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EMANUELA PILOLLI ZWISCHENWELTEN –
EINBLICKE IN NEUE WELTEN

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Das erste Wort, welches mir in den Kopf kommt, wenn ich an unser aktuelles Projekt ZwischenWelten denke, ist „Brückenbau“. Unser Anspruch an das Projekt ist die Verbindung zwischen verschiedenen Kulturen, Sprachen, Nationalitäten, Religionen und Traditionen. Es soll ein Weg entstehen, der vom Alltag im Gefängnis zur Realität außerhalb der Mauern weist. Anders gesagt: Eine Brücke, die den Übergang erleichtert. Im Vordergrund steht nicht die Vermittlung von Moral und starren Konzepten, nicht die Lehre von richtig und falsch, sondern der Gedanke, dass die Teilnehmer (nur männlich) durch Interaktion und aktive Gestaltung eigene Strategien finden, mit diesen Themen umzugehen.

Gemeinsam erarbeiten und besprechen wir in der Gruppe Gedanken, Ideen, Ängste und mehr, die die Teilnehmer im Hinblick auf ihre eigene, aber auch vermeintlich fremde Welten haben. Interaktive Kommunikation durch Gruppengespräche, Schreibübungen und Darstellungen sind die primären Bausteine, die uns helfen, interkulturelle und soziale Brücken zu bauen.

Hinter jedem Einzelnen stehen sehr individuelle Geschichten, Schicksale oder Ängste, die zum Ausdruck gebracht werden wollen. Unsere Herangehensweise im Workshop hat somit einen Leitfaden, muss aber als ein dynamischer Prozess verstanden werden, der durch das Mitwirken und die Eigenschaften und persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer spezifische Schwerpunkte setzt. Die Prozesse und Instrumente, die diesen Weg pflastern, können so verschieden sein wie die Teilnehmer selbst, sodass wir am Ende des Projekts ein buntes Venedig erschaffen wollen, was gut als Ganzes miteinander funktioniert.

Wichtigster Bestandteil von ZwischenWelten ist der schriftliche und verbale Austausch in einem geschützten Raum, den wir den Jugendlichen zur Verfügung stellen.

Trotz sprachlicher Barrieren wollen wir es schaffen, die bunte und kreative Welt des Einzelnen kennenzulernen und in unsere Arbeit aufzunehmen. Diese versteckt sich oftmals hinter sprachlichen Hemmungen, weil die Teilnehmer die deutsche Sprache nicht optimal beherrschen, aber auch hinter sozialen Mauern. Für viele ist es nicht einfach, sich vor einem Publikum zu öffnen. All dies gilt es zu berücksichtigen und zu verstehen, wenn wir nach Methoden und Instrumenten suchen, diese Barrieren aufzubrechen und zu nutzen. Nicht selten kommunizieren wir mit Gesten, nutzen Hände und Füße oder übersetzen Metaphern aus der jeweiligen Muttersprache ins Deutsche, sodass neue sprachliche Möglichkeiten entstehen, die wir in unsere Texte mit aufnehmen. Oft entstanden so lustige Situationen, und die Sicherheit der Jugendlichen wuchs zunehmend.

Sprachen beeinflussen sich gegenseitig. Viele Metaphern werden auch in andere Sprachen übersetzt, Wörter übernommen oder eingedeutscht. Ein Philosophiestudent in Italien beispielsweise muss viele deutsche Worte lernen, um die philosophischen Texte zu verstehen. Viele Worte werden aus dem deutschen Sprachgebrauch (Originalsprache vieler Texte) übernommen. Manchmal wäre ein ganzes Buch notwendig, um diese zu erklären. Es geht nicht nur um Worte, sondern um ganze Konzepte. Nehmen wir zum Beispiel das Wort Weltanschauung. Wie versteht der Autor, der Leser, das Gegenüber die Welt? Wie interpretiert der Mensch/die Gruppe die eigene Existenz und das irdische Dasein? Es geht um moralische und soziale Normen und Prioritäten im Leben und die Rolle, die der Mensch in diesem Gefüge einnimmt. Diese Regeln und Ansichten sind jedoch so unterschiedlich geprägt, dass es schwierig ist, sie als ein starres Konzept darzustellen und in Texten zu verarbeiten. Bei der Darstellung und Verwendung eines solchen deutschen Begriffs beispielsweise ist Fingerspitzengefühl gefragt und der interaktive Dialog besonders wichtig. Wie schaffen wir es, die Weltanschauung unseres Gegenübers, trotz eigener Interpretationen, Prägungen und normativen Systemen, zu verstehen? Wie verstehst du deine Heimat? Wie riechst du sie? Wie klingt sie in deinen Ohren? Wie schmeckt sie für dich? All das waren zentrale Fragen, die wir in der Gruppe gestellt und besprochen haben.

