Читать книгу Senkkopfstifte - Gregor Schönbrunn - Страница 6
ОглавлениеMan hatte von der Schule hinüberschauen können zur BayWa. Da haben sie ab und zu neue Traktoren geliefert bekommen, die kannte ich alle. Ich habe immer vom Fenster rausgeschaut. Ich war ein Tagträumer, absolut. Aber komischerweise, wenn ich dann was gefragt wurde, dann habe ich es gewusst. Obwohl, in der sechsten Klasse, da ist uns ein alter Lehrer zugeteilt worden, der hat immer gerne das Diktieren gehabt. Und da hat er uns diktiert und diktiert, von der Kartoffel, wie sie von Amerika rübergekommen ist. Dass die überhaupt angenommen wurde von den Leuten, die Kartoffel. Und da habe ich gesehen bei den anderen, die haben schon eineinhalb Seiten geschrieben, da hatte ich noch nicht mal angefangen. Da habe ich kapiert, ich soll den ganzen Schmarrn mitschreiben. Oh nein, das schaffe ich nicht. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich da mitschreiben soll. Das war dann eine glatte Sechs. Aber ich habe zugehört, als der Lehrer das erzählt hat. Ich habe alles auch verstanden, aber dass ich mitschreiben musste, das habe ich nicht gemerkt. Einfach nicht bei der Sache gewesen.
Die Schule selbst war ja höchst ungerecht. Da bin ich total verkannt worden. In Sport, in der Hauptschule, hatte ich immer eine Sechs. Ich war nicht behäbig, aber trotzdem immer Fünfer und Sechser. Da war mal eine Situation, die hat sich bis heute eingebrannt. Ein Lehrer hatte die Bauernjungen nicht gemocht. Ich weiß nicht mehr warum, aber wir waren drei Jungs, die nachsitzen oder länger dableiben mussten. Wir mussten bei einer anderen Schulklasse beim Sport mitmachen. Quasi als Strafe. Den ersten hat der Lehrer gefragt, Was willst du mal werden? Bauer, sagte dieser. Den zweiten hat er gefragt, Was willst du mal werden? Bauer. Die beiden mussten dableiben. Den dritten hat er gefragt, sein Vater war damals schon leitender Angestellter, der hat geantwortet, Ich will Industriekaufmann werden, der durfte dann nach Hause gehen. So eine linke Sau, dieser Lehrer. Reine Schikane. Die Schule an sich hat mich nie interessiert. Damals gab es ein Fach Wirtschaftsgeografie, das war das einzige, was mich unheimlich interessiert hat. Ein Lehrer, der M., der hatte so eine Aversion gegen mich, obwohl ich nie was angestellt hatte. Für jedes Melden hat er mir eine Sechs gegeben. Einfach so – ohne Grund. Der Vater war sogar immer im Elternsprechtag, aber das hat auch nichts geholfen. Der ältere Bruder hat das Gymnasium geschafft, der war dem Vater sein Liebling. Er war hochintelligent und wollte auch nicht den Hof übernehmen, sondern was "Besseres" aus seinem Leben machen. Meine Schwester und ich sind halt mitgelaufen. Zuhause hatten wir eher eine Zwei-Klassengesellschaft. Der Älteste sollte studieren, das wollte der Vater. Ich kann mich auch gar nicht mehr so stark an die Schulzeit erinnern. Einen Mitschüler hatten wir, der war kräftig und der hat eigentlich alle schikaniert. Und der ist damals schon ein richtiger Rabauke gewesen. Er hat Kaugummiautomaten aufgebrochen usw. Der Gunter hat alle anderen traktiert, heute würde man Mobbing sagen. Mich auch. Irgendwann habe ich ihn im Pausenhof erwischt, habe ihn runtergedrückt und mit dem Kopf immer auf den Teer geschlagen. Und der Lehrer N. ist plötzlich neben mir gestanden und hat mir zugeschaut, als ich ihn zwei-, dreimal runtergedrückt habe, weil er wusste, der braucht ein paar, der hat das verdient. Und dann hat er gesagt, Jetzt lass ihn gehen, jetzt passt‘s. Der hat nicht mal geschimpft. Aber sonst bin ich Raufereien eher aus dem Weg gegangen. Der Vater hat immer gesagt, Wenn einer frech wird, haust ihm eine rein und bis der schaut, musst aber schon weg sein. Ich war eher ein bisschen schmächtig. Aber den Gunter hatte ich gut erwischt. Das hatte geklappt. Der Typ hatte selbst aber auch wirklich eine schwere Kindheit. Der Vater ein Waschlappen, die Mutter dominant. Dagegen war bei uns alles noch relativ geregelt.
