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Vorwort Susanne Hochreiter, Ursula Klingenböck, Elisabeth Stuck, Sigrid Thielking, Werner Wintersteiner Schnittstellen literarischer Bildung 1. Literatur und die/in der europäische/n Bildungsdebatte

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Die Auffassung von Literatur als Selbstzweck oder als unumstrittener Wert eines humanistischen Bildungsideals scheint längst passé zu sein. Bildung und Ausbildung sind entlang politischer und ökonomischer Entwicklungen spätestens seit den 1980er Jahren Teil eines Leistungs- und Qualifizierungsdiskurses geworden, der deutlich anders akzentuiert ist als zuvor: Die Funktionalisierung von Information, die Verwertbarkeit von Kenntnissen und Fertigkeiten für einen zunehmend komplexen und internationalen Arbeitsmarkt unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen stehen im Zentrum. »Bildung« muss sich gefallen lassen, befragt, gemessen, kritisiert, modifiziert zu werden. Da geht es um Inhalte, Fächer, Methoden der Vermittlung, Kompetenz- und damit Output-Orientierung sowie um Verfahren ihrer Messung und Sicherung. Literatur ist angesichts dieser Ansprüche in einer besonderen Position: Sie ist zunächst Vermittlungs-Tool, wenn es etwa um den Erwerb von Schreib- und Lesekompetenzen geht (also gleichsam Sekundärphänomen), sie ist aber auch Gegenstand/Medium der Vermittlung (literar)historischen und ästhetischen Wissens, und sie ist schließlich Handlungsfeld von individueller, sozialer und kultureller Bedeutsamkeit.

Für die Bedeutung, die Literatur als Gegenstand von Bildung hat bzw. haben soll, stellen sich dringende Fragen: Von welchem Literaturbegriff wird jeweils ausgegangen? Welche gesellschaftlichen Funktionen hat »Literatur«? Welchen Stellenwert soll sie – in unterschiedlichen Lehr- und Lernsituationen sowie in verschiedenen institutionellen Kontexten (Schulen, Hochschulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen) – haben? Welche Aufgaben kommen Literatur in der Vermittlung von Wissen zu und wie kann Literatur vermittelt werden? Welche Relevanz hat Literatur für unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche und verschiedene Personengruppen? Wie kann die Notwendigkeit der Beschäftigung mit Literatur in einem utilitaristischen und ökonomistischen Diskurs verortet werden?

Es sind mehrere Dimensionen, die den Diskurs über literarische Bildung gegenwärtig verändern und erweitern:

– Die Entwicklung des europäischen Bildungssystems: Die so genannte Lissabon-Strategie, die 2000 beschlossen wurde, ist die ehrgeizige Entscheidung der EUMitgliedsländer, Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Diese Strategie wurde 2005 neu aufgelegt und noch stärker auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet.1 Die EU-Politik wertet somit Bildung auf, um sie gleichzeitig auf die Ziele der Union zu funktionalisieren. Ein weiterer Widerspruch ist die Tatsache, dass trotz der zugestandenen großen Bedeutung von Bildung als ökonomische Ressource die öffentliche Hand dennoch kaum bereit ist, mehr Geld in den Bereich staatlicher Bildung zu investieren.2 Wissensgesellschaft und lebenslanges Lernen sind im Bildungsbereich die zentralen Eckpfeiler der Aktivitäten. Zu den entscheidenden Benchmarks gehört eine Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeiten der Gruppe der 15-Jährigen ebenso wie das Ziel höherer AbsolventInnenzahlen in naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern bzw. generell die Erhöhung der AkademikerInnen-Quote.

– Die Diskussion um Bildungsstandards und Kompetenzen: Empirische Studien (PISA, PIRLS u.a.) haben Mängel im Bildungssystem u.a. in Deutschland, Österreich und der Schweiz sichtbar gemacht und eine deutliche Intensivierung der Debatte um Bildungsziele und -wege mit sich gebracht. Dringende Reformen scheinen nötig; zum Teil sind sie schon eingeleitet, zum Teil wird noch diskutiert, wie die EU-weit formulierten Ziele und die je nationalen Interessen in diesen Fragen am besten erreicht werden können. Als Ziel der Reformen wird u.a. angegeben, soziale Asymmetrien auszugleichen, geschlechtsbedingten Diskriminierungen entgegenzuwirken und MigrantInnen zu integrieren (Sprache, Zugang zu Bildung, Förderungsmaßnahmen).

– Die Veränderung von Lebensläufen: Nicht ohne Grund ist lebenslanges Lernen Teil der Lissabon-Strategie. Arbeits- und Lernbiografien, wie sie früher beschrieben wurden, entsprechen nicht den heutigen Anforderungen einer flexibilisierten Arbeitswelt, in der Mobilität gefragt ist und Sicherheiten kaum gegeben sind. Das Versprechen, das dem »flexiblen Menschen« (Sennett)3 gegeben wird, lautet: Wer genug kann und weiß, wird Arbeit finden. Der Druck auf jede/n Einzelne/n steigt, und heutige Lebensläufe sind erstaunliche Akkumulationen von Zusatzqualifikationen als Folge unterschiedlicher Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen wie Praktika, Nebenjobs und außerberuflicher Aktivitäten, die grundsätzlich Engagement zeigen sollen. Zugleich leben die Menschen heute einfach länger und haben den Wunsch nach einem erfüllten dritten und vierten Lebensabschnitt, in dem Bildung eine wichtige Rolle spielt. Die Basiskategorie »Alter« wird neu zu definieren sein, und damit verbunden stellen sich neue Bildungsfragen und -aufgaben auch in Sachen Literatur(vermittlung).

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