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Amicus und Amelius
ОглавлениеIn einem deutschen Schlosse wurde zur Zeit des Frankenkönigs Pippin, einem edlen und frommen Ritter, ein Sohn geboren. Weil das Kind ihr einziges war, so versprachen die Eltern Gott und dem heiligen Petrus und Paulus, sie wollten es in Rom vom Papste taufen lassen, wenn sie am Leben blieben. Zur selben Zeit hatte der Graf von Antwerpen ein Gesicht während der Schwangerschaft seiner Frau, in welchem er sah, wie der Heilige Vater in Rom viele Kindlein taufte und im Glauben stärkte. Diesen Traum deutete man ihm dahin, daß er einen Sohn bekommen werde, den er vom Papste taufen lassen müsse. Das Kind wurde geboren und mit Sorgfalt auferzogen, als es aber zwei Jahre alt war, da trug es sein Vater nach Rom. In der Stadt Lucca traf er den deutschen Ritter, welcher zum gleichen Zwecke nach Rom zog, und sie taten sich zusammen; die Kindlein aber schlossen innige Freundschaft und aßen und schliefen miteinander. Die Knaben wurden in der Kirche des Heilandes vom Papste getauft und der Grafensohn erhielt den Namen Amelius, während der Ritterssohn Amicus genannt wurde. Nach der heiligen Handlung ließ der Papst zwei mit Gold und Edelsteinen verzierte Holzbecher bringen, welche einander völlig gleich waren, die gab er den Kindern und sprach: "Nehmt diese Gabe zur Erinnerung daran, daß ich euch in der Kirche des Heilandes getauft habe!" Dann kehrten die Eltern wieder voll Freude heim, jeder in sein Land.
Dem deutschen Ritterssohn gab Gott große Weisheit, und als er das Mannesalter erreicht hatte, da raffte ein Fieber seinen Vater hinweg. Nach dem Tode des Vaters taten ihm seine Neider aus Haß mancherlei Unrecht, doch er trug geduldig, was man ihm antat. Schließlich trieben sie es so weit, daß sie ihn samt seinen Getreuen vom väterlichen Erbe verjagten, und er sprach zu seinen Begleitern: "Aus Haß haben mich meine Neider von meinem Erbe vertrieben, aber ich baue auf die Hilfe Gottes. Gehen wir an den Hof des Grafen Amelius, der mein Freund und Gefährte wurde. Dieser wird uns mit seiner Habe reich machen. Tut er das nicht, so ziehen wir zu Hildegard, der Königin und Gattin des Frankenkönigs Karl, welche gewöhnlich die Enterbten unterstützt." Sie begaben sich also an den Hof des Grafen, doch sie fanden ihn nicht, denn er war nach Deutschland gegangen, um seinen Freund über den Tod des Vaters zu trösten. Als der Graf denselben nicht antraf, ging er voll Unmut fort und beschloß, nicht eher heimzukehren, bis er seinen Gefährten Amicus gefunden habe. Ebenso suchte dieser seinerseits den Grafen ohne Unterlaß. Dabei kam er mit seinen Begleitern in das Haus eines Edelmannes, wo er beherbergt und bewirtet wurde. Der Edelmann aber sagte zu den Getreuen des Ritters: "Bleibt bei mir, ihr Herren, ich will eurem Herrn um seiner großen Weisheit willen meine Tochter geben und euch alle will ich reich an Gold und Gut machen." Dieser Rat gefiel ihnen und sie feierten mit großen Festen die Hochzeit des Amicus.