Wenn ich etwas sagen wollte, begann ich zu stottern. Wenn ich gefragt wurde, wusste ich zwar die Antwort, aber ich konnte es nicht sagen. Zuhause schon, nur nicht, wenn ich weg war. Das war in der ersten Klasse, da wollten sie mich schon wieder heimschicken wegen dem Stottern. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden. Da wurde ich sogar gefragt, ob ich noch daheimbleiben wolle, aber ich wollte unbedingt in die Schule. Diese Sprechstörung war immer nur in der Schule. Dann stand im Zeugnis: Er hat sich ein bisschen verbessert. Immer wenn es hieß, ich solle was sagen, kam das Stottern. Wie so eine Art Schnappatmung. Das war auch später noch so, wenn ich auf einer Versammlung sprechen musste. Da war es auch immer schwierig. In der Schule habe ich mich mit Dreiern schon gut durchgewurschtelt. Ich konnte auch rechnen, ich war nicht blöd, ich konnte nur einfach nicht gut sprechen. Das hatte der Vater schon erkannt. Ich hatte schon Angst vor der Schule und bin nicht gerne gegangen, aber dann musste ich wenigstens nicht arbeiten in der Zeit. Die Lehrer haben mich dann einfach in Ruhe gelassen, wenn ich nichts sagen konnte. Setz dich einfach wieder, haben sie gesagt. Ich hätte es meistens gewusst, aber konnte es nicht sagen. Die anderen Kinder haben gelacht. Dann kriegst einen roten Kopf und dann war‘s wieder vorbei. Gehänselt bin ich worden. Das war nicht unbedingt schön. Deshalb habe ich damals schon geschaut, dass ich mich auf illegale Art und Weise durchwurschtel. Also mit Abschreiben und Spicken. Einen guten Freund hatte ich, das war auch ein Bauernjunge, mit dem verstand ich mich ganz gut. Aber sonst war ich eher Einzelgänger. Die Sprechblockade ist erst in der siebten, achten Klasse besser geworden. Da haben wir einen Lehrer W. gehabt. Der macht mir heute ein bisschen Sorgen. Ich habe immer noch Kontakt, aber er igelt sich ein und mag niemanden sehen. Er ist natürlich mittlerweile in Pension. Aber der hat mir damals geholfen. Da haben wir einen Phantasieaufsatz geschrieben und meiner hat dem Lehrer gut gefallen. Ich habe statt Uhr das Wort Chronograph verwendet, das hat ihm imponiert. Die Eltern haben wegen der Sprechblockade nichts unternommen. Logopädie oder sowas hat es ja noch nicht gegeben.
Wir Kinder hatten kaum Zeit zur freien Verfügung. Der Nachbarsjunge kam manchmal, wurde aber von der Mama wieder verscheucht, weil man ihn nicht brauchen konnte. Weil der nur stört und die Buben auf dumme Gedanken bringt. Mit dem bin ich heute noch befreundet. Der kann alles von mir haben und umgekehrt. Der hat den elterlichen Bauernhof übernommen. Der ist in der ersten Klasse sitzengeblieben. Das habe ich gar nicht mitbekommen. Da geh ich dann in die zweite Klasse, und der ist auf einmal nicht mehr da. Das hat er mir die ganzen Ferien nicht gesagt, dass er nochmal von vorne anfangen muss. Der ist sitzengeblieben. Da haben sich die Eltern gar nicht gekümmert. Da haben sich unsere noch mehr gekümmert. Der war ein Nachzügler, der war der letzte. Da ist mal eine Geschichte passiert: Es hat noch die Setzkästen gegeben, der Holzkasten war schon sehr alt und lag bestimmt sechs oder sieben Jahre auf dem Dachboden. Und die Eltern haben dem Jungen den einfach mitgegeben, ohne zu schauen, ob er vollständig oder noch zu gebrauchen war. Und in der Schule hat er ihn geöffnet, er saß neben mir, und was kam heraus? Lauter Ohrenschloifer, die sind dann überall rumgekrochen. Die haben zuhause nicht mal reingeschaut, ob der Setzkasten noch passt, und mein Freund macht ihn in der Schule auf … Der Lehrer steht da, und dann kommen die Viecher raus. So waren die Bauern früher. Sowas wäre mir nicht passiert. Da hätte die Mama schon geschaut.
