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"Es herrscht wieder Frieden im Land"

Nazis haben unsere Stadt zum Aufmarsch entdeckt. Wir müssen uns mit dem Austrinken beeilen. Das ist uns noch nie schwer gefallen, doch diese Eile hat eine andere Qualität. Der Faschistenzug mit den Horden würde in zwei Minuten einfahren. Mit unserem Aussehen würden wir nicht als Familienväter durchgehen. Wir wären Penner, sicher dem Volke zu nichts nutze. Wer weiß, wer weiß, was dann kommt. Das Bier lässt sich nicht schlucken. Dann lasst es eben stehen. Kannst du uns das aufheben? Haut jetzt ab. Wir gehen, welchen Weg am besten nehmen? Die Bahnhofstraße rauf ist zu lange, kann man zu lange einsehen. Wir gehen links, eine leichte Biegung die Kastanien entlang, dann die Straße rechts, rechts der Spielplatz, weiter nach oben. Wo wollen die eigentlich ihren Aufmarsch hinlenken? Wir sehen die Kirche, lassen sie links liegen, weiter. Immer nach oben. Wir stehen jetzt vor dem Gedenkstein, der uns daran erinnert, dass hier eine Synagoge stand. Was an dem Tag, als sie dann nicht mehr stand, wohl unsere Großeltern getan haben? Rochen sie nach Rauch, oder stank Angstschweiß? Waren sie dabei, hat einer das Streichholz abgezogen und reingeworfen? Was haben sie miteinander über den Tag geredet? Die Dumpfheit des Alkohols weicht einer anderen. Und jetzt? Es ist nicht so einfach weg zu laufen, wenn man nicht weiß, wohin der Verfolger geht. Wie weit wollen wir eigentlich noch laufen. Wir beschließen, um den Gedenkstein herum zu gehen. Etwas verdeckt steht eine Bank. Wir setzen uns.

Nichts passiert. Die Sonne scheint. Wo kommt die denn her. Wandersleute gehen an uns vorbei. Grüßen, oder auch nicht. Meine adidas-Sportjacke mit den blauen Streifen auf den Ärmeln spannt etwas über dem Bauch. Passt seit fünfundzwanzig Jahren. Jetzt immer noch. Das Etwas, das ich esse, kann ich auch trinken. Die Kurzatmigkeit erinnert mich daran. Wir sitzen und schauen, weit geht der Blick nicht, Häuserwände stehen zwanzig Meter vor uns. Wir verschnaufen. Die Brause gibt langsam Ruhe, der Schnaps verdunstet im Kopf und lässt einen stillen Nebel über uns senken. Noch eine Zigarette, oder zwei. Tabakkrümel wegspucken. Nochmal. Zäh wie diese Zeilen geht die Zeit, die uns an den Füßen klebt, uns nicht schnell genug verstreichen kann. Das Bewusstsein hat uns einen Streich gespielt. Wir suchen in unserem Leben nach einem Sinn, nur weil uns das Leben bewusst ist, ein Vieh lebt mit Fressen und Schlafen. Sucht nichts weiter. Bewusstsein besteht nur aus Grundbedürfnissen. Stirbt. Wir suchen nach Sinn, nach Lust, Laune, Liebe, Freude, Gemeinschaft, Unterhaltung. Wir lesen, schreiben, "teilen uns mit". Und dann löscht doch irgendjemand einfach nur die Lampe. Das Licht ist ausgeblasen. Und noch kurz davor suchen wir nach dem Danach. Weil jeder wichtig ist. Von Gott geliebt wird, sagt man uns.

Nach zwei Stunden, nach Hubschraubern, Gebrüll, Straßenverkehr kehrt völkische Ruhe ein. Wie viel Geld haben wir denn noch? Das genügt für den Schnitzeltag. Hab ich dir schon erzählt wie ich beim Schnitzelwettessen gegen mehr als drei dicke Kerle... und dann gewonnen. Einen Kasten. Jaja, schon gut. Ich kann es nicht mehr hören. Wie oft willst du mir das eigentlich erzählen. Komm, erzähle mir das doch nochmal. Den 9/11. War im September. Aber warum dann die elf hinten? Weil die Amerikaner. Jaja, schon gut. Und die Hochhäuser also? Die wurden gesprengt. Klar. Und wo ist das vierte Flugzeug? Pendelt weiter zwischen Kabul und Jerusalem. Klar, der CIA, Mossad usw. waren daran beteiligt. Sowieso. Früher hatte der Jude die Weltverschwörung geplant und natürlich ist der Mossad der mächtigste Geheimdienst. Ist doch klar. Du hättest mitmarschieren können. Hör auf. Das ist nicht das Selbe. Wie du meinst. Ich hätte jetzt Lust nach Hause zu gehen. Du machst mich wütend mit dem Scheiß. Du hast doch selbst damit angefangen. Schweigen. Schweigen, denn wir lassen uns Zeit. Die Gemüter sind beruhigt, jetzt können wir was essen.

