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4. Zu den einzelnen Beiträgen

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Literaturlehrforschung an der Schnittstelle von Schulunterricht, Lebensspannenkonzept und ›Öffentlicher Didaktik‹ untersucht SIGRID THIELKING. Der Beitrag rückt fachdidaktisch relevante Aufgabenfelder und Domänen abseits von Regelschulen und Einrichtungen des engeren Berufslebens und damit ein erweitertes Zielpublikum in den Blick und plädiert für eine Öffnung der Literaturdidaktik auf kulturwissenschaftliche und lebenswissenschaftliche Zusammenhänge. Für eine Profilbildung einer ›Öffentlichen Didaktik‹ gewinnen u.a. Konzepte von Local knowledge, Area Studies und Varianten von Lernen vor Ort von Bedeutung. Anregungen und Erkenntnisse für eine Vermittlungswissenschaft für unterschiedliche Altersgruppen (lifespan didactics) liefert die Lebensspannenpsychologie. Für die Entwicklung didaktischer Konzepte und für ein breiteres Spektrum an Lehr- und Lernhandlungen braucht es eine Engführung von literaturdidaktischer Lehre und Forschung und eine Reflexion, die Lesen und Lernen als Life science in fachdidaktisches Denken und Handeln mit einbezieht.

NICOLA MITTERER und WERNER WINTERSTEINER widmen sich mit der Transkulturellen Literaturdidaktik einem neuen theoretischen Feld und einem in der Schulpraxis noch wenig erprobten Arbeitsgebiet. Der erste Teil skizziert Transkulturelle Literaturdidaktik als Teil eines Bildungskonzepts, das auf Differenz gründet und auf verschiedenen Ebenen stattfindet: auf pragmatischer (reale Lebensbedingungen der SchülerInnen), ästhetischer (subversives Moment literarischer Sprache) und psychologischer Ebene (Entwicklung der Ich-Identität). Der zweite und umfangreichere Abschnitt untersucht am Beispiel von gemischtsprachigen Schulen (Sekundarstufe I) in Kärnten transkulturellen Literaturunterricht in der Praxis. Die Beobachtungen zeigen u.a., dass Identifikationsangebote literarischer Texte abgelehnt werden (Fremdabwehr als Abwehr des Eigenen), dass die Chancen einer positiven Besetzung von sprachlicher, kultureller und individueller Vielfalt im Literaturunterricht vielfach nicht oder zu wenig genutzt werden (Instrumentalisierung von Literatur, Ausblendung des Fremden, auf die eigene Lebenssituation bezogene, egozentrische Lesart) und forcieren eine Neudiskussion der Grundfrage nach dem Wozu des Literaturunterrichts.

Mit dem Thema der Wissensvermittlung in und durch Literatur beschäftigen sich SUSANNE HOCHREITER und STEFAN KRAMMER in ihrem Essay. Ausgehend von der Frage danach, was Literatur, was Vermittlung ist und wie »Wissen« definiert werden kann, plädieren sie für ein Modell, wonach Literatur Wissen nicht nur abbildet oder reproduziert, sondern in spezifischer Weise generiert. Die Vorstellung von einem ›objektiven‹ Wissen wird durch die Historisierung von Wissensformationen relativiert. Anhand von Elfriede Jelineks Text Die Liebhaberinnen beschreiben die AutorInnen das Modell eines literarischen ›Experiments‹ als mögliches Paradigma literarischer Wissensproduktion und -vermittlung. Die Performativität von Sprache ist dabei ein Reflexionshorizont, die ZeugInnenschaft von LeserInnen ein anderer: Das Wissen, das ein Text sowohl hat als auch herstellt, liegt – so die These – in der Reflexion der Entstehung von Wissen und dem Inter-Agieren, das der Text mit den LeserInnen als ZeugInnen provoziert.

In GABY GROSSENS Beitrag wird gezeigt, dass literarische Bildung weit mehr umfasst als Leseförderung. Die literaturdidaktische Forschung zur literarischen Bildung bewegt sich auf fünf großen Forschungsfeldern. Zumindest in der Schweiz gerät literarische Bildung im bildungspolitischen Diskurs über die Sekundarstufe II unter Rechtfertigungsdruck. Didaktische Rechtfertigung für literarische Bildung darf sich nicht auf die Bildungspolitik beschränken, sondern muss auch nach ›innen‹, gegenüber den Lehrenden und Lernenden, geführt werden, um Nachhaltigkeit zu bewirken. Es geht nicht nur um die Bewahrung des kulturellen Erbes, sondern auch darum, Jugendliche in ihrer »Identitätsbildung« (Spinner 2001) zu unterstützen, ihnen den Weg ihrer Sozialisation und Enkulturation zu ebnen, sie ästhetische Bildung erfahren zu lassen. So gesehen weitet sich das fachdidaktische Feld der literarischen Bildung hin zur Kulturdidaktik aus.

