Читать книгу Erich Glaubmirnix - Gregor Kastner - Страница 8
AUF DER UHLENBURG
ОглавлениеWer kennt ihn nicht, diesen berühmten Satz, den jeder gerne hört und der manchmal wie ein Schlachtruf klingt?
„Hurra, endlich Wochenende!“
Genau mit diesem Satz verabschiedete sich Erich von seinen Kollegen, die genau wie er die Dienststelle im Laufschritt verließen. Die letzte Schicht war mal wieder chaotisch und er wollte nicht mehr drüber nachdenken. Am Auto drehte er sich noch mal um, sah zurück und sagte zu sich selbst: „Am Montag bin ich wieder da, leider!“
Zu Hause zog Erich seine Uniform aus und kam bei einer Tasse Kaffee langsam zur Ruhe.
Die Ruhe war aber nur von kurzer Dauer, denn die Kinder stürmten rein und schrien: „Papa, Papa, wir wollen auf die Uhlenburg!“ Der Blick wanderte von der Kaffeetasse zu den Kindern und weiter zur Frau. Heidi nickte und antwortete: „Das ist doch eine tolle Idee! Da wollte ich schon immer mal hin!“
„Also gut, am Sonntag geht’s zur Uhlenburg! Und lasst mich jetzt in Ruhe Kaffee trinken!“
Bis es soweit war, wollten die Kinder nur noch Geschichten von starken Rittern, jungen Prinzen und schönen Prinzessinnen hören. Dabei durften auch böse Hexen und Drachen nicht fehlen. Und bei jeder neuen Geschichte rutschten sie mit ihrer Fantasie immer weiter ins Mittelalter.
Als es endlich so weit war und am Sonntag die Sonne aufging, waren die Kinder nicht mehr zu bremsen. Sie stürmten mit lautem Getöse ins Schlafzimmer und gaben nicht eher Ruhe, bis Erich und Heidi munter waren und sich aus dem Bett quälten.
Endlich da!
Die Strecke zur Burg war schnell mit dem Auto zurückgelegt und je näher sie kamen desto neugieriger wurden Kerstin und Wolfgang. Nicht nur das sie gutes Wetter hatten, nein sie hatten auch alle ein sonniges Gemüt. Nichts, aber auch gar nichts konnte ihnen den Spaß verderben. Auf dem Parkplatz unterhalb der Uhlenburg angekommen, schaute sich Erich erst mal um. Der Blick wanderte umher, bis er an der beeindruckenden Burg hängen blieb. Die hohen und wehrhaften Mauern sowie der stolze Turm flößten ihm einen gewissen Respekt ein.
„Lasst und gehen!“ Das brauchte Erich nicht zweimal zu sagen und die Kinder rannten los!
Der Aufstieg zur Burg war steil und zog sich ganz schön in die Länge. Die Kinder und Heidi waren außer Puste. Erich musste zugeben, dass es ihm nicht besser ging.
„Also mehr Dienstsport!?!“
Rechts neben dem großen Eingangstor war ein Hinweisschild angebracht mit einer historischen Ansicht von der Burg und daneben war wohl ein geschichtlicher Abriss zu lesen.
Erich wurde neugierig!
„Liebe Besucher …“
„Komm Vati, wir haben doch keine Zeit! Wir wollen in die Burg! Da steht doch nur, dass wir artig sein sollen und nichts kaputt machen dürfen.“
„Hast recht, Wolfgang. Lass uns gehen.“
Erich nahm seine Familie und marschierte durchs Tor und schon waren sie in der Vorburg.
In der beeindruckenden Vorburg befanden sich das Gesindehaus und die Vogtei. Bei dem Anblick wollte Erich erst mal das Wissen seiner Kinder überprüfen: „Also Wolfgang: Was ist eine Vogtei?“
„Vater, das kann ich dir ganz genau sagen! Im Mittelalter befanden sich hier die Verwaltung und das Gericht! Richtig?“
„Jep und heute gibt es hier Eintrittskarten und Souvenirs!“
„Na ja, so ändern sich halt die Zeiten.“
Nach einer zehnminütigen Wartezeit an der Kasse ging es zu den Souvenirs. „Jeder darf sich ein Teil aussuchen!“ Der Wolfgang suchte sich einen großen Ritter aus und die Kerstin eine Prinzessin. „Papa, schau mal! Das ist Rapunzel!“ Erich schaute sich die Puppe genauer an und staunte nicht schlecht, denn es war alles Handarbeit. Man sah, die fein gemalten Augen der Puppen und man sah ein tolles Kleid, welches perfekt an die Puppe angepasst worden war. „Eine wahnsinnig tolle Arbeit und das für so wenig Geld! So ihr Lieben nun geht es ab in die Hauptburg!“
Hier standen schon alle Besucher rum und warteten auf die Führung.