Aquarien im Restaurant. Außer den paar Fischen dort ist hier alles tot. Es riecht nach altem Essen, die Salatbar besteht aus geöffneten Dosen, die in Silberwannen gekippt wurden. Wir setzen uns. Da kommt Elisabeth. Ach nein, das ist jetzt eine andere, jüngere. Was wir wollen. Schnitzel. Die Salatbar ist zur Selbstbedienung, aber zivil nehmen, nicht zu viel. Machen wir. Ganz bestimmt. Die Kordel seines Jackenärmels hängt in den geraspelten Karotten. Ich sage nichts, lasse die Rüben aus und nehme rote Beete. Grünen Salat, Gurkensalat, Bohnen. Dressing drüber. Essigöl. Wo diese Joghurtsoßen nur herkamen? Bestimmt die Italiener meint er. Ich tippe auf Weightwatchers und Dudarfst. Wir bestellen uns Bier. Ein Spruch über Fische und Wassertrinken. Noch so ein Schenkelklopfer, war schon Fastnacht? Kommt erst noch. In welcher Jahreszeit sitzen wir eigentlich? Wir haben Mäntel an, saßen auf der Bank für ein paar Stunden in Trainingsjacke. Die Fastnacht kommt bald. Wir sind bald dort. Der Winter ist doch auch nichts mehr. Die Jahreszeiten sind beliebig. Die Schnitzel kommen. Schön frittiert. Habt ihr da vorher Calamaris drin ausgebacken? Wieso? Nein! Schon gut, kann ich eine Jägersoße dazu bekommen. Kostet extra. Mach ich trotzdem. Heute, am Schnitzeltag bringst du mir doch bitte gleich noch eins. Mit Rahmsoße. Warum jetzt mit Soße? Weil der Fisch so rausschmeckt. Sind doch Schnitzel. Stimmt, für mich auch Soße. Pommes mit viel Salz. Bier aus dem Stiefel. Ein Liter für jeden. Das wird doch warm. Nicht bei uns. Jetzt nur nicht gluckern. Wer gluckert verliert. Der Stiefel muss mit Spitze nach oben gehalten werden. Der Kopf verschwindet fast im Glas. Jetzt langsam kommen lassen, denn am Gelenk wird es jetzt knapp und die Luft möchte in die Stiefelspitze drücken. Dann gluckert es. Wer es da dann durch abruptes Eindringen der Luft zum gluckern bringt, der muss die beiden nächsten zahlen. Passiert uns nie. Wir zahlen immer selbst.

Schnitzel sind aufgegessen, die Biere sind ausgetrunken. Es ist vier oder fünf. Wir setzen uns an den Tresen, bleiben noch eine Stunde oder zwei sitzen. Hier ist rauchen erlaubt. Wir sitzen extra. Weit weg von den alten Muttis im dauergewellten Grau. Wo kommen die jetzt her? Wir sitzen alleine, wenn nichts zu reden ist, geht immer Fußball. Hör auf mit dem, der kann nix. Der ist viel besser. Gegen die haben wir keine Chance. Es wird nochmal eng, wenn wir in den nächsten zwei Spielen aber, wenigstens vier Punkte, dann sind wir erstmal und wenn nicht, dann auch nicht. Neenee, in die zweite Liga geht es nicht. Was, die Tickets sind da billiger? Ist mir egal, ich gehe sowieso nicht hin. Hast du mal gesehen, was die verdienen. Nee, nichts von mir. Aber so was. Warte mal, habt ihr hier noch? Kann man bei euch noch kucken? Wo? Hinten, in der Nebenkneipe. Da gehen wir doch hin. Das schauen wir uns an. Gegen wen? Was, noch zwanzig Minuten. Gut, das reicht. Länger halte ich es nicht aus. Schon gut. Ich rede lieber darüber. Gib mir noch eine Reval. Gut. Gehen wir. Was, mit der Zigarette nicht durch den Raum. Also gut. Rauchen wir hier zu Ende. Geht auch so. Mach doch mal den Radio an. Das Radio. Auch das.

