf dem wir ihr nicht folgen werden, dessen Endziel nicht unser Ziel sein kann und für dessen Weiterverfolgung wir der Regierung alle Schuld in die Schuhe schieben werden, wenn nutzlos, zwecklos und sinnlos tausende deutscher Arbeiter hingemordet werden!“ rief Bebel.

Bei diesen Worten hatte sich im Reichstag ein ungeheurer Tumult erhoben.

Laute Pfuirufe, die Worte „Schämen sie sich!“, „Hinaus mit dem Kerl!“ und ähnliche waren von den empörten Volksvertretern der Rechten, des Zentrums und anderen Parteien dem sozialdemokratischen Redner entgegengeschleudert worden und selbst bis weit in die linke Seite des Hauses hatte sich der Entrüstungssturm fortgepflanzt.

Vergebens schwang der Präsident seine Glocke und suchte dem tosenden Lärm Einhalt zu gebieten.

Vergebens fuchtelte der Abgeordnete Bebel mit den Armen in der Luft umher und bemühte sich, mit seiner bis zum kreischenden Schreien erhobenen Stimme, das Getöse zu durchdringen und sich wieder Gehör zu verschaffen.

Minutenlang dauerte dieser orkanartige Ausbruch der Entrüstung, der auf den Tribünen einen jauchzenden Widerhall fand.

Endlich vermochte der Präsident, durch unausgesetztes Schwingen der Glocke die Ruhe einigermaßen wieder herzustellen.

Das wäre ihm aber kaum gelungen, wenn nicht der Eintritt des Reichskanzlers die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte.

Mit raschen, energischen Schritten begab sich der Fürst an den Ministertisch und erklärte sich nach kurzer Besprechung mit dem Präsidenten des Reichstages zu sofortiger Beantwortung der Interpellation bereit.

In kurzen knappen Worten, die im Gegensatz zu der sonstigen gewohnten, eleganten Redeweise des Reichskanzlers schwer und wucht1g von seinen Lippen fielen, gab der Fürst Auskunft über die auswärtige Lage. Er betonte dabei, dass Deutschland, an seiner Spitze der Kaiser, den seit 40 Jahren gewahrten Frieden auch fernerhin hätte bewahren wollen, wie aber die Vorgänge der letzten Wochen es der deutschen Politik mehr und mehr klar gemacht hätte, dass trotz aller Bemühungen und Warnungen seitens der deutschen Diplomatie die Stimmung des Auslandes, besonders aber der Nachbarn, sich derartig verschärft habe, dass ein Krieg fast unausweichlich erscheine.

„In Sonderheit sind an seine Majestät den Kaiser als obersten Vertreter des deutschen Volkes Forderungen gestellt worden, die nicht nur als eine Ungehörigkeit gegen den Monarchen, sondern fast direkt als eine infame Zumutung an das deutsche Volk aufgefasst werden mussten.

Durch unseren Vertreter im Auslande haben wir sofort und energisch um genaue Interpretation der uns zugegangenen Note ersucht und darauf die Antwort erhalten, dass eine andere Auslegung nicht gegeben werden könne.

Meine Herren, das was von uns gefordert wurde, war, um es Ihnen mit wenigen Worten kurz und bündig auszusprechen, ein Verzichten Deutschlands auf jegliche politische und wirtschaftliche Mitarbeit in sämtlichen Ländern des Mittelmeeres, sowie unbedingtes Aufgeben unserer Stellung zum Dreibund.

Die Kompensationen, welche uns dagegen geboten wurden, sollten bestehen in einem aus Jahrhunderte hinaus gesicherten Bestande unseres Besitztums, d. h. unserer Küsten an der Nord- und Ostsee nebst allen Anlagen, sowohl kaufmännischer wie kriegstechnischer Art, die wir dort geschaffen, und die Garantie des ruhigen Weiterbesitzes der von uns erworbenen Kolonien!“

Der Reichskanzler musste hier innehalten, denn von neuem durchbrauste ein tosender Sturm den Sitzungssaal.

Einzelne Worte oder Zurufe waren in dem ungeheuren Lärm nicht mehr zu unterscheiden oder zu verstehen, aber aus den drohend emporgereckten Fäusten, den zornsprühenden Augen und den von Scham entflammten Gesichtern der Abgeordneten war der Grad nationaler Empörung, die sich hier Luft machte, deutlich zu erkennen.

Erst das unausgesetztes Klingeln der Präsidentenglocke und das wiederholte Heben der Hand seitens des Reichskanzlers, als Zeichen, dass er weiter reden wolle, vermochte allmählich den Sturm zu dämpfen.

„Meine Herren“, fuhr der Fürst fort, „die spontane Erregung, die sich aus allen Seiten des Hoheit Hauses, ich betone ausdrücklich, auf allen Seiten des Hohen Hauses bemerkbar gemacht hat. hat mir den Beweis geliefert, dass in diesem Hohen Hause sich kein Volksvertreter des deutschen Volkes befindet, der einer so schamlosen Insinuation, wie sie an uns gerichtet worden ist, zustimmen wird. Als Vertreter der auswärtigen Politik fühle ich mich daher berechtigt, hier vor den Vertretern des gesamten deutschen Volkes und der gesamten Welt zu erklären, dass wir auf diese Zumutung die entsprechende Antwort zu geben wissen werden.“

(Laute Zwischenrufe von allen Seiten: „Sie sollen uns nur kommen!“)

„Über die weiteren Schritte und Maßnahmen werde ich dem Hohen Hause Bericht erstatten, sobald die Ereignisse es für notwendig erachten lassen.“

„Wir verlangen jeden Tag genaueste Auskunft!“, schrie der Abgeordnete Bebel, „und, ich wiederhole es hiermit, wir weigern uns einen Krieg mitzumachen, der nur das Hinmorden vieler tausender deutscher Arbeiter bedeuten würde, die sich friedlich ihr Brot in der Heimat verdienen wollen. Im Mittelmeer — —“

„müssten Sie ersäuft werden!“ klang es schmetternd von der rechten Seite dem Redner entgegen, was von verschiedensten Zurufen, wie „Bravo!“ und „Jawohl!“ begleitet wurde.