Ich habe unheimlich gern aus Quelle- oder Neckermann-Katalogen die Bilder von Spielsachen ausgeschnitten. Sachen, die ich nie bekommen hätte. Das Ausschneiden haben die Eltern mir aber nicht erlaubt, weil die Schere stumpf werden würde. Das sind so Sachen, naja - da wird die Schere stumpf. Oder dass z. B. in der dritten Klasse dich der Lehrer zu sich mit nach Hause nimmt. Und du musst beim Lehrer in seinem Privathaus irgendwas 45 Mal abschreiben. Er legt sich in der Zwischenzeit zum Mittagsschlaf hin, und du kommst um vier Uhr nachmittags heim. Von der Strafarbeit wussten die Eltern nichts. Und dann kriegst eine Watschn, weil du so spät kommst. Wir waren dort zu zweit, da hat der Lehrer uns quasi drei Stunden eingesperrt. Heute wäre das unmöglich. Da kommt die Polizei und sucht nach einem. Daheim hat uns das keiner geglaubt. Da haben die Eltern auch nicht beim Lehrer nachgefragt. Richtig gern in die Schule gegangen bin ich nicht. Es gibt einen Film, der heißt "Der kalte Himmel". Zufällig habe ich kürzlich einen kleinen Ausschnitt gesehen. Da spielt die Christine Neubauer eine Mutter in den 1960er Jahren. Es dreht sich um eine Hopfenbauerfamilie in der Hallertau, der Sohn ist Autist. Er ist total auf Zahlen fixiert, alles andere vergisst er. Manchmal habe ich mich in dem Film wiedererkannt. Die Geschichte macht mich schon ein wenig nervös, weil ich mich da ein bisschen wiedersehe. Das war natürlich nicht so dramatisch bei mir, aber ich war auch nie ganz bei der Sache und habe ganz andere Dinge spekuliert. Ich habe mit fünf, sechs oder sieben Jahren schon an ganz andere Sachen gedacht als die Gleichaltrigen. Ich habe mich auch immer schon für Landkarten, Geografie interessiert, da haben andere gar nicht gewusst, dass die Erde ein Planet ist mit vielen interessanten Ländern. Oder für Bücher. Ich schau erstmal, wer hat das gemacht, wer hat das verlegt, wo kommt das her. Einmal ist der Nikolaus gekommen, der Papa hat einfach einen Sack draußen hingestellt. Und da war ein Schoko-Nikolaus dabei, da war der Bruder vielleicht vier und ich sieben. Und ich habe den Nikolaus von unten angeschaut. Der war von der Firma Brandt in Landshut. Mich hat sofort interessiert, wo der Nikolaus hergestellt wurde. Da schaut ein anderer gar nicht danach, mich hat das sofort interessiert. Da muss ich heute noch immer an die Geschichte denken, wenn ich in die Gegend komme. Ein Kind in dem Alter denkt normalerweise, dass das Geschenk vom Nikolaus käme, aber nicht vom Brandt in Landshut. Aber das habe ich immer gemacht, das hat mich interessiert. Egal was, ich schau immer, wo das herkommt oder was dahintersteckt.