Fertig. Aus. Aus. Aus. Das Spiel ist aus. Wieder nichts. Dieses Mal nicht. Selbstbewusst sind wir. Wir können wieder auf die anderen herab schauen. Klar, geht. Wer braucht dazu einen Kick? Jetzt haben wir den Sozialtourismus. Jetzt wird auf unsere Kosten gereist. Schön mal hierher gefahren und auf unsere Kosten den ganzen Tag gefaulenzt. Den ganzen Tag auf das Geld warten und mit fetter Lederhaut herum gelegen. Was denn? Ward ihr heute Mittag auch bei den anderen dabei? Was das heißen soll? Nix. Neenee, nix CSU. Der wie heißt er noch? Der kann doch reden was er will. Der wird doch sowieso immer. Was sag ich denn. Die Demokratie im Facebook-Taumel? Wer will denn noch Politiker werden? Gescheiterte, oder Karrieristen, die nach ein paar Jahren Politik in die Wirtschaft gehen. Der Koch, oder der Merz, oder der, wie heißt er noch? Alles Juristen. Und weiter? Nichts, sind Juristen. Was meinst du denn damit. Nichts. Warum sagst du es? Nur so, ich musste auf das Schnitzel aufstoßen, und da hab' ich es gesagt.

Wir gehen, die Kneipe, das Restaurant ist nichts für nach sechs. Wir marschieren hoch, ins Café. Noch ein Bier, zwei. Wir kommen rein, es steht schon alles da. Die Bedienung erkennt uns an unseren Stimmen. Bis wir die Treppen oben angekommen sind, steht das Bier schon auf unseren Plätzen. Ich stolpere über meinen Gürtel. Ich habe einen Trenchcoat an, mit Gürtel. Den habe ich im Keller gefunden. War mal teuer. Sieht jetzt ziemlich billig aus. Hatte ich den von Metzen? Teures billig. Ist ihm teuer zu stehen gekommen. Ich stolpere über den Gürtel. Wofür ich den habe. Schmeiß ihn weg. Geht nicht, sieht ohne Scheiße aus. Sieht auch mit so aus. Hör doch auf, mit deinem Wollpulli. Jedes mal, wenn du diesen Überzieher überziehst hängt die Wampe raus. Sieht schlimm aus. Ehrlich? Klar. Warum hast du nie was gesagt? Du hast ja auch nie was über meinen Trenchcoat gesagt.

Hattest du nicht mit dem Rauchen aufgehört? Die Bedienung fragt. Nee, wie kommst du darauf? Du hast doch wochenlang Nicorette gekaut. Hat er nur hier. Sei still; ja, habe ich so probiert. Ehrlich, nur hier? Ja. Sah eklig aus. Du hast immer gekaut wie ein Kamel. Habe ich ihm auch gesagt, dann hat er wieder mit dem Rauchen angefangen.

Hier ist Rauchverbot. Schon gut. Wir gehen auf den Balkon. Langsam werde ich müde. Das Bier fängt an bitter zu schmecken. Ich wechsle auf Jägermeister. Habe ich eigentlich noch genug Geld? Für einen Meister reicht es noch. Es ist sieben. Ich gehe dann nach Hause. Ich auch. Ich bin hundemüde. Ich muss morgen früh raus. Was musst du denn morgen so früh machen? Ich bin nur müde. Das reicht, um heim zu gehen. Was machst du morgen Abend? Ich treffe mich mit einer Freundin. Was ernstes? Nein, aber die ist nett. Die sind bei dir doch immer alle nett. Ja, macht doch nichts; du bist auch nett. Mann! Ich gehe jetzt. Tschüß.

Zu Hause lege ich mich auf's Bett. Warte auf etwas. Nichts. Nichts regt sich. Nichts regt mich auf. Ich stehe auf. Nach dem Schnitzel, jetzt hole mir aus dem Kühlschrank eine Packung Forellenfilet. Preiselbeeren dazu. Die Meerettichsahne ist verdorben. Kein Brot mehr da. Gehe ich nochmal einkaufen? Es ist Samstagabend, das geht noch. Ich packe die Filetstücke in den Kühlschrank zurück. Milch fehlt auch. Nach dem versoffenen Tag bekomme ich Hunger. Habe ich überhaupt etwas gegessen! Den Dönerladen hatten wir übersprungen. Normalerweise ist das immer unser Abschluss. Schnitzel war vorher. Dieses Mal nicht, kein Döner. Doch einkaufen. Supermarkt ist nur fünf Minuten von hier entfernt. Ich gehe hin, eine Tüte habe ich eingesteckt. Mit Hunger einkaufen. Noch nie gut gegangen. Ich habe einen Einkaufskorb unter dem Arm. Aus Plastik. Der Korb füllt sich, mit Brot, Toast, Milch, Joghurt, jetzt wird er schwer, Cornflakes, Kakao, Käse, nochmal Käse. Eier, brauche ich Eier? Also auch Eier. Gut, reicht. Geld zählen. Warum erst jetzt? Ok, einmal Käse zurück. Dann könnte es reichen. An die Kasse gehen und alles im Kopf zusammen zählen. Noch eine Tüte. Eine reicht nicht. Das Geld reicht. Die Kasse addiert alles auf, ich komme über die Runden. Mir bleiben sogar noch drei Euro.