Erich war ein begeisterter Fotograf und wollte alles Mögliche fotografieren. „Stellt euch mal vor den Turm da, das gibt bestimmt ein schönes Bild!“
Postum meldete sich der kleine Wolfgang: „Vati, das ist kein Turm, das ist ein Bergfried! Hast du das in der Schule nicht gelernt?“
„Doch, hab ich!“
„Und wozu dient der?“
„Das ist ein Wachturm und man kann dort oben weit ins Feld schauen!“
„Noch mal Vati! Das ist kein Turm! Das ist ein Bergfried! Hier hat sich der Burgherr zurückgezogen, wenn die Burg belagert wurde und die Erstürmung durch den Feind drohte!“
„Diese neunmal klugen Kinder!“
Nun meldete sich die kleine Kerstin und wollte auch was dazu sagen: „Vati, hat da oben auch Rapunzel gewohnt?“
„Kerstin, das kann ich dir noch nicht sagen. Das Beste ist, wir schauen mal nach, wenn wir da drin sind.“
Wolfgang wieder: „Rapunzel gibt’s nur im Märchen! Du Dumme!“
„Nein Wolfgang! Das stimmt nicht! Rapunzel gibt’s doch und die wohnt bestimmt hier!“
„Nein, die gibt’s nicht!“
„Doch!“
„Nein!“
„Musst du deiner kleinen Schwester immer alles kaputt machen!?“
Und während die beiden weiter stritten, öffnete sich eine Tür zum Palas und die Führung sollte beginnen.
Die Kinder rannten los und Erich stand mit der Frau alleine vorm Turm, äh, ich meine dem Bergfried.
„Also, ein Foto ohne Kinder!“
Eine schwere Eichentür
Alle Gäste auf der Burg strömten in den Palas. Nur Erich nahm sich noch ein wenig Zeit, um noch ein paar schöne Fotos zu knipsen. Als alle drin waren, wurde es Zeit für Erich nachzukommen, denn er wollte auf gar keinen Fall den Anschluss verpassen. Mit schnellen Schritten marschierte er auf die Tür. Er hatte die Türschwelle noch nicht richtig betreten, da schlug die Eingangstür mit einem dumpfen Knall zu! Erich wurde regelrecht in den Raum geschleudert und prellte sich dabei die linke Schulter!
„Haben Sie sich wehgetan?“
Erich blickte auf und sah in das überaus freundliche und besorgte Gesicht der Touristenführerin.
Er hielt sich mit der rechten Hand die linke Schulter und sagte: „Nein, ist nicht so schlimm und tut auch nicht weh!“
„Das versteh ich nicht“, sagte die Führerin. „Die Tür ist noch nie ins Schloss gefallen! Das ist eine schwere Eichentür und muss mit viel Kraft bewegt werden. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“
„Na ja, ist schon gut.“ Erich griff zur Türklinke und wollte selbst noch mal die Tür testen. Er drückte die Klinke runter, aber die Tür bewegte sich nicht einen Millimeter. Er drückte mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen. Die Tür blieb zu.
„Die klemmt! Hier muss ein Tischler ran!“
„Ich kümmere mich, sobald die Führung vorbei ist“, sagte die Touristenführerin. „Wir wollen jetzt aber weiter, denn es gibt noch viel zu sehen hier auf der Uhlenburg.“
Jede Führung beginnt mit einer Begrüßung
„Guten Tag, meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Mein Name ist Nicole Sander. Sie können Nicole zu mir sagen. Ich werde Sie jetzt durch die Burg führen und Ihnen dabei viel Wissenswertes über die Uhlenburg erzählen. Also, der Grundstein für die Burg wurde im Jahre 1039 gelegt. Der Bau dieser Anlage dauerte bis zum Jahr 1057. Der Graf von Uhlen wohnte in der Zeit von …“
„Langweilig!“, rief Wolfgang.
