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Sich ein Bild machen oder »Im Bilde sein«

Die guten alten Bilder und die digitale Bildrevolution

Jochen Hörisch

Es gibt irritierend viele Redewendungen um das deutsche Four-Letter-Word »Bild«. Schon die geläufige Formel »im Bilde sein« (ich bin, wir sind im Bilde) ist hintersinnig. Besagt sie doch zumindest zweierlei: dass wir erstens glauben, uns ein angemessenes Bild der Lage gemacht zu haben, und dass wir, die wir uns ein Bild machen, zweitens selbst Element eines Bildes sind, das andere sich gemacht haben. Wer auch nur elementar gebildet ist, ist sich im Zeitalter des Konstruktivismus bewusst, dass es eine falsche Einbildung wäre (schon deshalb, weil Einbildungen per se jenseits der Wahr-Falsch-Unterscheidung prozedieren), zu glauben, es könne ein objektives Bild der Lage geben. Man muss nicht Magrittes Gemälde Ceci n'est pas une pipe oder Der Verrat der Bilder vor Augen haben, um zu begreifen, dass ein Bild nun eben ein Bild ist und dass es einen Unterschied macht, ob man ein materiales Bild (Öl auf Leinwand etc.) vor Augen hat oder ob man das Bild meint, das man sich imaginiert und das andere sich von uns machen. An subtilen bildlichen Manifestationen des Problems und an theoriegeleiteten Reflexionen zur Frage »Was ist ein Bild?« herrscht kein Mangel. Epochale Bilder wie die Hoffräulein (Las meninas) von Velazquez, die Gesandten von Holbein, zahlreiche Bild-im-Bild-Bilder (etwa Atelierszenen oder Gemälde von Bildbetrachtern in Ausstellungen), aber auch Filme wie The Draughtman's Contract von Peter Greenaway beziehen ihren spezifischen Reiz aus den Verweisungsverweisungsstrukturen ihrer Blicklenkung, die kein sicheres Letztfundament für Letztbeobachtungspositionen wahrzunehmen erlauben. Wir sind im Bilde, wenn wir wahrnehmen, dass sich andere ein Bild davon machen, wie wir uns ein Bild (von ihnen) machen.

Es gibt ein 1951 entstandenes und seit 1962 in der Kunsthalle Mannheim ausgestelltes Bild von Francis Bacon (1909-1992), das den Titel Schreiender Papst trägt (Öl auf Leinwand, 198x137 cm). Es verweist deutlich auf andere berühmte Bilder wie den Schrei von Edvard Munch oder das Porträt des Papstes Innozenz X, das Velazquez 1665 malte. Aufmerksamkeit verdient und erhält Bacons Gemälde, zu dem er Dutzende von Varianten malte, stets erneut, weil es im klassischen Medium der Malerei eindringlich vor Augen führt, wie es um die Logik von Bildern und Weltbildern steht bzw. eben nicht steht. Denn Francis Bacon rückt einen Papst ins Bild um den sich alles dreht und der selbst von einem Drehschwindel erfasst ist. Bacons Papst sitzt auf einem stabilen Thron in einem Glaskasten. Mit seiner linken Hand klammert er sich am Knauf der Armlehne fest; offenbar bedarf er des Halts. Seine rechte Hand sucht tiefer als die linke an der Verstrebung der rechten Lehne Zuflucht. Der Mann, der doch der Fels ist, auf dem die Kirche ruhen soll, steht seinerseits nicht auf festem Fundament. Seine Füße schweben über dem Grund bzw. dem Abgrund, so dass sein Körper eigentümlich gestaucht erscheint. Der stabil scheinende Thron, auf dem er sitzt, ist, wenn der Betrachter recht im Bilde ist, in vielfacher Hinsicht labil und fragil. Denn er schwebt über dem Boden auf einem gläsernen Sockel, und er wird durch eine kühne runde Linie durchschnitten, die in eigentümlichem Kontrast zu den ansonsten geraden und eckig zueinander konfigurierten Linien steht – so wird aus dem Thron ein Gebilde, das einem Schaukelstuhl ähnelt. Auf diesem nun sitzt der Papst, von dem es in den berühmten Worten des Matthäusevangeliums heißt, dass Jesus ihm für die Zeit seiner irdischen Abwesenheit das Stellvertreteramt und die Kirchenleitung anvertraut hat.

