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ОглавлениеLiebe Leserinnen, liebe Leser!
Die missionarische Sendung ist konstitutiv für das Selbstverständnis des Christentums, und Mission ist ein zentraler Begriff der christlichen (und darüber hinaus vieler anderer) Theologien. Für den Bereich der katholischen Kirche hat Mission mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – nicht nur im missionstheologischen Dokument Ad gentes – eine grundlegende Neubestimmung erfahren. Dafür sind vier eng mit dem Konzil verbundene Gesichtspunkte ausschlaggebend: Erstens wird offenbarungstheologisch – beispielsweise in Dei verbum – die Weitergabe des Glaubens als dynamisches Kommunikationsgeschehen verstanden. Wie sich Gott in der Offenbarung mitteilt und in einen Dialog mit den Menschen tritt, so treten auch die Menschen untereinander in einen Dialog der Verkündigung. Mission umfasst sowohl das Erzählen, Darstellen, Lehren, Vorleben des eigenen Glaubens als auch das Hören, Anschauen, Lernen, Nachvollziehen der Vielfalt der Lebens- und Glaubenswirklichkeiten der Menschen in der jeweils „heutigen“ Welt. Dies gilt zweitens in besonderer Weise für den Dialog zwischen den Religionen. Wenngleich die Kirche die Unterschiede zwischen den religiösen Überzeugungen nicht übersieht, so betont sie – etwa in Nostra aetate – die übereinstimmenden Anliegen und Gemeinsamkeiten, die hinter den verschiedenen Lehren und Regeln stehen. Drittens impliziert der politische Gewaltverzicht der Kirche ein verändertes Missionsverständnis. Die Trennung von Religion und Politik – und damit die Religionsfreiheit – wird im Dokument Dignitatis humanae erstmals befürwortet. Zwar hält die Kirche an ihrem religiösen Wahrheitsanspruch fest, trennt ihn jedoch von einem politischen Machtanspruch. Der Mensch, der in der Pflicht steht, nach der religiösen Wahrheit zu suchen, benötigt hierfür gesellschaftliche und politische Freiheitsspielräume, dies in der einen oder anderen Weise zu tun und die eine oder andere religiöse Überzeugung anzunehmen. Da diese Modernisierung mit der Würde und Freiheit des Menschen begründet wird, verändert sie grundlegend die Sicht auf die religiöse Selbstbestimmung aller Menschen. Viertens schließlich war das Konzil – mit der Gegenwart nicht-katholischer Beobachter, mit der Präsenz zahlreicher Teilnehmer aus früheren Kolonialgebieten sowie mit dem Bedeutungs- und Einflussgewinn der kirchenpolitischen „Peripherie“ – selbst ein dynamisches Kommunikationsgeschehen und ein (unvollendetes) missionarisches Ereignis.
Dieses erneuerte Missionsverständnis lässt allerdings auch die gravierende Ambivalenz der missionarischen Praxis deutlich hervortreten: Historisch bedeutete Mission häufig religiöse Bevormundung und Zwang, scharfe religiöse und konfessionelle Wahrheitskonkurrenz, physische und politische Gewaltanwendung sowie Kolonialisierung im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn. Es geht immer auch um den Umgang mit dieser „postkolonialen Hypothek“, wenn wir uns heute Gedanken zu Mission und zu einem missionarischen Auftrag machen.
Das vorliegende Heft bietet ein Spektrum von biblischen, historischen, pastoralen, systematischen und praktischen Perspektiven auf die Mission im Christentum. Klara-Antonia Csiszar (Linz) bietet zunächst anhand der Vorstellung einer empirischen Studie zum Missionsverständnis einen Einblick, was gläubige Menschen unter Mission verstehen. Michael Zugmann (Linz) setzt das Heft mit einem Überblick über Missionsmotive des Neuen Testaments fort. Mit Gesichtspunkten der Mission im frühen Mittelalter setzt sich Lutz E. von Padberg (Paderborn/Gießen) auseinander. Eine Kritik der Missionstheologie aus befreiungstheologischer und postkolonialer Perspektive entwickelt Stefan Silber (Paderborn). Affirmativ skizziert Stephen Bevans (Chicago) das Missionsverständnis von Papst Franziskus (der Text wurde für dieses Heft von Andreas Telser, Linz, ins Deutsche übersetzt). Die Missionstheologie eines „klassischen Missionsordens“, der Steyler Missionare, erläutert Martin Üffing (Sankt Augustin, wie Stephen Bevans selbst Steyler Missionar). Schließlich bietet Wolf-Gero Reichert (Rottenburg) einen Einblick in das Missionsverständnis und die missionarische Praxis der deutschen Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Über die thematischen Beiträge hinaus enthält das Heft Überlegungen von Markus Weißer (Regensburg) zur Ausrichtung der Dogmatik in Zeiten digitaler Kommunikation sowie einen Aufsatz zum Zusammenhang von Identitätspolitik und Christentum: „(Meta-)Identität des Christlichen in der pluralen Gesellschaft“. Es handelt sich dabei um die Antrittsvorlesung, die Ansgar Kreutzer, ehemaliger Chefredakteur dieser Zeitschrift, an der Justus Liebig-Universität Gießen gehalten hat. Rezensionen theologischer Neuerscheinungen schließen das Heft ab.
Liebe Leserinnen und Leser!
Nicht nur für Religionsgemeinschaften und Theologien, sondern auch für unser individuelles religiöses Selbstverständnis ist Mission bedeutsam. Sie bringt den Zusammenhang von Taufe und Sendung zum Ausdruck. Mit der Taufe sind wir gesandt, in der Vielfalt unserer Möglichkeiten, Begabungen, Orientierungen, auch in der Wechselhaftigkeit unserer Lebens- und Glaubensgeschichten zu zeigen, dass unser Glaube und unsere gläubige Praxis plausibel sind. Eine im oben skizzierten Sinne missionarische Kirche muss dann bereit sein, die kulturell und sozial unterschiedlichen Sendungswege der Menschen anzuerkennen. Auch innerkirchlich muss Mission, wenn wir das Zweite Vatikanum ernst nehmen, als dialogisches Kommunikationsgeschehen verstanden werden.
Ihr
Christian Spieß
(für die Redaktion)