Eine Bestandsaufnahme eines unter Druck geratenen Literaturunterrichts gibt DIETER WROBEL zu Anfang seines Beitrags. Probleme des Literaturunterrichts insbesondere auf der nicht-gymnasialen Sekundarstufe ortet er in den bildungspolitischen Vorgaben und im Schulsystem, in der Heterogenität der Lese- und Lernvoraussetzungen, in der tradierten Methodik, die einer veränderten SchülerInnenschaft nicht mehr gerecht wird, sowie in der soziologischen Bedeutung der Peer-group und ihrem Missverstehen durch die Fachdidaktik. Eine Möglichkeit zu einer veränderten Unterrichtspraxis sieht Wrobel im Entwurf des individualisierten Lesens (Hattinger Modell), das u.a. eine Öffnung des Unterrichts (Schwerpunkt: Leseförderung), eine Öffnung des Textkorpus (z.B. in Richtung Sachtexte, Comics), eine Kontextualisierung des Lesens mit Schreiben und Sprechen im Sinne einer hand-lungs- und produktorientierten Didaktik (Lesetagebuch, Folgekommunikation) vorsieht. Ein dahingehend individualisierter Unterricht erfordert bzw. ermöglicht auch veränderte Rollen und Kompetenzen (Leseberatung, Vier-Augen-Gespräch) sowie andere Formen der Leistungsbeurteilung (Leseförderung statt Noten). Evaluierungen des Hattinger Modells haben gezeigt, dass SchülerInnen ihr Leseverhalten und ihre Einstellung zum Lesen verändert haben, dass aber auch Lesekompetenz, Lese- und Textverständnis zugenommen haben.

KARLHEINZ FINGERHUT diskutiert in seinem Beitrag Literaturdidaktik als Vermittlungswissenschaft im Spannungsfeld von Kompetenz-, Prozess- und Produktionsorientierung. Probleme produktiver Aufgabenstellungen in einem kompetenzorientierten Literaturunterricht, die den Brückenschlag zwischen dem aktuellen Mainstream der Didaktik (Kompetenzorientierung) und dem handlungs- und produktionsorientierten Deutschunterricht, der sich einer kompetenzorientierten Bewertung bislang weitgehend entzogen hat, versuchen, lokalisiert er u.a. in der Umsetzung komplexer Leseleistungen in produktive Schreibleistungen innerhalb einer linear gedachten Lernprogression, in der mangelnden Kontextualisierung der produktionsorientierten Teilaufgaben, in der ungenügenden Erfassbarkeit von Formbotschaften literarischer Texte sowie in der Instrumentalisierung der emotionalen Beteiligung der Lesenden (Empathie, Identifikation, Perspektivübernahme, Identitätsbildung) beim Schreiben, das nicht mehr eine ästhetisch kodierte Expression, sondern eine Aufgaben- oder Problemlösung darstellt. Fingerhuts kritische Zusammenstellung macht die Notwendigkeit deutlich, die Begriffe Kompetenz und Kompetenzmodell, das Verhältnis von kreativen Aufgabenstellungen und Kompetenzbegriff, die Beziehung von prozessorientiertem Schreiben und Kompetenzbegriff sowie die didaktische Reichweite des Kompetenzbegriffs zu klären.

Der Beitrag von CLAUDIA KUPFER-SCHREINER und ULF ABRAHAM begreift Studierende der Fachdidaktik Deutsch – mehrheitlich angehende LehrerInnen – als Lernende und thematisiert damit eine spezifische »Schnittstelle« zwischen Literaturdidaktik, Literaturwissenschaft, Lernforschung und Hochschulunterricht. Der Beitrag definiert die Vermittlung literarischer Kompetenz als hochschuldidaktische Aufgabe; als konkretes Beispiel stellt er Lese- und Schreibreisen vor, wie sie vom Lehrstuhl für Deutschdidaktik der Universität Bamberg durchgeführt wurden. Das Rahmenkonzept des Situierten Lernens bietet offene und komplexe Lernumgebungen an, die zur selbstständigen Auseinandersetzung mit der Situation anregen (»Anschlussmöglichkeiten«), es ermöglicht die Betrachtung eines Lerngegenstandes aus mehreren, unterschiedlichen Perspektiven und ein neues Maß an Authentizität, indem Lerninhalt, Lernort und LernerInnen soweit wie möglich »zusammenfallen«. Medium der Artikulation und Reflexion ist einerseits das Reisejournal, andererseits findet das Lernen im sozialen Austausch statt.

