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ERICH GLAUBMIRNIX DER „FLIEGENDE TEPPICH“

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Eichenfeld

Hier in Deutschland gibt es unheimlich viele und schöne Landstriche. Manch ein Landstrich ist gezeichnet von schmucken Siedlungsstätten, hohen Bergen, grünen Wäldern mit weit auslaufenden Feldern. Und in einer der schönsten Landschaften gibt es eine Stadt mit dem Namen Eichenfeld. Ja, diese Stadt hat mit ihrer Umgebung von allen oben beschriebenen Eigenschaften etwas abbekommen. Die Berge hier sind zwar nicht ganz so hoch wie die des Erzgebirges oder des Thüringer Waldes, aber mindestens ebenso anmutig und schön anzuschauen. Die heimatlichen Berge umschließen ihre Stadt so, als wollten sie die Stadt vor allen Unbilden schützen und sie entwickeln dabei ihre eigenen Reize. Manch ein Romantiker, der die Berge erklimmt, kommt bei dem Anblick ins Schwärmen. In Eichenfeld selbst, gibt es einen gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern, der umgeben ist von einer Stadtmauer mit wuchtigen Wehrtürmen. In dieser Stadt findet man Fachwerkhäuser, Kirchen, Museen und Denkmäler. Diese sind umgeben von gepflegten Grünflächen mit allerlei Blumen. Und wer Lust hat, kann verschiedene kleine Lädchen mit allerlei handwerklicher Kunst und Souvenirs entdecken. Nicht vergessen darf man die gemütlichen Gaststätten und Hotels, wo manch einem Gast auch schon mal „heimgeleuchtet“ wurde. Es gibt hier aber auch Orte der Besinnung und Erholung, wie zum Beispiel den Kurpark mit dem Schwanenteich. Hier gibt es überall Grünflächen, worauf Bäume wachsen, die an heißen Tagen als Schattenspender dienen. Und der Pavillon darf nicht vergessen werden. Das ist ein beliebter Treffpunkt für unsere Jugend.

Aus diesem Grund wird Eichenfeld immer wieder von seinen Touristen bewundert. Nicht nur die Touristen, nein auch die Einheimischen fühlen sich hier wohl.

Und am nordwestlichen Rand dieser Stadt gibt es eine schmucke Siedlung mit mehreren Ein- und Zweifamilienhäusern. Die dort ansässigen Menschen sind freundlich, höflich und aufgeschlossen. Sie hegen gute nachbarschaftliche Beziehungen und genießen, nach vollendetem Tagwerk, ihre Freizeit. Und bei all dem Miteinander, kommt es auch mal vor, dass sie sich am Wochenende zu einem gemütlichen Abend verabreden. Das funktioniert nicht nur im Sommer, nein auch im Winter, denn die kalte Jahreszeit hat ja bekanntlich auch ihre schönen Seiten. Wen verwundert es da nicht, wenn in dieser geselligen Runde auch mal ein Feuerkorb angezündet und mit Glühwein und anderen hochprozentigen Getränken der Sternenhimmel bestaunt wird. Glaubt es mir, das macht Spaß! Und wenn das Holz in den Flammen nur so knistert und die nötige Wärme abgestrahlt, kommen diese Menschen auch mal auf andere Gedanken und können ihre Alltagssorgen vergessen.

Und mitten in dieser Gemeinschaft wohnt unser Held. Es ist der Polizeiobermeister Erich Glaubmirnix. Er ist verheiratet und hat eine Familie, auf die er sehr stolz ist. Erich Glaubmirnix hatte vor etlichen Jahren, in einer Disco, eine wunderschöne Frau kennengelernt und sich augenblicklich in sie verknallt. Sie trug damals den Namen Heidi Wummelberg. Es dauerte nicht lange und sie legte diesen Namen ab. Jetzt heißt sie Heidi Glaubmirnix. Diese große Liebe wurde auch mit zwei prächtigen Kindern belohnt, ihrem Sohn Wolfgang und ihrer Tochter Kerstin.

Und hier, im Haus der Familie Glaubmirnix, beginnt unsere Geschichte.

Es war ein richtig schöner sommerlicher Nachmittag zu fortgeschrittener Stunde. Erich ging auf seine Terrasse, nahm sich eine Flasche Bier und legte sich in den Liegestuhl. Er schloss die Augen und ließ sich von der Sonne verwöhnen. Heidi, die Ehefrau vom Erich Glaubmirnix, war zu diesem Zeitpunkt in der Küche und wollte das Abendbrot vorbereiten. Das Radio spielte seine Lieblingsoldies.

Ab und zu richtete sich der Erich ein wenig auf, um einen Schluck Bier zu trinken. Während er sein Bierchen fröhlich in der Hand hielt, bemerkte er am südwestlichen Horizont einen kleinen dunklen Punkt. Dieser bewegte sich sehr langsam, aber kontinuierlich in seine Richtung. Da aber die Sonne zu sehr blendete, wandte er sich wieder ab und widmete sich wieder der Bierflasche.

Dann war plötzlich für eine kurze Zeitspanne die Sonne weg und Erich schaute wieder hoch. Das, was er jetzt sah, konnte er nicht so richtig begreifen, denn es war ein fliegender Teppich. Auf diesem Teppich saßen mehrere Leute und in der Mitte stand ein Mann, der seine Arme zum Himmel streckte. Dabei machten seine Hände merkwürdige Bewegungen und es sah so aus, als wollte dieser Mann beten. Erich rieb sich die Augen und sah anschließend auf seine Bierflasche und dann wieder zum Himmel, wo der Teppich über ihm schwebte. Und dieser Teppich wurde von einem flatternden Geräusch begleitet. Obwohl dieser ganz ruhig in der Luft dahin glitt. Der Blick ging automatisch zur Bierflasche und anschließend wieder zum Himmel. Der „Fliegende Teppich“ war wieder weg.

Da gab es nur eine Schlussfolgerung: „Ab sofort keinen Alkohol mehr!“

Wenige Tage später war das flatternde Geräusch wieder am Himmel. Erich schaute hoch, konnte aber nichts sehen, denn es wurde bereits dunkel.

Am nächsten Tag, auf der Dienststelle, erzählte er das seinem Kumpel Leo. Dieser antwortete nur: „Ich möchte mal wissen, was du da rauchst, dass du um diese Uhrzeit schon so glücklich bist und mit solchen Fantasien zum Dienst kommst? Und jetzt siehst du auch schon fliegende Teppiche? He Leute, hört mal her! Der Erich sieht fliegende Teppiche am Himmel. Den müssen wir mal zum Drogentest schicken.“ Natürlich wurde herzlich gelacht, und das auf Erichs Kosten.

Erich wurde sauer und sprach mit seinem Kumpel kein Wort mehr: „Dieser Blödmann! Hätte ich doch nur die Schnauze gehalten!“

Nach Dienstschluss fuhr Erich mit seinem Auto wieder nach Hause und wie es der Teufel will, sah er wieder über sich diesen verfluchten Teppich. Dieses Mal war nur ein Mann darauf. Der hatte die Arme wieder zum Himmel gestreckt und fummelte in der Luft herum.

„Das ist doch zum Verrücktwerden. Das glaubt mir doch keiner. Irgendeiner muss doch diesen Teppich auch mal gesehen haben. Das Beste ist, einfach ignorieren.“ Aber das ist leichter gesagt als getan, zumal es so aussieht, als ob der Teppich immer öfter hier lang fliegt.

Drei Wochen später an einem Montag

Um 04 : 00 Uhr klingelte der Wecker. Erich kroch widerwillig aus dem Bett und fuhr lustlos zur Frühschicht. Auf der Dienststelle angekommen, nahm er wie immer seine Kaffeetasse, schenkte sich ein, setzte sich auf seinen Platz und schwatzte mit den Kollegen.

