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"Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend."

Wir sind getrennt. Gezählt habe ich die Tage nicht. Nur die Stunden und Minuten. Mit der Trennung kam das Alleinsein. Jedes Wort verlangt eine Antwort, aber es bleibt still. Diese schweigsame Stille. Das Ticken der Uhr, die Musik wird mir zu viel. Den Radio stelle ich ab, den Fernseher, der Computer sind mir zu viel. Beten hilft nicht. Nicht gegen Hunger, Durst. Ich laufe vor mir selbst weg, hole meinen Schatten immer wieder ein. Nichts, was mich weiter bringt. Das Hamsterrädchen dreht sich auch in der Wohnung weiter.

Ich gehe wieder in den Supermarkt. Die Kühltheke ist reich gefüllt. Zwei Becher Eiscafé, ein paar Joghurt, Halsbonbons, Seife, noch mal dran riechen, Chips, zwei Singledosen Bohnensuppe, eine Pizza mit Gemüse, lieber doch die mit Thunfisch. Ist der aus nachhaltigem Fang? Ein blauer durchgestrichener Delfin scheint mir Segen genug, um die Pizza zu nehmen. Oder doch lieber mit vier Käsesorten? Nochmal außen herum gehen. Ein paar Bier. Mit Cola. Schmeckt nicht, aber ich brauche auch mal etwas Abwechslung. Saft, ich brauche Saft. Ein paar Twix und Snickers. Die kleinen, oder doch lieber die großen. Likör für zu Hause. Einen aus dem Kühlschrank, die große Flasche billiger als beim Heiko im Bahnhofskiosk. Was macht eigentlich der Hartwig?

An der Kasse alles auf das Band legen, Cornflakes vergessen. Schnell nochmal los, spurten, den strafenden Hausfrauenblick im Nacken aushalten, zwei Liter Milch, Zucker und die Flakes noch auf das Band gerettet. Was schaut sie mich so an? Hallo! Hallo! Nicht gleich erkannt. Jetzt wieder erkannt. Aus der Schulzeit. Ich kenne sie, als ich in die Schule ging, ging sie auf eine andere. Dennoch kennen gelernt. Waren befreundet. Sieht gut aus, sah mal nicht so gut aus. Jetzt wieder besser. Ob sie? Nein, ist sie nicht. Sie erzählt von ihrem Sohn, von ihrem Mann, vom nächsten Urlaub auf Mallorca, Ibiza oder der Türkei. Wie lange das dauert, bis sie alles eingeräumt hat und ich bezahlt habe. Wartet auf mich. Wir gehen zusammen nach draußen. Wo habe ich denn? Ich bin zu Fuß. Soll ich dich mitnehmen? Ja, gerne. Schwarze Strumpfhosen unter kurzem Rock. Sieht gut aus, ich fühle meinen Puls im Hals. Ob sie vielleicht, zu einem Kaffee oder so. Ich könnte sie ja fragen. Ganz einfach nur so. Es gibt kein „nur so“. Ich frage nicht, navigiere sie durch die Stadt, zu meiner neuen Wohnung. Wir könnten ja mal. Ja, könnten wir. Vielleicht nächste Woche. Ja, warum nicht. Handynummern werden ausgetauscht. Ich werde nicht anrufen. Vielleicht doch. Ich lebe getrennt. Ob sie das weiß? Sie fährt weiter. Schönes braunes Auto. Klein. Nur zwei Sitze. Ob man da nicht auch? Ich gehe nach oben. Drei Treppen, vier. Die Tür öffnen, der Kühlschrank brummt. Sonst ist alles still. Mit was zuerst? Die Cornflakes. Zucker drauf. Weißen, der braune soll ja eigentlich besser, aber ich habe den gegriffen. Die Schüssel bis oben voll, den Fernseher an. Fernsehgarten. Nein, der kommt erst morgen wieder. Was anderes dann eben. Wie spät? Ist nicht wichtig. Was wohl passiert, wenn ich sie jetzt gleich anrufe? Ob sie dran geht? Sie lebt nicht alleine, oder vielleicht doch verhört? Die Zahlen eintippen. Bei der letzten wieder halt machen. Auflegen. Lieber noch was trinken. Die Weinhandlung hat noch offen. Ich habe noch Campari. Doch noch was anderes? Ich werde mich heute alleine betrinken, Alleinsein kann süß sein.

