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Einleitung

Johannes Dieterich

Bis zu 700 Millionen Menschen werden in den nächsten drei Jahrzehnten womöglich ihre Heimat verlassen müssen, weil die Landschaften, in denen sie leben, zunehmend veröden. Das ist kein Kassandraruf eines Aufmerksamkeit erheischenden Untergangspropheten, sondern die Prognose von mehr als hundert Wissenschaftlern, die sich im März 2018 in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá trafen. In ihrem Bericht schreiben die in der Bonner »Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität« vereinten Experten, dass Klimawandel und Landzerstörung in großen Teilen der Welt die landwirtschaftlichen Erträge bis zum Jahr 2050 zu halbieren drohten: Als Folge sei mit sozialer Destabilisierung und gewalttätigen Konflikten um knapper werdende Ressourcen zu rechnen.

Zugegeben: Das erschreckende Szenario hat auch mich kalt erwischt – selbst nach mehr als 20 Afrika-Jahren war mir das Ausmaß der Verödung der Acker- und Weideflächen auf dem Kontinent nicht bewusst. Dass ich Tony Rinaudo im März 2016 zum ersten Mal begegnete, war keiner Jagd auf Apokalyptisches, sondern meiner Suche nach einer »positiven Geschichte« aus Afrika zuzuschreiben, die von meinen Heimatredaktionen in Deutschland immer häufiger angefordert werden: Angesichts des Elends in anderen Teilen der Welt will man aus dem bisherigen Kontinent der Kriege, Krankheiten und Katastrophen inzwischen lieber Mut-Machendes hören. Rinaudo erfülle die in ihn gesetzten Erwartungen glänzend: Der Waldmacher stellte sich als Hoffnungsmacher heraus.

Aus seiner Geschichte könnte man ohne Weiteres ein Heldenepos stricken: vom aufopferungsvollen Missionar, der erfolgreich gegen die Verödung ganzer Landstriche ankämpft. Ihm selbst hätte man damit allerdings keinen Gefallen getan: Denn Tony Rinaudo will sich nicht verherrlicht sehen, er will sich vielmehr überflüssig machen. Erst wenn aus seiner Idee eine »Bewegung« geworden ist, sieht sich der Agronom am Ziel seiner Anstrengungen angelangt: Wenn Millionen von Menschen von sich aus dem Abholzen der Bäume auf ihren Feldern ein Ende setzen und zu einer integrierten Landwirtschaft zurückkehren. Dass dieser Paradigmenwechsel ohne großen Aufwand möglich ist, ist das Faszinierendste an Rinaudos Entdeckung: Um die verödeten Landschaften wieder zum Blühen zu bringen, sind weder große Mengen an Geld noch übergebührliche Anstrengungen nötig.

Mit Tony Rinaudo unterwegs gewesen zu sein gehört zu den eindrücklichsten Erfahrungen meiner Reisen auf dem Kontinent: Selten habe ich einen hellhäutigen Menschen erlebt, der mit der afrikanischen Bevölkerung dermaßen »in tune« ist. Dem Agronom ist Besserwisserei ebenso fremd wie Zynismus – oder die Ursünde des weißen Helferheeres, der Paternalismus. Tony leidet mit einem Kleinfarmer, wenn dessen Ziege stirbt, und freut sich mit ihm, wenn sein Sahel-Apfelbaum die ersten Früchte trägt. Und das alles auf Hausa, der Verkehrssprache Westafrikas, die der Australier nach dem wohlwollenden Urteil seiner Gegenüber wie »ein Esel aus Kano« spricht.

Rinaudo und seine Methode der Farmer Managed Natural Regeneration (FMNR) stehen im Zentrum dieses Buches. In der einführenden Reportage berichte ich von Reisen mit dem »Waldmacher« nach Äthiopien, Somaliland und in den Niger, wo Rinaudo vor fast 35 Jahren den »unterirdischen Wald« entdeckte. Er selbst erzählt dann, wie er die FMNR-Methode entwickelt und den Farmern ihre Vorzüge aufgezeigt hat. Der Agronom Dennis Garrity erläutert in seinem Beitrag die wissenschaftlichen Fakten zu FMNR. Und Günter Nooke, Afrikabeauftragter der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, trägt schließlich im Gespräch eine politische Einschätzung der Arbeit des Waldmachers bei.

Nach Auffassung der in Bogotá versammelten Wissenschaftler gibt es im Zusammenhang mit der rasenden Verödung eigentlich nur eine Hoffnung: Dass die einheimischen Farmer für ein »nachhaltiges Landmanagement« gewonnen werden. Mit FMNR will Tony Rinaudo die geeignete Methode dafür gefunden haben – gerade noch rechtzeitig, um die Zerstörung unserer Lebensgrundlage aufhalten oder sogar rückgängig machen zu können. Während der einstige Missionar seine Entdeckung selbst als religiöse Offenbarung erlebt hat, kommt einem Agnostiker das Diktum des deutschen Romantikers Friedrich Hölderlin in den Sinn: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

Tony Rinaudo - Der Waldmacher

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