Die Tüten abgestellt, nochmal rein. Seife vergessen. Jetzt aber nach Hause, Übelkeit macht sich ganz breit, der Hunger drückt. Woher kommt der jetzt? Der Kloß im Bauch, zusammengekniffene Zähne, Muskeln, die nicht beschäftigt werden. Ein leichtes Würgen. Nicht so anstellen, die Menschen in Afrika - nein, jetzt nicht so. Keine billigen Sprüche, schon wieder. Gab es heute hier genug mit all den Glatzen. Etwas schneller den Schritt werden lassen. Tür auf. Erst auf's Clo gehen, Hände waschen. Wo ist die Seife? Hier, ganz oben auf dem Brot. Die Flakes sind zerdrückt. Klar, hatte ich unter den Arm geklemmt, könnten jetzt Brösel nur noch sein. Hände sind gewaschen. In die Küche. Kurzer Weg, Ein-Zimmer-Küche-Bad. Zimmer mit Ausblick. Womit anfangen? Die Forellen. Meerettichsahne vergessen. Wieder. Geht auch so. Ohne Brot, mit Preiselbeeren. Ging schnell, das Filet sehr zart, keine Gräten. Preiselbeeren drauf, kann man auch mit den Fingern. Ist ja niemand da. Finger riechen nach Seife, schmecken auch etwas danach. Etwas Tabakgeruch noch dabei. Hände mit Salz waschen. Jetzt geht's. Und jetzt? Käse mit Brot. Käsebrot, Milch mit Kakao, mit Kaba, der mit dem Bären.

Hat Deutschlands schönster Briefträger denn niemals frei? Mein blondierter Freund hat mir den Briefkasten am Samstagmorgen gefüllt. Die Umschläge schauen aus dem Schlitz. Der Sportler mit den dicken Unterarmen hat sicher viel Mühe gehabt, alle Briefe in den Kasten zu stopfen. Aber diese sportliche Herausforderung hat er sicher gerne angenommen. Wie immer. Ich stand schon eine Stunde am Briefkasten, um ein Päckchen aus der Klemme zu befreien. Mit der Wasserpumpenzange rückte ich dem Karton zu Leibe, schließlich hatte ich die Verpackung zerfetzt, das Buch aber blieb heil, dann konnte ich den Briefkasten endlich öffnen. Die Frage, wie mein glücklich verbeamteter Freund diese Warensendung da hinein bekommen hat, bleibt bis heute unbeantwortet.

Jetzt nur Briefe. Der Briefkasten öffnet sich nach etwas Überzeugungsarbeit. Es sind 12 oder mehr. Ich war unvorsichtig. Hatte einen Leserbrief geschrieben. Über die Aufnahme von Flüchtlingen, dass wir eine moralische und geschichtliche Verpflichtung hätten und so. Wir können uns das leisten, die Menschen nicht freiwillig hier. Und sonst noch solche Menschentümelei. So bezeichnen es meine Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Tümelei meine ich. Meine Mitmenschen waren der Meinung, dass doch jeder bitte in seinem Land bleiben soll. Dass unser Boot voll sei und das Maß auch. Ich konnte nicht anders. Ich musste mich dazu melden. Ein Leserbrief wird aber nur gedruckt, wenn die Adresse angegeben wird. Alfred und Edith meinen, mir einen anonymen Brief schreiben zu sollen. Zu meiner Wohlstandseinstellung. Sie erklären mir, dass sie nach dem "Kriesch" mit ihren Eltern im Land geblieben, nicht abgehauen und alles mit der Mühe Arbeit aufgebaut haben. „Nicht alle“ möchte ich einwerfen, manche von euch sind doch nach Argentinien, oder Chile. Alfred und Edith meinten, mir ein Bild mit zwei Kindern vor Trümmern schicken zu müssen. Sie behaupten wohl, dass sie das selbst sind. Die Kinderfreundschaft. Aus dem Elend eine Ehe gemacht, ein neues Elend begangen. Der Brief ist fein mit der Maschine geschrieben. Die Unterschriften säuberlich im ordentlichen Grundschuhlstil gesetzt. Glück gehabt, hat alles auf eine Seite gepasst. Der Stil des Briefs ist männlich. Das zeigen die Beleidigungen. Hat Alfred gut gemacht, der kann mit dem Computer umgehen. Wie ein Junger. Ja, der Alfred, der kann sogar Bilder in den Computer und so. Der kann das. Wir sind nicht vom alten Eisen. Wir sind ja auch geblieben. Nicht so wie die.