Alles besorgt, es wird langsam dunkel, ganz gut für den Winter. Ich schenke mir ein. Rede laut einen Satz. Noch einen. Lese mir laut etwas vor. "Er setzte sich in den sonnigen Innengarten..." woher habe ich diesen Handke? Nie verstanden. Muss an mir liegen, wo doch so viele den lesen. Nochmal laut vorlesen. Sieben Worte. Geht noch, ich kann noch anrufen. Ich erkenne die Schrift noch, meine Stimme ist noch klar, deutlich. Nochmal aufnehmen und abspielen lassen. Geht noch. Geht gut. Ich höre mich ab. Ich könnte ein Band aufnehmen und abspielen, gehe in der Zeit spazieren, habe Zeugen; wenn ich eine Absage bekomme, kann ich es nicht gewesen sein. Ich war draußen. Im Hof. Ich rufe an. Es klingelt. Auflegen geht nicht mehr. War früher einfacher, jetzt erkennt man die Nummer und kann zurückgerufen werden. Nie gefunden, wo man die Nummer unterdrücken kann, wegdrücken kann. Es klingelt, jetzt bin ich an der Angel. Ab wann kann ich wieder auflegen? Nach dem zweiten Mal? Zu früh. Das dritte Mal, das vierte Mal. Jetzt ist sie dran. Das war ja echt nett, dich mal wieder. Und so die alten Zeiten. Ja, war nett. Ob wir vielleicht mal. Ja, können wir. Nächste Woche? Nächste Woche, ja. Jetzt schon einen Tag? Ja, warum nicht. Mittwoch? Mittwoch, ja geht. Wirklich? Ja, geht. Wollen wir noch etwas jetzt vielleicht. Geht jetzt nicht. Enttäuschung. Nach dem Warum fragen. Nicht getraut. Stimmen im Hintergrund? Vielleicht wenn wir. Ja, ich rufe dich an.

Warum nicht gleich heute? Erstmal mit dem Gedanken vielleicht. Erstmal etwas Luft ablassen. Die Aufregung abflauen lassen. Vielleicht etwas dabei nachhelfen. Und dann wieder hinlegen. Das erste Mal hinlegen. Ausruhen. Ruhig werden. Den Herzschlag kontrollieren. Eine Reval, Roth Händle, Camel ohne. Einen Weißwein. Und dann diese Einsamkeit. Besser nicht angerufen. Was erzähle ich denn am Mittwoch. Doch lieber absagen. Wo eigentlich hingehen? Was erzählen? Nach wie viel Stunden dann eigentlich wieder abhauen können. Ist diese Woche nicht Sport? Fußball im Fernsehen? Die Stammkneipe. Und wenn ich doch noch. Die konnte ich doch eigentlich nie leiden. Jetzt total voller Falten, die Beine, die Strümpfe. Bestimmt total langweilig. Gut, doch lieber hingehen. Wird schon. Baden, ich gehe baden. Das Wasser ist eingelassen. Am Mittwoch also. Der Schaum. Erleichterung. Noch vier Tage Zeit. In vier Tagen erst, da kann viel passieren. Sehr viel. Ruhig bleiben.

Wenn ich doch nur. Die Bohnen. Bohnen essen und dann raus gehen. Erst eine halbe Stunde. Lies hier nur weiter. Warum soll die Zeit schneller vergehen als bei mir. Den Schaum mit Seife kleinschneiden. Der Schaum knistert, immer wieder mit der Seife hinein, der Schaum wird kleiner, raschelt, wird cremiger. Keine zwanzig Minuten sind vergangen. Ich werde nicht müde. Es geht nicht weiter. Es beginnt zu regnen. Nein. Es ist trocken. Welche Jahreszeit haben wir? Ich könnte die Fenster putzen. Ich fange in der Küche an, den Rahmen mit Schmierseife und heißem Wasser. Der Schwamm klebt etwas auf dem Fensterrahmen. Könnte vom Fett kommen. Die letzten Wochen gab es öfter Kartoffeln, roh in der Pfanne geröstet, Karotten dabei, Speck und Zwiebeln. Jetzt kann ich das immer machen. Früher wurde ich geschimpft, dass das ganze Fett sich überall absetzt. Ich sehe, dass es stimmt. Das fehlt mir. Das Schimpfen. Ich putze selbst. Fensterreiniger. Gesprüht, mit Zewa weggewischt. Sauber. Fertig. Wieder zwanzig Minuten. Schlafzimmer, Fernsehzimmer. Fertig. Halbacht. Ob ich sie nochmal anrufe?

Zwei Klare auf den Weg

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