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Ernst Viebig – die Tragödie eines Lebens

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von Volker Neuhaus

Welch ein Leben und welch ein Buch! Ernst Viebigs Autobiographie kann getrost an die Reihe der großen Lebenserinnerungen aus dem 19. Jahrhundert von Wilhelm von Kügelgen über Ludwig Richter oder Heinrich Schliemann bis Carl Ludwig Schleich angeschlossen werden. Sie alle verbinden das Selbstbildnis einer einerseits außergewöhnlichen, andererseits zeittypischen Persönlichkeit mit Porträts bekannter Zeitgenossen vor dem Hintergrund eines fesselnden lebendigen Zeitpanoramas. Diese Tradition setzt Ernst Viebig fort und verbindet die Schilderung seines Lebens vom Kaiserreich über Weltkrieg und Weimarer Republik bis zum Anbruch des nationalsozialistischen Terrors zugleich mit den Brüchen und der Gebrochenheit des 20. Jahrhunderts, die sein Leben letztlich zur Tragödie ohne Katharsis werden ließen. Was den gescheitert Zurückblickenden nicht hindert, so brillant wie amüsant zu schreiben, war Ernst Viebig doch neben vielem anderen in den legendären Zwanziger Jahren auch ein gefragter Musikjournalist.

Außergewöhnlich war sein Leben zunächst einmal allein schon durch seine Eltern Clara Viebig und Fritz Theodor Cohn, denen die bekannte Journalistin Carola Stern ihr letztes Buch gewidmet hat. Die Mutter war von der Jahrhundertwende bis weit in die dreißiger Jahre hinein die wohl berühmteste wie erfolgreichste deutschsprachige Schriftstellerin ihrer Zeit, mit ihrer vom großen Publikum wie von der literarischen Kritik gleichermaßen anerkannten Stellung als Verfasserin großer Gesellschaftsromane in der Tradition Theodor Fontanes oder des jungen Heinrich Mann. Als späte Debütantin hatte Clara 1896 mit 36 Jahren ihren vier Jahre jüngeren Verleger Cohn geheiratet.

Der Kölner Germanist Dietz Bering hat nachgewiesen, dass sich der Antisemitismus in Deutschland vor allem der gezielten Denunziation jüdischer Namen bediente. Den Judenfeinden diente »Der Name als Stigma«, so der Titel von Berings Werk, und »Cohn« galt als der ›Judenname‹ schlechthin. Das mag der Grund gewesen sein, dass der äußerst erfolgreiche und von seinen Verlegerkollegen in hohe Vertrauensämter gewählte F. Th. Cohn seinen Namen in seinen Verlagen lebenslang hinter dem seiner Teilhaber versteckte, pikanterweise unter »Co.«, so bei Fontane & Co. und Fleischel & Co. In den zwanziger Jahren überführte er seinen Verlag in die Deutsche Verlagsanstalt, aus der er dann im ›Dritten Reich‹ herausgedrängt wurde, womit seine Frau Clara zugleich ihren Verleger verlor. Makaber könnte man formulieren, dass Cohn ›das Glück‹ hatte, 1936 noch vor dem Einsatz des mörderischen Antisemitismus zu sterben – viele seiner Familienmitglieder wurden im deutschen Namen ermordet. Vorsorglich hatte Fritz Theodor noch im Kaiserreich für seinen von ihm abgöttisch geliebten und maßlos verwöhnten Sohn durchgesetzt, dass Ernst das ›Stigma‹ ablegen konnte und offiziell den Namen Viebig führen durfte. Die »Tragödie seines Lebens« hat das nicht verhindert, so wenig wie sein Status als »alter Frontkämpfer« mit beiden Eisernen Kreuzen – er sei »›als Jude‹ nicht berechtigt, deutsches Kulturgut zu verwalten«, entschied Goebbels höchstpersönlich; und das im Moment von Ernst Viebigs endgültigem Durchbruch als Vertreter einer gemäßigten Avantgarde: Wilhelm Furtwängler will seine neue Oper, nach Brentanos »Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl« an der Berliner Staatsoper herausbringen; Düsseldorf, wo das Werk schon angenommen ist, will einen Tag später folgen. Librettist ist ausgerechnet der Nazibarde Herybert Menzel. Aber selbst der Einsatz seines »Schwippvetters« Hermann Göring – Clara Viebigs Bruder ist mit einer Schwester von Görings Vater verheiratet – vermag nichts auszurichten; schon 1933 wird Ernst Viebig endgültig mit Berufsverbot belegt.

