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Auf der Flucht

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Zwei Millionen Flüchtlinge aus Ostpreußen, Pommern und Danzig wurden in den letzten hundert Tagen des Zweiten Weltkriegs über die Ostsee nach Dänemark und Norddeutschland evakuiert. Kinder, Frauen, alte Menschen und verletzte Soldaten auf der verzweifelten Flucht vor den voranstürmenden sowjetischen Truppen.

Es war die größte Evakuierung der Weltgeschichte von Flüchtlingen über das Meer.

Hinter sich ließen die Flüchtlinge ihre brennenden Städte, gefallene Soldaten, vergewaltigte Frauen und tote Angehörige. Vor ihnen lag das Meer als einzige Fluchtmöglichkeit und über ihnen kreisten die sowjetischen Jagdflugzeuge, die sie auf den Fluchtwegen über Land beschossen und bombardierten.

An Bord eines Flüchtlingsschiffes zu kommen bedeutete nicht zwangsläufig die Rettung, da sowjetische U-Boote ebenso wie englische und amerikanische Bomber die Schiffe unter Beschuss nahmen, was zu den größten – und am erfolgreichsten verschwiegenen – Schiffskatastrophen der Weltgeschichte führte: Am 31. Januar 1945 wurde das Flüchtlingsschiff Wilhelm Gustloff mit ungefähr 4000 Flüchtlingen an Bord versenkt. Am 10. Februar kamen 3500 Flüchtlinge ums Leben, als die General Steuben unter Beschuss versank. Die Goya, die im April mit 6000 Flüchtlingen an Bord auf dem Weg nach Kopenhagen war, wurde von Torpedos getroffen und sank innerhalb weniger Minuten. Nur 183 Flüchtlinge konnten gerettet werden. In der Lübecker Bucht bei Neustadt versenkten englische Bomber am 3. Mai die Cap Arcona und die Thielbek, zwei Schiffe mit 7500 Menschen an Bord. Die Bombardierung dieser beiden Schiffe wurde später als »tragischer Fehler« angesehen. An Bord befanden sich nämlich keine deutschen Frauen und Kinder auf der Flucht, sondern Gefangene aus deutschen Konzentrationslagern.

Im Vergleich dazu kostete der Untergang der Titanic »nur« 1517 Menschen das Leben.

Über diese grausamen, wohlüberlegten Angriffe auf die flüchtende Zivilbevölkerung wurde nur sehr wenig gesprochen, da man nicht gerne zugab, dass die Deutschen auch Opfer gewesen waren und die Alliierten auch Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung verübt hatten.

Bei Kriegsende befanden sich 240 000 deutsche Flüchtlinge in Dänemark. Die Besatzungsmächte in Deutschland ließen sie nicht zurück in das zerbombte Land, so dass sie in Dänemark bleiben mussten – was ihnen genauso wenig zusagte wie den Dänen. Die letzten Flüchtlinge verließen das Land erst vier Jahre später.

Nach dem 5. Mai wurden die Flüchtlinge in bewachten Lagern hinter Stacheldraht interniert. Die Sterblichkeitsrate war hoch. Im Laufe des Jahres 1945 starben über 90 Prozent der Kinder unter einem Jahr und mindestens ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren. Einzelne Dänen protestierten, doch die vorherrschende Stimmung in der öffentlichen Debatte war bar jeden Mitleids: Die Kinder hatten es nicht besser verdient. Sie waren Deutsche.

Strenge Gesetze verboten den Kontakt zu Flüchtlingen und einzelne barmherzige Dänen, die versuchten, Lebensmittel in die Lager zu werfen, wurden hart bestraft.

Ostpreußen, eine der ältesten deutschen Provinzen, wurde bei Kriegsende zwischen Russland und Polen aufgeteilt. Die Ostpreußen, die nicht geflohen oder von den Siegern getötet worden waren, wurden zwangsumgesiedelt.

Schon früh habe ich Berichte über den grausamen Krieg und die Flucht aus Ostpreußen gehört – so wie Oma meiner Mutter davon erzählt hatte.

Oma war eine ältere Frau, die aus der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg geflüchtet war. Meine damals neunundzwanzigjährige Mutter ließ sie in den letzten Monaten des Krieges bei uns wohnen. Als nach der Befreiung der Kontakt zu den deutschen Flüchtlingen verboten wurde, kam Oma – zur großen Sorge meiner Mutter – in das Lager in Oksbøl, wo sie eine harte Zeit durchmachte, bis sie nach Ostdeutschland repatriiert wurde. Bis zu ihrem Tod unterhielt sie engen Kontakt zu meiner Mutter.

Die absolut fiktiven Abschnitte über die Flüchtlinge aus Ostpreußen sind inspiriert von Omas Erzählungen und den Doktorarbeiten von Henrik Havrehed »Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945–49« und Arne Gammelgård »Menschen im Mahlstrom« sowie von Kirsten Lylloffs historischem Artikel »Gilt der hippokratische Eid für alle?«.

Gretelise Holm

In tiefem Schlaf

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