Der Dienstgruppenleiter kam rein und alle waren still. Wie immer. Die Einweisung begann: „Männers! Hört mal her! Wir haben seit den letzten Wochen ein großes Problem! Die illegale Einwanderung nimmt ungeahnte Dimensionen an! Das Schlimme daran ist, dass die Migranten ausgerechnet in unserem Bereich aufschlagen! Keiner weiß wie und wo die herkommen und die Kollegen von der Landespolizei haben bis jetzt auch noch keine Erkenntnisse!“ Es folgte eine kurze Pause, der DGL holte Luft und die Einweisung ging weiter: „Ich weise für die heutige Schicht folgende Maßnahmen an: Wir besetzen ab sofort alle wichtigen Knotenbahnhöfe! Das heißt: zwei nach Weinfelde, zwei nach Mühlendorf und zwei bleiben hier in Nordstadt. Sie besetzen den Bahnhof und halten, wie gesagt, die Augen auf! Der Rest fährt Zugstreife! Die Strecken und Züge werden noch konkretisiert und im Anschluss bekanntgegeben!“

Der DGL unterbrach die Einweisung und schaute mit ernster Miene zum Obermeister Glaubmirnix rüber: „Warum störst du ständig meine Einweisung? Du bist doch nur am Lachen!“

„Nein, ich hab nicht gelacht! Nur geschmunzelt, denn mir ist gerade was Lustiges eingefallen!“ Erich wusste ja, wo die Migranten herkommen.

„Nun erzähl mal, was gibt’s denn so Lustiges? Die Kollegen hier wollen auch mal was zum Lachen haben!“

Erichs Gedanken: „Scheiße, immer erwischt es mich, egal was ich mache!“, und sagte: „Nur was Unwichtiges mit der Frau!“

Mit dieser Notlüge gab sich der DGL zufrieden.

Und so vergingen die Tage und Wochen, die Maßnahmen wurden immer mehr ausgeweitet. Es erfolgte ein Einsatzbefehl nach dem anderen. Ohne Erfolg, denn die Migranten waren einfach da. Erst wöchentlich, jetzt schon fast täglich und niemand wusste wo und wie die hierherkamen. Nur einer wusste es und der sagte kein Wort!

Da sich während des ganzen Einsatzes keine Erfolge einstellten, sank die Moral in der Truppe bis auf einen historischen Tiefststand. Denn die Einsätze schlauchten nicht nur physisch, sondern immer mehr auch psychisch. Einfach gesagt, man sah es den Leuten an.

Die Kollegen der Landespolizei richteten in Absprache mit der Bundespolizei überall Straßensperren ein. Natürlich konnten auch die keine Erfolge vorweisen. Eigentlich taten mir die Leute nur noch leid, denn die wurden sinnlos verheizt. Glaubt es mir, Erich hatte ein schlechtes Gewissen!

Viele Tage später

Erich lag wieder in seinem Liegestuhl und hatte mit einer Flasche Bier sein schlechtes Gewissen weggespült, als der „Fliegende Teppich“ wieder auftauchte. Dieses Mal stoppte der Flug direkt über Erich und der Mann in der Mitte hatte wie immer die Arme und Hände gen Himmel gerichtet. Jetzt schaute er herunter und erzählte seinen „Fluggästen“ irgendwas Unverständliches. Aus lauter Wut über den Teppich, lauschte Erich wie ein Luchs und hoffte dabei, irgendeine Erkenntnis oder einen Tipp zu erhaschen. Selbst für den geringsten Hinweis wäre er dankbar. Egal wie er sich auch anstrengte, er konnte kein Wort, nicht mal eine Silbe, verstehen. „Vermutlich erzählt der was über mich, wie ich immer faul im Liegestuhl liege, den ganzen Tag über nichts arbeite, nur saufe und ständig sündige. Vielleicht betet der auch zu Gott und bittet darum, dass er mit seinem Teppich niemals abstürzen möge! Und wenn doch, dann auf diesen da unten im Liegestuhl!“ Seine „Fluggäste“ lächelten und manch einer zeigte mit dem Finger zum Erich runter.

Wutentbrannt über seine Hilflosigkeit, reckte Erich seine Faust zum Himmel und fluchte: „Bete du nur, ich werde dich schon irgendwie kriegen!“

Der Mann lächelte und flog langsam weiter.

Zum nächsten Dienst verschärfte sich die Situation.

Erich nahm, wie immer, seine Kaffeetasse und setzte sich auf seinen Platz. Dieses Mal hatten sie keine große Zeit zum Schwatzen. Der DGL kam rein und legte gleich los: „Nicht nur das wir die illegalen Migranten auf den Hals haben, nein, jetzt kommen auch noch Buntmetalldiebstähle dazu! Der Notfallmanager der Bahn hat bei einer Streckenkontrolle mehrere Stellen gefunden, wo Kupferdraht gekappt und entwendet wurde. Betroffen ist die Strecke von Silberstädt nach Dingelhausen. Das bedeutet für uns: Eine Streife wird jede Nacht an der Strecke sein und den Streckenabschnitt observieren! Die Observation erfolgt in zivil!“

„Jetzt wird das Bein dick!“, meinte Leo. Erich flüsterte: „Sei still, das packen wir schon!“

„Herr Glaubmirnix? Was gibt es da schon wieder zu schwatzen? Interessiert dich wohl nicht, was ich hier sage?“

Erich antwortete gelangweilt: „Doch, doch, bin ganz Ohr!“, und dachte: „Warum schon wieder ich?“

„Herr Glaubmirnix und Herr Löwinger, ihr beide seid gleich am nächsten Wochenende dran! Euer Einsatzort befindet sich am Bahnkilometer 57,3!“

„Hab’s mit!“, war die Antwort.

Erich graute es vor den Nachtschichten und jetzt auch noch zum Wochenende. „Zwölf Stunden im Wald, Wahnsinn!“ Er durfte nicht darüber nachdenken. „Na ja, da haben wir wenigstens die Chance, den Kupferdieb zu fangen. Ist doch auch was Wert, oder? Denn den Schleuser fangen wir eh nicht!“

Und Leo antwortete: „Mach dir deswegen keinen Kopf und denk immer an den alten Leitspruch der da lautet: Neunzig Prozent seines Lebens, wartet der Schutzmann vergebens!“

Das Wochenende kam und somit auch die Nachtschichten

Die ersten zwei Nachtschichten verliefen ruhig, aber die Dritte hatte es in sich.

Gleich nach der Einweisung wurde das angewiesene Auto geschnappt und rausgefahren.

Der betroffene Streckenabschnitt mit dem Bahnkilometer 57,3 lag mitten im Wald. Sie hatten in der ersten Nacht einen tollen Platz, mitten auf einem Hügel gefunden. Hier hatten sie eine optimale Sicht auf einen großen Abschnitt der Eisenbahnstrecke. Zwischen dem Bahndamm und dem Standort des Autos befanden sich auch ein Waldweg und eine Wiese. Also ein ganz übersichtlicher Tatort.

Diesen Hügel fuhren sie auch in der dritten Nachtschicht an, stellten das Auto hinter einem Busch ab und beobachteten den Streckenabschnitt.

Gegen 23 : 00 Uhr stellten sie auf der rechten Seite einen Lichtkegel fest und beide wurden aufmerksam! Nach circa zwei Minuten fuhr ein PKW unterhalb ihres Standortes am Hügel vorbei, bog ab und fuhr über die Wiese in Richtung Bahndamm und hielt dort an.

Da es, Gott sei Dank, eine klare Vollmondnacht war, konnten sie das Auto genau beobachten, obwohl die Entfernung zum Fahrzeug schätzungsweise 300 Meter betrug. Erich und Leo nahmen ihre Taschenlampen in die Hand und liefen vorsichtig, die Büsche und Bäume als Deckung ausnutzend, zum abgestellten Auto. Auf den letzten paar Metern konnten sie sehen, dass das Auto leicht wackelte. Erich konnte sich schon vorstellen, was sich dort abspielte. Sein Kumpel auch und rief: „Das sind die Kupferdiebe!“ Er machte die Taschenlampe an und stürmte los. Erich hinterher. Sie erreichten das Auto zur gleichen Zeit und Leo leuchtete durch die Frontscheibe ins Auto. Sie konnten einen ganz verwirrten jungen Mann erkennen, der sich die Arme vors Gesicht hielt.

Erich klopfte gegen die Scheibe und sprach ihn an: „Guten Abend, Obermeister Glaubmirnix! Was suchen Sie hier? Wo kommen Sie her und sind Sie allein im Auto?“

„Ja, ja, ich bin alleine hier, ich wollte mich nur ein bisschen ausruhen!“

„Könnten Sie mal aussteigen und uns den Kofferraum zeigen?“

„Nein, das möchte ich jetzt nicht!“

Erich wurde misstrauisch, denn das könnte wirklich der Buntmetalldieb sein. Tatort und Tatzeit passten. „Steigen Sie aus, öffnen Sie den Kofferraum und ich möchte Ihren Personalausweis sehen!“

„Geht wirklich nicht!“

„Mir reicht’s! Steigen Sie aus! Jetzt sofort!“

„Ich hab doch keine Hose an!“, war die kleinlaute Antwort.