„Sei still!“, wetterte Erich. „Man kriegt ja bei eurem Krach nichts mit!“
„Ja Wolfgang, sei still! Ich will was von Rapunzel hören!“, rief nun auch die kleine Kerstin dazwischen und der Streit war wieder voll im Gange. Erich blickte die Kinder böse an, bis sie sich beruhigt hatten. Leider war da die Begrüßung vorbei und die Gruppe schon im nächsten Raum. Heidi stand vorn in der ersten Reihe, lauschte den Erzählungen und bekam vom Streit der Kinder nichts mit.
Diana, Göttin der Jagd
Erich fotografierte noch die schwere Eichentür und ging als Letzter weiter. Als Erich auf der Schwelle zum Nachbarzimmer stand, knallte auch diese Tür zu und ließ sich nicht mehr öffnen. Die Tür traf wieder die linke Schulter. Der Schmerz ging durch Mark und Knochen. Erich biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien: „Alles Gut, nichts passiert!“
Nicole guckte nun doch ein bisschen besorgt zum Erich rüber, schüttelte dann leicht mit dem Kopf und setzte die Führung fort.
„Wir befinden uns hier im Jagdzimmer der Uhlenburg. Hier haben der Burgherr und seine Gäste oft nach erfolgreicher Jagd gespeist und bis zum nächsten Morgen gezecht.“ Erich schaute auf eine lange Tafel. Sie war mit Geschirr und Essbesteck eingedeckt. Zwanzig Stühle standen am Tisch und an jedem Platz war ein Trinkhorn. In der Mitte thronte ein großes Eichenfass. Heidi stand neben ihm als er zu sich sagte: „Da hätte ich auch gerne mal mitgefeiert.“
„Typisch Männer, immer nur das Saufen im Kopf!“
Verärgert über den Kommentar, ging Erich in eine Ecke und wollte den gedeckten Tisch mit dem Eichenfass fotografieren. Jetzt fiel ihm eine goldene, fast lebensgroße Figur auf. Es war eine hübsche Frau mit einem Bogen in der Hand. Augenblicklich war der Schmerz vergessen, denn seine Augen waren von der Schönheit regelrecht geblendet. Die Figur zog ihn magisch an. Er ging auf sie zu und entdeckte am Sockel den Namen: „Diana, Göttin der Jagd“. Der Blick wanderte von den Füßen über den ganzen Körper bis zum Kopf. Diese Figur ist einfach nur anmutig. Sie strahlte für Erich sogar eine gewisse Erotik aus. Die Körperhaltung – Wahnsinn! Wie sie den Bogen hält, einfach klasse! Die Figur war so toll bearbeitet, dass es so aussah, als wäre die Figur mit dem Bogen lebendig.
Erich war so von der Figur begeistert, dass er nicht merkte, wie Kerstin angerannt kam und Wolfgang hinterher flitzte. „Kerstin, ich sag’s nicht noch mal! Hier gibt es kein Rapunzel!“
„Vorsicht!“, konnte Erich noch rufen. Aber die Warnung kam leider zu spät. Kerstin wurde von Wolfgang geschubst und prallte genau gegen die Figur. Diana wackelte, knallte gegen die Wand und die Sehne vom Bogen löste sich aus der Hand und der goldene Pfeil schnellte los, genau in Erichs Richtung. Erich war so schockiert, dass er wie versteinert da stand! Der Pfeil schoss heran, streifte den linken Oberarm und flog weiter, bis er im Holz vom gegenüberstehenden Schrank stecken blieb.
Erich blickte zum Schrank, sah den Pfeil und blickte entsetzt wieder zur Figur. Sie stand am alten Platz, so als wäre nichts gewesen. Nur der Bogen war entspannt und der Pfeil fehlte. Die Kinder rannten sofort zur Mutter.
Erich schaute hilflos zu Heidi rüber. Die stand in der ersten Reihe und bekam wie immer von allem nichts mit.
Erich musterte seine Verletzung. „Gott sei Dank, nur ein Streifschuss!“ Die Schmerzen waren wieder da und er ließ es sich nicht anmerken.
Nicole bekam vom Vorfall auch nichts mit, denn die war schon im nächsten Zimmer. „Hier befinden wir uns in der Kemenate …“, hörte Erich durch die Tür.
Nur schnell weg, denn er wollte aus besagtem Grund nicht der Letzte sein. In der Kemenate schaute er erstmal zur Frau und sah, dass die Kinder bei ihr waren.