„Im Mittelmeer haben wir nichts zu suchen!“ kreischte der Abgeordnete Bebel weiter, „und darum erkläre ich namens der Arbeiterpartei Deutschlands, diejenigen, die für unsere sogenannten Interessen dort unten einen Krieg heraufbeschwören für Mörder.“

Was daraufhin erfolgte, lässt sich mit Worten nicht schildern. Der entstehende Lärm war ein so gewaltiger, ungeheurer, ohrenbetäubender, dass er wie ein Orkan das Haus durchbrauste und sich im Nu fortpflanzte bis auf die Straße.

Der Reichskanzler hielt es nicht für erforderlich auf diesen maßlosen Ausbruch des sozialdemokratischen Führers persönlich etwas zu erwidern, sondern überließ es der großen Menge der Abgeordneten selbst, ein Urteil über diese Beschimpfung zu finden.

Der Präsident des Reichstages rief den Abgeordneten Bebel nachträglich zur Ordnung!

Das war vor wenigen Tagen gewesen und wie ein Stein, ins Wasser geworfen, Wellen verursacht, die sich ringsum weithin ausdehnen und die bisher glatte Oberfläche kräuseln, so war es auch hier. Aus dem Reichstagsgebände wurde nicht nur die Rede des Reichskanzlers im Nu bekannt gegeben, sondern auch der traurige Mut des sozialdemokratischen Führers, mit welchem er dem gesamten deutschen Volk, das schließlich doch letzten Endes für seine nationale Ehre selber einzutreten hat und eintritt, unter Beilegung einer entehrenden, beschimpfenden Bezeichnung feiges Zurückweichen aus wohl erworbener Position vor anmaßender Drohung eines feindlich gesonnenen Mitbewerbers zumutete.

Ein Schrei der Empörung ging durch das deutsche Land und von Millionen wurde das Wort wiederholt: „Sie sollen uns nur kommen!“

Und heute standen nun die Tausende und Abertausende dicht gedrängt in gespanntester Erwartung vor dem Kaiserlichen schloss, in welchem die letzte Entscheidung über Krieg oder Frieden fallen sollte.

Genaues war natürlich niemandem bekannt. Nur aus den Zeitungen hatte jeder entnommen, dass in den letzten Tagen ein riesiger Depeschenverkehr nach dem Auslande hin und von dorther zurück stattgefunden hatte; dass in allen Garnisonen sich die lebhafteste Erregung bemerkbar machte und dass unzweifelhaft zum Kriege gerüstet würde, wo etwa noch irgend etwas an der letzten Ausrüstung dazu fehlte.

Die Zeitungen selbst hatten freilich dazu immer noch beruhigende Kommentare losgelassen und ihren Lesern versichert, dass noch immer eine Zurückziehung jener ungeheuerlichen Zumutungen möglich sei und dass ein Krieg, wenn er auch nahe bevorstehend scheine, hoffentlich doch noch zu vermeiden sein würde.

In wütenden Ausfällen hatten dagegen die gesamte rote Presse, an ihrer Spitze der „Vorwärts“, gegen eine Mobilmachung und Kriegserklärung losgewettert und einstimmig erklärt, der deutsche Arbeiter würde dem Ruf seiner Fürsten im Kriegsfalle die Gefolgschaft versagen.

„An dem ganzen Gebahren und Getue der leider Gottes immer noch herrschenden Klassen, die sich zu Unrecht die Gebildeten nennen, kann man so recht ersehen“, schrieb der „Vorwärts“, „dass die ganze Bildung nur ein leichter Firniß ist, der bei dem geringsten Hauch vergeht. Ein wahrhaft gebildeter, frei und vornehm denkender Mann lässt sich durch die pöbelhaften Anrempelungen und Zumutungen eines neidigen Konkurrenten nicht verleiten, sich mit jenem in einen Faustkampf einzulassen, zumal nicht, wenn es sich um Dinge handelt, die für ersteren schließlich doch nur von geringem Interesse und Wert sind. So liegt auch hier der Fall, oder vielmehr er sollte so liegen, denn tausendmal mehr als wir in einem solchen Faustkampf gewinnen können, wird verloren gehen, und was schließlich die vielgerühmte nationale Ehre anbetrifft, so ist es wahrhaftig schwer einzusehen, ob dieselbe tatsächlich dadurch gewahrt wird, dass wir ein paar Tausend oder Zehntausend sogenannter Feinde erschießen, also ermorden und einige Tausend von Deutschen, die sich zu solchem Mörderhandwerk hergegeben haben, ebenfalls umgebracht werden, oder ob sie nicht viel besser dadurch gewahrt bleibt, dass wir die an uns gestellten Zumutungen vornehm übersehen. Auf jeden Fall wird derjenige sich einer wahreren und echteren Bildung rühmen können, der einen neuen Krieg verabscheut und seine Teilnahme daran verweigert, als jener, der die Flinte auf den Rücken nimmt und gegen harmlose Menschen zu Felde zieht, um sie über den Haufen zu schießen.

Wenn es nach Recht und Gesetz ginge, so müssten alle jene, die zum Kriege drängen, und während desselben die Anführer spielen, wegen Verleitung zum Morde dem Staatsanwalt verfallen.“

Auffallenderweise und noch vielmehr erfreulicherweise wurden dagegen in riesigen Arbeiterversammlungen, die von den sozialdemokratischen Führern einberufen waren, die Resolutionen, in welchen gegen den Krieg Stellung genommen und derselbe auf das Heftigste verabscheut und verdammt wurde, fast überall verworfen; zwar wurde dem Abscheu gegen einen Krieg zugestimmt, aber mit überwältigender Mehrheit aus der Mitte heraus eine energische Zurückweisung aller Zumutungen, die des deutschen Volkes Ehre antasteten, gefordert und der Wille kundgegeben, sich derartige Zumutungen nicht gefallen zu lassen.