Nun gut: Erich nahm seine Taschenlampe und leuchtete auf den Rücksitz. Hier sah er eine Wolldecke und bemerkte, dass sich unter ihr etwas bewegte.

„Kommen Sie sofort unter der Decke vor!“

Langsam wurde die Decke etwas bei Seite geschoben und eine junge Frau kam zum Vorschein. Sie hielt aber immer noch mit der Decke ihren Körper bedeckt.

Als Erich das sah, beendete er die Maßnahme und sagte zum Pärchen: „Okay, hier können Sie nicht bleiben! Fahren sie weiter und suchen sich ein anderes stilles Örtchen!“

Zu Leo sagte er nur: „Ich will ja kein Spielverderber sein!“

So schnell konnte Erich gar nicht gucken, wie der Motor gestartet wurde und das Auto über die Wiese davonraste.

Leo wetterte gleich los: „Was machst du denn da? Das waren die Kupferdiebe!“

„Nein, die wollten es sich nur ein bisschen schön machen!“

„Nein, das war der Dieb, und das Weib sollte aufpassen! Wir müssen hinterher!“

„Glaub mir, die wollten nur poppen und nichts klauen!“ Aber bei Leo kam der Streithammel durch! „Verstehst du das nicht? Wir müssen hinterher!“

Erich versuchte ihn zu beruhigen: „Wir müssen nicht hinterher, sondern erst zum Auto und in der Zeit sind die eh weg!“

„Du bist Schuld, wenn die wieder klauen!“

„Okay, ich bin Schuld, aber beruhige dich!“

Dem Erich kamen nun doch langsam Zweifel, ob seine Entscheidung richtig war. Aber das konnten sie jetzt nicht mehr ändern. Sie gingen zum Auto zurück und richteten ihren Blick wieder zum Bahndamm.

Im Auto wollte und wollte die Zeit nicht vergehen und sie unterhielten sich nun über alles Mögliche.

„Du Erich, erzähle doch mal! Wie war das damals, als du bei deiner Oma den 80. Geburtstag gefeiert hast?“

„Leo, das war nicht meine Oma, sondern die Oma meiner Frau! Außerdem geht dich das nichts an!“

„Hab dich nicht so, immerhin müssen wir hier noch ’ne Weile durchhalten und mir ist es hier unheimlich langweilig!“ Komm schon, dass Meiste kenne ich eh. Hat mir deine Frau schon erzählt! Ich kann’s immer noch nicht so richtig glauben, was du damals gemacht hast! Ich erzähl dir auch, wie das mit meinem Leistenbruch gewesen ist! Glaub mir, dass ist auch interessant!“

„Also gut! Nun hör genau zu, was mir damals so alles passiert ist. Ich erzähl’s nur einmal und dann nie wieder!“

Der 80. Geburtstag oder gefährliches „Osterwasser“

Die Großmutter meiner Frau hatte vor zwei Jahren genau am Ostersonntag ihren 80. Geburtstag. Das wurde natürlich zum Anlass genommen, um unter vielen anderen Getränken auch das beliebte „Osterwasser“ zu trinken. Bei dem „Osterwasser“ handelt es sich selbstverständlich um den Nordhäuser Doppelkorn.

Um den Geburtstag würdig zu feiern wurde die gesamte Verwandtschaft eingeladen. Die Party sollte schon um 15 : 00 Uhr zum Kaffeetrinken starten. Eingeladen wurde in die Gaststätte „Zum Waldblick“. Das ist übrigens eine sehr empfehlenswerte und gemütliche Kneipe. Ich hab dort den Großteil meiner Jugend verbracht!

Nun will ich erst mal ein paar Worte zur Jubilarin verlieren. Ihr Name ist Wilma Wummelberg. Im Allgemeinen wird sie auch „Alte Gräfin“ genannt. Wenn du sie kennen würdest, wüsstet du auch warum. Sie wirkt mit ihrer Gestik den Menschen gegenüber ziemlich unnahbar und sehr hochnäsig. Sie ist sehr schlank, sonnengebräunt, immer vornehm gekleidet, willensstark und zickig. Also von der „alten Schule“. Eigentlich sieht die schon aus wie ein abgemagertes Gerippe. Aber das sage ich meiner Frau lieber nicht.

Ich konnte damals die Zeit kaum abwarten, denn ich war gespannt, wer denn alles kommen würde. Da mein Schwager Josef kommen sollte, der heißt übrigens genau so wie du, musste ich mir unbedingt seine Gertrud anschauen. Denn die ist immer und grundsätzlich unpassend gekleidet. Und sie kamen und Gertrud war unpassend gekleidet. Neulich war sie mit ihren 160 Kilo auch bei Willi zum Geburtstag. Das ist mein anderer Schwager. Und sie hatte an dem Abend einen Minirock an und der Rücken war frei. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das aussieht, wenn die Schwerkraft siegt. Egal, Josef sagt nichts mehr dazu, der hat’s schon lange aufgegeben und sich damit abgefunden. Und wenn ich das Thema anspreche, folgt der Kommentar meiner Frau: „Du sollst nicht immer über Gertrud lästern!“ Dabei lästere ich doch gar nicht.

Da auch mein Schwager Manni unter den Gästen war, gab es natürlich wieder etwas zu lachen. Ja, mit dem trinke ich gern mal ein schönes Bierchen und er hat dabei immer mal einen lustigen Streich auf Lager. Seine Frau guckt jedes Mal böse, wenn der nach dem vierten Bier anfängt ulkig zu werden und seine Späßchen mit den Leuten macht. Da er es manchmal übertreibt, hat sie jedes Mal Angst, dass der sich vor der gesamten Verwandtschaft blamiert und sie sich dann später wieder dafür entschuldigen muss.

Die „Gräfin“ hatte es auch mal erwischt und sie guckt jetzt noch böse, weil Manni ihr mal einen Schnaps in den Kaffee kippte. Du hättest das sehen müssen, die „Gräfin“ wäre beinahe gestorben. Die nahm wie immer die Tasse Kaffee, hob sie ganz langsam mit Daumen und Zeigefinger an, führte sie behutsam zum Mund, hob dabei die Nasenspitze, schloss die Augen und schlürfte ganz bedächtig, verschluckte sich, ließ die Tasse fallen und rang nach Luft. Die weiße Bluse wurde braun und das braune Gesicht wurde weiß. Wir konnten uns vor Lachen nicht halten. Ich sagte nur: „Manni, Manni!“

Die Zeit des Kaffeetrinkens will ich mal überspringen und erzähle weiter von der Zeit, als das Bierchen mit dem „Osterwasser“ schon lustig schmeckte und die Gäste schon gut drauf waren, selbst bei der „Alten Gräfin“ huschte immer mal ein kurzes Lächeln über die Lippen.

Nun ja, wie das so ist, braucht der Mensch auch mal frische Luft und ich brauchte sie auch. Vor der Gaststätte trafen sich wie immer die Raucher in ihrer geselligen Runde und eine Wolke schwebte über ihnen. War mir egal, ob sie rauchen oder nicht, ich gesellte mich dazu und erzählte meine Witze:

„Also, ein junger Mann angelte sich eine hübsche Frau und wollte sich mit ihr einen gemütlichen Abend machen. Die Frau, die auch Lust auf ein Abenteuer hatte, weil ihr Mann seit Tagen unterwegs war, nahm ihn mit zu sich nach Hause. Wie es der Teufel will, liegen die beiden im Bett und der Ehemann kommt Heim. Um nicht erwischt zu werden, gab es für den Ehebrecher nur eine Möglichkeit, nämlich die Flucht aus dem Fenster. Splitternackt, wie der Mann nun war, wollte er sich nach Hause schleichen. Aber er wurde, ohne es zu wissen, beobachtet, denn auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand eine Nonne. Sie war zu neugierig, um wegzuschauen oder wegzugehen. Dann erblickte auch der junge Mann die Nonne und erschrak ein zweites Mal. Was tun? Wo soll ich hin? Vor ihm stand eine Nonne und hinter ihm war der wütende Ehemann. Um fliehen zu können, musste der junge Mann genau in die Richtung, wo sich die Nonne aufhielt. Es half alles nichts, er nahm allen Mut zusammen und marschierte los. Die Nonne sah den Mann kommen, fiel um und war tot!“

Alle Blicke waren auf mich gerichtet und warteten auf die Pointe. Manni kam vorbei und hatte ein Tablett mit Osterwasser dabei. „Prost“, wurde gerufen und alle langten zu und Manni wieder: „Auf einem Bein kann man nicht stehen! Prost!“

„Wo der Recht hat, hat der Recht!“, und ich langte noch mal zu.