„Gott sei Dank!“
Erich beruhigte sich und begutachtete noch mal seine Verletzungen. Seine Gedanken schweiften wieder ab und er überlegte sich, was gewesen wäre, wenn Kerstin nicht gegen die Figur geknallt wäre und wie leicht der Pfeil auch seinen Körper oder den Kopf hätte treffen können. Dann würde er wohl am Boden liegen und alle Gäste ständen drumherum und würden blöd gaffen und keiner würde helfen.
„Vati, wann kommen wir endlich zu Rapunzel?“
Mit diesem Satz wurde er wieder aus seinen Gedanken gerissen. Erich streichelte Kerstin über den Kopf und sagte: „Geduld, wir sind bald da!“
Zwei Bilder
Erich versuchte sich wieder zu konzentrieren und schaute zu Nicole.
„… und aus diesem Grund schaut die Gräfin so lieblich und der Graf so bitterböse!“
„Hä, was hat die gerade gesagt, die Gräfin schaut so lieblich?“ Erich schaute sich das Bild mit der Gräfin genauer an und sah, dass ihr Gesichtsausdruck unbeschreiblich hasserfüllt war. Ihre Augen versprühten regelrecht Blitze. Er konnte den Anblick nicht länger ertragen und schaute sich das zweite Bild an. Hier sah er den Grafen freundlich lächeln. Sein Gesichtsausdruck war eindeutig gutmütig. Wenn Erich nicht genau gewusst hätte, dass es ein Gemälde ist, so würde er denken, der Graf auf dem Bild ist froh ihn zu sehen.
Erich begriff nicht, warum Nicole behauptet hatte, dass die Gräfin so gutmütig sei und der Graf so böse dreinblicken würde. Und er sah wieder zum Bild der Gräfin, konnte aber dem Blick immer noch nicht standhalten und schaute eingeschüchtert zu Boden. „Es ist doch nur ein gemaltes Bild, nichts wovor du Angst haben musst!“ Erich wollte zu Nicole, um noch mal nachzufragen, was es mit den beiden Bildern auf sich habe. Aber Nicole war bereits im nächsten Zimmer. Erich hörte noch, wie sich zwei Männer über die Gräfin unterhielten.
„Stimmt’s, Peter, das ist eine niedliche Gräfin, da auf dem Bild?“
„Jep, die hätte ich auch geheiratet!“
„Und den wütenden Grafen daneben, den begreife ich sowieso nicht!“
Die zwei Männer verschwanden nun auch durch die Tür.
„Sag mal, die zwei müssen doch besoffen sein! Niedliche Gräfin und so! Die sollen mal ihre Glotzen aufmachen und aufhören komisches Zeug zu rauchen!“
Erich nahm jetzt allen Mut zusammen und schaute noch mal zur Gräfin. So ein hasserfülltes Gesicht. Das hatte Erich in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die spuckt ja regelrecht Gift und Galle! Unwillkürlich schaute Erich wieder weg. Nun war er wieder der Letzte im Zimmer. Das wollte Erich vermeiden und beeilte sich, zur Tür zu kommen. Jetzt ging alles ganz schnell. Die Tür schlug vor seinen Augen zu. Der Fußboden öffnete sich und Erich sauste in die Tiefe.
Wo bin Ich?
