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Vorwort Graham Lawton

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Der Ursprung vieler Dinge hat mich immer fasziniert. Als Kind hielt ich mich oft mit meiner Mutter, meinem Vater und meiner Schwester an der Küste von Yorkshire auf. Wir gruben dort Ammoniten, Belemniten und Gryphaeidae aus den Steilufern und ich fragte mich: Wo sind sie hergekommen? Wie war die Erde beschaffen, als diese Tiere lebten?

Es war aber nicht nur die Welt der Natur, die mich derartige Fragen stellen ließ. Ich erinnere mich, vor dem Fernseher – damals vermutlich ein Schwarz-Weiß-Gerät, aber dennoch ein technisches Wunderwerk – gesessen und gedacht zu haben: Wer hat das erfunden? Ich konnte mir nicht vorstellen, wie jemand eine Kiste mit einem Schirm erschaffen haben konnte, auf den sich aus großer Entfernung Bilder projizieren ließen. Auf mich selbst gestellt, so dachte ich, hätte ich so etwas nie fertiggebracht.

Als ich dann vor 20 Jahren Wissenschaftsjournalist wurde, wurde mir bewusst, was für eine starke Wirkung von »Ursprungsgeschichten« auf unsere Fantasie ausgeht. »Wo sind wir hergekommen?« ist eine der tief greifendsten und grundlegendsten Fragen, die wir uns stellen. (Zwei andere sind: »Wie sollten wir leben« und »Wohin gehen wir«, doch damit wollen wir uns ein andermal beschäftigen.) Ich bin überzeugt, dass es untrennbar zur menschlichen Natur gehört, etwas zu betrachten oder über eine existenzielle Frage nachzusinnen und dabei zu denken: Wie ist das entstanden?

Jede uns bekannte Gesellschaft kennt Geschichten über den Ursprung des Kosmos und seiner Bewohner. Der älteste uns überlieferte Schöpfungsmythos ist der Enuma elisch; der Text ist in Keilschrift auf 2700 Jahre alten Tontafeln enthalten und datiert aus dem Babylon der Bronzezeit. Doch gab es mit Sicherheit schon lange davor solche Entstehungsgeschichten; sie dürften aus der Zeit stammen, als unsere Ahnen, was Denken und Verhalten betrifft, moderne Menschen wurden, also mindestens 40 000 Jahre alt sein. Soweit wir wissen, war der Intellekt dieser Menschen mit dem unseren vergleichbar, was bedeutet, dass sie die Fähigkeit zu mentalen Zeitreisen besaßen, also sich in die Vergangenheit und die Zukunft hineinzuprojizieren vermochten. Das erlaubte es ihnen, das Hier und Jetzt zu transzendieren und sogar über die Enden, das vordere und das hintere, ihrer eigenen Lebensspanne hinauszugehen, um Betrachtungen über die tiefe Vergangenheit und die ferne Zukunft anzustellen. Sie müssen sich, genau wie wir, gefragt haben, wo eigentlich alles herkam.

Vielleicht geht alles sogar noch weiter zurück. Möglicherweise kannten sogar unsere allerersten Ahnen einen Schöpfungsmythos, eine Million Jahre alte Geschichte, die um ein Lagerfeuer des Homo erectus herum erzählt wurde. Ja, sogar Geschichten von der Erschaffung der Erde verlangen nach einer Geschichte von ihrer Erschaffung.

Die Menschen, die diese uralten Geschichten ersannen, besaßen natürlich nicht viel, auf das sie sich bei deren Erfindung stützen konnten: bloß ihre eigenen unmittelbaren Erfahrungen und ihre Fantasie. Meistens verfielen sie auf übernatürliche Erklärungen. Der Schöpfungsmythos unserer eigenen Kultur, das Buch Genesis, ist eine solche Geschichte. Es enthält sogar zwei Versionen von der Entstehung der Welt: einmal den vertrauten Mythos von ihrer Erschaffung im Lauf von sechs Tagen und dann noch eine etwas andere und der ersten leicht widersprechenden Erzählung. Vielleicht verbirgt sich darin ein stillschweigendes Eingeständnis, dass wir nie Gewissheit erlangen können, aber dazu getrieben werden, es zu versuchen.