„Prost, Prost und rein in den dummen Kopf!“

Jetzt schauten alle wieder zu mir!

„Das ist ganz einfach!“

„Die Nonne ist ertrunken!“

Und jetzt glotzten alle ein bissel blöde zu mir rüber und ich erzählte weiter:

„Der Nonne ist bei dem Anblick des nackten Mannes das Wasser im Mund zusammengelaufen!“

Alle haben damals gelacht und Erich schaute zu Leo und siehe da, Leo lachte auch.

Erich erzählte weiter:

Plötzlich und mit einer unglaublichen Geschwindigkeit kamen eine Katze und ein Hund an mir vorbei gerannt. Die Katze vorweg und der Hund hinterher. So schnell konnte ich gar nicht reagieren. Ich schaute hinterher und stellte fest, dass ich mich geirrt hatte. Unglaublich, denn es war keine Katze, es war ein Hase, nein, der Osterhase. Der hatte einen geflochtenen Korb auf dem Rücken und der war mit bunten Eiern gefüllt. „Das glaub ich jetzt nicht! Hier will mich wohl einer veräppeln! Das ist bestimmt wieder so ein Streich von Manni? Denn es gibt, wie jeder weiß, keine Osterhasen!“

Egal, der Hase war da und daran gab es nichts zu rütteln. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen. Er blieb in einiger Entfernung stehen und schaute zu mir rüber. Er hatte Angst. Es sah auch so aus, als wollte der Hase zu mir sagen: „Rette mich vor dem Hund!“ Er winkte mit dem linken Ohr und ich ging hin. Ich war noch nicht richtig bei ihm, als er sich aufrichtete und in Richtung Wald hoppelte.

Ich hinterher.

Am Waldrand drehte er sich noch mal um, sah mich kommen und hoppelte weiter bis in den Wald hinein. Ich rief: „Hab doch keine Angst! Nun bleib doch endlich stehen! Ich will doch nur helfen!“

Im Wald ging es weiter. Hier sah ich einen Jäger, der den Hasen fangen wollte. Das konnte ich doch nicht zulassen! „He, hau ab! Verschwinde aus meinem Dunstkreis und lass den Hasen in Ruhe!“ Keine Reaktion. Ich sprang den Jäger an und schubste ihn beiseite. Der Hase war mir dankbar und hoppelte weiter.

Ich hinterher.

Nach einiger Zeit hatte ich echte Mühe dem Hasen zu folgen und rang vor Erschöpfung nach Luft. Es kam noch schlimmer, denn das Unterholz wurde immer dichter. Ich musste immer häufiger die Äste beiseite schieben. Manchmal kam es mir so vor, als würden sich die Bäume über mich unterhalten, was natürlich Quatsch ist.

Und plötzlich stand eine alte knorrige Eiche im Wege. Der Hase hatte es gut, der hüpfte flink vorbei und mich wollte der Baum nicht vorbeilassen. Seine Äste schnappten nach mir. Ein ungleicher Kampf entbrannte. Nach dem mich der Baum mehrmals angegriffen hatte, versuchte ich seine Äste abzubrechen. Bei meiner Aktion schnippte ein Ast zurück und traf mich so unglücklich, dass ich in die Knie ging. Das war natürlich auch meine Chance. Ich machte mich auf allen Vieren am Baum vorbei und stand vor dem Eingang einer Höhle. Der Hase sprang hinein. Ich drehte mich noch mal um, nur um zu sehen, ob mir auch keiner der Gäste gefolgt war. Da ich keinen sah, bückte ich mich wieder und kroch in die Höhle. Die Kneipe mit der Geburtstagsfeier war für mich jetzt weit weg.

Hier sah es ulkig aus, links und rechts lauter Baumstämme. Das war wohl die ungewöhnlichste Höhle, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Bei genauerem Hinsehen bemerke ich auch, dass sich die Bäume ehrfürchtig von mir weg bewegten. Die wollten bestimmt Platz machen, damit ich besser durchkriechen kann.

Das Erstaunlichste in der Höhle war, dass ich verschiedene Düfte wahrnahm. Es duftete ganz toll, unbeschreiblich toll. Am Schönsten waren die Düfte bei den Bäumen mit rosa Rinde. Da ich bis jetzt noch keine Bäume mit rosa Rinde gesehen hatte, wollte ich der Sache auf den Grund gehen, denn ich bin ja bei der Bundespolizei und das Ermitteln liegt mir im Blut! Ich nahm die Witterung auf und kroch auf zwei dieser Bäume zu. Als ich näher kam, rückten die Bäume zusammen und versperrten mir den Weg. Ich kroch zu den nächsten Bäumen. Hier duftete es ebenso herrlich. Aber wie sollte es wohl sein bei meinem „Glück“, auch diese Bäume rückten zusammen! Ich wollte mir das nicht gefallen lassen und versuchte die Bäume auseinanderzudrücken, als plötzlich hinter mir ein mächtiger Bär auftauchte. Der Bär packte mein Bein und wollte mich aus der Höhle zerren! Da half nur eine Drehung auf den Rücken. Dann nahm ich mein anderes Bein zu Hilfe und trat zu. Der Bär fiel um. „Das ging aber leicht. Wusste gar nicht, dass Bären so schnell umfallen! Schade, dass die Gäste meine mutige Aktion nicht gesehen haben. Meine Heidi wäre bestimmt stolz auf mich gewesen!“

Ich kroch weiter.

Da ich noch mehr betörend herrliche Düfte wahrnahm, war ich wieder voller Tatendrang und wollte weiter ermitteln. Plötzlich sah ich ein Rinnsal, nein es war ein kleines Bächlein. Das Wasser floss ganz langsam. Ich hatte Durst und nahm eine Probe und stellte fest, dass es so ähnlich wie das Osterwasser in der Kneipe schmeckte. Während ich vom Wasser trank, fragte ich mich: „Wie kommt wohl das Osterwasser hier in den Wald?“ Ich hatte keine Ahnung. Egal, ich trank weiter und dabei drohte das Rinnsal auszutrocknen. Ich beugte mich noch tiefer und versuchte den Rest des Wassers mit der Zunge aufzunehmen. Bei dem Geschmack konnte keiner widerstehen. Ich schlürfte weiter, bis nichts mehr da war.

Nun hob ich den Kopf und sah eine wunderbare Blumenwiese. Es waren die schönsten Blumen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. „Das ist ja prima! Da kann ich gleich einen Blumenstrauß für die Frau pflücken! Heidi wird sich bestimmt freuen!“ Ich griff nach der ersten Blüte und musste feststellen, dass die sich nicht so einfach pflücken ließ. Egal was ich auch machte, ich griff immer ins Leere. Ich fasste mit beiden Händen zu und es gelang mir tatsächlich ein paar Blumen zu greifen. Aber die Blumen ließen sich nicht pflücken. Sie glitten mir immer wieder aus den Händen. Ich war verzweifelt und gab mein Vorhaben auf.

Ich kroch weiter.

Am Ende der Höhle sah ich den Hasen wieder. „Gott sei Dank! Du lebst!“ Wieso soll der denn nicht mehr leben? Der ist doch hier zu Hause und fühlt sich somit auch wohl.

Aber wie das Leben so spielt, verschwand der Hase wieder im Dunkeln! Nun kam doch wieder die Angst um den Hasen hoch! Nach kurzer Überlegung, schlüpfte ich hinterher und bemerkte zwei schwarze Bäume. Die sahen alt und knorrig aus und versperrten mir den Weg. Ich hatte die „Schnauze“ voll und griff nach den Bäumen, riss sie auseinander und wollte durch! Es roch ekelhaft und der Baum schrie auf.

Ich wurde wieder angegriffen.