Literarische Lernprozesse zu initiieren und zu fokussieren, didaktische Theorien zu rezipieren und zu adaptieren sowie die Aussagen von SchülerInnen angemessen bewerten zu können, formuliert SABINE ANSELM als zentrale Herausforderungen literaturdidaktischen Lehrens. Um das Gelingen von Bildungsprozessen zu sichern, plädiert sie dafür, literarische Kompetenz als Verbindung von Wissen, Emotionen und Können, in der DeutschlehrerInnenausbildung zu forcieren. Die inhaltlichen Aspekte literarisch-rezeptiver Kompetenz bestimmt Anselm im Anschluss an Terhart durch kognitive, ästhetisch-ethische und pragmatische Dimensionen. Für die Ausbildung eines professionellen Habitus im Bereich der DeutschlehrerInnenausbildung gelten demnach drei Ziele: Verstehensprozesse offen und individuell zu gestalten, didaktische Konzeptionen zu kennen und flexibel mit ihnen umgehen zu können, SchülerInnen als LeserInnen ernst zu nehmen. Die Dreidimensionalität von literarischer Kompetenz und literaturdidaktischer Lehre konkretisiert Anselm am Beispiel der Lektüre eines Märchens von Wolf Biermann: Das ästhetische Erleben von Bild und Text wird zum Anlass mehrdimensionaler Textlektüre, das Märchen dient als Modell literarischen Lesens, schriftliche Interpretationen machen literarische Kompetenz sichtbar. Abschließend votiert Anselm für ein integratives Konzept, das fachliche, fachdidaktische und ästhetisch-ethische Kompetenzen vereinigt.

Im Alltag von Lehrenden, Lernenden und SchulbuchmacherInnen nehmen das Testen von (Lese)Kompetenzen und damit die Qualitätserwartungen der Psychometrik großen Raum ein. MICHAEL KÄMPER-VAN DEN BOOGAART weist einerseits auf die Problematik von zentralen Leistungsmessungen hin, die den Hauptgütekriterien Objektivität, Validität (Messgenauigkeit) und Reliabilität (Gültigkeit) möglichst weitgehend entsprechen sollen; andererseits sieht er in der Kooperation mit empirischen Sozialwissenschaften, in der Modellierung eines poetischen Textes auf messbare Kompetenzen und in der Generierung entsprechender Aufgaben eine Chance für die Literaturdidaktik: zunächst müsse sie sich über die textverstehenden Operationen verständigen, die zu einer literaturaffinen Verarbeitung der Textinformationen führen, und dann klären, welche genuin literarischen Kompetenzen dabei zum Tragen kommen. Textverstehende Operationen erläutert Kämper-van den Boogaart exemplarisch, u.a. an der literarisch-rezeptiven Teilkompetenz des Symbolverstehens.

Der Beitrag von ELISABETH STUCK und NIVES MLAKAR fasst den Forschungsstand im Gebiet der Lehr- und Lernmittel für den Literaturunterricht zusammen. Die literaturdidaktische Lehrmittelforschung konzentriert sich vor allem auf Studien zu Lehrprozessen. Studien, welche den Schwerpunkt auf Fragen der Unterstützung der Lernprozesse legen, sind hingegen rar. Fokussierend auf die Funktionen, welche den Lehrmitteln zugeschrieben werden, finden sich Forschungsbestrebungen besonders im Bereich der Steuerung und Planung des Unterrichts. Im Zentrum der bisherigen Forschung von literarischen Lehrmitteln steht das Lesebuch; bei anderen Untersuchungsgegenständen klaffen noch größere Lücken. Forschungslücken finden sich auch, wenn die Stufe einbezogen wird: Lehrmittelstudien auf der Sekundarstufe II finden sich kaum. Ein großes Desiderat der Lehrmittelforschung ist die Untersuchung der fachdidaktischen Wirksamkeit von Unterrichtsmitteln.