Schreiben über Ausländer. Über Asylanten. Die sollen doch daheim bleiben und mit dem vielen Geld, das sie den Schleuserbanden in die Rippen werfen, sollen doch dort was Schönes aufbauen. Haben Adolf und Eva, Albert und Edith, Pünktchen und Anton, Tim und Struppi, Winnetou und Old Shatterhand doch auch alle so gemacht. Sind nicht einfach abgehauen. Haben tapfer ihren Platz behauptet. Schön was aufgebaut. Eine Hühnerfarm, einen Orangenhain, Zuckerrüben, Kartoffeln. Swimming Pool und Bausparvertrag. Alles mit der Hände Fleiß. Nicht einfach weg gegangen. Das hätten Adolf und Moni doch damals, nein, sie waren ja noch klein. Die Eltern aber, die hätten doch zwischen Siegesjubel, als man es den Franzosen und den Polen und den anderen allen, als der Krieg noch nicht im eigenen Land, oder doch, ein Bruder, zwei Brüder sind im Feldzug, vielleicht doch kein Jubel. Aber die haben das alles gemacht, als endlich die Nazis weg waren, die ja sowieso keiner wollte, danach gab es ja keine mehr. Dann wurden die Ärmel hoch und Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein, alles wieder schön im ganzen Land. Finster, dieser Brief.

Aber vielleicht hätten Heinrich und Käthe das den anderen im sauberen Land nach dem Kirchgang, vorm Verprügeln, mit dem Frühschoppen vielleicht, vielleicht vor 36 noch, oder früher noch, vor den ersten Konzentrationslagern eben den Sozialisten, den Kommunisten, den Sinti und Roma, den Zigeunern, den Schwulen, jaja, den Lesben auch, den Juden, den Freimaurern, den anderen halt, denen, die nicht so sind wie die anderen, denen hätte man doch auch sagen können, dass das alles nicht so tragisch ist. Und was ist mit der Dietrich? Den Manns? Dem Einstein, Mensch ja, dem Einstein, der hat doch die Atombombe, ja, den hätten wir brauchen können. Jude. Stimmt. Aber wenn wir dem doch gesagt hätten, du Albert, bleib doch da. Spare die tausend Mark für die Passage, für die Flucht nach England, in die Schweiz, nach Marokko, nach Amerika. Behalte die und baue hier doch was auf. Bleib hier. Bleibt alle hier. Es wird schon nicht so schlimm.

Außerdem, wer denkt denn an die anderen Völker, die wollen doch auch lieber unter sich sein. Das geht doch nicht und gerade die Juden, ja, sieht man ja was sie davon haben, von ihrer Diaspora. Vom Abhauen. Sind doch immer schon abgehauen. Jetzt hocken sie da unten und können immer noch keinen Frieden halten. Sieht man doch. Und jetzt, meinen Alfred und Edith, jetzt, heute, siebzig Jahre nach dem "Kriesch", wo alles so schön wieder aufgebaut ist, wo wir uns doch längst für alles entschuldigt und so haben. Jetzt kommen die in unser Land, die anderen, kommen hierher und wollen von dem leben, was wir vom Tisch fallen lassen. Neenee. Bleibt mal schön da wo ihr herkommt. Wir helfen schon genug. Zwei Lose bei der Aktion Sorgenkind. Brot für die Welt, Flutopfer im Osten, Tsunamiopfer. Mensch, was hat die Kleine geweint, als sie da so saß, in den Trümmern, keine Mutter. Das arme Kindchen, die hat uns aber wirklich Leid getan, die hätten wir dann doch aufgenommen, mit den schönen dunklen Kirschenaugen. Da muss man doch, das geht doch nicht anders. Im Fernsehen. Aber hierher? Nee. Rudolf und Hildegard wollen so weit dann doch nicht gehen. Eine Spende für ein paar Hühner, für ein paar Gänse und Enten. Oder vielleicht so eine Ziege? Ist doch die Kuh der Armen! Dort ist es auch wärmer. Das Geld nur nicht für die Schleuser. Sonst machen die hier wieder Feuer im Zimmer. Hat man doch schon gehört, die sind nicht zivilisiert. Fackeln alles ab. Wenn mit Fackeln, dann doch lieber wir selbst. Wer ist von denen denn noch dort, wenn wir dort Urlaub machen wollen. Wovon dann erzählen, wenn die doch hier sind. Wer glaubt uns denn noch den netten Afrikaner? Den gepflegten Ägypter und so weiter. Kann doch nicht an jeder Ecke ein Chinese-To-Go. Geht nicht.