Es war wieder der Bär. Der zerrte mich mit aller Kraft aus der Höhle und wieder kam es zum Kampf, Mann gegen Bär. Mein Adrenalinspiegel stieg ins Unerträgliche. Ich wurde immer wütender, ballte die Faust und schlug zu. Ein zweiter Bär griff nun auch noch an und ich holte zu einem Rundschlag aus.

Dazu kam es nicht mehr. Ich spürte einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf und mir wurde schwarz vor Augen.

Am nächsten Morgen

Als ich wieder zu mir kam, brummte mir der Schädel und es hämmerte und hämmerte.

Ich machte ganz langsam die Augen auf und sah einen grünen Busch. Den Busch kannte ich. Ich wollte mich aufrichten und stützte mich auf einen viereckigen Gegenstand. Dieser Gegenstand hatte sogar einen Griff. Als ich mich aufgerichtet hatte, stellte ich fest, dass es mein alter Koffer war, der neben mir lag. „Das gibt’s doch nicht, wie kommt denn der Koffer hier her?“ Ich drehte mich um und sah, dass ich vor meiner Haustür stand. Ich wollte hinein und suchte nach dem Schlüssel. Leider fand ich den Schlüssel nicht und ich musste klingeln. Hoffentlich hatte ich den Schlüssel nicht verloren. Heidi machte auf und schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Sie war wütend.

„Schatz, warum bist du wütend? So kenne ich dich ja gar nicht?“

„Halt ja dein Maul und sprich mich nie wieder an!!! Du warst gestern Abend total besoffen und hast dich wie ein alter Ochse benommen! Erst bist du hinter einer dämlichen Katze hergerannt, dann hast du den Kellner umgehauen, bist anschließend unter den Tisch gekrochen und wolltest der Frauen zwischen die Beine grapschen! Dann hast du das verschüttete Bier vom Fußboden aufgeleckt und bist weiter zur Oma! Als du ihr auch noch unter den Rock kriechen wolltest, hat es uns gereicht und wir haben dich unterm Tisch vorgezogen! Dann wolltest du dich auch noch mit uns prügeln und schlugst um dich! Da habe ich eine große Bratpfanne aus der Küche geholt und sie dir auf den Kopf gedroschen! Danach war endlich Ruhe! Die Gäste waren alle entsetzt, die Stimmung im Keller und alle wollten nur noch nach Hause!“

„Also, nimm deinen Koffer und sieh zu, dass du von uns verschwindest! Hier kommst du auf keinen Fall mehr rein! Den Haustürschlüssel hast du übrigens auch nicht mehr!“

Die Tür knallte zu.

Ich stand wie versteinert da und konnte nichts mehr sagen, konnte das einfach nicht begreifen. Somit galt der Blick dem Koffer. Ich schüttelte noch mal mit dem Kopf und ging. Auf der Straße stand ausgerechnet ein Junge, der mir weitläufig bekannt war.

„Guten Morgen, Herr Glaubmirnix, fahren Sie in den Urlaub?“

„Na ja, so kann man das auch nennen.“

„Nehmen Sie Ihre Frau und die Kinder nicht mit?“

„Nein, ich nehme sie nicht mit.“

„Na dann werden die aber traurig sein!“

„Ja, werden sie!“, ich wollte nicht mehr antworten und ging zügig weiter. Bei jedem Schritt dröhnte der Kopf.

„Was ist denn gestern Abend nur schief gelaufen?“ Ich zählte in Gedanken meine Getränke zusammen: „Hab doch nur 1, 2, 3, 4, 5, 6 Bier getrunken und 1, 2, 3, … 6, 7, … 10, … 14, 15, … 21, 22, 23, 24, … 28 Schnaps (Osterwasser)! Daran kann es nicht gelegen haben! Es kann nur so gewesen sein: Einer von den 28 Schnäpsen war schlecht!“

Zwei Wochen später

Ich ging gemütlich durch die Stadt und sah an der Straßenecke auf Höhe der Bushaltestelle die „Alte Gräfin“. Ich sah, wie sie den Straßenverkehr beobachtete und dachte mir dabei: „Die will bestimmt über die Straße und traut sich nicht! Das ist meine ultimative Chance alles wieder gut zu machen!“ Ich fasste allen Mut zusammen und ging hin, legte eine freundliche Miene auf und sprach mit einschmeichelnder Stimme: „Guten Tag, liebe Oma, kann ich dir irgendwie helfen?“ Die „Alte Schachtel, nein Gräfin“, schaute mich mit einem verächtlichen Blick an und es kam so, wie es kommen sollte. Sie schimpfte und fluchte in den lautesten Tönen. Ich verstand nur noch Worte wie: „Selten dämliches Rindvieh, dusseliger Hammel, dummes Kamel!“, und so weiter.

„Ich will doch nur um Verzeihung bitten!“

„Da gibt es nichts zu verzeihen!!!“

Und es wurde noch ein Versuch gestartet. „Du willst doch bestimmt über die Straße? Komm, ich helfe dir!“ Ich nahm sie am Arm und wollte mit ihr loslaufen und das nächste Gewitter stürzte auf mich ein. „Beruhige dich doch, ich meine es doch nur gut mit dir!“ Ich überlegte und mir fiel die Werbung im Fernseher ein, wo ein junger Mann eine alte Frau gegen ihren Willen über die Straße brachte und sie dadurch ihren Bus verpasste.

„Aha, die „Gräfin“, will nicht über die Straße, die will mit dem Bus mit!“ Im gleichen Augenblick näherte sich auch schon der Stadtbus. Er fuhr an die Haltestelle, hielt an und öffnete die Türen. Das war meine allerletzte Chance alles wieder gut zu machen, denn die hatte hundertprozentig auf den Bus gewartet. Weshalb sollte sie sonst hier an der Bushaltestelle stehen? Ich nahm sie wieder am Arm und das Gewitter ging wieder los. Ich ignorierte die Schimpferei, führte sie zum Bus und schob sie rein. Der Fahrer machte gleich große Augen. Ich erklärte ihm, dass wir uns nur ein wenig gestritten hätten und sonst alles in Ordnung sei. Der Bus schloss die Türen und fuhr los.

„Gott sei Dank!“

Hinter mir ging die Tür von der Apotheke auf und meine „Fast-Ex“, stand vor mir! „Ach du große Scheiße!“

„Hast du meine Großmutter gesehen? Die wollte hier auf mich warten!“

Ich war sprachlos.

Sie wieder: „Du sprichst wohl nicht mehr mit mir?“

Ich immer noch sprachlos.

„Jetzt zum zweiten Mal! Hast du meine Großmutter gesehen?“

„Warum soll ich mit dir sprechen, hab kein Interesse an einem Gespräch mit dir!“

Jetzt wurde Heidi freundlicher (aber nur weil sie verzweifelt war).

„Bitte, hast du nun meine Großmutter gesehen oder nicht?“

„Ja!“, sagte ich und erzählte weiter: „Die ist gerade in den Bus eingestiegen“, und zeigte in die Richtung, in der der Bus noch zu sehen war.

„Was? Wo ist die? Im Bus? Wie kommt die in den Bus?“

„Ich dachte, die will mit dem Bus mit und hab’ ihr reingeholfen!“

Ich möchte jetzt nicht wiederholen, was sie mir noch alles an den Kopf geschmettert hat und sie rannte hinterher.

Ich sagte noch: „Ich bin hier, wenn du Hilfe brauchst!“, glaube aber, dass sie das nicht mehr gehört hat.

Vier Tage später

Es war der gleiche Ort und die gleiche Zeit. Ich war mit meinen neuen Kumpels zusammen und trank gemütlich mein Bierchen!

Meine „Fast-Ex“ kam aus der Apotheke und sah mich an: „Guten Tag, Erich!“

Ich war ganz schön erstaunt und grüßte zurück, hielt aber dabei meine Flache Bier hinter meinem Rücken versteckt, in der Hoffnung, dass sie diese noch nicht gesehen hatte.

„Du“, sagte sie, „trinkst wohl schon am helllichten Tage? Und das mit diesen Pennern da?“

Mist, sie hatte die Flasche doch gesehen!

„Sei jetzt ganz einfach ruhig, ich will hier keine Ausreden hören! Ich will dir was sagen! – Du sollst nach Hause kommen, deine Kinder vermissen dich!“

Ich war sprachlos.