Abbildung 1: Francis Bacon: Schreiender Papst 1951


Quelle: Kunsthalle Mannheim

Mit den Jesusworten an Petrus, den ersten Papst, hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Denn sie sind offenbar nur an diese eine Person und nicht an eine lange Namensliste möglicher Stellvertreter des ersten Stellvertreters des Gottessohnes = Gottesstellvertreters auf Erden gerichtet, an ein Individuum, mit dessen Eigennamen Jesus Christus ironisch spielt: Petrus Simon. »Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen (griech. petra) werde ich meine Kirche (ecclesia) bauen und die Mächte (pulae, wörtlich Tore) der Unterwelt (hades) werden sie nicht überwältigen.« (Mt 16,18) Der Gottessohn erlaubt sich, wenn er seinen Stellvertreter auf Erden einsetzt, einen erhabenen Kalauer bzw. ein abgründiges Namensspiel. Der Fels, auf dem die Kirche ruht, ruht seinerseits auf einem heiklen Eigennamen, also einem Namen, der seinem Namen wenig Ehre macht – benennen sich die Benannten doch eben nicht selbst aus eigener Macht und Souveränität, ist der Taufakt, der Akt der Namensverleihung doch eine Urszene semantischer Fremdbestimmung. Bacon hat sich die Pointe nicht entgehen lassen, den Inhaber des Petrusamtes auf schwankendem Boden, über den Mächten der Unterwelt schwebend und schaukelnd darzustellen. Sein Papst schreit auch deshalb, weil er, der Fels, in diesen Abgrund zu stürzen droht.

Die Worte, mit denen nach katholischer Lehre das Amt des Papstes gestiftet wird, stammen aus dem Munde eines Menschen, der im Bilde ist, der durchblickt, weil er eben nicht nur Normalsterblicher, sondern zugleich Gottessohn ist, der bald sterben, aber eben auch aus dem Reich des Todes und der Unterwelt wieder auferstehen wird. Unabsehbar viele Bilder werden den lebenden, sterbenden, gekreuzigten und wieder auferstandenen Jesus Christus darstellen. Aus dem, der im Bilde ist, wird somit einer, der gleichfalls im Bilde ist – nämlich von anderen beobachtet wird. Sein Stellvertreter auf Erden, so wie Francis Bacon ihn ins Bild gebracht hat, ist sich dieser und weiterer Paradoxien bewusst. Weil er im Bilde ist, schreit er. Er, der nach Gottvater, Gottessohn, Heiligem Geist und erstem Papst Nachrangige ist nicht etwa aufgrund dieser seiner Nachrangigkeit narzisstisch gekränkt, sondern fundamentaltheologisch und bildstrukturell verwirrt. Er stellt im Glashaus sitzend und durch Brillengläser schauend fest, dass er, der Fromme, frevelt, wenn er den Letztbeobachter Gott, der universell im Bilde ist, seinerseits beobachtet. Unterhalb dieses Paradoxieniveaus ist Theologie nicht zu haben. Den schreienden Papst überkommt offenbar die bange Ahnung, dass diese Paradoxie nicht die einzige ist, die den göttlichen Letztbeobachter trifft und betrifft. Ob der allmächtige Gott auch so wie der Stellvertreter seines Sohnes ins Reich des Todes versinken kann? Wäre es nicht eigenartig, wenn sterbliche Menschen etwas vermögen, was dem allmächtigen Gott versagt ist – eben sterben zu können? Sollte das Geheimnis des Glaubens an Jesus Christus darin liegen, einen gestorbenen und eben deshalb allmächtigen Gott(-essohn) zu beglaubigen? Francis Bacons Papst hat viele Gründe zu schreien – auch darüber, dass ein Bild mehr (und eben zugleich auch deutlich weniger!) sagt als tausend Worte.