Mit wissenschaftlichen Methoden kombiniert wird die geistige Zeitreise jedoch zu einem Präzisionsinstrument. Wir können Teleskope verwenden, um in das frühe Universum hineinzuspähen, und die Mathematik heranziehen, um seine Eigenschaften zu bestimmen. Dieses Zurückdrehen der Uhr hat uns wirklich weit gebracht – beinahe bis zum Anfang des Universums selbst, wie Stephen Hawking in seiner Einführung darlegt.

Inzwischen gestatten die historischen Wissenschaften – Geologie, Evolutionsbiologie und Kosmologie – es uns, Ereignisse zu rekonstruieren, die sich lange vor der Existenz des Menschen, in der sogenannten deep time, zutrugen: die Geburt unseres Sonnensystems, den Ursprung des Lebens, die Evolution unserer eigenen Spezies und viele andere. Archäologie und Geschichtswissenschaft helfen uns, Einblick in unsere eigene Vergangenheit zu erlangen und uns über Neuerungen zu informieren, für die wir selbst verantwortlich sind, von frühen Innovationen wie dem Garen von Nahrung bis hin zu modernen Technologien wie dem World Wide Web.

Der Ursprung von (fast) allem ist eine Sammlung moderner Ursprungsgeschichten, die die Wissenschaft uns geliefert hat; sie vereint Wichtiges mit Interessantem und Unerwartetem. Auf die Liste der aufzunehmenden Geschichten kamen natürlich zunächst einmal solche, auf die man einfach nicht verzichten kann, wie die vom Big Bang, dem Ursprung des Lebens und der Evolution des Menschen. Auch die Beschäftigung mit der Entwicklung der menschlichen Zivilisation wirft reichlich Material ab. Vor 15 000 Jahren führten unsere Vorfahren noch das Leben von Jägern und Sammlern; wir Heutigen wohnen in Häusern, kaufen in Supermärkten ein und bewegen uns in Maschinen in der Gegend herum. Wie ist es zu alldem gekommen?

Die Aufnahme anderer Geschichten lag weniger auf der Hand, und ich bin meinen brillanten Kollegen vom New Scientist und John Murray dankbar dafür, dass sie mir einige der ausgefalleneren vorgeschlagen haben: die von der Null, über den Erdboden und über Körperhygiene gehören zu meinen eigenen Favoriten. Am Ende hatten wir viel zu viel Material zusammen, um es in ein einziges Buch packen zu können. Die Liste der Themen, die dem Rotstift zum Opfer fielen, ist lang: Sie schließt die Geschichte vom Ursprung des Cricketspiels ein wie auch die über die Erfindung von Viennetta-Eiscreme, um nur zwei zu nennen. Vielleicht werde ich eines Tages ein zweites Buch schreiben, das dann Der Ursprung von (fast) allem sonst heißen wird.

Doch Schluss mit dieser geistigen Zeitreise. Ich bin sehr stolz auf dieses Buch. Mich hat es auf eine Entdeckungsreise geführt, was es hoffentlich auch mit Ihnen tun wird. Viele der in ihm enthaltenen Geschichten haben sich verändert oder weiterentwickelt, da Neues ans Licht kam, als wir an ihm arbeiteten. In ihrem rastlosen Voranstreben liegt die Schönheit der Wissenschaft.

Ich bedauere nur, dass der provisorische Untertitel es nicht auf den Umschlag des fertigen Buches geschafft hat. (Für den Fall, dass Sie es wissen möchten, er lautete: Vom Urknall bis zum Bauchnabelfussel – was Ihnen wohl eine Ahnung von der Bandbreite der behandelten Themen vermitteln dürfte.) Formell verdankt es seine Existenz einem Brainstorming von Mitarbeitern des New Scientist und John Murray, doch mir gefällt die Idee, dass es seinen Ursprung eigentlich auf einem Strand an der Meeresküste von Yorkshire fand, im Kopf eines kleinen Jungen, den die Wunder der Natur faszinierten.

Aber da lege ich schon wieder los und reise in der Zeit zurück, um herauszufinden, wo etwas begann. Anscheinend kommen wir Menschen einfach nicht gegen diesen Drang an.

London, Mai 2016

Der Ursprung von (fast) allem

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