„Meine Oma ist dir auch nicht mehr böse, denn sie hat im Bus eine alte Freundin aus Kindheitstagen wiedergetroffen. Die besuchen sich jetzt fast jeden Tag und sind glücklich, denn sie können nun ungestört über ihre alten Zeiten schwatzen.“

„Aha!“, ich denke mir: „Das hab ich also der „Alten Gräfin“ zu verdanken, dass meine „Fast-Ex“ hier ist. Die hat doch überall die Pfoten im Spiel und zieht gerne die Fäden in der Familie!“ Dennoch freute ich mich auf mein Zuhause. Aber das wollte ich ihr noch nicht sagen.

„Und gucke dich mal an, wie du aussiehst! Total dreckig! Du kannst bei mir duschen und dich umziehen! Zum Mittagessen gibt es Roulade mit Rotkohl!“

Nun war ich mir sicher, dass alles wieder in Ordnung kommt. Mir fiel das Sprichwort ein:

„Es gibt Tage im Leben, da scheint ganz einfach die Sonne! Der heutige Tag gehört dazu!“

Aber ich sagte zu Heidi: „Ich brauch deine Dusche nicht, ich nehme hier die Freiluftdusche und wenn ich mich dann neu eingekleidet habe, kann ich ja mal vorbeikommen!“

Eine Frage hatte Heidi noch: „Was hattest du unter dem Rock von der fetten Gertrud zu suchen? Die hatte doch so ein komisches Kostüm mit quietsche bunten Blumen an?“

Mir fiel sofort die Blumenwiese ein, ich sagte aber: „Ich kann mich an nichts erinnern!“

Mir wurde es Übel bei dem Gedanken: Ich und unter dem Rock der fetten Gertrud! Nein!

„Ja Erich!“, sagte Leo: „Das ist im ewigen Kampf der Geschlechter eindeutig ein Sieg für deine Frau!“

„Leo, sei ja ruhig! Erzähl mir nicht, dass du in deinem Leben noch nicht besoffen warst! Denn das könntest du nur deiner Großmutter erzählen und nicht mir!“

„Können wir nicht das Thema wechseln?“, versuchte Leo von sich abzulenken, denn Erich wusste ganz genau, dass auch Leo gern mal zu tief ins Bierglas schaut.

„Na gut, wechseln wir das Thema und unterhalten uns über deine Operation.“

Der Leistenbruch

Bevor Leo anfing zu erzählen, schauten beide noch mal über den Tatort und stellten fest, dass sich nichts geändert hatte.

„Kaffee gefällig? Ich hab noch welchen in der Thermoskanne!“

„Nee, lass mal, hab keinen Durst mehr!“

„Leo, ich hab’s nur gut gemeint!“

Erich nahm trotzdem die Thermoskanne, schenkte sich ein, um beim Zuhören genüsslich seinen Kaffee zu schlürfen. Er hatte dabei auch langsam das Gefühl, als wolle er zu der fortgeschrittenen Stunde langsam müde werden. In so einer Situation kann ein Kaffee schon mal kleine Wunder bewirken. Immerhin sollten ja nebenbei die Kabeldiebe gefasst werden.

„Los Leo! Erzähl schon!“

„Ich hatte einen Leistenbruch und bin ins Krankenhaus. Dann wurde ich operiert und bin wieder raus!“

„Ha, ha! Das war nur die Kurzfassung! Du hast es mir versprochen!“

„Na gut! Es war doch ein bisschen mehr. Aber das will ich dir gleich sagen, so was Spektakuläres wie bei dir ist da nicht passiert!

Ich war pünktlich um 07 : 30 Uhr im Krankenhaus und meldete mich bei der „Information“. Hier schickte man mich gleich weiter zur Notfallambulanz: „Gehen Sie immer den Flur lang! Am Ende geht’s nach links und wenn Sie dann vor einer geschlossenen Tür stehen, klingeln Sie!“

„Hurra, ich bin der Erste!“ Mit dem Gedanken stand ich vor der beschriebenen Tür und die Schwester öffnete mit einem freundlichen „Guten Morgen!“. Ich trat ein und begrüßte die Schwester ebenfalls mit einen freundlichen „Guten Morgen!“. Im angrenzenden Büro nahm ich erst mal Platz und der Papierkrieg hätte beginnen können. Nun klingelte laufend das Telefon und ständig wollte einer was von der diensthabenden Schwester. Sie schien gleich am frühen Morgen überlastet zu sein. Ich beobachtete sie eine Weile und war erstaunt, wie sie den Stress mit einer Seelenruhe bewältigte und dabei ihr Lächeln nicht verlor. Vor so einer Frau konnte man nur den Hut ziehen, denn mein Nervenkostüm wäre wahrscheinlich schon lange zusammengebrochen. Ich wollte fertig werden und in mein Zimmer und es klingelte wieder. Dieses Mal an der Tür.

„Schwesterchen! Sie kümmern sich um den Papierkrieg und ich geh zur Tür!“

Der misstrauische Blick und das „Nein, ich mach das schon!“, konnten mich nicht aufhalten. An der Tür stand ein junger Mann: „Ich hab hier eine Einweisung!“

Ich öffnete die Tür: „Zeigen Sie mir bitte mal die Einweisung!“ Ich wusste nicht, ob meine Handlung richtig war, aber als Polizeibeamter schaut man schon mal genauer hin. Ein kurzer Blick auf das Dokument verriet die Richtigkeit. „Kommen Sie bitte mit! Setzten Sie sich hier auf den Stuhl! Seien Sie bitte ruhig und warten Sie hier, bis Sie dran sind!“

Kurz darauf klingelte es schon wieder und die Prozedur wiederholte sich. Auch er wurde von mir platziert. Dann war endlich der Papierkrieg vorbei und das Schwesterchen sagte: „Ich bedanke mich bei Ihnen. Ich hätte es nicht besser machen können!“

Als ich das Zimmer betrat, lag da schon ein anderer Patient. „Kein Problem!“, dachte ich. Es ist ja nur für eine Nacht und ich bin dann wieder weg. Der Kleiderschrank wurde eingeräumt und dann war das Bett mein nächstes Ziel. Hier erwartete ich die Operation.

Es dauerte nicht lange und die Tür ging auf.

„Guten Morgen! Sind Sie der Herr Löwinger?“

„Ja, der bin ich!“

„Ich bin Schwester Carola! Machen Sie mal einen Arm frei, ich will bei ihnen den Blutdruck messen!“

„Oho! 168 zu 95! Ganz schön hoch!“

Ich konnte mir den dummen Spruch nicht verkneifen: „Das ist ja auch kein Wunder, wenn nur attraktive Schwestern hier reinkommen, da geht halt der Blutdruck in die Höhe! Bis eben war der Blutdruck noch ganz normal!“

Frage der Schwester: „Nehmen Sie Blutdrucktabletten?“

„Ja!“

Nun lächelte die Schwester und ich bekam prompt eine Antwort auf meine Anspielung: „Na dann ist ja alles klar, Herr Löwinger! Ab sofort schicke ich meine Kollegin rein, die ist 64. Da bleibt Ihr Blutdruck unten.“

„Neeeee, lieber nicht!“

„Und weil wir gerade beim Blutdruck sind. Ich brauch noch welches von ihnen.“ Die Schwester zwinkerte mit den Augen und holte so was wie eine Spritze raus.

„Ich hab dabei nur eine Bitte: Lassen Sie noch ein bisschen Blut für die Operation übrig! Sonst hat der Doktor nichts mehr zu tun an mir.“

„Da können Sie ganz beruhigt sein“, sagte sie und holte ein Röhrchen nach dem anderen raus und füllte sie mit meinem Lebenssaft.

„Oh, vier Ampullen mit Blut? Ist aber ’ne ganze Menge, mein Schwesterchen?“

„Keine Angst! Als weiteren Höhepunkt habe ich hier noch eine schöne Thrombose-Spritze! Und zum Schluss, müssen Sie sich noch ausziehen! Hier haben Sie ein Operationshemd und diese Thrombose-Strümpfe müssen auch angezogen werden! Ich gehe solange raus.“

Die Schwester verschwand wieder. Aber wenn du denkst, dass das alles war, haste dich gewaltig geirrt.

Die Schwester kam wieder rein. „Gott sei Dank!“, nicht die Vierundsechzigjährige. Dieses Mal mit einem Tuch und einem Nassrasierer.