Stundenlang harrte nun heute schon die Volksmenge der Hauptstadt untätig vor dem schloss. Plötzlich ging es wie ein Ruck durch die gewaltige Masse! „Der Kriegsminister!“ hieß es und mit Windeseile pflanzte sich der Ruf von Mund zu Mund fort.

Ein gewaltiges Drangen der rückwärts Stehenden nach vorne zu erfolgte und im Nu war die Schutzmannskette über den Haufen gerannt.

Vergebens bemühten sich die Schutzleute mit ausgebreiteten Armen und durch Zurufe „Zurück! zurück!“ „Nicht drängen! Zurückgehen!“ die Masse aufzuhalten.

Im Nu war der Wagen des Kriegsministers umringt und von hunderten, nein von Tausenden von Stimmen erscholl es: „Wie steht’s? Gibt’s Krieg? Wird der Krieg erklärt? Wann geht’s los?“ dazwischen vereinzeltes „Hurra!“, das von anderen aufgenommen wurde, und schließlich brauste ein einziger, vieltausendstimmiger Hurraruf über den weiten Platz.

„Stille doch!“ „Ruhig!“ „Ruhig da hinten! Er will reden!“ beschwichtigten dann die dem Wagen zunächst Stehenden, die übrigen, und nach wenigen Sekunden herrschte fast lautlose Stille auf dem Platz, nur das Drängen nahm noch zu und fast einen beängstigenden Charakter an, denn jeder wollte natürlich die Worte des Kriegsminister mit eigenen Ohren hören.

„Meine Herren“, begann der Kriegsminister, der sich im offenen Wagen aufgestellt hatte, mit lauter, weithin schallender Stimme, „ich kann Ihnen nur sagen, die Lage ist ernst, sehr ernst; aber noch nicht verzweifelt. Ich ersuche Sie, die Ruhe zu bewahren, denn was von unserer Seite geschehen kann, um den Krieg zu vermeiden, wird geschehen, aber“ — — — eine sekundenlauge Pause — — — „sollte der Krieg zur Tatsache werden, dann wollen wir ihn mutig aufnehmen! Zu fürchten brauchen wir uns nicht!“

Damit setzte sieh der Kriegsminister, nachdem er noch durch Winken mit der Hand für das jauchzende Hurra, das seinen letzten Worten Antwort gab, nach allen Seiten hin gedankt hatte und fuhr, so rasch der Wagen die Menge durchdringen konnte, davon.

Hinter dem Wagen schloss und staute sich die Menschenmasse sofort von neuem zu einer fast undurchdringlichen Mauer und wartete geduldig der weiteren Entwickelung.

Nach dem Kriegsminister verließen der Staatssekretär des Reichsmarineamts, der Staatssekretär des Auswärtigen Amts und verschiedene andere Minister, sowie einzelne Mitglieder der Bevollmächtigten zum Bundesrat das schloss. Der Name jedes einzelnen wurde von den dem Portal zunächst Stehenden laut ausgerufen und pflanzte sich blitzschnell über den Platz fort; aber kein Hurra ertönte mehr, sondern in tiefem, ernsten Schweigen ließ riesige angesammelte Volksmasse die Wagen passieren, nur bemüht aus dem Gesichtsausdruck der Insassen einen schluss auf das Vorgefallene oder etwaige neuere Nachrichten zu ziehen. Fast ohne Unterbrechung waren nämlich inzwischen Depeschenboten wie in fortlaufendem Strom durch das Portal hineingezogen, wo ihnen die Formulare sofort abgenommen wurden. Auch dem Uneingeweihtesten musste es klar sein, dass hinter den grauen Mauern mit den blitzenden Fenstern etwas ganz außergewöhnliches vor sich ging.

Schließlich erschien die allen Berlinern wohlbekannte Equipage des Reichskanzlers und hier drängte wieder die Masse gewaltig heran, um aus dem Munde des berufenen Vertreters der auswärtigen Politik die sicherste Nachricht über die Entscheidung, ob Krieg, ob Frieden, zu erfahren. Und wieder ertönten die Zurufe: „Wie steht’s?“ „Gibt’s Krieg?“ „Wann gehts los?“.

Auch der Reichskanzler erhob sich im Wagen und deutete an, dass er zu reden wünsche.

Totenstille herrschte darauf und der Fürst sprach: „Meine Herren! Noch ist nichts entschieden! Wir haben auf die an uns gestellten Forderungen geantwortet, wie es der Würde, der Macht und der Ehre das deutschen Volkes entspricht!“

Lautes Bravo unterbrach seine Worte, dann fuhr der Fürst fort: „Ein an uns gerichtetes Ultimatum haben wir abgelehnt und eine neue Entscheidung verlangt. Die Antwort können wir erst in etwa 6 Stunden erwarten. Bis dahin bitte ich sich zu gedulden.


S. M. Linienschiff „Schlesien.“

Erbaut von F. Schichau, Elbing-Danzig 18,0 Knoten Geschwindigkeit,

735 Mann Besatzung, 17,000 Pferdekräfte. 1908 in Dienst gestellt.


Fällt die Entscheidung anders aus, als wir hoffen und erwarten und auf jeden Fall verlangen müssen, dann, meine Herren, müssen wir auf Schweres gefasst sein, aber die Versicherung kann ich Ihnen geben, man wird uns gerüstet finden.“

Auch diese Worte lösten wieder einen Beifallssturm aus und von Hoch- und Hurrarufen begleitet, fuhr der Fürst dem Reichskanzlerpalais zu.

Hatten die Worte des Kriegsministers sowohl wie des Reichskanzlers bei dem oder jenem vielleicht noch einen leisen Schimmer von Hoffnung aufleuchten lassen, dass der Krieg doch noch vermieden werden könne, so war doch weitaus die Mehrzahl fest davon überzeugt, dass die Entscheidung nur durch das Schwert fallen konnte und der Krieg unabwendbar sei.