Als sie ein Jahr und ein halbes dort verweilt hatten, sprach Amicus zu seinen Getreuen: "Wir haben übel gehandelt, daß wir es solange unterlassen haben, Amelius zu suchen." Und er ließ zwei seiner Gefolgsleute und seinen Becher zurück und machte sich auf gen Paris. Der Graf aber hatte Amicus ohne Unterlaß zwei Jahre lang gesucht und zog gleichfalls nach Paris. Auf dem Wege dorthin traf er einen Pilger, den fragte er nach Amicus, dem Landflüchtigen. Obwohl ihm der Pilger keine Auskunft geben konnte, schenkte er ihm doch seinen Mantel und bat ihn, für den Erfolg seines Suchens zu beten. Am nämlichen Abend traf Amicus den Pilger und fragte ihn nach dem Grafensohn von Antwerpen. "Spottet Ihr meiner," sprach da der Pilger voll Unmut, "Ihr selbst seid doch Amelius und habt mich erst heute nach Eurem Gefährten Amicus gefragt!" So ähnlich sahen die Freunde einander.
Am anderen Morgen war Amelius wieder von Paris aufgebrochen und saß mit seinen Rittern in einer blühenden Wiese am Seinefluß beim Mahl. Als sie aber Amicus mit seinen bewaffneten Begleitern heranreiten sahen, da sprangen sie auf, waffneten sich und ritten ihnen entgegen. Indessen sprach Amicus zu seinem Gefolge: "Ich sehe fränkische Ritter, welche in Waffen auf uns zukommen. Kämpft tapfer und verteidigt euer Leben!" Dann gingen beide Teile mit gefällten Lanzen und entblößten Schwertern aufeinander los, aber ehe sie zusammenprallten, fügte es Gott, daß sie ihre Rosse anhielten. "Wer seid Ihr, Ritter," sprach Amicus, "da Ihr Amicus, den Verbannten, und seine Begleiter töten wollt?" Jetzt erkannte Amelius seinen Gefährten und gab sich ihm zu erkennen. Sie stiegen beide vom Rosse, umarmten einander und dankten Gott, daß er sie endlich zusammengeführt habe. Darauf gingen sie an den Hof des Frankenkönigs Karl; dieser empfing sie freundlich und machte Amicus zu seinem Schatzmeister, Amelius aber zu seinem Seneschall.
Nach dreijährigem Aufenthalt am Hofe zu Paris sprach Amicus eines Tages zu seinem Freund: "Lieber Gefährte, mich verlangt danach, meine Frau zu besuchen, welche ich daheim zurückließ. Ich werde zurückkehren, sobald ich es vermag. Bleibe du am Hofe, aber hüte dich, die Königstochter zu berühren und nimm dich vor dem treulosen Ardri in acht!" Aber als Amicus fort war, warf Amelius seine Augen auf die schöne Königstochter und vergaß das Gebot seines Gefährten. Und das war nicht weiter merkwürdig, denn er war weder heiliger als David noch weiser als Salomo. Unterdessen kam der treulose Ardri, der ihn beneidete, zu ihm und sprach: "Du weißt also nicht, daß Amicus geflohen ist, weil er den Schatz des Königs bestohlen hat?" So drängte er sich an ihn, daß Amelius mit ihm Freundschaft schloß und ihm sein Geheimnis enthüllte. Eines Tages, als der Graf dem König das Wasser zum Händewaschen reichte, sprach der falsche Ardri zu Karl: "Nehmt kein Wasser von diesem Schurken, mein Herr und König, denn er ist des Todes mehr wert als des Lebens, weil er der Königstochter die Blüte der Jungfrauschaft genommen hat." Bei diesen Worten des Verräters fiel Amelius zitternd zu Boden und konnte kein Wort hervorbringen. Der König