„Legen Sie sich flach hin!“

Ich tat wie befohlen und Schwester Carola nahm das Hemd hoch und die ganze Männlichkeit lag frei. „Keine Angst, ich rasiere Sie nur!“, und die Klinge machte ihre Arbeit. Es kann nur der Schreck gewesen sein, der die Situation für mich rettete. Ich sah die Schwester an, sie war ja wirklich attraktiv. Normalerweise würde in so einer Situation bei mir alles überkochen. Aber im Moment tat sich nichts. Ich bin mir sicher, dass sie im Anschluss meine Schweißperlen auf der Stirn gesehen hat.

So ist das nun mal im Krankenhaus: „Was für den einen der blanke Horror ist. Ist für den anderen nur Routine, weiter nichts.“

Dann ging die Tür wieder auf, und ich wurde in den Operationsaal geschoben.

Als ich wieder zu mir kam, war ich schon auf dem Weg in mein Zimmer. Dass der Fernseher lief, störte mich nicht im Geringsten. Ich war eh noch schläfrig. Dann hörte ich im Unterbewusstsein ein gleichmäßiges Stöhnen. Da es kein Ende fand, öffnete ich die Augen und sah bei meinem Zimmergenossen eine Ärztin, zusammen mit der Schwester Carola. Kurz darauf hörte das Stöhnen auf.

„Und wie geht es Ihnen?“, wurde ich im Anschluss von jener Ärztin angesprochen.

„Mir ist übel! Ich glaub, ich muss brechen!“

„Kein Problem, hier ist ein Eimer!“

Schwester Carola griff gleich zu und reichte ihn mir. Ich erholte mich, aber ohne zu erbrechen. Nun kam es zu einem Gespräch mit dem Bettnachbarn. Der erzählte nur von seiner Krankheit und das bis ins kleinste Detail. Ich konnte und wollte es mir nicht anhören, aber ich kam nicht drumherum. Weil das so schrecklich war, will ich es dir nicht zumuten. Deshalb reicht es, wenn ich dir sage, dass er eine offene Wunde am Bauch hatte und er bekam regelmäßig Spritzen gegen seine Schmerzen. Diese hielten zwei Stunden und danach kam das gleichmäßige Stöhnen zurück. Da kannst du dir ja vorstellen, was das für eine Nacht war. Selber Schmerzen, ständig ging das Licht an, die Nachtschwester kam rein, verabreichte ihm eine Spritze und das Licht ging wieder aus. Danach war kurzzeitig Ruhe und wenn du denkst, dass du einschlafen könntest, war das Stöhnen wieder da. Dann ging wieder das Licht an, die Nachtschwester kam rein und alles ging wieder von vorne los. Aber irgendwann wurde es hell und es konnte nicht mehr lange dauern und die schreckliche Nacht war vorbei.

„Guten Morgen, Herr Löwinger!“

„Guten Morgen, Schwesterchen!“

Endlich war Schichtwechsel und die Tagschicht war wieder da. Die Freude war groß, weil Schwester Carola wieder Dienst hatte.

„Na, wie war die Nacht?“

„Schwesterchen, fragen Sie lieber nicht. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zu gemacht!“

„So schlimm?“

„Bin total kaputt!“, und schaute rüber zu meinem Zimmergenossen. Der schien endlich zu schlafen.

„Alles klar! Ich werde Sie jetzt aufmuntern und das geht gleich mit einer Thrombose-Spritze los! Wohin, wenn ich fragen darf?“

„Wo Platz ist, immer rein damit!“

„Also ins Bein“, und Carola stach zu.

Es dauerte dann auch nicht mehr lange und ich wurde aus dem Bett geschmissen, denn die Betten wurden frisch bezogen. Kurz darauf gab es Frühstück. Glaub mir, es war ein armseliges Frühstück. Maximal was für meine Zahnlücke. Egal, ich ließ es mir schmecken.

Ich war noch nicht richtig fertig, da kam Carola wieder rein: „Herr Löwinger, ich brauch noch mal Blut von Ihnen. Anordnung vom Chef!“

Ich machte wie immer meinen linken „Blutabnehme-Arm“ frei und sagte: „Bedienen Sie sich!“

Die Nadel fuhr wieder rein, verfehlte aber meine Ader.

„Verdammt, da kommt nix!“

„Schwesterchen, sie können ja fluchen? Hätte ich nicht gedacht!“

„Bringen Sie mich jetzt nicht durcheinander, ich muss mich konzentrieren!“

„Immer noch kein Blut? Nehmen Sie doch den anderen Arm!“

Aber nein, die Schwestern sind in dieser Hinsicht stur. Einmal gestochen und das Blut muss fließen, egal wie.

„Schwesterchen, ich hab eine Alternative! Legen Sie mich bitte noch mal an den Tropf und verabreichen Sie mir frisches Blut. Am besten vertrage ich das Blut in Form von Rotwein! Ich nehme auch gleich zwei Flaschen. Der sieht nämlich genauso aus wie Blut und Sie brauchen keine Blutgruppe zu beachten!“

„Hören Sie auf! Ich kann vor lauter Lachen kein Blut nehmen!“

Nach einer kurzen Pause wurde ein zweiter Versuch gestartet und siehe da, das Blut strömte. „Na sehen Sie, Herr Löwinger! Der Arzt hat doch noch ein bisschen Blut in Ihnen gelassen.“

„Ist auch gut so, sonst hätte ich auf den zwei Flaschen Rotwein bestanden!“

Bei der nachfolgenden Visite durch den Chefarzt wurde festgelegt, dass ich nach Hause darf und mein Zimmernachbar sollte auf die Intensivstation. Ich wünschte ihm alles Glück der Erde. Er konnte es gebrauchen. Nun war die Zeit gekommen und ich musste mich selber wieder anziehen. Am rechten Unterarm sah ich dabei vier Kratzer. Länge der Kratzer circa zehn bis zwanzig Zentimeter. Der Abstand zwischen den einzelnen Spuren verriet mir, dass es Fingernägel gewesen sein mussten. Wer hat solche Fingernägel? Richtig, Frauen! Mein bestes Stück hatte auch gelitten. Es war ein einziger Bluterguss. Der sah wirklich so aus, als wenn man ihn extrem lang gezogen, einen Knoten rein gewürgt und im Anschluss straff zugezogen hätte. „Was war da auf dem Operationstisch passiert?“ Das wird wohl für mich ein ewiges Geheimnis bleiben.

Als ich gegen Mittag entlassen wurde, gab ich den Schwestern zum Abschied noch zehn Euro in ihre Kaffeekasse und bedankte mich für ihre Freundlichkeit.

„Sie dürfen zu jeder Zeit wiederkommen!“

„Lieber nicht!“, war meine Antwort.

„Haste noch Fragen, Erich?“

„Ich hab noch einen Tipp für dich. Solltest du mal einen Leistenbruch haben, geh so schnell wie möglich hin und lass dich operieren. Warte nicht so lange wie ich, denn ich hatte auf der rechten Seite einen doppelten Leistenbruch und auf der linken Seite war es der Beginn eines Leistenbruchs.“

Unwillkürlich fasste sich Erich an seine Leisten und hoffte, dass sie ewig halten.

„So und nun bin ich wieder dran: Es war Sommer und ich machte Urlaub an der Ostsee. Ich hatte ein schönes Hotel am Strand gebucht und bin gleich im Morgengrauen des nächsten Tages aufgestanden, um den Sonnenaufgang über dem Meer zu erleben. Das Rauschen der Wellen war wie Musik in meinen Ohren und die einzige Unterbrechung dabei waren die Möwen, wenn sie ihr morgendliches Konzert dazu gaben. Aber die Schreie der Möwen harmonierten irgendwie mit dem Rauschen der Wellen …!“

Erich schaute rüber zu Leo. Er wollte fragen, ob er auch schon mal an der Ostsee war. Da merkte er, dass Leo nicht mehr reagierte. Er war eingeschlafen. Hier sieht man die vielen Jahre Nachtschicht! Es dauerte nicht mehr lange und Erichs Augenlider fingen auch an zu flimmern …

Erich schreckte hoch und war putzmunter, als er ein bekanntes Geräusch hörte, und sah sofort auf die Wiese. Hier landete gerade der „Fliegende Teppich“. Eine Gruppe von schätzungsweise zwölf Personen stieg ab und entfernte sich in Richtung Waldrand. Dort blieben alle noch mal stehen. Der Anführer schien noch irgendwelche Anweisungen zu geben, denn er zeigte mit seinem Arm in die verschiedensten Richtungen.