An Nachhausegehen dachte keiner, sondern nach wie vor blieb der ganze mächtige Raum rings um das schloss herum besetzt von einer gewaltigen Volksmasse, die in stumpfem Schweigen Minute um Minute vorübergehen ließ, wartend und harrend, bis der endgültige Entscheid über Krieg und Frieden gefallen sei.

Wie das Meer vor einem Sturm unruhig wogend sich bewegt, doch ohne das ein Laut vernehmbar wäre, außer einem geheimnisvollen, unergründlichen, zürnenden Grollen, das aus der Tiefe zu dringen scheint, gleichsam wie eine Mahnung und Warnung an den Gegner, die schlummernden Riesenkräfte dort unten nicht zu wecken, so ging ein unruhiges und doch stummes Wogen auch durch das ganze deutsche Volk.

Auch hier war durch das Schweigen hindurch das dumpfe Grollen vernehmbar, das den Gegner hätte warnen müssen, wenn er nicht, verblendet und in törichtem Vertrauen auf fremde zugesagte Hilfe, jeglicher Überlegung bar geworden wäre und mit der Friedensliebe Deutschlands ein frevles Spiel treiben zu dürfen geglaubt hätte.

Die übrigen Nationen aber ringsum lauschten mit Besorgnis dem Unheil verkündenden Grollen, das über die deutsche Grenze zu ihnen herüberklang. Sie wussten, dass eine Nation von 60 Millionen nicht ungestraft bis zum Äußersten gereizt wird, und dass Deutschland für die vielen Nadelstiche, die es bisher geduldig ertragen hatte, wenn es erst das Schwert zog, dem Gegner eine furchtbare Wunde schlagen würde, die ihn bis ins Mark treffen und ihm den Lebensnerv durchschneiden musste.

Seit langem war ja das deutsche Volk mehr und mehr zu der unabweisbaren Notwendigkeit hingedrängt worden, seine ganze Wehrkraft so zu gestalten, dass es einen Kampf selbst gegen einen Ring von Feinden ruhig aufnehmen konnte, in der festen Überzeugung, für alles das, was ihm von einer Seite an Schaden zugefügt wurde, sich an anderer Stelle schadlos halten zu können.

Wenn auch bei diesem oder jenem wohl eine vage Hoffnung vorhanden sein mochte, dass auch die deutsche Rüstung ihre Mängel haben würde, so glänzend und stark sie auch erschien, so war die eigenste innerliche Überzeugung aller doch die, dass ein einzelner Gegner niemals einem deutschen Anprall auf die Dauer standhalten oder widerstehen könnte, und dass selbst die Jahrzehnte lange Friedenszeit die Tüchtigkeit des deutschen Soldaten nicht in dem Maße hatte schwächen können, um über ihn einen leichten Sieg und Triumph zu erringen.

Nur gerade bei der Nation, um die es sich handelte, schien man allen vernünftigen Erwägungen gegenüber blind und taub zu sein, obwohl die eigene Schwäche, die nicht nur Eingeweihten bekannt war und sie heimlich erbeben ließ, wenn sie an das, was die nächsten Stunden, Wochen und Monate fast unwiderruflich bringen mussten, dachten, zu äußerster Vorsicht hätte raten müssen.

Jedoch das Vertrauen auf fremde Hilfe und die Hoffnung, im Verein mit den sogenannten Verbündeten endlich dem verhassten Gegner eine schwere Niederlage beibringen und den eigenen Rachedurst löschen zu können, ließ fast die gesamte Masse des Volkes blindlings und ohne der besseren Stimme Gehör zu geben, den Ruf nach Rache und Krieg anstimmen.

Nur einige wenige Besonnene gab es, die das zukünftige Schicksal voraussahen und mit aller Macht ihre warnenden Rufe ertönen ließen.

Den Führern selbst, die die furchtbare Erregung und Bewegung des Volkes heraufbeschworen hatten, wurde bei der kühl ablehnenden und festen Haltung der deutschen Regierung, die ohne Zögern bereit schien, den Fehdehandschuh aufzunehmen, fast ängstlich zu Mute. Aber an ein Dämpfen der erregten Volksstimmung war jetzt nicht mehr zu denken, und trotz aller ihrer Machtbefugnisse vollkommen ohnmächtig, mussten sie sich jetzt von dem Strom, den sie entfesselt hatten, willenlos treiben lassen.

In der Senatssitzung kam es zu einer hochdramatischen Szene, als die Antwort Deutschlands auf das gestellte Ultimatum eintraf, aus der ersichtlich war, dass die deutsche Regierung, an ihrer Spitze der Kaiser, einerseits dem Krieg vollkommen widerwillig gegenüberstand, andererseits aber auch nicht gewillt war, die Anmaßungen und Zumutungen, die an sie gestellt worden waren, sich gefallen zu lassen.

„Ich beschwöre die Regierung“, rief ein Abgeordneter, „den letzten Augenblick nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen. Noch steht es in unserer Macht, unsere Forderungen zu ermäßigen und mit Deutschland auf einer billigeren Basis ein Abkommen zu treffen, das uns völlige Freiheit und Ungebundenheit der Aktion sichert, die deutsche Konkurrenz fast völlig ausschaltet, sowohl in diplomatischer, wie in handelspolitscher Beziehung und uns vor dem Vorwurf bewahrt, leichtfertig einen Krieg heraufbeschworen zu haben, den wir aus eigener Macht und mit eigenen Kräften nicht durchkämpfen können. Wir haben nicht nur keine Aussicht auf den Sieg, gegen den an Zahl und Ausrüstung, vor allen Dingen aber auch an Ausbildung uns weit überlegenen Gegner, sondern im Gegenteil die fast absolute Gewissheit einer vollkommenen Niederlage!

„Ich warne die Regierung, denn ich spreche aus meinem Herzen heraus, dem Herzen des wärmsten Patrioten, der in unseren Grenzen zu finden ist, und ich hoffe, dass sie meiner Warnung Gehör gibt!