Dies wurde zur Peripetie, zum Umschlagspunkt in der Tragödie seines Lebens; den rasanten Abstieg des Titelhelden vom Höhepunkt seiner Karriere hin zur Katastrophe schildern seine Ehefrau und seine Tochter in knappen Worten im Anhang – Ernst Viebig beschränkt seinen Lebensbericht auf die Periode seines Glanzes.

Und welch eines Glanzes! Das beginnt mit der Erziehung durch einen Hauslehrer, eigenen Reitpferden, die später zu schnellen Sportwagen mutieren, dem selbstverständlichen Zugang zu Berlins kulturellen oberen Fünfhundert, unter denen ihn seine so exorbitante wie vielfältige musikalische Begabung schnell zum gern gesehenen Gast macht – welcher junge Mann hatte schon Gelegenheit, auf einem geselligen Abend bei Freunden der Eltern spontan Albert Einstein beim Geigenspiel auf dem Klavier zu begleiten? Seine früh mit eigenen Kompositionen, Arrangements, Bearbeitungen wie mit Stellen als Solokorrepetitor, Dirigent, Kapellmeister und künstlerischer Leiter erzielten Einkünfte betrachtete Ernst Viebig als Klimpergeld, mit dem er förmlich um sich geworfen haben muss – noch 1933 wohnt er, bereits angesichts des Abgrunds, in den sein Leben stürzt, in Zürich ganz selbstverständlich im Hotel Baur au Lac. Ernst Viebig liebte das Risiko, ohne es wirklich zu kennen, spannten doch seine Eltern, vor allem sein gütiger Vater, stets ein Sicherheitsnetz unter ihm, das ihn bei seinen zahllosen Abstürzen immer wieder auffing. Seine Liebe zu schnellen Autos zeigte sich vor allem im Rausch der Geschwindigkeit, mit der er sie zu Schrott fuhr, immer wieder trug es ihn beim Fahren wie im Leben aus der Kurve.

Im Grunde ist sein Leben nur mit dem des etwas jüngeren Klaus Mann zu vergleichen – beide gleichermaßen getragen vom Ruhm und soliden Wohlstand der Eltern, von der eigenen exzentrisch genialen Begabung und vom kulturellen Aufbruchsklima innerhalb einer ausgeflippten jeunesse dorée der Zwanziger Jahre, der eine in der Metropole Berlin, der andere in der Gegenmetropole München. Dem Sternbild nach war Ernst Viebig Waage, aber was der selbst nicht Astrologiegläubige vielleicht an Ausgeglichenheit besessen haben mag, wurde nach seinen eigenen Worten mehr als zerstört von einer lebenslang opponierenden Venus. Wenn er rückschauend feststellt, »an Frauen fehlte es mir niemals«, so scheint das noch stark untertrieben: Immer wieder verliebt er sich halsbrecherisch Kopf über Hals, riskiert empfindlichste Vertragsstrafen, um mit einer neuen Flamme von jetzt auf gleich auf Reisen abzutauchen, wobei er seine Ehefrau um telegrafische Zusendung von Reisegeld bittet. Zweimal landet er wegen einer Liebesaffäre in der Psychiatrie – einmal, noch nicht mündig, vom Vater zwangseingewiesen, beim zweiten Mal geht er freiwillig dorthin, weil er bei sich einen »amour fou« im wortwörtlichen Sinne selbst diagnostiziert hat. Seine diversen Ehen sind für ihn nur hilflose und wenig ernst gemeinte Versuche, ein wenig Ordnung in sein Leben zu bringen.

Eine veritable femme fatale war es dann auch, die Ernst Viebig, nachdem sie schon zweimal zerstörerisch in sein Leben eingegriffen hatte, endgültig vernichtete. Nach einem Zufallswiedersehen in der Schweiz, bei dem die alte wilde Leidenschaft erneut aufgeflammt war, denunzierte sie ihn aufgrund seiner offenen Worte zum NS-Regime bei den braunen Machthabern, so dass der beruflich schon Ruinierte nun auch an Leben und Freiheit bedroht war und überstürzt emigrieren musste.

Man kann in Ernst Viebigs lebenslangem bodenlosen Leichtsinn die ›hamartia‹, das Selbstverschulden des Helden sehen, dessen exzessive Bestrafung nach Aristoteles die Tragik ausmacht. Die Katastrophe, in die sein Leben letztlich mündet, hat sich aber nicht Ernst Viebig zuzuschreiben, sondern das deutsche Volk, das in seiner Mehrheit einem absurden Rassenwahn anhing, dem erst Lebensläufe und dann unzählige Leben zum Opfer fielen.

Ernst Viebig - Die unvollendete Symphonie meines Lebens

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