Gemälde schweigen, auch wenn sie geöffnete Münder zeigen, aus denen sich Schreie und Flüstertöne, kluge und dumme, liebevolle und aggressive Äußerungen ergießen würden, wenn denn ein Gemälde sprachfähig wäre. Gesprochenes kann man nicht sehen; selbst wer sich auf die Kunst versteht, Laute von den Lippen abzulesen, sieht eben sich bewegende Lippen, nicht aber den Sinn, den sie artikulieren. Es gibt ein altes Theologumenon, demzufolge sich zeigt bzw. offenbart, was sich nicht sagen lässt. Mit der Tradition des Bilderverbots, wie es die jüdische, christliche und islamische Religion in unterschiedlichen Ausprägungen kennt, liegt dieses Theologumenon in einem latenten Konflikt. Wir sollen uns kein Bildnis von Gott machen, denn mit dem von uns verfertigten Bildnis würden wir dem blendenden Schein erliegen, über Gott, den Abgebildeten zu verfügen. Gott kann sich zeigen und offenbaren, wir aber können ihn nicht angemessen darstellen und schon gar nicht über ihn bestimmen. Dieses Motiv hat noch in Kreisen der analytischen Philosophie Autorität. Heißt es doch in Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus in ergreifender Schlichtheit: »Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.« (6.522)1 Das Mystische, Mysteriöse, Geheimnisvolle gehört der visuellen Sphäre zu. Es wird entschleiert, es soll sich als nackte Wahrheit offenbaren, es bedarf der Enthüllung, es kann in Evidenz übergehen, es kann aber auch blenden und blind machen – zu viel Offenbarung, zu viel strahlende Illumination vertragen wir offenbar nicht. Es sei denn, wir halten dem Gewicht von Sein und Zeit sprachlich stand. Dann bewegen wir uns aber nicht mehr in der visuellen Sphäre der Bilder, sondern in der Sprache. Das Rätsel ist im Medium der Sprache, was das Geheimnis im Medium der Bilder ist. Wem es gelingt, das Enigma zu lösen und den rätselhaften Code zu dechiffrieren, wem das Losungswort über die Lippen kommt, hat das Rätsel des Sinns gelöst und muss doch feststellen, dass das Mysterium des Seins bleibt. Das gilt vice versa auch für den Enthüller des Mysteriums: er sieht, was der Fall ist, ist also im Bilde, ohne damit schon den Sinn dessen entschlüsselt zu haben, was sich ihm darbietet. Er sieht und durchschaut alles, ihm offenbart sich das Geheimnis, und dennoch oder eben deshalb bleibt alles rätselhaft. Rätsel und Geheimnis können so wenig zueinander kommen wie die beiden Königskinder – und wie Bilder und Sprache. Und doch sind sie einander ganz nahe.

»Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.« (2.225)2 Aber es gibt diesen Satz, der offenbar wahr sein soll und der davon zeugt, dass sich ein kluger Kopf wie Wittgenstein ein Bild der Lage hat machen können. Die überlange Epoche der Medientechnologie, in der Sprache und Bilder, Kommunikation und Wahrnehmung, Enigma und Mysterium einfach deshalb unterschiedlichen Sphären zugehörten, weil Leinwand und Schreibpapier, Pinsel und Kreide, Fotoapparat und Wachswalze leicht zu unterscheiden waren, war die Epoche der Metaphysik und der Ontotheologie – mit Heidegger zu formulieren: die Zeit des Weltbildes. Metaphysik hieß immer auch, davon auszugehen, dass hinter der Physis noch etwas anderes als die Physis west; dass soma und sema zusammengehören, weil sie getrennt sind; dass das Seiende, das Ontische, vom Logos des göttlichen Seins (Onto-Theologie) gelassen wird. Für diese Denkmodelle, die ohne Medienmodellierungen undenkbar wären, gibt es ein schönes Denkbild, das in Francis Bacons Gemälde Schreiender Papst hineinspielt. Danach gehören das verhüllende Textil und der enträtselnde Text nicht nur etymologisch zusammen. Text/il/e ent- und verbergen. Der schreiende Papst artikuliert unförmig, er schreit eben, und er trägt ein unförmiges Textil, das Falten wirft.

Die Natur ist stumm, weil sie trauert. Und sie trauert ob ihrer Stummheit. Ein Circulus vitiosus, der Anlass zu einem Schrei gibt. Der Himmel schweigt, über allen Gipfeln ist Ruh. Bildende Kunst schweigt ihrerseits, aber das Pathos ihres Gelingens ist es, das Schweigen dessen, was im Bilde ist, zum Schweigen zu bringen. Der Letztsinn lässt sich weder wahrnehmen noch vernehmen – aber genau das lässt sich wahrnehmen und aussagen. Das weiß auch Lenz in Büchners Erzählung, die auffällig-unauffällig die Verben »sehen« und »hören« in eine spannungsreiche Konstellation bringt.