Wir werden in einem Kriege selbst den letzten Glanz und Ruhm unserer •einst in der ganzen Welt gefürchteten und berühmten Armee verlieren. Von den Fahnen und Abzeichen, die wir ins Feld führen, werden wenige in unsere Mauern zurückgebracht werden und auch diese wenigen nicht nach siegreichem Kampf, stolz und erhaben im Winde flatternd und von neuen Siegen, neuen Ruhmestaten erzählend, sondern auf schmählicher Flucht nach trauriger Niederlage mühsam gerettet von den Trümmern unserer vernichteten, einst so glorreichen Armee!

Noch. einmal beschwöre ich Sie, ergreifen Sie die Friedenshand, die uns zum letzten Mal entgegengestreckt wird und trauen Sie nicht den Versprechungen unserer Freunde, die uns, das sehe ich ahnenden Geistes voraus und spreche es als meine heiligste Überzeugung hier aus, im Falle der Not schmählich im Stich lassen werden!

Ergreifen Sie jene Hand! Erkennen Sie die furchtbare Gefahr, der wir entgegengehen! Retten Sie das Vaterland vor Niederlage, Schmach und Verderben!“

Die zitternden Hände emporgestreckt, mit Tränen auf den Wangen hatte der Abgeordnete seine Worte vorgebracht! Wie eine Mähne umwallte das lange graue Haar den mächtigen Kopf, und die schier hühnenhafte Gestalt des Redners und Warners war anzusehen, wie die eines der alten Propheten, die das Unheil, das ihrem Volke drohte, voraussahen, und ihre mahnende Stimme erhoben, um zur Umkehr und Einkehr zu raten.

Für die Dauer einer Sekunde lastete nach den Worten des Abgeordneten ein lautloses, fast beängstigendes Schweigen über der ganzen Versammlung. Dann aber brach mit elementarer Gewalt ein furchtbarer Sturm los.


S. M. Linienschiff „Breslau“.

Von allen Seiten stürmten die Abgeordneten auf das Rednerpult zu, umringten den Sprecher mit drohend emporgehobenen Fäusten; die Augen blitzten, die Wangen brannten und zahllose Schimpf- und Schmähworte flogen dem unerbetenen und unerwünschten Warner entgegen.

„Schuft!“, „Verräter!“, „Hinaus mit ihm an die Laterne!“, und ähnliche Zurufe gellten ihm in die Ohren, und vergebens bemühten sich einige Besonnene ihn aus dem wildtosenden Schwarm zu entfernen.

Doch stolz und ruhig, die Scheltenden und Schreienden kaum eines Blickes, geschweige eines Wortes würdigend, stand der kühne Mann, der es gewagt hatte, der allgemeinen Stimmung, dem Volkswillen, wie die meisten sich ausdrückten, entgegenzutreten, auf seinem Posten. Endlich nach minutenlangem Toben legte sich der wilde Sturm und der Präsident konnte des Wort ergreifen.

„Die hier vorgebrachten und ausgesprochenen Besorgnisse und Befürchtungen, dass wir in dem bevorstehenden Kampfe möglicherweise allein stehen könnten, vermag die Regierung nicht zu teilen. Wir haben mit den in Betracht kommenden Mächten den Fall, wie er augenblicklich liegt, auf das eingehendste beraten und sind mit ihnen zu voller Übereinstimmung gelangt. Insbesondere aber haben wir die bündigsten schriftlichen Erklärungen erhalten, dass wir auf ausgiebige entsprechende Unterstützung sowohl zu Wasser, wie zu Lande rechnen dürfen, falls sich, wider Erwarten, unsere eigene Kraft als zu schwach herausstellen sollte. Zu ernstlichen Befürchtungen liegt daher kein Grund vor, wenngleich nicht verkannt werden soll, dass der Schritt, den Regierung und Volk — — —“

„Das von der Regierung und ihren Vertretern über seine Kraft getäuschte, verblendete Volk!“ warf die wie Donner grollende Stimme des Abgeordneten, der vorher seinen Warnerruf erhoben hatte, dazwischen, was aufs neue einen heftigen Tumult zur Folge hatte, sodass es dem Präsidenten erst nach längerer Zeit möglich wurde, fortzufahren.

„Ich erkenne den Patriotismus des Abgeordneten durchaus an“, sprach der Minister, „und weiß, dass er nach bestem Wissen und Gewissen bemüht ist, für das Schicksal unseres uns allen so teuren, heißgeliebten Vaterlandes einzutreten und zu arbeiten, aber, ich wiederhole es hier, zu ernster Besorgnis liegt für uns kein Grund vor, wenn wir uns auch keineswegs verhehlen, dass der Schritt, den wir zu tun gesonnen sind, ein außerordentlich schwerer und schwerwiegender ist.

Indessen lagen niemals die Verhältnisse günstiger, um die Wünsche, die seit Jahrzehnten in den Herzen unserer Mitbürger schlummern, die wohl hier und da erwacht und laut geworden sind, aber niemals in Erfüllung gehen konnten, mit verhältnismäßig leichter Mühe und ohne allzu schwere Opfer zu befriedigen. Es wird damit ein Objekt aus der Welt geschafft, das bisher dauernd ein Hindernis für den allgemeinen Frieden gewesen ist, und ich weise von vornherein den Vorwurf zurück, dass die Regierung leichtfertig und nur aus eitler Prahlsucht das Land in einen Krieg gestürzt habe, dessen Ende nicht abzusehen sei. Wir werden diesen Krieg, zu dem uns die Haltung des Gegners und seine ständige schroffe Ablehnung unserer berechtigten Forderungen zwingt, glorreich zu Ende führen und kommende Jahrhunderte werden den Beweis erbringen, dass es nicht Rachsucht, sondern im Gegenteil aufrichtige Friedensliebe gewesen ist, die uns das Schwert in die Hand gab.

Das Vaterland, dessen Wohl und Größe uns allen am Herzen liegt, ist es, das seine teuren Söhne zum Kampfe ruft, zu einem Kampf, den wir im Namen der Zivilisation, deren erste und berufenste Vertreter wir seit Jahrhunderten gewesen sind, mit dein unvergleichlichen Mut. der schon unsere Vorväter beseelte und sie ruhmvolle Waffentaten vollbringen ließ, wie sie ihresgleichens keine andere Nation der Erde aufzuweisen hat, aufnehmen und glorreich zu Ende führen werden.