Der Austausch über eigene Wahrnehmungen öffnet neue Türen und führt oft zu mehr Verständnis und einer gegenseitigen Annäherung.

Ebenso wie das Verständnis innerhalb der Gruppe fördern möchte unser Projekt auch der Welt außerhalb der Gefängnismauern zeigen, wer unsere Teilnehmer wirklich sind. Es ist nicht nur der Kriminelle, der seine Identität durch den Haftaufenthalt erhält. Statt die Insassen einer Strafanstalt als homogene Gruppe von Sträflingen zu sehen, möchten wir zeigen, dass es sich um verschiedene Charaktere und Geschichten handelt. Unser Projekt ZwischenWelten soll dazu beitragen, diese Stigmatisierungen aufzubrechen.

Viele der Jugendlichen bezeichnen sich selbst als Ausländer, Kriminelle oder schwer erziehbar, weil sie das durch jahrelanges Abstempeln der Außenwelt übernommen haben und sich nicht anders selbst definieren können. Wir wollen mit den Jugendlichen gemeinsam daran arbeiten, die eigenen Horizonte zu erweitern. Das Schubladendenken soll ersetzt werden, in dem wir auf vielseitige Eigenschaften hinweisen, die uns zu dem machen, was wir sind. Auch wenn uns das Gegenüber vorerst fremd erscheint, ist es nicht per se schlecht. Man kann es kennenlernen und begreifen.

Das Fremde kann eine andere Lebenswelt aus ferneren Ländern wie Nigeria, Tschetschenien oder dem Iran sein; oft jedoch habe ich in meiner Arbeit die Erfahrung gemacht, dass auch eine Art der Entfremdung zu beobachten ist, wenn die Menschen in unterschiedlichen Bezirken in Berlin aufgewachsen sind. Durch die unterschiedliche soziale und urbane Struktur sowie spezifische Nachbarschaften und Stadtbilder, mit verschiedenen sozialen und kulturellen Regeln, fühlen sich Jugendliche aus Neukölln beispielsweise manchmal fremd gegenüber den Jugendlichen aus Marzahn.

Wir nehmen die Orte anders war, wissen weniger darüber, weil wir dort nicht leben oder aufgewachsen sind. Wenn wir nun aber Geschichten aus anderen Perspektiven hören, ist das eine wundervolle Chance, unsere Sicht auf die Welt zu erweitern.

Die These, dass Distanz zwischen Menschen oftmals durch unterschiedliche Sozialisation mit spezifischen Ansichten, Werten und Strukturen entsteht, sprich: das unbekannte Fremde erst einmal Barrieren schafft, ist grundlegend für unsere Arbeit im Projekt ZwischenWelten. Diese Grenze soll durch den lebendigen Austausch gelockert und im besten Fall überwunden werden. Auch ich als Betreuerin des Projektes lerne durch den Austausch mit den Jugendlichen aus ganz unterschiedlichen Kontexten, meine eigenen vorgefertigten Muster und Denkweisen zu reflektieren.