„Das ist meine Chance!“

Erich rempelte seinen Kumpel an, startete das Auto und fuhr los. Leo schreckte hoch und fragte nach, was denn los sei. Erich zeigte mit dem Finger auf den Teppich und fuhr genau drauf zu.

„Was soll denn das schon wieder? Das ist doch nur ein alter Teppich, was willst du denn damit?“

„Das ist der fliegende Teppich!“

„So ein Quatsch! Halte sofort das Auto an! Du hast wohl schlecht geträumt! Das du das nicht begreifst! Es gibt keine fliegenden Teppiche! Und außerdem hätte ich das sehen müssen, denn ich war die ganze Zeit über putzmunter!“

Erich ließ sich nicht beirren und fuhr weiter. Seine Aktion blieb auch auf der Gegenseite nicht unbemerkt. Die agierende Person drehte sich um, sah das fahrende Auto und stürmte los. Er rannte, als ginge es um sein Leben, zurück zum Teppich und der Rest von der Gruppe verschwand im Wald.

Erich gab Gas und schaltete hoch. Der Mann rannte immer schneller und wollte unbedingt zuerst am Teppich sein. Leo hatte die Augen weit aufgerissen und der Mund stand weit offen.

Da Erich unbedingt verhindern wollte, dass der Teppich wieder wegflog, wollte er mit dem Auto auf den Teppich drauffahren und dann anhalten! Der Gedanke war gut und der Wagen gleich da! Das Vorderrad war schon auf dem Teppich, als Erich anfing zu bremsen. Doch plötzlich gab es einen lauten Knall und das Auto kam ruckartig zum Stehen. Beide Airbags flogen ihnen um die Ohren, die Motorhaube war aufgesprungen und total verbeult!

Mit den Worten: „Das gibt’s doch nicht, was haste denn nun wieder gemacht?“, wurde Erich angefaucht! „Gucke mal da, das ganze Auto ist kaputt!“

„Begreife ich nicht, war doch nichts auf dem Teppich!“, gab Erich kleinlaut zurück und war schockiert.

Zwischenzeitlich kam auch der andere zum Auto und schaute genauso entsetzt wie Erich.

Jetzt half nur noch eins: „Raus aus dem Auto!“ Erich öffnete die Tür und der Fremde brüllte ihn gleich an: „Du haben kaputt alles gemacht! Ich nix mehr kann fliegen! Das dich kosten viel Geld, sehr viel Geld und noch mehr! Jedes Fluggast zahlen 5000 Euro! Geld jetzt fehlen! Haben du mich verstanden? Mussen du jetzt alles zahlen, ganz schnell, sonst ich dich hauen in Gesicht bis du seien tot!“ Dabei ballte er die Faust.

Auf der einen Seite stand Leo und machte ihm Vorwürfe wegen dem kaputten Auto und auf der anderen Seite stand der Fremde und schimpfte im gebrochenen Deutsch wie ein Rohrspatz. Die Situation drohte zu eskalieren. Leo hatte die Situation immer noch nicht so richtig geschnallt. Der Fremde, der die beiden nicht als Polizeibeamte erkannte, da sie in Zivil waren, fluchte weiter und stellte Forderungen: „Gib Geld, sonst kommen zwanzig Männer und hauen tot dich!“ Er zeigte in Richtung des Waldrandes.

Die Situation musste gemeistert werden!

Erich holte seinen Dienstausweis raus, griff sicherheitshalber zur Waffe und rief: „Bundespolizei! Jetzt ist hier Ruhe!“ Der Mann beruhigte sich tatsächlich ein bisschen, war aber immer noch aggressiv.

„Ihren Personalausweis, bitte! Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich kooperativ verhalten!“

„Ausweis ich nix habe und du nix Polizei! Du haben kein Uniform, Polizei immer Uniform! Du machen kaputtes Auto weg und ich nehmen Teppich und gehen zu Wald!“

Es hatte keinen Zweck, es musste gehandelt werden: „Sie schleusen die Menschen illegal nach Deutschland! Sie nutzen ihre Notlage aus und bereichern sich an ihnen! Sie sind vorläufig festgenommen!“

Leo, der sich zwischenzeitlich von seinem Schock erholt hatte, griff nach seinen Handschellen, als unvermittelt mehrere Blitze durch den Nachthimmel zuckten und der Teppich hell aufleuchtete. Es folgte ein Knistern und Knacken. Und Leo schrie: „Deckung, das Auto explodiert!“ Das Auto explodierte nicht, aber auf dem Teppich wurde eine große Maschine sichtbar. Nachdem Erich den zweiten Schock überwunden hatte, wurde seine Neugier geweckt und er schaute wieder hin. Wie sollte Erich das beschreiben? Es war ein großer metallener Kasten. Der war total verkabelt und überall waren mit weißer Farbe nicht lesbare Schriftzeichen aufgepinselt. Am oberen Ende der Maschine befanden sich mehrere Hebel und Knöpfe. Das war die Erklärung für die gehobenen Arme des Mannes beim Fliegen. Der hatte ganz einfach eine Maschine bedient. Rechts daneben befand sich eine große Spule.

„Ich bin ja kein Techniker, aber ich kann mir schon vorstellen, dass man mit der Spule so eine Art Magnetfeld erzeugen kann, mit dem der Teppich vom Boden abhebt.“

Seine Gedanken gingen weiter, denn es musste noch ein Magnetfeld geben, welches die Maschine unsichtbar machte und bei dem Zusammenprall kollabiert ist. Erich ging einmal um das Gerät herum und fand ein Schild: „Made in China.“ Natürlich, … aus China, woher denn sonst? Erich wollte mehr erfahren und wandte sich wieder an den Fremden. Dieser saß zwischenzeitlich mit Handschellen auf dem Rücksitz des kaputten Polizeiautos und schaute mit eiserner Mine dem Erich in die Augen. Erich fragte: „Was sind Sie denn eigentlich? Sind Sie ein Teppichführer? Oder ein Teppichflieger? Oder sind Sie ganz und gar ein Teppichkapitän? Oder nur ein Überflieger?“

Prompt kam die Antwort: „Ich nix verstehen!“

„Warum schleusen Sie illegal Menschen nach Deutschland?“

„Ich nix verstehen!“, kam zum zweiten Mal die Antwort.

„Was mich am meisten interessiert ist: Wie viel Geld verdienen Sie bei so einer Schleusung?“

„Ich nix verstehen!“

„Naja, jetzt versteht der kein Deutsch mehr, macht nix, kriegen wir halt später raus!“

Erich schaute wieder zur Maschine und entdecke nun auch noch eine längliche Blechkiste. Dem Anschein nach diente sie als Sitzbank. Die Neugierde war wieder geweckt. Erich ging hin und hob den Deckel an und seine Augen fingen an zu leuchten. Hocherfreut rief er zu Leo rüber: „Ich glaub, wir haben den Buntmetalldieb. Hier hab ich allerhand Schneidwerkzeug und Kupferkabel gefunden. Da kriegt der Ermittlungsdienst nun doch allerhand zu tun.“ Und dann schoss dem Erich ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: „Wie bringe ich das meinem Chef bei? Verdammt! Das glaubt mir doch keiner!“

Für Erich war es dennoch ein Sieg auf der ganzen Linie. Allerdings mit einem bitteren Beigeschmack.

Einige Monate später war in der Zeitung folgender Beitrag zu lesen:

Die Bundeswehr hat eine vollkommen neue und zukunftsweisende Antriebstechnik für Flugzeuge entwickelt. Ein Sprecher der Bundeswehr sagte gegenüber unserer Zeitung: „Wir sind jetzt in der Lage, Leichtflugzeuge mit einem Magnetfeld fliegen zu lassen. Weiterhin beherrschen unsere Ingenieure eine Technik, mit der wir diese Flugzeuge für feindliche Einheiten unsichtbar machen. Auf Deutsch gesagt, wir setzen dem Flugzeug eine Tarnkappe auf und in Zukunft werden wir in der Lage sein, Jagdflugzeuge damit auszurüsten. Da diese Technologie der Geheimhaltung unterliegt, möchten wir hierzu keine weiteren Informationen bekanntgeben.“

Erich Glaubmirnix

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