Für die vielen Opfer, die das Volk, unser Volk, seit Jahrzehnten gebracht und, wenn auch knirschend, Trauer und Zorn im Herzen, getragen hat, ist es berechtigt, jetzt endlich entschädigt zu werden.

Das Volk fordert diese Entschädigung und das Volk ist es, das der von Friedensfurcht diktierten neuen Friedensbettelei des Feindes ein unerbittliches hartes „Nein“ entgegensetzt.

Im Namen des Volkes rufe ich Sie auf zur Abstimmung über die Antwort, die wir der deutschen Regierung erteilen wollen. Die von der Regierung entworfene, von allen Ministern gebilligte und gemeinsam unterzeichnete Note, die ich hiermit Ihrer Abstimmung unterbreitete lautet: Die Regierung, im Bewusstsein, das geeinigte Volk in seiner Willensmeinung hinter sich zu haben und sich auf diese stützen zu können, vermag einer Abänderung oder Ermäßigung der in der Note vom gestrigen Tage gestellten Forderung nicht zuzustimmen. Sie erklärt dieselbe vielmehr endgültig als das Minimum dessen, was von der deutschen Regierung gefordert werden muss und erwartet die uneingeschränkte, umgehende Annahme derselben. Andernfalls würde sich die Regierung zu ihrem lebhaftesten Bedauern in die Lage versetzt sehen, ihre Forderungen auf anderem Wege geltend machen zu müssen.

Die Verantwortung für die sich aus einer Ablehnung ergebenden Konsequenzen und alle weiteren Folgen eines derartigen Schrittes müsste die Regierung, die hiermit nochmals ausdrücklich ihre Friedensliebe zum Ausdruck bringt, der deutschen Politik zur Last legen, die es abgelehnt hat, unsere von Recht und Billigkeit getragenen Forderungen anzuerkennen.

Im Bewusstsein unserer stets betätigten und von niemanden bezweifelten Friedensliebe können wir das Urteil über die möglichen Folgen der Ablehnung unserer Wünsche getrost der ganzen Welt überlassen. Sie wird uns ein gerechter Richter sein!“

Ein ungeheurer Beifallssturm durchbrauste den Saal, als der Minister-Präsident geendet hatte und die nun folgende Abstimmung ergab eine überwältigende Majorität für die Regierung.

Nur einige Wenige enthielten sich der Abstimmung, indem sie vorher den Saal fluchtartig verließen, und nur ein Einziger wagt es, seine Stimme zu erheben und mit erhobener Faust dem Minister zuzudonnern: „Im Namen der Zivilisation stimme ich dagegen!“

Mit der Annahme der ablehnenden Regierungsnote war der Krieg eine vollendete Tatsache geworden und ein Zurück gab es nicht mehr, denn ebenso fest wie die Regierung auf ihren Forderungen beharrte, würde Deutschland dieselben ablehnen.

Verderbenschwanger nahm das Schicksal seinen Weg!

Das erste Opfer, das fiel, war jener Abgeordnete, der dem allgemeinen Votum entgegen zu sprechen gewagt hatte. Er wurde auf dem Nachhausewege von einer Schar wütender Nationalisten überfallen und unter dem Ruf: „Nieder mit dem Verräter!“ zu Boden geschlagen.

Ohne von seiner ungeheuren persönlichen Körperkraft. Gebrauch zu machen, ließ er sich von den Angreifern niederstrecken und hauchte nach kurzer Zeit unter den wüsten Fußtritten und Stockhieben, mit denen ihn die zur Wut entflammten Fanatiker bearbeiteten, sein Leben aus.

In der vor dem Parlamentsgebäude versammelten, nach Hunderttausenden zählenden Volksmenge löste die Bekanntgabe der ablehnenden Antwort einen einzigen, bis an die Wolken dringenden Jubelschrei aus.

Das lange zurückgedämmte Rachegefühl drängte gewaltig empor und hochauf loderten die Flammen wildester Begeisterung.

„Tod den Deutschen!“, „Nieder mit den Barbaren!“, „Hoch das einmütige Volk!“, so scholl es donnernd und brausend immer von neuem durch die Luft. Dazwischen wurden Rufe nach dein Minister-Präsidenten, dem Kriegsminister, dem Marineminister, und anderen hervorragenden Vertretern der Regierung laut und als dieselben sich der Menge zeigten und in kurzen Ansprachen die Versicherung abgaben, dass keinerlei Gefahr zu befürchten sei, sondern nur alte, langgehegte Hoffnungen sich endlich verwirklichen würden, da erfasste ein wahrer Taumel die Untenstehenden und im Überschwang der Begeisterung umarmten und küssten sich Greise, Männer und Jünglinge.

„Endlich!“, das war das Wort, das der Stimmung der Hunderttausende Ausdruck verlieh und unzählige Male wiederholt wurde.

Mit zitternden Lippen sprachen es die Alten; mit grimmigem Ernst riefen es die Männer und mit Jauchzen schrie es die hoffnungsfrohe Jugend hinaus. An die Möglichkeit von Niederlagen, Tod und Vernichtung dachte keiner. — — — — — — — — — —

Langsam, aber rastlos drehten sich die goldenen Zeiger der Uhr an der Front des Berliner Kaiserschlosses.

Minute um Minute, Stunde um Stunde verstrich, doch das Bild, das der weite Platz mit seiner Umgebung seit Stunden bot, hatte sich noch nicht geändert.

Noch immer stand die Menschenmauer in geduldigem Ausharren da unten und rührte sich nicht vom Fleck.

Senkrechter, heißer und brennender schossen die Strahlen der Sonne vom lichtblauen Himmel herab.

Eine schwüle, drückende Atmosphäre, staub- und dunstgeschwängert, lagerte über dem Ganzen, regungs- und bewegungslos hing die Kaiserstandarte an dem Flaggenmast auf dem Dache des Schlosses herab; auch nicht der leiseste Lufthauch brachte Kühlung in die Dumpfheit.