Die Schnittstelle von Schule und Universität steht im Zentrum von URSULA KLINGENBÖCKS Überlegungen zu einer Propädeutik der (germanistischen) Literaturwissenschaft. Empirische Daten zu studienfachspezifischen Schwierigkeiten von StudienanfängerInnen liegen kaum vor. Die Profilierung der gegenwärtigen (literaturwissenschaftlichen) Propädeutik erfolgt daher am Beispiel literaturwissenschaftlicher Einführungsliteratur und universitärer Lehre im Kontext aktueller fachwissenschaftlicher, didaktischer und bildungspolitischer Diskurse. Für eine dringend notwendige Neubestimmung der Propädeutik lanciert der Beitrag ein studienfächerübergreifendes Konzept unter kulturwissenschaftlicher Perspektivierung. Als Diskussionsgrundlage stellt Klingenböck ein integriertes Modell vor, das allgemeinphilosophische, wissenschaftsgeschichtliche und -theoretische Aspekte mit fachnahen und -spezifischen Inhalten eng führt und, in einem weiteren Schritt, über die Konfrontation des eigenen Faches/der eigenen Perspektive mit anderen eine kritische Reflexion ermöglicht.

Im Zentrum von IRENE PIEPERS Beitrag steht die literarische Kompetenz und ihre Positionierung in der aktuellen Kompetenzdiskussion. Vom kognitionspsychologischen Ansatz des Lesens differenziert der Beitrag unter Rückgriff auf die strukturalistische Modellierung Jakobsons ein spezifisch literarisches Lesen, das die besondere Qualität literarischer Texte wie Autofunktionalität, Mehrdeutigkeit, Text-LeserInnen-Interaktion auf Basis des Fiktionsvertrags (Eco), Textverständnis als Konkretisation (Herstellung lokaler und globaler Kohärenz) und Interpretation (Konstruktion einer Textintention) berücksichtigt. Besondere Bedeutung kommt beim literarischen Lesen den Bereichen der Motivation und der subjektiven Beteiligung zu, die Sozialisations- und Enkulturationsfunktion literarischen Lesens wird in der privilegierten Stellung der Kommunikation vor, während und nach der Lektüre deutlich. Am Beispiel eines Unterrichtsgesprächs zu Rose Ausländers Zirkuskind beleuchtet Pieper ausgewählte Aspekte literarischen Lesens/literarischer Kommunikation (z. B. »metaphorische und symbolische Ausdrucksweise« oder »Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses«) genauer. Eines ihrer Ergebnisse: Polyvalenzverstehen im Sinne der Kunsthermeneutik bleibt Entwicklungsaufgabe.

WIEBKE DANNECKER diskutiert in ihrem Beitrag LehrerInnenbildung zwischen der Orientierung an Bildungsstandards und Output auf der einen und pädagogischer Professionalität auf der anderen Seite. »LehrerInnenbildung in Zeiten gesellschaftlicher Globalisierung« geht insbesondere der Frage nach, wie die Aneignung pädagogischer Professionalität – verstanden als Fähigkeit, die LehrerInnenrolle zu reflektieren, den eigenen Fachunterricht wissenschaftlich-empirisch zu überprüfen und sich mit den Ergebnissen lernpsychologischer Forschung auseinander zu setzen – vonstatten gehen kann. Dannecker fokussiert Qualitätssicherung in der LehrerInnenbildung aus hochschuldidaktischer Perspektive und vor dem bildungspolitischen Hintergrund eines gerade im Entstehen begriffenen europäischen Hochschulraumes. Wertvolle Hinweise gewinnt sie aus der Curricula-Forschung, aus einem internationalen Vergleich der Organisation der Schulbildung (u.a. Deutschland/Finnland) sowie der LehrerInnenbildung zwischen pädagogischer Professionalisierung und Performanzkontrolle. Anselm plädiert für eine Vernetzung der LehrerInnenbildung in Deutschland (u. a. Kontinuität statt Fragmentierung, Verbindung von Theorie und Praxis) und formuliert schließlich erste Implikationen für die Neugestaltung des Curriculums für das Lehramt an Gymnasien in den Philologien. Als Zielperspektive der LehrerInnenbildung sieht Dannecker forschendes Interesse an Lehr- und Lernprozessen.

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