Wie bereits angedeutet spielt das Phänomen Sprache in unseren Workshops eine ganz zentrale Rolle. Hier geht es nicht nur um die Sprache, die wir durch Worte ausdrücken, sondern um die Interpretationen und das Verständnis, welche wir in unserer Welt erlernt haben. Sprache sind Deutungsmuster, Mimiken und individuelle Erfahrungen, die sich in unserer alltäglichen verbalen und non-verbalen Kommunikation widerspiegeln. Sie wird nicht nur benutzt, um Objekten einen Namen zu geben, Formen zu beschreiben oder Gefühle auszudrücken. Die Etikettierung von Dingen, Orten, Gefühlen etc. durch Sprache verschließt uns Türen und beschränkt unsere Wahrnehmung und Auffassung des Beschriebenen. Wir müssen die Ungreifbarkeit der Realität akzeptieren, verstehen, dass die individuelle Wahrnehmung der Menschen ganz unterschiedlich ist.

Eine Schreibübung, die wir im Rahmen unseres Projekts durchführen, ist die Beschreibung verschiedener Orte. Dies können eine Haltestelle oder ein Park im Wohnviertel sein oder Straßenzüge, Plätze und andere Orte, die man wahrnimmt. Am Ende der Übung erraten die anderen Teilnehmer, um welche Orte es sich handelt, und wir besprechen das Geschriebene gemeinsam. Es entstehen wunderbare individuelle Beschreibungen und Bilder verschiedener Orte: Einblicke in andere Welten und Wahrnehmungen der Außenwelt. Es sind Orte voller persönlicher Erfahrungen und Erinnerungen, die nicht nur durch einen Namen entstehen. Der Bergmannkiez oder das Gelände Messe Nord kann für mich etwas ganz anderes bedeuten als für mein Gegenüber. Während mein rechter Nachbar den Hermannplatz als bedrohlich oder hektisch wahrnimmt, kommt mein linker Nachbar vielleicht gar nicht mehr aus dem Schwärmen raus. Er sieht bunte Menschen, Kreativität und multikulturelles Leben. Die Welt ist somit viel mehr eine glitzernde Discokugel, ein Spiegel mit vielen Facetten als ein Globus mit festen geografischen Grenzen. Jeder Teilnehmer im Projekt konstruiert seine eigene Welt und deutet diese nach individuellen Mustern. ZwischenWelten möchte vermitteln, dass es keine richtigen und falschen Wahrnehmungen gibt, sondern diese von individuellen Deutungen abhängen. Dies zu verstehen fördert tolerantes Denken und ein respektvolles Miteinander. Menschen werden nicht weiter abgestempelt und in Schubladen gesteckt, sondern wir lernen, genauer hinzuschauen. Was steckt hinter dem Menschen; wer sind die Jugendlichen, mit denen wir arbeiten; warum stehen sie dort, wo sie jetzt stehen.

Der Philosoph Wittgenstein beschreibt Sprache als ein Spiel, welches immer wieder neue Welten erschaffen kann. Im Hinblick auf unser Projekt könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass für die Jugendlichen, durch das schriftliche Beschreiben (von Orten, Gefühlen, Ereignissen) ein neuer Denkprozess angestoßen wird, bei dem sie ihre Welt reflektieren und neu kreieren können. Sie bekommen einen anderen Blick auf sich selbst, ihre Rolle in der Gesellschaft und auch auf ihre Mitmenschen. Die Welt als großes globales System, aber auch als individuelles und soziales Gefüge, in dem der Jugendliche aufgewachsen ist und aktuell lebt, kann durch diese Beschreibung von einer anderen Perspektive wahrgenommen werden. Dieser Blickwechsel eröffnet ihnen die Möglichkeit, durch die vielen kleinen Geschichten, die wir hören, unsere Rolle in dieser Welt anders zu begreifen. Aus der Vielfältigkeit entstehen neue Blickwinkel und die Jugendlichen lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

In der philosophischen Theorie wird oft die These vertreten, dass Objekte (ein Berg, ein Mensch) nicht existieren, sofern wir sie nicht visuell wahrnehmen. ZwischenWelten ist ein Projekt, welches diese Objekte durch Um- und Beschreibung sichtbar werden lässt. Es entstehen also Brücken, die Fremdes und Eigenes verbinden.

Ich hoffe, unser kleines Venedig gefällt euch.

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