Stumm und wie teilnahmlos harrten die Bewohner der Hauptstadt des Deutschen Reiches auf die Bekanntgabe der Antwort auf die letzte Note der deutschen Regierung.

In allen Geschäften und Fabriken war es totenstill. Keine Hand rührte sich in dem sonst so arbeitsfreudigen, regsamen Berlin.

Wie ausgestorben lagen die entfernteren Straßenzüge, kaum dass die Stille dort durch das eintönige Klingeln und Rasseln eines leer fahrenden Wagens der Elektrischen Straßenbahn unterbrochen wurde.

Das ganze ungeheure, stark pulsierende Leben der Reichshauptstadt hatte sich nach der Mitte zusammengedrängt, so, wie wenn im Körper das Blut aus den Gliedern nach dem Herzen strömt und es fast bis zum Übermaße füllt.

Ein schwerer lastender Druck entsteht dadurch und ein ebensolcher Druck lagerte, selbst dem Einzelnen körperlich fühlbar, über der gewaltigen Ansammlung von Menschen.

Da wurde vom Eingang der Wilhelmstraße in die Linden her ein dumpfes Brausen vernehmbar, das sich rasch fortpflanzte und lawinenartig anschwoll.

Näher und näher kam es dem weiten schlossplatz und kurz darauf stimmten auch die tausende dort Versammelter in den Ruf ein: „Was gibt’s?“

„Was gibt’s?“ fragte und rief jeder zu dem Mann hinüber, der in raschem Wagen die Linden hinaufjagte und nach dem schloss hin einbog.

Der Reichskanzler begab sich wieder ins schloss und unmittelbar nach ihm jagten auch die Equipagen der übrigen Minister und der Vertreter des Bundesrates heran, empfangen von lauten Zurufen, die sich wie eine Woge verdichtend, an den Mauern des Schlosses emporbrandete und bis zu den Fenstern hinaufschlug

„Was gibt’s?“, das war die Frage, die von aller Munde flog, aus aller Herzen kam.

Die quälende Ungewissheit, die seit Stunden und Wochen über dem deutschen Volke lagerte und seine freie Tätigkeit hemmte, sollte verschwinden. Das Volk wollte Antwort haben auf diese Frage, die in sich die Unterfrage barg: „Behalten wir Frieden oder müssen wir zum Schwert greifen?“

Bleiern schlichen die nächsten Minuten vorüber und nicht um einen Herzschlag schneller bewegten sich die goldenen Zeiger der schlossuhr vorwärts. Sie gingen ihren gleichen Gang dort oben, unbekümmert um das Schicksal der Millionen zu ihren Füßen, gleichgiltig ob die nächste Spanne Zeit, die sie ihnen verkündeten, die verhehrenden Wirkungen des furchtbaren, männermordenden, Feuer, Jammer, Not und Elend im Gefolge führenden Krieges in ihrem schosse trug, oder ob sie die Segnungen milden Friedens auch fernerhin einem fleißigen Volke bescheerte.

In brennender Spannung waren aller Augen auf den großen Balkon am Schlosse gerichtet.

Von dort her erwarteten alle die Nachricht, die jede Sekunde bringen musste, und wie mit schweren Hammerschlägen pochte in jedes einzelnen Brust das Herz. Man hätte meinen können, in der lautlosen Stille, dieses Pochen der vielen hunderttausende von Herzen vernehmen zu müssen, aber in der rasenden Spannung, die alle beherrschte, vernahm der Einzelne nicht mal das Schlagen seines eigenen Herzens.

Plötzlich durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag die Masse.

Klirrend war die Balkontür in der ersten Etage des Schlosses weit aufgeflogen und durch die geöffnete Doppeltür trat der Kaiser auf den Balkon heraus.


Kaiser Wilhelm II. in Marine-Uniform.

Nach einer fotografischen Aufnahme.


Ihm zur Rechten der Kronprinz, an seiner linken Seite Prinz Heinrich. Neben und hinter den Dreien, die bis an das Geländer vortraten, wurden die anderen königlichen Prinzen und, unmittelbar hinter dem Kaiser stehend, der Reichskanzler sichtbar.

Auf dem Antlitz des Kaisers, der unbedeckten Hauptes auf den Balkon hinausgetreten war, lagerte ein tiefer, schwerer Ernst.

Eine steile Falte hatte sich, zwischen den Brauen anfangend, in der Stirn tief eingegraben und scharfe Falten umzogen den fest und herrisch zusammengepressten Mund.

Auch die weit Abstehenden vermochten bei dem hellen, klaren Sonnenlicht deutlich zu erkennen, dass eine ungeheure Gemütsbewegung sich des Kaisers bemächtigt hatte und ihn gepackt hielt, wie jetzt sein scharfes stahlblaues Auge aufleuchtend die versammelte Menschenmenge überflog.

Wie ein Blitz funkelte der Blick über die Masse hin, die mit angehaltenem Atem lauschend auf den Moment wartete, wo der Kaiser das Wort ergreifen würde.

Und dann redete der Kaiser zu seinem Volk.

Hell, klar, schneidend durchdrang die Stimme den weiten Platz, bis in die fernsten Ecken, jedem Einzelnen vernehmbar und ihm ins Herz dringend!

„Meine Herren! Sie alle wissen es, wie die ganze Welt es weiß, dass ich, für das Wohl meines Volkes bedacht und nur das eine Ziel im Auge, ihm den Frieden zu erhalten, in festem, stetigen Einvernehmen mit meinen hohen Verbündeten, den Bundesfürsten des Deutschen Reiches und den Beratern der Krone bemüht gewesen bin, ihm den Platz an der Sonne zu sichern und zu erhalten, den es zu beanspruchen berechtigt ist.