»Gegen Abend wurde Oberlin zu einem Kranken nach Bellefosse gerufen. Es war gelindes Wetter und Mondschein. Auf dem Rückweg begegnete ihm Lenz. Er schien ganz vernünftig und sprach ruhig und freundlich mit Oberlin. Der bat ihn, nicht zu weit zu gehen; er versprach's. Im Weggeh'n wandte er sich plötzlich um und trat wieder ganz nahe zu Oberlin und sagte rasch: ›Sehn' (!) Sie, Herr Pfarrer, wenn ich das nur nicht mehr hören (!) müsste, mir wäre geholfen.‹ – ›Was denn, mein Lieber?‹ – ›Hören Sie denn nichts? Hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille heißt? Seit ich in dem stillen Tal bin, hör' ich's immer, es lässt mich nicht schlafen; ja, Herr Pfarrer, wenn ich wieder einmal schlafen könnte!‹ Er ging dann kopfschüttelnd weiter.«3

»Zu weit gehen« und »versprechen« sind bekanntlich (wie »im Bilde sein«) doppelsinnige Wendungen. Die Begegnungen von sehen und hören, von bildender Kunst und Sprache, von Wahrnehmung und Kommunikation sind ohne Paradoxien nicht zu haben. Wer glaubt beide Sphären zur Deckung bringen zu können geht zu weit und verspricht sich, wenn er ein verlässlich glückendes Rendezvous verspricht. Die hier angedeuteten Reflexionen über die Probleme, die das Verlangen, im Bilde zu sein und davon sprachlich Rechenschaft ablegen zu können, mit sich bringt, haben nun aber einen medientechnologischen Hintergrund, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch verschoben hat. Und zwar eben deshalb, weil sich die spannungsreiche Konstellation von Bildern und Aussagen bemerkenswert entdramatisiert hat. Digitale Medientechnologie zu implementieren heißt paradoxerweise eben zuallererst, den altehrwürdigen Binarismus von Sprache und Bildern, von Kommunikation und Wahrnehmung zu überwinden. Dieselben digitalen Rechenknechte, die von der Kultur- und Medienkritik plausibel verdächtigt werden, sich zu Herren aufzuschwingen, speichern, übertragen und bearbeiten gleichermaßen Zahlen, Lettern und die Pixel, aus denen die neuen Bilder sind. Man kann sich die damit freundlich einhergehende Medienrevolution nicht kindlich staunend genug vor Augen führen. Wer einen Menschen mit einem Pinsel in der Hand vor einer Staffelei sah, wusste medienapriorisch: hier wird ein Bild gemacht. Wer einen Menschen mit einem Griffel, einer Feder, einem Bleistift oder einem Stück Kreide vor einem Pergament, einem Papier oder einer Tafel sah, lag zumeist nicht falsch mit der Vermutung: hier entsteht ein Text. Und wer jemanden vor einem Abakus oder einem Rechenschieber sah, dem war klar: hier wird gerechnet. Reizvolle Ausnahmen bestätigten die Regel – natürlich war es verführerisch, den Pinsel zu schwingen, um Zahlen auf die Leinwand zu bannen oder mit der Feder ein Gesicht auf Papier zu porträtieren. Solche fließenden, eben analogen Übergänge testeten die Sphärentrennungen zwischen rechnen, schreiben und zeichnen, um sie zu befestigen.

Wer heute vor einem Computermonitor und einer Tastatur sitzt oder auf das Display seines Smartphones tippt, macht mit diesem bildlichen Arrangement nicht schon deutlich, ob er Daten speichert, überträgt oder bearbeitet und ob diese Daten bildlicher, sprachlicher oder numerischer Natur sind. Dass der Tiefencode all dieser Medienprozeduren aus den beiden armseligen Zahlen 0 und 1 besteht, ist allen bekannt und verwundert deshalb niemanden mehr. Indigniertes Kopfschütteln und narzisstische Kränkung stellt sich bei den Verfassern umfangreicher Texte ab und an ein, wenn sie den geringen Speicherplatz, den 500 Buchseiten benötigen, mit dem erheblichen Speicherplatz nur eines Ferienfotos vergleichen (um von dem eines kurzen Videoclips zu schweigen). Sie sind dann sofort darüber im Bilde, was zählt und Gewicht hat. Zahlen erzählen davon, wie sehr das Zählen das Erzählen dominiert. Digitale Bilder sind in dieser Konstellation das Weltkind in der Mitten. Sie verleihen den Wendungen »sich ein Bild machen« und »im Bilde sein« neuen Glanz. Wer sich auf digitale Bilder einlässt (und wie sollte man das heute vermeiden?), kann wissen, dass er zugleich beides kann: ungemein verlässlich (mit Millionen Pixel und in höchster Auflösung) registrieren, was der Fall ist, und sich zugleich ein Bild machen, also das Material resp. im Vergleich zur analogen Foto- und Filmtechnik das Nichtmaterial bearbeiten.