Anonym. Alles anonym. Anonymes Geschreibsel von überlebten Alten, von Überlebenden. Kein Bild - nur Kinderbilder aus harten Zeiten. Vorwürfe über die späte Geburt, dazu, dass selbst nichts geleistet, nichts aufgebaut, nie gehungert, nichts entbehrt, nicht um den Vater, den Onkel, die Oma getrauert. Nie was gefehlt, immer gehabt, nie gefroren, nie die Scholle bearbeitet, keine Hasen geschlachtet, nie das Gefühl gehabt, wieder wer zu sein, neun Jahre nach dem letzten Schuss, nichts gehabt, den Ami im Haus, den Franzosen, den Engländer, nicht zu reden vom Ivan. Nie um Kaugummi gebettelt, nie Schläge vom Lehrer bekommen, nie nasse Füße gehabt, immer eine Mütze auf, immer mit Nivea gecremt, sie aber keine Butter auf dem Brot, nix Nutella, nix Kinderschokolade. Fleisch, einmal die Woche, wenn es hoch kommt. Das größte immer der Vater. Dann erst der kleine Alfred, die kleine Edith. Puppen ohne Augen, nie Fußball, immer nur Dosen. Säuberlich ausgekratzte Dosen, nie was übrig geblieben. So war das. Sonntags in die Kirche. Sich geschworen, dass es weiter gehen wird. Immer weiter, mit den eigenen Händen alles aufgebaut. Schuldfrage? Ja, die auch noch beantwortet. Schuld, aber nicht so viel. Nie nix gewusst. Ja, da Stand eine Moschee, nein eine Synagoge, jaja, die Zeiten. Die hat gebrannt. Jetzt steht ein Gedenkstein. Und? Wir mussten doch alle, das mussten wir doch. Vater verraten, Mutter denunziert, Kinder geschenkt, Russinnen beaufsichtigt. Immer gut zu ihnen. Wo die dann hin sind? Woher sollen das Alfons und Hildegard, Josefine und Josef, Siegfried und Sigrid denn wissen?

Wir hatten Entbehrungen. Wir wären auch gerne weg. Woanders hin, wo schon alles fleißig aufgebaut war. Wer hätte die nur genommen? Welches Land war nicht zerstört? Wer hätte die Menschen aus dem Volk des Völkerhasses haben wollen? Darauf wird es keine Antwort geben. Sie wird nicht gestellt. So langsam mutieren die Kinder der Täter zu Opfern, jedenfalls in diesen Briefen. Ich schreibe keinen Leserbrief mehr.

Oder - nächstes Mal einen Leserbrief zu Yoga-Jane, zu den Vorzügen der freien Körperkultur, zu Schönheitsoperationen, Schönheitswettbewerben, zu Germany's Next Top Model, zu Miss World und Wet-T-Shirt-Party. Dann soll ich wieder Post bekommen, wieder mit Bildern, nur Bilder, nur Frauen, nur positives, nur Schönheit, Sex, Rock'n'Roll. Auf diesen Samstag freue ich mich. Das wird ein Fest. Morgen nicht vergessen Ordner zu kaufen, keine Schnellhefter, dann das Thema thematisieren. Bei der Zeitung, beim Redakteur mal vorfühlen. Selbst das Thema bringen. Kommt nicht eine dieser Schnittchen in das Bierdorf? Zeigt Straps und Oben-Ohne und bekommt dreitausend Euro. Positiv berichten. Wie toll das und so weiter.

Der Samstag ist doch noch gut geworden. Damit kann man leben. Das ist ein Ausblick auf eine bessere Zukunft. Jetzt wird das Zimmer auch wieder wärmer. Ich hatte mit Alfred und Edith doch den Mangel mitgemacht und angefangen zu frieren. Ich musste niesen, um den Staub vom Bombenschutt aus der Nase zu bekommen. Jetzt nicht wieder von vorne. Kaffee wartet, echter Kaffee, keinen Malzkaffee. Ja, ich entbehre nichts.

"Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe."

So hat das Einer gesagt und der Eine hat das ernst gemeint. Das sollte danach doch keinem mehr passieren. Unsere neuen Hirten wechseln die Herde, aber erst wenn die alten Schafe geschoren sind. Die Schäfchen werden auch nicht mehr ins Trockene geführt, die lässt man schön im Regen stehen, Auf, auf zu neuen Ufern. Nach mir die Sintflut und alle Mann bleiben an Bord, nur ich gehe. Der Kapitän hat doch eigentlich nur getan, was die Kapitäne von Wirtschaftstankern schon seit Jahren tun. Was soll also der Vorwurf. Er ist einer von uns. He's one of us. You're not one of us.

So geht's Business, wie der Monaco-Franz uns schon vor dreißig Jahren, oder mehr. Wir stehen auf der richtigen Seite, haben Moral und kommen auch ins Himmelreich.

An der Ecke bleibe ich stehen. Eine Bettlerin sitzt auf der kalten Erde, auf dem Asphalt, zwei Frauen stehen daneben, entrüsten sich, dass man doch nicht so auf der kalten Erde sitzen kann, sie werde sich erkälten, krank werden oder noch schlimmer. Sie geben ihr nichts, laden sie nicht auf eine Tasse Kaffee ein. Ich gehe zum Blumenstand, der ist da auch noch im tiefsten Winter. Die Blumen müssten doch erfrieren hier. Ich kaufe eine Rose, rot, lasse mir den Stiel abschneiden, nehme den geschlossenen Blütenkopf, laufe zurück, lege ihr mit ihrem gebeugten Haupt die Rose in die ausgestreckte Hand, sie schließt die Hand, sie hebt den Kopf, ich schaue in alte Schildkrötenaugen. Ist es die Weisheit dieses Tieres oder doch eher die Hilflosigkeit dieser Art im Wettrennen mit dem Zeitgeist? Am nächsten Tag ist sie nicht mehr da.

Und ich? Ich werde nicht mehr krank. Die Wochenenden halten mich gesund, der Likör, das Bier, der Schnaps. Damit wird das Blut gereinigt, das vegane Wochenende mit fleischlosen Spirituosen hilft mir immer auf die Beine. Die Eintracht spielt dieses Mal Freitag.

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Farbe bekennen, nichts unbeantwortet lassen, reagieren und agieren, das Tempo aufnehmen. Der Sinn des Lebens? Nicht danach suchen, der findet dich. Und wenn nicht. Dann gibt es keinen, für den Moment, für dich, für deine Umgebung, deine Mitmenschen, das neueste Handy, Smartphone, Tablet. Einen Spruch aus der Bibel, aus dem Koran, der Tora, Konfuzius sagt, der Gesellschaftskritik, dem Kaugummiautomaten, der Literatur, aus Google, Yahoo, GMX. Nichts gefunden und alles verfügbar. So läuft's Business. Noch jemand, der einem auf die Nerven gehen kann?

Alles ändert sich. Alles fließt. Oh nein, da ist der Satz. Streichen, weg damit. Über die Straße gehen, den Satz mit sich führen und überfahren lassen. Autofreier Sonntag. Jetzt hat Papi für mich Zeit. Spaziergang, die Ampeln sind aus. Es gibt Rollschuhfahrer auf der Straße, Menschen spazieren über die Straßen. Fahren Fahrrad. Ganze Familien, Familienclans sind unterwegs. Warum gibt es das nicht öfter, Papa? Das geht nicht. Warum, wir hätten mehr Zeit für einander. Aber viele Menschen müssen auch Sonntags unterwegs sein, müssen arbeiten! Aber du wärst hier. Diesen Satz nicht ausgesprochen. Die Antwort ist bekannt. Mir ist es aber langweilig mit euch; ich weiß ja gar nichts mit euch anzufangen; jetzt kann ich noch nicht mal mit dem Auto abhauen und muss mit euch hier entlang gehen. Ich finde es aber schön, sage es aber nicht; trau' mich nicht es zu sagen. Der Papa muss arbeiten, der ist jetzt müde, der will seine Freunde treffen, unter der Woche, da muss er wieder usw.

Ja, da muss er wieder die da oben treffen, unterwürfig sein, gehorchen, folgen, geführt werden, sich führen lassen, Aufträge abarbeiten.