Nachdem auf blutigen Schlachtfeldern und mit schweren Opfern die Einigkeit des Deutschen Reiches erkämpft und erstritten wurde, nachdem das deutsche Volk gezeigt hatte, dass es nicht mehr gewillt sei wie früher, in trostloser Zerrissenheit der Spielball gewalttätiger Nachbarn zu sein, nachdem es in Jahrzehnte langer Friedensarbeit bewiesen hatte, was es zu leisten imstande sei, wie es Anteil nahm, tätigen Anteil an allen Neuschöpfungen und der Weiterverbreitung von Kultur, Sitte und Zivilisation, nachdem es in friedlichem Wettbewerb und, ohne das starke Schwert zu Hilfe zu nehmen, sich noch ein Weniges von dem unaufgeteilten Rest der Erde genommen hatte, den es für seine eigene Weiterentwickelung und die Unterbringung seiner stetig zunehmenden Bevölkerung notwendig bedurfte, ist jetzt an mich und meine Regierung und damit an das deutsche Volk das Ansinnen gestellt worden, den Platz an der Sonne zu verlassen und uns wie eine Schnecke in unser Haus zurückzuziehen, dessen Gehäuse zu schonen und intakt zu lassen man uns freundlichst garantieren will.

Das deutsche Volk würde mit der Annahme einer solchen Zumutung und dem Zurückweichen vor der mit den gestellten Forderungen verbundenen Drohung den Beweis liefern, dass es seines Platzes als einer der ersten Machtfaktoren unter den Völkern der Erde nicht mehr würdig ist. Es würde damit eine Schwäche dokumentieren, die dem deutschen Volke nicht innewohnt.

Getragen von dem Bewusstsein, erfüllt von der Pflicht, alles getan zu haben und tun zu müssen, was dem Frieden und seiner Erhaltung förderlich ist, habe ich versucht, die Regierung, welche jenes Ansinnen an uns gestellt hatte, zu einer Änderung zu bewegen, ohne der Ehre, der Würde und dem Ansehen des deutschen Volkes zu nahe zu treten und Abbruch zu tun. Unsere Bemühungen sind umsonst gewesen.

Damit ist das deutsche Volk vor die Notwendigkeit gestellt, zur Wahrung seiner Stellung im Rate der Völker und zum Schutze seiner nationalen Ehre das Schwert zu ziehen.

Ich vertraue zu Gott, dass wie dereinst meinem hochseligen Herrn Großvater und den übrigen Fürsten des deutschen Vaterlandes das deutsche Volk ohne Zögern und Zagen gefolgt ist, als der Kriegsruf an es erging, es so auch jetzt wiederum treu und unentwegt zu seinen Fürsten stehen wird, gewillt, seine Landesgrenzen und alles, was sie umschließen, zu schirmen und das den Söhnen und Enkeln zu erhalten, was die Vater einst mit starker Hand geschaffen und erworben haben.

Der Krieg, vor dem wir stehen, ist ein uns aufgezwungener. Nicht wir haben ihn gewollt, sondern jene, die im Vertrauen auf fremde Hilfe es wagen, uns zum Rücktritt von der Weltbühne zwingen zu wollen.

Es ist eine ernste, schwere Stunde, in der ich hier das Wort ergreife, um zu meinem Volke zu sprechen, es an seine Pflicht gegen König und Vaterland zu erinnern. Meine Hoffnung, die von mir bisher friedlich geführte Regierung auch friedlich bis an mein Lebensende fortfuhren zu können, hat sich als trügerisch, als falsch erwiesen. Aber des bin ich gewiss, auch heute noch wird das deutsche Volk sich seiner Vorfahren würdig erweisen und nach siegreichem Kampf einen ehrenvollen Frieden zu schließen in der Lage sein.

Ich habe die sofortige Mobilmachung der Armee und Marine angeordnet. Was die Zukunft uns bringen wird, müssen und wollen wir gemeinsam tragen. Es liegt alles in Gottes Hand, unter die wir uns in gläubigem Vertrauen beugen wollen mit dem Gebet „Herr führe es zu einem gnädigen und glücklichen Ausgang!“

Hallend wie eine helltönige Glocke hatte die Stimme des Kaisers die Luft durchschnitten. Als er geendet, blieb er noch einen Augenblick auf dem Balkon stehen und sah hinab auf die unter der Wucht des gewaltigen Augenblickes stumm und reglos dastehende Menschenmenge.

Dann machte er eine leichte Bewegung des Abschieds mit der rechten Hand und trat zurück.

„Seine Majestät der Kaiser, Hurra!“

Wer den Ruf ausgestoßen hatte, vermochte niemand zu sagen, aber er fuhr wie ein zündender Blitz in die Masse und donnergleich schwoll er an zu einem einzigen brausenden Hall: „Der Kaiser hurra!“

Noch lange, nachdem auch die letzten Bundesratsvertreter und Minister das schloss verlassen hatten, umstanden und umdrängten Hunderttausende das ehrwürdige Gebäude in der stillen Hoffnung, dass der Kaiser noch einmal wieder auf dem Balkon erscheinen und zu seinem Volke sprechen würde, das ihn in unaufhörlich wiederholten Zurufen stets von neuem seiner Treue und Bereitwilligkeit in der Gefolgschaft versicherte.

Doch an Stelle des Kaisers erschien nur einmal der Minister des Königlichen Hauses und bat, Seine Majestät nicht ferner zu stören, da der Monarch angestrengt zu arbeiten habe.

Da hörten die Zurufe auf, doch die ganze Nacht hindurch blieb die Bevölkerung der Reichshauptstadt in rastloser Bewegung. Wie tief aber der schwere Ernst des Kommenden alle Gemüter ergriffen hatte, bewies die Tatsache, dass keinerlei Ausschreitungen oder Ruhestörungen während der Nacht vorfielen. Ein jeder wusste und empfand es eben: die Ruhe des Friedens ist dahin! An seine Stelle tritt der Krieg!

Eine halbe Stunde, nachdem der Kaiser seine Ansprache gehalten hatte, raste ein nur aus Lokomotive und Salonwagen zusammengesetzter Extrazug nach Wilhelmshaven. Prinz Heinrich übernahm das Oberkommando über die deutsche Flotte.

Deutschlands Flotte im Kampf

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