Wirtschaftsgeografie, das hat mich am allermeisten interessiert. Bekomme ich in der Schule eine glatte Sechs. Wenn ich mich gemeldet habe, hat der Lehrer eine Sechs reingeschrieben. Ich habe nur den Finger heben und gar nichts sagen brauchen, habe ich schon eine Sechs bekommen. Das war das Fach, das mich heute noch interessiert. Ich weiß gar nicht, ob es das Fach heute noch gibt. Da waren z. B. diese Kurvendiagramme, Wirtschaftssektoren, meinetwegen Burghausen mit der vielen Chemie. Strukturdaten, das hat mich interessiert, und genau in diesem Fach gibt mir der Lehrer an glatten Sechser. Auch wenn ich mich dagegen gewehrt habe, das hat nichts geholfen. In der neunten Klasse war ich Klassensprecher. Das war das Abschlussjahr. Mit einem Zeugnis mit der folgenden Bemerkung bekommt man eigentlich nirgends eine Anstellung. Das war das Quali-Zeugnis:
Der Schüler zeigte Fleiß und Interesse in allen Bereichen und rege Mitarbeit im Unterricht. Seine brauchbare Kritikfähigkeit artete aber nicht selten in gewohnheitsmäßige Opposition aus. Sein sonstiges Verhalten war in Ordnung.
Wozu dieser Satz? Wenn sich das einer genau durchliest, der denkt sich, ich sei ein Querulant. Da ist man quasi gezeichnet fürs Leben. Das war zwar in meinem Fall dann eh egal, aber trotzdem. Und ich hatte z. B. in der siebten Klasse in Sport eine glatte Sechs. Wie kann das sein? In Erdkunde wieder gut. Zwei Sechser: Sport und Wirtschaftsgeografie. Dabei konnte ich mühelos 100 km Rad fahren am Tag. Und in einem Zeugnis stand das mit dem Stottern. Dritte Klasse, die Bemerkung lautete: Wenn er auch im Sprechen gehemmt ist, könnte er bessere Leistungen erzielen. Er lässt sich leicht ablenken. Sonst zeigt der Bub ein gutes Betragen. Ja, ich war auch nie bei der Sache in der Schule.
Als Jugendlicher habe ich das gemacht, was alle in dem Alter machen. Mit den Jungs von den Nachbarn habe ich gerne mal eine Halbe Bier getrunken. Wir hatten eine kleine Hütte und dort haben wir halt manchmal einen Kasten Bier getrunken. Das war damals normal. Damals hatte ich schon etwas Kontakt mit anderen Burschen, so einmal in der Woche oder bei Feiern wie Sonnwendfeuer. Da hat man sich halt getroffen. Mit meinen zwei Freunden und da sind halt dann mehr gekommen. Meistens waren das so oberflächliche Gespräche. Die Hütte haben ein paar ältere Jungs gebaut. Die Hütte ist am Waldrand gestanden. Die Hütte gibt es heute noch. Die ist mittlerweile schon zweimal abgebrannt. Das ist jetzt die dritte Hütte und die steht immer noch an derselben Stelle. Und da feiern heute auch wieder die jungen Leute drin. Wenn man das erste Mal ein Mädl abschleppt, geht man halt in die Hütte zum Bussieren, so ist das auch heute noch. Da hat man sich nicht regelmäßig getroffen, wenn es sich halt ergeben hat, und da hat man dann halt ein paar Bier getrunken. Das war oberflächlich und einfach Gaudi. Aber damals hat ein jeder schon seinen Weg gesucht. Der Anderl z. B., der wollte was lernen, er Vater hat nur gesagt: Nein, das sind verlorene Jahre, du gehst sofort in die Fabrik, da verdienst gleich was. Wie die alten Bauern halt manchmal so ihre engstirnigen Ansichten gehabt haben. Die haben den Kindern nichts lernen lassen, weil sie meinten, das wären verlorene Jahre. Du musst von Anfang richtig Geld verdienen. Die haben den Jungen ihren eigenen Willen aufgezwungen. So haben die Alten halt gedacht. Einer wollte zur Landwirtschaftsschule, da hat der alte Bauer gesagt: Du musst von mir was lernen und wenn du von mir nichts lernst, dann bleibst du halt dumm.