Wofür? Um Eitelkeiten zu bedienen. Um Macht zu kämpfen, die keiner haben möchte. Um diese Oberflächlichkeiten, die glatter werden, wenn der Preis steigt. Attitüde. Ja, aber nicht kostenlos. Kostet Schlaf und Nerven, kostet Wahrhaftigkeit.

Das ist es, dieser Begriff. Jetzt ist er. Die Finger haben ganze Arbeit geleistet. Jetzt ist er da. Ist sichtbar, lesbar und ich greife ihn. Begreife ihn. In diesem Moment, der im nächsten schon wieder verloren sein kann, wird klar, was alles aufzugeben ist.

Die Metzgerin ist ihre beste Kundin. Die Finger sind gar nicht mal wurstig, was bei jeder Beschreibung doch zu erwarten wäre. Hier sind sie dick, lang, rosa wie Fleischwurst. Die Haare stehen nach oben ab, der etwas längere Igelschnitt, Mittelscheitellänge, die obere Hälfte ist rot, unten werden sie schwarz. Sind die so gefärbt? Sicher, was sonst. Die Schürze zur Verbesserung des Identifikationsgrads des Fleischfachhandels und Zunftmitglieds spannt an zwei Stellen. Üppiger Busen und vorstehender Bauch fordern die Knöpfe heraus ihr Bestes zu geben. Die Brille rutscht etwas, die leicht glänzenden Finger rücken sie nach oben, der Glanz erinnert noch an den letzten Kunden, der einen halben Ring Leberwurst mitgenommen hat. Einen halben Ring? Geräuchert. Jetzt im Herbst ist mir klar, was passiert. Der wird für die Meute gebraucht, die mit Eimern bewaffnet in den Weinberg läuft, Trauben schneidet und nach zwei Stunden bereits an den Hunger denkt. Butter unter der Leberwurst? Immer, und dann einen Schnaps zum verdauen.

Woher kenne ich den nur. Nicht bekannt, unwichtig, er braucht noch Fleischwurst und Schwartenmagen. Fleischwurst aus der Hand, Schwartenmagen in Scheiben, große Fleischstücke drin, sieht gut aus. Jetzt kommt der Opa in den Laden, die Verkäuferin und drei andere Kolleginnen werden unruhig. Der Opa möchte helfen, hält damit alle auf, fragt nach den neuen Waagen, fragt nach dem Abkassieren, verschätzt sich bei der Grammzahl, rundet großzügig auf. So wurde die Metzgerei groß, verdiente Geld mit nicht verkaufter Wurst. So wurden drei Filialen aufgemacht, eine wieder zu und der Sohn in die Lehre geschickt. Die Wurst läuft, der Laden verkauft Wurst wie warme Semmeln. Reich werden sie, reich sind sie, mit Blut und Schweiß. Tierblut. Schweiß und Tränen.

Geht das nicht etwas zu weit? Ich wollte nur 100 Gramm Lyoner kaufen. Mehr nicht. Sonst nichts. Herr Rossi ist noch vor mir. Er kauft ungarische Salami, nein, nicht die Mailänder. Lachen. Länger darüber nachgedacht. Muss ein Witz gewesen sein. Herr Rossi kauft für zwei Wochen Leberkäs’. Was hat eigentlich der andere mit der Hausmacher Wurst angestellt? Stimmt, er macht Herbst, sammelt, nein liest Trauben und verkauft sie an die Winzergenossenschaft. Macht keinen eigenen Wein. Schmeckt nicht, zu groß der Aufwand. Herr Rossi hat bald Geburtstag, kauf und kauft. Gäste kommen. Er muss noch Schnaps kaufen gehen. Guten. Den gibt es in der Stadt, in der Fußgängerzone. Feines Stöffchen, ordentlich gebrannt. Den braucht er auch, den Schnaps, für die viele Wurst. Hilft Schnaps wirklich beim Verdauen? Nur wenn es keine Brause ist. Bei Brause rebelliert er. Ich komme dran. Kaufe Lyoner. Und einen Leberknödel, hier gibt es auch Sauerkraut, das also auch. Ist das zart? Klar. Feststellen werde ich es erst zu Hause. Ist ein bisschen mehr sagt mir der Opa. Wenn sie den Daumen von der Wage nehmen, dann passt es wieder. Nimmt den Daumen runter. Zwanzig Gramm gespart. Ich, nicht er.

Bezahlt. Ich könnte noch beim Bahnhof vorbei gehen.

Zwei Klare auf den Weg

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