Mit einem dumpfen Knall schlug Erich auf den Boden auf und wurde ohnmächtig. Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam. Der Kopf dröhnte und der ganze Körper schmerzte. Er öffnete die Augen und es war dunkel, nein stockdunkel. Nicht der geringste Lichtstrahl erhellte den Raum. Erich sah buchstäblich die Hand vor den Augen nicht! „Ich muss mich jetzt zusammenreißen und erst mal rauskriegen, wo ich bin!“ Erich richtete sich ein wenig auf und seine Hände tasteten den Fußboden ab. Nach einer Weile ertastete er was Rundes. „Hoffentlich ist das ein Knüppel oder ein längerer Stock, damit ich mich aufstützen kann!“ Seine Schmerzen waren unerträglich. Er nahm den Stock in beide Hände und wollte herauskriegen, wie lang der ist. Seine rechte Hand glitt am vermeintlichen Stock entlang und er bemerkte an jedem Ende eine runde Aufwölbung. „Um Gottes Willen, das ist kein Stock, das ist ein Knochen, ein menschlicher Knochen!“ Er warf ihn weit von sich. „Aber irgendwie muss ich mich doch orientieren!“ Erich tastete weiter und griff gleich den nächsten Knochen, legte ihn vorsichtig ab und tastete weiter. Was er auch ertastete, immer waren es Knochen. „Ich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren und erst mal zu einer Wand und dann einen Ausgang suchen!“ Erich kroch langsam auf allen Vieren los. „Verdammt noch mal, was ist denn das?“ Er hatte einen Totenkopf in der Hand. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Erich hielt inne: „Reiß dich verdammt noch mal zusammen!“
Nun erklang ein leises Rascheln. Erich horchte auf. Es raschelte überall und ausgerechnet im selben Moment krabbelte ihm was über die Beine. Mit einer ruckartigen Bewegung wurde das Tier abgeschüttelt und Erich schrie los: „Scheiße, das können doch nur Ratten sein! Verdammt noch mal! Hilfe! Wo bin ich? Warum hört mich denn keiner?“
Erich schnappte nach Luft. „Ich muss hier raus!“ Das war sein einziger Gedanke und das trieb ihn an. Erich kroch weiter, bis er mit dem Kopf hart anschlug. „Gott sei Dank, eine Mauer!“ Vorsichtig richtete er sich auf. „Geh ich jetzt nach links oder nach rechts? Was für eine dumme Frage! Ist doch egal, also nach rechts!“ Es dauerte nicht lange und die erste Ecke war erreicht. Zuversichtlich tastete Erich sich weiter und als er nach der sechsten Ecke immer noch keinen Ausgang ertastet hatte, hielt er wieder inne und fing an zu grübeln. „Jeder normale Raum hat vier Ecken. Ich bin schon bei der Sechsten! Also bin ich schon einmal rum und es gibt hier keine Tür!“ Das war die einzige logische Schlussfolgerung.
„Was nun?“
Verzweifelt krabbelte Erich noch mal los, wenigstens eine kleine Luke – nichts! Mit erhobenen Händen wurden abermals die Wände abgetastet, auch hier wurde keine Öffnung gefunden, nicht mal ein geringer Spalt.
Erich musste nachdenken. Um sich setzten zu können, schob er noch ein paar Knochen beiseite und die Verzweiflung machte sich breit. Seine Gedanken galten nur noch seiner Heidi und den Kindern: „Hoffentlich ist ihnen nichts passiert, der kleinen und lieben Kerstin und dem lebenslustigen und zielstrebigen Wolfgang. Das würde ich nicht überleben. Ich muss um jeden Preis hier raus!“
Erich raffte sich auf, denn er hatte eine neue Idee: „Ich baue mir mit den Knochen einen Hügel, krieche hoch und suche an der Decke weiter!“
Auch das half nichts, die Mauer schien unendlich hoch zu sein. Ratlos sank Erich zu Boden. „Ich darf nicht aufgeben!“ Es fiel ihm aber auch nichts mehr ein. In seiner Hoffnungslosigkeit nahm er einen Knochen und kratzte an der Wand bis er nur noch einen Stummel in der Hand hatte.
Nun war Erich am Ende. Er setzte sich in eine Ecke und hörte das Krabbeln der Ratten. Er hatte nun ein mulmiges Gefühl, so als ob die Ratten ihr nächstes Opfer gefunden hatten und sie kamen immer näher. Unter den Krabbelgeräuschen hörte er auch Schritte. Erst ganz leise, dann immer lauter.
„… und hier befinden wir uns in einem Kellergewölbe direkt unter dem Zeughaus. Der Zugang zum Gewölbe wurde erst letztes Jahr gefunden und freigelegt. Eine Legende besagt, dass sich hier noch weitere Gewölbe befinden sollen. Aber leider wurden diese noch nicht gefunden.“ Das war die Stimme von Nicole. Erich sprang auf und brüllte so laut er konnte: „Hilfe, ich bin hier!“
Alles war wieder still. Er konnte sich doch nicht so getäuscht haben!
Erich klopfte mit beiden Fäusten gegen die Wand!
„Hallo, ist hier jemand?“, drang es durch die Wand.