jedoch hob ihn wohlwollend auf und sprach: "Erhebe dich, Amelius und fürchte dich nicht, sondern verteidige dich gegen diesen Vorwurf!" Da erhob sich der Graf und sprach: "Mein Herr und König, glaubt nicht den Lügen des falschen Ardri. Ich weiß, daß Ihr ein gerechter Richter seid, darum bitte ich Euch, mir Frist zu gewähren, daß ich mich mit meinen Freunden beraten kann. Dann will ich mich gegen diesen Vorwurf verteidigen und mit dem Verräter vor dem ganzen Hofe kämpfen." Der König gewährte beiden eine Frist bis zum Abend, und als die Frist abgelaufen war, da wies Ardri einen Grafen Herbert vor, der für ihn bürgen wollte, aber Amelius fand keinen Fürsprecher. Er bat daher um eine neue Frist und sie wurde ihm auf Bitten der Königin gewährt, doch unter der Bedingung, daß Hildegard für immer vom Bette ihres Gemahls geschieden bleiben sollte, wenn Amelius nicht rechtzeitig zurückkehrte, denn sie schien mitschuldig an dem begangenen Unrecht. Amelius ritt aus der Stadt und traf auf seinen Freund, welcher gerade an den Hof zurückkehren wollte. "Ich habe dein Gebot schlecht befolgt," sprach er zu ihm, "denn ich habe mich der Königstochter wegen dem Tadel ausgesetzt und habe einen Zweikampf gegen den treulosen Ardri angenommen." "Tauschen wir unser Gewand!" erwiderte Amicus, "du gehst in mein Haus und ich will für dich gegen den Verräter Ardri kämpfen." Sie tauschten ihre Kleider und ihre Rosse, und Amicus ging in der Gestalt des Amelius an den Königshof, während letzterer in der Gestalt des Gefährten in dessen Haus zog. Als das Weib des Amicus ihren vermeintlichen Gatten zurückkommen sah, da lief sie ihm entgegen und wollte ihn umarmen, er aber stieß sie von sich und sprach, er trage Kummer im Herzen. Abends bestiegen sie das gemeinsame Lager, aber Amelius legte sein Schwert zwischen sich und die Frau und sprach zu ihr: "Hüte dich, mich anzurühren, sonst stirbst du von diesem Schwert!"
Der für den Zweikampf angesetzte Zeitpunkt war gekommen und die Königin erwartete Amelius mit Ungeduld. Schon frohlockte der Verräter, da trat Amicus in der Gestalt seines Gefährten vor den König und sprach: "Gerechter Richter, ich bin bereit, gegen den falschen Ardri zu kämpfen, um mich, die Königin und ihre Tochter von dem Makel, mit dem man uns befleckt hat, zu reinigen." "Wenn du im Kampfe siegst, Graf," sagte der König, "so werde ich dir meine Tochter zur Frau geben." Am andern Tage traten Amicus und Ardri bewaffnet in die Schranken in Gegenwart des Königs und des gesamten Hofes. Die Königin aber und ihre Frauen beteten für den Kämpfer der Königstochter. Darauf schwur Ardri, daß sein Gegner die Königstochter geschändet habe, dieser aber schwur dawider, er habe sie nie berührt. Sie kämpften von der dritten bis zur neunten Stunde, dann wurde Ardri besiegt und Amicus hieb ihm das Haupt ab. Der König freute sich, daß seine Tochter von diesem Vorwurf gereinigt war und er gab sie dem Sieger nebst vielem Silber und Gold und einer Stadt am Meer, in welcher sie wohnen sollten. Amicus ritt zu seinem Weibe und Amelius feierte Hochzeit mit der Königstochter und zog mit ihr in jene Stadt am Meer.