Und so können wir uns ein Bild der gegenwärtigen Medienlage machen und im Bilde sein. Die altehrwürdigen Oppositionen und Binarismen (wie Wahrnehmung – Kommunikation, Physis – Metaphysik, Bilder – Sprache etc.) sind medientechnisch überwunden. Wer sich ein Bild vom Buch der Welt, der Natur, der Schöpfung, der Geschichte etc. macht, kann zugleich ein neues Bild dieser Bücher schaffen. Wie unmetaphorisch diese Rede ist, macht die Gentechnologie schlagend deutlich. Medientechnisch den Humancode zu dechiffrieren, also zu lesen, heißt, ihn auch neu schreiben zu können. Wenn Menschen dem Buch der Bücher zufolge von Gott nach seinem eigenen Bilde geschaffen wurden, so können sie sich nun ein Bild ihrer selbst designen und dafür sorgen, dass sie diesem Bild gleich werden. Hans Blumenberg, also ein Philosoph, der die branchenübliche Wende zur analytischen Philosophie nicht mitvollzogen hat, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Denken und Sprechen dies- oder jenseits von Metaphern unmöglich ist. Metaphern, so die nicht sonderlich subtile, aber eben doch solide und plausible Grunddefinition, sind Weisen bildlicher Rede. Zu den Eigentümlichkeiten der digitalen Medienlage gehört es, dass Metaphern in 0/1-Sequenzen keinen Raum haben.

Dennoch werden Metaphern und Metonymien, in denen Bilder und Worte ihr Rendezvous haben, nicht aufhören aufzuhören. Das belegt auch die legendäre Schlagzeile der Bildzeitung vom 20. April 2005, die die frohe Botschaft von der Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger zum neuen Papst verkündete. »Wir sind Papst« lautete die schnell zum Kultzitat avancierte überdimensionale Titelzeile. »Unser Joseph Ratzinger ist Benedikt XVI« lautete der Unter- bzw. Obertitel. Schon eine Woche später, am 27. April 2005, wurde sich die Bildzeitung selbst historisch, als sie auf der ersten Seite titelte: »Eine Schlagzeile wird Kult«.4

Abbildung 2: Bildzeitung


Quelle: Bildzeitung vom 27. April 2005

Von Francis Bacons Gemälde Schreiender Papst unterscheidet sich die legendäre erste Seite der Bildzeitung vom 20. April 2005 (kein Kommentar zu den Assoziationen, die dieser Tag zumindest bei Älteren freisetzt) in vielfacher Hinsicht. »Wir sind Papst« – hier demontiert, wohl ohne dies recht zu wollen, ein Massenmedium, dessen Name schon kundtut, dass Bilder das eigentliche Sagen haben, in drei Worten die Position eines souveränen Letztbeobachters. Alle beobachten alle. Alle können sich ein Bild machen und eine Meinung bilden. So wie Millionen Pixel sich zu einem Bild konfigurieren, das sich unendlich bearbeiten lässt, so konfigurieren sich, die Metaphorik des berühmten Titelkupfers von Hobbes Leviathan ernst nehmend, Millionen Mediennutzer, Medienuser, Medienloser zu dem Letztbeobachter, von dem sie wissen, dass es ihn nicht gibt.

Abbildung 3: Frontispiz zur Erstausgabe von Thomas Hobbes: Leviathan.


Quelle: London 1651

Parabolisch

Was im Leben uns verdrießt,

Man im Bilde gern genießt

(vgl. Goethe-BA Bd. 1, S. 411)

Literatur

Büchner, Georg: »Lenz«, in: Henri Poschmann (Hg.), Georg Büchner; Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1992.

N.N., Das siebte Gebot, http://www.bildblog.de/564/das-siebte-gebot/

Von Goethe, Johann Wolfgang/Otto, Regine: Berliner Ausgabe Bd. 1, Poetische Werke, Berlin: Aufbau-Verlag 1965.

Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003.

Filme

The Draughtman's Contract (GB 1982, R: Peter Greenaway)

1 Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, (6.522), S. 111.

2 Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, (2.225), S. 17

3 Büchner, Georg: »Lenz«, in: Henri Poschmann (Hg.), Georg Büchner; Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Frankfurt am Main.: Deutscher Klassiker Verlag 1992. S. 249

4 http://www.bildblog.de/564/das-siebte-gebot/

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