„Nicole, sind Sie das?“
„Ja, wo sind Sie denn?“
„Hier, hinter der Mauer!“
„Gott sei Dank, ich bin gerettet!“
Innerhalb kürzester Zeit wurden Handwerker geholt, um die Mauer aufzubrechen. Nach dem das erste Loch in die Wand geschlagen war, wurde eine Taschenlampe durchgereicht und Erich leuchtete sein Gefängnis aus. Was er jetzt sah, war grauenhaft. Skelette über Skelette, einzelne Knochen und Schädel. Ihm gegenüber war ein großer Berg mit lauter Knochen. Vor seinen Füßen lagen circa zwanzig abgeschabte Knochenstummel. Erich war also nicht der Erste, der hier an der Wand geschabt hatte. Jetzt kam ihm noch ein unheimlicher Gedanke: „Was wäre, wenn man mich nicht gefunden hätte? Dann würde irgendwann, irgendwer mit meinen Knochen an dieser Wand kratzen? Grauenhaft!“
„Papa, da unten wohnt aber nicht Rapunzel!“
Erich standen die Tränen in den Augen, als er die Stimme hörte. Die Kinder sind da und es ist ihnen nichts passiert. Es dauerte dann auch nicht mehr lange und Erich konnte in die Freiheit kriechen.
Heidi nahm ihren Mann in den Arm, küsste ihn auf die Wange, stützte ihn und sie verließen gemeinsam die Burg.
Jetzt stand Erich wieder vor dem Hinweisschild am Eingang zur Burg.
„Lasst uns zum Auto gehen und heimfahren!“, meinte Heidi.
„Nein, erst lese ich was hier geschrieben steht! Und dann fahren wir Heim!“
Liebe Besucher der Uhlenburg!
Auf der Uhlenburg hat sich im Jahre des Herrn Anno 1094 folgende merkwürdige Geschichte abgespielt:
Fritz-Ernst-August, Graf von Uhlen traf bei seinen Streifzügen durch die Thüringer Landen auf ein holdes Weib. Es war die wunderschöne Brunhilde Liebmichfein, Gräfin von Böhmen, Jungfer aus gutem Hause. Sie war auf der Durchreise von Britannien nach Prag. Bei ihrem zufälligen Treffen schauten sich beide in die Augen und die Liebe brannte wie loderndes Feuer. Da sie sich von dem Moment an unsterblich verliebt hatten, wurde ganz flink vor Gott geheiratet.
Aber wie das Leben so spielt, war die große Liebe nur ein kurzes Strohfeuer und der Graf vergnügte sich mit allerlei Gesinde (gemeint sind die Huren aus den Freudenhäusern und die Jungfrauen auf dem Lande).
Als die Gräfin Brunhilde von dem Treiben ihres Mannes erfuhr, stellte sie ihn zur Rede. Eigenartigerweise bereute der Graf seine Sünden und er versprach sein Fehlverhalten zu sühnen, indem er einen Kreuzzug nach Jerusalem anführe. Wie gesagt, so getan. Im Jahre des Herrn Anno 1096 traf er mit einer großen Ritterschar in Jerusalem ein und eroberte die Stadt.
Nun bestaunte der Graf die Schönheit der holden Araberinnen. Es blieb nicht bei dem Bestaunen.
Aus unbestätigten Quellen wurde berichtet, dass der Graf circa 45 Kinder zeugte. Leider hauchte der Graf in den Armen einer gewissen Suleika sein Lebenslicht aus. Der Leichnam des Grafen wurde nach Thüringen überführt und auf der Uhlenburg beigesetzt.
Die Gräfin Brunhilde erfuhr abermals von den nächtlichen Abenteuern ihres Gatten.
Nun sprach sie in ihrer Verzweiflung den folgenden schwerwiegenden Fluch aus:
„Erst wenn alle unehelichen Nachkommen meines Gatten tot sind! Möge ich Frieden finden!“
Seit jener Zeit haust ein Geist in diesem Gemäuer und sucht nach den unehelichen Nachkommen ihres Gatten.
Liebe Besucher,
ich hoffe, Ihr seid keine Nachkommen jenes Grafen Fritz-Ernst-August von Uhlen.
Ich könnte für Ihre Sicherheit keine Garantie abgeben.
Schröder, Bürgermeister der Gemeinde Friedehagen
Erich war schockiert: „Sollte ich etwa blaues Blut in mir haben? Eventuell auch mit Migrationshintergrund? Wenn ja, dann sind wohl die ganzen armen Kerle da unten in der Gruft meine Vorfahren?“
Diesen Ausflug wird wohl unser Erich Glaubmirnix so schnell nicht vergessen!