Bald darauf geschah es mit Zulassung Gottes, daß Amicus aussätzig wurde und das in solchem Grade, daß er sein Lager nicht mehr verlassen konnte, denn Gott züchtigt, wen er liebt. Sein Weib begann ihn zu hassen und suchte ihn zu erdrosseln, daher rief Amicus zwei seiner Diener zu sich und sprach: "Nehmt mich von meiner Frau fort, packt meinen Becher ein und bringt mich auf mein Schloß in Deutschland!" Als sie aber dorthin kamen, trieb man sie mit Schlägen von hinnen. Nun bat Amicus Gott um den Tod und befahl seinen Dienern, ihn nach Rom zu führen. Dort verweilten sie der Jahre drei, dann aber brach in Rom Hungersnot und Seuche aus und die Diener wollten nicht mehr bei ihrem Herrn verharren. Da bat sie dieser, sie sollten ihn in jene Stadt tragen, wo Amelius wohnte. Vor dem Hause des Grafen begann Amicus mit seiner Klapper zu schlagen, wie es die Sitte der Aussätzigen ist. Als Amelius den Ton hörte, befahl er seinem Diener, dem Kranken Brot und Fleisch zu bringen und einen Becher Wein. Der Diener kam zurück und sprach: "Bei Gott, Herr, wenn ich Euren Becher nicht in der Hand hielte, so würde ich glauben, der Kranke hätte ihn genommen, so ähnlich sah ihm der seinige." Sogleich ließ Amelius den Kranken hineinführen und erkannte seinen Freund, welcher ihn vor dem Tode gerettet und ihm die Königstochter verschafft hatte. Man bettete den Kranken auf ein weiches Lager, und er blieb bei ihnen, und sie pflegten ihn, bis Gott seinen Willen an ihm ergehen ließe.
Eines Nachts lagen Amicus und Amelius in einer Kammer, da schickte Gott seinen Engel Rafael zu Amicus und hieß ihn reden wie folgt: "Amicus, schläfst du?" Jener glaubte, sein Gefährte rede zu ihm, und er erwiderte: "Ich schlafe nicht, mein Freund!" "Mit Recht nennst du dich Freund der Himmlischen," hub der Engel wieder an, "denn du gleichst Job und Tobias an Geduld. Wisse, ich bin Rafael, der Engel des Herrn, der mich sendet, dir das Heilmittel für dein Leiden zu verkünden, denn er hat dein Gebet erhört. Du sollst Amelius, deinem Gefährten, sagen, er möge seine beiden Kinder töten und dich mit ihrem Blute waschen, auf daß du die Gesundheit des Leibes wiedererlangst!" Nach diesen Worten verschwand der Engel, Amelius aber hatte im Schlaf die Worte gehört, er erwachte und sprach: "Wer hat mit dir geredet?" "Niemand," versetzte Amicus, "ich habe nach meiner Gewohnheit zu Gott gebetet." "Das war es nicht, sondern es hat jemand zu dir gesprochen!" Nun erzählte der Kranke dem Freunde unter Tränen, was der Engel von ihm verlangt habe. Der Graf war zuerst zwar unmutig und erschrocken, dann aber bedachte er bei sich, wie Amicus einst an seiner Statt am Königshofe dem Tode getrotzt habe, und er beschloß, ihn zu retten. Sobald seine Gemahlin in die Frühmesse gegangen war, nahm er sein Schwert und trat in die Kammer, in der die Kinder schliefen. Er warf sich über sie und sprach weinend: "O, meine Kinder, ich bin Euer Vater nicht mehr, sondern Euer Mörder!" Die Kinder erwachten von den Tränen ihres Vaters und lächelten ihn an. Er aber hieb ihnen die Köpfe ab und wusch seinen Freund mit ihrem Blute. Da wurde Amicus von der Miselsucht geheilt und die Freunde gingen in den Dom, um Gott zu danken, und die Glocken begannen von selbst zu läuten. Die Gräfin war freudig erstaunt, als sie den Gast gesund sah, sie ließ ihn in prächtige Gewänder hüllen und dann setzten sie sich zum Mahl. Um die dritte Stunde wollte die Gräfin ihre Kinder sehen, um mit ihnen zu scherzen, doch der Gatte wehrte es ihr und sprach: "Laß die Kinder schlafen, Frau!" Und er schlich sich allein in ihre Kammer, um über ihren Leichen zu weinen. Aber siehe: sie lagen gesund im Bett und lachten ihm entgegen. Nur die Schnittstelle wand sich rings um den Hals wie ein roter Faden. Da nahm sie der Graf auf den Arm und trug sie zu ihrer Mutter: "Freut Euch, Frau, denn Eure Kinder, die ich auf das Gebot des Engels getötet hatte, sind am Leben, und von ihrem Blut ist Amicus geheilt!"